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Der Klimaaktivist Volker Renz, Mitgeschäftsführer einer weltweit agierenden Umweltschutzorganisation, reicht eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe ein. Die Beschwerde richtet sich gegen die Bundesregierung, die nicht genügend unternimmt, um die vermutete Klimakatastrophe abzuwenden. Er sieht sein Leben und das aller Bundesbürger in Gefahr. Das Grundgesetz aber garantiert dessen Unversehrtheit. Auch werden Gesetze, die den Schutz der Umwelt und ihren Erhalt für künftige Generationen garantieren, durch den laschen Klimaschutz missachtet. Eine Kammer des Bundesverfassungsgerichts hält die Beschwerde für zulässig und begründet. Diese Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Während die Klimaaktivisten in Sektlaune feiern, hecken Vertreter der Ölmultis einen teuflischen Plan aus. Die spektakuläre Aktion nimmt ein unerwartetes Ende.
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Seitenzahl: 218
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Der Klimaaktivist Volker Renz, Mitgeschäftsführer einer weltweit agierenden Umweltschutzorganisation, reicht eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe ein. Die Beschwerde richtet sich gegen die Bundesregierung, die nicht genügend unternimmt, um die bevorstehende Klimakatastrophe abzuwenden. Er sieht sein Leben und das aller Bundesbürger in Gefahr. Das Grundgesetz aber garantiert dessen Unversehrtheit. Auch werden Gesetze, die den Schutz der Umwelt und ihren Erhalt für künftige Generationen garantieren, durch den laschen Klimaschutz missachtet.
Eine Kammer des Bundesverfassungsgerichts hält die Beschwerde für zulässig und begründet. Diese Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer.
Während die Klimaaktivisten in Sektlaune feiern, hecken Vertreter der Ölmultis einen teuflischen Plan aus.
Markus Palic, Jahrgang 1953, arbeitete nach dem Studium der elektrischen Energietechnik über drei Jahrzehnte in verschiedenen Bereichen und Positionen in der Energiebranche. Anfangs beim Badenwerk in Karlsruhe in der Leitungsplanung. Zuletzt als Geschäftsführer eines regionalen Energieversorgungsunternehmens. Gleichzeitig war er Lehrbeauftragter für das Fach „Energiewirtschaft in liberalisierten Energiemärkten“ an der Fachhochschule Aachen, Campus Jülich. Seit einem knappen Jahrzehnt lebt er wieder in Karlsruhe.
Nach zwei energiewirtschaftlichen Fachbüchern, zwei Kriminalromanen, die im Milieu der Energiewirtschaft spielen, und einem Schwarzwälder Historienkrimi, ist Klimakiller sein vierter Kriminalroman.
MARKUS PALIC
EIN UMWELTKRIMI
Die fiktive Handlung und die darin vorkommenden Unternehmen und Personen sind frei erfunden. Jegliche Übereinstimmung mit existierenden Firmen sowie lebenden, realen Personen ist rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Die deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter www.dnb.de abrufbar.
© 2020 Lauinger Verlag, Karlsruhe
Projektmanagement, Lektorat: Miriam Bengert
Umschlaggestaltung, Bildbearbeitung, Satz & Layout: Sonia Lauinger
Korrektorat: Elisa Klausmann, Sarah Sigle
Titelfotos: © Klaus Eppele, www.bildidee.net,
und aus dem Buch »Karlsruhe – Kaleidoskop einer Stadt«, Bundesverfassungsgericht / Generalbundesanwaltschaft S. 19 und Umspannwerk bei Durlach / Rheinhafen-Dampfkraftwerk S. 44/45, Lauinger Verlag
Druck: ARKA, Polen
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes (auch Fotokopien, Mikroverfilmung und Übersetzung) ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt auch ausdrücklich für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen jeder Art und von jedem Betreiber.
