Konfliktmanagement - Monika Klinkhammer - E-Book

Konfliktmanagement E-Book

Monika Klinkhammer

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Beschreibung

Wissenschaftliche Institutionen sind Konfliktherde – wie andere Organisationen auch. Doch das Arbeiten an Hochschulen und Universitäten ist in besonderem Maße von Kooperation einerseits und von Konkurrenz andererseits geprägt. In Lehre, Forschung und Verwaltung treffen Menschen mit vielfältigen, widersprüchlichen Rollen und Aufgaben aufeinander, die in komplexen Situationen gemanagt werden müssen. Hoher Leistungs- und Performancedruck, widerstreitende Anforderungen, schwierige Arbeitsbedingungen sowie befristete Verträge für Promovierende und Postdocs in den Qualifizierungsphasen sind die Regel. Dieses Buch bietet Beschäftigten aller Statusgruppen Methoden und Werkzeuge zur Wahrnehmung, Diagnose und Bearbeitung von Konflikten an, die beispielsweise in Arbeitsbeziehungen, in Betreuungsverhältnissen, in Forschungsgruppen, an Lehrstühlen oder in Instituten entstehen: Worum geht es bei Konflikten wirklich? Was ist hilfreich? Und wie führt man ein Konfliktgespräch? Zahlreiche Beispiele und Fälle aus der Praxis verleihen dem Ratgeber eine besondere Anschaulichkeit und bieten eine Handlungsorientierung.

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Cover for EPUB

Monika Klinkhammer, Neela Enke

Konfliktmanagement

Strategien für Wissenschaft und Hochschule

Campus Verlag

Frankfurt / New York

Über das Buch

Wissenschaftliche Institutionen sind Konfliktherde – wie andere Organisationen auch. Doch das Arbeiten an Hochschulen und Universitäten ist in besonderem Maße von Kooperation einerseits und von Konkurrenz andererseits geprägt. In Lehre, Forschung und Verwaltung treffen Menschen mit vielfältigen, widersprüchlichen Rollen und Aufgaben aufeinander, die in komplexen Situationen gemanagt werden müssen. Hoher Leistungs- und Performancedruck, widerstreitende Anforderungen, schwierige Arbeitsbedingungen sowie befristete Verträge für Promovierende und Postdocs in den Qualifizierungsphasen sind die Regel. Dieses Buch bietet Beschäftigten aller Statusgruppen Methoden und Werkzeuge zur Wahrnehmung, Diagnose und Bewältigung von Konflikten an, die beispielsweise in Arbeitsbeziehungen, in Betreuungsverhältnissen, in Forschungsgruppen, an Lehrstühlen oder in Instituten entstehen: Worum geht es bei Konflikten wirklich? Was ist hilfreich? Und wie führt man ein Konfliktgespräch? Zahlreiche Beispiele und Fälle aus der Praxis verleihen dem Ratgeber eine besondere Anschaulichkeit und bieten eine Handlungsorientierung.

Vita

Dr. Monika Klinkhammer hat Sozial- und Erziehungswissenschaften studiert und ist Diplom-Supervisorin, Coach, Trainerin und Gestalttherapeutin.

Dr. Neela Enke hat Biologie studiert und ist ausgebildete Mediatorin, Coach und Organisationsentwicklerin.

Beide beraten Menschen aus Hochschulen und Forschungsinstitutionen zu den Themen Konfliktmanagement, Führung, Gender_Diversity und Karriereentwicklung und führen Workshops, Coachings und Moderationen durch.

Übersicht

Cover

Titel

Über das Buch

Vita

Inhalt

Impressum

Inhalt

Einleitung

Warum lohnt es sich für Sie, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen?

Was hat sich bei der Bewältigung von Konflikten im Hochschul- und Wissenschaftsbereich bewährt?

Aufbau und Inhalte

Dank

1.

Konfliktfelder in Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen

1.1

Strukturelle Besonderheiten wissenschaftlicher Organisationen

1.1.1

Entwicklungslinien der Hochschulpolitik

1.1.2

Organisationsstruktur

1.1.3

Organisationskultur und akademische Kulturen

1.2

Kernaufgaben der Universitäten und Hochschulen

1.2.1

Forschung

1.2.2

Lehre

1.2.3

Akademische Selbstverwaltung und Gremien

1.3

Strukturbedingte Personalfluktuation und Wissensmanagement

1.4

Change-Prozesse – Veränderungen in der Organisation als Konfliktursache

1.5

Querschnittsthemen und Konflikte

1.5.1

Gleichstellung – Gender – Diversität

1.5.2

Internationalisierung

1.5.3

Inter- und Transdisziplinarität

1.5.4

VUCA, Digitalisierung und Corona

1.6

Führung und Konflikte

1.6.1

Führung

1.6.2

Laterale Führung

1.6.3

Konflikte in Teams und Arbeitsgruppen

2.

Konfliktfeld Wissenschaftskarriere

2.1

Promotionsphase

2.1.1

Organisatorische Einbettung, Rollen und Aufgaben

2.1.2

Arbeitsverhältnis, Finanzierung

2.1.3

Fachbezogene Bedingungen

2.1.4

Phasen/Projektplanung

2.1.5

Ebene Person

2.1.6

Arbeitsbeziehungen und Konfliktbeteiligte

2.2

Postdoc-Phase

2.3

Habilitationsphase

2.4

Bewerbungsphase – die Zeit dazwischen

2.4.1

Exkurs: Inhouse-Bewerbungen auf Professuren

2.5

Juniorprofessur

2.5.1

Evaluierungsdruck, status- und rollenbedingte Konflikte

2.5.2

Rollenkonflikte

2.5.3

Karriere- und Entscheidungskonflikt: Bleiben oder gehen? Dosierung des organisationsbezogenen Engagements

2.5.4

Zwischen Fachbereich und Hochschulleitung

2.5.5

Führung und Führungskonflikte

2.5.6

Andauernde Statuskonflikte

2.5.7

Betreuungskonflikte

2.6

Professur

2.6.1

Management vielfältiger Spannungsfelder

2.6.2

Professur ist nicht gleich Professur – strukturelle Faktoren beeinflussen das Konfliktmanagement

2.6.3

Die Vielfalt der Typen von Professuren implizieren spezifische Konfliktkonstellationen

2.6.4

Professur ist nicht gleich Professur – Phasen der Entwicklung als Professor:in wirken im Hintergrund

2.7

Betreuung

2.7.1

Rahmenbedingungen

2.7.2

Konflikte in Dreieckskonstellationen und Komitees

3.

Konfliktverständnis

3.1

Blick auf den Konflikt: Konfliktwissen

3.1.1

Innere Konflikte

3.1.2

Soziale Konflikte

3.1.3

Mehrdimensionalität und Ursachenvielfalt

3.1.4

Konfliktarten

3.2

Chancen und Risiken von Konflikten

3.2.1

Eskalationsdynamiken und Eskalationsstufen

3.2.2

Das Phänomen Mobbing

3.3

Menschen im Konflikt: Haltung und Rollen

3.3.1

Konfliktfähigkeit

3.3.2

Konfliktstrategien

3.3.3

Rollen, Mandate und Hierarchieebenen im Konflikt

3.3.4

Dynamik der Konfliktinteraktionen: Dramadreieck

4.

Umgang mit Konflikten

4.1

Schritte der Konfliktbearbeitung

Metaebenenreflexion: Machen Sie einen Helikopterflug!

4.2

Schritt für Schritt – ein Fallbeispiel und Tools

Schritt 1 – Wahrnehmung des Konfliktes

Schritt 2 – Analyse der Konfliktsituation: Ihre Diagnose

Schritt 3 – Hypothesen entwickeln

Schritt 4 – Eigene Zielmarkierung

Schritt 5 – Eine Lösungsstrategie finden und festlegen sowie ihre Konsequenzen abschätzen

Schritt 6 – Lösungsstrategie umsetzen und Erfolg bewerten

Reflexion auf der Metaebene – der Flug im Helikopter

4.3

Umgang mit Emotionen

4.4

Wann hilft was?

4.4.1

Was tun in heiklen und eskalierten Situationen?

4.4.2

Interne Beratungsstellen und Verfahren

4.4.3

Externe Konfliktbegleitung

4.4.4

Konfliktebenen, Prävention und Konfliktbewältigung im Überblick

5.

Kommunikation im Konflikt

5.1

Auflösung repetitiver Kommunikationsmuster: Die Transaktionsanalyse

5.2

Umgang mit unfairen Kommunikationsstrategien

5.3

Als Führungskraft vermitteln

5.3.1

Führung und Konfliktlösung

5.3.2

Vermitteln im Konflikt

6.

