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Kloster, Mord und Dolce Vita: eine Krimi-Serie wie ein Urlaub in der Toskana. Drei Folgen in einem Band!
Folge 4 - Eine Leiche aus gutem Hause
Der Hippie Eden bittet Schwester Isabella um Hilfe: Ein Investor möchte seine Strandkommune dem Erdboden gleichmachen, um dort ein weiteres Hotel zu errichten. Isabella versucht, den schwerreichen, adeligen Unternehmer umzustimmen - erfolglos. Am nächsten Morgen wird er ermordet aufgefunden. Ist dies etwa das Werk der Blumenkinder? Isabella kann sich das nicht vorstellen. Gemeinsam mit Matteo beginnt sie zu ermitteln ...
Folge 5 - Eine rätselhafte Beichte
Ganz Santa Caterina steht im Zeichen der Olivenernte - Hochsaison für die Olivenöl-Presse am Ort. Der Arbeiter Antonio legt bei Schwester Isabella die Beichte ab: Er hat gleich mehrere Gebote gebrochen, will aber nicht ins Detail gehen. Bevor Isabella aus der rätselhaften Beichte schlau wird, ist Antonio auch schon tot - in der Ölpresse ertrunken! Ein Unfall? Carabiniere Matteo ist jedenfalls abgelenkt: Er hat einen Spezialauftrag von Bürgermeister Lenzi erhalten und dessen schöne Tochter Nina geht ihm nicht aus dem Kopf. Also ermittelt Isabella selbst - und entdeckt Ungeheuerliches!
Folge 6 - Gruß aus dem Jenseits
Santa Caterina feiert das Fest seiner Namenspatronin. Als zum Höhepunkt die Reliquie der Heiligen Katharina - ihr Zeigefinger - enthüllt werden soll, offenbart sich Schreckliches: Der eigentlich knochige Finger besteht aus Fleisch und Blut! Zeichen Gottes oder schlimmes Verbrechen? Als bald darauf eine Leiche auftaucht, wird klar, woher der Finger stammt. Doch was steckt hinter der Tat? Isabella und Matteo sind ratlos. Allerdings scheint Don Francesco, der Pfarrer von Santa Caterina, etwas zu verbergen ...
Über die Serie:
Benvenuto a Santa Caterina! In dem malerischen Toskana-Dorf lebt, betet und ermittelt Schwester Isabella. Der junge Carabiniere Matteo ist froh über ihre Hilfe - meistens. Denn eines weiß der einzige Polizist von Santa Caterina: Schwester Isabella hat ihren eigenen Kopf!
Mit Witz, Charme und dem Blick fürs Menschliche ermitteln Isabella und Matteo in der Toskana. Klar, dass dabei auch die italienische Lebenskunst nicht zu kurz kommen darf!
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Seitenzahl: 440
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Folge 4: Eine Leiche aus gutem Hause
Der Hippie Eden bittet Schwester Isabella um Hilfe: Ein Investor möchte seine Strandkommune dem Erdboden gleichmachen, um dort ein weiteres Hotel zu errichten.
Isabella versucht, den schwerreichen, adeligen Unternehmer umzustimmen – erfolglos. Am nächsten Morgen wird er ermordet aufgefunden. Ist dies etwa das Werk der Blumenkinder? Isabella kann sich das nicht vorstellen. Gemeinsam mit Matteo beginnt sie zu ermitteln …
Folge 5: Eine rätselhafte Beichte
Ganz Santa Caterina steht im Zeichen der Olivenernte – Hochsaison für die Olivenöl-Presse am Ort. Der Arbeiter Antonio legt bei Schwester Isabella die Beichte ab: Er hat gleich mehrere Gebote gebrochen, will aber nicht ins Detail gehen. Bevor Isabella aus der rätselhaften Beichte schlau wird, ist Antonio auch schon tot – in der Ölpresse ertrunken!
Ein Unfall? Carabiniere Matteo ist jedenfalls abgelenkt: Er hat einen Spezialauftrag von Bürgermeister Lenzi erhalten und dessen schöne Tochter Nina geht ihm nicht aus dem Kopf. Also ermittelt Isabella selbst – und entdeckt Ungeheuerliches!
Folge 6: Gruß aus dem Jenseits
Santa Caterina feiert das Fest seiner Namenspatronin. Als zum Höhepunkt die Reliquie der Heiligen Katharina – ihr Zeigefinger – enthüllt werden soll, offenbart sich Schreckliches: Der eigentlich knochige Finger besteht aus Fleisch und Blut! Zeichen Gottes oder schlimmes Verbrechen?
Als bald darauf eine Leiche auftaucht, wird klar, woher der Finger stammt. Doch was steckt hinter der Tat? Isabella und Matteo sind ratlos. Allerdings scheint Don Francesco, der Pfarrer von Santa Caterina, etwas zu verbergen …
Benvenuto a Santa Caterina! In dem malerischen Dorf im Herzen der Toskana lebt, arbeitet und betet Kloster-Schwester Isabella. Doch wie aus heiterem Himmel muss sie plötzlich in einem Mordfall ermitteln! Von da an macht es sich die neugierige Nonne zur Lebensaufgabe, die großen und kleinen Verbrechen der Dorfbewohner aufzuklären. Carabiniere Matteo ist froh über diese himmlische Hilfe, denn schließlich hat er als einziger Polizist von Santa Caterina alle Hände voll zu tun …
Schwester Isabella
Die Ordensschwester ist 35 Jahre alt und heißt mit bürgerlichem Namen Isabella Martini. Schon früh wusste sie, dass sie Nonne werden möchte, und trat in ein kleines Nonnenkonvent in Kalabrien, im Süden Italiens, ein. Nachdem dieses geschlossen wurde, verschlägt es sie nach Santa Caterina, wo sie durch das Lösen von Kriminalfällen ihre wahre Berufung findet. Sie öffnet sich dem Dorf und dem weltlichen Leben – und fängt ganz nebenbei auch noch Verbrecher.
Matteo Silvestri
Der 29-jährige Carabiniere des von Santa Caterina erhält von Schwester Isabella Hilfe bei seinen Ermittlungen – oder ist es eher andersrum? Als Polizist ist Matteo noch unerfahren und wird von der Nonne unter ihre Fittiche genommen.
Äbtissin Filomena
»Der Herr gibt es, der Herr nimmt es.« – Nach dieser Maxime lebt die 63-jährige Äbtissin Filomena. Noch nie hat man sie ohne Habit gesehen. Ihr gesamtes klösterliches Leben hat sie in Santa Caterina verbracht, und sie wird es auch hier beenden. Dem Schutz des Klosters und »ihrer« Nonnen hat sie sich mit Leib und Seele verschrieben.
Duccio Lenzi
Duccio Lenzi ist Bürgermeister des Dorfes und versteht sich als Patron von Santa Caterina – großzügig, fördernd, aber auch unnachgiebig, wenn ihm etwas nicht passt. Seiner Meinung nach muss nicht immer alles an die Öffentlichkeit gelangen – doch Schwester Isabella sieht das leider allzu oft anders …
V A L E N T I N A M O R E L L I
Folgen 4–6
V A L E N T I N A M O R E L L I
Eine Leiche aus gutem Hause
»Na, was sagen Sie? So schlecht ist das doch nicht.«
Schwester Isabella blieb Bürgermeister Lenzi eine Antwort schuldig. Dabei hatte er recht. So schlecht war die Position für den Klosterstand wirklich nicht. Er lag noch näher zur Hauptverkehrsstraße und war damit bereits sichtbar, bevor man den Marktplatz betrat.
Dennoch misstraute sie dem Bürgermeister. Sie kannte ihn lange genug, um zu wissen, dass er stets auf seinen eigenen Vorteil bedacht war und nichts aus reiner Nettigkeit tat. Daran änderte auch das weitschweifige Grinsen in seinem Gesicht nichts, mit dem er sie bedachte, während er sich den Schweiß von der Stirn tupfte.
»Das wird Ihren Umsatz bestimmt enorm ankurbeln.«
»Wenn Sie das sagen.«
Isabella stand mit verschränkten Armen hinter dem Verkaufstresen, über ihr die getrockneten Fenchelwürste, die an einer langen Latte über dem Stand baumelten. Wachsam betrachtete sie den vor dem Stand stehenden Bürgermeister, doch dieser hatte nur Augen für die bauchigen Grappaflaschen.
Es waren die beiden letzten, die zum Verkauf bereitstanden. Gerade erst hatten drei Busse ihre Touristen ausgespuckt, die wie Heuschrecken über den Markt hergefallen waren und beinahe alles gekauft hatten, was nicht niet- und nagelfest war. Unterhalb des Tresens stapelten sich die benutzten Probiergläser zu Dutzenden.