ISBN: 978-3-7650-2153-4
Dieser Titel erscheint auch als E-Book:
ISBN: 978-3-7650-2154-1
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»Die reinste Form des Wahnsinns ist es,alles beim Alten zu belassen und gleichzeitig zu hoffen,dass sich etwas ändert.«
Albert Einstein
BÖSES ERWACHEN
VOR SIEBZEHN MONATEN
VOR SECHZEHN MONATEN
VOR VIERZEHN MONATEN
KONSORTIUM
AUSKUNDSCHAFTEN
KLIMA
RÜCKZUG
DROHUNG
ZWISCHENBERICHT
RIB-EYE
GEFAHR
UMZUG
SCHUTZ
IM HOTEL
BERATUNG
ZWISCHENFALL
EINWEIHUNG
DRUCK
BEVORMUNDUNG
VERWIRRUNG
ÄRGER
TRÜGERISCHE NACHRICHT
PROTESTE
GEHEIMES TREFFEN
ABZUG
TRÜFFELSPAGHETTI
BESINNUNG
AUFKLÄRUNG
ROSSOS VERMÄCHTNIS
FAHNDUNG
DATEN
VERHANDLUNG
DODGE
VERFOLGUNG
DOPPELMORAL
ENTFÜHRUNG
AUSSPRACHE
BEFREIUNG
ERKENNUNG
ENTDECKUNG
VERKÜNDUNG
EPILOG
DANKE
WEITERE BÜCHER VON MARKUS PALIC
Als sie aufwachte, überkam sie eine heftige Übelkeit. Den beißenden Geruch des Betäubungsmittels spürte sie immer noch in der Nase. Eleonore Berger saß an Händen und Füßen gefesselt auf einem Stuhl in einem feuchten Sandsteingewölbekeller, in den fahles Licht durch vier schmale Kellerfenster hereinschimmerte. Ein Knebel steckte in ihrem Mund, der mit einem Klebstreifen an ihren Wangen befestigt war. Bloß nicht übergeben, dachte sie. Das könnte tödlich enden. Jetzt galt es, besonnen zu sein. Blitzschnell rekonstruierte sie, was geschehen sein musste. Sie erinnerte sich daran, wie die Außentür des Kellers mit einem Mal aufgesprungen war und sie daraufhin hastig mit dem Schlüssel am Schloss der Tür, die vom Keller in den Wohnraum führt, herumhantiert hatte, als sie von hinten ein kräftiger Arm umklammerte und ihr von einem üblen Geruch schwarz vor Augen geworden war. Danach: Filmriss.
Und jetzt dieser merkwürdige Keller, der muffig nach abgestandenen Spirituosen, nach Bier und kaltem Tabakrauch stank. Ein paar altmodische Kneipentische und unbequeme Holzstühle standen im Raum verteilt. In einer Ecke befand sich etwas, das saussah wie eine Bar mit Regalen an der Wand. Über dem Tresen hing eine Vitrine von der Decke, in der verschimmelte belegte Brötchen und Bretzeln lagen. Es war wohl eine verlassene Kneipe oder etwas Ähnliches. Dann erinnerte sie sich an das Telefonat mit Schätzle, der sie beruhigen wollte als sie realisierte hatte, dass sie im Begriff war entführt zu werden. Solche Dilettanten!
Von ihrem Peiniger war keine Spur. Er rechnete wohl nicht damit, dass sie so schnell wieder aufwachen würde.
Die Wand mit den Kellerfenstern grenzte an eine vielbefahrene Straße. Unentwegt donnerten schwere Lastwagen am Haus vorbei und verdunkelten den Raum für einige Augenblicke. Die Erschütterungen brachten die Gläser in den Wandregalen immer wieder leise zum Klirren. Hoffentlich gab es hier keine Mäuse oder gar Ratten, schoss es ihr durch den Kopf. Ein Wimmern entfuhr ihr, durch den Knebel in ihrem Mund.
Der Entführer hatte ihre Beine gefesselt, aber sie könnte sich mit dem Stuhl nach vorn beugen. Ihre Füße reichten bis zum Boden. Die Beine waren knapp unterhalb ihrer Knie mit breiten Kabelbindern am Stuhl festgezurrt. Ihre Hände hatte der Entführer hinten mit der Stuhllehne zusammengebunden. Der Strick schnitt ein und es schmerzte. Sie könnte hüpfen und sich im Raum bewegen. Aber was würde es nützen?
Dann fiel ihr Blick auf die Sandsteinmauer. Die raue Oberfläche der Steine. Daran könnte sie das Klebeband abschaben. Sie würde ihre Wangen dabei sicher verletzen. Das war aber allemal besser als das, was sie in ihrer Situation zu erwarten hatte.
Noch etwas benommen, aber fest entschlossen, beugte sie sich mit dem Stuhl leicht nach vorne. Der Gleichgewichtssinn spielte ihr einen Streich und sie wäre beinahe kopfüber gestürzt. Im letzten Augenblick ließ sie sich kraftvoll mit dem Stuhl zurückfallen. Mit einem lauten Krachen barst der Stuhl, und sie stürzte rücklings auf dessen Einzelteile. Das morsche Stück hatte die Aktion nicht überstanden und zerlegte sich unter der Wucht des Aufpralls. Der Rücken tat ihr höllisch weh. Das würde blaue Flecken geben.
