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Loyalität, Verschwiegenheit, Mut und Hingabe. All diese Dinge hat sich Hunter Scott vor seinem ersten Job als Bodyguard geschworen. Das alles ist lange her und aus der großen Karriere ist ein eintöniger Job bei einem der reichsten Männer New Yorks geworden. Immer der gleiche Trott, bis zu dem Tag, an dem sein Boss Hunter bittet, eine Dame aus seinem Schlafzimmer zu entsorgen. Keyla. Eine Frau, die dem knallharten Bodyguard vor Augen führt, was Beschützerinstinkt wirklich bedeutet. Für sie verstößt er gegen alle Regeln, bricht mit seinen eigenen Tabus und stürzt sich geradewegs in eine Beziehung, die ihn nicht nur seinen Job kosten könnte, sondern auch sein Leben. Denn weder Keyla noch sein Boss sind die Menschen, für die Hunter sie gehalten hat. Bist du bereit, dich in eine Welt aus verbotener Leidenschaft entführen zu lassen?
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Seitenzahl: 354
Copyright © Freya Miles 2020
Freya Miles c/o TEXTWERKSTATT
Sabrina Cremer, Körfken 80, 44227 Dortmund
Cover: Art for your book
Lektorat: Textwerkstatt - Sabrina Cremer
Korrektorat: Nicole Bauer, Sabrina Grabowski
Umschlaggestaltung: Art for your book
Alle Rechte vorbehalten.
Eine Vervielfältigung oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autoren gestattet. Sämtliche Handlungen und Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Orte, Markennamen und Lieder werden in einem fiktiven Zusammenhang verwendet. Örtliche Begebenheiten wurden teilweise dem Storyverlauf angepasst. Alle Markennamen und Warenzeichen, die in dieser Geschichte verwendet werden, sind Eigentum der jeweiligen Inhaber.
Prolog
1. Hunter
2. Keyla
3. Hunter
4. Keyla
5. Hunter
6. Keyla
7. Hunter
8. Keyla
9. Hunter
10. Keyla
11. Hunter
12. Keyla
13. Hunter
14. Keyla
15. Hunter
16. Keyla
17. Hunter
18. Keyla
19. Hunter
20. Keyla
21. Hunter
22. Keyla
23. Hunter
24. Keyla
25. Hunter
26. Keyla
27. Hunter
28. Keyla
29. Hunter
30. Keyla
31. Hunter
32. Keyla
33. Hunter
34. Keyla
35. Hunter
36. Keyla
37. Hunter
38. Keyla
39. Hunter
40. Keyla
41. Hunter
42. Keyla
43. Hunter
44. Keyla
Epilog
Wrong Boss, Baby
Über die Autorin
Ich war müde.
Müde von diesem eintönigen Job.
Müde von den grauenvollen Arbeitszeiten.
Müde von dem ständigen Geschwafel dieses Mannes.
Ich war enttäuscht.
Enttäuscht, weil mir jegliche Action fehlte.
Enttäuscht, weil ich die Drecksarbeiten für einen Mistkerl erledigen durfte.
Enttäuscht, weil mein Privatleben den Bach runtergegangen war.
Ich war es leid zu sehen, wie er Menschen behandelte.
Wie er sich für den verdammten König der Welt hielt.
Wie er Frauen behandelte und wegwarf wie ein Stück Dreck, doch Schweigen gehörte zu meinem Job dazu.
Ich hatte dafür unterschrieben, mein Leben für einen Mann aufs Spiel zu setzen, den ich abgrundtief hasste.
Alles schien seinen Weg zu gehen.
Monoton wie eh und je.
Bis ich Keyla traf.
Bis er zu weit ging.
Bis ich bereit war, alles zu riskieren, um diese Frau zu beschützen.
Eine Frau, die alles brauchte, außer Schutz.
Ich war so blind.
Ich war so dumm.
Ich war so verdammt verliebt.
Sie hatte mir die Sinne vernebelt.
All meine selbstgewählten Regeln.
All meine selbstgesteckten Grenzen.
Missachtet. Vergraben. In den Sand gesetzt.
Wegen ihr.
Wegen einer Frau, die es nicht wert war, beschützt zu werden.
Oder?
Ich strich meinen Anzug glatt, richtete meine Krawatte und betrachtete mich für einige Sekunden im Spiegel.
Tadellos wie immer.
Ich hätte auch als Businessmann durchgehen können, doch stattdessen war ich dafür da, einen solchen zu beschützen. Wenn man bei Jamie Hudson überhaupt von einem Geschäftsmann sprechen konnte. Für mich war er nicht mehr und nicht weniger als ein skrupelloser, kaltblütiger Spinner. Doch es war nicht meine Aufgabe, über ihn zu urteilen.
Ich durfte diesen kranken, psychopathischen Mistkerl nur beschützen, falls mal eine Bedrohung von außen auftreten würde.
Was war mir dieser Job schmackhaft gemacht worden. Durch viele Geschäfte und viel Geld sollte Mister Hudson bereits unzählige Bedrohungen erhalten haben.
In meinen acht Monaten bei diesem Mann war die größte Bedrohung für sein Wohlbefinden wahrscheinlich der Alkohol gewesen. Oder die Drogen, über die ich natürlich offiziell nichts wissen durfte.
Wenn dieser Mann vor einer Sache Schutz brauchte, dann vor sich selber.
Als ich mich vor einigen Jahren dazu entschieden hatte, Bodyguard zu werden, war ich in meinem Kopf darauf vorbereitet gewesen, jeden Tag mit einer Menge Adrenalin und Anspannung zu verbringen, was in den ersten Jahren definitiv vorgekommen war.
Während meiner Jobs in der Politik war es zu einigen heiklen Situationen gekommen. Vielleicht hätte ich einfach dortbleiben sollen, doch das Angebot von Mister Hudson hatte all meine gehaltstechnischen Vorstellungen gesprengt. Bei ihm verdiente ich in einem Monat so viel wie zuvor in drei Monaten. Also hatte ich mich abwerben lassen, nur um mir seitdem die Beine in den Bauch zu stehen und gute Miene zum bösen Spiel zu machen.
Ich lachte über jeden Witz, den er machte, wenn er denn mal mit mir sprach, obwohl das meiste, was aus seinem Mund kam, schwachsinniger Scheiß war. Irgendwie konnte ich sogar froh darüber sein, dass er mich die meiste Zeit über so behandelte, als würde ich gar nicht existieren.
Als Bodyguard war es mein Job, dezent im Hintergrund zu bleiben und nicht aufzufallen. Etwas, das mich bei Mister Hudson durchaus zwischenzeitlich auf die Probe stellte. Immer dann, wenn er wieder Frauen wie irgendwelche Objekte behandelte zum Beispiel. Oder wenn er rassistisch und beleidigend über die halbe Menschheit herzog. Doch es war nicht meine Aufgabe, mit ihm zu diskutieren oder ihm vor Augen zu führen, welch dumme Weltansicht er doch vertrat.
Ich konnte nur lächeln und nicken. Der freundliche, konzentrierte, dezente, verschwiegene Bodyguard.
Hauptsache der fette Gehaltsscheck wanderte jeden Monat überaus pünktlich auf mein Konto.
Da wir in Wechselschichten arbeiteten, konnte ich wenigstens zwischendurch abschalten und Zeit in meinen eigenen vier Wänden verbringen, statt nur in der Angestelltenwohnung seines Luxuswolkenkratzers zu übernachten.
Für viele mochte die Wohnung mit dem Ausblick über New York wahrscheinlich ein Traum sein, für mich war es ein Albtraum, dort auch nur eine Sekunde zu verbringen.
Nichts an diesem schicken Scheiß gefiel mir.
Die Einrichtung war darauf angelegt, viel Prunk auszustrahlen, wobei es nicht einmal ansatzweise mit der luxuriösen Einrichtung von Mister Hudsons Penthouse zu vergleichen war. Er besaß sogar Wasserhähne aus echtem Gold. Geld spielte für diesen Mann einfach überhaupt keine Rolle.
In meiner Wohnung hier in Queens erinnerte alles an eine typische Junggesellenbude. Auf – für New York unfassbaren – fünfzig Quadratmetern hatte ich alles untergebracht, was ich zum Leben brauchte. Inklusive des Flipper-Automaten aus meiner einstigen Lieblingskneipe, die vor fünf Jahren pleite gegangen war.
Ich war erst vor einem halben Jahr hier eingezogen, nach der überaus schmutzigen Trennung von meiner Ex-Freundin Britney, die ich in diesem Leben hoffentlich nie wiedersehen würde.
Wir waren vier Jahre zusammen durchs Leben gegangen und zwischenzeitlich hatte ich wirklich geglaubt, mit ihr die Frau gefunden zu haben, mit der ich alt werden würde. Bis ich ihr wahres Gesicht erkannte.
Es war ein Dienstagnachmittag gewesen und ich hatte unerwartet frei bekommen von meinem Job bei Hunter, den ich damals gerade erst begonnen hatte.
Klar, ich war wenig zuhause, doch wenigstens gab es diese Tage, wo ich ausspannen und Zeit mit Britney verbringen konnte. Doch das schien ihr nicht zu reichen.
Ich erwischte sie in flagranti im Bett mit einem Typen namens Jason, den ich bis dato noch nie gesehen hatte. Und den ich auch nie wiedersehen würde.