Konfliktbeispiel aus der Beratungspraxis

6.1

Fall Promovend

6.1.1

Dimension Organisation

6.1.2

Dimension Inhalte der Arbeit

6.1.3

Dimension Rolle

6.1.4

Dimension Person

6.1.5

Lösungsansätze

Anhang

Wichtige Ansprechpartner:innen und Informationsquellen

Berater:innen allgemein

Betriebliche Gesundheit

Gute wissenschaftliche Praxis

Konflikte in der Wissenschaft

Mediation

Mobbing

Wissenschaft und Wissenschaftskarriere

Checklisten

Checkliste: Autor:innenschaftskonflikte

Checkliste: Coaches und externe Konfliktberater:innen

Checkliste: Konfliktanalyse

Checkliste: Konfliktcoaching/Mediation

Checkliste: Konfliktgespräche führen

Tools

Abbildungen

Literatur

Anmerkungen

Einleitung

1 Konfliktfelder in Wissenschaftsorganisationen

2 Konfliktfeld Wissenschaftskarriere

3 Konfliktverständnis

4 Umgang mit Konflikten

5 Kommunikation im Konflikt

Einleitung

Als Coaches und Trainerinnen wissen wir Konflikte zu schätzen: Sie tragen zur Weiterentwicklung der individuellen Persönlichkeit, von Teams, Inhalten und Organisationen bei. Natürlich können Konflikte auch eskalieren und enormen Schaden anrichten. Gleichwohl sind sie von großem Nutzen und bieten für alle Beteiligten vielfältige Chancen. Sie ermöglichen Innovationen und Wandel, denn Konflikte bieten Gelegenheiten, sich selbst und einander kennenzulernen, belastbare, vertrauensvolle Arbeitsbeziehungen aufzubauen und voranzukommen. Aus unserer Praxis wissen wir aber auch, dass ein Konflikt bei den Beteiligten zu Unsicherheit und Überforderung führen kann. Deshalb soll dieses Buch als »Reiseführer« durch die abenteuerlichen Konfliktlandschaften an wissenschaftlichen Einrichtungen dienen.

Konflikte werden an der Hochschule und in der Wissenschaft oftmals tabuisiert: ein Terrain, das eher gemieden wird. Wie intensiv das Konfliktmanagement etabliert ist, variiert von Institution zu Institution stark. In einigen Organisationen gibt es koordinierte Ansätze zum Konfliktmanagement, in anderen eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen, wieder andere haben sich bislang kaum mit dem Thema beschäftigt.

Im Hochschulbereich gibt es eine Reihe von Faktoren wie Hochschulpolitik, Finanzierung und Steuerung sowie die Autonomie der Hochschulen, die Konflikte stark beeinflussen können. Das gilt ebenso für die verschiedenen Exzellenzinitiativen, Wettbewerbe und Kooperationen, die Internationalisierung, steigende Studierendenzahlen, die Professionalisierung der strategischen Steuerung, die Organisations- und Personalentwicklung und die auch altersbedingten Personalwechsel bei den Professuren. Letztlich führen die Ökonomisierungs- und Internationalisierungszwänge der Hochschulen insgesamt zu vielen grundlegenden Veränderungen, aus denen vielschichtige Konflikte resultieren. Sie betreffen zum Beispiel die Ausrichtung von Forschungsschwerpunkten und Studiengängen, die Konkurrenz um Drittmittel oder anwendungsbezogene Forschungsgelder. Sie wirken aber auch auf die Wissenschaftler:innen selbst. Gesellschaftliche Trends wie die Beschleunigung und Verdichtung von Arbeit, die zunehmende Orientierung an Kennzahlen, die Digitalisierung sowie die Entgrenzung von Arbeit und Privatleben gehen nicht spurlos an der Wissenschaft vorbei. Dazu kommen globale Herausforderungen wie Klimawandel, die Corona-Pandemie oder aktuelle politische Krisen wie etwa der Krieg in der Ukraine und seine Folgen.

Die Wissenschaftskarriere selbst weist seit jeher spezifisches Konfliktpotenzial auf. Die Konzentration auf die Professur als Karriereziel und die Ausrichtung auf die Qualifikation von wissenschaftlichem Nachwuchs überlagert zudem den Blick auf vielfältige Arbeitsfelder und die je spezifischen Personalstrukturen. Ein Beispiel: Der Sammelbegriff »wissenschaftlicher Nachwuchs« bündelt verschiedene Statusgruppen, Formen und Phasen der wissenschaftlichen Qualifizierung von der Promotion, der frühen und fortgeschrittenen Postdoc-Phase mit der weiteren Profilierung durch eine Habilitationsstelle, einer Nachwuchsgruppenleitung bis zur Junior- oder Tenure-Track-Professur. Diese recht unterschiedlichen Qualifizierungsstufen bergen sowohl übergreifend als auch phasenspezifisch vielgestaltige rollen-, aufgaben-, kooperations- und organisationsbezogene Konfliktpotenziale. Darauf kommen wir in diesem Buch mehrfach zurück.

Zudem hat die akademische Selbstverwaltung an Bedeutung gewonnen und ist differenzierter geworden. Mittlerweile herrscht eine große Gremienvielfalt und zu den klassischen Gremien (Senat, Präsidium, Professorium, Fachbereichsrat, Dekanat, Institutsleitung) sind Organisationseinheiten für Forschung und Drittmittel, Nachwuchsförderung und Lehre (Sonderforschungsbereich [SFB], Graduierteneinrichtungen, hochschuldidaktische Zentren, Exzellenzcluster usw.) hinzugekommen. Auch die Interessenvertretungen, etwa Personalräte, Schwerbehindertenvertretung, Gleichstellungs-, Frauen- und/oder Diversitätsbeauftragte, sowie Vertretungen von Statusgruppen (z. B. Studierendenrat, Mittelbauvertretungen) sind bedeutsamer geworden. Damit werden unterschiedliche Interessen und Sichtweisen von Gruppierungen, einzelnen Organisationseinheiten, Statusgruppen, Teams und letztlich Individuen sichtbarer. Im Rahmen dieser Interessen benötigt ein Konfliktmanagement Räume für den Austausch und letztlich die Aushandlung und – im Falle von gravierenden Auseinandersetzungen – eine professionelle Konfliktvermittlung oder Mediation.

Fälle von Mobbing, Cybermobbing, der Verdacht auf Täuschung, Plagiatsvorwürfe oder Datenmanipulationen sowie der Vorwurf von sexueller Belästigung oder Diskriminierung am Arbeitsplatz können zudem über digitalisierte Kommunikationswege schnell hohe Wellen schlagen, die sich womöglich durch professionelles Konfliktmanagement beilegen ließen, bevor letztlich nur noch eine gerichtliche Auseinandersetzung als Ausweg bleibt.

In den letzten 20 Jahren wurden deshalb in wissenschaftlichen Institutionen Konzepte, Strategien und Verfahren zum Umgang mit diesem Konfliktpotenzial etabliert. Mittlerweile ist auch Konfliktmanagement selbst an vielen Hochschulen und Forschungseinrichtungen fest verankert – allerdings in unterschiedlichem Umfang. Praktiziert wird es beispielsweise im Kontext der Personal- und Organisationsentwicklung, in der Nachwuchsförderung, der Hochschuldidaktik, der Frauen- und Gleichstellungsarbeit, den Interessenvertretungen, der betrieblichen Gesundheitsförderung oder in spezifischen hochschulischen Beratungsstellen. Das übergeordnete Ziel ist, die dort arbeitenden Professionen, das Personal und die Studierenden zu unterstützen, ihre Rollen und Aufgaben optimal zu gestalten und etwaige Konfliktkonstellationen im Interesse der Beteiligten zu lösen oder diese zumindest zu entlasten.

Das Management solcher Konflikte beinhaltet nicht nur den Umgang mit bestehenden Konflikten, sondern auch deren Prävention. Dazu ist es wichtig, die bereits genannten Rahmenbedingungen in der Organisation in den Blick zu nehmen: Sie können Konflikte bedingen, ihre Veränderung kann Konflikte unterbinden oder aber auch heraufbeschwören.

Werden Konflikte in Hochschulen öffentlich ausgetragen und erreichen sie die sozialen Medien, geht es über den Einzelfall hinaus schnell auch um Schadensbegrenzung und Reputationswahrung für die gesamte Organisation. Prominente Beispiele finden sich zuhauf – etwa der Streit über Verfahren der Nachbesetzung von Präsident:innen, die Plagiatsvorwürfe gegen hochrangige Politiker:innen oder Wissenschaftler:innen sowie die Vorwürfe von Datenfälschung und wissenschaftlichem Fehlverhalten.

Warum lohnt es sich für Sie, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen?

Wir haben die aus unserer Praxiserfahrung markantesten Gründe, warum eine Beschäftigung mit (dem eigenen) Konfliktmanagement im Hochschulbereich lohnenswert ist, thesenartig zusammengestellt:

1. Konfliktmanagement fördert gesundes Arbeiten und hat eine entlastende Funktion: Leiden Sie selbst gerade unter einem beruflichen Konflikt, der Sie belastet und Ihnen gar kreisende Gedanken oder Schlaflosigkeit beschert? Im Idealfall stoßen Sie in diesem Buch auf neue Gedanken, ein Tool oder auf eine einfache Lösung für Ihre Situation. In jedem Fall finden Sie viele Impulse und Strategien, um Ihre Sicht zu erweitern und mit der Konfliktsituation besser oder anders umgehen zu können.