Der gebrochene Teil der Lehne hatte so viel Spielraum gelassen, dass sie die Fesseln abstreifen konnte. Ihre Hände waren nun frei. Sie beugte ihren Oberkörper nach oben und winkelte die Beine an. Mit wenigen Handgriffen zog sie die Stuhlbeine aus den Beinfesseln und riss das widerspenstige Klebeband mit einem Ruck vom Mund. Das tat höllisch weh. Dann spuckte sie den Knebel aus und stand auf.
Das Smartphone. Sie betastete ihre Brust. Es war noch da. Was ein Glück, dachte sie, zog es unter ihrer Bluse hervor, wo sie es nach dem letzten Telefonat vor der Entführung von oben in den BH gesteckt hatte. Sie wählte die Nummer von Schätzle. Besetzt. Danach versuchte sie es bei ihrem Mann im Gericht.
»Was ist los, Eli?«, fragte er.
»Man hat mich entführt. Ich weiß nicht, wo ich bin. Lass die Polizei mein Handy orten. Und bitte beeil dich. Ich weiß nicht, wann der Entführer wiederkommt«, flüsterte sie mit zittriger Stimme und legte gleich wieder auf.
Eleonore lief dann zur Eingangstür, die einige Treppenstufen höher lag. Sie rüttelte einige Male an der verschlossenen Tür und gab schließlich auf.
Hinter dem Tresen sah sie die Umrisse einer weiteren Tür. Sie lief zu ihr und drückte die Klinke. Die Tür sprang auf. Dahinter lag ein fensterloser, düsterer Kellerraum mit Getränkevorräten. Sie tastete nach einem Lichtschalter und fand ihn neben der Tür. Eine trübe Funzel beleuchtete ihn kaum mehr als das Licht durch die offene Tür. Am anderen Ende der Kammer war eine weitere Tür. Doch diese ließ sich weder durch Drücken noch durch Ziehen öffnen. Sie saß nach wie vor in der Falle. Nur eine Chance gab es noch: In der Tür zum Lokal steckte ein Schlüssel. Sie verschloss die Tür, setzte sich im Vorratsraum auf eine Bierkiste und tippte auf ihrem Smartphone das Wiederholungssymbol für den letzten Anruf. Dann hob sie es ans Ohr und wartete. Kein Rufzeichen. Sie schaute auf das Display. Kein Netz.
Was sollte sie jetzt tun? Noch einmal in den Gastraum gehen und es dort versuchen? Oder lieber in der Vorratskammer bleiben und abwarten? Sie entschied sich dafür, in der Kammer abzuwarten, was geschehen würde. Wenn ihr Mann schnell gehandelt hatte, wäre die Ortung sicher erfolgreich, und die Polizei wäre in null Komma nichts da. Sie setzte sich erneut auf die Bierkiste und wartete. Und wartete. Die Minuten wurden zur Ewigkeit.
Dann hörte sie durch die verschlossene Tür, dass sich in der Gastwirtschaft etwas bewegte. Kalter Schweiß schoss ihr auf die Stirn und sie knipste den Lichtschalter vorsichtig aus. Sie fing an zu zittern. Er war wieder da.
»Das gibt’s doch nicht. Die kann doch nicht weg sein«, hörte sie eine laute Männerstimme schreien. Stühle und Tische wurden verrückt. Sobald er den kaputten Stuhl entdeckte, würde er sich einen Reim darauf machen, was passiert war. »Wo verdammt ist sie?« Sie konnte es so deutlich hören, als ob er neben ihr stünde. Dann hörte sie die Klinke der Tür zur Vorratskammer knacken. Jemand stemmte sich gegen sie. Aber sie gab nicht nach. Dann ein Stoß. Ein zweiter. Und noch einer, jetzt wuchtiger. Die Tür sprang auf und der große, breitschultrige Mann stand im Türrahmen. Er füllte ihn fast vollständig aus. Das trübe Licht im Hintergrund umstrahlte seine scherenschnittartige Silhouette wie durch eine Traumlinse. Sie starrte ihn einige Augenblicke lang an, konnte sein Gesicht aber nicht erkennen. Es musste der Mann sein, den sie mit ihrem Smartphone einige Stunden zuvor fotografiert hatte.
»Das klappt niemals«, sagte Tina Engler zu ihrem Geschäftsführerkollegen Volker Renz und beäugte ihn mitleidvoll. Beide standen im Flur des Berliner Büros von Actis e. V., in dem die deutsche Sektion der weltweit agierenden Umweltschutzorganisation ihren Sitz hatte.
