Kaufen Sie noch ein Los, bevor wir abstürzen - Julia November - E-Book

Kaufen Sie noch ein Los, bevor wir abstürzen E-Book

Julia November

4,5

Beschreibung

Piloten sind braun gebrannte Haudegen mit Sonnenbrille, die cool die Flieger durch die Lüfte steuern und von einem Traumziel zum nächsten jetten. So denkt man sich das. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus. Julia November, eine der wenigen aktiven Pilotinnen in Deutschland, berichtet aus ihrem Berufsalltag. Von den netten Kollegen, die ihr beim Einparken am Gate helfen wollen, von durchgeknallten Cabin Crews, die bei Turbulenzen hysterisch werden, anstatt die Passagiere zu beruhigen, und vom alltäglichen Wahnsinn bei einer Billig-Airline. Vom Gepäckgewicht, dessen Überschreitung im Grammbereich zu Dramen beim Einchecken führt, über Musikterror beim Boarding bis hin zum Sparzwang bei den Getränkeautomaten in der Mitarbeiterkantine. Garantiert wird man vieles aus dem Buch beim nächsten preisgünstigen Flug in der Realität wiedererkennen.

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Man kann sich nicht von der Lektüre losreißen

Absolut lesenswert. 5 Sterne sind deutlich zuwenig.
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Für Fragen und Anregungen:
[email protected]
Da ich mit meiner Geschichte niemandem schaden möchte, habe ich sämtliche Personen- und Firmennamen durch Pseudonyme ersetzt und Orte sowie alle anderen charakteristischen Merkmale abgeändert.
3. Auflage 2016
© 2015 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Redaktion: Matthias Teiting, Duisburg
Umschlaggestaltung: Maria Wittek, München
Umschlagabbildung: unter Verwendung von iStockphoto
Satz und E-Book: Grafikstudio Foerster, Belgern
ISBN Print 978-3-86883-378-2
ISBN E-Book (PDF) 978-3-86413-505-7
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86413-506-4
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.rivaverlag.de

Inhalt

Titel
Impressum
Inhalt
Vorab
Reaktionen des Umfelds
Die fliegende Kundenbetreuung
Die Helden der Lüfte
Vorgesetzte
Stripe Hunter
Frühlingsgefühle
Meine Firma und ihre Eigenheiten
Das Trainingsdepartment
Unsere Passagiere
Unsere kleinen Gäste
Respektvoller Umgang
Catering
Kleine Geheimnisse
Redekunst
Das kleine bisschen Wahnsinn
Weihnachtsfeiern
Airport Security
Dispatcher und Co.
Kommunikation zwischen Himmel und Erde
Gerüchte
Murmeltiertage
Störungen des Betriebsablaufs
Probleme mit Vögeln
Wind und Wetter
Das drohende Ende
Tipps und Kniffe für die Reise

Vorab

Ich hatte einst einen Traum vom Fliegen.

Ich atmete Flugzeuge, ich malte Flugzeuge und schaute mit leuch­tenden Augen in den Himmel …

Mein Traum erfüllte sich – und ich erwachte.

Nach nunmehr zehn Jahren mache ich mir keine Illusionen mehr über die Romantik des Berufs, über die Fähigkeiten mancher Kollegen oder ein Mindestmaß an Respekt, das mir von meinem Arbeitgeber entgegengebracht werden könnte. Stattdessen weiß ich eine Menge über nationale Stereotypen, über Klischees, die tatsächlich zutreffen, und über ein unglaublich hartes Geschäft, das sich Low Cost Operation nennt.

Wenn Unbekannte erraten sollen, was ich beruflich mache, so liegen sie oft weit daneben. Ich bin 32 Jahre alt und Pilotin bei der – nach Aussage unseres Marketing Departements – »beliebtesten Fluggesellschaft der Welt«.

Mit meiner Firma verhält es sich in etwa so wie mit einem schmuddeligen Sexshop oder Videoverleih. Irgendwie will niemand da gewesen sein. »Man hört immer nur so davon«, heißt es, und trotzdem floriert das Geschäft. Low Cost ist in etwa so schick, wie bei Aldi einzukaufen. Letztlich muss man sich aber nur die Autos auf dem Parkplatz vor der Supermarktfiliale anschauen, um herauszufinden, dass nicht nur diejenigen dort ein- und ausgehen, die sich den schicken Luxussupermarkt ein paar Straßen weiter einfach nicht leisten können.

