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Der Präsident des Kings of Retribution MC, Jake Delane, hat sich seiner Familie und dem Wachstum seines Clubs verschrieben. Obwohl er sieht, wie seine Clubbrüder nach und nach die Liebe ihres Lebens finden, glaubt Jake, dass er sich nach dem Tod seiner Frau nie wieder verlieben kann. Doch alles ändert sich, als eine atemberaubende und feurige Rothaarige namens Grace eine Bäckerei in seiner Stadt aufmacht. Nicht nur das Gebäck findet Jake unwiderstehlich, sondern auch die Bäckerin. Jake setzt alles daran, ihr Herz zu gewinnen, und seine Liebe zu ihr wird zu seinem Lebenselixier. Grace ist vor ihrer Vergangenheit geflohen und hat Zuflucht in der Kleinstadt Polson gesucht. Sie hätte nie erwartet, dass sie sich in den Präsidenten des örtlichen MC verlieben würde. Mit der Zeit erkennt sie, dass sie ihre Geheimnisse verbergen muss, um die wichtigste Person in ihrem Leben zu schützen. Als ihre Vergangenheit sie einholt, trifft Grace die schwierigste Entscheidung ihres Lebens und flieht. Jake macht es sich zur Aufgabe, Grace nach Hause zu holen, und sie um jeden Preis zu beschützen. Der fünfte Teil der Reihe rund um den Kings of Retribution Motorradclub entführt euch in eine Welt voller Leidenschaft, Action und unerwarteter Wendungen. Die USA Today-Bestsellerautorinnen Crystal Daniels und Sandy Alvarez erschaffen eine fesselnde Geschichte über die Macht der Liebe und die Stärke des Zusammenhalts. "Unbreakable" ist ein absolutes Muss für alle Fans von packenden Liebesromanen, die von starken Frauen und gefährlichen Männern erzählen.
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Seitenzahl: 368
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Sandy Alvarez & Crystal Daniels
Kings of Retribution MC Teil 5: Unbreakable
Aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragen von J.M. Meyer
© 2018 by Crystal Daniels & Sandy Alvarez unter dem Originaltitel „Unbreakable (Kings of Retribution MC Book 5)“
© 2023 der deutschsprachigen Ausgabe und Übersetzung by Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels
www.plaisirdamour.de
© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg
(www.art-for-your-book.de)
ISBN Print: 978-3-86495-636-2
ISBN eBook: 978-3-86495-637-9
Alle Rechte vorbehalten. Dieses Buch oder Ausschnitte davon dürfen ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Herausgebers nicht vervielfältigt oder in irgendeiner Weise verwendet werden, außer für kurze Zitate in einer Buchbesprechung.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Epilog
Autorinnen
Jake
Ich erwache aus dem Schlaf, rolle mich aus dem Bett und schlendere zu dem Stuhl, der in der Ecke meines Schlafzimmers steht, um meine Jeans anzuziehen, die ich erst vor ein paar Stunden ausgezogen habe. Ich brauche keinen Blick auf die Uhr zu werfen, um zu wissen, dass es noch verdammt früh am Tag ist. Seitdem sie weg ist, habe ich keine sechs Stunden mehr am Stück geschlafen. Grace ist vor sechs Monaten gegangen. Sechs Monate lang habe ich nichts weiter von ihr bekommen als eine simple Nachricht, in der sie mir mitteilte, dass sie nicht nach Polson zurückkommen wird. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass sie vor etwas davonläuft. Aber wovor? Glaube ich, dass unsere Annährung ihr Angst gemacht hat? Ja. Denke ich, dass das der wahre Grund ist, warum sie die Stadt verlassen hat? Nein.
Irgendwas Größeres geht in Grace vor, und ich gebe nicht auf, herauszufinden, wieso sie abgehauen ist, bis ich sie aufgespürt und nach Hause zurückgebracht habe. Ein weiterer Punkt, mit dem sich mein kleines Vögelchen abfinden muss, ist, dass sie mir gehört. Ich weiß mit absoluter Sicherheit, dass Grace mich genauso sehr will wie ich sie. Zwei Jahre lang habe ich ihr Zeit gelassen. Zwei Jahre, in denen sie sich an diesen Gedanken gewöhnen konnte. Wenn sie glaubt, dass ihr Weggang etwas an der Sache ändert, dann hat sie sich geschnitten. Es gibt nämlich eine Tatsache, die ihr bald klar werden wird: Ich bin ein überaus geduldiger Mann. Mir war vom ersten Moment klar, als ich Grace sah, dass ich am Arsch bin. Manche Leute mögen mich vielleicht für verrückt halten oder als Pussy bezeichnen, weil ich zwei Jahre lang auf eine Frau gewartet habe. Aber wenn es um ein anständiges Mädchen geht, um die richtige Frau, würde ein Mann alles tun, um sie für sich zu gewinnen. Abgesehen davon, bin ich bereits sechsundvierzig Jahre alt. Meine Tage der Jagd nach bedeutungslosen Muschis ist vorbei. Sicher, als ich noch ein dummer High School Schüler war, hatte ich eine Menge trivialer Ficks, und nachdem Lily verstorben war, machte ich eine verdammt harte Zeit durch. Ich versuchte, meinen Schmerz mit Clubhuren und Rumvögeln zu betäuben.
Wenn man in seinem Leben ein gewisses Alter erreicht hat, wird dieser Scheiß langweilig. Das, oder man trifft auf eine Frau, die in einem das Verlangen befeuert, mehr zu wollen. Als ich Grace’ Bäckerei betrat, wurde ich von der kleinsten, grazilsten Frau empfangen, die ich je gesehen hatte. Sie war knapp einen Meter einundsechzig groß und hatte wirre rote Locken. Ihre Haut, die mich sofort an Porzellan erinnerte, wurde nicht von Schminke übertüncht, und ich war sofort besessen von den niedlichen Sommersprossen auf ihrer Nase. Als sie mich mit ihren kristallblauen Augen ansah, kam es mir vor, als hätte mir jemand einen Schlag auf den Solarplexus verpasst.
Ich fühlte etwas, das ich seit dem Verlust meiner Ehefrau, Lily, nicht mehr gespürt hatte. Ich hätte mir selbst in meinen wildesten Träumen nicht ausmalen können, dass ich je für eine andere Frau etwas fühlen könnte, was ich seinerzeit für Lily empfunden hatte. Seit ihrem Tod vor fünfzehn Jahren war es mir mit keiner Frau mehr ernst gewesen … bis ich Grace traf. Schon fünf Minuten nach unserem Kennenlernen, spürte ich, dass ich sie mit Samthandschuhen anfassen muss. In der Nähe eines Mannes war sie nicht einfach bloß schüchtern, sondern ich konnte ihr ansehen, dass sie ihre Angst und den Schmerz zu verbergen versuchte. Ich wollte der Person, der dieser Frau etwas angetan hatte, umgehend eine Kugel in den Kopf jagen.