Engler erinnerte mit ihren gewellten dunklen Haaren, dem ovalen Gesicht und den großen hellen Augen an die junge Ingrid Bergmann. Sie trug einen enganliegenden Hosenanzug, der ihre makellose Figur betonte. An den Ohrläppchen baumelten übergroße Ohrringe aus dickem Golddraht, die eine verschlungene Acht darstellten. Das Zeichen für Unendlichkeit. Sie verantwortete in der Sektion das Ressort »Marketing«.
Renz verkörperte den Vollblutprofi für Kommunikation und leitete das Ressort »Öffentlichkeitsarbeit«. Im tadellos sitzenden Anzug hätte der gutaussehende, stets verschmitzt lächelnde Enddreißiger auch Vorstandsvorsitzender eines Dax-Unternehmens sein können.
»Wieso nicht? Warum traust du mir das nicht zu?«, fragte Renz gereizt.
»Weil die so etwas schon zigmal abgeschmettert haben, die stecken doch alle unter einer Decke. Du wirst es erleben«, erwiderte sie.
»Ich finde, es ist in jedem Fall einen neuen Versuch wert. Die öffentliche Meinung hat sich in den letzten Jahren geändert. Die Deutschen werden immer umweltbewusster. Bionahrung, Bioklamotten, Energiesparen, spritsparende Autos, Elektroautos, alles im Trend. Das kann die Richter nicht unbeeinflusst lassen. Ich werde es auf jeden Fall noch einmal versuchen.«
»Versteh mich nicht falsch«, lenkte sie ein, »ich unterstütze dich, wo immer ich kann. Ich glaube nur nicht, dass die in Karlsruhe jemals umfallen.«
»Was meinst du mit umfallen? Das sind doch keine Politiker, die sich kaufen lassen. Oder glaubst du das etwa?« Renz runzelte die Stirn.
»Lass uns doch lieber militanter werden, damit die Bevölkerung endlich aufwacht«, provozierte Engler, ohne auf seine Frage einzugehen.
»Das bringt nur Ärger. Noch nie ist die Bevölkerung aufgewacht, wenn eine Gruppe militant wurde. Gleichgültig, für welche edlen Ziele sie kämpfte. Dafür gibt es dutzende von Beispielen aus der Vergangenheit. Du kannst gefühltes Unrecht nicht mit objektivem Unrecht bekämpfen. Wir müssen es so versuchen, müssen sie mit den eigenen Waffen schlagen«, desillusionierte Renz sie.
Nach einer kurzen Pause, in der sie sich nachdenklich ansahen, dann in Renz’ Büro schlenderten und sich am ovalen Besprechungstisch in Replikas von Charles-Eames-Chairs hineinfallen ließen, fuhr er fort.
»Ich habe mich mit den Emissionszahlen von Treibhausgasen in den letzten Jahren ausführlich beschäftigt«, sagte er bedächtig und wippte mit seiner Lehne nach hinten.
»Das Umweltministerium veröffentlicht sie jährlich auf’s Neue, mit überschäumendem Enthusiasmus.«
»Ja und?«, fragte sie.
»Nix und. Oberflächlich betrachtet sieht es gut aus. Der Ausstoß von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen ging in Deutschland von 1,2 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalenten im Referenzjahr 1990 auf etwas über 900 Millionen Tonnen im vergangenen Jahr zurück. Diese Statistik kennst du sicher. Möchtest du einen Kaffee?« Renz deutete auf das andere Ende des Besprechungstisches, auf dem eine Pumpkanne aus Edelstahl und einige bunte Tassen standen.
»Ja gerne. Das ist ein gutes Viertel weniger, was willst du also?«, fragte sie lakonisch, nachdem sie den Anteil von Kohlendioxid überschlagen hatte.
»Ich würde diese Fuzzis vom Ministerium am liebsten lynchen«, sagte Renz, während er zur Kaffeekanne ging und zwei Tassen füllte. Für sie schwarz, für sich mit Milch.
»Warum? Das klingt ziemlich unlogisch.«
»Da ist nichts unlogisch«, räusperte sich Renz, stellte die Tassen vor ihnen ab, setzte sich und fuhr gereizt fort.
»Zwischen dem Jahr der Wiedervereinigung und 2010 sanken die Emissionen. Das war aber nicht das Verdienst der Politiker, wie sie es gerne verkaufen! Und wenn doch, dann auf eine ganz und gar unbeabsichtigte Weise. Das verdanken wir einzig und allein dem dramatischen Zusammenbruch der Industrie in den neuen Bundesländern mit ihren ineffizienten Produktionsanlagen. Und seitdem liegt der Ausstoß bei uns Jahr für Jahr ziemlich stabil bei über 900 Millionen Tonnen. Obwohl der Anteil regenerativ erzeugter Energien ständig zunimmt.«
»Gut, bisher ist das alles nicht wirklich neu für mich.«
»Natürlich nicht. Neu ist vielleicht, dass die Senkungsziele, die sich die Bundesregierung gesetzt hat, so niemals erreicht werden.«
»Und wieso nicht?«
»Bist du so naiv oder willst du mich provozieren?«
»Tu doch mal so, als wollte ich dich provozieren«, sagte sie und lächelte ihn an.