Zwar war es noch weit vor der Mittagsstunde, doch das war den meisten Touristen egal. Sie hatten kein Problem damit, sich in der glühenden Vormittagssonne durch die klostereigenen Weine und Tresterbrände zu probieren. Schließlich befanden sie sich im Urlaub. Und Autofahren mussten sie auch nicht, da die Reisebusse sie bequem durch die Sehenswürdigkeiten der Toskana kutschierten.
»Möchten Sie denn auch einen Grappa probieren?« Isabella lächelte den Bürgermeister freundlich an, der nur ganz kurz mit sich zu ringen schien und dann freudig nickte.
»Ach wissen Sie, Schwester. Ein Gläschen in Ehren – Sie wissen schon.«
Isabella wusste und schenkte ihm ein.
Duccio Lenzi exte das Glas in einem Zug. Mit einem lautstarken Schmatzen schlug er das leere Glas auf den Tresen. »Junge, der schmeckt fantastisch.« Wenn ihr im Kloster von einer Sache was versteht, dann von Grappa.«
»Erklären Sie es mir bitte noch einmal, Signore Lenzi«, verlangte Isabella. »Warum all dieser Aufwand?«
Er drehte sich nach beiden Seiten, als würde er die Menschenmenge auf sich wirken lassen, die durch die enge Gasse strömte. Der größte Ansturm war zwar vorüber, doch erfreute sich der Markt noch immer einer stattlichen Anzahl an Besuchern.
»Wir müssen das Marktgeschehen für die Touristen ereignisreich halten«, gab er in einem selbstzufriedenen Tonfall von sich. »Da ist es immer gut, wenn man in Bewegung bleibt und das Standsortiment etwas aufhübscht. Oder eben neu arrangiert – damit es spannend bleibt.«
»Aha«, machte Isabella, die überhaupt keinen Unterschied sah. Außer dass der Klosterstand nun ein paar Meter weiter nach links gerückt worden war und sich der direkte Nachbarstand dafür einen ganzen Meter dichter an ihrem befand. Nicht spannender, aber enger war es geworden.
»Der Caterinenmarkt erfreut sich großer Beliebtheit«, sprach der Bürgermeister weiter, als hätte er die Gedanken von ihren Augen abgelesen. »Da müssen wir eben alle zusammenrücken, um das Angebot zu erweitern.«
Isabella nickte, obwohl sie alles andere als zufrieden mit den jüngsten Entwicklungen war. Den Klosterstand zu verschieben war eine Sache. Eine ganz andere war es, alles derart dicht zusammenzurücken, damit noch mehr Verkaufsstände auf den verhältnismäßig kleinen Platz passten. Dem Bürgermeister ging es dabei weder um ein breitgefächertes Angebot noch darum, es den Verkäufern oder Touristen recht zu machen. Die Steigerung des Profits für die Gemeindekasse war sein primäres Anliegen. Dessen war sich die Schwester sicher.
»Sie haben keinen Schaden davon«, versprach der Bürgermeister. »Im Gegenteil: Sie haben nun einen Platz in der besten Reihe.« Er zwinkerte ihr zu.
Erst dachte Isabella, er würde es aus Nettigkeit tun, doch dann verstand sie, dass er nachgefüllt haben wollte. Also tat sie ihm den Gefallen.
»Habe die Ehre, Schwester«, sagte er, als er auch das zweite Glas in einem Zug hinuntergestürzt hatte und sich mit der Faust auf die Brust schlug. »Und grüßen Sie die Äbtissin von mir.«
Ehe Isabella etwas erwidern konnte, steuerte er bereits den nächsten Stand an und grüßte mit einem eifrigen Winken die Verkäuferin der Mazza-Keramiken, deren Stand sich nun schräg gegenüber dem des Klosters befand.
Auch das war Isabella recht. Sie mochte Giorgia Martini, und im Laufe der Zeit hatte sich zwischen ihnen ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt. Immer mehr verstand Isabella, warum ihre verstorbene Mitschwester Raffaela den Standdienst so geliebt hatte. Die Aussteller bildeten eine eingeschworene Gemeinschaft, bei der jeder jedem half.
»Sei gegrüßt, Schwester.« Eine sympathische Stimme drang an ihr Ohr.
Als sie sich zu ihr umdrehte, erkannte sie einen Mann, dessen Alter sie unmöglich schätzen konnte. Er war groß und schlank. Seine lehmblauen Augen stachen förmlich aus seinem braun gebrannten Gesicht heraus. Er trug einen dichten Bart, der nahtlos überging in dicke Rastalocken, die von allen Seiten vom Kopf hingen. Isabella wusste gar nicht, wo sie hinschauen sollte, solch eine … andere Erscheinung war der Mann. Um den Hals baumelten Ketten mit Kreuzen und Friedenssymbolen, die Handgelenke waren mit Bändern und Armreifen geschmückt, die silbern schimmerten. Er trug ein gebatiktes T-Shirt in den Farben des Regenbogens.
Als sie alles in sich aufgenommen hatte und ihm endlich wieder in die Augen sah, legte sein Lächeln noch eine Schippe drauf. Er hob die Hand und beschrieb einen Halbkreis. »Möge die Sonne in deinem Herzen leuchten.«
Isabella wusste nicht, ob es die Sonne war, aber sie spürte, wie ihre Augen leuchteten. Das war ja mal eine wirklich nette Begrüßung.
»Ähm, danke, Signore?«, erwiderte sie unbeholfen, weil ihr schlichtweg nichts Intelligenteres dazu einfallen wollte.
»Eden«, sagte der Mann.
»Bitte?«
»Ich heiße Eden. Zumindest nennen meine Freunde mich so.«
»Oh.« Isabella war entzückt. »Und ich darf dich auch so nennen? Das freut mich!«
»Es wäre mir sogar eine Ehre! Wir sind ja quasi Nachbarn.« Sein Kopf ging ruckartig nach hinten, wobei ihm eine dicke Rastasträhne ins Gesicht fiel. »Wir haben in den hinteren Reihen unseren Stand.«
»Ah, der Hippiestand.« Isabella nickte. »Den kenne ich natürlich.« Jeder kannte ihn. Er war die farbenfrohe Attraktion des Marktes und erfreute sich sowohl bei den Touristen als auch bei den Einheimischen großer Beliebtheit.
Obwohl seine Augen noch immer lächelten, seufzte der Mann. »Leider mussten wir unseren Platz in der vorderen Reihe räumen, weil der Bürgermeister der Meinung war, dass wir das Bild des Marktes verschandeln.«
Isabella hob eine Braue. »Das hat er gesagt?«
Der Mann mit dem merkwürdigen Namen Eden zwinkerte kurz. »Nun, nicht in diesem Wortlaut. Aber zwischen den Zeilen war es eindeutig herauszuhören.«
Isabella nickte gedankenvoll. Das sah dem Bürgermeister in der Tat ähnlich. Alles, was auch nur im Ansatz gegen sein konservatives Weltbild sprach, war in seinen Augen schlecht. Einmal mehr fragte sie sich, wie solch ein Mann es nur hatte schaffen können, zum Bürgermeister Santa Caterinas gewählt zu werden. Sie hatte die Menschen dieses Dorfes als aufgeschlossen und weltoffen kennengelernt. Charakterzüge, die so gar nicht zu Lenzi passen wollten.
»Das bedaure ich wirklich sehr«, gab Isabella offen zu.
Doch der Mann wehrte ab. »Der Markt ist glücklicherweise nicht so riesig. Hier bekommen alle ihr Stück vom Kuchen ab.« Er trat näher an den Stand heran. »Aber das ist es nicht, weshalb ich dich sprechen möchte.«
»Du möchtest mit mir sprechen?« Sie sah den Mann verwundert an, der ihr verschwörerisch zunickte.
»Wir haben da ein Problem«, begann er. »Ein recht großes sogar, wie ich anmerken darf, und wir hoffen da auf euren Beistand – also, auf den Beistand der Kirche.«
»Wer ist wir?«, hakte Isabella nach.
»Na, wir. Die Aussteiger. Die Hippies.« Er lachte und nestelte an seiner nach vorne gefallenen Rastasträhne herum, bis er sie schließlich nach hinten warf.
Isabella sah ihn noch immer verwundert an. »Und was kann ausgerechnet ich für euch tun?«
Er sah sie ernst an. »Kennst du unsere Kommune, unten am Strand?«
»Vom Hörensagen«, erwiderte Isabella wahrheitsgemäß. Sie wusste, dass die Hippies sich vor Jahren am Strand von Viareggio niedergelassen und sich dort mit der Zeit ein kleines Dorf eingerichtet hatten.