Nachdem ich in die Küche gegangen bin, nehme ich meinen Schlüssel vom Schlüsselbrett neben der Haustür und lege einen Schalter um, um die Außenbeleuchtung einzuschalten. Es ist erst drei Uhr am Morgen und dementsprechend düster draußen. Ich mache mich auf den Weg ins Freie und gehe in den Garten, um den Schuppen aufzusuchen. Ich wohne in einem der abgelegensten Teile von Polson. Die meisten meiner Brüder leben in der Nähe des Sees, ich jedoch nicht. Das nächstgelegene Grundstück ist ein paar Meilen entfernt. Hier draußen habe ich Ruhe und meinen Frieden, verdammt noch mal. Genauso, wie ich es mag. Ich fand dieses Haus vor etwa zehn Jahren. Der alte Mann, dem ich es abkaufte, hatte es noch nicht einmal ansatzweise fertiggestellt. Es bestand nur aus Wänden und einem Dach. Die Pläne, die er für dieses Blockhaus hatte, waren wunderschön, doch leider erkrankte seine Frau und ihm blieb keine Zeit, sie in die Tat umzusetzen, da er sie pflegen musste. Der alte Mann verlangte von mir nur das, was er bereits ausgegeben hatte. Das Angebot war zu gut, um es auszuschlagen. Ich verbrachte ein Jahr damit, es soweit herzurichten, dass ich einziehen konnte. Erst zwei Jahre später war das Haus komplett fertiggestellt.
Mein Heim, das über drei Schlafzimmer und zwei Bäder verfügt, ist mein Zufluchtsort. Wenn ich niemanden hierher einlade, bekomme ich auch keinen Besuch. Außer ab und an von Bären oder Kojoten. Meine Brüder nehmen keinen Anstoß an meiner Isolation. Von Zeit zu Zeit genieße ich eine Partynacht im Clubhaus oder ein gemeinsames BBQ. Allerdings weiß jeder, dass mir mein Haus heilig ist und dass ich es nicht teile. Wenn ich darüber nachdenke, mein Zuhause doch mit jemandem zu teilen, kommt mir nur eine Person in den Sinn. Grace.
Reid ist seit sechs Monaten auf der Suche nach Grace. Bisher vergebens. Grace Cohen scheint ein Geist zu sein. Was uns zu der Annahme führt, dass das wohl nicht ihr richtiger Name ist, und mein Bauchgefühl bestätigt, dass sie vor etwas oder vor jemandem davonläuft. Gestern hat Reid mich informiert, dass er noch über einen weiteren Kontakt verfügt, den er bis dato nicht genutzt hat, und nun einen Gefallen einfordern wird. Ich baue darauf, dass mein Bruder sie für mich findet. Reid ist der Beste in dem was er tut.
Ich öffne die Schuppentür, schalte das Licht ein und beleuchte somit den gut fünfzehn Quadratmeter großen Raum, in dem ich eins meiner wertvollsten Besitztümer aufbewahre: eine 1973er Harley Davidson XLCH Ironhead Hardtail. Sie gehörte einst meinem Dad. Vor vier Jahren trennte er sich schließlich von ihr. Fast ein ganzes Jahrzehnt hatte sie in seiner Garage gestanden. Dem sturen alten Mann war bewusst, dass er sie nicht mehr fahren und aufgrund seiner Arthritis auch nicht mehr an ihr herumschrauben kann. Genauso wie mein Dad wusste, dass ich sein Motorrad liebe. Ich würde mein linkes Ei darauf verwetten, dass der Mistkerl sie bloß so lange behielt, um mich zu ärgern. Ich liebe meinen alten Herrn. Wenn ich an diesen Arsch denke, muss ich grinsen. Ich habe leider noch nicht ganz so viel an der Harley geschraubt, wie ich es gern getan hätte. Aber in letzter Zeit, dank all der schlaflosen Nächte, finde ich immer öfter Zeit dafür. Wenn ich meine Hände beschäftigt halte, beruhigt das den Sturm in meinem Kopf und ich bleibe halbwegs bei klarem Verstand. Seitdem ich mich erinnern kann, habe ich schon an der Seite meines Vaters an Autos, Lastkraftwagen und Motorrädern herumgebastelt.
Meine frühste Erinnerung ist, wie wir uns, ich auf einem Hocker stehend gemeinsam mit meinem Dad in den Motorraum eines alten Fords hineinbeugen. Meine Eltern sind seit fünfzig Jahren miteinander verheiratet und noch viel länger ein Paar, das sich noch immer sehr liebt. Mein Vater war Mechaniker, und meine Mom Lehrerin. Als Einzelkind bin ich völlig normal aufgewachsen. Meine Eltern kämpften fünf Jahre darum, mit mir schwanger zu werden, und meine Mutter durchlebte eine höchst komplizierte Geburt, die es ihr unmöglich machte, weitere Kinder zu bekommen. Sie leben noch immer in dem Haus, in dem ich aufgewachsen bin, und sie sind ebenfalls weiterhin unabhängig. Ich rufe sie jeden Tag an und besuche sie mindestens drei bis viermal die Woche.
Meine Leidenschaft für das Herumschrauben habe ich von meinem Dad geerbt. Kings Customs, eine Autowerkstatt, war nicht immer Kings Customs. Mein Vater war jahrelang der Eigentümer. Als er den Laden übernahm, hieß er noch Delane’s. Mir war immer klar, dass ich die Werkstatt eines Tages übernehmen würde. Das College war nichts für mich. Deshalb meldeten mein Sandkastenfreund Bennett und ich uns direkt einen Tag nach dem Highschool-Abschluss bei der Armee.
Der Eintritt in die Armee war etwas, das ich schon seit Jahren in Erwägung gezogen hatte. Und obwohl meine Eltern deshalb ziemlich nervös waren, waren sie gleichzeitig unheimlich stolz auf mich und unterstützten mich. Meinem Land zu dienen, empfand ich als Berufung. Ich glaube nicht, dass Bennett genauso empfunden hat, aber er meinte, er würde mich nicht ohne ihn in den Krieg ziehen lassen. Da wir zusammen aufgewachsen sind, war es quasi in Stein gemeißelt, dass wir uns gemeinsam meldeten. Wir dienten acht Jahre lang, bevor wir uns dazu entschieden, dass die Zeit reif war, weiterzuziehen. Nachdem wir unseren Dienst abgeleistet hatten, versuchten Bennett und ich, eine Art Routine zu finden. Dad ließ uns in der Werkstatt arbeiten, und im Großen und Ganzen lebten wir uns recht gut in das normale Leben ein. Aber irgendwas fehlte, das spürten wir beide. Etwa ein Jahr, nachdem wir wieder zu Hause waren, änderten sich die Dinge. Ich erhielt einen Anruf von Sean, einem Kumpel, mit dem ich gedient hatte. Er und ein paar seiner Freunde befanden sich auf der Durchreise durch Montana und fragten, ob Bennett und ich uns mit ihnen treffen wollten. Am nächsten Tag kamen Sean und seine Kumpels auch schon mit ihren Bikes in die Stadt.