Durch die offene Tür lugte der Kopf von Erich Hardt in Renz’ Büro. Ein Vorstandsmitglied der Organisation. Er hielt sich gerade in Berlin auf und erledigte seine Post, die sich in den Zeiten ansammelte, in denen er seinem Hauptjob als Geschäftsführer einer Firma für biologische Tiernahrung nachging. Blondgelockt, groß und sportlich mit einem Faible für klassische Musik, summte er ständig populäre Opernmelodien vor sich hin.
»Was habt ihr da Interessantes?«, warf er in die Runde, nachdem er zuvor einem Teil der Unterhaltung auf dem Flur gelauscht hatte.
»Volker will es wieder einmal versuchen«, sagte sie in Richtung Tür.
»Was will er versuchen?«
»Er will sich mal wieder beschweren.«
»Bei wem? Über was?«, wollte Hardt wissen und stand nach wenigen Schritten und mit einem neugierigen Gesichtsausdruck mitten in Volkers Büro.
»Ich bereite gerade eine Verfassungsbeschwerde gegen die Klimakiller vor«, offenbarte Renz und drehte sich energisch zu Hardt um.
»Klimakiller? Wie meinst du das?«
»Der Treibhausgasausstoß bedroht unser aller Unversehrtheit. Die Verursacher und diejenigen, die nichts dagegen tun, sind Klimakiller. Oder wie würdest du sie bezeichnen?«
»Ja, ja, das klingt plausibel, aber wo ist da der Zusammenhang zu unserer Unversehrtheit?«
»Ganz einfach. Der Ausstoß führt nachweislich zu Wetterextremen wie Hitzewellen und Starkregen. Stürme werden stärker. Langanhaltende Hitzeperioden gefährden die Trinkwasserversorgung und die Landwirtschaft. Starkregen führt vermehrt zu gefährlichen Erdrutschen und Überschwemmungen. Heftigere Stürme erhöhen das Risiko, dass mir ein Baum auf den Kopf fällt. Also gefährden sie nicht nur meine und unser aller Unversehrtheit, sondern viel schlimmer: unsere Existenz. Es gibt nur wenige Idioten, die den Zusammenhang zwischen dem Ausstoß von Treibhausgasen und dem Klimawandel bestreiten«, redete sich Renz in Rage.
»Ist ja gut, beruhige dich. Wir stehen auf deiner Seite und unterstützen dich.«
Hardt senkte den Kopf und rieb sich nachdenklich die Stirn. »Haben wir das nicht vor einiger Zeit schon einmal versucht?«
»Doch, klar. Aber ohne Erfolg.«
»Und jetzt denkst du, dass wir, oder besser du, Erfolg haben werden?«, fragte Hardt.
»Das weiß ich nicht, werde es aber versuchen. Es kostet nichts, und wir können nur gewinnen.« »Dir liegt viel daran, nicht wahr?«
»Sehr viel. Ich möchte, dass diese ganze arrogante Bande von Luftverpestern endlich zu Kreuze kriecht. Das möchte ich!«
»Dann mal viel Glück«, wünschte Hardt und schickte sich an, das Büro zu verlassen. Im Türrahmen drehte er sich noch einmal um und schaute zu den beiden zurück.
»Sollten wir die Beschwerde nicht besser als Organisation einreichen?«
»Das geht nicht«, erwiderte Renz, »das Grundgesetz ist auf den Schutz von Jedermann abgestellt. Die Beschwerde einer Organisation könnte als unzulässig abgewiesen werden. Es wäre zu riskant.«
»Okay, dann macht das so«, sagte Hardt und verschwand aus der offenen Tür.
Renz’ Telefon läutete. Er stand auf, ging zu seinem Schreibtisch und hob ab, während er sich mit einem Hohlkreuz auf die Schreibtischkante setzte.
»Renz.« Pause.
Er schaute an die Decke, als ob er dort etwas lesen könnte. Dann senkte er seinen Kopf und schaute auf seinen aktenbeladenen Schreibtisch.
»Danke, das klingt nicht gut«, sagte er nachdenklich, »zu den Details melde ich mich kommende Woche.« Danach beendete er das Gespräch und setzte sich erneut an den Besprechungstisch, nahm seine Tasse und schlürfte daran. Er sah besorgt aus.
