Klippo - Tobias Goldfarb - E-Book

Klippo E-Book

Tobias Goldfarb

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Beschreibung

Vom Spiegelbestsellerautor Tobias Goldfarb: ein Abenteuerroman, bei dem nichts ist, wie es scheint.

"Wir müssen fliehen, es geht um unser Leben!", mit diesen Worten wird Klippo geweckt und eine rasante Flucht beginnt. Die gefürchteten Salpeter, Raubritter und Herrscher des Feuers, sind Klippo und seinen Eltern dicht auf den Fersen. Sie wollen Rache nehmen, doch wofür? Klippo erfährt, dass seine Eltern in Wahrheit Spione sind. Auf der rauen, mystischen Insel Narom Rok sind sie erst einmal in Sicherheit. Doch als seine Eltern plötzlich verschwinden, tun sich tausend Fragen auf: Wer ist das rätselhafte Mädchen? Was ist das Geheimnis von Schiefbart, dem Anführer der Salpeter? Und ist er überhaupt er selbst? Wo hört die Wahrheit auf und wo beginnt die Lüge? Klippo begreift, dass das wahre Abenteuer erst anfängt. 

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Das Buch

»Klippo! Klippo, wach auf, wir müssen fliehen!« Die Salpeter, Raubritter und Herrscher des Feuers, überfallen Klippo und seine Eltern im Morgengrauen. Zusammen mit Red, dem zahmen Hermelin, flüchten sie auf die raue Insel Narom Rok. Doch hier muss Klippo Antworten auf seine zahllosen Fragen finden: Warum will sich der gefürchtete Schiefbart, Anführer der Salpeter, an ihnen rächen? Wer ist das rätselhafte Mädchen? Und ist Klippo überhaupt er selbst? Das wahre Abenteuer beginnt erst jetzt.

Der Autor

© Johanna Ruebel

Tobias Goldfarb hat Internationalen Journalismus in London studiert und als Journalist und Hörspielautor unter anderem für den WDR und das Deutschlandradio gearbeitet. Als Autor und Regisseur hat er Theaterstücke für zahlreiche Bühnen verfasst und inszeniert. Auf der Jagd nach neuen Geschichten wandert er gerne durch die schottischen Highlands, die Brandenburger Lowlands und andere Gegenden mit möglichst weiten und spektakulären Himmeln. Tobias Goldfarb lebt mit seiner Familie in Berlin. »Niemandsstadt«, sein erster Roman für Jugendliche, wurde mit dem Rattenfänger-Literaturpreis 2022 ausgezeichnet.

Der Verlag

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Viel Spaß beim Lesen!

Tobias Goldfarb

Klippo

Der Junge, den es nicht geben durfte

Thienemann

»Ich weiß, wer ich bin.«

Miguel de Cervantes Saavedra, Don Quijote de la Mancha

Für Marim

Teil 1 klippo

Red wünscht viel Spaßmit dem Daumenkino!

1. Kapitel

»Klippo! Klippo, wach auf, wir müssen fliehen!«

Der Junge zog die Decke über den Kopf. »Ich muss erst zu Ende träumen. Und dann noch frühstücken. Danach können wir von mir aus fliehen.«

»Klippo, zieh dich an. Es geht um dein Leben.« Gräfin Dorothea riss die Decke weg und zog an seinem Arm, bis er schwankend auf beiden Füßen stand.

»Schuhe. Mantel. Gürtel. Lass den Schlafanzug an, es ist egal. Schnell.«

Sie zog ihm die Schuhe an wie früher, als er noch keine Schnürsenkel binden konnte, während Klippo etwas von Hefezopf und Birnensaft murmelte. Sie half ihm in die Ärmel des langen Reisemantels. Sie zog den Gürtel zu, viel zu fest. Klippo sah aus dem Fenster, der Himmel war von einem tiefen Dunkelblau, die Sonne schickte gerade ihre ersten, tastenden Strahlen über das spiegelnde Meer. Über den Klippen von Kap Gwenn kreisten die Möwen, die Luft war frisch und kühl. Sie roch nach Salz und Abenteuer. »Das wird ein schöner Tag«, sagte der Junge. »Die Luft ist anders heute. Vielleicht gibt es ein Gewitter. Ich mag Gewitter.«