Im Laufe des Wochenendes erfuhr ich, dass einer seiner Jungs in einem MC großgeworden ist. Er erzählte uns, dass sich eine Gruppe von Veteranen zusammengetan hatte und dass die Gründung des Clubs für sie eine Möglichkeit darstellte, das zurückzubekommen, was ihnen am meisten fehlte … die Kameradschaft. Das war die Geburtsstunde der Kings, und ich wurde zu ihrem Präsidenten. Bennett war seinerzeit Sanitäter bei der Armee, und obwohl es ihm Spaß machte, mit mir in der Werkstatt zu arbeiten, erfüllte es ihn nicht. Also begannen er und seine Frau, Lisa, sich in der Gemeinde zu engagieren. Lisa leitete eine Suppenküche in der Stadt, und Bennett verbrachte die Tage damit, Obdachlosen medizinische Hilfe anzubieten. Nein, er ist kein ausgebildeter Arzt, aber er kann Menschen, die weniger Glück in ihrem Leben erfahren haben, notwenige Hilfe zukommen lassen. Er verfügt über Kontakte zum örtlich ansässigen Krankenhaus, das ihn mit der Versorgung von Materialien unter die Arme greift. All diese Dinge sehen die meisten Menschen in unserer Gemeinde nicht. Die Leute sehen eben, was sie sehen wollen. Sie sehen eine Biker-Gang.
Es kotzt mich an, wenn die Menschen voraussetzen, dass es bei MCs nur darum geht Gesetze zu brechen oder Regeln zu umgehen, aber das entspricht nicht der Wahrheit. Jedenfalls nicht bei den Kings.
Halten wir uns immer an das Gesetz? Nein. Leben wir nach unseren eigenen Regeln? Verdammt noch mal, ja. Wir brechen hin und wieder das Gesetz, und wir haben Dinge getan, auf die ich nicht stolz bin. Es gab Zeiten, in denen der Club vom rechten Weg abkam, weil wir zu besessen von Geld waren. Aber nachdem wir die Konsequenzen unserer Entscheidungen zu spüren bekommen hatten, tat ich alles in meiner Macht stehende, um dem Club eine neue Richtung aufzuzeigen. Mal abgesehen davon ist jeder meiner Männer ehrenhaft und würde sogar für einen Fremden sein letztes Hemd geben. Oder für die Menschen, die er liebt, sein Leben; mich eingeschlossen. Ich werde nicht lügen und behaupten, dass ich noch nie ein Leben ausgelöscht habe, denn das habe ich. Öfter als ich zählen kann – sowohl während meiner Zeit bei der Armee als auch danach. Aber ich sage euch eins: Ich habe noch nie jemandem eine Kugel verpasst, der es nicht verdient hatte. Ich habe keine Skrupel, diese Erde von Abschaum zu befreien. Ich bin voll und ganz darauf vorbereitet, meinem Schöpfer gegenüberzutreten, wenn meine Zeit gekommen ist, und für meine Sünden einzustehen.
Ich betrete den Schuppen und setze mich auf den Hocker neben meiner Harley. Ich kann es kaum erwarten, dass sie wieder läuft. Immer, wenn ich mir das Motorrad ansehe, stelle ich mir vor, wie ich damit die Straße entlang fahre. Mit Grace hinter mir, die ihre Arme um meine Taille schlingt. Bisher saß bloß eine Frau hinter mir auf dem Bike, und das war Lily.
Ich lernte Lily sechs Monate nach meinem Austritt aus der Armee kennen. An den Tag erinnere mich noch, als wäre er gestern gewesen. Ich arbeitete in der Werkstatt, draußen regnete es in Strömen. Die schönste Frau, die ich je gesehen hatte, kam zur Tür herein. Lily war von Kopf bis Fuß durchnässt. Ihr Auto war etwa eine Meile vom Laden entfernt liegen geblieben. Sie war circa eins sechsundsiebzig groß, hatte unglaubliche Kurven, langes braunes Haar und honigfarbene Augen. Zu ihrem Glück waren wir die einzige Werkstatt in der Stadt, die auch an einem Samstag geöffnet hatte. Alles, was diesem Tag folgte, ist Geschichte. Lily und ich wurden unzertrennlich. Wir verliebten uns ineinander und heirateten nur ein paar Monate nach dem Tag, an dem sie in mein Leben getreten war.
Sie war an meiner Seite, als ich den Club gründete. Wir besaßen kaum Geld. Jeden Cent, den ich angespart hatte, investierte ich in den Kauf eines Gebäudes, das heute unser Clubhaus ist. Wir hatten keine eigene Wohnung, also machten wir das Clubhaus zu unserem Zuhause. Nicht ein einziges Mal hatte Lily sich beschwert. Sie sagte, alles, was sie wolle, sei, mit mir zusammen zu sein. Solange wir einander hätten, wäre das genug für sie. Zwei Jahre nach der Gründung des Clubs erhielt die Werkstatt ihren ersten Auftrag für ein maßangefertigtes Motorrad. Einen zufriedenen Kunden später bekamen wir weitere Anfragen für Sonderanfertigungen.
Als Dad den Erfolg der Werkstatt sah, übergab er mir den Staffelstab, was die Geburtsstunde von Kings Customs war. Ein paar Monate später nahm unser Leben eine drastische Wendung, nachdem Lily einen Anruf erhielt. Ich war an ihrer Seite, als sie erfuhr, dass ihre Schwester, Rose, bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war. Wir zögerten nicht, Logan, ihren Sohn, bei uns aufzunehmen und großzuziehen. Ich stand Lilys Neffen ohnehin immer nah und mochte ihre Schwester. Meine Frau hatte sich mir irgendwann anvertraut und mir die Geschichte von Rose und Logans Dad erzählt.