Damals hatte ich noch Glück gehabt, dass er mich wegen der gezielten Faustschläge in seine verdammte Visage nicht angezeigt hatte. Doch Mister Hudson wäre selbst das wahrscheinlich scheißegal gewesen. Stand er doch auch nicht gerade auf der guten Seite des Gesetzes.
Seitdem war ich Single. Ein Leben, das ich mir zuerst gar nicht vorstellen konnte, was ich dafür aber wirklich genoss.
Ich musste mich bei niemandem mehr abmelden, mich für nichts mehr entschuldigen, keinerlei Rücksicht mehr walten lassen. Ich konnte einfach tun und lassen, was ich wollte. Und das gefiel mir verdammt gut.
Außer wenn ich mir das Leben meines Bruders dagegen ansah. Ich war neidisch auf sein Familienleben. Auf seine zwei süßen Kinder. Darauf, dass er eine Frau wie Annie gefunden hatte, die mit ihm durch dick und dünn ging. Ohne Stress. Ganz anders, als es bei Britney gewesen war.
Vielleicht würde ich auch irgendwann das Glück haben, eine solche Frau kennenzulernen, doch mit Sicherheit nicht, wenn ich in diesem Job weiterarbeitete. Also blieb ich lieber Single. Schließlich war ich gerade erst einunddreißig. Zum Familiegründen und Kinderkriegen blieb da noch genug Zeit.
Wenn ich so etwas überhaupt wollte.
Ich warf einen letzten Blick in den Spiegel, strich mir durch meine dichten schwarzen Haare und machte mich bereit für einen weiteren Tag in dem Wahnsinn, den ich Job nannte.
Während in der Politik die Tagesabläufe immer klar und strukturiert waren, musste ich in meinem jetzigen Job extrem flexibel sein, denn Mister Hudson tat das, worauf er Lust hatte und wann er dazu Lust hatte. Ich musste nur entsprechend reagieren und mich darauf einstellen.
Das hatte bereits dazu geführt, dass ich im Anzug mit ihm joggen musste, da ich keine Zeit zum Umziehen bekam.
»Guten Morgen, Mister Hudson«, sagte ich, nachdem ich mein Gepäck für die Nacht in die Angestelltenwohnung gebracht hatte und mich im Penthouse einfand, um meinen Kollegen abzulösen.
»Ach, Hunter, heute wieder mit Ihnen unterwegs, ja? Schön, schön«, sagte er und deutete auf den Aufzug. »Wir müssen los, sonst komme ich zu spät ins Büro. Nächstes Mal könnten Sie auch gerne ein paar Minuten früher hier eintreffen.« Ich musste nicht auf die Uhr sehen, um zu wissen, dass ich auf die Minute pünktlich war. Einen Scheiß würde ich tun.
Meine Schicht startete um sieben und nicht vorher.
Für achtundvierzig Stunden, bevor ich den Wahnsinn hier wieder verlassen konnte.
Ich war schon gespannt darauf, was sich der Vollidiot jetzt wieder alles einfallen lassen hatte.
Im Büro angekommen bezog ich Stellung vor seiner Tür, wobei mir mittlerweile sogar ein Stuhl durch Mister Hudsons Assistentin Gina zur Verfügung gestellt worden war, die mir mehr als nur einmal am Tag leidtat. Diese Frau musste für ihren Job geboren worden sein, anders konnte ich mir wirklich nicht erklären, wie sie es tagtäglich aushielt, so von diesem Mann zur Sau gemacht zu werden.
Egal, was sie tat, es war falsch. Der Kaffee zu kalt, die Notizen zu unsauber, die Aktenmappe zu beige. Selbst wenn es wirklich nichts gab, was er aussetzen konnte, Mister Hudson fand etwas, und ließ Gina das auch lautstark wissen.
Immer.
Manchmal fragte ich mich, ob sie eigentlich dazu in der Lage war, ihre Ohren auf Durchzug zu stellen, wenn er wieder einmal in die Luft ging und sie zur Schnecke machte.
Ich konnte es jedenfalls mittlerweile.
Die Meinung dieses Kerls interessierte mich einen feuchten Dreck.
»Guten Morgen, Gina«, sagte ich und schenkte ihr ein mitfühlendes Lächeln, da sie sich jetzt mit dem Kaffee und einem Stapel Akten wie jeden Morgen in die Höhle des Löwen wagen musste.
»Den wünsche ich dir auch. Und, hat er gute Laune?« Bei dieser Frage musste sie selber lachen.
Dieser Mann kannte keine gute Laune, Höflichkeit oder irgendetwas in dieser Art.
»Der Himmel hängt voller Geigen, so wie an jedem Morgen.«
»Super, dass es mir egal ist, wie immer«, erwiderte sie und stieß dann die Tür auf. »Guten Morgen, Mister Hudson.« Sie begrüßte ihn freundlich. Obwohl sie ihn genauso hasste wie ich.
Solange er unser Leben finanzierte, blieb uns wohl nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen.
Es dauerte nur wenige Minuten, bis ich ihn wieder toben hören konnte.
Arme Gina.
Gut, dass ich hier draußen weit entfernt von dem Geschehen saß.
Als sie herauskam, war ihr Kopf knallrot, doch sie schenkte mir ein weiteres Lächeln, während sie sich schnell hinter ihren Schreibtisch setzte, um etwas zu tippen.
Kein Wunder, dass es keine Frau auch nur länger als eine Nacht bei diesem Choleriker aushielt.
Doch auch das war nicht meine Baustelle.
Nachts war ich unten in meiner Angestelltenwohnung und konnte nur durch die Panikbuttons in Mister Hudsons Wohnung alarmiert werden, die sich überall in den Räumen befanden.
Wenn jemals eine Bedrohung in diesem abgeschlossenen und hochgesicherten Penthouse geschehen sollte, dann erfuhr ich es als Erster. Oder der Kollege, der gerade Dienst hatte.
Diese Zeit war die einzige Zeit meines Jobs, die ich wirklich genießen konnte. Ich wurde dafür bezahlt, Fernsehen zu gucken oder zu schlafen. Damit konnte ich leben. Zumal ich die Gesellschaft dieses Mannes dann nicht ertragen musste.
Außerdem wollte ich wirklich nicht wissen, was er mit den Frauen trieb, die er ständig mitnahm oder zu sich bestellte.
Dass er sie nicht gut behandelte, lag für mich auf der Hand. Dieser Mann hatte noch nie ein Lebewesen gut behandelt, außer sich selbst.
Wahrscheinlich zahlte er deshalb den Menschen auch so hohe Gehälter. Um sie an sich zu binden. Sonst würde er sich mit Sicherheit alle Nase lang nach neuen Mitarbeitern in sämtlichen Bereichen umsehen müssen, denn mit ihm hielt es niemand lange aus.
Trotz des hohen Gehalts waren auch viele Bodyguards wieder gegangen. Nur ich arbeitete schon seit acht Monaten für ihn. Und ich würde es auch weiterhin aushalten. So lange, bis die Summe auf meinem Konto die achtzigtausend Dollar erreichte. Dann würde ich aufhören und mir einen anderen Job suchen. Mit einem schönen Polster im Rücken. Zumindest war das mein Plan. Ob ich es allerdings auch wirklich so durchziehen würde, war fraglich.
Ich hasste diesen Job zwar, aber eine Rückkehr zu meinem vorherigen als Buchhalter konnte ich mir definitiv nicht vorstellen.
Vom Buchhalter zum Bodyguard. Eine Karriere, die nicht jeder nachvollziehen konnte.
Schon damals, vor meinem Job als Schreibtischhocker, war es mir immer wichtig gewesen, mich in Form zu halten, und irgendwann sah ich dann diese Dokumentation im Fernsehen, die bei mir alles veränderte.
Ich war aus dieser Ausbildung als Bester der Besten herausgegangen und hatte schnell eine Anstellung bei einem Politiker gefunden. Eine Seltenheit für Neulinge, wie ich nun mal einer war.
Als dann Mister Hudson mit diesen unglaublichen Gehaltsaussichten auf mich zukam, war mein Entschluss rasch gefallen.
Ein Entschluss, von dem ich mir wünschte, ihn nicht so sehr zu bereuen, wie ich es tat.
Eigentlich wollte ich in diesem Beruf Spaß haben, mich wohlfühlen und meinen Traum ausleben, doch vielleicht hatte ich auch einfach zu viel erwartet. Es war ein Job, nichts anderes.
»Hunter!«, hörte ich Hudson aus dem Büro rufen und seufzte leise. Nun war es wohl meine Zeit, wieder einmal wegen irgendetwas angebrüllt zu werden. »Heute Abend findet eine Party statt. Ich hoffe, dieses billige Teil da ist nicht ihr bester Anzug.«
»Damit werden sie wohl vorliebnehmen müssen, Sir.«
»Ich hab bestimmt noch einen ausgemusterten Smoking, den Sie tragen können. Alles andere wäre beschämend. Wir brechen hier im Büro um siebzehn Uhr auf und fahren vom Penthouse aus um neunzehn Uhr zu der Party. Es ist eine Galaveranstaltung, also feilen Sie schon mal an Ihren Manieren, falls Sie so etwas besitzen.«
Ich besaß bessere Manieren als er. Zumindest waren Höflichkeit, Anstand und Niveau für mich keine Fremdwörter. Eine verdammte Gala ... wie ich solche Veranstaltungen hasste.