»Nun, dann weißt du vielleicht auch, dass wir dort seit Jahren leben. Doch nun gibt es da dieses Bauunternehmen, das uns vom Strand vertreiben will, weil es den Auftrag hat, dort im Namen einer großen Hotelkette ein Luxusresort zu errichten.« Er gestikulierte wild mit den Händen. »Das geht doch nicht! An unserem Strand.«
Isabella hob beschwichtigend die Arme, um den Mann zu beruhigen. Sie konnte es sich überhaupt nicht vorstellen. Das Hippiedorf war im Laufe der Jahre zu einem Tourismusmagneten geworden. Niemand störte sich daran. Im Gegenteil: Es waren sehr umgängliche Menschen, die obendrein eine Bereicherung für das Kulturleben der Region darstellten. Viele erfreuten sich an ihren Waren, die sie in Handwerksarbeit herstellten und verkauften. Sie veranstalteten Konzerte, gaben Kurse im Töpfern, Yoga und Meditation. Einmal im Monat veranstalteten die Bewohner dort ein großes Fest, zu dem jeder eingeladen war.
Isabella war noch nie dort gewesen, hatte sich aber fest vorgenommen, es sich selbst einmal anzuschauen. Die Schwestern hatten ihr begeistert berichtet, wie die Hippies Musik machten und an einem Lagerfeuer bis in die späte Nacht feierten.
Vom Caterinenmarkt waren die Hippies ohnehin nicht mehr wegzudenken. Isabella erfreute sich allmorgendlich an dem Anblick des bunten VW-Busses, der stets hinter dem Hippiestand parkte und aus dem die Oldieklassiker erklangen, die sie so sehr mochte. Ihr gefielen die Dinge, die sie herstellten. Handgemachte Kleidung in bunten Batikmustern, Schmuck mit schönen Edelsteinen. Kopftücher, Schals und wundervolle Gemälde in schillernden Farben. Sie verbreiteten gute Laune und eine angenehme Stimmung.
»Da liegt bestimmt ein Missverständnis vor.« Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Bist du dir da wirklich sicher?«
»Assolutamente. Si! Wir haben einen offiziellen Brief erhalten. Mit einem Ultimatum.« Eden griff in die Tasche seiner ausgeblichenen Jeans-Shorts und zückte einen gefalteten Umschlag hervor. »Hier. Lies selbst. Bitte.«
Zögernd nahm Isabella den Umschlag entgegen und faltete den Brief auseinander. Schnell überflog sie den Inhalt. Der Absender war die Baufirma Marenzi, deren Inhaber ein gewisser Conte Gabriele Marenzi war.
Sie kannte den Namen. Die Marenzis waren eine angesehene Familie aus der Gegend, und Isabella wusste, dass dieser Gabriele Marenzi bei vielen Projekten seine Finger im Spiel hatte.
Das Schreiben bestätigte das, was Eden ihr erzählt hatte. Die Bewohner der Kommune hatten dem offiziell wirkenden Schreiben nach sechs Wochen Zeit, den Platz am Strand zu räumen. Sollten sie dieser Aufforderung bis dahin nicht Folge leisten, würde eine Zwangsräumung vollzogen werden.
»Ich kann es nicht glauben«, sagte Isabella über den Rand des Briefbogens hinweg. »Ich meine, gibt es da nicht so was wie ein Gewohnheitsrecht? Die Kommune gibt es doch bestimmt seit Jahren.«
»Seit beinahe zwanzig«, erwiderte Eden niedergeschlagen und senkte den Blick. »Für uns klingt das sehr ernst. Wir haben bereits das Gespräch mit den Marenzis gesucht, doch wir finden dort kein Gehör. Man hat uns nicht mal einen Termin mit Signore Marenzi in Aussicht gestellt. Deshalb möchte ich dich bitten, Schwester. Vielleicht hat man bei den Marenzis ein offenes Ohr für eine Gottesfrau. Ich habe gehört, dass sie sehr traditionell sind.«
Isabella dachte nach, überlas noch einmal den Brief. »Das Büro befindet sich in Lucca«, murmelte sie vor sich hin.
Doch Eden schüttelte den Kopf und gab den Anflug eines Lächelns preis. »Signore Conte Gabriele Marenzi ist derzeit mit seinem Sohn im La Vetta zu Gast«, sagte er. »Das hat mir eine Freundin erzählt, die dort arbeitet. Deswegen dachten wir, dass es dir keine Umstände macht.« Er drehte den Kopf nach hinten, in Richtung des Hotels. »Das La Vetta befindet sich schließlich gerade mal auf der anderen Straßenseite.«
Isabella schaute skeptisch drein. »Und wie stellst du dir das vor? Dass ich einfach dort hineinmarschiere und ihn dazu auffordere, dieses Vorhaben abzublasen?«
Der Mann griff nach ihrer Hand. »Ja … nein. Ich meine … ich weiß es ja auch nicht.« Er hielt einen Moment inne. »Wir haben selbst keine Ideen mehr und niemanden, der uns helfen könnte. Dem Bürgermeister sind wir schon lange ein Dorn im Auge. Auch sonst gibt es niemanden, der sich für uns einsetzen würde.«
Während er sprach, hatte er Isabella fest im Visier. Die braunen Augen des Mannes erinnerten sie spontan an Caesar, ihren Ziehhund, der sie seit Wochen auf Schritt und Tritt begleitete.
»Bitte, Schwester. Sprich mit ihm. Mach ihm klar, was diese Entscheidung für uns bedeutet. Man beraubt uns damit unserer Existenz. Es muss doch eine andere Lösung geben. Wir sind bereit zu Kompromissen, aber dafür muss man uns Gehör schenken, sich mit uns an einen Tisch setzen.«
Isabelle hielt dem eindringlichen Blick dieses Mannes stand. Schließlich nickte sie. Sie sah es nicht anders.
Sie wollte gerade etwas erwidern, als ihr Telefon sie aus dem Gedankenfluss riss. Beim Blick auf das Display beschleunigte sich ihr Herzschlag. »Entschuldigst du mich bitte, aber das ist wichtig. Es ist mein Bruder!«
Sie hatte schon den ganzen Morgen auf diesen Anruf gewartet. Denn niemand Geringeres als ihr Bruder Andrea hatte sich zum Besuch angemeldet. Zum ersten Mal, seit sie ihr Amt in Santa Caterina angetreten hatte. Eigentlich sollte er schon seit zwei Stunden hier sein, aber sein Zug hatte Verspätung.
»Ciao, Andrea«, rief sie geradezu in ihr Smartphone, das sie ausnahmsweise mit zum Stand genommen hatte. »Was sagst du, du bist in einer Stunde am Bahnhof? Das ist großartig! Ich hoffe, du hast Hunger mitgebracht, denn Schwester Hildegard hat versprochen, dein Leibgericht zuzubereiten. Gefüllte Piccata Milanese.« Nach einem kurzen Geplauder legte sie auf und grinste noch immer vor sich hin, als sie sich wieder Eden zuwandte.
»Das klang nach guten Nachrichten«, sagte er freundlich. »Es ist immer gut, seine Familie um sich zu wissen, nicht wahr?«
Isabella seufzte zustimmend. »Du sagtest, er ist im La Vetta abgestiegen?« Sie deutete mit dem Kinn nach vorn, in Richtung des Hotels, das sich auf der gegenüberliegenden Seite des Marktplatzes befand.
Eigentlich hatte sie auch ihren Bruder in diesem Hotel unterbringen wollen, aber Andrea hatte darauf bestanden, im Kloster wohnen zu dürfen, damit sie so viel Zeit wie nur möglich miteinander verbringen konnten. Natürlich wollte Isabella das ebenso sehr. Dennoch war ihr unwohl bei dem Gedanken, wie ihre Mitschwestern auf ihren Bruder reagieren würden. Er war Stadtmensch durch und durch und konnte mit seiner Lebenseinstellung dem einen oder anderen womöglich ein Dorn im Auge sein.
Eden nickte. »Wir haben herausgefunden, dass Marenzi eine Großbaustelle an der La Estrada 11 betreut. Dort wird gerade ein großer Rastplatz errichtet. Mit Tankstelle, Restaurant und allem Drum und Dran. Deshalb ist Marenzi für einige Tage hier einquartiert. Der Zeitpunkt wäre also perfekt.« Er sah sie beschwörend an. »Sofern du uns helfen möchtest.«
»Natürlich möchte ich«, erwiderte Isabella, machte sich aber nicht viel Hoffnung auf Erfolg. »Doch ich glaube nicht, dass ich da etwas ausrichten kann.«
»Einen Versuch wäre es wert.« Eden sah sie eindringlich an.