Dann, dreieinhalb Jahre nach unserer Hochzeit, war ich abermals an ihrer Seite, als bei ihr Gebärmutterhalskrebs diagnostiziert wurde. Nie im Traum hätte ich daran gedacht, dass jemand, der noch so jung war, so etwas durchzustehen hatte. Ich verbrachte die besten vier Jahre meines Lebens mit Lily, ehe sie dem Krebs erlag. Die ganze Tortur begann schnell und unerwartet, aber bis zum Schluss stand ich ihr bei. Während ihrer letzten Tage musste ich Lily ein paar Dinge versprechen: Mich um ihren Neffen zu kümmern, ihn zu einem anständigen Mann zu erziehen und jemanden zu finden, mit dem ich mein Leben teilen kann. Punkt Nummer eins war ein Kinderspiel. Ich liebte Logan wie meinen eigenen Sohn, und es war mir eine Ehre, ihn großzuziehen. Allerdings konnte ich das letzte Versprechen nicht einlösen. Wie sollte ich einfach weitermachen? Ich liebte Lily mit allem, was ich hatte. Sie war die eine für mich. Ich würde nie dazu in der Lage sein, eine andere Frau zu finden, die mich genauso empfinden ließ, wie Lily dies vermochte. Zumindest glaubte ich das.
Wenn man seinen Ehepartner verliert, kommt einem das Weitermachen wie Tauziehen vor. Doch eines Tages triffst du auf jemanden und bumm. Diese Person löst plötzlich etwas in dir aus, was du schon ewig nicht mehr verspürt hast. Und wenn du merkst, was da vor sich geht, machen sich schleichend die Schuldgefühle in dir breit. Obwohl meine Frau nicht mehr da war, hatte ein kleiner Teil von mir das Gefühl, sie zu ersetzen. Ich öffnete mein Herz einer anderen Frau, die mich auf eine Weise fühlen ließ, wie nur Lily dies konnte. Dann, eines Tages, wurde mir bewusst, dass Grace keine bessere Frau als Lily ist, sondern einfach nur anders war.
Würden meine Empfindungen für Grace die Gefühle, die ich noch immer für meine verstorbene Frau hegte und noch habe, verdrängen? Nein. Ich muss an die Worte zurückdenken, die Lily mir zuflüsterte, bevor sie ging. „Verschwende keinen Moment deines kostbaren Lebens oder die Liebe, die du zu geben hast. Finde jemanden, mit dem du sie teilen kannst, und wenn du die richtige Frau gefunden hast, will ich, dass du sie mit allem, was du hast, festhältst. Du hast meinen Segen. Ich möchte, dass du glücklich bist, Jake.“ In der Minute, in der ich beschloss, dass Grace mir gehörte, erinnerte ich mich daran zurück, dass Lily mir bereits vor Jahren ihren Segen gegeben hatte. Ich hatte mein Versprechen, Logan aufzuziehen, erfüllt, und sobald ich meine Frau gefunden hatte, würde ich auch das Zweite wahrmachen.
Als ich an neulich Nacht zurückdenke, umspielt ein Lächeln meine Lippen. Der Club hatte eine Party im Clubhaus veranstaltet, um Breannas Adoption zu feiern. Ich bin verdammt stolz auf den Mann, der aus Logan geworden ist. Ich würde gern behaupten, dass das allein mein Verdienst ist, doch dem ist nicht so. Seine Ehefrau, Bella, hat einen großen Anteil daran. Ich bin mir sicher, dass sowohl seine Mutter als auch seine Tante mächtig stolz auf ihn wären. Es fließt zwar nicht mein Blut durch seine Adern, aber trotzdem ist er mein Sohn. Ich habe immer auf eigene Kinder gehofft, doch je älter ich wurde, desto mehr schwand die Chance. Ich betrachte Gabriel, Reid, Quinn, Logan und all die anderen jungen Männer im Club als meine Söhne. Mit jedem verbindet mich eine eigene Geschichte. Ich liebe sie, als wären sie mein Fleisch und Blut, und ich würde mein Leben für meine Jungs geben. Gott hat mich vielleicht nicht mit eigenen Kindern gesegnet, aber er hat mir meine Jungs geschenkt. Meine Brüder. Meinen Club. Für diese Männer verkörpere ich eine Vaterfigur, bin ihr Bruder, und ihr Präsident.
Als ich meinen Blick von der Harley loseisen kann, sehe ich, dass die Sonne über den Bergen aufzugehen beginnt. Meine Armbanduhr verrät mir, dass es mittlerweile sechs Uhr ist. Ich befördere den Schraubenschlüssel zurück in den Werkzeugkasten zu meiner Linken, stehe auf und hole einen Lappen aus meiner Gesäßtasche, um mir das Fett von den schwieligen Fingern zu wischen. Dann verlasse ich den Schuppen, ziehe die doppelflügelige Tür hinter mir zu und sichere sie mit einem Vorhängeschloss.
Ein Piepton erklingt, der mich auf eine eingehende Nachricht aufmerksam macht. Ich hole das Handy aus meiner Hosentasche und öffne die Mitteilung, die Reid mir geschrieben hat.
Reid: Logan und ich warten um Clubhaus auf dich.
Ich: Bin schon auf dem Weg.
Ich hoffe, er konnte endlich herausfinden, wo meine Frau steckt.
Grace
Ich wische mir erst mit dem Handrücken die Schweißperlen von der Stirn, dann fahre ich damit fort, mit einem Lappen die Tische abzuputzen. Ich beuge mich vor und nehme die drei Dollar Trinkgeld an mich, die der letzte Gast unter dem Salzstreuer deponiert hat, und lasse sie in der Tasche meiner Schürze verschwinden. Der einzige Ort, an dem ich in dieser winzigen Stadt in North Dakota Arbeit finden konnte, war dieser kleine Truck-Stop-Diner, etwa zehn Meilen von der kanadischen Grenze entfernt. Heute leiste ich eine Doppelschicht ab. Tracie, eine junge Mom von zwei Kindern, rief an, als ich gegen Mittag Feierabend machen wollte, weil ihre Jungs krank sind. Da ich das zusätzliche Geld gut gebrauchen kann, erklärte ich mich dazu bereit, ihre Schicht zu übernehmen.
Janet, meine Chefin, kommt hinter dem Tresen hervor und hilft mit, in dem sie die Salzstreuer wieder auffüllt. „Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass du bis zum Abend geblieben bist, Grace“, sagt sie und lässt ihren Worten einen erschöpften Atemzug folgen.
„Kein Problem, Janet. Um ehrlich zu sein, ich kann das zusätzliche Geld sehr gut gebrauchen“, gestehe ich ihr.
„Ich wünschte, ich könnte dir mehr Stunden anbieten, aber seit die Fabrik unten an der Straße geschlossen wurde, sind mir Einnahmen flöten gegangen“, erklärt sie mir mit besorgter Stimme.