Besonders wenn ich diesen Kerl dorthin begleiten musste. Ich konnte kaum noch zählen, wie viele Male ich mich für diesen Mann geschämt hatte. Oder wie viele Male ich ihn am liebsten gebeten hätte, die Fresse zu halten. Aber das alles konnte ich mir leider nicht erlauben.
Anders als mein Kollege Seth, der es vor zwei Wochen einfach getan hatte, weil er es nicht mehr aushielt. Natürlich war er sofort gefeuert worden, doch das hatte er absichtlich provoziert, weil er bereits einen neuen Job gefunden hatte. Als Bodyguard eines reichen, verwöhnten Mädchens. Ich wusste wirklich nicht, was schlimmer war. Dann lieber mit Mister Überheblich auf irgendwelche Galas gehen, oder ins Bordell ... doch das war ein ganz anderes Thema.
Tatsächlich wurde ich gezwungen, einen Anzug von Mister Hudson anzuziehen, der mir wie angegossen passte. Wir hatten in etwa dieselben Maße, was allerdings auch unsere einzige Gemeinsamkeit darstellte.
Immerhin konnte ich jetzt in Dolce & Gabbana erstrahlen, wobei ich zwischen meinem Anzug und diesem hier keinerlei Unterschiede feststellen konnte.
Es war halt einfach ein schwarzer Anzug.
Ich machte mir noch etwas in der offenen Küche, die zur Angestelltenwohnung gehörte, zu essen und quatschte kurz mit Mary Beth, der Haushälterin von Mister Hudson, die es unfassbarerweise schon seit zehn Jahren hier aushielt. Wahrscheinlich, weil sie immer dann arbeitete, wenn der Kerl nicht zuhause war und es somit keinerlei Berührungspunkte zu ihm gab.
Von ihr wusste ich, dass sie das Leben in dieser Wohnung genoss und es gegen nichts auf der Welt eintauschen würde. Selbst wenn sie dafür den Dreck und die Unordnung dieses Ekelpakets beseitigen musste.
Wir benutzten die Küche und das Wohnzimmer zusammen. Die fünf Schlafzimmer für die fünf Angestellten verfügten jeweils über ein eigenes Bad. Außer uns befand sich noch George in dieser Wohnung, der Koch von Mister Hudson, den man aber meist nicht zu Gesicht bekam. Er liebte es, in seinem Zimmer zu bleiben.
»Das Bett ist frisch bezogen, wie immer«, teilte mir Mary Beth noch mit, bevor sie wieder in ihrem Zimmer verschwand. Auch hier unten in der Angestelltenwohnung war sie für Ordnung und Sauberkeit zuständig, wobei das Zimmer von uns Bodyguards wie ein Hotelzimmer gereinigt wurde. Schließlich wechselten wir uns alle achtundvierzig Stunden ab.
Und natürlich wollte ich nicht in der Bettwäsche meines Vorgängers übernachten.
Steve. Wir kannten uns nicht wirklich, sahen wir uns doch nur morgens für einige Minuten, wenn wir Schichtwechsel hatten.
Es gab in diesem Job nichts, worin wir uns absprechen mussten. Es gab kein Team, keinen Zusammenhalt. Etwas, das ich wirklich vermisste. Bei meiner Stelle als Bodyguard eines Ministers war dies vollkommen anders gewesen. Wöchentliche Besprechungen, Schichten zusammen, viele nette Leute, mit denen ich noch immer befreundet war und regelmäßig um die Häuser zog.
Bei Mister Hudson war man ein Einzelkämpfer. Außerdem hielt es niemand lange bei ihm aus, weshalb es wahrscheinlich sowieso Zeitverschwendung wäre, die Kollegen kennenzulernen.
Ich fand mich um Punkt neunzehn Uhr in der Wohnung meines Bosses ein, wobei ich überrascht war, eine Frau in seinem Arm zu sehen. Normalerweise ging er immer alleine, doch heute schien er eine Begleitung gefunden zu haben, die ihn begleitete. Vielleicht war sie allerdings auch eins von diesen Escortmädchen, die er immer mal wieder anheuerte.
Sie lächelte mich freundlich an und streckte mir die Hand entgegen, was Mister Hudson allerdings sofort unterband.
»Er ist ein Angestellter!« Er fuhr die Frau an, die ihm einen unsicheren Blick zuwarf. Sie war bildschön. So wie all die Frauen, die er an seiner Seite irgendwo präsentierte. Doch diese war besonders hübsch. Mit ihren dichten schwarzen Haaren und den funkelnden grünen Augen, die so intensiv strahlten, dass man einfach hineinsehen musste. Dazu steckte ihr wirklich wohlgeformter Körper in einem hautengen blauen Glitzerabendkleid, das wenig Spielraum für Fantasie ließ. Sie war makellos.
Hoffentlich wusste sie, auf welchen Tanz mit dem Teufel sie sich eingelassen hatte.
Hudson würde sie wie Dreck behandeln. So wie er all die anderen Frauen auch immer behandelte.
Im Fahrstuhl angekommen musste ich dabei zusehen, wie er an ihren hübschen Hintern fasste und zugriff, was die Frau zusammenzucken ließ.
»So schüchtern, Keyla?«, fragte er.
Keyla. Ein wunderschöner Name, der definitiv zu dieser Frau mit dem südländischen Teint passte.
Sie tat mir leid.
Sie taten mir immer alle leid.
Ich konnte nur hoffen, dass sie nicht so dumm war, heute Abend wieder mit Hudson hierher zu fahren. Doch das musste und konnte sie nur selbst entscheiden. Es stand mir nicht zu, sie vor irgendwas zu warnen. Außerdem fanden diese Dinge auch nur in meiner Fantasie statt. Ich war nicht in der Wohnung anwesend, wenn Hudson eine Frau abschleppte.
Ich konnte mir nur nicht vorstellen, dass er sie mit dem nötigen Respekt behandelte, den jede Frau in meinen Augen verdient hatte.
Vielleicht war sie eine dieser bezahlten Escortdamen, die ihn nur begleiteten, aber nicht weiter gingen.
Ich hoffte es jedenfalls für sie.
Genauso wie ich für uns beide hoffte, dass dieser Abend schnell vorbeiging.
Ich nahm vorne neben Hudsons Fahrer Viktor Platz, während er sich mit Keyla nach hinten setzte und sie vollschwafelte. Über Themen, die diese Frau garantiert nicht interessierten. Obwohl, eigentlich hatte ich keine Ahnung.
Vielleicht gefielen ihr seine Storys über seinen unschätzbaren Reichtum auch. Vielleicht witterte sie die große Chance, den reichen Mann zu erobern und in Saus und Braus zu leben. Sie wäre nicht die Erste, doch bis jetzt hatte es keine durchgehalten.
Ganz egal, wie viele Millionen Mister Superwichtig auch vorweisen konnte.
Ich blickte kurz auf Viktor, dem wie so oft ein süffisantes Grinsen auf den Lippen lag. Er ertrug diesen Job nur, weil er vollkommen abschalten konnte und diesem Geschwafel auf der Rückbank keinerlei Aufmerksamkeit schenkte. Eine Eigenschaft, die ich mir wünschte, über die ich aber leider nicht verfügte.
Als Bodyguard war mir beigebracht worden, dass meine Augen und Ohren überall zu sein hatten. Also leider auch bei diesem Schwachsinn auf der Rückbank.
Keyla kicherte über einen dieser Witze, den ich schon fünfzig Mal und öfter gehört hatte, und der noch nie witzig gewesen war.
Entweder eine sehr höfliche Escortdame oder sie wollte doch mehr.
Auf der Party würde Hudson sich wahrscheinlich wieder volllaufen lassen, was ihn noch unberechenbarer und ekelhafter werden ließ. Was wollte man von einem Mann, der schon im nüchternen Zustand keine Regeln, Grenzen und Tabus kannte, auch erwarten, wenn er den Arsch voll hatte?
Auf der Gala angekommen verließ ich als Erster den Wagen und checkte kurz die Umgebung, bevor ich die Tür öffnete und Mister Hudson aussteigen ließ. Natürlich reichte er Keyla keine Hand, was ich für ihn übernahm.
»Vielen Dank«, sagte sie und schenkte mir ein umwerfendes Lächeln. Sie war nicht nur unglaublich hübsch, sondern auch wirklich höflich. Das totale Gegenteil des Ekelpakets, der sie hart in der Hüfte fasste, um sie an sich zu ziehen.
Er würde sich jetzt wieder als der tollste Hecht von ganz New York ausgeben, ohne zu merken, wie sehr er die Menschen damit nervte. Kein Wunder, dass er keine Freunde besaß oder Menschen, die sich gerne mit ihm umgaben. Die meisten hielten es nur kurz mit ihm aus. Einige Wochen, vielleicht sogar einige Monate, was er seinem Geld zu verdanken hatte.
Seine »Freunde« begleiteten ihn auf Partys, ließen sich von ihm aushalten und wandten sich dann von ihm ab, wenn sie es nicht mehr ertragen konnten. Wenn es doch für mich auch so einfach wäre. Doch das liebe Geld hielt mich bei ihm. Nur anders als seine »Freunde«.
Wir betraten den Ballsaal des Fünf-Sterne-Hotels in der Upper East Side, wobei ich nicht einmal nervös war, obwohl hier eine Menge los war.
Ich konnte es keinem Menschen verübeln, der diesem Mistkerl etwas anhaben wollte, doch in einem solch öffentlichen Raum mit geladenen Gästen sah ich keine große Gefahr.
