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Dieses Buch ist der einzige aktuelle Kommentar zur Logienquelle "Q" im deutschsprachigen Raum. Der Fokus der Auslegung ruht dabei weniger auf der Textrekonstruktion (hier wurde die Critical Edition of Q zugrunde gelegt), sondern auf den narratologischen Sinnlinien, die die Logienquelle als stimmiges Werk frühjüdischer und frühchristlicher Theologie ausweisen. Q wird als stringenter theologischer Entwurf von jüdischen Jesusjüngern vorgestellt, in dem die Entwicklung des Frühchristentums aus dem Frühjudentum ebenso erkennbar wird, wie Rückschlüsse auf das ursprüngliche Anliegen Jesu möglich erscheinen. Damit wird Q zum doppelten missing link - zwischen Judentum und Christentum ebenso wie zwischen Jesus und der Kirche.
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Seitenzahl: 554
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Markus Tiwald
Kommentar zur Logienquelle
Verlag W. Kohlhammer
1. Auflage 2019
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-033343-7
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-033344-4
epub: ISBN 978-3-17-033345-1
mobi: ISBN 978-3-17-033346-8
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Die Apostelgeschichte ist der zweite Teil des Lukanischen Werkes und will darum mit den gleichen Erwartungen gelesen werden, die schon der Prolog Lk 1,1-4 weckt: Hier schreibt ein gebildetes Mitglied einer zeitgenössischen Bewegung für ein ebenfalls gebildetes interessiertes Publikum. Es geht um die Geschichte Gottes mit Israel, die mit Jesus von Nazareth in eine kritische Phase geraten ist, und um die damit entstandene Jesusbewegung und deren Ausbreitung.
Der Stoff soll die Lesenden ebenso existenziell ansprechen wie die ersten Hörer und Hörerinnen der berichteten Missionsreden. Eine zeitlich und räumlich flächendeckende Geschichtsschreibung liegt nicht vor, aber der Autor will über ein bloßes Hörensagen hinausführen und verlässliche Auskunft geben.
Dr. Klaus Haacker, Prof. i. R. für Neues Testament und seine Umwelt an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel.
Vorwort
Teil I: Einführung zu diesem Kommentar
1. Anfragen an dieses Kommentarprojekt
1.1 Die Existenz der Logienquelle
1.2 Die Frage der Textbasis
1.2.1 Critical Edition of Q
1.2.2 Narratologischer Zugang zur Logienquelle
1.2.3 Konsequenzen für diesen Kommentar
1.2.4 Fluidität des Textes als genuines Merkmal der Logienquelle
1.2.5 Textbasis dieses Kommentars
2. Positionierung innerhalb der Q-Kommentare
2.1 Status Quaestionis
2.2 Aliquid Novi?
Teil II: Einleitungsfragen zur Logienquelle
1. Zeit und Ort der Abfassung
1.1 Die Zeit der Abfassung
1.2 Der Ort der Abfassung
2. Die Gemeinde hinter der Logienquelle
2.1 Q und das Frühjudentum
2.2 Die Verfasser der Logienquelle
2.3 Das in Q bewahrte Erbe
2.3.1 Die Logienquelle als Zeugnis alter Jesustraditionen
2.3.2 Das Erbe der Logienquelle
3. Umfang und Gliederung der Logienquelle
3.1 Abweichungen von der lk Akoluthie
3.1.1 Die Gliederung der CEQ
3.1.2 Abweichungen von der CEQ-Akoluthie
3.2 Textumfang
3.3 Gliederung des Textes
3.4 Der narrative Plot anhand der Gliederung
3.4.1 Erzählkranz 1: Die beiden Hauptdarsteller: Johannes der Täufer und Jesus von Nazaret (Q 3,2b–7,35; 16,16)
3.4.2 Erzählkranz 2: Die Verkündiger: Die Boten des Menschensohnes (Q 9,57–11,13)
3.4.3 Erzählkranz 3: Die Gegner: Dämonen und irdische Gegner (Q 11,14–52; 16,17f)
3.4.4 Erzählkranz 4: Konsequenzen für die Gemeinde: Zuversicht trotz Bedrängnis (Q 12,2–13,21)
3.4.5 Erzählkranz 5: Konsequenzen für die Gegner: Gerichtsworte (Q 13,24–14,23)
3.4.6 Erzählkranz 6: Anweisungen für den Endspurt: Durchhalten bis zur Parusie (Q 14,26–17,6)
3.4.7 Erzählkranz 7: Finale – furioso ma fantastico: Das bevorstehende Ende (Q 17,23–22,30)
3.5 Der narrative Plot anhand Etappen der Heilszeit
3.6 Mündlicher Vortrag und Verschriftlichung
Teil III: Kommentar zur Logienquelle
Titel und Anfang von Q?
Erzählkranz 1: Die beiden Hauptdarsteller: Johannes und Jesus (Q 3,2b–7,35; 16,16)
Erzähleinheit 1: Die Botschaft des Johannes (Q 3,2b-17)
Erzähleinheit 2: Taufe und Bewährung Jesu (Q 3,21f; 4,1–13.16)
Erzähleinheit 3: Jesu programmatische Rede (Q 6,20–49)
Erzähleinheit 4: Der Glaube des heidnischen Hauptmanns (Q 7,1–9)
Erzähleinheit 5: Johannes und Jesus (Q 7,18–35 und 16,16)
Erzählkranz 2: Die Verkündiger: Die Boten des Menschensohnes (Q 9,57–11,13)
Erzähleinheit 1: Radikale Nachfolge (Q 9,57–60)
Erzähleinheit 2: Missionsinstruktion (Q 10,2–16)
Erzähleinheit 3: Besondere Offenbarung des Sohnes (Q 10,21–24)
Erzähleinheit 4: Das vertrauensvolle Gebet der Jünger (Q 11,2b-4.9–13)
Erzählkranz 3: Die Gegner: Dämonen und „diese Generation“ (Q 11,14–52; 16,17f)
Erzähleinheit 1: Der Sieg Jesu über die Dämonen (Q 11,14–26)
Erzähleinheit 2: Das Gericht über „diese Generation“ (Q 11,16.29–32)
Erzähleinheit 3: Das Licht soll leuchten! (Q 11,33–35)
Erzähleinheit 4: Gegen Pharisäer und Schriftgelehrte (Q 16,17f; 11,39–52)
Erzählkranz 4: Konsequenzen für die Gemeinde: Zuversicht trotz Bedrängnis (Q 12,2–13,21)
Erzähleinheit 1: Bekenntnis zu Jesus ohne Furcht (Q 12,2–12)
Erzähleinheit 2: Sucht die Königsherrschaft Gottes! (Q 12,22b-34)
Erzähleinheit 3: Das Kommen des Menschensohnes (Q 12,39–59)
Erzähleinheit 4: Gleichnisse zur Königsherrschaft Gottes (Q 13,18–21)
Erzählkranz 5: Konsequenzen für die Gegner: Gerichtsworte (Q 13,24–14,23)
Erzählkranz 6: Anweisungen für den Endspurt: Die Jünger in Erwartung der Parusie (Q 14,26–17,21)
Erzähleinheit 1: Kompromisslose Nachfolge (Q 14,26–17,2)
Erzähleinheit 2: Vergebung Gottes und untereinander (Q 15,4–10; 17,4)
Erzähleinheit 3: Bäumeversetzender Glaube (Q 17,6)
Erzählkranz 7: Finale – furioso ma fantastico: Das bevorstehende Ende (Q 17,23–22,30)
Erzähleinheit 1: Der Tag des Menschensohnes (Q 17,23–37; 19,12–26)
Erzähleinheit 2: Schlussakkord: Die Stämme Israels richten (Q 22,28.30)
Teil IV: Exkurse
Exkurs 1: Königsherrschaft Gottes, Entmachtung des Satans, Kommen des Menschensohns
1.1 Die Königsherrschaft Gottes
1.1.1 Zum Begriff „Königsherrschaft Gottes“
1.1.2 Biblisch-frühjüdische Verortung
1.2 Die Entmachtung des Satans
1.3 Der Menschensohn
1.4 Die Logienquelle im Kontext dieser Aussagen
1.4.1 Die Erwartung des Täufers
1.4.2 Der Paradigmenwechsel Jesu
1.4.3 Das „Schlüsselerlebnis“ Jesu
1.4.4 Weiterführung und Transformation des Werkes des Täufers
1.4.5 Restitution der prälapsarischen Unversehrtheit der Menschen
1.4.6 Der Menschensohn bei Jesus und in der Logienquelle
Exkurs 2: Der Schriftgebrauch der Logienquelle
2.1 Die heiligen Schriften der Q-Autoren
2.1.1 Fragen zum „Kanon“ der jüdischen „Bibel“
2.1.2 Fragen zu den aramäischen Quellen von Q
2.1.3 Fragen zur sogenannten „Septuaginta“
2.2 Schriftzitate in Q
2.2.1 Direkte und indirekte Zitate
2.2.2 Direkte Zitate in Q
2.2.3 Indirekte Zitate in Q
2.2.4 Auflistung der direkten und indirekten Zitate in Q
2.3 Ergebnisse zum Schriftgebrauch in Q
Exkurs 3: Gottes Option für die Armen und das „gewaltsame Prophetengeschick“
3.1 Gottes Option für die Armen
3.1.1 Die „Armenfrömmigkeit“ im Frühjudentum
3.1.2 Jesu Option für die Armen
3.1.3 Die Option für die Armen in der Logienquelle
3.2 Das „gewaltsame Prophetengeschick“
3.3 Die Textpragmatik der „Armenfrömmigkeit“ und des „gewaltsamen Prophetengeschicks“
Exkurs 4: Apokalyptische Muster in Q
4.1 Das eschatologische Chaos
4.1.1 Die eschatologische Bewährung
4.1.2 „Diese Generation“
4.1.3 Krieg und das Zerbrechen der irdischen Familienbande
4.1.4 Gewalttäter für die Königsherrschaft Gottes
4.2 Der eschatologische Gottesfriede
4.3 Optimismus Jesu vs. Gericht in Q?
Exkurs 5: Gleichnisse und Bildworte in Q
5.1 Grundsätzliches zu den Gleichnissen Jesu
5.1.1 Gleichnisse und der historische Jesus
5.1.2 Gleichnisse in der Logienquelle
5.1.3 Die Botschaft der Q-Gleichnisse
5.2 Doppelbildworte in der Logienquelle
Anhang
Allgemeine Abkürzungen
Weitere Abkürzungen und Zitationsmodus
Literatur
Register
Kommentare zur Logienquelle sind im deutschen Sprachraum Mangelware, in den stehenden Kommentarreihen ist es einzig der Stuttgarter kleine Kommentar (SKK), in dessen Œuvre D. Zeller 1984 einen gerade hundertseitigen Band veröffentlichen konnte. Die Zurückhaltung ist doppelt verständlich: Erstens ist Q ja kein Buch des Neuen Testaments und passt daher auch nicht in die Reihe der Bibelkommentare. Zweitens ist die Logienquelle ja nur ein Rekonstrukt und es stellt sich die berechtigte Frage, wie man einen versweisen Kommentar anhand einer unsicheren Textbasis gestalten will.