Ich war gut eine Woche in der Stadt, ehe ich mich dazu entschied, noch eine Weile länger hierzubleiben. Zumindest so lange, um noch etwas Geld anzusparen und bis ich mich dazu entschlossen hatte, was ich als Nächstes machen möchte. Wie dem auch sei, Janets Diner war das letzte Lokal in der Stadt, in dem ich noch nicht nach einem Job gefragt hatte. Sie hat nicht unrecht, wenn sie sagt, dass sie mir nicht mehr Stunden geben kann. An einem durchschnittlichen Tag kommen bestenfalls ein paar Dutzend Gäste her, um etwas zu essen. Der Großteil der Kunden sind Trucker auf der Durchreise nach Kanada. Ich vermute, dass sie mir den Job bloß gegeben hat, weil sie Mitleid mit mir hatte. Nachdem sie mir so höflich wie nur eben möglich mitgeteilt hatte, dass sie kein Personal einstellt, saß ich zwei Stunden lang an einem der Tische und stocherte in meinem Essen herum. Währenddessen überlegte ich mir, in welche Stadt ich als nächstes weiterziehen sollte. Bevor ich aufstand, um wieder zu gehen, kam Janet zu mir und bot mir widererwartend doch einen Job an. Gleich am nächsten Tag trat ich zur Arbeit an.
„Ich bin dir mehr als dankbar für die Stunden, die ich habe, Janet. Kein Grund, sich bei mir zu entschuldigen.“ Ich werfe den Lappen auf die Theke und lege die Schürze ab.
„Bist du startklar?“, erkundigt sie sich, während sie ihre Tasche schultert und mit dem Schlüsselbund in ihrer Hand klimpert.
Mein Auto hat heute Vormittag auf dem Weg hierher den Geist aufgegeben. Der Motor begann zu stottern und verreckte. Ich bin sicher, dass das monatelange Ignorieren der Motorkontrollleuchte nicht gerade förderlich war. Mein KFZ-Fachwissen beschränkt sich auf die Kontrolle des Ölstands und dem Reifenwechsel. Tja, die Reparatur wird wohl so lange auf sich warten müssen, bis ich etwas Geld gespart habe. Bis dahin hat Janet mir angeboten, mich nach Hause zu fahren. Und Ben, der Koch, hat sich bereit erklärt, den Wagen am Wochenende in die Werkstatt abzuschleppen.
„Mehr als startklar.“ Ich gähne.
Draußen angekommen, sehe ich Janet dabei zu, wie sie die Eingangstür abschließt, bevor wir in ihren alten, verrosteten Truck einsteigen. Es ist ein Wagen mit Schaltgetriebe. Eigentlich sollte jeder lernen, wie man so ein Auto fährt, aber bei mir war das leider nie der Fall. Da ich in der Stadt großgeworden bin, bin ich entweder zu Fuß unterwegs gewesen oder mit dem Zug oder dem Bus gefahren.
„Vielen Dank, dass du mich mitnimmst, Janet. Hoffentlich kann sich in der kommenden Woche jemand mein Auto ansehen. Ich hoffe, dass nur eine kleine Reparatur notwendig ist“, sage ich zu ihr.
Mein Handy vibriert in der Hosentasche meiner Jeans. Ich hole es heraus und streiche mit dem Finger über das Display, um die eingegangene Nachricht zu lesen. Ich lächle.
„Wenn es dir nichts ausmacht, morgen eine Stunde früher anzufangen, kann ich dich abholen kommen. Ich bin mir sicher, dass wir bis zu deinem Schichtende eine Rückfahrgelegenheit für dich finden werden“, meint sie, während sie ihren Wagen vor der einzigen Ampel in dieser Stadt zum Stehen bringt.
„Das macht mir überhaupt nichts aus“, entgegne ich. Ich greife in meine Handtasche und hole mein Schlüsselbund heraus, da Janet mittlerweile auf den kleinen Parkplatz vor meiner Doppelhaushälfte aufgebogen ist. Neben mir wohnt ein Mann.
„Alles klar, Süße, dann sehen wir uns morgen früh. Mach’s gut und ruh dich aus.“ Sie schenkt mir ein warmherziges Lächeln.
Nachdem ich die Wagentür geöffnet habe, steige ich aus. „Gute Nacht, Janet, und danke nochmal.“ Ich schließe die Tür, schaue sie über meine Schulter hinweg an und schenke ihr ein letztes Lächeln. Nachdem ich meine Haustür aufgeschlossen habe, winke ich ihr zu. Sie wartet mit dem Wegfahren, bis ich ins Haus gegangen bin. Erst dann höre ich die Reifen über den Schotter knirschen.
Hundemüde kicke ich mir direkt neben der Tür die Schuhe von den Füßen und lasse sie, wo auch immer sie landen, liegen. Meine Handtasche lege ich auf den Tisch in der Nähe des Fensters. Ganz versessen darauf, ein heißes Bad zu nehmen, gehe ich den Flur entlang und beginne schon mal damit, meine Klamotten loszuwerden. Ich schalte das schummrige Licht über dem Waschbecken ein und werfe mein Shirt in den Wäschekorb. Bevor ich mir ein Honigmilch-Schaumbad einlasse, drehe ich den Wasserhahn auf, damit die Wanne volllaufen kann. Das ist der einzige Luxus, den ich mir gönne. Ich greife hinter meinen Rücken, öffne den BH und stoße einen zufriedenen Seufzer aus. Meine Mädels aus ihrem Gefängnis zu befreien, ist das beste Gefühl der Welt. Nachdem ich auch die Jeans losgeworden bin, befördere ich sie zum Rest meiner Kleidung in den Wäschekorb und steige in die Badewanne. In dem Moment, in dem ich in das warme Wasser eintauche und den Duft von Honig rieche, entspannen sich augenblicklich meine Muskeln. Ich gönne mir ein paar Minuten, um wegzudriften. Ich schlafe nicht ein, sondern meditiere. Verschaffe mir einen freien Geist. Diese Entspannungsmethode hat man mir vor langer Zeit beigebracht. Meine innere Mitte zu finden und zu meditieren, hat mir dabei geholfen, geistige Hürden zu meistern. Außerdem kann ich mich dadurch besser konzentrieren.
Die Stille, die mich umgibt, wird abrupt durch ein Klopfen an der Haustür durchbrochen. In der Annahme, dass es vermutlich mein Nachbar ist, der mir mehr als deutlich klargemacht hat, dass er mich mag, ignoriere ich das Geräusch. Es ist leider nun mal nicht so, dass er ein gutaussehender Mann ist. Das ist er nämlich nicht. Ein weiteres Klopfen an der Tür lässt mich aufseufzen, und ich gebe den Versuch auf, den Rest des Abends in der Badewanne zu genießen.