Die Mutter zerrte ihn zur Tür. »Schön wird der Tag, wenn wir ihn überleben. Komm jetzt, Klippo.«

Die Stimme von Graf Damian drang von weit unten durch das geöffnete Fenster. »Wo bleibt ihr? Bald ist es zu spät.«

»Wir sind fast da.« Gräfin Dorothea zog Klippo aus dem Zimmer hinaus bis zur langen, gewundenen Treppe. »Klippo, achte auf die Stufen. Sieh auf deine Füße. Beeil dich.«

»Treppenlaufen kann ich schon«, sagte Klippo und fügte eine elegante Drehung auf einem Treppenabsatz ein. Mutter und Sohn rasten die Wendeltreppe hinab. Es waren zweihundertundelf Stufen, Klippo hatte sie oft gezählt. Die letzten elf nahm Klippo im Sprung.

Draußen stand die Kutsche bereit, zwei Pferde davor ge-spannt, ihr Atem dampfte in der kalten Morgenluft. Graf Damian saß auf dem Kutschbock, die Zügel in der Hand. Er trug seinen hohen Hut und den Jagdmantel. Neben ihm kauerte ein hagerer, älterer Mann, den Klippo noch nie gesehen hatte.

»Wer ist das?«, fragte Klippo.

Der Graf streckte die Hand aus. »Später, Klippo. Jetzt kommt, schnell. Noch haben wir eine Chance. Eine kleine Chance zu entkommen.«

»Endlich mal ein Abenteuer«, murmelte Klippo und kletterte in die offene Kutsche. »Habt ihr das für mich organisiert? Heute mal etwas anderes als langweilige Lehrer?«

»Klippo!« Die Mutter schob ihn von unten und stieg hinterher. Noch bevor sie selbst ganz im Wagen war, schnalzte der Vater mit den Zügeln und die Pferde galoppierten los. Die Kutsche setzte sich in Bewegung, die eisenbeschlagenen Räder ratterten über die Pflastersteine, die vom Leuchtturm hinunter in die Bucht führten.

Klippo atmete die salzige Luft tief ein. Doch plötzlich stand er auf und ruderte mit den Armen. »Halt! Haltet an, sofort!«

Graf Damian drehte sich zu ihm um. »Was ist denn, Klippo? Setz dich hin, du fällst aus dem Wagen.«

Klippo setzte sich nicht. »Vater, ich weigere mich, unter diesen Umständen zu fliehen, vor wem oder was auch immer. Red fehlt.«

Die Gräfin zog an seinem Ärmel. »Setz dich hin, Klippo. Red wird alleine klarkommen. Wir können nicht mehr umkehren. Verstehst du das? Wir werden nicht zurückkehren. Vielleicht nie mehr.«

»Ich gehe nicht ohne Red.« Klippo riss sich los, stellte einen Fuß auf das Trittbrett, bereit, aus der fahrenden Kutsche zu springen. Da sah er eine kleine Bewegung hoch oben im wilden Wein, der sich am alten Leuchtturm emporrankte, gleich bei seinem offen stehenden Fenster.

»Red!«

Das schlanke Tier mit dem kurzen, braunen Fell und dem buschigen Schwanz kletterte die senkrechte Mauer hinunter, landete mit einem Sprung auf dem Boden und begann zu rennen, in seinen typischen, kurzen Sprüngen, die schwarze Schwanzspitze wippte auf und ab. Das Hermelin rannte und rannte, aber die Kutsche war schneller.

»Red schafft es nicht«, rief Klippo. »Wir müssen anhalten.«

»Nein, Klippo, nein!« Die Stimme der Mutter überschlug sich fast.

»Ich springe. Ich hole Red.« Klippo versuchte, sich aus dem Griff der Mutter zu winden, die den Ärmel seines Mantels jetzt mit beiden Händen fest umklammert hielt.

Da übernahm der hagere Fremde mit ruhiger Hand die Zügel. Klippos Vater tat nichts, um ihn davon abzuhalten. Die Pferde schnaubten und fielen vom Galopp in einen leichten Trab. Red holte auf, sie lief schneller und schneller, der Abstand zur Kutsche wurde immer kleiner. Klippo lehnte sich weit aus dem Wagen und streckte die Arme aus. »Red! Komm zu mir, Red! Pass auf, die Räder!«

Endlich war das Hermelin neben der Kutsche, es sprang, viel zu nah an den wirbelnden, tödlichen Speichen. Reds Krallen kratzten kurz über das Holz der Karosse, dann fiel sie rückwärts zurück in das Gras und rollte sich um die eigene Achse.