In den ersten paar Monaten fand ich es witzig und provokant, auf Partys jedem zu verkünden, wer nun mein neuer Arbeitgeber sei. Mittlerweile bin ich weder an den Geschichten von denen interessiert, die »diese Airline auch mal ausprobiert haben und das ja gar nicht sooo schlimm fanden«, noch an den mitleidigen Kommentaren der anderen Fraktion: »Ach, du armes Ding, du bist doch jung und attraktiv, warum wirst du denn nicht Stewardess bei der Lufthansa, das ist doch wenigstens ein seriöses Unternehmen!«

Auch ein kurzes bedauerndes »Oh, na ja«, als hätte mich mein Gegenüber gezwungen, etwas sehr Peinliches preiszugeben, brauche ich eigentlich nicht mehr.

Trotz aller Unterschiede haben die Reaktionen jedoch eines gemeinsam: Sie fallen selten enthusiastisch aus. Und es steckt in all diesen Kommentaren zumindest ein Fünkchen Wahrheit.

Begonnen habe ich meine Ausbildung zur Pilotin im Alter von 19 Jahren, und nach Aussage meiner Ausbilder bin ich eine ausgesprochen freche und neunmalkluge kleine Person gewesen (einmal habe ich voller Hingabe mit einem meiner Lehrer vor der gesamten Klasse über eine von ihm, wie ich heute immer noch glaube, falsch zitierte Passage aus Goethes Faust diskutiert). Gleichzeitig war ich infolge meiner Hartnäckigkeit angeblich auch eine sehr talentierte Aspirantin, die sich fröhlich und zügig durch die Lehrstunden tobte.

Phasenweise war die Ausbildung sehr fordernd. Die Monate, in denen wir der Theorieprüfung entgegengingen und uns mit dem Luftrecht, der Meteorologie und vielen anderen oft sehr theoretischen und technischen Themen beschäftigen mussten, habe ich als eine anstrengende Zeit in Erinnerung, in der mein Leben fast nur aus Lesen und Lernen bestand. Nach dem Unterricht saßen wir oft noch in Gruppen zusammen, um den Stoff zu wiederholen oder zu vertiefen. Wir bibberten dem großen Ziel entgegen: der Prüfung im Luftfahrt-Bundesamt in Braunschweig, wo alle 14 Fächer innerhalb von drei Tagen abgefragt wurden. Nur wer diese Hürde nahm, bekam die Chance, den praktischen Ausbildungsabschnitt in den USA zu absolvieren. Ich gehörte zu den Glücklichen, die auserwählt wurden, und ich bin noch heute sehr dankbar dafür. Bereits auf dem Hinflug über den Atlantik war meinen Mitschülern und mir anzusehen, wie groß unsere Vorfreude war. Ein jeder und eine jede von uns blickte sehnsuchtsvoll nach vorn in Richtung Cockpit und dachte: Bald …

Nach meiner Rückkehr aus den Staaten brachte ich zügig die letzten Ausbildungsabschnitte hinter mich und begann die Stellensuche, die sich leider schwierig gestaltete. Ich brannte darauf, endlich jeden Tag fliegen zu dürfen, eine Uniform zu tragen und meine Passagiere in ihren Urlaub zu bringen. Ich schrieb unendlich viele Bewerbungen, aber der Zeitpunkt für die Jobsuche war schlichtweg nicht günstig. Nachdem 2001 die Luftfahrt eingebrochen war, weil fundamentalistische Fanatiker unfassbarerweise Passagierflugzeuge gekapert und als Luftwaffen missbraucht hatten, musste ich froh und dankbar sein, als ich 2002 bei einem Low Cost Carrier beginnen durfte.

Ich war Anfang 20, sah aus wie zarte 17 und wurde mit meiner vorlauten, direkten Art in eine neue Welt geworfen: ein internationales Sammelsurium von Kollegen, von denen sehr viele (auch das Management) aus einer Zeit stammten, in der Frauen allenfalls den Kaffee ins Cockpit gebracht hatten und sich dabei debil lächelnd unter den Rock fassen ließen.