Ich steige aus der Wanne, trockne mich schnell ab, ziehe mir meinen Bademantel an und binde das Band, das den Mantel zusammenhält, fest um meine Taille. Ehe ich den kurzen Korridor entlang gehen kann, klopft es erneut. Diesmal allerdings etwas lauter als zuvor. Ich bin irritiert. Normalerweise bin ich nicht auf Konfrontationen aus, doch es liegt eine Doppelschicht hinter mir. Ich war den ganzen Tag auf den Beinen, und musste mich mit vielen Männern herumplagen. Das alles lässt mich vergessen, dass ich niemals die Tür öffnen sollte, ohne vorher durch den Spion geblickt oder die Person auf der anderen Seite dazu aufgefordert zu haben, sich verbal anzukündigen. Ohne groß darüber nachzudenken, öffne ich die Haustür. Ich bin geschockt, als ich der Person gegenüberstehe, die mich gerade anstarrt: Detektive Finn O’Rourke.
„Wieso bist du hier?“
Er stützt eine Hand im Türrahmen ab, die andere stemmt er in seine Hüfte. Er füllt meinen Eingangsbereich mit seinem Körper vollständig aus. Sein Blick ist auf mich gerichtet und er öffnet den Mund. „Anna, was tust du?“
Was tust du? Warum zum Teufel fragt er mich das? Ich tue, was ich schon seit zwei Jahren mache: Mich verstecken. Überleben.
Ich starre ihn an und verschränke die Arme vor der Brust. „Nenn mich nicht Anna.“ Ich setze einen ernsten Blick auf und gebe mein Bestes, ihn mit diesem einzuschüchtern. Seinem kleinen Grinsen nach zu urteilen, misslingt das Vorhaben, ihn davon zu überzeugen, sich nicht mit mir anzulegen. Warum sollte das auch klappen? Im Vergleich zu Finn bin ich ein Winzling.
„Erstens“, sagt er und baut sich zu voller Größe vor mir auf. „Hast du diese verdammte Haustür geöffnet, ohne nachzusehen, wer auf der anderen Seite steht. Und zweitens bist du seit fast einem Monat untergetaucht. Ich mache mir Sorgen um dich. Also, lässt dich mich jetzt herein oder muss ich die ganze Nacht hier draußen herumstehen?“
Mir war klar, dass er irgendwann bei mir auf der Matte stehen würde. Ich trete zur Seite und gebe den Weg frei, um ihn hereinzulassen. Als dies geschehen ist, ziehe ich die Tür hinter ihm zu und schließe sie ab. Unterdessen hat er bereits auf der Couch Platz genommen.
Sein Blick ist nun etwas sanfter. „Jetzt mal im Ernst, Grace, warum? Hilf mir zu verstehen, warum du aus Polson abgehauen bist.“
Soll ich ihm die Wahrheit sagen? Verdammt, will ich die Wahrheit überhaupt selbst ausgesprochen hören? Ich vergrabe mein Gesicht in meinen Handflächen. Mein Leben ist ein einziges Durcheinander. Und das schon seit Jahren. Vor etwas mehr als zwei Jahren hat Finn mir dabei geholfen, meiner Beziehung zu entkommen, in der ich misshandelt wurde. Wenn ich sage, dass ich glaube, dass ich ohne ihn heute nicht mehr am Leben wäre, ist das nicht übertrieben. Der Mann, in den ich mich vor vielen Jahren verliebt hatte, entpuppte sich als ein Monster, das man nur aus Albträumen kennt. Eines Abends schlug Ronan so heftig auf mich ein, dass ihm keine andere Wahl mehr blieb, als mich ins Krankenhaus zu bringen. Natürlich log ich für ihn. Ich habe immer gelogen und dafür gesorgt, die Wahrheit zu vertuschen.
O’Rourke war in jener Nacht gekommen, um meine Falschaussage aufzunehmen. Er durchschaute mich. Er spürte, dass ich etwas verheimlichte. Irgendwie war es ihm gelungen, sich Zutritt zu meinem Zimmer zu verschaffen, nachdem Ronan gegangen war. Finn redete auf mich ein. Er meinte, ich könne ihm vertrauen. Ich weiß nicht mehr, was mich dazu bewegt hat, ihm Glauben zu schenken, aber ich tat es. Endlich war jemand dazu bereit, mir zu helfen, mein Überleben zu sichern. Also nahm ich seine Hilfe an. Ich schenkte ihm mein Vertrauen. Ich setzte meine gesamte Zuversicht in einen Mann, den ich überhaupt nicht kannte. Bevor man mich ein paar Tage später wieder aus dem Krankenhaus entließ, hatte er bereits alles arrangiert, um mir beim Verschwinden zu helfen: Geld, eine neue Identität, sogar ein Auto.
Trotzdem war Ronan, rechtlich gesehen, noch immer mein Ehemann. Dass ich ihn verlassen hatte, gefiel ihm überhaupt nicht. Er machte Jagd auf mich, und ich wurde zu seiner Beute. Ständig in Angst leben zu müssen, ist kein Leben. Ich war viel länger in Polson geblieben, als ich das geplant hatte. Viel länger als irgendwo anders. Irgendwie hat er immer Wind von meinem Aufenthaltsort bekommen, und Finn half mir dabei, einen neuen Unterschlupf zu finden.
In Polson war alles anders als zuvor. Irgendwann glaubte ich nämlich, dass er die Suche nach mir aufgegeben haben könnte. Dass er einfach resigniert hatte. Ich habe es so satt, wegzulaufen. Ich bin es leid, dass mein Leben eine einzige Lüge ist. Mich von Menschen trennen zu müssen, die mir ans Herz gewachsen sind. Ich spreche mir immer Mut zu, indem ich mir vorbete, dass ich stark bin. Reiß dich zusammen. Du darfst nicht nur an dich denken. Bring Opfer, um euch zu schützen.
Zitternd atme ich aus und versuche, meine Emotionen wieder unter Kontrolle zu bringen. „Ich habe mir erlaubt, den Menschen näher zu kommen“, gestehe ich ihm.
„Du willst wohl sagen, dass du Jake Delane nähergekommen bist“, hält Finn dagegen.
Ich hebe den Kopf und starre ihn ausdruckslos an, was er jedoch sofort durchschaut. Ich bin aber nicht bereit dazu, ihm noch mehr zu offenbaren. Wieso auch? Nichts davon ist heute noch von Bedeutung. Ich bin gegangen und werde nie wieder zurückkehren.
„Verkauf mich nicht für dumm. Ich habe Polson für dich ausgewählt, weil ich glaubte, die Stadt wäre sicher, um Wurzeln zu schlagen, Grace. Jake und seine Jungs sind gute Kerle. Wenn du mit ihnen zusammen bist, weiß ich, dass du in Sicherheit bist“, versucht er mich zu überzeugen.
