Katzengeschichten - Patricia Highsmith - E-Book

Katzengeschichten E-Book

Patricia Highsmith

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Beschreibung

Die Katzen waren Patricia Highsmiths beständigsten Begleiter durchs Leben. Bis zu sechs hatte sie aufs Mal. Sie lebten mit ihr und um sie herum, sie schliefen in ihrem Bett und saßen auf ihrem Schreibtisch. Und sie wurden immer wieder zum Thema ihrer schriftstellerischen und zeichnerischen Arbeiten.

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Seitenzahl: 93

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Patricia Highsmith

Katzen

Drei Stories, drei Gedichte, ein Essay und sieben Zeichnungen

Aus dem Englischen von Matthias Jendis, Melanie Walz, Dirk van Gunsteren, Erica Ruetz

Diogenes

{7}Drei Stories

{9}Was die Katze hereinschleppte

Die sekundenlange, gedankenschwere Stille beim Scrabble wurde unterbrochen vom Flappen des Plastiks an der Katzenklappe: Portland Bill kam wieder ins Haus. Niemand beachtete ihn. Michael und Gladys Herbert lagen vorne; Gladys war ein bißchen besser als ihr Mann. Die Herberts spielten oft Scrabble und waren ziemlich gut darin. Colonel Edward Phelps – ein Nachbar und guter Freund – hielt sich mehr schlecht als recht, und seine amerikanische Nichte Phyllis, neunzehn, hatte gut angefangen, in den letzten zehn Minuten aber das Interesse verloren. Bald war es Zeit für den Tee. Der Colonel war schläfrig, man sah es ihm an. »Qual …« Der Colonel strich sich nachdenklich über seinen Kipling-Schnäuzer. »Schade – ich dachte an Qualle.«

»Wenn du nur QUAL hast, Onkel Eddie«, sagte Phyllis, »wie kannst du draus Qualle machen?«

Die Katze an der Tür mühte sich wieder, länger diesmal, lautstark an ihrer Klappe und zerrte nun, den schwarzen Schwanz und das gestreif‌te {10}Hinterteil schon drinnen, rückwärts etwas durch das Plastikoval. Was sie ins Haus brachte, war weißlich und etwa sechs Zoll lang.

»Hat wieder einen Vogel gefangen.« Michael wartete ungeduldig darauf, daß Eddie seinen Buchstaben setzte, damit er seinen brillanten Zug machen konnte, bevor ihm ein anderer das Wort wegschnappte.

»Sieht eher wie noch ein Gänsefuß aus«, sagte Gladys nach einem kurzen Blick. »Igitt.«

Endlich setzte der Colonel, fügte einem SUMP ein F an, und Michaels Zug entlockte Phyllis einen bewundernden Stoßseufzer für sein INI am Ende von GEM, denn mit dem M bekam er DAMM.

Portland Bill warf seine Beute in die Luft, und sie plumpste laut auf den Teppich.

»Mausetot, diese Taube«, bemerkte der Colonel, der zwar dem Kater am nächsten saß, dessen Augen aber nicht mehr die besten waren. »Oder eine Rübe« – dies für Phyllis’ Ohren –, »Steckrübe«, fügte er hinzu, spähte hinüber und kicherte: »Ich habe schon Möhren in den unglaublichsten Formen gesehen. Da war mal eine –«

»Das hier ist weiß«, unterbrach ihn Phyllis und stand auf, um nachzusehen, weil Gladys vor ihr an der Reihe war. Sie trug eine bequeme Hose mit Pullover und beugte sich vor, die Hände auf den Knien. {11}»O mein Gott! Onkel Eddie!« Sie stand auf, schlug die Hand vor den Mund, als hätte sie etwas Grauenhaftes gesagt.

Michael Herbert hatte sich halb erhoben: »Was ist denn?«

»Das sind Menschenfinger!« rief Phyllis. »Seht nur!«

Alle sahen sie hin und kamen dann langsam, ungläubig, vom Tisch herüber. Stolz schaute der Kater empor in die Gesichter der vier Menschen, die auf ihn herabblickten. Gladys stockte der Atem.

Die beiden Finger waren totenblaß und aufgeschwollen; keinerlei Blut, nicht einmal an den ersten Fingergliedern, an denen ein kleines Stück dessen hing, was einmal eine Hand gewesen war. Es handelte sich zweifellos um den Mittel- und Ringfinger einer menschlichen Hand, und zwar wegen der zwei gelben, kurzen Nägel, die wegen des geschwollenen Fleisches klein wirkten.

»Was sollen wir machen, Michael?« Gladys dachte praktisch, überließ die Entscheidungen aber gern ihrem Mann.

»Das da ist seit mindestens zwei Wochen tot«, murmelte der Colonel, der im Krieg einige Erfahrungen gesammelt hatte.