2. Konfliktmanagement hilft, sich die eigene(n) Berufsrolle(n) anzueignen und professioneller zu gestalten: Aus Ihrer Berufsrolle heraus befassen Sie sich oft mit typischen Konfliktkonstellationen – etwa in der Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Statusgruppen oder im Rahmen von Betreuungsverhältnissen, aus der Personalrekrutierung oder Nachwuchsförderung oder aus der Koordination eines Forschungsprojekts? Wir bieten Ihnen jeweils eine Zusammenstellung von möglichen Hintergründen, status- und rollenspezifischen Konfliktkonstellationen und verschiedenen Optionen, damit umzugehen.

3. Führung ist Konfliktmanagement: Sie sind Professor:in und/oder Führungskraft und Ihnen begegnen Konflikte in Ihrem Team oder in Ihrem Fachbereich? In diesem Fall bieten wir Ihnen Hilfestellung, vor einer Aktion oder Reaktion zunächst Ihre Rolle und gegebenenfalls »eigene Aktien« und Anteile im Konflikt zu reflektieren, die Konstellation und den Verlauf zu analysieren, um dann eine klare Haltung und nachhaltige Strategien zu entwickeln, auf deren Basis Sie im Konflikt handeln oder vermitteln können.

4. Karriereplanung und die Umsetzung von Karrierestrategien sind eng mit Konfliktmanagement verbunden: Sind Sie selbst in einer Qualifizierungsphase und mit Konflikten im Zusammenhang mit Ihrer Karriereplanung beschäftigt? Konfliktmanagement ist eine Schlüsselkompetenz und bietet einen Fundus für Ihre Karrierestrategien. Hier finden Sie Impulse und Best-Practice-Fallbeispiele für den Umgang mit und die Bewältigung von typischen Konflikten in komplexen Konfliktkonstellationen während der Promotion, der Juniorprofessur oder anderen für Ihre Karriere entscheidenden Berufsphasen.

5. Konfliktmanagement schützt vor Verstrickungen: Werden Konflikte, die andere untereinander haben, an Sie zum Beispiel in Ihrer Rolle als Professor:in, als Lehrbeauftragte:r oder als Kolleg:in in einer Forschungsgruppe herangetragen? Dann sollten Sie überlegen, ob Sie sich überhaupt in den Konflikt einbeziehen lassen wollen oder ob Ihrerseits tatsächlich Handlungsbedarf besteht.

6. Beratung und Nachwuchsförderung bedeuten immer auch Konfliktmanagement: Beraten Sie Personal oder Studierende, die mit gravierenden, eskalierten und gesundheitsbelastenden Konfliktsituationen zu Ihnen kommen? Dieses Buch beinhaltet einen Überblick über die Eskalation von Konflikten und über spezifische Strategien zum Umgang mit den Problemen in den Eskalationsphasen sowie eine Abgrenzung zu anderen extremen Belastungssituationen wie Mobbing oder sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Auch finden Sie hier Tools und Material zum Weiterreichen – etwa eine Checkliste zur Durchführung von Konfliktgesprächen.

7. Selbsterkenntnis ist ein wichtiger Schritt zur Konfliktlösung: Gerade die Selbstreflexion, die Selbstklärung und das Vermögen, »innere Anteile« oder »Ich-Zustände« in das Konfliktmanagement einzubeziehen, tragen im konkreten Fall auch zur Prävention von künftigen Konfliktsituationen bei.

8. Coaching ist auch Konfliktmanagement: Sind Sie selbst Coach oder Trainer:in? Wir bieten Ihnen feldspezifische Impulse und Hintergründe, Zugänge, Fallbeispiele und Strategien zum Umgang, auch mit komplexen Konflikten in der Hochschullandschaft. Zudem gibt es in diesem Buch Material zur Vorbereitung auf ein Konfliktcoaching.

9. Ruhig Blut – Ruhe bewahren und erst einmal durchatmen: Der reflektierte Umgang mit eigenen Emotionen, einem inneren Gedankenkarussell oder mit der »Konflikttrance«1 hat sich bewährt. Beim Konfliktmanagement ist das Einbeziehen von Emotionen und Intuition genauso wichtig wie das der strategisch-kognitiven Aspekte. Allerdings sollten spontane emotionale Äußerungen in der Interaktion und Kommunikation im beruflichen Kontext in eskalierenden Konfliktsituationen nur gut dosiert und gefiltert erfolgen.

10. Konfliktlösung basiert im Idealfall auf einer werteorientierten Haltung: Werte sind unseres Erachtens ein gutes Fundament für das Konfliktmanagement. Das betrifft nicht nur individuelle Werte für das eigene Leben und die eigene Arbeit, sondern auch professionelle Werte und Standards sowie organisationsspezifische Werte, die zum Beispiel in den Leitlinien der Organisation dokumentiert sind.

Zu guter Letzt: Konfliktmanagement ist ein spannendes Thema. Konfliktmanagement betrifft jede:n! Konflikte sind zwar mit Anspannungen im Berufsleben verbunden, aber eben auch interessant und anregend. Konflikte initiieren Veränderungen, weisen auf Probleme oder unterschiedliche Sichtweisen hin und führen zu Lösungen und kreativen Innovationen. Konfliktmanagement kann Ihnen und anderen das Berufsleben und die Arbeit erleichtern, wenn Sie sich mit aktuellen und vergangenen Konflikten und deren Lösungen konstruktiv beschäftigen.

Was hat sich bei der Bewältigung von Konflikten im Hochschul- und Wissenschaftsbereich bewährt?

Unser Blick auf Konflikte beruht auf dem Konzept der Multiperspektivität, das in dem sogenannten Vier-Dimensionen-Modell2 (☞ Abb. 3) zusammengefasst ist. Damit betrachten wir neben den beteiligten Personen mit ihren sozialen, politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die spezifische Organisation, den Arbeitsinhalt und die Rolle(n) der Beteiligten immer mit. Dieser Multiperspektivität werden Sie beim Lesen immer wieder begegnen.

Darüber hinaus haben wir Ihnen einige wichtige Punkte zusammengestellt. Sie bieten die erste Orientierung dafür, worauf es bei der Bewältigung von Konflikten ankommt:

1. Den Sprung auf die Metaebene wagen: Sich aus den Verstrickungen des Konflikts zu lösen, in einen »Hubschrauber« zu steigen und das Ganze von oben zu betrachten, ist eine sehr effektive Möglichkeit, einen Konflikt zu analysieren und neue Lösungsansätze zu finden. Für die praktische Umsetzung folgt daraus, dass Sie wieder in den Konflikt zurückkehren und handeln können oder im Extremfall den Konflikt auf sich beruhen lassen und die eigene berufliche Zukunft neu gestalten.

2. Handlungsstrategien entwickeln und ausprobieren: Dazu gehört auch, das eigene Verhalten zu betrachten und sich zu überlegen, ob und wie etwas verändert werden könnte. Wir unterstützen Sie dabei zu erkennen, dass immer mehrere Handlungsmöglichkeiten existieren und Sie sich – je nach Ihren Prioritäten, Ihrem Ziel im Konflikt und der aktuellen Situation – für die eine oder andere entscheiden können.

3. Bereitschaft zum Perspektivwechsel zeigen: Im Konflikt sehen wir vor allem uns selbst und unsere eigenen Ziele, Positionen, Interessen oder Impulse. Je weiter der Konflikt eskaliert ist, desto mehr kreisen wir um unsere eigene Person und abstrahieren nicht mehr von unserer Wahrnehmung. Zielführend ist es, sich auch mit den Perspektiven der anderen Beteiligten zu befassen. Hier können Sie gegebenenfalls Ihre Forschungskompetenz als Wissenschaftler:in nutzen und sich möglichst vielfältige und gesicherte Informationen beschaffen, um eine fundierte Entscheidung zu treffen.

4. Geduld bewahren: Auch wenn verständlicherweise meist der Wunsch besteht, einen Konflikt schnell und mit einfachen Mitteln aufzulösen, zeigt die Praxis, dass im Hochschulbereich häufig schon sich seit längerem entwickelnde und mitunter gar tradierte Konfliktkonstellationen existieren. Hier sind Geduld und Kreativität gefragt. Manchmal dauert es bis zur Lösung des Konfliktes sogar mehrere Semester oder gar Jahre.

5. (Selbst-)Vertrauen und (Selbst-)Kontrolle stärken: Vertrauen Sie auf Ihre Lösungs- und Selbststeuerungskompetenz sowie die der Systeme und der relevanten Umwelten, als deren Teil Sie agieren. Kontrollieren Sie zugleich Ihre Impulse und achten Sie auf die sozialen Prozesse und Wechselwirkungen zwischen Ihnen und den (anderen) Beteiligten.