Isabella konnte nicht anders, als zu nicken. »Ich kann mich ja einmal mit ihm unterhalten.«
Eden streckte seine Hände aus und umfasste ihre. Er nickte unaufhörlich und lächelte sie verbunden an. »Vielen Dank, Schwester! Das wissen wir sehr zu schätzen. Liebe und Frieden für alle.«
Matteo war bester Laune.
Im Radio lief Zuccheros Überhit Senza Una Donna, den Matteo lauthals mitschmetterte, während er auf dem staubigen Boden seiner Garage saß und die Zündkerzen an seiner Vespa wechselte.
Aus irgendeinem Grund, der sich ihm noch nicht erschlossen hatte, verbrannten sie innerhalb kürzester Zeit, wenn er den Motor anließ. Aber auch dieses Problem würde er lösen. So, wie er bislang alle Probleme gelöst hatte, die den Neuaufbau seiner Vespa betrafen.
Er machte grandiose Fortschritte und wertete dies als gutes Zeichen, was die Fortschritte bei Nina betraf. Sie waren zwar noch immer kein Paar, kamen sich aber mit jedem Tag näher und näher, es war nur noch eine Frage der Zeit bis zum letzten Schritt.
Matteo war gerade beim Austausch der letzten Zündkerze, als ein langer Schatten in die offen stehende Garage fiel und ihn innehalten ließ.
»Wieso sind Sie nicht im Präsidium?«
Die Stimme erklang derart ruppig, dass Matteo aufgeschreckt zusammenzuckte und ihm beinahe die brandneue Zündkerze aus der Hand gepurzelt wäre. Behutsam legte er sie auf den Boden und wandte sich dem Mann zu, der mit verschränkten Armen vor seiner Garage stand und mit zusammengekniffenen Augen auf ihn herabsah.
»Signore?«, fragte Matteo höflich distanziert. »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
»Warum das Präsidium verschlossen ist, will ich wissen.«
Um der unangenehmen Perspektive zu entkommen, erhob sich Matteo rasch und trat auf den Mann zu. »Um was geht es denn?« Er putzte sich seine verschmutzten Hände mit einem öltriefenden Lappen ab, was zur Folge hatte, dass sie nur noch schmutziger wurden. Dennoch reichte er dem Mann die Hand, der sie anstandslos ergriff und sie fest schüttelte.
»Francesco Nocenti, mein Name.«
Matteo musterte ihn eingehend. Weder der Name noch der Mann selbst sagten ihm irgendetwas. Er war ein ganzes Stück älter als Matteo und hatte ein knochiges Gesicht, dem kaum etwas Sympathisches anhaftete.
»Ich war im Präsidium, aber die Tür war verschlossen«, sagte er noch einmal.
Matteo nickte. »Es hat erst wieder morgen geöffnet.«
Der Grund war Überstundenabbau, aber Matteo sah nicht ein, warum er das einem Fremden auf die Nase binden sollte.
»Man hat mir gesagt, dass ich Sie hier finde.« Nocenti sah sich aufmerksam in der Garage um. Kurz fiel sein Blick auf ein altes Mannschaftsfoto der Fiorentina aus dem Jahr 2001, als sie Pokalsieger geworden waren. Der letzte große Titel, den sie gewinnen konnte. Dann beäugte er kurz die alte Vespa mit dem unvollständigen Satz an Zündkerzen.
»Worum geht es denn?«, wollte Matteo wissen, dem es gar nicht recht war, dass eine fremde Person in seiner Garage stand und ihn von der Arbeit abhielt. Immerhin war er heute nicht im Dienst.
Der Mann sah Matteo unverwandt an. »Das will ich Ihnen sagen. Ich möchte Anzeige erstatten.«
»So?« Matteos Brauen zogen sich unheilvoll zusammen. Innerlich stöhnte er auf. Er hatte weder die Lust noch die Muße, sich an seinem freien Tag mit der Aufnahme einer Anzeige zu beschäftigen. Doch Matteo war eine viel zu nette Person, um diesen Mann seiner Garage zu verweisen. Ehe er sich selbst ausbremsen konnte, hörte er sich deshalb fragen: »Gegen was und wen?«
»Es geht um das Bauunternehmen, das gerade einen Riesenpfusch an der Autobahn veranstaltet und weit über die Bestimmungsverordnungen hinaus Gebiete für sich einnimmt, die –«
»Baupfusch?«, bremste Matteo den Redeschwall des Mannes aus. Seine Brauen schossen nach oben. »Also geht es um Bauvertragsrecht?«
Nocenti nickte vorsichtig. »Schätze schon … ja.«
Diese Antwort ließ den Carabiniere innerlich aufatmen. »In diesem Fall bin ich überhaupt nicht Ihr richtiger Ansprechpartner. Klären Sie das bitte mit dem Bürgermeisteramt. Dort wird man Ihnen einen Antrag aushändigen, mit dem Sie einen Einblick in die Baupläne, nun ja, beantragen können.« Matteo lächelte, hörte aber damit auf, da es von seinem Gegenüber nicht erwidert wurde. »Sollte es dann tatsächlich begründete Unstimmigkeiten geben, können Sie sich selbstverständlich sogleich an mich wenden. Ab morgen, versteht sich.« Er nannte Nocenti die Öffnungszeiten des Präsidiums und wies darauf hin, dass die Mittagspausen bindend waren und kein Besuch in dieser Zeit geduldet wurde.
Mit zerknirschter Miene brummte der Mann etwas Unverständliches vor sich hin und machte auf dem Absatz kehrt, ohne sich zu verabschieden oder Matteo auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen.
Während er beiläufig versuchte, seine Hände mit dem noch schmutzigen Lappen sauber zu bekommen, stieß der Carabiniere einen leisen Pfiff aus und sah dem Mann noch eine Weile nach. »Leute gibt’s.«
»Andrea!« Ohne Rücksicht auf Verluste drängte Isabella nach vorn und stürmte in die Arme ihres kleinen Bruders.
»Isilein!« Mit einem Freudenschrei beugte dieser sich nach unten und nahm sie fest in den Arm. Dann hielt er sie von sich weg, betrachtete sie noch einmal ausgiebig und drückte sie noch fester an sich. »Du hast dich ja überhaupt nicht verändert!«
Isabella lachte. »Das ist eben der Vorteil, wenn man tagein, tagaus ein und dasselbe Kleidungsstück trägt. Die Veränderungen fallen dann nicht so gravierend ins Auge. Aber du siehst anders aus. Deine Haare sind länger.« Sie musterte ihn aufmerksam. »Und du hast dir einen Bart wachsen lassen.«
Ihr Bruder fuhr sich stolz über selbigen. »Ja, ich konnte dieses Milchbubengesicht im Spiegel nicht länger ertragen.«
»Er steht dir.« Und das tat er wirklich.
Isabella war kein Freund von Bärten. Mit Schaudern dachte sie an die Phase zurück, als Matteo versucht hatte, sich einen Bart wachsen zu lassen. Zum Glück hatte er es aufgegeben und rasierte sich wieder regelmäßig.
Aber ihrem Bruder stand der Anflug eines Vollbartes ausgezeichnet. Auf eine interessante Art ließ er ihn älter wirken. Dabei war er drei Jahre jünger als sie. Auch seine Haare waren länger als bei ihrer letzten Begegnung, die nun schon mehrere Monate zurücklag. Mittlerweile reichte ihm das dunkle Haar bis unter das Kinn.
Interessiert ließ er seinen Blick durch die Eingangshalle des Klosters schweifen. »Hier lebst du also.«
Isabella nickte. »Komm mit, ich zeige dir deine Zelle. Du wirst sie hassen, aber du wolltest es ja so.«
»Genauso ist es. Keinen Schnickschnack für mich. Die nächsten Tage will ich ganz nah bei dir sein und dein Leben teilen.«
Isabella schmunzelte in sich hinein. Er wusste ja nicht, worauf er sich einließ. Ihr Bruder war das exakte Gegenteil von ihr. Sie empfand Luxus als einengend, für ihn war es die Grundlage seiner Existenz.
»Dort kannst du deine Sachen ablegen, und dann stelle ich dir meine Mitschwestern vor. Die sind schon sehr gespannt auf dich. Anschließend gibt’s im Refektorium ein gemeinsames Mittagessen.« Sie nahm Andrea bei den Händen. »Du wirst Hildegards Piccata Milanese lieben.« Sie drückte ihn noch einmal an sich, um sicherzugehen, dass er wirklich da war. »Es ist so schön, dich zu sehen!«
»Das finde ich auch. Ich hab dich so vermisst!«
»Ach, da ist ja unser Besuch!«
Isabella hatte sich gerade aus den Armen ihres Bruders gelöst, als ihre Mitschwestern aus allen Richtungen angestürmt kamen.