»Hast du die Senkungsziele, zu denen sich die Bundesregierung verpflichtet hat, in deine Betrachtung einbezogen?«, knüpfte Engler an die Unterhaltung zuvor an.
»Und ob«, zischte Renz. »Ziele, die man einfach so vereinbart, ohne sie erfüllen zu wollen. Oder besser: ohne sie erfüllen zu können.«
»Wie kommst du darauf?«, fragte sie und lächelte, um ihn aufzuheitern. Der Versuch misslang.
»Machen wir uns nichts vor. Sie versprechen Senkungsziele, für deren Einhaltung sie keine wirklich wirksamen Gesetze machen, damit sie auch eingehalten werden können. Das sind alles nur Fensterreden. Und fadenscheinige Ausreden, wenn die Ziele dann nicht erreicht werden.« Er verdrehte die Augen und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wie soll das auch gehen?«, fuhr er fort.
»Wie meinst du das?«
»In den vergangenen acht Jahren blieben die Emissionen mit leichten Schwankungen mehr oder weniger auf dem gleichen Niveau. Bei über 900 Millionen Tonnen! Begründung: Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum. Bis 2020 sollten sie auf 750 Millionen Tonnen sinken? Einfach so? Das sind 150 Millionen Tonnen weniger. Kannst du mir erklären, wie das ohne knallharte Maßnahmen gehen sollte?«
»Sie haben aber doch versprochen, die Klimaschutzziele von Paris einzuhalten«, wandte sie ein.
»Wenn du mich fragst, hat es mit dem ›Versprochen‹ eine andere Bewandtnis. Sie haben sich versprochen, als sie die Ziele festlegten. Das ist doch alles wischiwaschi, unverbindlich«, Renz wurde energisch, und Röte stieg in sein glattrasiertes Gesicht. »Ich möchte nicht wissen, wie viel Tonnen an Treibhausgasen mit dem alljährlichen, immer monströseren Wanderzirkus von Klimakonferenzen verballert werden. Und das, ohne auch nur einen kleinen Schritt voranzukommen«, setzte er nach.
Dann klingelte das Mobilteil des Telefons, das er, nach dem beendeten Telefonat zuvor, mitgebracht und neben sich auf den Besprechungstisch abgelegt hatte. Er hob es ans Ohr und hörte einige Augenblicke aufmerksam zu.
»Zum Teufel, nein«, schrie er in das anthrazitfarbene Gerät und beendete das Gespräch.
»Das könnte zu einem heißen Eisen werden«, sinnierte die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Karlsruher Bundesverfassungsgericht in Gesellschaft ihrer drei Kollegen, nachdem sie den Inhalt der Verfassungsbeschwerde ausführlich studiert und das Wesentliche herausgearbeitet hatte. Sie reichte ihnen Kopien. Alle vier waren Erich Berger, einem der Richter des ersten Senats am Bundesverfassungsgericht, zugeordnet. Der Geschäftsverteilung nach fiel ihm unter anderem der Bereich »Umweltrecht« zu.
Anne Winter war eine rational denkende Juristin, die beide juristischen Examina vor Kurzen mit Bravour bestanden hatte und danach mit einem Thema zum Völkerrecht promoviert wurde. Die blonde Enddreißigerin war die Vorzeige- und Quotenfrau des Quartetts, das Berger beriet.
Das männliche Trio bestand aus einem erfahrenen Kollegen, der kurz vor seiner Pensionierung stand, und zwei jüngeren Juristen, die wegen ihrer Aufenthalte an unterschiedlichen juristischen Lehrstühlen für Staatsrecht und anschließenden Tätigkeiten an mehreren Gerichten als ausgewiesene Experten für die Themen galten, die Berger als Berichterstatter vertrat. Wer zum höchsten deutschen Gericht abgeordnet wurde und sich als wissenschaftlicher Mitarbeiter seinen Wert bewies, hatte danach in der ganzen Republik in den Justizverwaltungen glänzende Aufstiegschancen. Dass ein Jurist als wissenschaftlicher Mitarbeiter sein Berufsleben in dieser Institution beendet, war dagegen eine große Ausnahme.
Die vier saßen in schöner Regelmäßigkeit zwanglos im kleinen, lichtdurchfluteten Aufenthaltsraum des Gerichtsgebäudes an einem der wenigen Tische und diskutierten die eingereichten Verfassungsbeschwerden. An diesem Tag schien endlich wieder die Sonne, und Sommergefühle erwachten. Die Magnolien-Blüten waren längst verblüht und die Blätter lagen verstreut auf dem kurzgeschnittenen Parkrasen. In den zahllosen Blumenrabatten, die den Schlossgarten durchzogen, konkurrierten nun die Sommerblumen um die Wette.