Gemäß dem ersten Monitum wurde dieser Kommentar zwar in Anlehnung an Kohlhammers Theologischen Kommentar zum Neuen Testamten erstellt – aber doch extra ordinem publiziert, da ja nicht zum „Neuen Testament“ gehörig.
Dem zweiten Monitum trägt das Faktum Rechnung, dass Kommentare verstärkt dazu übergehen, eher die theologischen Grundlinien zu erfassen als in steinbruchartiger Einzelexegese hängen zu bleiben. Die Grundausrichtung der Reihe ThKNT will nach Eigendefinition auf „die im christlich-jüdischen Gespräch behandelten Themen, den feministisch-theologischen Diskurs sowie sozialgeschichtliche Fragestellungen“1 fokussieren. In allen drei Punkten hat die Logienquelle Bahnbrechendes zu vermitteln: Der Bruch mit dem Judentum war – zumindest nach der hier vertretenen Lesart – noch nicht erfolgt, das soziale „Ur-Habitat“ der galiläischen Jesusbewegung ist noch mit Händen zu greifen und ein gewisser Nachklang des emanzipatorischen Grundimpulses Jesu ist ebenfalls noch zu vernehmen.
Danken möchte ich in erster Linie Herrn Dr. Sebastian Weigert und Herrn Florian Specker vom Verlag Kohlhammer, die mir nicht nur die schöne Idee zu solch einem Kommentar nahegebracht haben, sondern durch ihre unkomplizierte und kompetente Hilfestellung die Arbeit zur Freude gemacht haben! Mein Dank geht auch an Kollegen Christoph Heil, der mir die Datensätze der Q-Studienausgabe zur Verfügung gestellt hat. Danken möchte ich auch meinem Lehrstuhlteam: allen voran Frau Michaela Richter für das gewissenhafte Korrekturlesen und ihre computertechnische Kompetenz; sodann Kathrin Wenzel, Markus Mähler und Lothar Junker für die intensive Literaturrecherche.
Essen, im September 2018 Markus Tiwald
Vorliegender Band ist der nachgeborene Zwilling des 2016 von mir bei Kohlhammer publizierten Bandes Die Logienquelle. Ein Lehrbuch zu Text, Kontext und Theologie der Quelle Q. Wurde dort bereits eine umfassende Einführung in die Logienquelle geboten, so soll dieser Band nun eine Einzelauslegung zum Text selbst bieten.
Da aber beide Bände unabhängig voneinander lesbar sein sollen, bietet auch dieser Band im anschließenden Teil II die obligate Abhandlung der Einleitungsfragen: Wann, wo, von wem und warum wurde die Logienquelle verfasst und wie sind die Grundlinien ihrer Theologie. Dabei sollen diese Punkte resultatorientiert und weniger diskursiv abgehandelt werden: Für die intensivere Diskussion – die das Format dieses Kommentars sprengen würde – kann dann gerne auf den anderen Band rekurriert werden. Ähnliches gilt auch für die (gleich im Anschluss zur Sprache gebrachte) Frage der Textrekonstruktion: Auch hier werden prägnant die anstehenden Fragen geklärt, doch für die Detaildiskussion auf den Parallelband verwiesen.
Die Zweiquellentheorie besagt, dass Mt und Lk bei der Abfassung ihrer Evangelien neben dem MkEv auf eine zweite Quelle, die Logienquelle, zurückgegriffen haben. Der Text dieser Quelle – der uns nicht als Manuskript erhalten geblieben ist –, lässt sich aus dem über den Mk-Stoff hinausgehenden identen Textbestand zwischen MtEv und LkEv rekonstruieren.1 Auch wenn die Existenz der Logienquelle damit nur eine wissenschaftliche Theorie ist, so arbeitet doch ein Großteil der Wissenschaftler mit der Zweiquellentheorie – und damit auch mit der Annahme der Logienquelle. Neuere Untersuchungen, etwa die akribische Habilitationsschrift von H. Scherer (2016), haben ergeben, „dass das Material der Traditio duplex [sc. die postulierte Logienquelle] einen eigenständigen, über mk Jesusrede und mt Sondergut hinausgehenden, in sich sinnvoll vernetzten Entwurf sozialer Identifikationsgrößen bietet – ein Votum zugunsten der These, dass dieses Material aus einem eigenständigen, Mt und Lk gemeinsamen Dokument erwachsen ist.“2 Das deckt sich mit etlichen anderen rezenten Studien, die zur „Synoptischen Frage“ oder zur Thematik der Logienquelle durchgeführt wurden. A. Lindemann kommt nach Auswertung dieser Publikationen zum Schluss, „dass sich mit der Q-Hypothese nicht nur sinnvoll arbeiten lässt, sondern dass die Q-Hypothese auch ohne komplizierte Zusatzannahmen zu einem nachvollziehbaren Bild der urchristlichen Theologie und Literaturgeschichte beiträgt.“3 – Da (bei allen berechtigten noch verbleibenden Fragen4) an der grundsätzlichen Annahme einer „Logienquelle“ m.E. kein Weg vorbeiführt, scheint es auch legitim, einen Kommentar zu selbiger zu verfassen.
Gravierender als prinzipielle Einwände gegen die Logienquelle ist die Frage, wie man einen versweisen Kommentar verfassen kann, wenn die materia prima, also der Text der Logienquelle lediglich als Rekonstrukt vorhanden ist. So berechtigt dieser Einwand auch per se sein mag, so verunmöglicht er das Projekt eines Q-Kommentars dennoch nicht, wie folgende Ausführungen erklären mögen.
Im Jahr 2000 erschien die Critical Edition of Q (CEQ), herausgegeben von J. M. Robinson, P. Hoffmann, J. S. Kloppenborg und M. Moreland als Ertrag des 1989 gegründeten Internationalen Q-Projekts (IQP).5 Dabei wurde „ein insgesamt eher ‚konservativer‘ Q-Text hergestellt, der frei ist von extravaganten Spekulationen.“6 In den in Verbindung mit diesem Projekt zu erstellenden Documenta Q-Bänden wird zu jeder fraglichen Rekonstruktion in insgesamt 32 Bänden (wovon zwölf bereits erschienen sind) die gesamte Forschungsliteratur aus drei Jahrhunderten (19. bis 21. Jh.) aufgelistet und ausgewertet.
Auch wenn die CEQ zwar eine solide Textbasis liefert, so stellt auch sie nicht das letzte Wort der Textrekonstruktion dar. „Damit ist jedoch ähnlich wie beim ‚Nestle-Aland‘ nur eine Momentaufnahme gegeben, und es ist damit zu rechnen, daß es wie beim ‚Standardtext‘ des griechischen Neuen Testaments auch beim neuen Standardtext von Q zu weiteren revidierten Auflagen kommt.“7 Ganz in diesem Sinne urteilt auch J. Robinson im Vorwort der CEQ (lxxi): „It is not to be assumed that the present critical text is a last word. … The … present volume … is intended to facilitate the study of Q, and thus to stimulate this ongoing process. … It is thus to be hoped that the refinement of the text of Q will continue unabated …“
Groß angelegte narratologische Studien haben gerade in letzter Zeit eindeutig widerlegt, dass die Logienquelle nur eine „Materialsammlung“ und „nicht ein literarisches Dokument“ gewesen sei; „ein größeres Notizbuch“, das „jederzeit einen Einschub von neuen Blättern“ zuließ, aber keine innere Ordnung besaß.8 Es ist das große Verdienst der Habilitationsschrift von M. Labahn Der Gekommene als Wiederkommender. Die Logienquelle als erzählte Geschichte (2010), klar gemacht zu haben, dass „das Dokument Q … mehr als eine zufällige Aneinanderreihung von Sprüchen“9 darstellt, wie dies etwa beim Thomasevangelium der Fall ist, und, „dass Q eine innere Struktur – einen plot – hat.“10 Auch wenn Q hauptsächlich aus Redematerial besteht, so eröffnet sich gerade in dieser „Erzählung des Redens“ ein Stück „narrativer Sinnbildung“.11 Man darf also von einer „argumentativen Geschlossenheit des Werkes“12 ausgehen! Gestützt auf solche Überlegungen zieht der Mainzer Ansatz zur Metaphorik und Narratologie in der Logienquelle (2014) im Team um R. Zimmermann nun Konsequenzen für die weitere Arbeit mit Q:13
… how exactly can one consider or work with a text, which does not exist, or to put it more precisely, which does not exist as a manuscript? … Is there a way to analyse a text without having the exact wording? … Here, the analysis of metaphors and narrative criticism has proven itself useful in many fields. … Even if the Q text cannot be reconstructed with absolute certainty from the readings in Matthew and Luke, it is possible to make plausible statements about its composition.
Dieser Ansatz wird von A. Bork Die Raumsemantik und Figurensemantik der Logienquelle (2015) weitergeführt als:14
… ein intertextueller Zugang zum Q-Text …, der nicht mehr danach strebt, eine Wortlautrekonstruktion des Q-Textes … zu erarbeiten, sondern durch intertextuelle Rückschlüsse auf die von Matthäus und Lukas verwendete Quelle zulässt. Q wird also als Intertext zwischen Matthäus- und Lukasevangelium aufgefasst, ohne dass die Notwendigkeit einer wortgetreuen (Re-)Konstruktion besteht.
So hatte schon J. Kloppenborg (2000) solch einem Zugang den Weg geebnet:15
… it must be kept in mind that there is already in the double tradition approximately 50 percent verbal agreement even if it is still sometimes necessary to decide the syntax of the sentence. For example, in Q 15:4 … This text is typical. It illustrates the fact that disagreement in vocabulary notwithstanding, the general sense of the Q text is clear.
Zu ähnlichen Resultaten kommt auch H. Scherer Königsvolk und Gotteskinder (2016), nämlich, „dass das Material der Traditio duplex einen eigenständigen … in sich sinnvoll vernetzten Entwurf sozialer Identifikationsgrößen bietet …“16
Für vorliegenden Kommentar bedeutet der narratologische Zugang zur Logienquelle, dass die Sinnstruktur von Q erfasst werden kann, auch ohne einen in allen Details fixierten Text zu besitzen. Einen verlässlichen „Basistext“ hat die CEQ dankenswerter Weise erstellt. Auch wenn dieser Text – nach eigenem Bekunden der Herausgeber der CEQ (s.o.) – nicht den „Originaltext“ von Q darstellen kann, so bietet diese Grundlage doch ein ausreichendes instrumentum laboris für einen narratologischen Zugang zur Logienquelle.