In dem nun folgenden Buch möchte ich meine Erlebnisse und Eindrücke sammeln.

Reaktionen des Umfelds

Wenn sich ein Sohn für den Beruf des Piloten entschließt, wird das vermutlich seinen Vater stolz machen, seine Mutter ebenso. Die Entscheidung wird vom Umfeld zumeist durchweg positiv wahrgenommen. Fliegen – das klingt schließlich nach Freiheit, das klingt abenteuerlich und ausgesprochen männlich. Als ich mich hingegen für die Fliegerei entschied, protestierten meine Großeltern vehement. Das sei doch nichts Gescheites, mit diesem Beruf würde ich ganz sicher niemals geheiratet werden – ein Gedanke, der meine arme Oma ernstlich umtrieb. Sie machte sich große Sorgen, zumal ich alle ihre Versuche, mir das Stricken, Sticken oder das Kochen von Hausmannskost beizubringen, hartnäckig verweigert hatte. Ihr war stets anzusehen, dass meine Berufswahl in ihren Augen einem großen Scheitern gleichkam. Mein Großvater krönte seine Skepsis, indem er mich spöttisch aufzog: »Glaubst du wirklich, wenn schon einige Männer mit dem Beruf nicht zurechtkommen, dass du das dann packst?« Ich blieb ebenso trotzig wie damals, als ich mich geweigert hatte zu lernen, wie man mehlige Kartoffeln so lange breiig kocht, dass man sie hinterher in einer klumpig gebräunten Mehlschwitze ertränken kann.

Meine Oma startete noch ein paar Versuche. Sie schenkte mir Handtücher und Spitzendeckchen und steckte mir bisweilen Geld zu, damit ich mir einen gescheiten Rock kaufen könnte und nicht immer nur diese amerikanischen Jeans (wobei ein »gescheiter Rock« bei ihr selbstredend bis zum Knie ging und nicht, wie in meiner Vorstellung, nur knapp bis über den Po). Ganz nebenbei fragte sie mich, ob ich nicht mal zum Backen vorbeikommen wollte, und immer wieder versuchte sie herauszufinden, ob es da nicht vielleicht doch einen adretten jungen Mann aus gutem Hause gab, der mir die Flugflausen austreiben und mich anschließend zu einer kirchlichen Hochzeit und ein paar bodenständigen Urenkelchen überreden würde.

Meine Eltern hingegen waren großartig. Sie förderten und unterstützten mich und taten alles, damit ich meine Ausbildung abschließen konnte. Die Einwände meiner Großeltern sowie von Freunden und Bekannten ignorierten sie oder argumentierten sachlich und überlegt dagegen an. Meine Mutter begab sich sogar mit mir auf Wohnungs- beziehungsweise Zimmersuche in Flugschulnähe. Sie nähte mir Vorhänge und Kissen und machte mit mir die große Runde durch den IKEA-Container, wo sie mir meine Erstausstattung an Salatschüsseln und Töpfen kaufte und mich so flügge werden ließ. Sie und mein Vater hatten sich auf die Fahnen geschrieben, dass sie jedes ihrer Kinder bei seinem Wunschberuf unterstützen würden, egal, wie viele dumme Kommentare sie sich dafür anhören müssten.

Als ich zu arbeiten begann, wurden meine Eltern für ihren Freundes- und Bekanntenkreis endgültig zu kuriosen Exoten, zumal zwischenzeitlich auch mein Bruder ein Studium im Ausland begonnen hatte. Sie waren die, die ihren Kindern dabei halfen, höchst seltsame Träume auszuleben. Diese merkwürdige Tochter flog nun tatsächlich! Ein mittelgroßes Flugzeug! Bei einem Billigflieger!

Viele Bekannte unterhielten sich fortan mit meinen Eltern, als seien diese Zeugen einer Ufo-Landung geworden oder würden heimlich kleine grün und blau getupfte, fließend Kapadokisch sprechende Aliens im Keller züchten. Die Leute musterten meine Eltern, als ob die Ärmsten sich irgendeinen Infekt eingefangen hätten, den man bei sich selbst besser rechtzeitig erkennt, um dagegen angehen zu können. Die Freunde meiner Eltern waren fasziniert, gruselten sich aber vor der Vorstellung, ihre eigenen Kinder könnten ebenfalls derart verdorbene Ideen entwickeln.