»Könnte es aus einem Krankenhaus in der Nähe stammen?« fragte Phyllis.

{12}»Wo so amputiert wird?« fragte ihr Onkel leise lachend zurück.

»Das nächste Krankenhaus ist zwanzig Meilen weit weg«, sagte Gladys.

»Edna darf das nicht sehen.« Michael warf einen kurzen Blick auf seine Uhr. »Natürlich müssen wir –«

»Vielleicht die Polizei rufen?« fragte Gladys.

»Das war’s, woran ich dachte. Ich …« Während Michael noch zögerte, stieß Edna, ihre Köchin und Haushälterin, hinten in der Ecke des großen Wohnzimmers eine Tür auf. Sie trug das Teetablett herein. Die andern schoben sich unauf‌fällig in Richtung des niedrigen Tischs vor dem Kamin; Michael Herbert dagegen blieb betont lässig stehen. Die Finger lagen unmittelbar hinter seinen Schuhen. Er zog eine Pfeife aus seiner Jackettasche, spielte mit ihr herum, blies in das Mundstück. Seine Hände zitterten leicht. Mit einem Fuß scheuchte er Portland Bill weg.

Schließlich hatte Edna Teller und Servietten verteilt und sagte: »Der Tee ist fertig.« Die Frau kam aus dem Ort, war Mitte Fünfzig, eine zuverlässige Person, aber mit ihren Gedanken meist bei ihren Kindern und Enkeln – Gott sei Dank, unter diesen Umständen, dachte Michael. Morgens trudelte Edna um halb acht auf ihrem Fahrrad ein und ging, wenn {13}es ihr paßte, es sei denn, es war nichts für das Abendessen im Haus. Die Herberts waren nicht pingelig.

Gladys warf ihrem Mann einen ängstlichen Blick zu. »Raus mit dir, Bill!«

»Muß fürs erste was wegen dem Ding hier unternehmen«, sagte Michael halblaut. Entschlossen ging er zu dem Korb mit den Zeitungen neben dem Kamin, holte eine Seite der Times hervor und eilte zu den Fingern zurück, die Portland Bill gerade ins Maul nehmen wollte. Michael war schneller, er legte die Zeitung darüber und packte sie. Die andern standen noch. Michael bedeutete ihnen, sie sollten sich setzen, faltete das Blatt um die Finger, wickelte sie ein und bog die Rolle an den Enden um.

»Ich denke, wir sollten folgendes tun«, sagte er. »Die Polizei benachrichtigen, denn an der Sache könnte – irgendwas faul sein.«

»Oder könnte es nicht«, der Colonel schüttelte seine Serviette aus, »von einem Notarztwagen oder einem Müllaster gefallen sein? Könnte doch irgendwo ein Unfall gewesen sein.«

»Oder sollten wir die Sache nicht einfach auf sich beruhen lassen – und es verschwinden lassen?« sagte Gladys. »Ich brauch einen Tee.« Sie hatte sich eingeschenkt und nippte an der Tasse.

Auf ihren Vorschlag wußte niemand etwas zu antworten; die drei waren wie betäubt – oder {14}hypnotisiert durch die Gegenwart der anderen. Und doch erwarteten sie irgendwie eine Antwort von irgendeinem, aber die kam nicht.

»Verschwinden lassen? Im Mülleimer?« fragte Phyllis. »Vergraben wir es doch«, fügte sie hinzu, wie als Antwort auf ihre Frage.

»Das wäre wohl nicht richtig«, sagte Michael.

»Nimm doch eine Tasse Tee, Michael.« Seine Frau.

»Muß das Ding irgendwo hintun – nur für die Nacht.« Michael hielt immer noch das kleine Bündel in der Hand. »Oder wir rufen jetzt die Polizei. Ist schon fünf, und das am Sonntag.«

»Ist es der englischen Polizei nicht egal, ob es Sonntag ist oder ein anderer Tag?« fragte Phyllis.

Michael wollte schon zu dem großen Schrank neben der Haustür gehen, um das Ding obendrauf zu legen, zwischen ein paar Hutschachteln, doch die Katze folgte ihm, und er wußte, daß sie, bei entsprechender Motivation, bis auf den Schrank springen konnte.

»Ich glaube, ich hab’s.« Der Colonel freute sich über seine Idee, gab sich aber ruhig, für den Fall, daß Edna noch einmal auf‌tauchen sollte. »Habe gestern in der High Street ein Paar Hausschuhe gekauft. Den Karton hab ich noch. Werd ihn holen gehen, wenn ich darf.« Er ging zur Treppe, drehte sich dann um und sagte leise: »Wir binden eine Schnur darum. {15}Und lagern alles so, daß der Kater nicht drankommt.« Er stieg die Treppe hoch.

»Lagern? In wessen Zimmer?« Phyllis kicherte nervös.