Wichtig scheint dem Autor dieses Kommentars dabei eine ausgewogene Mischung von text- und kontextorientierter Exegese einerseits in Verbindung mit den narratologischen Erträgen andererseits: 1) Die Frage der Textrekonstruktion wird nicht völlig aufgegeben, steht aber nicht mehr dominant im Vordergrund. 2) Auch dem soziologischen Hintergrund der Logienquelle wird in diesem Kommentar ausreichend Respekt gezollt. Damit wird den beiden Kritikpunkten von H. Scherer am Mainzer Ansatz Rechnung getragen: 1) Dass ein völliges Abgehen vom rekonstruierten Text „die tatsächlich vorhandenen Daten mit unbewussten narrativen Eintragungen“ verfremden könnte, und 2) dass sich dieser Ansatz „distanziert … von einer den kulturellen Kontext berücksichtigenden Herangehensweise an die Texte zugunsten einer narrativen, die in der Textwelt verbleibt.“17 Beiden Monita soll hier Rechnung getragen werden: 1) Die CEQ bietet eine probate Textbasis, die es erlaubt, auf langwierige Einzelrekonstruktionen und linguistische Beckmesserei zu verzichten und trotzdem den narrativen Plot erkennen zu können. 2) Gerade die soziokulturelle Verortung der Logienquelle im damaligen Frühjudentum darf als besonderes Anliegen des Autors gelten und wird in diesem Kommentar gewiss nicht zu kurz kommen.18
Nicht zu vergessen ist, dass die Logienquelle in den dreißig Jahren ihres Wachstums unterschiedliche Entwicklungsstadien durchlaufen hat.19 Vielleicht darf man mit G. Theißen sogar annehmen, dass erste mündliche Spruchsammlungen Jesu schon zu Lebzeiten des Meisters existierten: „Jesus schickte seine Jünger auf Wandermission. Seine Jünger mussten seine Botschaft an mehreren Orten wiederholen! Ein paar mündlich vorgegebene Texte müssen sie dazu mitgebracht haben, die sich ihnen durch Wiederholung einprägten!“20 Bald nach dem Tod Jesu führten seine Jünger dessen Predigtpraxis fort – und modifizierten ihre Vorträge je nach Publikum.
Als die Logienquelle um 60 n. Chr. schriftlich abgefasst wurde, endete damit die Phase der oralen Fluidität keineswegs – moderne Ansätze rechnen mit dem Phänomen der secondary orality, also einer zur schriftlichen Überlieferung parallel weiterlaufenden mündlichen Tradition.21 Wir dürfen nicht vergessen, dass die meisten Menschen damals Analphabeten waren und auch des Lesens Kundige zumeist auswendig rezitierten, da Schriften sehr teuer waren und aufgrund ihrer sperrigen Form auch schwer zu transportieren. Zu Recht verweist Ch. Heil darauf, dass auch nach der Verschriftlichung von Texten „nicht … die wortwörtliche Wiederholung eines kanonischen Textes …, sondern … die inspirierte, emphatische Aufführung“22 im Mittelpunkt stand. Damit wird klar: „Manche Varianten in der Textüberlieferung gehen dann nicht auf unabsichtliche Abschreibfehler oder absichtliche Redaktionen zurück, sondern auf Varianten in der mündlichen Überlieferung.“23 – Der zuvor erwähnte narratologische Zugang zur Logienquelle ist damit nicht nur eine Verlegenheitslösung (sozusagen faute de mieux), sondern (bedacht mit den oben genannten Monita) vielmehr als der einzig „artgerechte“ Zugang zur Logienquelle zu betrachten.
Die griechische Textgrundlage der CEQ gilt diesem Kommentar als Richtschnur. In einigen Ausnahmen (die im Kommentar eine ausdrückliche Begründung finden) wurde eine andere griechische Textbasis zugrunde gelegt (die CEQ stellt ja keinen fertigen Text, sondern bestimmte Wahrscheinlichkeiten pro et contra einer Lesart zur Verfügung).
Anhand dieses griechischen Textes wurde vom Verfasser eine eigene deutsche Übersetzung erstellt.24 Diese wurde von textkritischen Zeichen freigehalten: Erstens würden diese den Lesefluss erschweren. Zweitens stehen – nach dem oben skizzierten narrativen Ansatz – nicht detailgenaue Rekonstruktionsversuche, sondern die Sinnlinien des Textes im Fokus der Untersuchung. Drittens können allzu große Subtilitäten des griechischen Textes ohnehin in der deutschen Übersetzung nicht adäquat wiedergegeben werden.
Der Verfasser dieses Kommentares möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass eine Textbasis ohne textkritische Zeichen nicht die Illusion wecken darf, wir wären im wortwörtlichen Besitz der Logienquelle. Allerdings sollte die Möglichkeit geboten werden, den Text (abseits von textkritischen Einzelanalysen) als ein in sich stimmiges Sinnkontinuum zu erfassen: einen Text, dessen Aussage wir – trotz aller Unsicherheiten der Rekonstruktionen – einigermaßen gut verstehen und nachvollziehen können.
Ein solches Kommentarprojekt muss sich natürlich auch die Frage nach dem aliquid novi – dem Neuheitswert – gefallen lassen. Wie schon im Vorwort angemerkt, ist die Zahl der Kommentare zur Logienquelle im deutschen Sprachraum leicht überschaubar: Einzig D. Zeller (1984 im Stuttgarter kleinen Kommentar, SKK) hat einen solchen Kommentar verfasst – die Notwendigkeit eines updates leuchtet ein.25
Im englischsprachigen Raum gibt es diesen Mangel allerdings nicht: H. Fleddermann, hat erst 2005 Q: A Reconstruction and Commentary publiziert, im gleichen Jahr R. Valantasis, The New Q: A Fresh Translation with Commentary. Der akribische und umfangreiche Kommentar von Fleddermann stellt mit seinen fast tausend Seiten tatsächlich einen Meilenstein der Q-Forschung dar. Zwei massive Schwächen dieses monumentalen Werkes beeinträchtigen den Wert dieses opus magnum: Erstens vertritt Fleddermann die eigenwillige These, „that Mark knew and used Q“;26 zweitens die ebenfalls singuläre Annahme, „that the background of Q lies in gentile Christianity“,27 denn: „From start to finish Q reads like a gentile Christian gospel.“28 Während die These der Abhängigkeit des Mk von Q für den Kommentar Fleddermanns geringere Konsequenzen zeitigt, so führt ihn die Annahme, „that the author of Q was a gentile Christian writing for other gentile Christians“,29 zu einer gewissen Schieflage in der Interpretation – zumal gerade die neuere Forschung immer stärker auf die jüdische Matrix der Logienquelle verweist (s.u. II.2.1: Q und das Frühjudentum). Verbunden damit etwa bestreitet Fleddermann kategorisch, dass in Q noch altes Lokalkolorit der Jesusbewegung durchschimmern könnte. Für ihn sind „the characters of Q, including Jesus, … literary figures“ und damit „literary constructs“,30 die keinen Konnex mehr zum historischen Jesus oder zu dessen galiläischen Nachfolgern aufweisen. Damit aber gießt Fleddermann das Kind mit dem Bade aus: Auch wenn Q tatsächlich nicht unkritisch zum „O-Ton“ Jesu verzeichnet werden darf, so geht die überwiegende Mehrheit der Forscher doch davon aus, dass Q und das MkEv „als wichtigste Zeugnisse für die Rekonstruktion des historischen Jesus“31 zu gelten haben (s.u. II. 2.3: Tradition und Redaktion: Das in Q bewahrte Erbe). Darüber hinaus wendet Fleddermann den Großteil seiner Energie für Fragen der Q-Rekonstruktion auf – die eigentliche Arbeit eines „Kommentars“ – nämlich die am Text entlanggehende Exegese – gerät dabei trotz der Monumentalität des Werkes ein wenig zu kurz.
Anders verhält es sich mit dem Kommentar von Valantasis. Leider verzichtet dieser Band nicht nur völlig auf Referenzen jeglicher Art (kein Verweis auf Sekundärliteratur, Fehlen jeglicher Form von Anmerkungen), sondern bietet auch keine zeitliche, örtliche und theologische Kontextuierung der Logienquelle (also keine Abklärung der „Einleitungsfragen“). Beides lässt die Auslegung dann ein wenig in der Luft hängen und etliche Interpretationen phantasievoll erscheinen.32
Neben den hier genannten Kommentaren gibt es allerdings auch eine Reihe von exzellenten Publikationen, die zwar dem Genus „Kommentar“ nicht in sensu stricto zuzuordnen sind, aber dennoch viele Perikopen aus Q analysieren: Im englischsprachigen Raum sei hier auf die grundlegenden Arbeiten von J. Kloppenborg und Ch. Tuckett verwiesen. Beide haben über einen Zeitraum von fast vierzig Jahren intensiv zur Logienquelle geforscht und nicht nur ein immenses literarisches Œuvre geschaffen, sondern durch ihre Studien die Einschätzung der Logienquelle als ein noch immer im Frühjudentum verankertes Dokument möglich gemacht. Ihnen dankt der Autor dieses Kommentars viel und möchte sein Werk bewusst als Weiterführung ihrer Ansätze verstanden wissen. Gleiches gilt für die zahlreichen Publikationen zu Q und zur Synoptischen Frage von J. Verheyden und P. Foster, die für die Entstehung dieses Kommentars ebenfalls ausgesprochen hilfreich waren.
Im deutschsprachigen Raum ist an dieser Stelle zu verweisen auf die narratologische Studie von M. Labahn Der Gekommene als Wiederkommender. Die Logienquelle als erzählte Geschichte (2010), oder die von R. Zimmermann und seinem Team herausgebrachten Publikationen: Kompendium der Gleichnisse Jesu (2007; vgl. dort die Q-Gleichnisse), Metaphor, Narrative, and Parables in Q (2014), Puzzling the Parables of Jesus. Methods and Interpretation (2015); A. Bork Die Raumsemantik und Figurensemantik der Logienquelle (2015) und D. Roth The Parables in Q (2018). Besondere Erwähnung verdient hier auch die soziologisch-überlieferungsgeschichtliche Studie von H. Scherer Königsvolk und Gotteskinder. Der Entwurf der sozialen Welt im Material der Traditio duplex (2016) oder M. Ebner Jesus – ein Weisheitslehrer? (1998). Der Frage, was Mt und Lk ihrer Q-Vorlage entnommen haben und wie sie dabei vorgegangen sind, wird detailliert in den beiden Monographien von Ch. Heil Lukas und Q (2003) und M. Hölscher Matthäus liest Q (2017) nachgegangen. Eine wichtige Grundlage für diesen Kommentar stellen natürlich auch die Arbeiten von P. Hoffmann, dem „Altmeister“ der Q-Forschung im deutschen Sprachraum dar. Stellvertretend für sein reiches Œuvre zu Q sei nur auf seine Mitarbeit an der Critical Edition of Q, seine mit Ch. Heil herausgegebene Studienausgabe zur Logienquelle und seine Studien zur Theologie der Logienquelle (31983, Erstauflage 1972) verwiesen. Sehr wichtig war aber auch, die von Ch. Heil edierte Reihe der Documenta Q Bände in Fragen der Q-Rekonstruktion konsultieren zu können, sowie alle anderen zahlreichen Beiträge von Ch. Heil zur Erforschung der Logienquelle.