»Komm, Red. Versuch es noch einmal!«

Das Hermelin rappelte sich auf und begann wieder zu rennen, schloss mit der Kutsche auf, blickte Klippo im Laufen an, nahm genau Maß und sprang erneut. Red erreichte Klippos Hände im letzten Moment. Klippo packte zu und zog das Tier in die Kutsche, umschloss es in seinen Armen und setzte sich neben seine Mutter. »Jetzt können wir von mir aus fliehen.«

Graf Damian übernahm wieder die Zügel, die Pferde galoppierten los, der Wagen holperte wild über die groben Steine. Der Leuchtturm auf den Klippen hinter ihnen wurde immer kleiner. Red rollte sich in Klippos Schoß zusammen, der Junge streichelte das Fell des Hermelins und spürte, wie schnell das kleine Herz immer noch schlug.

»Ich danke Ihnen, Fremder!«, rief Klippo über den Lärm der Kutsche hinweg dem hageren Mann zu.

Der Unbekannte drehte sich kurz um und zwinkerte Klippo zu. Sein Gesicht sah aus wie eine alte, zerknitterte Landkarte.

»Mutter, sind wir wirklich auf der Flucht?«, fragte Klippo. »Und vor wem? Und warum?«

»Klippo, wir …«

Ein Donner, sehr nah und sehr laut. Dunkelgrauer Rauch stieg irgendwo hinter dem Turm auf den Klippen auf. Die Pferde wieherten, die Kutsche schlingerte.

»Die Salpeter«, rief die Mutter, »so nah sind sie schon.«

Ein Funkeln schlich sich in Klippos Augen. »Salpeter! Ich habe alles über sie gelesen. Es sind furchtlose Krieger von der anderen Seite des Meeres, Beherrscher des Feuers, die Rüstungen von Ruß und Asche verschmiert. Gibt es sie wirklich?«

»Ja, und sie sind hinter uns her.«

»Warum?«

»Später. Jetzt müssen wir erst einmal fliehen.«

»Wohin?«

»In die Bucht.«

»Und dann?«

»Über das Meer, zu einer Insel. Einer Insel, auf der du sicher bist.«

»Ist es Narom Rok? Die Insel, die in einem Nebelmeer verborgen ist?«

Gräfin Dorothea seufzte. »Du solltest weniger lesen, Klippo.«

Klippo deutete auf die hagere Gestalt auf dem Kutschbock. »Dieser Mann, der Red gerettet hat. Wer ist das?«

»Das ist Kapitän Maddox.«

»Maddox, das ist ein alter Name aus Kumra.«

Der Mann drehte sich zu Klippo um. Trotz des Lärms der Hufe und der ratternden Räder hatten seine großen Ohren unter dem zotteligen, grauen Haar alles mitbekommen. »Richtig, Klippo, ich bin Maddox und heute dein Steuermann. Und wie du schon vermutet hast, segeln wir nach Narom Rok.«

»Ja!«, rief Klippo begeistert. »Ich habe so viel über diese Insel gelesen. Aber es soll unmöglich sein, sie im ewigen Nebel zu finden.«

»Unmöglich, wenn man nicht genau weiß, wo sie ist«, entgegnete der Kapitän. »Zum Glück weiß ich es.«

»Aber …«, begann Klippo, doch Maddox wandte sich wieder nach vorn. Ein weiteres Donnern ertönte, noch näher dieses Mal. Die Pferde wieherten und warfen die Köpfe zurück. Beinahe kippte die Kutsche um, Graf Damian konnte sie nur mit Mühe wieder auf die Straße lenken. Red fand einen Weg in Klippos Mantel und klammerte sich an seinen Schlafanzug. Klippo spürte die kleinen Krallen auf seiner Haut.