So führte meine Mutter einige Gespräche beim Dorfbäcker, die in etwa so verliefen: »Ach Mensch, hallo! Du, ich hab gehört, deine Tochter ist jetzt … äh … Pilotin?!«

Wobei die Stimme der Bäckerin immer mehr ins Flüstern verfiel und das Wort »Pilotin« betont wurde, als sei eigentlich »Prostituierte« gemeint.

»Und … äh … euer Sohn, der ist jetzt wirklich in Frankreich? Und studiert da? Das ist ja sooo weit weg! Und diese fremde Kultur … Ogottogott … Na ja, wenn man es mag. Für unsere Lisa und den Tom wäre so was ja nichts, die haben wir ganz bodenständig erzogen. Lisa macht jetzt übrigens eine Lehre als Bankkauffrau!«

Meine Mutter konnte manchmal gar nicht schnell genug eine Antwort finden, obwohl sie eigentlich eine sehr schlagfertige Person ist.

Zuweilen kamen auch Leute und fragten, ob meine Mutter es nicht furchtbar schwer hätte. Sie lächelte dann und erwiderte: »Nein, ich wüsste auch nicht, wieso!« Und meinem Vater schlug man jovial auf die Schulter und meinte, er habe ja eine vollkommen verkehrte Welt herangezogen. Der Sohn studierte im weibischen »Fronkreisch«, während die Tochter zum fliegenden Mannsweib wurde. Ob ich denn einen Freund hätte, na, er wisse schon … oder vielleicht doch eine kleine Freundin, haha?

Meine Eltern wurden notgedrungen zu Reise- und Buchungsexperten, da man sie ständig anrief, sobald irgendwo auf der Welt ein Flugzeug abstürzte. »Gott, habt ihr schon gehört – das ist ja total furchtbar! Wie geht es euch denn da als Eltern? Und dir, als Mutter?! Oh, ihr Armen!« Offenbar gingen die Bekannten davon aus, dass jedes Unglück sofort persönliche Assoziationen weckte und meine armen Eltern sich stets grämend auf dem Sofa zusammenrollten. Jeder dieser Anrufe wirkte wie ein kleiner Vorschuss an Beileid, ganz so, als müsste man meine Eltern schon mal auf den Tag vorbereiten, an dem ein Kriseninterventionsteam sie abholen und zu meiner Absturzstelle bringen würde.

Meine Mutter reagierte äußerlich wie immer stoisch und gelassen, und die Anrufer bekamen lediglich einen trockenen Kommentar serviert. Innerlich ärgerte sie sich allerdings über ihren sensationslüsternen Bekanntenkreis und rief mich in diesen Situationen oftmals empört an. Sie werde schließlich auch nicht bei jedem Autounfall in Frankreich gleich angerufen oder sobald eine Bombe in Kabul explodierte (mein Bruder arbeitete inzwischen bei der Bundeswehr). Was denn an Flugzeugunglücken bloß immer so toll sei?

Ich konnte ihr das auch nicht beantworten. Vielleicht war es der Nervenkitzel, dass man selbst als Passagier einmal betroffen sein könnte. Und ein schnöder Autounfall in Frankreich war als Gesprächsthema zu banal, während Afghanistan wiederum zu weit weg war und als politisches Thema die Menschen zu sehr polarisierte, als dass es für den alltäglichen Small Talk infrage gekommen wäre.

Zu Beginn meiner Karriere war die Airline noch relativ unbekannt in Deutschland. Entsprechend oft kam es vor, dass man meine Eltern besorgt fragte, was das denn für eine Firma sei. Billigflieger waren damals erst auf dem Vormarsch, und alle Unternehmen jenseits der Lufthansa hatten einen leicht anrüchigen Touch. Viele Freunde und Bekannte stellten sich offenbar ein abgewracktes kleines Flugzeug mit zusammengetackerten und mit Klebeband geflickten Tragflächen vor. So ganz genau wussten meine Eltern natürlich auch nicht, was das für eine ausländische Firma war, dem sie ihre Tochter da anvertrauten. Sie konnten aber zumindest versichern, dass die Flugzeuge, soweit sie das gehört hatten, neu und nicht alt und geflickt waren.