An älterer Literatur, die hier auch eingearbeitet wurde, sei genannt: E. Sevenich-Bax Israels Konfrontation mit dem letzten Boten der Weisheit. Form, Funktion und Interdependenz der Weisheitselemente in der Logienquelle (1993) und D. Kosch Die eschatologische Tora des Menschensohnes. Untersuchungen zur Rezeption der Stellung Jesu zur Tora in Q (1989). In beiden Werken wird ein Durchgang des Q-Materials angestellt, wobei allerdings die Frage der Textrekonstruktion zumeist eine größere Rolle spielt, als die Auslegung der Passagen.
Der vorliegende Kommentar entstand also nicht im luftleeren Raum – allen hier zitierten „Fellow Q-bies“ sei herzlich gedankt! Der Verfasser dieses Buches sieht den Neuheitswert dieses Kommentars nicht zuletzt gemäß seinem Forschungsschwerpunkt in der Frage nach dem Parting of the Ways, der Frage, wann sich die Wege von Judentum und Christentum geschieden haben.33 Dieser Forschungsdiskurs hat ja in den letzten Jahren beachtlich an Dynamik gewonnen. Jüngere Publikationen erkennen vermehrt, dass das Parting of the Ways nicht die Angelegenheit eines bestimmten Moments der Geschichte, sondern ein sehr lange dauernder Prozess war, der nicht in allen Gemeinden zu derselben Zeit und in derselben Weise ablief.34 Wenn man mit M. Konradt das MtEv „ohne weiteres noch im Rahmen eines innerjüdischen Differenzierungsprozesses auffassen“ möchte, sodass „das Judentum den primären Lebenskontext der mt Gemeinde bildet“35 – so gilt das a fortiori natürlich auch für die Logienquelle.36 Gerade für sie ist anzunehmen – um die Worte von M. Ebner zu gebrauchen –, dass sie noch „von einer intakten jüdischen Matrix aus zu lesen und zu verstehen ist.“37 Daher wird die Logienquelle zu einem wichtigen Dokument des sich entwickelnden Christentums, das als missing link zwischen Jesus, dem Juden, und der späteren christlichen Kirche zu verstehen ist.
Bis repetita non placent – Wiederholungen sollte man meiden! Erst 2016 erschien Die Logienquelle. Text, Kontext und Theologie der Quelle Q. Darin hat der Verfasser dieses Kommentars eine ausführliche Abhandlung aller Einführungsfragen zur Logienquelle geboten, also zu Ort, Zeit und Kontext der Abfassung von Q. Für eine detaillierte Diskussion dieser Fragen sei auf diesen Band verwiesen. Allerdings soll vorliegender Kommentar auch ohne Kenntnis des anderen Buches lesbar sein – so wird hier ein kurzer Überblick zu den Einleitungsfragen geboten, ohne näher in die Einzeldiskussion einzutreten.
Als terminus post quem für die Abfassung von Q ist das Wirken des historischen Jesus anzusetzen, als dessen wahrscheinlichstes Todesjahr 30 n. Chr. gilt.1 Als terminus ante quem muss die Abfassung des MtEv und LkEv angesehen werden (also die 80er-Jahre des 1. Jh. n. Chr.), da beiden Evangelien Q als schriftliche Quelle vorlag. Am wahrscheinlichsten ist es wohl, mit einer Abfassung in den frühen 60er-Jahren des 1. Jh. noch vor Ausbruch des Jüdischen Krieges zu rechnen. Frühdatierungsversuche in die 40er-Jahre2 konnten sich ebenso wenig durchsetzen wie Spätdatierungen in die 70er-Jahre.3
Die meisten Q-Forscher optieren für Nordpalästina-Galiläa und den syrisch-palästinischen Grenzraum als Abfassungsort,4 und orientieren sich dabei an den in der Logienquelle genannten Orten: Chorazin, Betsaida und Kafarnaum als Provinzstädte, die im westlichen bis nördlichen Sektor des Sees Gennesaret liegen, sowie Tyros und Sidon. Zwar nennen auch MtEv und LkEv diese Orte, doch haben beide Evangelien bereits ein urbanes Leserpublikum vor Augen.5 In der Logienquelle aber verweisen diese Nennungen noch auf ursprüngliches Lokalkolorit – die Logienquelle spiegelt vor allem die „Welt der Feldarbeit oder des Haushaltes“, die Gleichnisse in Q „weisen eine ländliche Perspektive auf, städtisches Leben ist nicht im Blick.“6 Auch die Missionsmethoden in Q lassen auf kleine Ortschaften schließen, etwa in Q 10 die einfache Hausmission: Diese setzt „überschaubare soziale Gebilde“ voraus, denn die Ortschaft „handelt als ganze, wenn sie die Jünger aufnimmt oder abweist.“7 Auch der anschließende Staubgestus im Falle der Ablehnung ist eher auf einem kleinen Marktplatz denkbar, wo man zur ganzen Ortschaft reden konnte, als im Menschengewirr einer großen Stadt.8
In der Frage, wie sehr die Logienquelle in den Traditionen des Frühjudentums verwurzelt war, ist die Forschung noch zu keinem endgültigen Konsens gekommen. Grundsätzlich lässt sich sagen: „Entsprechend einem weitgehenden aktuellen Konsens ist das Spruchevangelium Q ein judenchristliches Dokument, das die Tora voraussetzt und bejaht.“9 Es lässt sich schließen, „dass die Matrix von Q völlig innerhalb des jüdischen Hauses bleibt“10 und Q als eine Schrift von Judenchristen anzusehen ist.
Somit ist es selbstverständlich, dass Jesus die Versuchungen des Satans in Q 4,1–13 durch Tora-Zitate zurückweist, die Praxis der Pharisäer in Q 11,42 zwar kritisiert, aber die kultischen Vorschriften trotzdem nicht auflöst und in Q 16,17 die ewige Gültigkeit von Gesetz und Propheten veranschlagt.
Jesus vs. Tora?Grundsätzlich stimmt es, „dass innerhalb der Logienquelle nicht die Tora, sondern die Botschaft und Gestalt Jesu, des Menschensohn-Kyrios, zentrale Orientierungsgröße und soteriologisches Prinzip sind“,11 doch war dies in eschatologisch motivierten Gruppierungen des Frühjudentums nichts Ungewöhnliches: In solchen Gruppierungen wurde bisweilen ein eigener Heilspartikularismus vertreten, der an apokalyptisches „Sonderwissen“ dieser Gruppierung gebunden war. So etwa ist Errettung nach 1QpHab 8,2f nur möglich „durch ihren Glauben an den Lehrer der Gerechtigkeit“ (ואמנתם במורה הצדק), was in gewisser Weise mit dem Glauben an Jesus und seine Botschaft korrespondiert.12 Das Reklamieren exklusiven heilsrelavanten Sonderwissens kann auch für die Texte des 1. Henochbuches und des 4. Esrabuches festgestellt werden: „[W]isdom is mediated through an eschatological revelation possessed by the chosen. Outsiders are damned because they lack or reject the revelation that enables them properly to observe divine Law and to read the signs of the times.“13 Gewisse heilsrelevante Gestalten wie die fiktiven Figuren „Henoch“ oder „Esra“ offenbaren hier ein Sonderwissen, das zum unabdingbaren Kriterium der Errettung wird – unter Ausschluss anderer Gruppierungen: „The deceivers … wrongly claim to present the right interpretation of the Tora, sometimes in opposition to the ‚true‘ interpretation presented by the author’s hero.“14 So wird auch Jesus in Q 10,22 nicht nur zum endgültigen Offenbarungsträger, sondern auch die ihm Nachfolgenden mit privilegiertem Sonderwissen ausgestattet (vgl. Q 10,23) – wobei allerdings in der Logienquelle das restliche apokalyptische Instrumentar fehlt: Das Sonderwissen ist in Q nicht hermetisch abgeschlossen und nur wenigen Auserwählten vorbehalten, sondern heilsuniversalistisch für die Allgemeinheit bestimmt, wie Q 12,2f verdeutlicht: „Nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt werden wird, und verborgen, was nicht erkannt werden wird. Was ich euch im Dunkeln sage, sagt im Licht, und was ihr im Ohr hört, verkündet auf den Dächern.“
Damit aber wird klar: Eine Alternative zwischen Jesus und Tora tut sich in Q nicht auf! Vielmehr kann man sagen, dass in eschatologisch motivierten Gruppierungen des Frühjudentums die Vorstellung einer letztgültigen Tora-Interpretation durch einen endzeitlichen Offenbarer – wie Henoch, Esra, den „Lehrer der Gerechtigkeit“ oder eben Jesus – weit verbreitet war.