Erlauben Sie uns nun noch einige persönliche Anmerkungen:

Ich (Neela Enke) bin promovierte Biologin und habe über zehn Jahre in der Wissenschaft gearbeitet, auf verschiedenen Stellen und an unterschiedlichen Forschungsinstitutionen in Europa. Als ausgebildete Coach und Trainerin begleite ich seit 2011 Menschen an Forschungsinstitutionen – von Studierenden bis hin zu Personen auf der höchsten Leitungsebene – in Fragen des Konfliktmanagements, der Karriereentwicklung und zum Thema Führung. Gender und Diversity gehören als Querschnittsthemen für mich in alle Beratungsprozesse hinein. Seit 2014 unterstütze ich als Mediatorin Personen, Arbeitsgruppen und Teams in der aktiven Konfliktbearbeitung. Auch Organisationsentwicklung gehört zu meinem Repertoire. Die Arbeit auf den verschiedenen Ebenen Individuum, Arbeitsgruppen oder Teams sowie Organisation finde ich wichtig, da ich als Systemikerin so die Erkenntnisse aus den Einzelprozessen auf die Organisationsebene tragen kann und umgekehrt.

Wenn ich dabei Konflikte von oben aus dem Hubschrauber betrachte, hat die Dynamik der Konflikte für mich gelegentlich auch etwas Absurdes, das mich ab und zu durchaus zum Lachen bringen kann. Dieser Humor hilft mir, den Konflikt in seinen anstrengenden, schmerz- und ernsthaften Facetten zu begleiten und wertschätzend auf die beteiligten Akteur:innen zu schauen. Also: Eine Prise Humor tut gut! Zudem schätze ich die Klarheit, die gelöste Konflikte mit sich bringen: Personen, Beziehungen, Abläufe und Probleme treten deutlich(er) hervor und zeigen mitunter sogar überraschendes neues Potenzial oder Schnittstellen, die vorher im Nebel verborgen waren.

Als Erziehungswissenschaftlerin, Diplom-Supervisorin und Gestalttherapeutin bin ich (Monika Klinkhammer) sensibilisiert für die Wahrnehmung von Menschen aus unterschiedlichen beruflichen Kontexten. Ein wesentlicher Teil meiner alltäglichen Arbeit als Coach und Trainerin in der Beratung im Feld Hochschule, Wissenschaft und Forschung besteht in der Bearbeitung von Konflikten. Hier unterstütze ich Menschen, ihre Sicht (wieder) zu klären, eigene und andere Bedürfnisse wahrzunehmen und (berufs)biografische Verstrickungen zu entwirren. Dabei zu erleben, wie sie Lösungen für sich, ihr berufliches Umfeld sowie die ihnen anvertrauten Menschen finden, Grenzen setzen und Vertrauen (wieder)gewinnen, macht mir große Freude – und dies seit mehr als 25 Jahren. Die Coachees erleben die Bearbeitung von Konflikten als gewinnbringend und nachhaltig, was in langjährigen Beratungsprozessen besonders deutlich wird. Ich erlebe meine Arbeit als zutiefst sinngebend und schätze das komplexe Denken, die Motivation der von mir begleiteten Wissenschaftler:innen und Fach- und Führungskräfte und unser vertrauensvolles Zusammenwirken sehr. Meine eigenen Erfahrungen als Wissenschaftlerin sowie als Leiterin einer Supervisions- und Coachingweiterbildung an einer Hochschule sind dabei bereichernd.

Wenn ich aus dem Hubschrauber auf komplexe Konfliktlandschaften blicke, erlebe ich in vielen Coachingprozessen Konflikte als eine Schatzkiste. Denn über Auseinandersetzungen und Konflikte wird das Hier und Jetzt lebendig erlebt, wird Raum zur Inspiration und für kreatives und intellektuelles Potenzial freigesetzt. Konflikte sind eine Quelle neuen Wissens und unterstützen mit ihrer Energie die Entwicklung von Arbeitsbeziehungen und den Aufbau neuer Lehr- und Lernformate. Sie können sinnstiftend wirken und uns den Bezug zu sozialen Systemen und zum Gemeinwesen (wieder)entdecken lassen. Letztlich hilft ein Kohärenzgefühl Coachees auch dabei, sich selbst sowie Kolleg:innen, Mitarbeiter:innen oder Doktorand:innen zu motivieren, schwierige berufliche Situationen zu meistern. Die Menschlichkeit als grundlegende Haltung zu erhalten, ist auch zentral in meiner Arbeit. Also: Konflikte vermitteln Sinn im Beruf und ermöglichen Kreativität, Lebendigkeit und Innovation auch in sozialen Systemen!

Wichtig ist uns, dass alle Fallbeispiele – basierend auf unserer Beratungspraxis – realitätsnah im Hinblick auf die Konfliktthemen, jedoch ohne Bezug zu realen Personen, sind. Die Konfliktkonstellationen sind frei konstruiert. Sie lassen sich also weder Personen noch Disziplinen oder einzelnen Organisationen zuordnen. Bezüglich des komplexen Zusammenhangs von Sprache, Wahrnehmung und Realitätsbildung können auch wir das Dilemma nicht auflösen, auf der einen Seite Machtverhältnisse, Akteur:innen, Diskriminierungs- oder Zuschreibungsprozesse und -beobachtungen zu benennen und einer breiten Leser:innenschaft zugänglich/verständlich zu machen und auf der anderen Seite genau damit stereotype Vorstellungen und Diskriminierungen zu reproduzieren, die wir eigentlich vermeiden wollen. Ein Beispiel für das Dilemma ist die Namensgebung in den von uns frei konstruierten Fallbeschreibungen: Zum einen wollen wir die Vielfalt von Wissenschaftsbiografien und -sozialisationen sichtbar machen und Rollenzuschreibungen auflösen, zum anderen aber auch die Realität an den deutschen Hochschulen und Forschungsinstitutionen darstellen. Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen versucht, ein Gleichgewicht zu finden – sicher hätte es für jedes Beispiel auch eine andere Lösung gegeben.

Unser Buch soll Sie dabei unterstützen, sich bewusst zu werden und zu erkunden, wo Sie persönlich und in Ihrer Funktion bereits eine Fülle geeigneter Kompetenzen haben und wie Sie diese abrufen können bzw. welche Ihnen vielleicht noch fehlen und wie Sie diese erwerben können.

Die Begriffe Wissenschaft, Forschung und Lehre suggerieren vielfach ein einheitliches Bild und Verständnis, jedoch sind zugleich die einzelnen Disziplinen und Felder unterschiedlichen Finanzierungen, Status, Chancen, Ausstattung usw. unterworfen. Zudem finden sich vielfältige Hierarchisierungen, zum Beispiel zwischen und innerhalb von Disziplinen oder auch entlang von Profession und Geschlecht. Wir versuchen zur Orientierung Gemeinsamkeiten darzustellen und auch den Besonderheiten und Differenzen nachzugehen, was sich insbesondere im Konfliktfall lohnt.

Aufbau und Inhalte

Dazu wird zunächst eine Übersicht über Konfliktlandschaften und spezifische Konfliktfelder an der Hochschule und in der Wissenschaft gegeben (Kapitel 1). Klassische Konfliktfelder entstehen und bestehen zwischen den unterschiedlichen Aufgabenbereichen von Forschung, Lehre und Verwaltung sowie dem in den letzten 20 Jahren eingeführten Wissenschaftsmanagement. Bei letzterem Bereich handelt es sich einerseits selbst um ein neues Konfliktfeld, andererseits bieten die damit verbundenen Berufsbilder eine Vielzahl von professionellen Rollen und Aufgabenfeldern mit Funktionen der Vermittlung, Prävention und Lösung von Konflikten. Außerdem beschreiben wir die vielfältigen Konflikte, die durch die Wechselwirkung von Führung und Leadership mit der Hochschulkultur entstehen. Des Weiteren werden die Querschnittsthemen und hochschulpolitischen Ziele der Frauenförderung, Gleichstellung, Familienförderung und Diversität/Genderkonstruktionen als konfliktträchtige Felder beleuchtet. Die Konfliktlandschaften sind in die gesamtgesellschaftlichen und globalen Prozesse der Veränderung der Arbeitswelt eingebettet. Zur Charakterisierung dieser Prozesse und ihrer Folgen wird das Konzept des VUCA genutzt. Dieses Akronym steht für Unbeständigkeit (volatility), Unsicherheit (uncertainty), Komplexität (complexity) und Uneindeutigkeit (ambiguity). Das Konzept eignet sich besonders gut für unsere Zwecke, weil es konkrete Veränderungsprozesse und hochschulpolitische Zielvorgaben wie Inter- und Transdisziplinarität, Internationalisierung und Mobilität mit berücksichtigt.

In Kapitel 2 werden die Phasen der wissenschaftlichen Karriere und ihre – jeweils spezifischen – Herausforderungen und Konfliktherde betrachtet. Zu diesen Phasen gehören die Promotion, die verschiedenen, oft nicht klar voneinander abzugrenzenden Qualifikationskonstellationen wie Postdoc-Phase, Habilitation, Juniorprofessur sowie die Phase der Professur selbst, die wir nochmals in Unterphasen differenzieren. Ein abschließender Teil widmet sich typischen Konflikten in Betreuungsbeziehungen.

In Kapitel 3 vermitteln wir Ihnen die Grundlagen, die für das Verständnis und den Umgang mit dem Thema »Konflikte« hilfreich sind. Wir bieten eine Definition von Konfliktmanagement und schildern unser Konfliktverständnis, auch in Abgrenzung zu Phänomenen des Mobbings. Wir behandeln Hintergründe, Ursachen und Eskalationsdynamiken ebenso wie unsere Haltung im Umgang mit Konflikten.