Der Job der wissenschaftlichen Mitarbeiter bestand darin, zu beurteilen, ob die eingereichten Beschwerden zulässig waren oder nicht, bevor sie die Anträge mit ihren Stellungnahmen den zuständigen Verfassungsrichtern zur Entscheidung vorlegten. Unzulässige und offensichtlich unbegründete Beschwerden waren sehr beliebt, weil nach deren Ablehnung keine Arbeit mehr damit verbunden war. Und das betraf mehr als 97 Prozent der eingereichten Beschwerden. Auch wenn einer abgelehnten Entscheidung ein umfangreiches Votum vorausging, so zog sie keine weitere Bearbeitung mehr nach sich. Das erleichterte die Arbeit enorm. Aus den Augen, aus dem Sinn. Eine nicht zur Entscheidung angenommene Beschwerde hatte keine Chance, in der einen oder anderen Weise beschieden zu werden. Beschwerdeführer, deren Existenz von einer abgelehnten Beschwerde bedroht war, hatten nur noch die Möglichkeit aus dem Geltungsbereich des Deutschen Grundgesetzes auszuwandern. Das Bundesverfassungsgericht traf hier die letzte Entscheidung. Weitere Instanzen: Fehlanzeige.
Das Quartett traf stets eine Vorauswahl und empfahl dem Verfassungsrichter, dem es zuarbeitete, sie nach Prüfung der Anträge zur Entscheidung anzunehmen oder, wenn sie keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung hatten, abzuweisen. Die endgültigen Entscheidungen über die Annahme trafen die Richter in Kammern. Eine Kammer bestand aus drei Verfassungsrichtern. Die acht Richter eines Senats verteilten sich auf drei Kammern. Ein Richter fungierte gleichzeitig in zwei Kammern. Bei wichtigen Fragen entschied der gesamte Senat per Mehrheitsbeschluss. Bei einem Patt galt die Beschwerde als abgewiesen.
»Wie kommst du darauf?«, fragte der ältere Kollege. Winter hob das Schriftstück seitlich, mit der Vorderseite zu den drei Kollegen hoch und führte die Kugelschreiberspitze mit einem Seitenblick an der Textpassage entlang, die den Kern der Beschwerde enthielt. Sie las die Passage vor. Der Text endete mit einer Aufforderung.
… der Bundesregierung aufzugeben, Maßnahmen anzuordnen, die gewährleisten, dass der deutsche Beitrag für das im Pariser Abkommen vorgegebene Zwei-Grad-Celcius-Ziel der globalen Klimaerwärmung durch eine wirksame Reduzierung von Treibhausgasemissionen in allen emittierenden Sektoren sicher erreicht wird.
Die Beschwerde richtete sich also gegen die Bundesregierung, die angeblich nichts Wirksames zur Eindämmung von Treibhausgasemissionen unternahm, welche Ursachen des Klimawandels seien. Nach Ansicht des Beschwerdeführers Volker Renz, einem bekannten und eloquenten Mitglied der Actis-Geschäftsführung, verstieß sie gleich gegen zwei Artikel des Grundgesetzes: Artikel 2, Absatz 2 und gegen Artikel 20a in Gänze.
Artikel 2 garantiert das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Der Mitte der 90er Jahre im Zuge der Modernisierung des Grundgesetzes aufgenommene Artikel 20a verpflichtet den Staat, die natürlichen Lebensgrundlagen nicht nur für die derzeit lebenden Bundesbürgerinnen und -bürger, sondern auch in Verantwortung für künftige Generationen zu schützen.
Beides, so der Aktivist, würde ohne wirksame Gesetzgebung zur Reduzierung des Treibhausgasausstoßes nicht erreicht. Die aktuellen gesetzlichen Instrumentarien seien unzureichend und untauglich, um die körperliche Unversehrtheit vor den Folgen des drohenden Klimawandels zu schützen. Ganz zu schweigen vom Schutz der Lebensgrundlagen für künftige Generationen. Diese würden sukzessiv zerstört werden. Die in schöner Regelmäßigkeit mit einem irrsinnigen Aufwand an Menschen und Material veranstalteten Klimaschutzkonferenzen endeten mit Zielvorgaben, die ganz offensichtlich keines der Unterzeichnerländer einzuhalten gewillt sei. Zahnlose Regelwerke! Das, was vor gut einem Vierteljahrhundert mit den allerbesten Vorsätzen zum Klimaschutz in Rio begann, habe überhaupt nichts gebracht. Statt, wie dort vereinbart, zu sinken, stiegen die Treibhausgasemissionen weltweit von Jahr zu Jahr und gefährdeten die Lebensgrundlagen für Mensch und Tier.