Antijüdische Polemik in Q? In der Q-Forschung gewinnt – gestützt auf soziologische Studien zur Textur des Frühjudentums15 – die Ansicht immer mehr Boden, dass die Polemiken der Logienquelle gegen Pharisäer (Q 11,39–44), galiläische Städte (Q 10,13–15) und Jerusalem (Q 13,34f) sowie gegen „diese Generation“ (Q 7,31–35; 11,16.29f.49–51) keinen endgültigen Bruch zwischen der Q-Gemeinde und dem Judentum erkennen lassen, sondern als Ausdruck von starken innerjüdischen Spannungen zu werten sind, die im pluriformen Frühjudentum häufig zu Tage traten. So kann man schließen: „In spite of the exaggerated and fiery rhetoric of Q, in particular in its final redactional phase, there is good reason to suppose that Q and its partisans identified as Israel and had other Israelites in view as they constructed the document.“16
Heidenmission in Q? An der Prämisse, ob Q bereits mit dem Judentum gebrochen hat oder nicht, hängt natürlich auch die Frage, ob Q schon zur Heidenmission übergegangen ist. Auch hier geht ein wachsendes Segment der Forscher zur Meinung über, dass dies noch nicht der Fall gewesen sei: „In den scharfen Gerichtsandrohungen Israel gegenüber zeigt sich ein verzweifeltes Ringen um die eigentlich angezielten Adressaten, keineswegs dagegen eine Rückschau auf vollendete Tatsachen aus dem inzwischen heidenchristlichen Milieu heraus.“17
Am „Jerusalemer Apostelkonzil“18 49 n. Chr. wurde nicht nur die Heidenmission legitimiert, sondern auch das Missionsgebiet in Juden- und Heidenmission aufgeteilt (Gal 2,7–9 und Apg 15,1–29). Dies führte dazu, dass Judenchristen auch weiterhin Speisevorschriften, Sabbat und Beschneidung einhielten und damit im Verband des Judentums verblieben (vgl. Apg 21,20–24). So etwa belegen die Proteste der Pharisäer gegen die Hinrichtung des Herrenbruders Jakobus durch den Hohepriester Ananos II., einen Sadduzäer (Josephus, Ant 20,200),19 dass streng nach dem Gesetz lebende Kreise der Urkirche den Pharisäern näher standen als die ihnen verfeindeten Sadduzäer (vgl. dazu auch Apg 21,20f!). Zumindest bis in die Zeit knapp vor dem Jüdischen Krieg muss man damit rechnen, dass in Palästina toraobservante Gruppierungen des Urchristentums gemäß den Vorgaben des „Apostelkonzils“ auch weiterhin Beschneidung, Speisevorschriften und Sabbatheiligung einhielten und sich bezüglich des Missionsziels rein auf Israel konzentrierten. Die Gemeinde der Logienquelle passt perfekt in dieses Schema.20
Daher sind die in Q genannten „Heiden“ nur als – reichlich holzschnittartig umrissene – Kontrastfolien zum Unglauben in Israel zu verstehen, um das ungläubige Israel zu „beschämen“: „The rhetorical strategy at work is shaming“.21 Dies bestätigt sich in den Aussagen über die „Königin des Südens“ und die „Männer von Ninive“ (Q 11,31f), die beim Jüngsten Gericht gegen Israel auftreten werden. Genauso wird der Glaube des Hauptmanns in Kontrast zum Unglauben Israels gesetzt: „Nicht einmal in Israel habe ich einen so großen Glauben gefunden“ (Q 7,9). Das „nicht einmal“ spiegelt hier noch immer die innerjüdische Perspektive wider.
Wanderradikale Propheten … Im deutschsprachigen Raum dominiert zumeist die Vorstellung, dass hinter der Logienquelle wanderradikale Propheten stehen, die das emblematische Ethos der unmittelbaren Jesusnachfolge (Q 6,40), bestehend aus zeichenhafter Armut (Q 10,4), Heimatlosigkeit (Q 9,57f), Gewaltlosigkeit (Q 6,27–30) und eschatologischer Naherwartung (Q 10,9), als realprophetisches Zeichen ihrer unmittelbaren Naherwartung der Königsherrschaft Gottes einsetzten:22 „Sucht hingegen seine Königsherrschaft, und dies alles wird euch dazugegeben werden“ (Q 12,30), heißt es im Bildwort von den Raben und Lilien. Damit führten die Q-Missionare den emblematischen Lebensstil Jesu weiter fort (s.u. IV: Exkurs 1.4; Exkurs 3.1.2 und Exkurs 4).
… und Dorfschreiber Itinerante Missionare, denen es nach Q 10,4 verboten war, auch die elementarsten Vorräte zu besitzen, konnten klarerweise keine Schriftrollen und Schreibutensilien mit sich führen. Obendrein waren diese Q-Missionare wohl – ebenso wie Jesus selbst – des Lesens und Schreibens unkundig.23 So stellte J. Kloppenborg die These auf, dass galiläische κωμογραμματεῖς (kōmogrammateis), also Dorfschreiber, die Logienquelle in der ihnen geläufigen Amts- und Schriftsprache Griechisch abgefasst hätten.24 Diese These wurde von W. Arnal25 und G. Bazzana weitergeführt.26 Griechisch war seit der Herrschaft der Ptolemäer in ganz Palästina die gängige Verwaltungssprache. Gerade Bazzana ist es gelungen, an etlichen Stellen der Logienquelle griechische Fachtermini der bürokratischen Verwaltungssprache ausfindig zu machen.27
Die größtenteils in den USA und in Kanada vertretene Dorfschreiber-These muss die Annahme von wanderradikalen Missionaren als Erstverkündiger nicht ausschließen. Aufgrund der unmittelbaren Naherwartung der Wiederkunft Jesu bestand in den ersten dreißig Jahren nach Jesu Tod offensichtlich noch kein Bedarf, die Jesustraditionen zu verschriftlichen. Hier wurden diese Traditionen von itineranten Wandermissionaren missionarisch weiterverbreitet. Erst mit dem beginnenden Wegsterben der ersten Generation (vgl. 1Thess 4,13–18) und den immer stärker werdenden Spannungen im Vorfeld des Jüdischen Krieges (der dann 66 n. Chr. ausbrach), ist mit dem Wunsch nach Verschriftlichung der Botschaft Jesu zu rechnen. Dies erfolgte dann durch Dorfschreiber, wahrscheinlich gleich in griechischer Sprache, sodass nicht mit einer schriftlich niedergelegten Vorstufe der Logienquelle in aramäischer Sprache zu rechnen ist.28
Gerade die Mark-Q Overlaps,29 also jene Passagen, die Q und Mk parallel, doch unabhängig voneinander, überliefert haben, belegen, dass gewisse Traditionszyklen schon bald als geprägte Erzähleinheiten mündlich kursierten. „Bezüglich des Verhältnisses von Mk und Q zeigt sich, daß sie unabhängig voneinander auf einen bereits bestehenden Komplex aus mündlicher Überlieferung zurückgegriffen haben …“30 Die orale Performanz erlaubte eine noch heute sichtbare individuelle Auswortung im MkEv und in Q – bei einer doch staunenswerten inhaltlichen Korrespondenz.31 Das belegt eine gewisse Perseveranz und Tenazität alter Jesusüberlieferungen.32
Aber auch zum vierten Evangelium weist die Logienquelle Berührungspunkte auf, wie von der Forschung wiederholt konstatiert wurde.33 Zuletzt hat M. Theobald festgestellt: „Das johanneische Christentum wurzelt sehr wahrscheinlich in der Aktivität von Wandermissionaren“, es „gibt … Affinitäten zum Wandercharismatikertum der Logienquelle …“34 Weitere Berührungspunkte zwischen Q und JohEv sieht Theobald in der mündlichen Überlieferung von Herrenworten: Ähnlich wie die Logienquelle bietet auch das JohEv eine Sequenzierung der Spruchüberlieferung (Kernworte werden mit Kommentarworten und Redeeinleitungen versehen und wachsen zu thematischen Kränzen zusammen).35 Dabei gilt: „Weder der Vierte Evangelist noch auch die von ihm verarbeitete ‚Zeichenquelle‘ fußt unmittelbar auf dem Spruchevangelium [sc. Q].“36 Allerdings sind es ähnliche, mündlich überlieferte, aus Palästina oder dem syrischen Raum stammende Jesustraditionen, die in der Logienquelle und im JohEv gleicherweise – doch unterschiedlich ausgestaltet – Eingang gefunden haben. Ähnlich wie die Mark-Q Overlaps gibt es also die John-Q Overlaps (wenn diese Wortprägung erlaubt ist).37 Darüber hinaus fällt auch auf, dass im JohEv „eine sühnechristologische Deutung des Todes Jesu (wenn überhaupt) nur am Rande begegnet bzw. erst nachträglich eingezeichnet wurde“38 – auch das kann als Parallele zur Logienquelle dienen.
In manchen Punkten kann sogar gezeigt werden, dass auch Paulus über ähnliche Theologumena verfügte wie die Logienquelle, etwa beim gewaltsamen Prophetengeschick aus 1Thess 2,15f39 oder beim Eifersüchtig-Machen Israels durch den Glauben der Heiden in Röm 11,11.40
Weiters können Berührungspunkte zwischen der Didache und der Logienquelle ausfindig gemacht werden. Auch in der Didache begegnen Wandercharismatiker, wie Did 11,3–8 erkennen lässt.41 Hinter dem in Did 8,2; 11,3; 15,3f genannten „Evangelium“ als der „regula Christi“, sind besonders die „überlieferten Worte des Kyrios“ von Bedeutung und nicht das Kerygma von Tod und Auferstehung Jesu.42 Die Parallelen zur Wortüberlieferung der Logienquelle (etwa der Aussendungsrede Q 10) scheint hier evident und ebenso das – im Unterschied zur Theologie des Paulus – nicht im Vordergrund stehende Kerygma von Tod und Auferstehung. Vielleicht kann man sogar das Evangelienmaterial der Didache auf eine „Logiensammlung vom Typus der synoptischen Logienquelle“43 zurückführen.
Weitere Parallelen können im Thomasevangelium gefunden werden.44 Das ThEv wurde zu Beginn des 2. Jh. verfasst und vertritt eine Frühform der späteren Gnosis. Bezüglich einer möglichen Abhängigkeit des ThEv von den Synoptikern wird man Logion für Logion gesondert analysieren müssen: Etwa die Hälfte der Logien besitzen keine direkte Parallele im NT, was auf eigene Überlieferungsstränge rückschließen lässt. In der mit der synoptischen Tradition parallel laufenden Überlieferung lassen sich bisweilen synoptische Beeinflussungen nachweisen, was sowohl aus der Kenntnis schriftlich verfasster Evangelien, aber auch aus dem Phänomen der secondary orality, also einer zur schriftlichen Überlieferung parallel weiterlaufenden mündlichen Tradition, erklärt werden kann (s.o. I.1.2.4). In jedem Fall ermöglicht uns die Existenz des ThEv einen Einblick, welche überlieferungsgeschichtlich verschlungenen und konzeptionell pluriformen Wege die frühe Jesustradition nehmen konnte. Auch wenn die Abhängigkeitsfrage des ThEv von den Synoptikern in jedem einzelnen Logion gesondert geprüft werden muss, so belegt der Text doch, dass „Spruchsammlungen“ nach Art der Logienquelle im frühen Christentum kursierten.