»Warum sind die Salpeter hier, Mutter? Warum greifen sie uns an?«

Gräfin Dorothea wandte den Blick ab und sah hinaus auf das glitzernde Meer. »Es ist etwas Persönliches. Schiefbart hat es auf uns abgesehen.«

»Alanus Varvek, der sich selbst Schiefbart nennt? Über den habe ich mindestens genauso viel gelesen wie über die Insel Narom Rok. Schiefbart ist einer der genialsten, aber auch grausamsten Männer unseres Zeitalters. Seine teuflischen Erfindungen übertreffen alles, was in den Akademien des Königreichs entwickelt wird. Schiefbart ist der Meister des Eisens und des Feuers. Meinst du den?«

»Ja«, seufzte die Gräfin, »genau den.«

»Aber was will er ausgerechnet von uns?«

»Es ist kompliziert.«

»Das macht nichts, ich mag es, wenn es kompliziert wird. Ich habe zum Beispiel vor Kurzem über Luftschiffe gelesen, eine sehr komplizierte technische Erfindung. Schiffe, die durch die Luft fahren, stell dir das einmal vor! Wahrscheinlich eine Erfindung von Schiefbart. Aber was will er von uns?«

»Wir …« Der Blick der Gräfin huschte zu Klippos Vater, der mit weißen Knöcheln die Zügel umklammerte. Über ihren Köpfen pfiff es, ein merkwürdig schriller Ton, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Krachen. Direkt vor ihnen flogen Erde und Pflastersteine hoch in die Luft. Die Pferde stiegen in Panik auf die Hinterbeine, die Kutsche kam von der Straße ab, ihre Räder brachen, der Wagen kippte. Klippo wurde von der Sitzbank geschleudert, segelte weit über die Böschung und landete in einem großen Ginsterbusch am Wegrand. Er rollte sich über die Schulter ab, wie er es so oft geübt hatte. Seine Arme und Beine waren von Kratzern übersät, ein Schnitt an seiner Lippe blutete, doch ansonsten war er unverletzt. Während er auf dem Rücken lag und das Blut auf der Lippe schmeckte, krabbelte Red aus dem Kragen seines Reisemantels, stellte sich auf die Hinterbeine und sah ihn aus ihren Knopfaugen vorwurfsvoll an.

»Klippo!« Der hagere Kapitän war ganz in der Nähe gelandet. Er richtete sich mühsam auf und streckte ihm eine Hand entgegen. »Bist du verletzt?«

»Nein, überhaupt nicht. Was ist mit meinen Eltern?«

»Gräfin Dorothea!«, rief der Kapitän. »Graf Damian!«

Die Eltern kletterten aus der Kutsche, die ein paar Meter hinter ihnen wie ein verletztes Tier neben der Straße lag.

»Alles in Ordnung, Kapitän Maddox.« Klippos Vater versuchte, die panischen Pferde an den Zügeln zu halten, doch sie rissen sich los und galoppierten davon. In der Ferne grollte es wieder. Klippo und der Kapitän liefen geduckt zurück zur Kutsche.

»Klippo«, fragte die Mutter, »geht es dir gut?«

»Mir geht es ausgezeichnet«, antwortete Klippo. »Mir geht es sogar ganz wunderbar.«

»Wunderbar?«, brummte der Vater und setzte sich den hohen Hut wieder auf, der in die Büsche gerollt war. »Wunderbar wäre, wenn wir die Sache überleben. Wir müssen runter in die Bucht.«

Klippo blickte zu dem Ginster, in dem er gelandet war. »Wir schlagen uns durch das Dickicht. Das ist der schnellste Weg.«

Sein Vater schüttelte den Kopf. »Unmöglich. Da kommt man nicht durch.«

»Aber der Junge hat recht«, widersprach Maddox. »Es ist der schnellste Weg. Außerdem werden die Salpeter die Straße im Auge behalten. In diesen Büschen sind wir sicherer.«

Klippo lief zur Böschung und zwängte sich zwischen zwei hohe, dornige Büsche, deren Äste ihm sofort die Hände und das Gesicht zerkratzten. »Kommt ihr? Es ist gar nicht so übel hier.«