Meine Eltern waren stets klassische Auto-Touristen gewesen und wussten ohnehin nicht viel zu den verschiedenen Flugzeugen der einzelnen Airlines zu sagen. Als sie dann das erste Mal mit meinem neuen Arbeitgeber flogen, waren sie daher etwas aufgeregt. Meinem Vater war anzusehen, dass er kurz davor war, jedem, der es hören oder auch nicht hören wollte, gleich mitzuteilen, dass seine Tochter bei diesem Unternehmen als Pilotin arbeitete und sowieso die Schönste und Klügste und Bezaubernste von allen war. Weil ich um den liebevollen Stolz wusste, mit dem er das Flugzeug betrat, hatte ich ihn vorher gebeten, sich einfach zu entspannen, den Flug zu genießen und ein wenig auf meine Mutter zu achten, die trotz aller Coolness leider weder große Höhen mag noch gern auf Dingen steht oder sitzt, die allzu wackelig sind.

Die beiden überstanden den Flug offenbar gut. Meine Mutter, ohne grün zu werden und gleich die nächstbeste Kotztüte zu füllen, mein Vater, ohne alle umliegenden Passagiere mit den Kindheitsgeschichten einer der angestellten Pilotinnen zu behelligen. Da nach Aussage der Kabinencrew weder Babyfotos gezeigt noch Geschichten von meiner Zeit auf der Flugschule erzählt worden waren und sich auch kein Passagier beschwert hatte, dass ein attraktiver Herr mittleren Alters nicht mehr zu reden aufgehört hätte, muss mein Vater den Flug wirklich genossen haben. Oder meine Mutter hatte ihm schlichtweg Redeverbot erteilt.

Nach ihrem Flug stand das Telefon zu Hause endgültig nicht mehr still. Meine Eltern waren nun zu Billigflugexperten mit persönlichem Erfahrungshintergrund avanciert und mussten haarklein von ihren Erlebnissen berichten.

»Und es war wirklich ein ganz normales Flugzeug?«, fragte eine der Freundinnen.

»Nee«, sagte meine Mutter, »da saßen kleine Männchen in so einem Rad, und wenn man Münzen eingeworfen hat, dann haben die Männchen zu treten begonnen und die Triebwerke haben sich gedreht. Die mussten ganz schön treten, bis wir abgehoben sind. Junge, Junge!«

»Oh wirklich?«, quiekte die sogenannte Freundin entsetzt und entzückt zugleich.

»Boah, natürlich nicht! Sag mal, bist du schon mal geflogen? Ist ja unglaublich!«, erwiderte meine Mutter, und das Gespräch war daraufhin relativ schnell beendet.

Mit der Sensationslust paarte sich allerdings auch die Gier. Einige Freunde wollten gern ein Stückchen vom Kuchen abbekommen, und so wurden meine Eltern immer wieder um Gratistickets angehauen, nach den billigsten Flugrouten befragt oder um Hoteltipps gebeten. Fragen und Bitten also, die meine Eltern nur mit einem »Guck doch mal ins Internet« beantworten konnten, da sie ja selbst nur ein einziges Mal geflogen waren – und auch das nur, um bei mir auf einer Klappcouch zu nächtigen und zu schauen, wie ich allein in der Fremde so zurechtkam.

Wie zwiespältig mein berufliches Umfeld wahrgenommen wurde, sah ich auch an meinem damaligen Freund, der vor seinen Arbeitskollegen gern damit angab, dass seine Freundin ein 79 Tonnen schweres Flugzeug flog. Auf der anderen Seite sollte ich aber auf gar keinen Fall erzählen, dass ich nicht bei der Lufthansa flog, sondern nur bei einer Billig-Airline. Natürlich kam ich dieser albernen Bitte damals nicht nach und versuchte in jedes Gespräch mit den Arbeitskollegen meines Freundes den Namen meiner Airline einzuflechten – um dann die geschockten oder verunsicherten Reaktionen zu beobachten. Wie bereits erwähnt, hielt mein Vergnügen an dieser Form der Unterhaltung allerdings nicht lange an und ich ging dazu über, das Gespräch möglichst gar nicht erst auf das Thema Beruf oder Fliegen kommen zu lassen.