Summa Summarum: Spuren von jesuanischer Spruchüberlieferung finden wir neben der Logienquelle auch noch im MkEv, dem JohEv, der Didache und im ThEv – alles Traditionen, die im syrischen Raum ihren Ursprung hatten.45
Das MkEv wurde auch nach seiner Benutzung durch Mt und Lk als eigenständiger Text weitertradiert und nicht – wie die Logienquelle – durch die beiden Großevangelien abgelöst. Das könnte zum Schluss führen, dass der Wert der Logienquelle gegenüber dem MkEv geringer einzustufen sei.46 Wie auch immer das moderne Urteil der Exegeten zu Q ausfallen mag – interessant ist in unserem Fall, ob Mt und Lk ihre beiden Hauptquellen MkEv und Q in gleicher Weise wertschätzten:
Für den hinter dem MtEv stehenden Evangelisten hat M. Konradt darauf hingewiesen, „dass Matthäus als markuskritisch, wenn nicht als antimarkinisch zu klassifizieren ist. Er … wollte das Mk verdrängen, weil er es für ungeeignet hielt, um in seinen Gemeinden benutzt zu werden. … Theologisch steht Matthäus Q näher als dem Mk.“47 Gerade in puncto Tora steht dabei die ungebrochene und volle Gesetzesobservanz – auch in Fragen der Kult- und Reinheitstora – den bedeutendsten Divergenzpunkt zwischen Mt und Mk dar: Genauso wie die Logienquelle (s.u. III: Q 11,14–52; 16,17f) hält nämlich auch das MtEv an der Gültigkeit der ganze Tora – inklusive der Kult- und Reinheitstora – weiterhin fest. Im Unterschied zu Q betreibt die Mt-Gemeinde mittlerweile auch beschneidungsfreie Heidenmission, doch bleibt gemäß den Beschlüssen des Apostelkonzils die Befolgung der Kaschrut für die Judenchristen der Mt-Gemeinde verpflichtend (wenn auch als dem Liebesgebot nachgeordnete „kleinere Gesetze“).48 Eine ähnliche Beobachtung wird von J. Schröter gemacht, der unterstreicht, „daß die konkrete Rezeption der Regelungen des νόμος im Horizont einer Tradition erfolgt, in welcher jüdische Reinheitsvorstellungen eine Rolle spielen und die sich diesbezüglich von der markinischen Aufnahme unterscheidet. Die konsequente Fortsetzung dieser Ansätze der Q-Überlieferung findet sich dagegen bei Matthäus, dessen Entwurf sich an vielen Stellen konzeptionell eher als Deutung der Mk-Erzählung im Lichte von Q verstehen lässt als umgekehrt.“49 Wenn man annehmen möchte, dass die Mt-Gemeinde – die wohl im syrischen Raum lag50 – „von den wandernden Boten und Propheten des Menschensohns der palästinischen Logienquelle gegründet worden ist und weiterhin in engem Kontakt mit ihnen steht“,51 dann wird diese Verbindung noch deutlicher. Die Mt-Gemeinde wurde somit – eventuell nach Abwanderung der Q-Gemeinde aus Galiläa im Zuge des Jüdischen Krieges (s.u. III: Q 10,13–15) – zum theologischen Nachlassverwalter des Erbes von Q.52
Für den hinter dem LkEv stehenden Evangelisten sieht der Sachverhalt gerade umgekehrt aus: Während Mt die Heidenmission ins Judenchristentum „einkreuzt“, bemüht sich Lk, den Heidenchristen die Unaufgebbarkeit der jüdischen Wurzeln zu verdeutlichen. Um es mit Ch. Heil zu sagen: Lk scheint „sein Werk in den Kontext der klassischen jüdischen ‚Tradition‘ stellen zu wollen“, wobei er „in jüdischer Szenerie die Situation der heidnischen Kirche“ darstellt.53 Die Übernahme von Q wird für ihn zu einer Legitimierung aus den Quellen des Anfangs. Er versucht knapp vor der ersten Jahrhundertwende der Gefahr eines solchen Heidenchristentums zu wehren, das die eigenen jüdischen Wurzeln abstoßen möchte – Tendenzen, wie wir sie kurz darauf mit Markion auf dem „Radarschirm“ der Geschichtsschreibung erfasst haben. Die Übernahme der Logienquelle wird für Lk zum Garanten der unaufgebbaren jüdischen Wurzeln des Christentums.
„Bei Lukas ist das Q-Material blockweise in den Markusrahmen eingefügt.“54 Folgt man der lk Akoluthie bei der Rekonstruktion der Logienquelle, so entsteht ein verblüffend gut gegliedertes Textstück vor unseren Augen, das einen eingängigen narrativen Duktus aufweist. Die Logienquelle war damit nicht nur ein Sammelsurium bunt zusammengewürfelter Jesusworte, sondern folgt einem narrativen Plot (s.u. II.3.4), in dem der mündliche Vortragsstil als lebendige Präsentation der „Botschaft vom Menschensohn“ noch gut erspürbar ist. Die hier vorgeschlagene Akoluthie stützt sich auf den geringfügig überarbeiteten Grundaufbau der CEQ, die Gliederung folgt dem Schema von Hoffmann/Heil,55 das jedoch stellenweise modifiziert und mit narratologischen Überlegungen weitergeführt wurde. Einige kleinere Änderungen wurden auch in der Akoluthie vorgenommen (s.u. II.3.1.2).
Die CEQ bietet an einigen wenigen Stellen Abweichungen von der lk Akoluthie, „in cases where it became clear that the Matthean rather than the Lukan order is that of Q …“56 Dies sind folgende Passagen:
Q 4,5–8: Die zweite und dritte Versuchungsgeschichte werden in der mt Abfolge rekonstruiert.
Q 6,27–36 (Feindesliebe, Gewaltlosigkeit, Goldene Regel, Barmherzigkeit) wurde teilweise die lk und teilweise die mt Abfolge zugrunde gelegt, da beide Evangelisten in diesem Abschnitt von starken redaktionellen Interessen geleitet waren (bei Mt die Formulierung der Antithesen, bei Lk die Ausgestaltung der Thematik Feindesliebe).
Q 11,16: Die Forderung eines Zeichens wird vor Q 11,29f (Zeichen des Jona) gestellt – der mt Abfolge Rechnung tragend.
Q 11,39–52: Die Weherufe gegen Pharisäer und Gesetzeslehrer und das Urteil der Weisheit über „diese Generation“ wurden etwas umgruppiert und in einer Abfolge wiedergegeben, die sich bisweilen an Mt und bisweilen an Lk orientiert, da beide Evangelisten in dieser Passage stark redaktionell eingegriffen haben.
Q 12,33f (Vorräte im Himmel) wird in der CEQ der mt Abfolge gemäß vor Q 12,22b-31 (Sorgt euch nicht!) gesetzt – in diesem Fall ist vorliegender Kommentar trotzdem bei der lk Akoluthie verblieben (Begründung s.u. III: Q 12,22b-34).
In Q 13,28f werden V 28 und 29 zugunsten der mt Abfolge vertauscht (Weinen und Zähneknirschen erst nach der Ankündigung der von Osten und Westen Kommenden).
Q 15,4.5a.7(Das verlorene Schaf) wird der mt Anordnung folgend nach Wehe den Verführern (Q 17,1f) positioniert.
Q 17,33 (Sein Leben finden oder verlieren) passt nach der mt Akoluthie gut nach Q 14,26f (Familie hassen und Kreuzesnachfolge).
Q 17,37 (Aas und Geier) passt – ebenfalls Mt folgend – perfekt nach Q 17,23f (Der Menschensohn kommt wie ein Blitz).
Vorliegender Band hat die Gliederung der CEQ grundsätzlich übernommen, weicht allerdings in einigen Punkten davon ab (zu Q 12,33f s. o.). So z.B. im Fall der dornigen Frage, wo Q 16 zu verorten ist. Denn bei der Zuordnung des in Q 16,16–18 enthaltenen Materials folgen sowohl Mt als auch Lk starken theologisch-redaktionellen Interessen, wodurch die Verortung der Texteinheit schwierig wird. Nach Abwägung aller redaktioneller Interessen57 – die offensichtlich nicht alleine zu einer eindeutigen Entscheidung führen können – soll hier der mt Abfolge der Vorzug gegeben werden, da auch nach narrativ-textpragmatischen Kriterien die Logienquelle den Täufer nach dem ersten Erzählkranz (Q 3,2b–7,35; 16,16) nicht mehr erwähnt. Eine abermalige Thematisierung des Täufers gegen Ende der Logienquelle würde dem narrativen Duktus von Q zuwiderlaufen. Für die einzelnen Verse von Q 16 heißt das:
Q 16,16: Die Herausgeber der CEQ haben in einer sehr knappen Abstimmung dafür plädiert, den sogenannten „Stürmerspruch“ in der lk Position zu belassen und gegen die mt Anordnung nach Q 7,24–28 optiert.58 Den oben genannten Kriterien Rechnung tragend, soll Q 16,16 in diesem Kommentar allerdings nach der mt Akoluthie verortet werden.
Q 16,17: Auch hier bleibt die Position schwer zu bestimmen, da sowohl Mt 5,18 das Wort in den Antithesen eindeutigen redaktionellen Interessen unterwirft,59 aber auch Lk 16,17 im Kontext kompositioneller Tätigkeit zu lesen ist.60 Vielleicht hat das Wort schon in Q im Kontext der Pharisäer- und Schriftgelehrtenpolemik gestanden, also bei Q 11,39–52, der mt Akoluthie entsprechend (nach Q 11,33/Mt 5,15 und vor Q 12,58/Mt 5,25). Von dort hätte Mt das Wort gut als Introitus zu seinen Antithesen (Mt 5,18) und der damit verbundenen Schelte gegen Schriftgelehrte und Pharisäer („Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer…“, Mt 5,20) ausbauen können. Lk hingegen hat die Gesetzeserfüllung mit der Thematik nach dem rechten Umgang mit Besitz verbunden; es wird deutlich, dass für Lk „der Umgang mit dem Besitz als Haltung gegenüber dem νόμος interpretiert wird, an dem sich zu orientieren unmittelbare Relevanz für die Beurteilung im Endgericht besitzt.“61 Den Anstoß für diese Idee könnte er in der Logienquelle gefunden haben, wenn das Wort Q 16,17 tatsächlich den Auftakt für die Weherufe gegen Pharisäer und ihre Habgier (Q 11,39b: „Raub und Gier“) dargestellt hat.
Q 16,18 könnte dann gleich an 16,17 angeschlossen haben. „Plausibel ist eine ursprüngliche Zusammengehörigkeit der Verse 17 und 18, da auch Matthäus die beiden Sprüche in Mt 5,18 und 5,32 in unmittelbarer Nachbarschaft überliefert.“62
Q 16,13 verbleibt allerdings in der lk Akoluthie, wo es gut in den narrativen Duktus der Logienquelle passt.
Der hier gebotene Textumfang orientiert sich zumeist an der CEQ.63 Von dieser wiederum wurde „ein insgesamt eher ‚konservativer‘ Q-Text hergestellt, der frei ist von extravaganten Spekulationen.“64 Das bedeutet, dass in der Regel nur Übereinstimmungen zwischen Mt und Lk über den Mk-Text hinaus als Text der Logienquelle veranschlagt wurden. Nur an zwei Stellen wurde ein Q-Text reklamiert, der keine traditio duplex vorzuweisen hat: Feuer auf die Erde (Q 12,49) und Die verlorene Drachme (Q 15,8–10) verbleiben ohne mt Parallele.65 Das Wort vom Feuer könnte tatsächlich gut im Kontext von Q 12,51.53 (Nicht Frieden, sondern das Schwert) gestanden haben. Ähnliches gilt für die Verlorene Drachme, die auch keine Parallele bei Mt hat, doch auch für Q gut nach dem Gleichnis vom Verlorenen Schaf passen könnte.
