Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Keltische Knochen ist eine Erzählung von Wilhelm Raabe. Reinlesen: Wir waren unserer Drei, und trotz allem, war der Dichter der Edelste von uns; er hieß leider Krautworst und war aus Hannover, sagte natürlich beides nicht gern; sondern stellte sich meistens als den Verfasser der Lebensblüthen vor und dar, sonst nannte er sich auch wohl, glänzenden aber auch von der Prosa ihres Namens oder Geburtsortes erdrückten Beispielen folgend, Roderich von der Leine. Er hatte uns in Linz im Erzherzog Karl aufgegabelt, hielt krampfhaft wenigstens an mir fest, schwärmte für Linz und ließ nicht selten geheimnißvolle Andeutungen fallen, daß er daselbst etwas erlebt habe. Seine öftere Geistesabwesenheit und Zerstreutheit gab Anlaß zur Vermuthung, daß er dieses Erlebte poetisch zu verwerthen im Begriff sei; seine lyrischen Wehen hatten oft etwas Beängstigendes für mich; afficirten jedoch den Dritten in unserem Bunde weniger. Dieser Dritte war, ohne sich dafür zu geben, ein Geheimniß, und eben so verschlossen, als der Poet offenherzig und mittheilungswüthig war. In die Fremdenbücher zeichnete er sich kurz als Zuckriegel; ich hegte aber einigen Zweifel, ob dies wirklich sein Name sei; bis er in Wien in den drei Raben höchst unmotivirter Weise in einen Streit gerieth, der ihn und mich vor die königlich-kaiserliche Polizei führte und ihn zwang, mit seinem Paß herauszurücken. Er hieß in der That Zuckriegel, ohne sich dessen zu schämen, und war Prosector an einer kleinen norddeutschen Universität, hatte jedoch in seinem Aeußern sowohl als in seinem Innern sehr viel vom Scharfrichter. Nur ein schlechter Charakter gleich dem seinigen, konnte es über sich gewinnen, einen so guten Menschen wie den Dichter durch ein ewig wiederholtes Auftischen des gehaßten Familiennamens Krautworst an allen Nervenenden zu zupfen und zu kitzeln.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 52
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Festgeregnet! … Wem und Welcher steigt nicht bei diesem Worte eine gespenstische Erinnerung in der Seele auf? eine Erinnerung an eine Stunde – zwei Stunden – einen Tag – zwei, drei, vier – acht Tage, wo sie ebenfalls festgeregnet waren – festgeregnet an einer Straßenecke, unter einem Thorwege, bei einem Freunde oder einer Freundin, in einer Dorfkneipe, auf dem Brocken, dem Inselsberge, dem Rigi oder dem Schafberge?
Es ist eine leidige Vorstellung – festgeregnet! Grau, greinend und griesgrämlich kriecht sie heran, streckt hundert fröstelndkalte, feuchte Fangarme nach dem warmen Herzen aus und ist so schwer los zu werden, wie alles andere Unbehagliche, Unbequeme, Ungelegene in der Welt.
In Ischl spazierten die schönen Damen auf der Esplanade im glänzendsten Sonnenschein, als wir ausfuhren, und sämmtliche arme Hämorrhoidarier, Drüsen- und Scrophel-Kranke hatten ihren Jammer in die freie Luft getragen: auch die königlich-kaiserliche Familie fuhr spazieren.
In der Nähe von Laufen, im heiligen Bezirk der schönen, holdseligsten Maria im Schatten zog die allerschönste aber auch allereigensinnigste Dame Natur den Nebelschleier über das Gesicht, und als wir auf dem See schifften, wurde dieser Schleier und unsere Hoffnung auf einen schönen Tag vollständig zu Wasser. Es scheint eben in den angenehmsten Gegenden am liebsten zu regnen; aber vielleicht war auch der fromme Dichter, welchen wir mit uns führten, und welcher jedenfalls unter dem Zeichen des Wassermannes geboren war, Schuld daran.
Wir waren unserer Drei, und trotz allem, war der Dichter der Edelste von uns; er hieß leider Krautworst und war aus Hannover, sagte natürlich beides nicht gern; sondern stellte sich meistens als den Verfasser der Lebensblüthen vor und dar, sonst nannte er sich auch wohl, glänzenden aber auch von der Prosa ihres Namens oder Geburtsortes erdrückten Beispielen folgend, Roderich von der Leine. Er hatte uns in Linz im Erzherzog Karl aufgegabelt, hielt krampfhaft wenigstens an mir fest, schwärmte für Linz und ließ nicht selten geheimnißvolle Andeutungen fallen, daß er daselbst etwas erlebt habe. Seine öftere Geistesabwesenheit und Zerstreutheit gab Anlaß zur Vermuthung, daß er dieses Erlebte poetisch zu verwerthen im Begriff sei; seine lyrischen Wehen hatten oft etwas Beängstigendes für mich; afficirten jedoch den Dritten in unserem Bunde weniger. Dieser Dritte war, ohne sich dafür zu geben, ein Geheimniß, und eben so verschlossen, als der Poet offenherzig und mittheilungswüthig war. In die Fremdenbücher zeichnete er sich kurz als Zuckriegel; ich hegte aber einigen Zweifel, ob dies wirklich sein Name sei; bis er in Wien in den drei Raben höchst unmotivirter Weise in einen Streit gerieth, der ihn und mich vor die königlich-kaiserliche Polizei führte und ihn zwang, mit seinem Paß herauszurücken. Er hieß in der That Zuckriegel, ohne sich dessen zu schämen, und war Prosector an einer kleinen norddeutschen Universität, hatte jedoch in seinem Aeußern sowohl als in seinem Innern sehr viel vom Scharfrichter. Nur ein schlechter Charakter gleich dem seinigen, konnte es über sich gewinnen, einen so guten Menschen wie den Dichter durch ein ewig wiederholtes Auftischen des gehaßten Familiennamens Krautworst an allen Nervenenden zu zupfen und zu kitzeln.