Ich schüttle den Kopf. „Das spielt keine Rolle mehr, Finn. Solange er noch da draußen ist und nicht hinter Gittern sitzt, werde ich mich niemals sicher fühlen. Ich werde nie das Gefühl haben, ein ganz normales Leben führen zu können.“
„De Burca steht ganz knapp davor, einen Fehler zu machen. Das spüre ich. Er wird es tun, und wenn es so weit ist, werde ich zur Stelle sein, um ihn zu Fall zu bringen. Ich weiß, dass dein Zustand schon sehr lange andauert, Grace. Viel zu lange. In jener Nacht vor ein paar Jahren habe ich dir ein Versprechen gegeben. Und ich werde es einhalten. Nachdem meine Schwester Allie ihr Leben durch häusliche Gewalt verloren hat, schwor ich mir, Monster wie deinen Mann zu jagen, in den Knast zu befördern und den Frauen zu einem Neuanfang zu verhelfen. Ich habe noch nie jemanden aufgegeben, dem ich geholfen habe, und deshalb werde ich auch dich nicht im Stich lassen“, erwidert er überzeugt.
Ich glaube ihm ja. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob meine Kraft reicht, um so lange durchzuhalten. Meine Augen füllen sich mit Tränen, woraufhin seine Gesichtszüge weicher werden.
„Lass das bleiben. Gib nicht auf. Ich sehe es in deinen Augen. Du bist stark.“ Finn zieht mich an seine Seite und versucht, mir Trost zu spenden.
Ich hasse es, mich schwach zu fühlen. Es verlassen sich Menschen darauf, dass ich meinen Scheiß geregelt bekomme. Ich schließe die Augen und bin bemüht, meine Atmung wieder unter Kontrolle zu bringen.
„So ist es gut. Konzentriere dich. Schöpfe Kraft aus deinem Inneren. Sie ist in dir. Denk an die Menschen, die dir am meisten bedeuten, Grace“, sagt Finn, ehe er etwas von mir abrückt und mich anschaut. „Ich verspreche es dir. Wir kriegen ihn dran.“ Er küsst mich auf die Stirn.
Finn ist ein guter Kerl. Einer der besten, denen ich je begegnet bin. Er ist der große, beschützerische Bruder, den ich leider nie hatte. Ich kann nicht sagen, wie vielen Frauen er im Laufe der Jahre geholfen hat, aber die Zahl ist ohnehin irrelevant. Ich habe das Gefühl, dass er sich mit Hingabe um uns alle kümmert. Ich glaube, er sieht in jeder von uns ein stückweit seine kleine Schwester. Er hat mir dabei geholfen, am Leben zu bleiben und mich unterstützt, einen Neuanfang zu wagen. Der Fall seiner Schwester war tragisch und gewalttätig. Jedoch ist es seine Geschichte. Er tut all das, was er nun mal tut, für sie und sich selbst, und ich weiß, dass ich ihm auf ewig zu Dank verpflichtet bin. Finn wird immer fester Bestandteil meines Lebens sein, auch wenn sich der Schlamassel, in dem ich gerade stecke, wieder gelichtet hat.
„Es ist schon spät. Warum schläfst du nicht ein bisschen, bevor du wieder fährst?“, frage ich ihn, da mir klar ist, dass eine lange Wegstrecke hinter ihm liegt. Ebenso bin ich mir sicher, dass er sie mit dem Auto zurückgelegt hat.
„Es wäre klasse, wenn ich deine Couch in Beschlag nehmen und vorher einen Happen zu essen bekommen könnte. Allerdings muss ich sehr früh wieder raus. Ich will nicht, dass mich jemand von hier wegfahren sieht“, erklärt er mir, als ich schon vom Sofa aufgesprungen bin und mich auf den Weg zum Kühlschrank mache.
„Ich habe noch etwas von dem Hackbraten übrig. Daraus könnte ich Sandwiches machen.“
„Das wäre toll.“
Erstaunlicherweise thematisiert er nicht länger Polson und Jake, wofür ich ihm unheimlich dankbar bin. Stattdessen sitzen wir einfach nur da und essen gemeinsam.
„Ich habe mich heute Vormittag mit Glory getroffen. Es ist alles in bester Ordnung.“ Er greift in seine Hosentasche, holt ein Handy heraus und reicht es mir. „Ihr habe ich ebenfalls ein Neues besorgt. Ruf sie mit diesem Telefon an und gib mir dein Altes, damit ich es entsorgen kann.“ Er streckt mir eine Hand entgegen und wartet darauf, dass ich ihm meins gebe.
Ich stehe auf, gehe in Richtung Haustür, hole mein Mobiltelefon aus der Handtasche, kehre zu ihm zurück und übergebe es ihm. „Ich werde mich ins Schlafzimmer zurückziehen und sie anrufen. Gib mir ein paar Minuten. Anschließend bringe ich dir eine Decke und Kissen“, informiere ich ihn und lasse ihn zurück.
Nachdem ich meinen Anruf getätigt habe, hole ich eine Decke aus dem Schrank und nehme eins meiner beiden Kissen vom Bett. Als ich in das Wohnzimmer zurückkehre, liegt Finn bereits schnarchend auf der Couch. Sein Anblick ist irgendwie lustig, da er zusammengekauert auf dem viel zu winzigen Sofa liegt. Finn ist weit über einen Meter achtzig groß, hat rötlich braunes Haar und graue Augen. Er ist ziemlich durchtrainiert. Nicht übermäßig muskulös, aber sportlich genug, dass man dies sieht, egal, welche Klamotten er trägt. Soweit ich weiß, ist er praktisch im Boxring großgeworden. Sein Vater war Boxer, ebenso wie sein Großvater. Doch statt den gleichen Karriereweg einzuschlagen, ging er in die Strafverfolgung.
Ich breite die Decke über ihm aus uns schiebe das Kissen zwischen seinen Körper und die Rückenlehne der Couch, damit er es sich, wenn er will, später nehmen kann. Dann vergewissere ich mich, dass die Haustür wirklich abgeschlossen ist, und schalte die Lichter aus. Nur die Lampe über dem Herd lasse ich brennen. Da Finn im Nebenraum schläft, werde ich heute von einem Gefühl der Sicherheit erfüllt. Dementsprechend dauert es nicht lange, bis auch ich in den Schlaf finde.
Als ich am nächsten Morgen ins Wohnzimmer gehe, sitzt Finn bereits auf der Couch. Seine Ellenbogen hat er auf die Knie gestützt, in seiner Hand hält er eine Kaffeetasse. Es ist recht früh am Morgen, die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Da ich wusste, dass er vor Tagesanbruch wieder abreisen möchte, habe ich mir extra den Wecker gestellt, um ein paar Stunden früher als gewöhnlich aus den Federn zu kommen.