Ich hielt mich an die Regel, immer zwei Schritte hinter ihm und Keyla zu bleiben und dabei den Raum und die Umgebung niemals aus den Augen zu verlieren. Das war der anstrengende Teil meines Jobs. Wenigstens etwas, das mich ein wenig forderte.
Die Themen drehten sich im Kreis und viele Leute machten kehrt, wenn sie Hudson nur aus der Ferne erblickten. Etwas, das dieser selbstverliebte Gockel nicht einmal mitbekam. In seinen Augen war er der Nabel der Welt, und die Menschheit wartete nur darauf, mit seiner Gesellschaft beehrt zu werden.
Ich betrachtete für einen kurzen Augenblick Keyla, die sich noch immer in seinem schraubstockartigen Griff befand, der sie an seine Seite drückte. Ob sie es schon bereute, mit ihm hier zu sein? In ihrem Gesicht konnte man davon jedenfalls nichts erkennen. Sie lächelte weiterhin tapfer, lachte an den richtigen Stellen und ließ sich auch sonst nichts anmerken.
Vielleicht beeindruckte er sie ja wirklich. Oder sie war einfach nur verdammt hart im Nehmen.
Wenn Mister Hudson irgendwann mal seine Stimme verlieren sollte, konnte er mich auch als Gebärdendolmetscher engagieren, obwohl ich keine Gebärdensprache konnte. Das musste ich allerdings auch nicht, denn er wiederholte sich ständig.
Dieselben Witze.
Dieselben Anekdoten.
Die ständige Selbstbeweihräucherung.
Es gab keine Abwechslung bei ihm.
Eines meiner größten Talente lag wahrscheinlich darin, ihn vor meinem Bruder nachzumachen, der Tränen vor Lachen vergossen hatte, als ein Video von einer Rede aufgetaucht war, die Hudson bei einer Veranstaltung gehalten hatte.
Wort für Wort die Dinge, die ich ihm seit Monaten erzählte.
Wenn es nach meinem Bruder Adam ging, hätte ich diesen Job schon lange an den Nagel gehangen. Er konnte nicht nachvollziehen, wie ich für einen solchen Mann arbeiten konnte. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass ich zur Not bereit sein musste, mein eigenes Leben für diesen Kerl zu riskieren.
Wenn es jemals so weit kommen sollte, dann würde ich nicht zögern und ihn in Sicherheit bringen. Ganz egal, was ich von ihm hielt. Ich hatte diesen Job gewählt und würde ihn auch ausüben.
Momentan sah ich allerdings keine Bedrohung. Auch wenn es wahrscheinlich genug Menschen gab, die diesen Mann hassten, ihn verfluchten, ihm alles Schlechte dieser Welt wünschten oder ihn am liebsten direkt zum Teufel schicken würden.
Einzig seine versteckten Aktivitäten, wie ich sie immer nannte, bereiteten mir in diesem Punkt Sorgen.
Zwei Mal in der Woche gab es Treffen, zu denen ihn niemand begleiten durfte. Niemals.
Ich war eine lange Zeit davon ausgegangen, dass er in ein Bordell fuhr, um es sich von einer Prostituierten so richtig besorgen zu lassen, bis wir wirklich in einem solchen Etablissement gelandet waren.
Was hatte ich auch erwartet?
Dass dieser Mann Skrupel besaß oder gar so etwas wie Charme und deshalb heimlich in ein Bordell ging?
Natürlich war es nicht so.
Ich hatte vor der Tür gewartet und mir jedes Detail dieses beschämenden Akts anhören dürfen.
Sie hatte ihn ausgepeitscht. Den bösen Jungen. Noch immer drehte sich mir der Magen um, wenn ich daran dachte.
Der dicke Macker, der sich immer wie ein Gott gab, ging einmal im Monat in den Puff, um sich den Hintern versohlen zu lassen. Von einer Domina.
Ich wollte gar nicht weiter darüber nachdenken, schließlich war mein Bild von diesem Mann so oder so schon ganz weit unten.
Wenn diese Frau in seinem Schraubstockarm nur wüsste, worauf sie sich da gerade einließ.
Wir blieben so lange auf der Party, bis der tolle Mister Hudson so voll war, dass er sich kaum noch auf seinen Beinen halten konnte. Während er sich in einer Seitenstraße hinter dem Hotel übergab, blieb mir wenigstens genug Zeit, um die Frau zu warnen. In meinen Augen sollte sie die Beine in die Hand nehmen und schnellstens von hier verschwinden.
»Gehen Sie«, sagte ich zu ihr, nachdem ich mich ins Auto gebeugt hatte, während sie mich nur fragend ansah.
Ich übertrat hier eine Grenze. Und das meilenweit. Wenn Hudson Wind davon bekam, würde er mich mit Sicherheit sofort rausschmeißen, doch ich konnte nicht dabei zusehen, wie so eine hübsche, nette und höfliche Frau mit offenen Armen in ihr Verderben rannte. Das war nicht richtig.
Wie oft hatte ich mir vorher schon gewünscht, etwas zu den Frauen sagen zu können. Doch nie hatte sich in irgendeiner Art und Weise die Gelegenheit dazu ergeben.
»Bitte?«, fragte Keyla nach.
»Sie haben jetzt ein paar Stunden mit ihm verbracht und garantiert festgestellt, was für ein Typ Mann er ist. Mein Rat ist, dass Sie sich auf den Weg nach Hause machen. Und das so schnell wie möglich.«
»Ich weiß nicht, was Sie sich einbilden, aber ich werde hierbleiben.«
Ich seufzte. Gerade von ihr hatte ich etwas anderes erwartet.
»Falls er Sie bezahlt hat, machen Sie sich keine Gedanken. Er wird sich morgen sowieso an nichts mehr erinnern und ich werde mir eine Geschichte ausdenken, die Sie schützt.«
»Ich sag es noch einmal: Ich habe keine Ahnung, wer Sie zu sein glauben, aber Sie machen mir garantiert keine Vorschriften. Und wenn ich so etwas höre … Glauben Sie wirklich, ich würde mich für die Begleitung dieses charmanten Mannes bezahlen lassen müssen?«
Okay, jetzt war ich wirklich fassungslos.
Hatte sie gerade von einem charmanten Mann geredet, obwohl sie den Abend an seiner Seite verbracht hatte? Ich konnte mir nicht erklären, was mit dieser Frau nicht stimmte, doch normal war ihre Reaktion ganz sicher nicht.
Also erhoffte sie sich vielleicht, das Herz von Hudson zu erobern und in Saus und Braus zu leben.
Das Problem bei der ganzen Sache war nur: Hudson besaß kein Herz.
Ich konnte ihr nicht weiterhelfen, wenn sie sich nicht helfen lassen wollte und doch wagte ich einen weiteren Vorstoß, denn ich wollte, dass ihr sonnenklar wurde, auf was sie sich einließ.
»Er behandelt Frauen nicht gut«, deutete ich an. Ich hatte es nie persönlich miterlebt, doch von meinem alten Kollegen wusste ich, dass Hudson zu einem wahren Monster mutieren konnte. Also zu einem noch größeren Monster, als er es ohnehin schon war.
»Mich behandelt er sehr gut. Aber vielen Dank für Ihre Sorgen, Mister …«
»Hunter. Nennen Sie mich einfach Hunter.«
»Dann vielen Dank für Ihre Sorgen, Hunter. Ich versichere Ihnen, dass ich ein großes Mädchen bin und ganz gut auf mich selbst aufpassen kann. Ich brauche dazu keinen Bodyguard, der meint, mir gute Ratschläge erteilen zu müssen. Kümmern Sie sich lieber darum, dass Jamie nichts passiert und wir schnell weiterfahren können.«
»Sehr wohl, Ma’am«, erwiderte ich und holte tief Luft, bevor ich mich zu Hudson umdrehte, der orientierungslos durch die Gegend torkelte.
In diesem Zustand würde er hoffentlich nicht mehr dazu in der Lage sein, diese Frau schlecht zu behandeln. Und falls doch ... ich hatte sie gewarnt. In aller Deutlichkeit. Ich hatte die Grenze so oder so überschritten.
»Das war mutig von dir. Wenn Sie dich verpfeift ...«, flüsterte mir Viktor zu, nachdem ich wieder eingestiegen war, doch ich zuckte nur mit den Schultern. Wenn sie mich verpfeifen würde, konnte ich auch nichts daran ändern.
Wenigstens konnte ich heute Nacht mit einem ruhigen Gewissen schlafen gehen. Auch wenn ich in Wahrheit keine Ahnung hatte, wie er die Frauen behandelte, die er mit zu sich ins Penthouse nahm. Ich sah sie nie wieder.
Nachdem ich ihn mit samt vollgekotztem Smoking in sein Bett geworfen hatte, drehte ich mich zur Tür um, in der Keyla stand und mich beobachtete.
Hatte sie wirklich vor, heute Nacht hierzubleiben?
Wenn ja, dann konnte sie wirklich froh über Hudsons Zustand sein.
So besoffen konnte er ihr nichts tun und sie auch nicht anrühren.
»Warnen Sie Frauen immer vor ihm?«, fragte sie nachdenklich.
Ihre Stimme klang ganz anders als vorhin im Wagen. Viel netter. Ruhiger.
Vielleicht waren meine Worte doch zu ihr durchgedrungen.