Zuckriegel's Reisezweck war, die Knochen des unbekannten Volkes am Rudolfsthurm über Hallstadt zu besuchen, und womöglich einen Schädel und einige sonst überflüssige Gebeine für seine osteologische Sammlung zu stehlen oder, wie er sich euphemistisch auszudrücken beliebte, an sich zu nehmen.
Er liebte es, irgend etwas an sich zu nehmen, wie zum Beispiel den besten Platz im Wagen, die besten Stücke an der Wirthstafel, sämmtliche Zeitungen nach Tisch, und so weiter. Auf der Fahrt über den Hallstädter See hatte er im »Einbaum« die Bank dicht hinter dem breiten Rücken und den Röcken des lieblichen Schiffermädchens eingenommen und saß sehr geschützt gegen den Regen, welchen der Wind uns in's Gesicht trieb.
Unser Kleeblatt hatte in Ischl trotz dem prächtigen Sommerwetter arg gelitten: der fromme Dichter an den reizenden Toiletten der Damen; Zuckriegel an sich selber und an einem amerikanischen Reverend nebst Familie, welche, nur durch eine dünne Wand von ihm getrennt, ihn durch nächtliche unendliche Gebete und näselnden Lobgesang sehr erbost hatten; ich hatte mich durch die Inschrift am Kurhause: In sale et in sole omina consistunt verleiten lassen, das entsetzlich salzige Gesöff und seine Wirkung auf meine gottlob gute Constitution zu versuchen, und hatte mich nicht vergeblich in die Gefahr begeben.
Die Inschrift an der Hygeia:
»Man nennt als größtes Glück auf Erden Gesund zu sein – Ich sage nein! Ein größres ist, gesund zu werden;«
gab mir nur einen mittelmäßigen Trost; das »Gesundwerden« nach diesem höllischen Schoppen war längst nicht so angenehm als der behagliche Zustand vor meinem fürwitzigen Anlecken an den Becher der Hekate. Wir mietheten den Einspänner, setzten Roderich von der Leine neben den Kutscher auf den Bock, fuhren wie gesagt an der holdseligen Jungfrau Maria im Schatten und – Regen vorüber und durch Goisern und Sanct Agatha zur Gosaumühle, wo wir feucht abstiegen, und wo Zuckriegel sich in einen Wortwechsel mit dem Kutscher verwickelte, in welchen wir beiden Andern uns nicht einmischten, weil wir dem Rosselenker Recht geben mußten, und dieser sich selber zu helfen wußte.
Wir mietheten den Einbaum, das heißt einen Kahn mit einer dicken Jungfrau und einem Jungen, und wurden von jener Schifferin, welche der Dichter der Lebensblüthen »sich poetischer gedacht« hatte, über den See gerudert, und ich für mein armes Theil bedauerte in diesem Augenblick nicht mehr, daß der Tag dunkel war, denn er paßte zu der Gegend. Wären meine beiden Begleiter, der Junge und das Schiffermädchen nicht gewesen, so würde höchst wahrscheinlich der Schatten Virgil's aus den schwarzen Wassern emporgestiegen sein, um sich mir als Führer auf dem fernern Wege gegen die gebräuchliche Taxe anzubieten.
Ja, das Wasser des Sees war schwarz; schwarz waren die steilrechten Felsen, die sich im schwarzen Gewölk verloren; es konnte Niemand von uns drei Touristen wissen, ob nicht hinter dem düstern Nebelvorhang die erweiterte Hölle mit allen seit dem vierzehnten September Dreizehnhunderteinundzwanzig hinzugekommenen großen und kleinen Missethätern ihren Anfang nehme und in Roderich von der Leine ihren neuen Schilderer erwarte. Der Name des Menschen, Krautworst, konnte dabei nicht hinderlich sein; denn Dante bedeutet in deutscher Zunge auch nichts weiter als »Hirschleder;« aber Krautworst selber war hinderlich; denn die wunderlich ergreifende Scenerie machte nicht den geringsten Eindruck auf ihn; ihn fror, er sprach vom Wechseln der Strümpfe, von rheumatischem Zahnschmerz und jammerte nach einer Tasse heißen Kaffees.
Zuckriegel war schon ein anderer Mann; die Nähe der keltischen oder sonstigen Gebeine, und der Sitz hinter dem walfischhaften Rücken unseres weiblichen Charons stimmten ihn milde; er glich in diesem Augenblicke weniger einem Scharfrichter als einem vacirenden Metzger; ob sein Sitz ihn auch erotisch stimmte, kann ich nicht bestimmt behaupten, stellenweise schien es so.