Die beiden Texte werden in diesem Kommentar – dem Votum der CEQ folgend – für Q reklamiert. In beiden Fällen handelt es sich um Geringfügigkeiten; streicht man die beiden Perikopen aus der Logienquelle, so erleidet der Erzählduktus von Q keine Einbußen. Wichtig scheint dem Autor weniger die Detailfrage, ob diese Perikopen zu Q gehörten oder nicht, sondern dass – dem narrativen Ansatz folgend – der Erzählfluss von Q mit oder ohne diese Rekonstruktion intakt bleibt.
Abweichend von der CEQ wurde die Perikope: Die Unterscheidung des Kairos (Q 12,54–56) nicht für die Logienquelle reklamiert: Aufgrund der textkritisch unsicheren Lage betreffs Mt 16,2aβ-3 spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass dieser Text nicht im MtEv und somit wohl auch nicht in Q gestanden hat.66 Die Herausgeber der CEQ haben den Text auch nur mit einer Möglichkeit von {C} für die Logienquelle veranschlagt.67
Ebenfalls abweichend von der CEQ wurde auch die Perikope: Die Königsherrschaft Gottes ist mitten unter euch (Q 17,20f) nicht für die Logienquelle reklamiert. Schon unter den Herausgebern der CEQ ist diese Stelle umstritten: P. Hoffmann urteilte mit der Wahrscheinlichkeit von {B} dagegen, während J. Robinson und J. Kloppenborg nur mit {C} dafür optierten.68 Mit ausführlichen Begründungen haben sich Ch. Heil, H. Fleddermann und zuletzt G. Harb sehr überzeugend gegen eine Zugehörigkeit der Perikope zu Q ausgesprochen.69
Die hier vorgenommene Gliederung orientiert sich zunächst an dem Schema von Hoffmann/Heil,70 das allerdings um Untergliederungen erweitert und in manchen Punkten neu strukturiert wurde. Dafür wurden zunächst sieben Erzählkränze identifiziert, welche die große Grundstruktur von Q darstellen. Diese sieben Erzählkränze zerfallen wiederum in diverse Erzähleinheiten, die ihrerseits aus den einzelnen Perikopen zusammengesetzt sind.
Erzählkranz 1: Die beiden Hauptdarsteller: Johannes der Täufer und Jesus von Nazaret (Q 3,2b–7,35; 16,16)
Erzähleinheit 1: Die Botschaft des Johannes (Q 3,2b-17)
Das Auftreten des Johannes (Q 3,2b-3a)Die Gerichtsankündigung des Johannes (Q 3,7–9)Johannes und der nach ihm Kommende (Q 3,16b-17)
Erzähleinheit 2: Taufe und Bewährung Jesu (Q 3,21f; 4,1–13.16)
Die Taufe Jesu (Q 3,21f)Die Versuchung Jesu in der Wüste (Q 4,1–13)Nazara (Q 4,16)
Erzähleinheit 3: Jesu programmatische Rede (Q 6,20–49)
Seligpreisungen (Q 6,20f)Feindesliebe (Q 6,22f)Feindesliebe & Gewaltlosigkeit (Q 6,27f.35c-d.29f)Goldene Regel & Barmherzigkeit (Q 6,31f.34.36)Nicht richten (Q 6,37f)Blinde Blindenführer (Q 6,39)Schüler und Lehrer (Q 6,40)Splitter und Balken (Q 6,41f)Der Baum wird an seiner Frucht erkannt (Q 6,43–45)Nicht nur Herr, Herr sagen (Q 6,46)Auf Fels oder Sand gebaut (Q 6,47–49)
Erzähleinheit 4: Der Glaube des heidnischen Hauptmanns (Q 7,1.3.6b–10)
Erzähleinheit 5: Johannes und Jesus (Q 7,18–35 und 16,16)
Die Frage des Johannes (Q 7,18f.22f)Johannes – mehr als ein Prophet (Q 7,24–28)Stürmerspruch (Q 16,16)Für und gegen Johannes (Q 7,29f)Diese Generation und die Kinder der Weisheit (Q 7,31–35)
Erzählkranz 2: Die Verkündiger: Die Boten des Menschensohnes (Q 9,57–11,13)
Erzähleinheit 1: Radikale Nachfolge (Q 9,57–60)
Das Bildwort von den Füchsen und Vögeln (Q 9,57f)Lass die Toten ihre Toten begraben! (Q 9,59f)
Erzähleinheit 2: Missionsinstruktion (Q 10,2–16)
Arbeiter für die Ernte (Q 10,2)Wie Schafe unter Wölfen (Q 10,3)Ausrüstungsregel: Mission in zeichenhafter Besitzlosigkeit (Q 10,4)Hausmission und Stadtmission (Q 10,5–12)Weherufe gegen galiläische Städte (Q 10,13–15)Wer euch aufnimmt, nimmt mich auf (Q 10,16)
Erzähleinheit 3: Besondere Offenbarung des Sohnes (Q 10,21–24)
Weisen verborgen, Unmündigen enthüllt (Q 10,21)Alles ist dem Sohn übergeben (Q 10,22)Selig, die sehen, was ihr seht (Q 10,23f)
Erzähleinheit 4: Das Gebet der Jünger (Q 11,2b-4.9–13)
Das Vater-Gebet (Q 11,2b-4)Bittet, und euch wird gegeben (Q 11,9–13)
Erzählkranz 3: Die Gegner: Dämonen und irdische Gegner (Q 11,14–52; 16,17f)
Erzähleinheit 1: Der Sieg Jesu über die Dämonen (Q 11,14–26)
Dämonenaustreibungen im Finger Gottes (Q 11,14f.17–20)Der Stärkere, der den Starken beraubt (Q 11,21f)Wer nicht mit mir ist (Q 11,23)Die Rückkehr des unreinen Geistes (Q 11,24–26)
Erzähleinheit 2: Das Gericht über „diese Generation“ (Q 11,16.29–32)
Das Zeichen des Jona (Q 11,16.29f)Die Königin des Südens und die Männer von Ninive (Q 11,31f)
Erzähleinheit 3: Das Licht soll leuchten! (Q 11,33–35)
Die Lampe auf dem Leuchter (Q 11,33)Das Licht in dir (Q 11,34f)
Erzähleinheit 4: Gegen Pharisäer und Schriftgelehrte (Q 16,17f; 11,39–52)
Kein Jota oder Häkchen des Gesetzes fällt (Q 16,17)Verbot von Scheidung und Wiederheirat (Q 16,18)Weherufe gegen Pharisäer (Q 11,39a.42.39b.41.43f)Weherufe gegen Gesetzeslehrer (Q 11,46b.52.47f)Das Urteil der Weisheit über „diese Generation“ (Q 11,49–51)
Erzählkranz 4: Konsequenzen für die Gemeinde: Zuversicht trotz Bedrängnis (Q 12,2–13,21)
Erzähleinheit 1: Bekenntnis zu Jesus ohne Furcht (Q 12,2–12)
Verborgenes wird enthüllt (Q 12,2f)Fürchtet nicht, die nur den Leib töten (Q 12,4f)Mehr wert als Spatzen (Q 12,6f)Das Bekenntnis zu Jesus und der endzeitliche Menschensohn (Q 12,8f)Reden gegen den heiligen Geist (Q 12,10)Rechtfertigung in den Synagogen (Q 12,11f)
Erzähleinheit 2: Sucht die Königsherrschaft Gottes! (Q 12,22b-34)
Sorgt euch nicht! (Q 12,22b-31)Sammelt Vorräte im Himmel! (Q 12,33f)
Erzähleinheit 3: Das Kommen des Menschensohnes (Q 12,39–59)
Der Menschensohn kommt wie ein Dieb in der Nacht (Q 12,39f)Der treue und der treulose Sklave (Q 12,42–46)Feuer auf die Erde (Q 12,49)Nicht Frieden, sondern das Schwert (Q 12,51.53)Außergerichtliche Einigung (Q 12,58f)
Erzähleinheit 4: Gleichnisse zur Königsherrschaft Gottes (Q 13,18–21)
Das Gleichnis vom Senfkorn (Q 13,18f)Das Gleichnis vom Sauerteig (Q 13,20f)
Erzählkranz 5: Konsequenzen für die Gegner: Gerichtsworte (Q 13,24–14,23)
A Eingelassen – Ausgesperrt (Q 13,24–29)
B Letzte werden Erste und Erste Letzte (Q 13,30)
C Gerichtswort über Jerusalem (Q 13,34f)
B Wer sich erhöht, wird erniedrigt, wer sich erniedrigt, wird erhöht (Q 14,11)
A Gastmahlsgleichnis (Q 14,16–18.21.23)
Erzählkranz 6: Anweisungen für den Endspurt: Durchhalten bis zur Parusie (Q 14,26–17,6)
Erzähleinheit 1: Kompromisslose Nachfolge (Q 14,26–17,2)
Familie hassen und Kreuzesnachfolge (Q 14,26f)Sein Leben finden oder verlieren (Q 17,33)Fades Salz (Q 14,34f)Gott oder Mammon (Q 16,13)Wehe den Verführern (Q 17,1f)
Erzähleinheit 2: Vergebung Gottes und untereinander (Q 15,4–10; 17,4)
Das verlorene Schaf (Q 15,4.5a.7)Die verlorene Drachme (Q 15,8–10)Siebenmal vergeben (Q 17,3f)
Erzähleinheit 3: Bäumeversetzender Glaube (Q 17,6)
Glaube wie ein Senfkorn (Q 17,6)
Erzählkranz 7: Finale – furioso ma fantastico: Das bevorstehende Ende (Q 17,23–22,30)
Erzähleinheit 1: Der Tag des Menschensohnes (Q 17,23–37; 19,12–26)
Der Menschensohn kommt wie ein Blitz (Q 17,23f)Aas und Geier (Q 17,37)Wie in den Tagen des Noach (Q 17,26f.30)Mitgenommen oder zurückgelassen (Q 17,34f)Das Gleichnis vom anvertrauten Geld (Q 19,12f.15–24.26)
Erzähleinheit 2: Schlussakkord – Die Stämme Israels richten (Q 22,28.30)
Eine Gliederung soll nicht nur den Aufbau des Textes übersichtlich erschließen, sondern die innere Logik einer Komposition verdeutlichen: In sieben Erzählkränzen werden die Themen der Logienquelle wohlkonzipiert vorgetragen und zu einem gemeinsamen Spannungsbogen verwoben. Dabei zerfallen die sieben Teile wiederum in diverse Erzähleinheiten, die ihrerseits aus den einzelnen Perikopen zusammengesetzt sind.