»Meist ergibt sich keine Gelegenheit dazu. Soll ich Sie nach Hause bringen lassen?« Ich ließ nicht locker. Ich wollte sie hier rausbringen. Ja verdammt, ich wollte sie in Sicherheit wissen, obwohl ich sie nicht mal kannte.
Sie war so eine schöne Frau.
Sie hatte etwas Besseres verdient als diesen Vollidioten.
»Sie lassen nicht locker, oder?«
»Wenn Sie morgen Hudson etwas davon erzählen, bin ich meinen Job so oder so los.«
»Das werde ich nicht. Ich werde allerdings auch nicht fahren. Ich glaube nicht, dass er ein schlechter Kerl ist.«
Ich presste die Lippen aufeinander und nickte. Das glaubten sie alle nicht, bis sie ihn wirklich kennenlernten. Noch hielt Keyla ihn wahrscheinlich für den großen Gott, als der er sich gerne aufspielte.
Obwohl sie heute Abend schon viel von seinem wahren Gesicht gesehen hatte. Mit seiner Wichtigtuerei und dem ganzen Geschwafel. Mit den unlustigen Witzen und der Art und Weise, wie er sie vorgeführt und festgehalten hatte.
»Okay, ganz wie Sie meinen. Ich werde dann jetzt nach unten in die Angestelltenwohnung gehen. Hier im Haus befinden sich überall Panikknöpfe. Wenn also etwas sein sollte, scheuen Sie sich nicht einen dieser Knöpfe zu betätigen, dann bin ich sofort zur Stelle.«
Ich hatte noch nie einem anderen Menschen von diesen Knöpfen erzählt. Grenzüberschreitung Nummer zwei am heutigen Abend. Doch es half mir und meinem Gewissen, wenn sie es wusste.
Vielleicht würde sie meine Hilfe ja doch noch brauchen ... oder sie in Anspruch nehmen. Brauchen tat sie diese garantiert, doch das wollte sie nicht wahrhaben. Noch nicht.
Ich sah in die Augen dieses großen, starken Mannes, der all meine Vorstellungen von einem Bodyguard erfüllte.
Breite Schultern. Kantiges Gesicht. Entschlossenheit in seinem Blick und der unübersehbare Drang, mich unbedingt beschützen zu wollen.
Vor einem Mann, den ich besser kannte, als er glaubte.
Ich brauchte seinen Schutz nicht.
Ich brauchte den Schutz von niemandem, denn ich war definitiv alt genug, um auf mich selbst aufzupassen.
Natürlich war Jamie Hudson ein überheblicher, arroganter Mistkerl, doch ich würde bei ihm bleiben. So lange, bis ich mein Ziel erreicht hatte.
»Panikknöpfe? Wirklich?« Er nickte und zeigte mir verschiedene, versteckt angebrachte Tasten, die ich nur drücken musste, um ihn zu alarmieren. Etwas, das garantiert nicht vorkommen würde.
Für heute Nacht hatte ich jedenfalls Ruhe. So betrunken wie Hudson, auch dank meiner Beihilfe, war, würde er heute Nacht schlafen wie ein Baby.
Eine Nacht weniger, die ich mit ihm ertragen musste.
Die erste Nacht von vielen.
Das befürchtete ich zumindest.
Doch ich wusste, wofür ich es tat.
Für sie alle.
Für mich.
»Ich habe Hunger«, sagte ich, obwohl davon nichts stimmte, doch ich wollte noch ein wenig mit diesem attraktiven Kerl quatschen. Außerdem schien ich ihn schon in meinen Bann gezogen zu haben und das konnte definitiv bei meinem Vorhaben mit Jamie nur von Vorteil sein.
»In der Küche findet sich bestimmt noch etwas. Der Kühlschrank von Mister Hudson ist immer reichlich befüllt.« Ich befreite mich von meinen High Heels und folgte dem Bodyguard Namens Hunter barfuß in die große offene Küche, wo er mir den Kühlschrank zeigte, ihn selbst allerdings nicht berührte. Wahrscheinlich war es ihm verboten, doch aus Verboten schien er sich eigentlich nicht viel zu machen. Garantiert war es nämlich auch untersagt, die Gespielin des Bosses vor ihm zu warnen.
Ich nahm mir einen Joghurt heraus und suchte dann in den unzähligen Schubladen nach einem Löffel.
»Ich wünsche eine gute Nacht«, hörte ich ihn hinter mir sagen, doch ich wollte nicht, dass er ging. Noch nicht. Ich würde lange genug mit Hudson alleine sein.
»Leisten Sie mir noch etwas Gesellschaft?«, fragte ich.
»Bei allem Respekt, Ma’am. Es war Ihre Entscheidung hierzubleiben und ich werde jetzt Feierabend machen. Wenn Sie meine Hilfe brauchen, wissen Sie ja, wie Sie mich rufen können.« Mit diesen Worten ging er in Richtung Aufzug. Ich folgte ihm, sobald sich die Aufzugtüren geschlossen hatten, und beobachtete die Zahlen. Stockwerk vierunddreißig. Wir befanden uns in Stockwerk zweiundsechzig.
Weit weg, falls es mal irgendwann zu der Situation kommen sollte, dass man keinen Fahrstuhl benutzen konnte. Gab es hier überhaupt so etwas wie ein Treppenhaus? Für den Brandfall mit Sicherheit. Nur hatte ich keine Ahnung, wo. Es gab hier so viele Türen.
Ich warf einen Blick ins Schlafzimmer, wo Hudson friedlich schlief, und begab mich dann auf die Suche nach dem Treppenhaus. Ich würde nicht schlafen können, ohne einen Fluchtweg zu kennen.
Nicht nach allem, was ich in meinem bewegten Leben schon erlebt hatte.
Ich war zwar gerade erst achtundzwanzig, aber mit allen Wassern gewaschen.
Sonst wäre ich jetzt wahrscheinlich auch nicht hier, sondern dem Rat des Bodyguards gefolgt.
Doch ich hatte keine Angst.
Nicht vor diesem Wichtigtuer.
Ich würde ihn verführen, wenn es an der Zeit war.
Dabei durfte ich nie mein Ziel aus den Augen verlieren.
Das war das Wichtigste!
Ich wusste, was ich wollte, und ich wusste, was ich tun musste, um dorthin zu kommen. Ich musste es nur schaffen, mir treu zu bleiben und mich nicht unter Wert zu verkaufen, so wie es meine Vorgängerinnen wahrscheinlich getan hatten.
Hudson war ein Mann, der es gewohnt war, zu bekommen, was er wollte. Und genau das würde ich ihm nicht geben. Bei mir lief es anders. Ich war gespannt, wie er das aufnehmen würde. Ob es seinen Kampfesgeist so sehr weckte, wie ich es erwartete.
Ich musste hoch pokern, doch wenn ich am Ende als die Frau an seiner Seite bestehen wollte, dann würde sich dieser Einsatz lohnen.
Ich fand das versteckte Treppenhaus direkt neben dem Schlafzimmer, hinter einer Tür, die in Wandfarbe gestrichen war.
Die perfekte Tarnung. Doch nicht perfekt genug für mich. Schließlich hatte ich sehr gezielt nach genau dieser Tür gesucht. Wahrscheinlich gab es hier noch mehrere Zugänge, doch darum würde ich mich morgen kümmern.
Ich hatte schließlich nicht vor, wieder zu gehen.
Davon wusste Jamie allerdings noch nichts.
Ich würde ihn schon davon überzeugen können.
Leise ging ich zurück ins Schlafzimmer und zog mich bis auf die Unterwäsche aus, bevor ich mich ins Bett neben ihn legte.
Nachdenklich betrachtete ich den Mann, mit dem ich nun so viel Zeit wie möglich verbringen wollte.
Selbst im Schlaf hatte er etwas Sonderbares an sich. Etwas, das mir Angst machte, obwohl ich keine Angst vor ihm haben durfte ... vor ihm haben wollte.
Er schnarchte mit offenem Mund, wobei sich seine kleinen Nasenlöcher aufblähten.
Jamie war wirklich meilenweit davon entfernt, eine Augenweide zu sein. Ganz im Gegenteil zu seinem Bodyguard, dem bestimmt viele Frauenherzen zuflogen.
Jamie erging es da wahrscheinlich nicht anders, was allerdings weder mit seiner Attraktivität noch mit seinem Charme zusammenhing, sondern lediglich mit seinem Geld.
Er schwieg nicht gerade über seinen Reichtum.
Einen Reichtum, den man in jeder Ecke dieses Penthouses erkennen konnte.
Bei einem kurzen Besuch im Badezimmer, welches an dieses Schlafzimmer angrenzte, hatte ich bereits festgestellt, dass die Wasserhähne aus echtem Gold waren.
Ich war nicht wirklich überrascht.
Die ganze Wohnung strahlte diese Art von Protz und Verschwendung aus, mit der Jamie auch gerne hausieren ging.
Er war bekannt dafür, sein Geld aus dem Fenster zu werfen, doch er schien genug davon zu haben, um sich genau das auch leisten zu können.
Ich würde jetzt versuchen zu schlafen, obwohl ich garantiert kein Auge zumachen würde.
Wenigstens war es ein beruhigendes Gefühl, dass dieser Bodyguard da war, wenn etwas schiefgehen sollte.
Ich war nicht bereit, Jamies wahres Gesicht zu sehen, doch das war der Preis, den ich zahlen musste.
Ich hatte einen Plan.
Ein Ziel.
Und das durfte ich nicht aus dem Blick verlieren.