Kapitel 4 fokussiert sich darauf, zu zeigen, wie gutes Konfliktmanagement in der Praxis aussehen kann. Dazu legen wir dar, in welchen konkreten Schritten Sie vorgehen können, wenn Sie mit einem Konflikt konfrontiert sind. Wir beschreiben vielfältige Strategien und Werkzeuge zum Umgang mit Konflikten an der Hochschule und in der Wissenschaft auch anhand von (fingierten) Fallbeispielen aus unserer Coaching- und Trainingspraxis und dem Umgang mit Emotionen.

In Kapitel 5 gehen wir auf die Bedeutung von Kommunikation und Konfliktgesprächen ein und geben praktische Anregungen zur Kommunikation in Konflikten – in und aus verschiedenen hierarchischen Konstellationen heraus.

Anhand eines Fallbeispiels und der Schilderung eines längeren Konfliktverlaufs eines Promovenden illustrieren wir in Kapitel 6, wie dieser gelöst wird bzw. welche vielfältigen, alternativen Lösungsansätze jeder Konflikt birgt. Weitere ausführliche Fallbeschreibungen – auch mit der Anwendung des Vier-Dimensionen-Modells sowie weiterer Tools – zu unterschiedlichen Karrierephasen und Situationen finden Sie zum Download unter www.campus.de. Eine Downloadanleitung finden Sie auf Seite 4.

Im Anhang präsentieren wir Ihnen hilfreiche Checklisten, Adressen, Links und Literaturhinweise. Auf www.campus.de stellen wir Ihnen zusätzliche Checklisten zum Download zur Verfügung. Darin befinden sich Hinweise zum systematischen Vorgehen in einzelnen Situationen, also etwa in einem Konfliktgespräch.

Dank

Dieses Buch soll denen, die in Hochschule und Wissenschaft arbeiten, lernen, forschen, lehren oder studieren, Impulse zum Umgang mit Konflikten bieten. Es wird neben den Erfahrungen aus unserer Beratungspraxis vor allem genährt durch die vielen Begegnungen mit Menschen, die wir im Laufe unseres Berufslebens und Arbeitens in und für Hochschulen und im Wissenschaftsbereich kennenlernen durften. Wir bedanken uns an dieser Stelle herzlich für die anregenden Gespräche und besonderen Momente mit Menschen, in denen wir selbst als Coaches, Trainerinnen, Kolleginnen, Studentinnen, Forscherinnen und Lehrende wichtige Erfahrungen sammeln und Erkenntnisse gewinnen konnten.

Uns war auch Feedback von außen wichtig und vor allem, dass die aus unserer Praxiserfahrung zusammengestellten Impulse für die Menschen in ihrer Berufspraxis hilfreich sind. Wir danken allen, auch den nicht genannten Professor:innen und Wissenschaftler:innen, die uns partiell Feedback gegeben haben, für ihre Anregungen.

Unser besonderer Dank gilt Beate Söntgen für ihr Feedback aus der Sicht der Leitung einer Universität und eines Graduiertenkollegs zu unserer erfahrungsbasierten Beschreibung der konfliktiven Aspekte der Wissenschaftskarriere, den Fallbeispielen und den Phasen der Professur.

Sabine Nessel gilt unser Dank für die wertvollen Anregungen und Impulse, die Phasen der Professur noch nuancierter zu beleuchten.

Cilja Harders danken wir, uns durch ihr Feedback aus der Perspektive einer Professorin gestärkt und by the way bereichernde fachliche Impulse zum Konfliktverständnis sowie einer diversitätsgerechten Darstellung gegeben zu haben.

Wir danken Barbara Gronau dafür, dass sie uns über ihre Rückmeldung zu sprachdramaturgischen Elementen auch inhaltlich darin gestärkt hat, die Besonderheiten der Rolle von Professor:innen und deren Phasen in der beruflichen Entwicklung mit all ihren spezifischen Konflikthintergründen realistisch, praxisrelevant und für die Lesenden spannend darzustellen.

Unser Dank gilt Cornelia Edding, die uns an wichtigen Stellen im gemeinsamen Schreibprozess begleitet und uns mit ihrer fundierten Kompetenz als Beraterin und Fachautorin Feedback sowie Zeit und Raum in der Uckermark gegeben hat.

Wir danken Gertrud Schöbinger, die mit Fingerspitzengefühl große Teile der Frühform des Textes lektoriert und uns unterstützt hat, eine stimmige und zielgruppenspezifisch passende Beratungssprache weiterzuentwickeln und psychologische Grundlagen einfließen zu lassen.

Auch Petra Liemersdorf gebührt Dank für ihr Feedback, dass der Ratgeber auch außerhalb des Hochschul- und Wissenschaftsbereiches Impulse bietet.

Barthold Pelzer danken wir für das hilfreiche Lektorat des Manuskripts.

Anke Kautz danken wir für ihre Expertise als Mediatorin und für wertvolle Rückmeldungen zu den Themen Konflikteskalation, Mobbing und Diversität.

Wir danken Eva Gottwalles für ihre hilfreichen Anmerkungen zum Thema Gender Diversität. Außerdem danken wir ihr sowie den weiteren Kolleg:innen vom Fachverband für gender_diversity-kompetente Bildung und Beratung e. V. für den jahrelangen kollegialen Austausch zu Themen und Konflikten rund um Gender, Diversität und Diskriminierung.

Unser Dank gilt auch den Kolleg:innen im Coachingnetz Wissenschaft e. V. für die vielen kollegialen Beratungen, den fachlichen Austausch über Coachingprozesse und -themen sowie unsere gemeinsame Professionalisierung von Coaching in Wissenschaft und Hochschule seit 2004.

Ich (Monika Klinkhammer) bedanke mich auch bei den Kolleg:innen des Expert:innennetzwerkes KonWi für den Austausch in den Videokonferenzen. Diese Kontakte sind für mich eine große Bereicherung. Sie zeigen, wie vielfältig professionelles Konfliktmanagement und Mediation in Hochschule und Wissenschaft mittlerweile umgesetzt wird und welche enormen Herausforderungen in diesem Bereich teilweise auch verstärkt durch die Corona-Pandemie zu bewältigen sind.

Wir danken Eva Janetzko, Malte Schefer und Isabell Trommer vom Campus Verlag und Antje Herrmann für die Begleitung unseres Schreibprozesses insbesondere beim Manuskript.

Ich (Neela Enke) bedanke mich bei meinen früheren, wissenschaftlichen Kolleg:innen, die sich die Zeit genommen haben, mit mir Aspekte des wissenschaftlichen Alltags und der dortigen Konflikte zu besprechen und meine Fragen zu beantworten.

Wir danken Maja Enke für ihre Anmerkungen zu frühen Versionen des Methodenkapitels und Harry Enke für seine Anmerkungen zum ersten Kapitel. Ich (Neela Enke) danke meinen Eltern auch für die Unterstützung während der Verfassung des Manuskripts.

Jonas Zimmermann danke ich (Neela Enke) für seine fachlichen Anmerkungen, seine kreativen Ideen, seine Geduld sowie die emotionale und praktische Unterstützung des Schreibprozesses.

Wir bedanken uns bei Dieter Wollbrink für seinen genauen Blick und seine motivierende Unterstützung, gerade in der Endredaktion des Manuskripts. Ich (Monika Klinkhammer) danke ihm für seine Geduld. Ohne seine wertvolle und kontinuierliche Unterstützung auch im Auf und Ab wäre dieses Buch nicht entstanden.

Wir hoffen, dass unser Ratgeber Ihnen als Leser:innen Anregungen und Impulse zum Umgang mit Konflikten bietet und Sie dabei unterstützt, ein gelungenes Konfliktmanagement zu praktizieren.

1.Konfliktfelder in Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen

In diesem Kapitel geben wir einen Überblick über die wichtigsten Eckpunkte im Bereich Hochschule und Wissenschaft, damit Sie sich in diesen mitunter recht komplexen Konfliktlandschaften orientieren können. Konflikte finden niemals im »luftleeren« Raum statt, sondern sind immer verknüpft mit den spezifischen Rahmenbedingungen der Umgebung, in der sie auftreten. Diese Rahmenbedingungen können einerseits Faktoren der Konfliktentstehung und -dynamik sein und andererseits inhaltlich als Streitthemen auftauchen. Zunächst werfen wir einen Blick auf strukturelle Aspekte, von zentralen Entwicklungslinien in der Hochschulpolitik über organisationsspezifische Eigenheiten bis hin zu den zentralen Aufgabenbereichen Forschung, Lehre und Verwaltung: immer unter dem Blickwinkel, wie sich diese in »kleinen« und »großen« Konflikten im Wissenschaftsalltag widerspiegeln. Dann werden aktuelle Querschnittsthemen wie Gleichstellung, Internationalisierung und VUCA beleuchtet, da sie auf vielfache Weise im Arbeitsalltag und damit auch in den dort entstehenden Konflikten auftauchen. Diese Querschnittsthemen sind aktuelle globale und gesellschaftliche Themen, die mit den strukturellen Aspekten interagieren. Zuletzt blicken wir auf das Thema Führung in der Wissenschaft als Konfliktfeld.