Die Herberts antworteten nicht. Michael, der immer noch stand, hielt das Bündel in der Rechten. Portland Bill hatte sich hingesetzt, die weißen Vorderpfoten brav nebeneinandergelegt, und beobachtete Michael, um zu sehen, was er damit tun würde.

Colonel Phelps kam mit dem weißen Schuhkarton wieder herunter. Das kleine Bündel paßte mühelos hinein, und der Colonel hielt den Karton, während Michael sich in der Toilette neben der Haustür die Hände wusch. Als er zurückkam, hockte Bill immer noch da und miaute hoffnungsvoll.

»Legen wir sie vorerst in den Schrank über dem Sideboard«, sagte Michael und nahm Eddie den Karton ab. Wenigstens der war einigermaßen sauber, das spürte er. Er legte den Karton neben einen Stapel großer, selten benutzter Teller und schloß die Schranktür mit dem Schlüssel ab, der in der Tür steckte.

Phyllis biß in einen Keks und sagte: »Ich hab eine Falte an einem Finger bemerkt. Wenn dort ein Ring steckt, könnte er uns einen Hinweis geben.«

Michael wechselte einen raschen Blick mit Eddie, der leicht nickte. Allen war die Falte aufgefallen. {16}Stillschweigend kamen die Männer überein, sich später darum zu kümmern.

»Mehr Tee, meine Liebe?« Gladys schenkte Phyllis eine zweite Tasse ein.

»Mi-aau«, klagte der Kater enttäuscht. Jetzt saß er gegenüber dem Sideboard und sah sich über eine Schulter nach ihnen um.

Michael wechselte das Thema: Die Fortschritte bei der Innendekoration vom Haus des Colonels. Der Neuanstrich der Zimmer im ersten Stock war der Hauptgrund für den Besuch, den der Colonel und seine Nichte den Herberts gerade abstatteten. Doch das war natürlich uninteressant, verglichen mit Phyllis’ Frage an Michael: »Sollten Sie nicht in der Nachbarschaft fragen, ob jemand vermißt wird? Diese Finger könnten auf einen Mord hindeuten.«

Gladys schüttelte kaum merklich den Kopf, sagte aber nichts. Warum dachten Amerikaner immer gleich an Gewalt? Andererseits, was könnte sonst eine Hand auf diese Art abgetrennt haben? Eine Explosion? Eine Axt?

Ein lebhaftes Gekratze ließ Michael aufspringen. »Bill, Schluß damit!« Michael ging auf den Kater zu und scheuchte ihn weg.

Bill hatte versucht, die Schranktür zu öffnen.

Mit dem Tee waren sie früher fertig als sonst. Michael stand am Sideboard, während Edna abräumte.

{17}»Wann wirst du dir den Ring ansehen, Onkel Eddie?« fragte Phyllis. Sie trug eine Brille mit runden Gläsern und war ziemlich kurzsichtig.

»Ich glaube nicht, daß Michael und ich uns schon entschlossen haben, was zu tun ist, meine Liebe«, erwiderte ihr Onkel.

»Gehen wir in die Bibliothek, Phyllis«, sagte Gladys. »Sie wollten doch die Fotos ansehen.«

Das hatte Phyllis tatsächlich gesagt. Es waren Fotos von Phyllis’ Mutter und ihrem Geburtshaus, in dem nun Onkel Eddie wohnte. Eddie war fünfzehn Jahre älter als ihre Mutter. Jetzt wünschte Phyllis, sie hätte nie darum gebeten, die Fotos zu sehen, weil die Männer sich um die Finger kümmern wollten, und dabei hätte Phyllis gern zugesehen. Schließlich sezierte sie im Zoologielabor doch Frösche und Katzenhaie. Aber ihre Mutter hatte sie vor ihrem Abflug aus New York gemahnt, sich gut zu benehmen und nicht so »grob und unsensibel« zu sein – die üblichen Adjektive ihrer Mutter für Amerikaner. Also saß Phyllis pflichtergeben da und schaute sich Fotos an, die mindestens fünfzehn bis zwanzig Jahre alt waren.

»Bringen wir’s hinaus in die Garage«, sagte Michael zu Eddie. »Ich habe da nämlich eine Werkbank.«

Die beiden Männer gingen über einen Kiesweg zu {18}der Doppelgarage, in deren hinterem Teil Michael eine kleine Werkstatt mit Sägen und Hämmern, Meißeln und Elektrobohrern hatte, dazu einen Vorrat an Holz und Brettern, für den Fall, daß im Haus etwas repariert werden mußte oder er in Bastelstimmung war. Michael war freier Journalist und rezensierte Bücher, aber er genoß körperliche Arbeit. Hier fühlte er sich mit dem scheußlichen Karton irgendwie besser. Er konnte ihn auf seiner stabilen Werkbank abstellen, wie ein Chirurg, der einen Körper auf den OP-Tisch legte. Oder eine Leiche.