Es donnerte erneut, wieder ein wenig näher. Klippos Eltern blickten noch einmal zweifelnd die Straße hinunter, dann folgten sie und der Kapitän Klippo in das Dickicht. Sie kamen langsam voran, nur Red sprang munter umher. Dies war ihr Revier, hier war sie schon oft auf der Jagd gewesen. Immer wieder huschten Eidechsen und kleine Schlangen durch das Unterholz, große Spinnen hatten an vielen Stellen kunstvolle Netze gewebt. Klippo hielt ab und zu an und lauschte auf das entfernte Rauschen der Wellen. Wenn er sich sicher war, in welcher Richtung das Meer lag, ging es weiter. Immer wieder wartete er auf die anderen, die sich leise fluchend und stolpernd durch das Gestrüpp bewegten. Es dauerte eine gute Stunde, bis sich das Dickicht ein wenig lichtete und von Felsen durchbrochen wurde, die mit Flechten und Moos bewachsen waren. Klippo beachtete seine Schrammen und Kratzer nicht, er kletterte über den letzten Felsen und sah unter sich die schmale Bucht von Kap Gwenn, in der die Wellen unaufhörlich gegen den Stein schlugen. Dahinter lag das graue, weite Meer, auf dem nur hier und da ein Schaumkrönchen zu sehen war.

Nach einer Weile schlossen die anderen schwer atmend zu ihm auf. Der Kapitän zeigte auf einen rot-blauen Fleck zwischen zwei Felsen. »Da unten liegt mein Boot. Wir müssen uns beeilen.«

Das Rauschen der Wellen in der Bucht war deutlich zu hören, und der Wind, der hier viel stärker zu spüren war als eben noch im Unterholz. Doch etwas fehlte.

»Das Donnern!«, rief Klippo. »Es hat aufgehört. Wahrscheinlich haben die Salpeter aufgegeben.«

Der Kapitän schüttelte den Kopf. »Salpeter geben niemals auf.«

»Dann ist das Abenteuer noch nicht vorbei?«

»Es ist kein Abenteuer!« Die Stimme von Klippos Vater sollte wütend klingen, aber die Verzweiflung war deutlich herauszuhören. »Es ist eine Flucht. Es geht um Leben und Tod. Wir müssen runter in die Bucht, bevor die Salpeter uns entdecken. Wir müssen vorsichtig sein, die Klippen bieten weniger Schutz als das Dickicht.«

Sie machten sich an den Abstieg durch die Felsen, wieder sprang Red geschickt voraus. An vielen Stellen rutschten sie fast auf losem Geröll aus oder stolperten auf kippelnden Steinen, doch schließlich hatten sie die Bucht erreicht. Sie balancierten über die Steinplatten, in den Ritzen dazwischen versteckten sich Krebse, in kleinen Pfützen wimmelte es von Garnelen und kleinen Fischen. Sie gingen konzentriert und schweigend, bis sie das versteckte Boot des Kapitäns erreichten. Es war eines der typischen Fischerboote der Gegend, mit drei Ruderbänken, einem einklappbaren Mast am Bug und einem Steuerruder am Heck. Immer wenn Klippo aus einem der Fenster des alten Leuchtturms geschaut und diese Boote auf dem Meer betrachtet hatte, hatten sie winzig ausgesehen. Doch aus der Nähe war dieses Boot alles andere als klein.

»Das sieht schwer aus«, sagte er.

»Oh, ja«, entgegnete der Kapitän. »Es ist sehr schwer. Aber wir sind auch sehr stark, oder?«

Klippo deutete auf das große, aufgerissene Auge, das auf den Bug gemalt war. »Ist das das Zeichen, das Seeungeheuer abwehren soll?«

»Ja. Bis jetzt hat es geholfen. Ab ins Wasser damit.«

»Bei solchen Abwehrzeichen handelt es sich um Aberglaube«, fuhr Klippo fort. »Sind Sie abergläubisch, Kapitän Maddox?«

»Es ist eben ein Fischerboot. Hilfst du jetzt zu tragen?«

Gemeinsam schleppten sie das schwere Boot, es ging immer nur einen winzigen Schritt vorwärts, bevor sie es wieder absetzen mussten.

»Eins … zwei … und drei!«

Der Kapitän gab den Rhythmus vor, sie alle schwitzten. Klippos Arme schmerzten und er merkte jetzt erst, dass es eine Rippe bei seinem Sturz erwischt haben musste. Er biss die Zähne zusammen und sah in den Himmel, um sich abzulenken. Die Sonne stand schon ziemlich hoch und erste Wolkenbänke schoben sich über das Meer. Red lief zwischen den Felsen und dem Boot hin und her, als wolle sie ständig überprüfen, wie weit die Menschen schon gekommen waren. Es ging quälend langsam voran, doch irgendwann hatten sie das Meer erreicht.