»Ist er das?«, fragte Schwester Hildegard.
»Ist er endlich da?«, rief Schwester Agnieszka ihr entgegen. Sie klang dabei so ungeduldig wie ein kleines Kind, das auf den Heiligen Abend wartete.
Selbst Schwester Immacolata hatte ihre Arbeit im Kräuterbeet unterbrochen, um Andrea zu begrüßen.
»Das ist er.« Isabella konnte nicht verhindern, dass eine große Portion Stolz in ihrer Stimme mitschwang. So viel hatte sie ihren Schwestern schon von ihrem Bruder erzählt. Umgekehrt hatte ihr Bruder bereits allerhand über ihre Mitschwestern erfahren. Dass diese für sie so wichtigen Menschen sich nun endlich kennenlernten, war aufregend. Mit pochendem Herzen stellte sie sie nacheinander vor.
»Und das sind Schwester Immacolata und Schwester Hildegard – und hier kommt die gute Seele des Hauses, Caesar.«
Der riesige Hund sprang Andrea an und leckte ihm die Handfläche ab.
»Du hast mir ja von ihm erzählt«, begeisterte er sich. »Aber dass er so groß ist!«
»Ein Schoßhund, gefangen im Körper eines Bernhardiners.«
»Sie sind also Isabellas kleiner Bruder«, sagte Schwester Hildegard und sah mit großen Augen zu ihm auf. »Das ist lustig, immerhin sind Sie ja einen ganzen Kopf größer als sie.«
»Ganze ein Meter und neunundachtzig«, warf Isabella ein.
»Einen Meter neunzig«, stellte Andrea klar.
»Aber in deinem Pass steht ein Meter und neunundachtzig.«
»Die haben sich vermessen.«
»Schwester Isabella hat gar nicht erzählt, dass sie ein Model als Bruder hat«, raunte Schwester Immacolata kokett auf und musterte Andrea eindringlich, der zunächst unbeholfen eingeschüchtert wirkte, dann aber herzhaft loslachte. »Schwester Immacolata«, rief er aus. »Isabella hat mir bereits so viel von Ihnen erzählt.«
Isabella nickte eifrig. »Ich habe ihn vorgewarnt!«
Die alte Schwester legte ihre Hand vor den Mund und kam ganz nah an Andreas Ohr. »Und alles ist wahr«, flüsterte sie ihm in verschwörerischem Tonfall entgegen, woraufhin sie beide losprusteten.
»Und das ist Schwester Agnieszka«, stellte Isabella die junge Schwester vor. »Meine Zellennachbarin und gute Freundin.«
»Beste Freundin«, stellte Agnieszka breit grinsend fest und drückte Isabellas Hand.
»Ich bin so froh, dich endlich kennenzulernen«, freute diese sich. »Du hast eine tolle Schwester, aber das muss ich dir sicherlich nicht erst erzählen. Gerade neulich hat sie mir das Fahrradfahren beigebracht.«
Isabella winkte bescheiden ab. »Ach, das war doch gar nichts.«
Schwester Immacolata blinzelte Andrea schelmisch an. »Da Sie der Bruder unserer Schwester sind, macht uns das doch auch irgendwie zu Verwandten, nicht wahr?«
Schwester Hildegard schloss sich den Lobhudeleien an: »Überhaupt, seitdem Ihre Schwester bei uns ist, weht ein frischer Wind durch das alte Gemäuer.« Sie zwinkerte Isabella verschwörerisch zu. »Das gefällt natürlich nicht allen.«
Die Schwestern grinsten geheimbündlerisch. »Und wenn man vom Teufel spricht«, murmelte Schwester Immacolata auf, als Schwester Isabella schnelle Schritte hörte und schließlich einen Schatten im Rücken spürte.
Beim Herumdrehen blickte die Äbtissin auf sie herab und musterte dann ihren Bruder.
»Das ist Schwester Filomena«, erklärte Isabella. »Unsere Mutter Äbtissin.«
»Es ist mir eine Ehre«, sagte Andrea und ergriff die ausgestreckte Hand der Schwester.
Diese neigte den Kopf und schien ihren Blick gar nicht von Andrea abwenden zu können. »Ich hätte es gar nicht für möglich gehalten, dass du solch einen gut aussehenden Bruder hast.«
Isabella wusste noch nicht, ob sie diese Aussage als Kompliment einzuordnen hatte oder ob es bloß wieder eine dieser Spitzen war, mit der die Äbtissin sie immer wieder gerne bedachte. Dass die beiden in diesem Leben keine Freundinnen mehr werden würden, schien mit jedem Tag deutlicher zu werden. Die Äbtissin machte keinen Hehl daraus, dass sie es nicht ausstehen konnte, von Isabella offen kritisiert zu werden. Sie hingegen sah es überhaupt nicht ein, unsinnige Entscheidungen der Klostervorsteherin unkommentiert zu lassen und nicht infrage stellen zu dürfen.
»Erzählen Sie, Andrea. Sind Sie verheiratet, haben Sie Kinder?«
Er lachte einnehmend. »Nein, nicht mal in einer Beziehung. Und die Sache mit Kindern sollte sich auch recht schwierig gestalten – sehr zum Leidwesen unserer Mama Chiara, nicht wahr, Schwesterherz?« Er schenkte Isabella ein Lächeln und wandte sich im selben Atemzug an die Äbtissin. »Sie müssen wissen, dass unsere Mama sich nichts sehnlicher wünscht, als kleine Enkel-Bambini. Tja, aber da hat sie von uns beiden wohl nichts zu erwarten.«
»Wieso denn das?« Die Äbtissin musterte ihn mit unverhohlener Neugierde. »Ich meine, bei Schwester Isabella ist es ja offensichtlich, aber bei Ihnen?«
»Andrea ist homosexuell«, sagte Isabella geradeheraus. Und ja, sie genoss die entgleisten Züge der Oberschwester, mit denen sie erst sie, dann Andrea und danach wieder sie betrachtete.
»Si. Ich liebe Männer.« Andrea grinste. »Das schließt einen Kinderwunsch natürlich nicht aus, aber …« Er ließ den Satz unvollendet und machte damit mehr als deutlich, dass dies ein Thema war, das in seinem Leben noch keinen Platz einnahm.
»Schwul?« Die Äbtissin klang auf einmal heiser.
»Si.« Andrea grinste noch breiter.
»Aber … das ist ja schrecklich. Ich meine … kann man dagegen denn nichts machen?«
Andreas wohlwollende Züge versteinerten sich, was Isabella trocken aufschlucken ließ. Genau das war es, was sie hatte vermeiden wollen und weshalb sie Andrea einen Besuch im Hotel nahegelegt hatte. Sie wusste, dass ihr Bruder befremdet war von ihrer Hinwendung zum Klostertum. Und zu einem gewissen Grad konnte sie das sogar sehr gut verstehen. Als Homosexueller hatte er ein distanziertes Verhältnis zur Kirche, deshalb war es ihm ein großes Anliegen, sich selbst davon zu überzeugen, dass es seiner Schwester im kirchlichen Gefüge gut erging.
»Ich bin schwul«, sagte er mit fester Stimme. »Nicht krank, Schwester Filomena.«
Diese lenkte sofort ein. »So meinte ich das doch gar nicht. Es ist ja nur, weil –«
Isabella hatte genug gehört. Sie presste ihre Handflächen in Andreas Rücken und schob ihn von der Äbtissin fort. »Komm, ich zeige dir deine Zelle.« Sie musste selbst ihren Unmut runterschlucken, um nichts Falsches zu sagen. Sie wollte den Groll zwischen ihr und der Äbtissin nicht noch weiter anstacheln.
»Ach, Schwester Isabella«, rief die Äbtissin aus. »Wenn du deinem Bruder alles gezeigt hast, sei so lieb und komme dann bitte in mein Büro. Da gibt es etwas, worüber wir beide uns einmal ernst unterhalten sollten.«
Isabella kochte vor Wut. Die Worte des Bürgermeisters hallten noch in ihren Ohren nach. Dass sich für sie trotz des besseren Standplatzes nichts ändern würde. Von wegen! Die Äbtissin hatte ihr eben ein hochoffizielles Schreiben aus dem Bürgermeisteramt präsentiert, aus dem hervorging, dass sich die Gebühren des Klostermarktstandes aufgrund der neuen exponierten Lage verdoppelt hatten. Verdoppelt!