Interessant waren die Reaktionen einiger Bekannter, die mich zuletzt als kleines Mädchen gesehen hatten. Sie musterten mich von oben bis unten, um dann meine Mutter zu fragen: »Ach, das ist die Tochter, die fliegt? Ist aber eine sehr hübsche Stewardess.«

Die meisten reagierten enttäuscht, wenn meine Mutter aus der Stewardess eine Pilotin machte.

»Aber eine Pilotin sieht doch irgendwie anders aus …«

Leider konnte mir bislang niemand erläutern, wie das »bisschen anders irgendwie« tatsächlich aussehen sollte – dabei wäre ich über konkrete Hinweise wirklich dankbar.

Etwas kurios fand ich den Besuch in einer Grundschule, wo eine meiner ältesten Freundinnen als Lehrerin arbeitete. Sie hatte sich an ein altes Versprechen erinnert, das ich ihr zu Abiturtagen gegeben hatte. Sie hatte damals bereits gewusst, dass sie Grundschullehrerin werden wollte, und ich hatte mir schon eine Flugschule ausgesucht. Wir philosophierten über die Zukunft, und sie sagte plötzlich: »Und wenn das alles so klappt bei uns und ich jemals mit meinen Zwergen übers Fliegen spreche, dann kommst du uns in Uniform besuchen und die Mäuse können dir Löcher in den Bauch fragen.«

Ich war damals einverstanden.

Nach ein paar Jahren rief sie mich also an und bat mich vorbeizukommen. Ich fuhr in Jeans zur Schule und zog mich in einem Eckchen im Lehrerzimmer um, verwandelte mich also in eine Pilotin und fand es sehr komisch, so durch eine Grundschule zu laufen. Die Reaktionen der Kinder waren sehr unterschiedlich.

Ein kleiner Junge sprang auf und schrie: »Ha, du kannst gar keine Pilotin sein, mein Papa sagt, das gibt es überhaupt nicht. So ein Quatsch!«

Ein dickliches Mädchen wollte alles ganz genau wissen und himmelte mich förmlich an.

Ein anderes Mädchen fragte mich, ob ich ein Schaffner wäre, ich würde so aussehen wie die, die im Zug die Tickets abknipsten.

Ein weiterer Junge fragte mich, ob ich denn auf den männlichen Piloten hören würde, wenn der mir etwas sagte.

Auweia, dachte ich, sehr emanzipierte Erziehung hier in der Region. Ich brachte die etwas schräge, aber sehr niedliche Fragestunde dennoch gut hinter mich. Zum Abschied schenkten mir die Kinder ein selbst gebasteltes Bilderbuch, in das jeder ein Bild gemalt und folgenden Satz vollendet hatte: »Als Pilotin musst du bestimmt …«

Die Vorschläge reichten von »bestimmt voll früh aufstehen« über »gut in der Schule sein« und »fliegen können« bis zu »dem Piloten Kaffee holen und nett zu den Gästen sein«.

Ich schwankte zwischen Lachen und Unglauben. Meine Freundin meinte, sie habe leider ein paar Schüler mit arg konservativen Eltern in ihrer Klasse. Die Kinder hätten sich aber sehr gefreut, und das kleine dicke Mädchen mit den allerstrengsten Eltern sei nach Hause gegangen und habe gesagt: »Papa, wenn ich groß bin, dann werde ich auch Pilotin!«

Die fliegende Kundenbetreuung

Als ich vier Jahre alt war, durfte ich zum ersten Mal allein fliegen, ich wollte meine Großcousine besuchen, die im eingezäunten Berlin lebte. Um den Hals trug ich ein Täschchen mit all meinen Reisedokumenten, und eine große blonde Stewardess kam zu mir und meinen Eltern, nahm mich an der Hand und brachte mich in ihr Flugzeug. Sie sprach Deutsch mit amerikanischem Akzent und wirkte überirdisch schön in ihrer Uniform und mit ihrem eleganten Gang. Sie duftete nach einem süßen und schweren Parfum, das in meiner Nase kitzelte.

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