Die „Erzählung des Redens“ als ein Stück „narrativer Sinnbildung“71 wird darin deutlich: Die ursprünglich einzelnen Logia sind bereits „mit einfachen literarischen Mitteln – wie etwa Stichwortverbindungen oder thematischen Assoziationen“72 zu Themenkränzen formiert. Diese wiederum bilden eine narratologisch geschlossene Sammlung von Jesusworten mit einem durchgehenden Spannungsbogen. Es wird klar, „dass schon von der Q-Redaktion – anders als z.B. im Thomasevangelium – die Einzelsprüche bereits zu Redekompositionen mit deutlich erkennbaren thematischen Schwerpunkten zusammengestellt wurden.“73
Der erste Erzählkranz fokussiert auf die beiden Hauptdarsteller: Johannes der Täufer und Jesus aus Nazaret. Dabei darf es nicht verwundern, dass – nach der Theologie der Logienquelle – bereits mit Johannes der neue Äon beginnt (s.u. III: Q 7,24–28): Er, der nur mit Wasser tauft, kündigt den Stärkeren an, der nach ihm kommt und mit heiligem Geist und Feuer taufen wird (Q 3,16). Mit ihm als Boten des Kommenden (Q 7,27) hat der neue Äon schon begonnen. Johannes und Jesus werden in Q 7,35 als die beiden „Kinder der Weisheit“ vor Augen geführt – wie ein antithetisches Zwillingspaar (Bußfasten vs. Freude der basileia) rechtfertigen sie beide Gottes Weisheit: Der Abschlusssatz des gesamten ersten Teiles – „Und doch wurde die Weisheit von ihren Kindern gerechtfertigt“ (7,35) – schließt diesen ersten programmatischen Teil ab, indem er als inclusio noch einmal auf die beiden Hauptdarsteller einzoomt und ihre Botschaft als weisheitskonform ausweist.
Erzählkranz 1 ist tatsächlich der programmatische Anfang der Logienquelle. Hier wird in Erzähleinheit 1: Die Botschaft des Johannes (Q 3,2b-17) die Verkündigung des Täufers vorangestellt.
Dann rückt Erzähleinheit 2: Taufe und Bewährung Jesu (Q 3,21f; 4,1–13.16) den zweiten Protagonisten ins Bild: Jesus wird in seiner Beziehung zum Täufer vorgestellt, aber er überbietet den Täufer auch schon, indem er den Heiligen Geist empfängt (Q 3,21f). Mit seiner Rückkehr nach Nazaret (hier „Nazara“ genannt) löst sich Jesus vom Täufer und beginnt seine eigene Verkündigung, die in der nächsten Erzähleinheit prägnant zusammengefasst ist:
Erzähleinheit 3: Jesu programmatische Rede (Q 6,20–49)74stellt nun den zentriert angelegten Höhepunkt von Teil 1 dar (von den fünf Erzähleinheiten steht dieser Teil bewusst in der Mitte). Hier ist die Grundidee dessen geboren, was Mt später mit seiner Bergpredigt zum Zentraltext christlicher Ethik ausbauen wird. Abgeschlossen wird dieser Teil schlüssig mit der Frage „Was nennt ihr mich: Herr, Herr, und tut nicht, was ich sage?“ (Q 6,46) und der Aufforderung, durch das Tun der Worte Jesu sein Haus auf Felsen und nicht auf Sand zu bauen (Q 6,47–49).
Erzähleinheit 4: Der Glaube des heidnischen Hauptmanns (Q 7,1–10) skandiert den vorgegebenen Rhythmus, an Jesu Worte zu glauben, nun weiter: Dessen exemplarischer Glaube erfüllt die Forderungen Jesu – und das sogar in Überbietung des Glaubens Israels: „Nicht einmal in Israel habe ich einen so großen Glauben gefunden“ (Q 7,9). Obwohl die Q-Gemeinde noch keine Heidenmission praktizierte, steht der Hauptmann hier klug als Positivbeispiel. Erst nach Erwähnung dieses Positivbeispiels wird in der anschließenden Erzähleinheit auch ein Blick auf „diese Generation“ als Negativbeispiel geworfen.
Mit Erzähleinheit 5: Johannes und Jesus (Q 7,18–35 und 16,16) schließt sich der Erzählbogen von Teil 1: Die beiden „Helden“ treten noch einmal auf die Bühne und werden nun in ihrem wechselseitigen Beziehungsgefüge definiert: Johannes ist zwar der „Größte von Frauen Geborene“, doch „der Kleinere (Jesus) ist in der Königsherrschaft Gottes größer als er“ (Q 7,28). Diese Wertung der Innenperspektive (für die Gläubigen) wird durch die Außenperspektive (gegen diese ungläubige Generation) abgerundet: Johannes und Jesus sind beide – „im Tandem“ sozusagen – „Kinder der Weisheit“ (Q 7,35).
Für Teil 1 ergibt sich also ein stimmiger Erzählduktus anhand der Erzähleinheiten:75
A Johannes: Auftreten und Botschaft
B Jesu Taufe und Geistempfang
C Zentrum: Jesu programmatische Rede
B’ Der exemplarische Glaube des Hauptmanns
A’ Johannes und Jesus:
a) Jesus größer als Johannes (Innenperspektive)
b) Kinder der Weisheit (Außenperspektive)
Negative Aspekte, also Unglaube, Verweigerung und Gericht – wie sie ansonsten für Q nicht untypisch sind – treten in Teil 1 nur subkutan auf, etwa: „Was nennt ihr mich: Herr, Herr, und tut nicht, was ich sage?“ (Q 6,46) oder der Vergleich von „dieser Generation“ mit launischen Kindern (Q 7,31–35). Der gläubige Hauptmann stellt erzählpragmatisch ein Positivbild vor Augen, das den Glauben Israels nicht abwertet sondern überbietet: „… nicht einmal in Israel habe ich einen so großen Glauben gefunden.“ In diesem ersten Erzählkranz dominieren also noch ganz die positiven Aspekte.
Teil 1 ist ein fulminanter Einstieg: Mit großem Strich wird das Gesamtbild der Anfänge bei Johannes, der Überbietung durch Jesus und beider kraftvolle Botschaft skizziert. Mit J. Robinson könnte man sagen:76
Already it has become clear that the first major segment of Q (Q 3,2–7,35) was composed intentionally in a meaningful sequence. It is not the result of some haphazard collecting of sayings, but rather of conscious and careful editorial composition, designed to argue convincingly that John’s predication of ὁ ἐρχόμενος (Q 3,16) is fulfilled by Jesus (Q 7,19).
Nach dem programmatischen ersten Teil folgt der zweite Erzählkranz, der nun auf die Verkündiger Jesu fokussiert. Der Aufbau ist logisch: Nach der Botschaft folgt die Frage: Und wie verkündigen wir das heute? Hier rückt der Fokus von der Vergangenheit des Johannes und Jesus auf die unmittelbare Gegenwart der Verkündiger.
Interessant ist dabei, dass hier noch nicht die Konsequenzen für die sesshafte Q-Gemeinde angeführt werden (das erfolgt erst in Erzählkranz 4), sondern zunächst eine Instruktion für die „Arbeiter der Ernte“ (Q 10,2), also die Wandermissionare, erfolgt. Im gesamten Teil 2 rücken sesshafte Q-Anhänger noch nicht in den Blick. Selbst das Vater-Gebet ist mit seiner Brotbitte dem Motivhorizont unsicherer Wanderexistenz verpflichtet. Das verdeutlicht die Verteilung der Gewichte in der Logienquelle: Die Naherwartung ist noch immer ungebrochen und so massiv, dass nun „alle Kräfte an die Front“ der Verkündigung „geworfen“ werden (vgl. das Verb ἐκβάλλω in Q 10,2), um im eschatologischen Endkampf den Sieg davonzutragen.
Daher startet dieser Teil auch mit Erzähleinheit 1: Radikale Nachfolge (Q 9,57–60) als klangvoller Introitus zur Kompromisslosigkeit und Zeichenhaftigkeit der Q-Boten: Die Heimatlosigkeit der Q-Missionare (Bildwort von den Füchsen und Vögeln) wird durch die Kontextuierung gedeutet als neue Beheimatung in der familia Dei: Nicht mehr der irdische Vater (Lass die Toten ihre Toten begraben! Q 9,60; vgl. Q 14,26), sondern Gott als Vater (vgl. Q 10,21; 11,2.13) steht nun im Mittelpunkt.
Nach dem Introitus kommt die Erzähleinheit 2: Missionsinstruktion (Q 10,2–16) gleich zur Sache: Die Dringlichkeit, Arbeiter für die Ernte zu senden, verdeutlicht die eschatologische Naherwartung – aber auch schon die beginnenden Ermüdungstendenzen aufgrund der sich verzögernden Parusie! Trotzdem ist die Zuversicht weiterhin ungebrochen, selbst Wie Schafe unter Wölfen reüssieren zu können. Dabei wird die Gewaltlosigkeit (neben dem Bild von Schafen im Verbot des Stockes verdeutlicht) zum Zeichen des eschatologischen Friedens, den die Missionare bei Betreten eines Hauses wünschen. Die Ausrüstungsregel führt die emblematische Zeichenhaftigkeit der Missionare weiter fort: Ohne Besitz und Macht – einfach auf Gott und sein anbrechendes Reich vertrauend – werden die Boten zum Realsymbol der bevorstehenden Königsherrschaft Gottes. Hausmission und Stadtmission werden als die beiden Missionstypen vorgestellt. Die Weherufe gegen galiläische Städte sind dann der erste Negativ-Akzent in der Logienquelle. Die optimistische Grundhaltung Jesu, die in Erzählkranz 1 noch spürbar ist (s.o.), trübt sich durch den anhaltenden Misserfolg der Q-Missionare langsam ein; das Ende der ausschließlichen Israelmission (wie es später das MtEv mit der Heidenmission ratifizieren wird) rückt hier bereits in den Horizont. Trotzdem ist das Selbstbewusstsein der Q-Missionare ungebrochen, denn Wer euch aufnimmt, nimmt mich auf.
Dieses besondere Selbstbewusstsein der Q-Missionare wird nun in Erzähleinheit 3: Besondere Offenbarung des Sohnes (Q 10,21–24) per Stichwortverbindung weitergeführt. Die erfahrene Zurückweisung führt nicht zu Entmutigung, sondern wird – apokalyptischen Mustern folgend – zum esoterischen Insider-Wissen erklärt, das Weisen verborgen, Unmündigen enthüllt ist. Alles ist dem Sohn übergeben und der Sohn hat es den Q-Boten weiter vermittelt (Selig, die sehen, was ihr seht).
Erzähleinheit 4: Das Gebet der Jünger (Q 11,2b–4.9–13)