Niemals.
Ganz egal, wie hart, wie schmerzhaft, wie ekelerregend und erniedrigend es vielleicht auch werden würde.
Ich war bereit.
Ich hatte mich darauf eingestellt.
Mich vorbereitet.
Schließlich kannte ich Jamie besser, als er es ahnte.
Besser, als er es jemals wissen würde.
Eine Frau mit einem Ziel brauchte einen Plan. Es wäre dumm von mir gewesen, mich einfach blindlings in diese Sache hineinzustürzen. Doch davon konnte Jamie nichts ahnen. Er würde bestimmt bald denken, mit mir endlich den großen Glücksgriff gelandet zu haben.
Eine feste Frau an seiner Seite, die in der Öffentlichkeit das Bild von ihm förderte, das er so gerne verkörpern wollte.
Ein Bild, das nur leider nicht auf diesen Mistkerl zutraf.
Doch darauf war ich vorbereitet.
Zu sagen, dass ich die Wohnung mit einem unguten Gefühl verließ, wäre wohl die Untertreibung des Jahres gewesen.
Doch mehr als warnen konnte ich Keyla nicht. Der Rest war ihre eigene Entscheidung. Sie hatte sich wohl in den Kopf gesetzt, bei Hudson landen zu wollen. Oder was auch immer.
Geld regiert die Welt.
Einen Satz, den ich von Hudson alle Nase lang zu hören bekam.
Und der wieder einmal zuzutraf.
Wieso sonst sollte sie bei diesem Ekelpaket bleiben?
Es war nicht meine Baustelle. Genau genommen war es lächerlich, dass ich überhaupt darüber nachdachte.
Sie war eine erwachsene Frau und konnte ihre eigenen Entscheidungen treffen. Ich kannte sie nicht mal! Nur weil sie ein hübsches Lächeln besaß und eine nette Ausstrahlung hatte, regte sich in mir dieser elende Beschützerinstinkt.
Als Bodyguard wahrscheinlich eine normale Eigenschaft, nur dass er bei mir in diesem Fall definitiv zu weit ging. Sie war nicht meine Klientin. Sie war nicht mal jemand, der mich etwas anging.
In der Angestelltenwohnung befreite ich mich aus diesem Anzug und nahm eine heiße Dusche, bevor ich ins Bett ging. Ich schlief hier immer verdammt schlecht, da mein Körper nicht aus diesem Alarmzustand herunterfahren konnte. Heute Nacht erst recht nicht.
So war es am nächsten Morgen auch nicht der Wecker, der mich aus dem Bett schmiss. Zu der Uhrzeit, zu der ich eigentlich aufstehen musste, saß ich bereits mit einem Kaffee am Frühstückstisch.
»Du bist aber früh dran heute Morgen«, merkte Mary Beth an, als sie sich zu mir gesellte. Normalerweise schafften wir es nie, zusammen zu frühstücken, da ich immer auf den letzten Drücker aufstand.
»Keine gute Nacht gehabt. Der große Jamie Hudson hat wieder mal eine Frau abgeschleppt.«
»Und das bereitet dir Kopfzerbrechen? Ich dachte, das gehört zu den Dingen, die dich nichts angehen.«
»Ja, so ist es eigentlich auch und trotzdem ... diese Frau war definitiv zu nett für diesen Mistkerl, aber sie wollte unbedingt bleiben. Er hat sich gestern Abend mal wieder so aus dem Leben geschossen, dass er sich vollgekotzt hat.«
»Mhm, wunderbarer, toller Mister Hudson.«
»Jap. Er hat sich wieder von seiner absoluten Glanzseite gezeigt. Manchmal frage ich mich wirklich, wie lange ich sein schrecklich dummes Geschwafel noch ertragen kann.«
»Das fragst du dich seit Monaten, aber ich werte es als ein gutes Zeichen, dass du immer noch hier bist. Ich bin mir nämlich ziemlich sicher: Du wirst bleiben!«
»Dann ist sich wenigstens einer von uns sicher.«
»Ach, was wäre das Leben denn ohne diesen Job? Ohne diese schöne Wohnung?«
Im Gegensatz zu Mary Beth, die diese Worte mit Sicherheit ernst meinte, fielen mir gleich tausend Dinge ein, wie wunderschön das Leben ohne all den Scheiß hier wäre. Vielleicht würde ich mich doch nach einem neuen Job umsehen.
Ob ich dabei aber jemals wieder Fuß als Bodyguard eines Politikers fassen konnte, war fraglich. Ich hatte meine Chance dort verspielt. Entweder man blieb auf seinem Posten oder man wechselte in die freie Wirtschaft. Ein Hin und Her war dabei nicht vorgesehen.
Ganz egal, wie gut ich war.
Nachdem ich meinen Kaffee zu Ende getrunken hatte, machte ich mich auf den Weg ins Penthouse, obwohl ich schon wusste, dass Hudson heute Morgen bestimmt nicht pünktlich zur Arbeit aufbrechen würde. Nach der letzten Nacht hatte er wahrscheinlich einen ganz schrecklichen Kater, den er im Bett auskurieren musste.
Oder aber irgendeine Wunderdroge hatte ihn wieder auf den Damm gebracht. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Line Koks herhalten musste, um seine Arbeitsfähigkeit herzustellen.
Ich war gespannt auf das Bild, das sich mir bieten würde, wenn sich die Türen des Fahrstuhls im Penthouse öffneten.
»Guten Morgen, Mister Hudson«, sagte ich wie immer laut, um meine Ankunft anzukündigen. Ich war auf viele unterschiedliche Szenarien vorbereitet, nur nicht auf das, was sich mir bot. Hudson saß gestriegelt im Anzug am Frühstückstisch – mit Keyla.
»Kommen Sie in zwanzig Minuten noch einmal wieder. Die Ankunft im Büro verzögert sich etwas. Es gab schon Sahneschnittchen zum Frühstück«, sagte er in meine Richtung, wobei er mit den Augenbrauen wackelte. Mir wurde schlecht bei der puren Vorstellung, dass diese umwerfende Frau mit diesem Mistkerl ... Es ging mich nichts an!
»Gerne, Sir.« Ich zog mich in den Fahrstuhl zurück. Zwanzig Minuten, die ich brauchen würde, um wieder herunterzufahren und meine professionelle Coolness herzustellen. Wann und warum auch immer sie mir verloren gegangen war.
»Das war der kürzeste Arbeitstag der Welt. Liegt er noch im Bett?«, fragte Mary Beth direkt. Ihre Arbeitszeit war davon abhängig, wann Hudson zur Arbeit fuhr.
»Nein, er frühstückt noch. Mit dieser Frau.«
»Mit der Frau? Es ist noch nie eine zum Frühstück geblieben, oder?«
»Keine Ahnung. Vielleicht am Wochenende mal, da habe ich keinen Überblick.« An den Wochenenden bestand der Dienst daraus, hier in der Angestelltenwohnung auf Abruf anwesend zu sein. Was Hudson dann oben im Penthouse trieb, entzog sich vollkommen meiner Kenntnis.
»Stimmt. Aber in der Woche ist es schon ungewöhnlich. Du glaubst doch nicht, dass sie es mit ihm aushalten wird, oder?«
»Ich kenne diese Frau nicht. Ich weiß nur, dass sie sich sehr sicher darin war, bei ihm bleiben zu wollen in der letzten Nacht«, erwiderte ich ehrlich.
»Alles klar. Also eine Geldhexe. Er hätte es verdient, von irgendeiner Frau wie eine Weihnachtsgans ausgenommen zu werden.«
»Da stimme ich dir allerdings zu.« Ich lächelte und holte mir noch einen Kaffee, um die Zeit zu überbrücken, bevor es ins Büro ging. Der immer gleiche Trott, der heute durchbrochen wurde.
Wieder im Penthouse angekommen wurde ich Zeuge einer bizarren Knutschszene, bei der Hudson seine Hände wirklich überall am Körper dieser schönen Frau zu haben schien, die immer noch im Penthouse war.
»Hunter, wir fahren die Dame nach Hause«, sagte er, was ich mit einem Nicken quittierte. Zusammen stiegen wir in den Fahrstuhl ein, wobei ich den Blick der Frau auffing, der mir mehr sagte als tausend Worte.
Sie war genervt.
Genervt von diesem ekelerregenden Kerl, der ihr wieder auf den Po haute und dabei lachte.
Ich hatte versucht, sie zu warnen.
Sie lächelte Hudson zuckersüß an, als dieser zu ihr blickte, während ich mir ein Lächeln verkneifen musste. Verdammt, sie war eine richtig gute Schauspielerin. Doch wieso hatte sie es nötig, sich mit so einem Typen abgeben zu müssen? Eine Frage, die sich mir erst recht aufdrängte, nachdem wir an der Adresse gehalten hatten, an der sie angeblich wohnte.
Es war einer dieser brandneuen Luxustower in der Nähe des Central Park. Wahrscheinlich arbeitete sie dort als eine Angestellte von irgendwelchen reichen Leuten. Warum sonst sollte sie sich mit Jamie Hudson abgeben, wenn sie selbst so viel Geld besaß?
Hudson verabschiedete sie auf peinliche Art und Weise, bevor wir endlich zum Büro weiterfuhren. Normalerweise hasste ich diese Stunden, in denen ich tatenlos bei ihm vor der Tür saß, doch heute freute ich mich regelrecht darauf. Wenigstens hatte ich dann meine Ruhe und musste ihn nur zwischendurch ertragen.