»Du hast recht, das ist ein ziemlich heißes Eisen«, bestätigte einer der jüngeren Kollegen, nachdem er gemeinsam mit den anderen den Text überflogen hatte.
»Allerdings«, führte er weiter aus, »handelt es sich bei Artikel 20a um ein Staatsziel. Darauf lässt sich keine Beschwerde eines Bürgers stützen.«
»Das ist richtig. Die Kombination klingt aber sehr plausibel«, ergänzte Anne Winter. »Denkt ihr, die Annahme wäre dennoch gerechtfertigt?«, fragte sie in die Runde.
»Das will gut überlegt sein«, meinte der ältere Kollege.
»Der Antragsteller stützt sich auf eine Argumentation, die wir schon mehrfach diskutiert haben. Aber so plausibel habe ich sie bisher weder gehört noch gesehen«, meinte einer der Jüngeren.
»Aha, und was ist da jetzt so plausibel? Was haben wir bisher noch nicht durchschaut?«, wollte Winter wissen.
»Bislang gab es nichts zu durchschauen. Hier wird jetzt ein Zusammenhang zwischen Treibhausgasemissionen und der Gefahr für Leib und Leben der Menschen hergeleitet. Das Grundgesetz garantiert aber deren Unversehrtheit. Das hat uns bisher noch niemand so schlüssig vorgelegt. Ließe sich zweifelsfrei nachweisen, dass die Zunahme von Treibhausgasen in der Atmosphäre eine Lebensgefahr für auch nur einen Bürger der Bundesrepublik darstellt, müssten wir handeln. Zumindest wäre die Beschwerde nicht so einfach aus der Welt zu schaffen«, führte der Jüngere weiter aus.
»Zu dem Thema gibt es«, wandte der Ältere ein, »soweit ich das überblicken kann, unterschiedliche Auffassungen. Es gibt Experten, die den Hype um den Klimawandel kritisch sehen.«
»Du zählst den amerikanischen Präsidenten jetzt aber nicht zu den Experten, oder?«, lächelte der Jüngere.
»Nein, den meine ich nicht. Es gibt auch einige renommierte Wissenschaftler, die es bezweifeln. Zum Beispiel ein Nobelpreisträger für Physik, der es für Mumpitz hält.«
»Wer soll das sein?«, hakte der Jüngere nach.
»Den Namen habe ich mir nicht gemerkt. Irgendwas mit Gifer, oder so.«
»Du meinst sicher Ivar Giaever, der hatte in den 70ern den Nobelpreis für Physik bekommen, für etwas mit Supraleitung. Keine Ahnung, was das bedeutet. Jedenfalls hatte das Thema nichts mit dem Klima zu tun. Es versteht nicht jeder Physiker von allem etwas«, meinte Winter.
»Das mag schon sein«, erwiderte der ältere Kollege, »aber die Argumentation klang, soweit ich mich erinnere, irgendwie plausibel. Die Änderung der Durchschnittstemperatur sei nicht signifikant, hatte er gemeint. Es ginge tatsächlich um etwas wie null Komma irgendwas Grad Celsius Erwärmung seit der Mitte des vorletzten Jahrhunderts. Also falsch klang das nicht.«
»Wer sagt dir, dass der nicht von Lobbyisten gekauft wurde?«, fragte der Jüngere.
»Das erinnert mich an die frühen 70er, als der Club of Rome seinen Bericht zu den Grenzen des Wachstums veröffentlichte. Mit viel Enthusiasmus und mit noch mehr Sorge haben wir den Bericht damals verschlungen. Bei ungemindert fortgesetztem Ressourcenverzehr, hieß es da, hätten wir in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts alle Ressourcen aufgebraucht. Alles von renommierten Wissenschaftlern prognostiziert. Und was ist passiert? Nix! Den Raubbau haben wir beschleunigt und leben so gut wie noch nie zuvor. Also bitte: Vorsicht! Die Ausführungen von diesem Physiker klangen jedenfalls sehr authentisch. Ich glaube nicht, dass den jemand gekauft hat. Auf YouTube habe ich mir neulich ein sehr interessantes Video dazu angesehen, das war für mich ziemlich überzeugend«, sagte der ältere Kollege und sah den jüngeren provozierend an. »Wer sagt dir, dass es bei der Gegenseite keine gekauften Lobbyisten gibt?«, setzte der Ältere nach.
»Welche Lobbyisten denn?«
»Na, die von den Umweltaktivisten bezahlt werden.«