1.1Strukturelle Besonderheiten wissenschaftlicher Organisationen

Damit Sie Konflikte in Hochschule und Wissenschaft einsortieren und so zu neuen Lösungsansätzen kommen können, bietet es sich an, sich zuerst mit den Rahmenbedingungen dieses sehr speziellen Arbeitsfeldes auseinanderzusetzen.

Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen verfügen zwar über gewisse strukturelle Gemeinsamkeiten und Besonderheiten, befinden sich aber gleichzeitig in einem komplexen Spannungsfeld unterschiedlicher gesellschaftlicher, (hochschul)politischer Ansprüche und regionaler Rahmenbedingungen – so sind Organisationskultur und -struktur von Institution zu Institution sehr unterschiedlich. Wollen Sie bestimmte Konfliktlagen verstehen, ist es essenziell, sich mit diesen Gemeinsamkeiten und Unterschieden auseinanderzusetzen und sie in die Analyse und Konfliktlösung miteinzubeziehen.

Da Bildung Sache der Bundesländer ist, unterliegen Universitäten und Forschungsinstitutionen den Logiken des Föderalismus und werden auch vom jeweiligen Bundesland geprägt: ein weiterer Grund dafür, dass Strukturen, Verfahren, Arbeitsbedingungen und Bezahlung stark variieren. Zugleich werden hochschulpolitische Programme (z. B. die Exzellenzinitiative sowie die Exzellenzstrategie, der Qualitätspakt Lehre, Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken, das Professorinnenprogramm, die Digitalisierung) zumindest teilweise aus Bundesmitteln finanziert und so Normen, Entwicklungsziele, Qualitätsansprüche und Strukturen zentral vorgegeben. Darüber hinaus spielen zunehmend Entwicklungen im Rahmen europäischer Programme und Wissenschaftspolitik eine Rolle sowie die Auseinandersetzung mit globalen Politik- und Themenfeldern.

1.1.1Entwicklungslinien der Hochschulpolitik

In Deutschland hat lange das humboldtsche Bildungsideal das Selbstverständnis wissenschaftlicher Institutionen geprägt. Es umfasst verschiedene Aspekte, die Ihnen sicher auch heute noch vertraut vorkommen: Der Fokus der Universitäten liegt auf der Bildung und nicht auf der Ausbildung zu einem Beruf. Damit sind sie auf die Bildung autonomer Individuen ausgerichtet, die Mündigkeit durch den Gebrauch ihrer Vernunft erlangen. Dazu gehören auch die grundgesetzlich verankerte Freiheit (und Einheit) von Lehre und Forschung sowie die akademische Freiheit. Letztere ist nach außen gerichtet und beschreibt die Unabhängigkeit der Universitäten von Politik und Wirtschaft. Die nach innen gerichtete Forschungs- und Lehrfreiheit meint die Freiheit der einzelnen Akteur:innen, Lehrpositionen zu vertreten und Forschungsfelder frei zu bestimmen sowie die freie Wahl und freie Organisation der Studienfächer. Zudem sollen Universitäten die Breite aller Wissenschaften anbieten und so Austausch unter den verschiedenen Wissenschaften ermöglichen.

Das humboldtsche Ideal der akademischen Freiheit konnte in der Praxis niemals vollständig realisiert werden, aber es prägt immer noch die Werte und berufliche Identität von Wissenschaftler:innen und entwickelt somit bis heute eine Wirkmacht.

Eine zentrale Veränderung der Organisationsstruktur deutscher Universitäten, die Einfluss auf die organisationsinterne akademische Freiheit hatte, erfolgte als Reaktion auf die Studierendenbewegung der 1960er-Jahre. Bis dahin gab es die Ordinarienuniversität, in der alle Macht bei den Ordinarien – nämlich den Lehrstuhlinhaber:innen – lag, der Mittelbau hatte keine Stimme. Lehrstuhlinhaber:innen vertraten ihre jeweilige Teildisziplin, die sie nach eigenem Gutdünken beforschten, Dekan:innen und Rektor:innen repräsentierten und koordinierten lediglich. Als Gegenentwurf dazu wurde die Gruppenuniversität eingeführt, bei der alle Statusgruppen paritätisch an der Führung der Hochschule beteiligt werden sollten, um so diesbezüglich die Hochschulen stärker zu demokratisieren.3

In den 1970er-Jahren wurden die Fachhochschulen etabliert, die auf eine anwendungsorientierte Wissenschaft sowie wissenschaftliche Ausbildung fokussiert sind. Sie besitzen traditionell kein Promotionsrecht. Doch wird das Promotionsprivileg der Universitäten zusehends infrage gestellt. In einigen Bundesländern besitzen Fachhochschulen und Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, wie die meisten sich mittlerweile bezeichnen, in forschungsstarken Feldern bereits das Promotionsrecht.

Die außeruniversitäre Forschungsorganisation Max-Planck-Gesellschaft wurde bereits 1948 als Nachfolgerin der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften gegründet. Die bis zu 70 Prozent aus der Industrie finanzierte Fraunhofer-Gesellschaft gibt es seit 1949. Die Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren sowie die Leibniz-Gemeinschaft wurden in ihrer heutigen Form in den 1990er-Jahren gegründet, gehen aber beide auf ältere Verbünde zurück.

Egal in welchem Bereich einer Forschungsinstitution Sie arbeiten: Heute wird Ihr Alltag auch von der einschneidenden Veränderung geprägt, die die deutsche Hochschullandschaft um die Jahrtausendwende mit einer Abkehr vom Selbstverständnis als demokratische Institution hin zur konkurrenzfähigen, an Wirtschaftlichkeit und dem Ökonomisierungsprinzip orientierten Akteurin auf dem (inter)nationalen Bildungsmarkt durchlaufen hat. Hiermit ging und geht intern der Verlust des Einflusses der Gremien akademischer Selbstverwaltung zugunsten machtvollerer Präsidien und Dekanate einher.

Auch das Verhältnis zwischen Hochschulen und Ministerien wurde neu geregelt, zum Beispiel durch das 2007 in Nordrhein-Westfalen in Kraft getretene Hochschulfreiheitsgesetz. Die Hochschulen bekamen dadurch mehr Autonomie, indem sie nicht wie bisher eine Doppelnatur als eigenständige Körperschaft sowie als staatliche Einrichtung hatten, sondern gänzlich zu Selbstverwaltungskörperschaften umgewandelt wurden: Das Personal ist seither der Hochschule zugeordnet und nicht mehr dem Land, was auch heißt, dass die Berufungen nicht mehr von den zuständigen Ministerien genehmigt werden müssen. Gleichzeitig wurde ein extern besetzter Hochschulrat als Steuerungsinstrument eingesetzt. Neben Nordrhein-Westfalen haben auch andere Bundesländer ähnliche Änderungen durchlaufen und stärkten die Präsidien oder setzten Hochschulräte ein. Auch wenn die Hochschulen dadurch mehr Unabhängigkeit vom Staat bekamen, nehmen Bund und Länder weiterhin unter anderem über das Hochschulrahmengesetz des Bundes und die Landeshochschulgesetze Einfluss.

Verfechter:innen dieses Wandels begrüßen die Freiheit der Hochschulen, ihre Organisationsform und ihr Profil selbst zu gestalten. Auch können Geldgeber:innen aus der Wirtschaft die Hochschulen direkt fördern. Kritiker:innen sehen in der Veränderung vor allem eine Bewegung hin zu stärkerer Marktabhängigkeit, die Forschung und Lehre nicht freier macht, sondern stärker an Verwertbarkeit koppelt und somit vor allem »Mainstream-« und wirtschaftskonforme Forschung und Lehre sowie Großprojekte fördert. Dem Zusammenwirken von Profilbildung und wirtschaftlichem Zwang fallen unrentable Lehrstühle und Studiengänge (u. a. die sogenannten »Orchideen-« oder kleinen Fächer) zum Opfer. Kritiker:innen sehen in diesem Wandel eine krasse Abkehr vom humboldtschen Bildungsideal. Diese Abkehr wurde in der Lehre vor allem durch den Bologna-Prozess abgebildet, der einerseits einen einheitlichen europäischen Hochschulraum herstellen sollte, andererseits die Beschäftigungsfähigkeit (»Employability«) der Absolvent:innen zum Ziel hatte. Dies hatte eine stärkere Ausrichtung der Studiengänge an Kriterien des Arbeitsmarktes zur Folge. Die Studiengänge sind nun stärker auf entsprechend zu erwerbende Kompetenzen ausgerichtet.

Die unterschiedlichen Einstellungen diesem Wandel gegenüber führen auch innerhalb der Wissenschaft regelmäßig zu Konflikten.