Und zur größten Unverschämtheit bezog man sich in diesem Schreiben auf ein Gespräch mit Schwester Isabella. Demnach hätte sie stellvertretend für das Kloster eingewilligt. Natürlich hatte sie versucht, dieses Missverständnis aus dem Weg zu räumen. Doch der Vorwurf der Unfähigkeit stand weiter im Raum.
Am liebsten wäre sie sogleich ins Rathaus marschiert und hätte sich den Bürgermeister eigenmächtig vorgeknöpft. Doch die Äbtissin hatte es ihr verboten und klargemacht, dass diese Angelegenheit nun Chefsache war. Sie würde sich also selbst darum kümmern, um Isabellas Dilettantismus geradezubiegen. Dilettantismus, so hatte sie es tatsächlich genannt.
Außer sich vor Empörung hatte Isabella es nicht länger im Kloster ausgehalten und für sich entschieden, sich auf andere Gedanken zu bringen. Also hatte sie im La Vettaangerufen und darum gebeten, zu Bauunternehmer Conte Gabriele Marenzi durchgestellt zu werden. Zu ihrer Überraschung hatte dieser in ein Treffen bereits an diesem Nachmittag eingewilligt.
Nur wenige Stunden nach ihrem Anruf betrat sie mit Andrea das angenehm klimatisierte Hotel.
Sie bedachte ihren Bruder mit einem skeptischen Seitenblick. »Es besteht überhaupt nicht die Notwendigkeit, dass du mich begleitest.« Wenngleich sie sich sehr über seine Anwesenheit freute.
»Das hättest du wohl gerne. Jetzt, wo ich dich wieder bei mir habe, möchte ich jeden Moment mit dir genießen.« Er lachte, sah sie dann aber doch verwundert an. »Wobei ich wirklich nicht verstehe, was du mit einem Bauunternehmer am Hut hast.«
Die Unterredung mit der Äbtissin hing ihr noch immer nach und hatte sie entsprechend wortkarg gemacht. So hatte sie Andrea nichts von ihrem Vorhaben erzählt. Doch als sie das Kloster verlassen wollte, hatte er sich ihr angeschlossen.
»Ich tue damit jemandem einen Gefallen«, erwiderte sie ausweichend. »Wir Schwestern kümmern uns eben auch um die Belange unserer Schäflein.« Sie berichtete Andrea knapp von ihrem Gespräch mit dem Hippie Eden.
Dieser zeigte sich hellauf begeistert. »Hier gibt es eine richtige Hippiekommune?«
»Noch«, räumte Isabella ein. »Noch.« Sie konnte nur hoffen, dass ihr Besuch Erfolg haben würde.
Die angenehme Kälte einer laufenden Klimaanlage empfing sie, als die das Foyer des Hotels betraten.
»Hübsch«, befand Andrea, während sie auf die Rezeption zugingen und darauf warteten, dass der Mann hinter dem Counter sein Augenmerk auf sie richtete.
»Guten Tag«, begann sie. »Ich habe einen Termin mit Conte Gabriele Marenzi. Ich bin Schwester Isabella.«
Der junge Mann strich sich über seine hellblaue Weste, nickte huldigend und lächelte sie charmant an. »Ich bin informiert, Schwester. Der Conte erwartet Sie bereits.«
»Oh«, raunte Andrea interessiert neben ihr auf. »Ein echter Adliger.«
Sie ließ sich die Zimmernummer nennen, und gemeinsam mit ihrem Bruder nahm sie den Aufzug nach oben.
»Hätte gar nicht gedacht, dass es in Santa Caterina ein derart schmuckes Hotel gibt.« Andrea lachte Isabella ins Gesicht. »Hätte ich das gewusst, hätte ich nicht so vehement darauf bestanden, im Kloster untergebracht zu werden. Eure Matratzen sind wirklich steinhart.«
»Ich dachte, du wolltest die Nähe zu deiner großen Schwester genießen«, zog Isabella ihn auf. »Außerdem sind die Preise des La Vetta ganz schön gesalzen. Es ist ein nobles Tagungshotel. Soweit ich weiß, verirren sich hierhin hauptsächlich Geschäftsleute und kaum Touristen.«
Nachdem der Aufzug sie zum obersten Stockwerk gebracht hatte, führte ein weitläufiger Gang sie an pastellfarbenen Tapeten mit hübschen Wandteppichen vorbei zur einzigen Suite des Hotels.
»Eindrucksvoll, dass er uns privat empfängt und nicht unten in der Lobby.«
Isabella zuckte unbekümmert mit den Schultern. »Wahrscheinlich ist es so bequemer für ihn.«
Sie hob die Hand, doch die Tür wurde aufgezogen, ehe sie gegen das Holz klopfen konnte.
»Ah, die Schwester. Es ist uns eine Freude.« Ein vornehm gekleideter Mann in den Zwanzigern, nicht viel größer als sie selbst, stand vor ihr und lächelte sie freundlich und gleichermaßen verhalten an. »Sie wurden uns bereits angekündigt.«
»Die Freude ist ganz auf meiner Seite«, erwiderte Isabella. »Ich habe meinen Bruder mitgebracht. Andrea. Ich hoffe, das ist recht?«
Der Mann nickte beiläufig. »Natürlich. Treten Sie nur ein, mein Vater erwartet Sie bereits. Ich bin übrigens Simone Marenzi. Der erstgeborene Sohn.«
Isabella versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, aber diese Bemerkung fand sie äußerst seltsam. Als sie an ihm vorbei in die Suite trat, umspülte sie ein herber Zedernduft. Der junge Mann hatte ein wirklich aufdringliches Parfüm.
Ihre Augen brauchten eine Weile, bis sie sich an das fahle Licht im geräumigen Appartement gewöhnt hatten. Die Jalousien waren heruntergelassen, und im Hintergrund rauschte die Klimaanlage auf Hochtouren. Der Salon der Suite hatte die Größe eines Doppelzimmers und schien einem Hochglanzprospekt entsprungen zu sein. Sämtliche Farben und Möbel waren perfekt aufeinander abgestimmt.
Dieses Gemeinschaftszimmer war überhaupt kein Vergleich zu ihrer kargen Zelle, und sie fragte sich, wie es sich in solch einem verschwenderischen Luxus wohl lebte, während sie ausführlich die kunstvollen Gemälde an den Wänden bewunderte. Allein der Gang über den hohen Teppichboden gab ihr das Gefühl über ein Feld aus Zuckerwatte zu wandeln.
Auf einem der weißen Ledersessel entdeckte sie einen Mann mittleren Alters mit längeren grau gesträhnten Haaren und wachen Augen. Seine Hände ruhten auf einem Gehstock mit Silberknauf. Er war sehr elegant gekleidet, trug einen dunklen Anzug mit einem roséfarbenen Seidentaschentuch in der Brusttasche. Ihr fiel auf, dass ein schwerer Siegelring an seinem Finger haftete.
»Ah, die Schwester«, raunte es dunkel aus ihm heraus. Er machte Anstalten, sich zu erheben, blieb dann aber doch sitzen. »Ich gebe zu, dass ich außerordentlich neugierig darauf bin, was mir die Ehre Ihres Besuches verschafft.« Er musterte sie distanziert, wirkte aber nicht unfreundlich.
Isabella hatte noch nicht viel Kontakt mit echten Adeligen gehabt, fand aber, dass dieser Mann den Titel in seinem Namen gar nicht nötig hatte. Er strahlte solch eine Erhabenheit aus, dass sie beinahe eingeschüchtert war.
Ganz im Gegensatz zu seinem Sohn, der ebenfalls in seinem gut sitzenden Anzug auf dem freien Sessel zu ihrer Linken Platz nahm und sie und ihren Bruder unverhohlen beäugte. Sie fand nicht, dass die beiden eine große Ähnlichkeit hatten. Er war jung, trug einen akkurat gekämmten Seitenscheitel und hatte für Isabellas Empfinden eine recht knochige Erscheinung, während Gabriele Marenzi ein stattlicher Mann mit breiten Schultern war.
»Ist es in Ordnung für Sie, wenn mein Erstgeborener, Simone, zugegen ist? Er verwaltet gemeinsam mit mir die Geschäfte und übernimmt zunehmend Verantwortung.« Gabriele zwinkerte ihr zu. »Wir werden schließlich alle nicht jünger und müssen uns beizeiten um unsere Nachfolge bemühen.«
Isabella lächelte dem jungen Mann zu. »Selbstverständlich.«
Dann stellte sie sich und ihren Bruder vor und nahm auf dem gegenüberstehenden Sessel Platz. Sie überlegte kurz, wie sie das Gespräch beginnen sollte, entschied sich dann dazu, direkt zur Sache zu kommen. Ein Gefühl sagte ihr, dass sie bei diesen beiden Männern nicht erst lange um den heißen Brei herumreden musste. »Es geht um die Hippiekommune am Strand.« Sie räusperte sich. »Ich habe erfahren, dass Sie beabsichtigen, diese abzureißen, um dort ein Hotel zu errichten.«
Der Mann nickte unbekümmert. »In der Nähe des Badeortes Viareggio. Das ist richtig. Genau das ist unser Plan.«
»Das Grundstück am Strand gehört den Betreibern einer großen Hotelkette, denen auch das Miramare am Strand von Castiglioncello gehört«, erklärte Simone unaufgefordert. »Sie kennen es vielleicht?«
Sowohl Isabella als auch Andrea schüttelten den Kopf.