»Na, Gentlemen, das war ein heißes Törtchen, was?«, fragte er und lachte dabei auf. »Wobei es Törtchen eigentlich nicht trifft. Sie hat Feuer.« Ich blickte auf Viktor, der stupide auf die Straße sah, ohne eine Regung zu zeigen. Seine Ohren waren also wieder auf Durchzug gestellt, während ich natürlich jedes einzelne Wort dieses Geschwafels gehört hatte.
Gut, dass Hudson nie erwartete, dass man irgendetwas erwiderte. Zumindest gut für Viktor ...
»Hunter, ich werde diese Dame heute Abend zum Essen ausführen. Sprechen Sie mit meiner Assistentin die Details ab. Sie wird einen entsprechenden Termin im schicksten Restaurant der Stadt für mich klarmachen.«
Er wollte sie wiedersehen?
Mit ihr ausgehen?
Okay, das war definitiv neu.
Vielleicht hatte er sie ja nicht gerade erst kennengelernt.
Meine Güte, diese arme Frau. Auf was hatte sie sich da nur eingelassen? Sie musste schon hart im Nehmen sein, so genervt, wie ihr Blick im Aufzug gewesen war.
Ruhe! Endlich Ruhe! Das war alles, worauf ich mich jetzt konzentrieren würde.
Viele Stunden voller Ruhe vor diesem Mann, mit dem ich auch heute Nacht wahrscheinlich erneut schlafen würde.
Es ging hier nicht um mich ...
Es war ein Opfer, das zu bringen ich bereit war.
Und doch verlangte es mir mehr ab, als ich für möglich gehalten hätte.
Dieser Mann war nicht nur ein Spinner, sondern auch ein frauenverachtender Mistkerl. Gepaart mit all dem Schwachsinn, der permanent aus seinem Mund kam, war er vor allem eins: kaum auszuhalten.
Und ich stand gerade erst am Anfang.
Wenigstens war er begeistert von mir und wollte mehr.
Mehr von mir.
Mehr von meiner Gesellschaft und leider auch von meinem Körper.
Mein Telefon klingelte, wobei ich das Gespräch sofort entgegennahm.
»Läuft alles?«, fragte die tiefe männliche Stimme am anderen Ende.
»Es läuft. Ich bin drin.«
»Schon irgendwelche Dinge, mit denen wir ihn in der Hölle schmoren lassen können?«
»Noch nicht, aber heute gehen wir wieder essen. Ich bin dabei, sein Vertrauen zu gewinnen.«
Ein lautes Lachen am anderen Ende.
»Ich habe doch gewusst, dass du diesen Spinner um den Finger wickeln wirst! Wir werden ihm das Leben zur Hölle machen. Irgendwelche Probleme?«
»Sein Bodyguard. Hunter. Er ist verdammt wachsam.«
»Du weißt, was du zu tun hast. Räum ihn aus dem Weg, falls es sein muss. Dein Ziel ist Hudson. Denk immer daran, was er getan hat. Jeden Morgen, wenn du aufstehst, jeden Abend, wenn du schlafen gehst, jedes Mal, wenn du ihn ansehen musst, okay?«
»Okay.«
»Ich weiß, dass du ein großes Opfer bringst, indem du Zeit und Gott weiß was mit diesem Mann verbringen musst, aber verliere nie das Ziel aus den Augen. Du wirst ihn fertigmachen. Ihn zur Strecke bringen und für all das bezahlen lassen, was er ihnen angetan hat.«
»Das werde ich. Mach dir keine Sorgen um mich, ich bin tough und das weißt du.«
»O ja, Baby, das weiß ich. Sonst wärst du jetzt nicht dort, sondern hier bei mir.«
»Ich werde noch früh genug wieder bei dir sein und es dir zeigen.«
»Wenn ich nur darüber nachdenke, dass dich dieser Mistkerl anfasst und ...«
»Wir hatten dieses Thema. Wir haben uns das alles vorher überlegt. Es geht hier nicht um mich, sondern darum, was wir mit ihm machen werden.«
»So kenne ich mein Baby.«
»Ich melde mich.«
»Ich kann es kaum abwarten, deine Stimme zu hören.«
»Hör auf, rumzusülzen. Von dem Scheiß muss ich mir hier schon genug anhören.«
»Alles klar, Baby. Bis morgen. Halt die Ohren steif.«
Ich beendete das Gespräch und ließ mich auf die große Designercouch in meinem Fake Appartement fallen.
Hier war es ebenso luxuriös wie bei Hudson. Schließlich sollte er nicht denken, dass ich auf sein Geld angewiesen war. Der erste schlaue Schachzug von vielen in dem ausgereiften Plan, um in das Leben dieses Mannes einzudringen.
Er war nervig und in seiner Art unmöglich, doch er war nicht dumm. Umso besser, dass ich bereits in der letzten Nacht so weit bei ihm gekommen war.
Hoffentlich würde es sich nicht ewig hinziehen, bis ich von hier verschwinden konnte.
Dieser Bodyguard durfte mir keinen Strich durch die Rechnung machen.
Es war seine Aufgabe, Hudson zu beschützen.
Gestern war er wirklich süß gewesen, wie er sich Sorgen um mein Wohlbefinden machte und mich am liebsten sofort von Hudson weggebracht hätte. Etwas, das ich natürlich nicht zulassen durfte, obwohl ich so unglaublich gerne Ja gesagt hätte.
Alles wäre mir lieber gewesen, als die Nacht mit diesem Mann zu verbringen. Wobei die Nacht nicht wirklich das Problem war, schließlich hatte er sich so sehr betrunken, dass ich mich ganz in Ruhe in seiner Wohnung umsehen konnte. Das Problem lag eher am Morgen, als er sich eine Line Koks reinzog und sich dann nahm, was er wollte: mich.
Es war ekelerregend und erniedrigend gewesen, doch ich hatte mich im Vorfeld bereits darauf eingestellt, schließlich ging es hier nicht um mich.
Ashton hatte es gerade noch einmal gut auf den Punkt gebracht.
Wahrscheinlich würde es mir mehr helfen, mit ihm zu telefonieren, als vorab gedacht. Alleine seine Stimme zu hören war beruhigend gewesen.
Er war da, wenn ich ihn brauchte.
Er würde das alles beenden, wenn ich nicht mehr konnte.
Doch soweit würde ich es nicht kommen lassen.
Hudson musste bezahlen. Für all die grausamen Dinge, die er ihr angetan hatte!
Ihr und unzähligen anderen Frauen.
Ihr und wahrscheinlich bald auch mir.
Heute Abend ging er mit mir essen. Etwas, das er normalerweise nicht tat. Es war neu für ihn, doch ein gutes Zeichen für mich. Je näher er mich an sich heranließ, umso besser. Ich musste noch so viele Dinge in Erfahrung bringen. Dinge, auf die Ashton angewiesen war. Dinge, weshalb ich jetzt hier war.
Ich würde sie ihm nach und nach entlocken.
Egal mit welchen Mitteln.
Seufzend erhob ich mich von der Couch. Ich wollte duschen gehen, diesen Mann von mir abwaschen und mich dann auf den Abend vorbereiten.
Mein Blick schweifte aus dem großen Panoramafenster, das mir einen spektakulären Ausblick über die Stadt bescherte. Es war etwas ganz anderes als meine kleine Wohnung in der Bronx, wo ich nur vor das gegenüberliegende Haus gucken konnte.
Eine Wohnung, in der ich zeitweise mit Ashton zusammengewohnt hatte.
Es gab dort so viele schöne Erinnerungen, während hier alles Fake war.
Fake, genau wie ich.
Keyla Jones, die es in Wahrheit nicht gab.
Keyla Jones, in die Hudson sich unsterblich verlieben würde.
Keyla Jones, die sich an diesem Mistkerl für all seine Grausamkeiten rächen würde.
Keyla Jones, die genauso schnell wieder von hier verschwinden würde, wie sie gekommen war.
Bis dahin gab ich mich als die reiche Frau aus, die von ihren Eltern Millionen geerbt hatte und mit dem Geld genauso um sich werfen konnte wie Mister Superreich.
Ich musste mich nur erst daran gewöhnen ...
Wie an so viele Dinge.
Wie an das Bild von Kath, nachdem Hudson mit ihr fertig gewesen war. Ich rief es mir immer und immer wieder vor Augen. Ich hatte es sogar hier.
Sie war diejenige, für die ich das alles tat.
»Wieso hat er so etwas Sonderbares wie gute Laune?«, fragte Gina sofort, als sie das Büro von Hudson verlassen hatte, in dem es heute ungewohnt still zugegangen war.
»Eine Frau«, sagte ich, was sie die Augenbrauen heben ließ.
»O Gott, so etwas werde ich nie verstehen. Ganz egal, wie reich er ist. Aber ich dachte immer, er treibt es nur eine Nacht mit ihnen und schießt sie dann ab, weil sie alle so oder so nur sein Geld wollen. Oder es einfach nicht länger mit ihm aushalten.«
»Glaub mir, ich habe die ganze Sache auch noch nicht geblickt, aber bei dieser hier ist irgendwas anders.«
»Armes Ding. Hoffentlich kommt sie schnell zu sich.«
Ich nickte stumm. Das konnte ich ebenfalls nur hoffen. Ich kannte die schaurigen Geschichten darüber, zu was dieser Mann fähig war, und Gina kannte sie wahrscheinlich ebenfalls. Obwohl natürlich niemals jemand darüber sprach. Schlussendlich konnte es auch nur heiße Luft sein, denn einen Beweis hatte ich nie gesehen, doch das gehörte auch nicht zu meinen Aufgaben.