Beispiel

Der angesehene Professor Herbert Buchner gehört zu den entschlossenen Gegnern der Ökonomisierung der Hochschule und vertritt seine Haltung auch immer wieder in öffentlichkeitswirksamer Manier. Die ebenfalls renommierte Rektorin der Hochschule, Professorin Alina Kranach, ist sehr bemüht, lokale Wirtschaftsunternehmen als Partner:innen zu gewinnen und so die Finanzierung der Hochschule sicherzustellen. Die öffentlichen Auftritte von Herbert Buchner haben mehrfach schon für Irritationen unter den möglichen Geldgeber:innen gesorgt. Das Verhältnis zwischen beiden ist seit Jahren angespannt.

Die Wandlungen der deutschen Forschungslandschaft, die zu diesen Konflikten Anlass geben, sind nicht unabhängig von globalen bzw. europäischen Trends zu verstehen.4 Sowohl der Bologna-Prozess als auch die Exzellenzinitiative und -strategie sind in die europäische Zielsetzung eingebettet, Europa durch die Investition in Bildung und Forschung zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt zu machen.

Die erste deutsche Exzellenzinitiative wurde 2005/2006 gestartet. Ziel war die Stärkung des Wissenschaftsstandorts Deutschland. Deutsche Spitzenforschung sollte international sichtbarer werden, und die Universitäten sollten ihre Profilbildung vorantreiben, um international konkurrenzfähig zu sein (☞ 1.5.2 Internationalisierung). Zu den Instrumenten gehörten die Exzellenzcluster zur Förderung bestimmter Forschungsschwerpunkte, das Zukunftskonzept, mit dem die Profilbildung einzelner Hochschulen vorangetrieben werden sollte, sowie die Graduiertenschulen zur Förderung von Promovierenden. Seit 2019 ist als Nachfolgerin die Exzellenzstrategie aufgesetzt worden, die mit den Instrumenten Exzellenzcluster und Exzellenzuniversität (die aus einzelnen Universitäten oder auch Verbünden bestehen kann) den Ausbau der internationalen Spitzenstellung deutscher Universitäten auf dem Forschungs- und Bildungsmarkt verfolgt.

Hand in Hand mit diesen strukturellen Änderungen fand eine Ökonomisierung statt. Während die Hochschulfinanzierung in Deutschland traditionell nach dem »Gießkannenprinzip« erfolgte, um eine einheitliche Qualität aller deutschen Universitäten zu gewährleisten, ist die Mittelvergabe mittlerweile zu einem großen Teil an einen Wettbewerb gekoppelt.

Um verschiedene Universitäten, aber auch die Fakultäten untereinander vergleichen zu können, wurden Kennzahlen5 eingeführt, die »Output« und Effizienz von Forschung und Lehre messen sollen. Neben der Anzahl der Studierenden/Promovierenden, der Anzahl an Abschlüssen, den Studienzeiten, der Evaluation der Lehre sowie der Menge an Publikationen und Patenten ist der Umfang der eingeworbenen Drittmittel ein weiterer wichtiger Faktor. Im Sinne der Exzellenzinitiative und -strategie werden diejenigen Institutionen mit mehr Mitteln aus dem Landeshaushalt belohnt, die auch viele Drittmittel einwerben konnten. Das führt zu einer sehr ungleichen Verteilung von Finanzmitteln und sich verschärfendem Konkurrenzkampf zwischen Institutionen und in der Folge auch intern zwischen Instituten, Fachbereichen, Abteilungen und Lehrstühlen. Als Führungskräfte sind Professor:innen erhöhtem Leistungsdruck ausgesetzt und die Konkurrenz untereinander steigt (die Leistungslogik spiegelt sich auch in den Leistungszulagen der W-Besoldung), ein Phänomen, das sich über alle Hierarchiestufen fortsetzt. Der verstärkte Wettbewerb kann die gute Zusammenarbeit von Wissenschaftler:innen fordern oder auch stören.

Eine Folge dieser Entwicklungen könnte langfristig die Intensivierung der bereits jetzt beobachtbaren Stratifizierung und Hierarchisierung der Hochschullandschaft in gut finanzierte Exzellenz- und unterfinanzierte Massenuniversitäten sein – ähnlich wie in den USA mit den Ivy League Universitäten (Brown, Columbia, Cornell, Dartmouth, Harvard, Princeton, Pennsylvania und Yale). Die in Deutschland bestehende soziale Ungleichheit im Bildungswesen (z. B. in Hinblick auf soziokulturelle Herkunft, Migrationserfahrung und/oder »Hautfarbe«) wird dadurch vermutlich weiter verstärkt. Bereits jetzt gehen Kinder aus Akademiker:innenhaushalten deutlich öfter an Exzellenzuniversitäten, mit dem Resultat, dass Kinder von Arbeiter:innen dort noch weniger repräsentiert sind als im gesamten Hochschulsektor.6

1.1.2Organisationsstruktur

Vor dem Hintergrund der Entwicklungen in der Hochschulpolitik bieten Hochschulen und Forschungseinrichtungen strukturelle Besonderheiten, die einen Einfluss auf die Entstehung von Konflikten haben können. Es gibt klassische Strukturbereiche und Arbeitsfelder in Hochschulen und Forschungsorganisationen, in denen sich wiederum typische Konfliktfelder befinden.

Ein wichtiges Strukturmerkmal von Hochschulen ist der Umstand, dass es sich bei ihnen um dezentral organisierte Expert:innenorganisationen handelt. Dies bedeutet, dass die einzelnen Organisationsteile unterschiedlich stark miteinander verbunden sind. Traditionell sind Hochschulen in Forschung, Lehre und Verwaltung geteilt. Forschung und Lehre sind durch die weitgehende Personalunion der Akteur:innen stark aneinander gekoppelt, während der Bereich Verwaltung dem gegenübersteht. Als ein relativ junger Bereich kommt der Third Space7 hinzu, der zwischen Verwaltung und Forschung/Lehre angesiedelt ist. Der Third Space umfasst zum Beispiel Wissenschafts- und Qualitätsmanagement, Hochschulentwicklungsplanung sowie Unterstützungseinrichtungen zur Drittmittelakquise.

Die Hochschulleitung ist mit vergleichsweise wenig zentraler Steuerungsmacht ausgestattet (auch wenn es hier in den letzten Jahr(zehnt)en eine Verschiebung hin zu stärkeren Hochschulleitungen gegeben hat). Die Hochschulpolitik definiert zunehmend in Top-down-Verfahren Ziele der Organisation. Gleichzeitig herrscht die Freiheit von Forschung und Lehre: Professor:innen haben keine fachlichen Vorgesetzten. Zur Umsetzung richtungsweisender Entscheidungen ist die Einbindung der Gremien (☞ 1.2.3 Akademische Selbstverwaltung) der akademischen Selbstverwaltung notwendig.

In den Bereichen Forschung und Lehre wird Führungspersonal vor allem aufgrund seiner wissenschaftlichen Expertise ausgewählt, andere Kompetenzen (z. B. Führungskompetenzen und Selbststeuerung) spielen meist nur eine untergeordnete Rolle. Die Akzeptanz von Akteur:innen in ihren (Führungs-)Rollen ist direkt an ihren Expert:innenstatus gekoppelt.

In außeruniversitären Forschungsinstitutionen ist die Situation etwas anders, da dort zwar auch eine Trennung in Wissenschaft/Forschung und Administration sowie ein Third Space existiert, aber die verschiedenen Leitungsebenen dort oft besser definiert und mit klareren Leitungsbefugnissen ausgestattet sind. Lehre findet fast ausschließlich in Kooperation mit Universitäten statt. Die Akteur:innen haben hier organisationelle Doppelzugehörigkeiten.

Die Bereiche Forschung, Lehre und Administration sind von sehr unterschiedlichen Organisationslogiken geprägt. Der Bereich Forschung zeichnet sich durch schwache Standardisierung, komplexe Arbeitsinhalte und hohe Autonomie der Expert:innen aus. Forschungsinhaltliche Vorgaben kann die Hochschulleitung den Professor:innen so gut wie nicht machen. Im Rahmen der New Governance der Hochschulen haben aber wichtige Veränderungen stattgefunden, wie zum Beispiel die Umstellung von der C-Besoldung von Professor:innen, die einen festen Betrag je nach Eingruppierung und Alter vorsah (aufsteigende Grundgehälter), auf die W-Besoldung, die ein vergleichsweise niedriges und fixes Grundgehalt mit Leistungszulagen ergänzt. Die Leistungszulagen sind an Zielvereinbarungen geknüpft, über die die Hochschulleitung auf die Arbeit der Professor:innen Einfluss nehmen kann.8

Die Ausgestaltung und strategische Ausrichtung der einzelnen Fachbereiche, Lehrstühle und/oder Arbeitsgruppen ist stark vom Wissen und den Fähigkeiten der Professor:innen und Gruppenleitungen, aber auch denen des dort beschäftigten wissenschaftlichen Personals abhängig. Der Umgang mit unvorhersehbaren und uneindeutigen Situationen und nicht aufzulösenden Ambivalenzen gehört zum Tagesgeschäft. Komplexität, Innovation, Flexibilität und Kreativität haben einen hohen Stellenwert. Abläufe sind nur zu einem geringen Grad formalisiert, und die Zusammenarbeit einzelner Akteur:innen folgt häufig dem Prinzip der Selbstorganisation. Die Forschungsarbeit ist oft wenig planbar (zugleich wird eine Planbarkeit durch die Projektfinanzierung gefordert). Die bestehende, starre formale Hierarchie und die damit verbundenen Abhängigkeiten werden häufig verleugnet und stehen im Widerspruch zum Prinzip des gleichberechtigten wissenschaftlichen Austauschs über Hierarchiegrenzen hinweg und zur Idee der Forschungsfreiheit – ein Umstand, der zu einem andauernden Konfliktherd führt.