»Noch ein einziges Mal«, schnaufte der Kapitän. »Eins … zwei … und drei!«

Das Boot schlitterte über die letzten Kiesel, die Wellen leckten an seinem Bug.

»Klippo, geh als Erster an Bord.«

Doch Klippo stand wie angewurzelt da. Er blinzelte in das Morgenlicht, dann streckte er einen Arm in die Richtung, aus der sie gekommen waren. »Sie sind da«, rief er. »Die Salpeter sind da!«

An die zwanzig Raubritter in glänzenden Rüstungen hatten sich oben auf dem Küstenkamm aufgebaut. Ihre Helme und Brustpanzer blitzten auf, wenn ein Sonnenstrahl sie traf, doch zwischen dem blanken Metall lauerten schmierige, schwarze Flecken wie böse Dämonen. Einer der Salpeter schrie etwas mit einer rauen, kehligen Stimme, es klang wie:

»Klippooooooooooo!«

»Verdammt, ich habe es gewusst. Schnell, rein ins Boot!«, rief der Kapitän.

Klippo klammerte sich an die schwankende Bordwand, doch seine Augen blieben bei den Salpetern.

»Klippooooooooooooooo!«

Die Raubritter hantierten an einem großen, bauchigen Kessel, an dessen Rand metallische Zähne schimmerten, es wirkte wie das aufgerissene Maul eines Monsters.

»Bestimmt eine der genialen Erfindungen von Schiefbart«, murmelte Klippo.

Der Vater zerrte an ihm. »Klippo, rein in das Boot!«

»Wo ist Red?«

»Schon im Boot, jetzt komm!«

Klippo riss sich vom Anblick der Salpeter los, stemmte sich an der Bordwand hoch, stützte sich auf, schwang ein Bein in das Boot und rollte schließlich ganz hinein. Seine Mutter sprang geschickt von der anderen Seite ins Boot. Klippo richtete sich auf.

»Klippooooooooooooooooooo!«

Die Umrisse der Raubritter zeichneten sich im kalten Morgenlicht auf den Klippen scharf ab. Der, der gerufen hatte, hielt einen langen Stab in der Hand. Brennende Tücher waren um das Ende gewickelt.

»Das Ganze hat mit Feuer zu tun …«, sagte Klippo leise, während seine Mutter ihn unter ihrem Reisemantel in Schutz nahm.

Graf Damian und der Kapitän schoben das Boot mit aller Kraft ins Meer, der Bug bäumte sich gegen die Wellen auf, Wasser klatschte auf Klippo und die Gräfin. Er sah unter dem Mantel seiner Mutter auf.

Der Salpeter rief: »Klippoooooooooooooooooo!«

Die Gestalt senkte das brennende Ende des Stabs hinunter zum aufgerissenen Maul des Metallkessels.

»Raaaaaaaaache!«

Es donnerte im Kessel, etwas flog pfeifend durch die Luft und fiel knapp neben dem Boot ins Meer.

»Klippo, duck dich!«

»Werden sie uns treffen, Mutter?«

»Ich weiß es nicht.«

Der Graf und der Kapitän waren auf die Ruderbank geklettert, sie zogen die Riemen mit aller Kraft durch das Wasser. Nach ein paar Zügen war das Boot schon einige Meter vom Strand entfernt.

»Raaaaaaaaaaaaaaaaaaache!«

Vier Salpeter hoben etwas in den rauchenden Schlund des Kessels, eine große Eisenkugel, die mit Stacheln bespickt war. Der Rufer hielt den brennenden Stab in die Höhe.

»Klippooooooooooooooooooooooo!«

Die Männer ruderten, das Boot pflügte durch die Wellen. Plötzlich bemerkte Klippo eine huschende Bewegung am Strand. »Red! Ihr habt gesagt, sie sei schon im Boot! Ihr habt gelogen!«

»Klippo, es ist egal«, rief Graf Damian. »Sie braucht dich nicht.«

»Aber ich brauche sie!«

Klippo sprang auf und lief auf das schwankende Heck zu. Das Hermelin rannte am Strand auf und ab, ab und zu sprang es auf die Wellen zu, zog sich aber sofort zurück.