»Nun, die Betreiber wollen ihre Kette um ein Luxusresort erweitern. Und sie haben uns als Bauunternehmen beauftragt, dieses Projekt zu bauen.« Er blickte zu seinem Vater auf. Unüberhörbarer Stolz schwang in den Worten des jungen Marenzi mit. »Das ist eine wirklich große Sache für uns, nicht wahr, Vater?«
Dieser lächelte und tätschelte seinem Sohn die Hand. »Es ist in der Tat ein Prestigeobjekt, und wir freuen uns sehr, hierfür den Zuschlag bekommen zu haben. Auch wenn wir wissen, was es für manche bedeutet.« Er atmete tief durch und sah Isabella eindringlich an. »Dort, wo sich dieses Hippiedorf befindet, werden wir in Kürze damit beginnen müssen, das Miramare de Luxe zu errichten – ein hochpreisiges Spa-Resort, das in dieser Region seinesgleichen suchen wird.«
Isabella versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, doch zwischen den Zeilen las sie deutlich heraus, dass Gabriele Marenzi sehr wohl wusste, was dies für die Kommune bedeutete.
»Das klingt ja alles sehr schön«, räumte sie ein. »Aber die Menschen an diesem Strandabschnitt leben dort schon seit zwei Jahrzehnten. Es ist ihr Zuhause. Sie gehören fest zum Bild dieser Region.«
»Unerlaubterweise«, erwiderte der Sohn mit einem gequälten Lächeln.
Der Conte jedoch hob beschwichtigend die Hände. »Wir machen nicht die Gesetze«, sagte er. »Wir erfüllen nur einen Auftrag. Das Grundstück gehört nicht den Aussteigern, sondern wurde rechtmäßig von den Hotelbetreibern erworben. Unsere Aufgabe ist es nun, dort ein Luxusresort zu errichten. Es tut mir wirklich leid für die Menschen, aber so ist das eben.« Er schnaubte laut, doch Isabella vermochte ihm nicht anzusehen, ob es aufrichtig oder gespielt war.
Dennoch beschwor sie ihn mit ihrem Blick. »Gehen Sie doch bitte noch einmal in sich. Sie rauben den Menschen die Existenz. Das können Sie doch nicht wollen.«
»Hier geht es nicht um Wollen oder Nichtwollen.« Gabriele Marenzi neigte seinen Kopf ein wenig und blinzelte sie an, was ihn in der Tat sympathisch wirken ließ. Er wollte noch etwas sagen, aber sein Sohn kam ihm zuvor.
»Ich bedaure«, sagte dieser. »Aber ich fürchte, dass wir da nichts tun können. Die Verträge sind unterschrieben, und wir haben uns an die planmäßige Umsetzung zu halten. Schließlich geht es um Geld. Um eine Menge Geld. Wenn wir nicht bald mit der Grundsteinlegung beginnen, bekommen wir Ärger mit unseren Investoren. Außerdem …« Er lachte kurz auf und bedachte seinen Vater mit einem zweiflerischen Blick. »Nach dem, was wir hinter uns haben, um den Zuschlag zu bekommen, ist das Letzte, was uns vorschwebt, diesen Auftrag nicht zu erfüllen.«
Isabella sah ihn forschend an. »Wie meinen Sie das?«
Gabriele Marenzi atmete hörbar aus. Sein Blick verfinsterte sich. »Nun, wir hatten ein wenig Ärger bei der Ausschreibung. Es gab da noch einen anderen Unternehmer, der sich diesen lukrativen Auftrag unter den Nagel reißen wollte. An und für sich ist das natürlich nichts Ungewöhnliches, dass sich mehrere Bauunternehmen auf ein und dieselbe Ausschreibung bewerben.« Er winkte ab. »Das muss man sportlich nehmen. Aber dieses Mal hatten wir einen Mitstreiter, der mit harten Bandagen kämpfte.«
»Und unfairen Mitteln«, fügte Simone hinzu.
Gabriele nickte knapp. »Das leider auch. Es gibt eben schlechte Verlierer.«
Simone wurde konkreter: »Eine wirklich unschöne Sache.« Er beugte sich nach vorn und nahm Isabella fest in den Blick. Ihr fiel auf, dass er Andrea weitestgehend ignorierte. »Man hat unsere Baustellen sabotiert und uns Pfusch vorgeworfen. Deshalb sind wir auch hier, um unsere aktuelle Großbaustelle an der La Estrada 11 selbst zu überwachen.« Die Züge des Mannes entspannten sich ein wenig. »Aber das ist ja nun, Gott sei Dank, ausgestanden, und wir haben den Zuschlag erhalten.«
»Sie müssen meinen Sohn verstehen. Es ist ein immens wichtiger Auftrag für unser Unternehmen«, gab Gabriele zu bedenken.
»Das mag ja alles sein, aber Sie bauen Ihren Profit auf dem Leid anderer auf«, mischte Andrea sich ein. »Haben Sie da kein schlechtes Gewissen?«
»Nicht, Andrea.« Mit einem mahnenden Augenaufschlag bedeutete Isabella ihrem Bruder, sich nicht einzumischen.
Doch dieser fixierte weiterhin Gabriele.
»Wir tun nichts Unrechtes«, entgegnete Simone. »Genau genommen sind es doch die Hippies, die unerlaubt Grund und Boden besetzen.« Er lachte lakonisch auf. »Wenn wir sie vom Strand entfernen, tun wir der Allgemeinheit doch einen Gefallen.«
»Simone! Bitte!«
Isabella schreckte kurz zusammen, als Gabriele die Stimme gegen seinen Sohn erhob.
»Ist doch wahr«, sagte dieser kleinlaut.
Gabriele Marenzi wandte sich ihrem Bruder zu. »Haben Sie Kinder, Signore?«
»Bitte, nennen Sie mich Andrea.«
Isabella verzog das Gesicht, als sie Andreas Flirtstimme hörte. Ihm gefiel der Unternehmer, das war ihr bereits bewusst gewesen, als sie den Conte das erste Mal erblickt hatte. Andrea hatte ein Faible für gepflegte reifere Männer.
»Und nein, ich habe keine Kinder.« Er hielt kurz inne. »Witzigerweise sind Sie der Zweite heute, der mir mehr oder weniger diese Frage stellt. Sagen wir es so, meine … Lebenskonstellation sieht nicht unbedingt das klassische Familienbild vor.« Andrea lächelte dabei so anzüglich, dass Isabella errötete.
»Dann werden Sie es vermutlich nicht nachvollziehen können.« Gabriele nickte bekräftigend. »Wenn Sie Kinder in die Welt gesetzt haben, wollen Sie nur das Beste für sie.«
Andrea nickte. »Das glaube ich aufs Wort.«
»Und ich denke, dass die Verwirklichung dieses Projekts, das Beste für Simones Karriere sein wird. Daran wird er sich beweisen können – ob er bereit ist, in meine Fußstapfen zu treten. Es wird seine Unternehmung, ihm obliegt als Bauherr die Überwachung.«
»Und dieser Aufgabe werde ich gerecht werden, Vater.« Nun hatte er auch ihren Bruder fest im Blick. »Wir Marenzis sind stets unserer Verantwortung gerecht geworden, müssen Sie wissen. Nicht umsonst sind unsere Vorfahren seinerzeit in den Adelskreis erhoben worden.«
Andrea nickte beiläufig und beäugte wieder den Conte, der auf Isabella auf einmal einen recht angespannten Eindruck machte.
»Gut«, sagte Gabriele ruppig. »Gibt es darüber hinaus sonst noch etwas, das wir für Sie tun können, Schwester?«
Simone erhob sich. »Mein Vater und ich haben heute noch wichtige Termine.«
»Das verstehe ich natürlich.« Isabella erhob sich ebenfalls. »Dennoch danke für die Zeit, die Sie sich für uns genommen haben.«
Simone geleitete sie zur Tür, doch Andrea folgte ihr nicht.
