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Ob Astrid Lindgren von den Waisenhauskindern Anna und Matthias erzählt, von Stina Maria, von dem Armenhauskind Malin oder dem Junker Nils von Eka - alle Geschichten in diesem Buch sind Geschichten, wie Kinder sie lieben, geheimnisvoll und wunderbar. Geschichten zum Träumen und Geschichten zum Traurigsein und solche, über die man immer wieder nachdenken muss. Enthält die Geschichten: Sonnenau Die Schafe auf Kapela Klingt meine Linde Junker Nils von Eka
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Veröffentlichungsjahr: 2019
»Klingt meine Linde, singt meine Nachtigall? So lauteten die Worte und in ihrem Glanz schwanden alles Elend und aller Jammer dahin.«
Gibt es Wunder? Malin glaubt fest daran, dass aus einer Erbse eine Linde wachsen kann. Ein seltsamer roter Vogel führt die Geschwister Matthias und Anna mitten im tiefen Winter in ein Land, in dem es genug zu essen gibt und die Sonne immer scheint. Die Sammlung enthält vier der schönsten Märchen von Astrid Lindgren – geheimnisvoll und zauberhaft, traurig und tröstlich, für Kinder und Erwachsene.
Vor langer Zeit, in den Tagen der Armut, da gab es zwei kleine Geschwister, die waren ganz allein auf der Welt. Aber Kinder können nicht allein sein auf der Welt, bei irgendjemand müssen sie sein und darum kamen Matthias und Anna von Sonnenau zum Bauern auf Myra. Er nahm sie nicht zu sich, weil sie die klarsten, treuherzigsten Augen hatten und die zutraulichsten kleinen Hände oder weil sie ganz verzagt und verloren waren in der Welt vor Gram über den Tod der Mutter, nein, er nahm sie auf, damit sie sich nützlich machten.
Denn Kinderhände können recht gut arbeiten, wenn man sie nur daran hindert, Borkenschiffchen zu schnitzen und Weidenflöten zu schneiden und Spielstübchen am Bergeshang zu bauen. Kinderhände können die Myrakühe melken und bei den Ochsen ausmisten, wenn man sie nur von allen Borkenschiffchen fernhält und von allen Spielstübchen und überhaupt von allem, womit sie am liebsten spie-len.
»Niemals wieder werde ich wohl fröhlich sein in meinem Kinderleben«, sagte Anna, als sie auf dem Melkschemel saß, und sie weinte.
»Nein, hier auf Myra sind alle Tage grau wie die Feldmäuse im Stall«, sagte Matthias.
In den Tagen der Armut war das Essen knapp auf den Höfen und überdies meinte der Bauer auf Myra, Kinder brauchten nichts anderes als Kartoffeln, getunkt in Heringslake.
»Mein Kinderleben währt nicht lange«, sagte Anna. »Bei Kartoffeln und Heringslake lebe ich nicht bis zum nächsten Winter.«
»Bis zum nächsten Winter musst du aber leben«, sagte Matthias. »Denn im Winter darfst du zur Schule gehen und dann sind die Tage nicht mehr grau wie die Feldmäuse im Stall.«
Als der Frühling nach Myra kam, da bauten Matthias und Anna keine Mühlräder an den Bächen, da ließen sie keine Borkenschiffchen in den Gräben schwimmen. Sie melkten die Myrakühe und misteten aus bei den Ochsen, sie aßen Kartoffeln, getunkt in Heringslake, und weinten gar viel, wenn niemand es sah.
»Bliebe ich doch nur bis zum Winter leben und dürfte zur Schule gehen«, sagte Anna.
Als der Sommer nach Myra kam, da pflückten Matthias und Anna keine Walderdbeeren im Gehölz, da bauten sie keine Spielstübchen am Bergeshang. Sie melkten die Myrakühe und misteten aus bei den Ochsen, sie aßen Kartoffeln, getunkt in Heringslake, und weinten gar viel, wenn niemand es sah.
»Bliebe ich doch nur bis zum Winter leben und dürfte zur Schule gehen«, sagte Anna.
Als der Herbst nach Myra kam, da spielten Matthias und Anna nicht Versteck in der Dämmerung zwischen den Hütten, da kauerten sie am Abend nicht unter dem Küchentisch und flüsterten sich Märchen zu, nein, sie melkten die Myrakühe und misteten aus bei den Ochsen, sie aßen Kartoffeln, getunkt in Heringslake, und weinten gar viel, wenn niemand es sah.
»Bliebe ich doch nur bis zum Winter leben und dürfte zur Schule gehen«, sagte Anna.
In den Tagen der Armut, da war es nämlich so, dass die Kinder nur im Winter ein paar Wochen lang zur Schule gingen. Dann kam ein Schulmeister von irgendwoher gewandert und zog in eine Kate im Dorf ein und dorthin kamen die Kinder von nah und fern, um lesen und rechnen zu lernen. Der Myrabauer meinte zwar, dass die Schule eine ganz dumme und unnütze Einrichtung sei, und wenn es nach ihm gegangen wäre, dann hätten die Kinder daheim im Stall bleiben müssen, aber das durfte sich selbst der Myrabauer nicht erlauben. Man kann Kinder von Borkenschiffchen fernhalten und von Spielstübchen und von Walderdbeeren im Gehölz, aber man darf sie nicht von der Schule fernhalten, denn dann kommt der Pfarrer des Dorfes und bestimmt: »Matthias und Anna müssen zur Schule gehen.«
Und der Winter kam nach Myra, der Schnee fiel und die Schneewehen reichten fast bis hinauf zum Stallfenster. Drinnen in dem düsteren Stall tanzten Matthias und Anna vor Freude und Anna sagte:
»Denk nur, dass ich doch bis zum Winter leben blieb, und denk nur, morgen beginnt die Schule!«
Und Matthias sagte:
»He, ihr Feldmäuse alle miteinander, jetzt ist es Schluss mit den grauen Tagen auf Myra!«
Als sie am Abend in die Küche kamen, sagte der Myrabauer:
»Schule hin und Schule her! Aber gnade euch Gott, wenn ihr zur Melkzeit nicht wieder zu Hause seid!«
Am nächsten Morgen fassten sich Matthias und Anna bei der Hand und wanderten zur Schule. Es waren weite Wege zu gehen, denn zu der Zeit kümmerte es niemand, ob der Schulweg weit war oder kurz. Es wehte ein kalter Wind, Matthias und Anna froren so sehr, dass ihnen die Nägel an den Zehen rissig wurden und die Nasenspitzen feuerrot.