„Ich habe Kaffee gekocht und für dich sogar etwas übrig gelassen.“ Er deutet mit seiner Tasse in Richtung Küche.
Mit meinen müden Füßen schlurfe ich über den Boden, schenke mir einen Becher Kaffee ein, kehre zu ihm zurück und setze mich neben ihn.
„Ich möchte, dass du zurückgehst“, sagt er unverblümt.
„Ich kann nicht“, lautet meine Antwort. Meine Hände wärme ich an der Tasse.
„Dann werde ich mich wohl auf den Weg nach Polson machen müssen, um sicherzustellen, dass du keine Spuren hinterlassen hast. Nur für den Fall der Fälle.“ Finn stellt seine Tasse auf dem Tisch ab und zieht sich seine Schuhe an.
„Ich habe mich mehrfach vergewissert, dass ich nichts zurückgelassen habe. Und nein, ich werde nicht dorthin zurückkehren.“ Ich rolle meinen Kopf umher, um die Verspannungen in meinem Nacken zu lösen.
Finn, der genau weiß, dass es an meiner Entscheidung nichts zu rütteln gibt, stößt einen schweren Seufzer aus, legt seine Hände auf seine Oberschenkel und steht auf. Sein Handy und das Portemonnaie verstaut er in seiner Hosentasche.
„Ich weiß, dass das schwer ist, aber ich bitte dich, nur dieses eine Mal deinem Herzen zu vertrauen. Nicht jeder Mann ist wie Ronan. Ich glaube, du weißt, dass Jake anders ist. Vertrau darauf.“ Er zieht sich sein Sakko über, packt mich anschließend bei den Schultern und zieht mich in eine Umarmung.
Ich habe keine Ahnung, was ich darauf erwidern soll. Also drücke ich ihn einfach nur zurück.
„Ich melde mich bald wieder bei dir. Bitte denk darüber nach, was ich soeben gesagt habe“, drängt er.
Jake
Auf dem Weg zum Clubhaus befahre ich die Hauptstraße, weshalb ich an Grace’ Bäckerei vorbeikomme. Als ich die erloschenen Lichter und das Schild mit der Aufschrift geschlossen vor der Tür hängen sehe, krampft sich mein Magen zusammen. Das Cookie Jar war während der letzten zwei Jahre meine allererste Anlaufstelle am Tag. Nur an einem Wochenende im Monat war die Bäckerei geschlossen. In den vergangenen zwei Jahren waren besagte Wochenenden die einzigen, an denen ich sie nicht gesehen habe. Die letzten sechs Monate haben mich fast umgebracht. Ich hoffe, dass Reid mir mehr zu ihrem Verbleib sagen kann. Zum Teufel, selbst irgendein Detail wäre der Hammer. Etwas, das uns einen Hinweis darauf gibt, warum sie einen falschen Namen benutzt oder was sie nach Polson verschlagen hat.
Nachdem ich das Clubhaus erreicht habe, sehe ich Logans und Reids Bike vor dem Eingang stehen. Ich parke neben ihnen. Kaum dass ich den Club betreten habe, schlägt mir der Geruch von abgestandenem Bier und kaltem Zigarettenqualm entgegen. Das Clubhaus ist das reinste Chaos. Als ich nach rechts blicke, sehe ich Liz und Sean auf dem Sofa liegen. Mir kommt der Gedanke in den Sinn, dass es gestern noch wild zur Sache gegangen sein muss, nachdem ich gegangen bin. Das Zuschlagen der Eingangstür weckt die beiden auf. „Mach verdammt noch mal sauber“, blaffe ich Liz an.
Normalerweise würde sich einer unserer Prospects um den Scheiß kümmern, aber da wir aktuell nur einen Anwärter haben, hat sie das große Vergnügen, hier Klarschiff machen zu dürfen. Die Tatsache, dass ich die Schlampe nicht ausstehen kann, könnte auch etwas damit zu tun haben. Früher habe ich Liz toleriert, aber nach der Scheißaktion von ihr und Cassie vor ein paar Jahren, hat alles einen bitteren Beigeschmack, was sie betrifft. Nur wegen Sean, und ein paar anderer Fürsprecher, darf sie noch bleiben. Ich warte jedoch darauf, dass sie einen Fehler macht und mir einen Anlass liefert, sie rauszuschmeißen. Die Tage der Hure sind gezählt. Liz ist eine hinterhältige Person, und ich traue ihr keinen Meter über den Weg. Oh, und sie glaubt, sie könne einige meiner Brüder zum Narren halten. Außerdem denkt sie, ihre Möse sei die einzig Wahre. Doch die Schlampe irrt sich gewaltig. Sie hat sich hier noch keinen Zacken aus der Krone gebrochen. Unsere neuen Mädchen, Raine und Ember, sind die besten Clubdamen, die wir seit Jahren hatten. Sie kümmern sich um meine Brüder, respektieren die Old Ladys und beschweren sich nie.
Brummend steigt Liz vom Sofa.
„Hast du ein verdammtes Problem? Wenn dir meine Anweisungen nicht passen, weißt du ja, wo die Tür ist“, motze ich weiter, starre sie an und fordere das Miststück sozusagen heraus, etwas zu erwidern.
Sie presst die Lippen aufeinander und sieht zu Boden, während sie an mir vorbeihuscht, um genau das zu tun, was ich ihr befohlen habe. Cleverer Schachzug.
„Welche Laus ist dir denn schon am frühen Morgen über die Leber gelaufen, Prez?“, meldet sich Sean von der Couch aus zu Wort.
Er sieht aus wie der auferstandene Tod. Der Kerl ist so alt wie ich, benimmt sich aber wie ein verfluchter Fünfzehnjähriger. Er war noch nie verheiratet oder annähernd sesshaft in seinem Leben. Der Mann ist vollkommen zufrieden damit, seinen Schwanz in eine Clubhure nach der anderen zu stecken.
Ich schenke ihm meine Aufmerksamkeit. „Ich bin angepisst, weil ich hier hereinkomme und nichts weiter als einen Saustall vorfinde, der nach Müllkippe und Pisse stinkt. Wenn ihr Party machen und eine gute Zeit haben wollt, dann habt ihr meinen Segen. Aber räumt um Himmelswillen danach wieder auf. Hast du mich verstanden?“
Sean zieht die Augenbrauen in die Höhe und reißt abwehrend die Hände hoch, da er weiß, dass er mich besser nicht provozieren sollte, wenn ich mies drauf bin. „Jepp, Prez, ich hab’s kapiert.“