»Seht ihr? Sie braucht mich. Sie hasst Wasser, lasst mich zu ihr!«

Klippo wollte sich ins Meer stürzen, doch die Gräfin zerrte so heftig an seinem Mantel, dass er in die Knie ging. »Warte hier, Klippo.« Ihre Worte duldeten keine Widerrede. Im Handumdrehen hatte sie ihren Mantel abgestreift und die Stiefel von den Füßen geschüttelt. Sie maß die Entfernung zum Ufer kurz mit den Augen ab.

»Dorothea, nein!«, rief der Vater.

Die Gräfin sprang kopfüber ins Wasser, elegant wie ein Delfin, fand Klippo.

»Raaaaaaaaaaaaaaaaaaache!«, kam der Ruf von den Klippen, und noch etwas: »Seeeeeeeeeenga!«

Es donnerte, die Stachelkugel pfiff durch die Luft, sie schlug ins Wasser ein, knapp neben Klippos Mutter, die unbeeindruckt durch die Wellen schwamm.

»Vater, seit wann kann Mutter so gut schwimmen?«

»Sie kann eine Menge«, murmelte der Vater. Er und der Kapitän sorgten mit den Rudern dafür, dass das Boot an derselben Stelle blieb und sich nicht in der Strömung drehte.

Schon war die Gräfin am Ufer, sie bückte sich und das Hermelin sprang ihr in die Arme. Klippos Mutter presste Red an sich, rannte zurück ins Meer und warf sich wieder ins Wasser. Sie kraulte nur mit einem Arm, mit dem anderen hielt sie das Hermelin fest umklammert. Red reckte den Kopf, um über Wasser zu bleiben.

»Klippooooooooooooooooooooooo!«

Die Gräfin war langsamer als auf dem Hinweg, sie kämpfte mit einem Arm gegen die Flut, doch sie kam immer näher. Ein weiteres Donnern, diesmal zischte das Geschoss wie ein zorniger Kugelfisch aus Metall flach über das Boot. Klippo und die beiden Männer zogen die Köpfe ein.

»Gräfin Dorothea!« Kapitän Maddox schob das Ruder in ihre Richtung, reckte seine langen Arme, so weit er konnte. Die Gräfin packte zu, Graf Damian zog sie an Bord. Red strampelte sich frei und sprang auf Klippo zu. Sie kringelte sich auf seinem Schoß ein, unter dem nassen Fell zitterte sie am ganzen Leib.

»Danke, Mutter«, sagte Klippo.

Die Gräfin strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht. »Ich weiß, dass du sonst gesprungen wärst, Klippo.«

»Stimmt. Ich wusste gar nicht, das du so gut schwimmen kannst.«

»Nun, jetzt weißt du es.«

»Ich wette, es gibt noch mehr, das ich noch nicht über dich weiß.«

»Später, Klippo. Halte den Kopf unten.«

Der Vater und der Kapitän zogen an den Rudern, das Boot nahm wieder Fahrt auf.

»Wir sind zu langsam«, presste der Kapitän zwischen den Zähnen hervor, »der nächste Schuss wird uns treffen.«

»Klippo«, rief der Vater, »sag uns, wie sie den Eisenspucker ausrichten.«

Klippo legte eine Hand über die Stirn. Er hatte scharfe Augen, scharf wie ein Habicht, sagte seine Mutter immer. Er sah, wie vier Salpeter den Kessel mit den Metallzähnen neu positionierten.

»Sie drehen ihn nach links.«

»Was meinst du mit links?«

»Von uns aus gesehen. Von ihnen aus gesehen rechts.«

»Wie jetzt? Links oder rechts?«

»Beides, je nachdem, von wo man guckt.«

»Klippo! Ich verstehe dich nicht.«

Doch Kapitän Maddox hatte verstanden, er stach sein Ruder ins Wasser und hielt gegen die Strömung. Das Boot drehte sich. Es donnerte, pfiff, die Kugel klatschte so nah neben ihnen ins Meer, dass das Boot beinahe umgeworfen wurde. Klippo knallte gegen die Bordwand, doch da ihm ohnehin alles wehtat, machte es ihm kaum etwas aus. Die Männer ruderten weiter, Gräfin Dorothea übernahm das Steuer.

»Klippo, was tun sie jetzt?«, fragte der Graf.