»Andrea, kommst du?«
»Bin doch schon da«, säuselte er, während er an dem jungen Mann vorbeischritt und ihm ein charmantes Lächeln entgegenwarf, das jedoch an Simone abprallte.
»Ciao«, sagte dieser schlicht und schloss verbindlich die Tür.
Isabella und Andrea standen verdattert mit dem Rücken hinter der zugeschlagenen Tür.
»Ich kann mir nicht helfen.« Sie sah zu Andrea auf. »Aber ich glaube, er mochte dich nicht.«
Andreas Schultern zuckten belanglos auf. »Und wenn schon, dafür sein Vater umso mehr.«
Ihre Stirn legte sich in Falten. »Wie meinst du das?«
Doch ihr Bruder schmunzelte nur versonnen, während sie den Flur entlanggingen und schließlich vor dem Fahrstuhl stehen blieben.
Sie ließ ihn nicht aus ihren Augen. Ein Spiel, das sie seit frühester Kindheit spielten. Andrea liebte es, sie bei allem Möglichen auf die Folter zu spannen. Isabella wiederum schaffte es immer wieder allein mit ihrem forschenden Blick, alles aus ihm herauszuquetschen.
Und endlich bequemte er sich dazu, ihr eine vernünftige Antwort zu geben. »Ich glaube, er findet mich gut.«
Sie blinzelte ihn skeptisch an. »Inwiefern?«
»Na, als Mann.«
Isabella lachte. Eine weitere Eigenschaft, die ihren Bruder ausmachte, war grenzenloses Selbstvertrauen. Dazu gesellte sich auch stets ein ordentliches Maß an bedingungsloser Selbstüberschätzung.
Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Hast du seinen Sohn vergessen?«, fragte sie. »Der Mann hat Kinder und ist verheiratet.«
Ihr Bruder bedachte sie mit einem milden Lächeln. »Was heißt das schon?«
»Nun ja, zumindest schmälert es die Aussicht darauf, dass er ein Interesse an dir als … Mann haben könnte.«
Die Mundwinkel ihres Bruders schoben sich weit nach oben. »So? Und warum sonst hat er mir dann im Hinausgehen seine Visitenkarte zugesteckt?« Er zwinkerte Isabella verschwörerisch zu. »Da hab ich ihm natürlich auch meine ausgehändigt.«
»Schwester?«
Isabella fuhr überrascht herum, als sie jemanden rufen hörte. Sie gingen durch die Lobby des Hotels, und die Türen des Aufzugs hatten sich gerade wieder geschlossen, als eine Frau auf sie zugeeilt kam.
»Ricarda Russo ist mein Name, Sie kennen mich nicht.« In einer umständlichen Geste streifte sie sich einen kanariengelben Gummihandschuh vom Gelenk und schüttelte Isabella überschwänglich die Hand.
Isabella lächelte, war aber irritiert. Sie kannte die Frau tatsächlich nicht. Doch die Kleidung, die sie trug, gab sie als Hotelangestellte zu erkennen. Sie trug einen himmelblauen Kittel, auf den das goldene Logo des Hotels gestickt war.
»Signore Valentini, der Hotelmanager, hat mir erzählt, dass Sie händeringend auf der Suche nach einem fähigen Handwerker sind, der die Heizungsanlage des Klosters wieder in Schuss bringt.«
Isabellas Blick erhellte sich. »Hat er das? Aber ja, das stimmt. Mehr als alles andere sogar, Signora Russo.«
»Bitte, Schwester. Nennen Sie mich Ricarda.«
»Gern.« Isabella nickte.
»Nun, was Ihre Suche angeht, vielleicht hätte ich da eine Lösung.«
Isabella war ganz Ohr.
»Wissen Sie, mein Bruder hat da ein kleines Handwerksunternehmen in Cascina. Es läuft gerade leider alles andere als gut für ihn. Die Auftragslage … wissen Sie. Und da dachte ich, dass er ja vielleicht bei Ihnen im Kloster vorstellig werden könnte, um Sie von seinem Können zu überzeugen. Wer weiß …« Ihre Schultern schoben sich vorsichtig nach oben. »Vielleicht können Sie ihm den Auftrag erteilen, und …« Sie hielt inne, wagte es nicht, weiterzusprechen.
Isabella hob die Brauen. »Er versteht sich auf alte Heizungen?«
Die Hauswirtschafterin nickte eifrig. »Er versteht sich auf Installationen jeglicher Art. Und ja, er ist Heizungsinstallateur.«
Die Schwester konnte es gar nicht fassen. War es eine Fügung Gottes? »Na, das ist doch großartig.« Isabella schlug freudig die Hände zusammen. »Dann sollten Sie mich ihm unbedingt vorstellen.«
»Wirklich?« Ricarda strahlte.
»Aber ja! Das halte ich für eine hervorragende Idee. Er soll mich anrufen – oder besser noch, einfach vorbeikommen. Außer an den Markttagen bin ich eigentlich immer im Konvent zugegen.«
»Ach, Schwester, das wäre fantastisch. Ich rufe ihn gleich an und sage ihm Bescheid.«
Die Hauswirtschafterin bedankte sich überschwänglich und ließ erst ab, als der Hotelmanager ihr einen mahnenden Blick vom Empfangsschalter aus zuwarf.
»Wenn ich irgendwann einmal etwas für Sie tun kann, Schwester. Scheuen Sie nicht davor zurück, mich zu fragen.«
»Das werde ich, Ricarda«, versprach Isabella und wandte sich mit Andrea ab. »Er soll sich melden!«
Als sie aus dem Hotelausgang hinaus ins Freie traten, empfing sie die warme Sommersonne und emsiges Vogelgezwitscher, doch Isabella konnte das schöne Wetter nicht genießen. Wie nur sollte sie Eden beibringen, dass sie bei dem Bauunternehmer auf Granit gebissen hatte.
Sie schirmte mit der Handfläche die Augen gegen die hellen Strahlen ab und sah hinauf zu ihrem Bruder, der noch immer gut gelaunt vor sich hin grinste.
Ihre Mundwinkel verzogen sich missmutig. »Ich kann nicht glauben, dass er dir seine Visitenkarte zugesteckt hat.«
Ihr Bruder grinste noch breiter. »Während des ganzen Gesprächs habe ich Signale von ihm empfangen. Eigentlich war es bereits offensichtlich, als ich zur Tür reinkam. Du weißt, Schwesterherz. Augen sagen oftmals mehr als Worte.«
Isabella schwieg dazu. Derartige Antennen waren bei ihr nicht ausgebildet. Doch allem Anschein nach, hatte ihr Bruder recht, was sie außerordentlich irritierte. Da saß ihr die ganze Zeit dieser gestandene Mann gegenüber, neben ihm sein Sohn – und dann flirtete er ihren Bruder an. Eine merkwürdige Welt war das.
Sie schüttelte den Kopf, um die wirren Gedanken aus ihrem Hirn zu bekommen. »Wie dem auch sei«, sagte sie schließlich. »Schade bloß, dass mit den beiden nicht zu reden war. Es tut mir wirklich leid um die Hippiekommune.«
»Vielleicht gibt es ja noch eine andere Möglichkeit, ihn davon abzubringen.«
Sie sah ihren jüngeren Bruder forsch an. »Du willst dich doch nicht wirklich mit ihm treffen?«
Dieser grinste frech. »Warum nicht? Ich bin nicht liiert, und ich muss zugeben, dass er schon mein Typ ist.«
»Er ist viel älter als du!«
Nun lachte er geradeheraus. »Und das soll ein Hindernis sein?«
Darauf wusste Isabella nichts zu erwidern. Im Grunde ging es sie überhaupt nichts an, mit wem Andrea sich traf. Und dass er ein Faible für ältere Männer hatte, war ihr nicht neu. All seine festen Beziehungen hatte er mit Männern gehabt, die stets ein ganzes Stück reifer waren als er.
Beschwingt sprang Andrea die flachen Stufen des Hoteleingangs hinunter und drehte sich einmal breit grinsend im Kreis. »Meine Güte, was riecht hier so gut? Sind das etwa die berühmten toskanischen Zypressen?«
Auch Isabella musste lächeln. Seine gute Laune war einfach ansteckend.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Andrea. »Wollen wir ein Eis essen?« Er ließ seinen Blick über den Marktplatz schweifen. »Ein wirklich traumhaftes Örtchen hast du dir zum Leben ausgesucht.«
Isabella lächelte. »Ja, ich mag es auch sehr hier. Es ist beinahe so, als –« Weiter kam sie nicht, weil ein ohrenbetäubendes Knattern jedes weitere Wort verschluckte.
»Herrgott, was ist das?«, rief Andrea gegen den Lärm an.