»Gina! Ich brauche einen Tisch für zwei im Lamina. Heute Abend!«, keifte er Sekunden später durch die Sprechanlage.
»Er geht mit ihr essen? O Gott, die arme Frau!« Ich lächelte bei Ginas angeekeltem Gesichtsausdruck. Ich wusste, wie sehr sie mich immer bemitleidete, weil ich am Tag deutlich mehr Stunden mit diesem Ekelpaket verbringen musste als sie. Und deshalb wusste ich auch, wie sehr sie diese Frau bemitleidete, obwohl es dafür rein gar keinen Grund gab.
Ich hatte sie gewarnt. Ich hatte ihr mehr als nur eine Chance gegeben, zu verschwinden, doch sie wollte nicht. Also konnte ich sie auch nicht aufhalten.
Ihr war hoffentlich klar geworden, dass sie sich an mich wenden konnte, wenn sie Hilfe brauchte.
Falls sie sich das eingestehen würde.
Hoffentlich arbeitete sie nicht nur als eine Angestellte in diesem Hochhaus, sondern wohnte wirklich da. Es war viel einfacher, wenn sie nicht auf Hudsons Geld aus war und jederzeit gehen konnte. Hoffte ich zumindest.
Gina schaffte es tatsächlich, einen Tisch bei dem Nobelitaliener der Stadt zu reservieren, weshalb mir die Pläne für den heutigen Abend somit klar waren. Es gab etwas Schlimmeres als die teuerste Lasagne der Welt auf Hudsons Kosten zu verdrücken. Das war nämlich die Grundregel in diesem Restaurant. Wenn schon ein Tisch von einem Leibwächter besetzt wurde, dann musste er auch etwas verzehren.
Ein Restaurant mit diesem Stellenwert konnte sich keine freigehaltenen Tische erlauben. Genauso wenig wie Bodyguards, die für jeden sichtbar dort standen und den Raum beobachteten. Niemand würde sich in einem solchen Ambiente wohlfühlen. Und genau deshalb musste Hudson immer großzügig in die Tasche greifen und auch mein Essen bezahlen.
Garantiert fiel ihm das nicht mal auf.
Es war neunzehn Uhr, als wir das Restaurant betraten und an die zwei Tische geführt wurden. Meiner lag weit genug weg, um nichts von dem Gespräch mitkriegen zu müssen, allerdings nah genug, um jederzeit eingreifen zu können, falls eine Gefahr drohte. Etwas, womit ich ehrlich gesagt nicht rechnete.
Als Keyla den Raum betrat, konnte ich nicht anders, als sie anzusehen. Ihre schwarzen Haare hatte sie zu einer aufwendigen Frisur zusammengebunden, während ihre Lippen feuerrot waren.
Sie bildeten den einzigen Kontrast zu dem schwarzen Kleid, das ihr bis an die Oberschenkel reichte, und den hohen schwarzen Stilettos. Diese Frau hatte Stil und war eine verdammte Augenweide. Welch eine Verschwendung, dass sie sich jetzt zu Hudson an den Tisch setzte.
Die beiden begrüßten sich mit einem Kuss, wobei es nicht Hudson-typisch gewesen wäre, hätte er ihr nicht erst noch auf den Arsch gehauen und dabei gelacht.
Lasagne.
Ich freute mich darauf und das war alles, worüber ich jetzt nachdenken sollte.
Wenn es nur so einfach wäre.
Diese Frau hatte mich nicht zu interessieren und doch wollte ich mehr über sie erfahren. Ihre Ausstrahlung, ihr Aussehen, ihre Art ... sie faszinierte mich, auch wenn ich das natürlich niemals zugeben durfte.
Den gesamten Abend lang unterhielten sich die beiden, wobei Hudson die meiste Zeit über redete. Etwas, das Keyla am Anfang noch mit Fassung trug, allerdings zunehmend genervter aussah. Selbst wenn sie sich größte Mühe gab, es zu kaschieren.
Ihre Blicke erinnerten mich an die Szene im Fahrstuhl am heutigen Morgen.
Sie bemerkte, wie sehr ich sie beobachtete, da sie mir zwischendurch immer wieder kurze Blicke zuwarf. Es war meine Aufgabe, hier alles im Auge zu behalten, auch Hudson, weshalb sie es mir nicht mal übel nehmen konnte, dass ich sie anstarrte. Und das tat ich verdammt gerne.
Auf ihren Wangen bildeten sich kleine Grübchen, wenn sie lachte.
Als sie sich in Richtung Toilette verabschiedete, blickte ich ihr nicht hinterher, obwohl ich es so gerne getan hätte, doch ich spürte Hudsons Blick auf mir ruhen. Ich nickte ihm kurz zu, während er mir seine viel zu weißen Zähne zeigte. Er lachte mich entweder an oder aus, das wusste man bei ihm nie so genau.
Wahrscheinlich brüstete er sich gerade wieder einmal innerlich damit, was er doch für ein toller Kerl war und forderte von mir Anerkennung ein. Etwas, womit ich ihm nicht dienen konnte, denn auch das gehörte nicht zu meinen Aufgaben.
Statt ihn zu beachten, ließ ich meinen Blick weiter durch den Raum schweifen.
Pärchen, die zusammen aßen und lachten.
Geschäftsleute, die sich über den nächsten millionenschweren Deal stritten.
Hier war alles vertreten, was Rang und Namen hatte.
Manchmal vermisste ich es, mit einer Frau essen zu gehen. Ein romantischer Abend zu zweit war Jahre her.
Keyla kam von der Toilette zurück, wobei ich mich fragte, ob sie wohl nur dorthin gegangen war, um ein paar Minuten Ruhe vor dem Gesülze von Hudson zu haben. Ich könnte es ihr nicht verübeln.
Mittlerweile war ich schon nicht mehr verwundert darüber, als Hudson Viktor den Befehl erteilte, auf direktem Weg ins Penthouse zu fahren, statt Keyla erst nach Hause zu bringen. Sie würde also eine weitere Nacht bei ihm bleiben.
Es war nicht meine Baustelle.
Morgen früh würde ich an meinen Kollegen Steve übergeben und mir danach zwei schöne Tage zuhause machen.
Inklusive eines Stadionbesuchs mit meinem Bruder Adam, auf den ich mich wirklich freute.
Ich musste etwas anderes sehen als meinen Boss und all das hier.
Wenn Hudson doch nur gerne reisen würde. Doch statt sich von seinen Millionen ein schönes Leben zu machen, ging er lieber jeden Tag dem gleichen Trott nach.
Keine Urlaube auf einer Yacht oder an ungewöhnlichen Orten für mich.
Am Morgen der Übergabe sah ich Keyla nicht, wobei ich keine Ahnung hatte, ob sie schon nach Hause gegangen war oder sich noch fertig machte.
Ich verabschiedete mich mit einem Nicken von Steve, holte meine Tasche aus der Angestelltenwohnung und setzte mich ins Auto, auf direktem Weg zurück in meine kleine Single-Wohnung, in der ich mich wenigstens wohlfühlte.
Ich tauschte den Anzug gegen Jeans und T-Shirt und schwang mich vor die Spielekonsole. Ein Hobby, dem ich seit der Trennung von Britney nachging.
Irgendwie musste man die Tage ohne Gesellschaft ja rumkriegen.
Adam war noch arbeiten zu dieser Uhrzeit, genau wie meine Kumpels.
Vor mir lagen zwei freie Tage, bevor ich wieder zurück zu Hudson musste.
Zwei Tage, in denen ich mir immer die größte Mühe gab, nicht an diesen Vollidioten oder die Arbeit zu denken, nur wusste ich an diesem Wochenende bereits, dass es zum Scheitern verurteilt war. Nicht an Keyla zu denken war ein Ding der Unmöglichkeit.
Noch immer sah ich sie in diesem sündhaften knappen schwarzen Kleid vor mir und fragte mich, ob ihre Schenkel so weich waren, wie sie gewirkt hatten. Etwas, das ich wohl nie in Erfahrung bringen würde.
Vielleicht hatte sie in der letzten Nacht eingesehen, dass es einfach keinen Sinn hatte, sich mit Hudson zu umgeben und war gegangen.
Dann würde ich sie zwar nie wiedersehen, musste mir aber auch nicht vorstellen, wie dieses Ekelpaket sie anfasste, oder ihr Gott weiß was antat.
»Wieder eine Schicht bei Mister Wichtig überlebt, was?«, fragte Adam am Abend und nahm mich kurz in den Arm, während ich die Augen verdrehte. Mein Bruder war ein bisschen kleiner als ich, was bei meinen einmeterneunzig wenig überraschte.
Ansonsten sahen wir uns wirklich ähnlich. Die gleichen dunklen Haare, die gleichen leuchtenden Augen. Nur dass Adam eher der schmächtige Typ war und bei Weitem nicht so muskelbepackt wie ich.
Kein Wunder, kam es in seinem Job als Banker auch nicht auf die körperliche Fitness an.
Anders als bei mir ... oder zumindest anders als ursprünglich von mir geplant.
Für die Stunde joggen mit Hudson in der Woche brauchte ich definitiv weder diese herausragende Fitness noch meine Muskelberge.