Beispiel

Dr. Katharina Falk ist Postdoktorandin in der Arbeitsgruppe von Professorin Anna Kieselborn. Anna beschäftigt Katharina auf einer Projektstelle, die sie über einen Antrag eingeworben hat. Ungefähr in der Mitte des Projektzeitraums stößt Katharina auf eine aufregende, neue Spur, die sie unbedingt mit Wissenschaftler:innen einer anderen Forschungsgruppe verfolgen will, die sie aber vom beantragten Projekt deutlich wegführt. Zunehmend kommt es zu Auseinandersetzungen mit Anna, die auf den Projektfokus pocht, während Katharina auf ihrem Recht auf freie Forschung besteht.

Der Lehrbetrieb ist in seinen Rahmenbedingungen und Abläufen formalisierter und damit planbarer, aber in den Inhalten und der individuellen Ausgestaltung durchaus dynamisch und den Aushandlungsprozessen zwischen Lehrenden und Lernenden sowie den Lehrenden untereinander unterworfen.

Demgegenüber weist der Bereich Verwaltung einen sehr hohen Formalisierungsgrad auf. Er ist hierarchisch organisiert, und die Beteiligten sind weisungsgebunden. Die genutzten Routinen und Abläufe sind standardisiert, und die Prozesse müssen rechtskonform sein. In allen Steuerungsprozessen müssen sich die akademische Selbstverwaltung mit professoralem Führungsprinzip und die hierarchisch aufgebaute Verwaltungsorganisation mit zentralen und spezifischen Abteilungen mit klarer Weisungsbefugnis sowie Bürokratie und Kultur des öffentlichen Dienstes permanent miteinander auseinandersetzen.

Je nachdem, in welchem Bereich Sie arbeiten, werden Sie mit entsprechenden Kompetenzen und Werten ausgestattet bzw. aufgrund dieser eingestellt worden sein und diese dort weiterentwickeln. In Konflikten mit Beteiligten aus verschiedenen Bereichen werden Sie häufig feststellen, dass die unterschiedlichen Logiken, Werte und Kompetenzfokussierungen eine nicht unerhebliche Rolle in der Konfliktdynamik spielen.

Beispiel

Der junge Arbeitsgruppenleiter Dr. Falko Schreiner setzt sich sehr für die Vertragsverlängerung seiner Mitarbeiterin Dr. Julia Kreiderer ein. Julia spielt eine zentrale Rolle für seine Forschung, aber bisher konnte Falko für sie keine Entfristung erreichen. Immer wieder findet er – kurzfristig – Geld, um Julias Vertrag zu verlängern. Martina Knauss ist die zuständige Personalsachbearbeiterin in der Verwaltung. Falko ist regelmäßig frustriert über die Langsamkeit, mit der Martina die Vertragsverlängerungen umsetzt, und wirft ihr vor, die prekäre Lage von Julia nicht zu berücksichtigen. Martina fühlt sich zu Unrecht kritisiert, da sie angehalten ist, alle Anliegen in der Reihenfolge zu bearbeiten, in der sie eingehen. Wiederholt hat sie Falko darauf hingewiesen, seine Unterlagen frühzeitiger einzureichen.

Der Third Space befindet sich als »dritte Kraft« zwischen Verwaltung und akademischem Bereich. Hier muss die Fähigkeit zu kritisch-wissenschaftlichem Denken mit verwaltungskonformem Handeln verbunden werden. Eigene Traditionen und definierte Rollenbilder gibt es im Third Space als jungem Bereich nicht oder nur wenig. Viele Aufgabenfelder sind undefiniert und müssen noch gestaltet werden. Gleichzeitig ist der Third Space oft in Organisationsentwicklungsprozesse eingebunden und mit deren Umsetzung beauftragt. Dadurch entstehen vielfach Irritationen mit den etablierten Bereichen.

Eine besondere Stellung, aus der sich auch besondere Konfliktlagen ergeben, kommt den Interessenvertretungen und Beauftragten zu.9 Ihr Auftrag ist es, die Interessen bestimmter (Beschäftigten-)Gruppen und der Studierenden gegenüber der Dienststelle (Hochschule, Institut) zu vertreten. Schon in diesem Auftrag ist das Konfliktpotenzial angelegt.

Beispiel

Professor Jörg Kischbloom möchte die Stelle für eine Technische Assistenz neu besetzen. Wohl wissend, wie anspruchsvoll die Stelle ist, gibt er eine detaillierte Stellenbeschreibung an die Personalstelle, um eine möglichst hohe Eingruppierung zu erreichen und damit die Attraktivität für potenzielle Kandidat:innen zu erhöhen. Die Personalstelle kommt trotz der vielen Details zu einer Eingruppierung in eine Entgeltgruppe, die Jörg eigentlich nicht akzeptieren will. Die Stellenausschreibung mit der Entgeltgruppe geht an den Personalrat, der die niedrige Entgeltgruppe ablehnt. Jörg versucht die Personalstelle zu überzeugen, aber er erreicht nichts. Die Stellenausschreibung geht nochmals und unverändert an den Personalrat, der wiederum begründet ablehnt. Jörg verliert die Geduld und lässt die Stelle in der vorliegenden Form ausschreiben. Nach dem Auswahlverfahren landet der Vorgang im Rahmen der Mitbestimmung wieder beim Personalrat. Dieser stimmt der Einstellung zu, lehnt aber die niedrige Entgeltgruppe mit dem Verweis auf die Ablehnung des Ausschreibungstextes ab. Trotz verschiedener Bemühungen wird keine Einigung gefunden. Das Einstellungsverfahren zieht sich hin.

Der Personalrat als Vertretung der Arbeitnehmer:innenseite und die Personalstelle als Vertretung der Arbeitgeber:innenseite treten in diesem Beispiel als Gegenspieler:innen auf, auch wenn die Personalvertretungsgesetze eine vertrauensvolle Zusammenarbeit vorsehen. Der Personalrat möchte eine angemessene Bezahlung durchsetzen. Die Personalstelle verweist auf die Eingruppierungsvorschriften und spart – nebenbei bemerkt – Personalkosten ein. Professor Kischbloom ist nicht der formale Arbeitgeber (das ist die Universität) und hat nur einen begrenzten Einfluss auf das Verfahren. Er gerät zwischen die Fronten und ist eigentlich auf die Mitwirkung beider Parteien im Einstellungsverfahren angewiesen. Zugleich ist für ihn ein schnelles und erfolgreiches Einstellungsverfahren wichtig, da sich bei ihm im Labor die Arbeit häuft. Nun besteht die Gefahr, dass die Universität den Vorgang abbricht und er mit leeren Händen dasteht. Die Person, die sich auf die Stelle beworben hat, ist ebenfalls in dem Konflikt gefangen und unter Umständen eigenen Ambivalenzen ausgesetzt. Eine bessere Bezahlung macht die Stelle attraktiver, aber vielleicht nicht um den Preis eines gescheiterten Einstellungsverfahrens.

Tipp

Tipp für Führungskräfte: Zur Prävention von Konflikten, die ähnlich gelagert sind wie im Beispiel oben, kann es sich für Sie lohnen, im Vorhinein die Interessen und Handlungsspielräume der beteiligten Vertretungen und Verwaltungsakteur:innen zu erkunden. Was wissen Sie über die rechtlichen Vorgaben, Leitlinien und Prozeduren? Auf welcher Grundlage/nach welcher Logik treffen die Beteiligten ihre Entscheidungen? Welche roten Linien können/wollen die Akteur:innen nicht übertreten? Informelle Gespräche können eine gute Vorbereitung für anstehende Verfahren sein. Selbstverständlich hilft Ihnen diese Strategie auch im Umgang mit den Interessenvertretungen.

Auch bei oberflächlich betrachtet formalen Ähnlichkeiten in der Organisation können im Einzelfall die Gremien, Organisationseinheiten und Akteur:innen ganz unterschiedliche Rollen einnehmen und Funktionseinheiten verschieden definiert, organisiert oder gewichtet sein.10 So verlangt der Wechsel von einer Institution an eine andere eine Neuorientierung und Anpassungsleistung von Individuen (☞ 2.6.1 Management vielfältiger Spannungsfelder; ☞ 2.6.2 Phasen der Entwicklung als Professor:in). Selbst wenn Sie sich an Ihrer Heimathochschule gut mit den Abläufen und Gegebenheiten auskennen, wird sich bei einem Wechsel an eine neue Institution trotz vermeintlicher Vertrautheit ein ganz anderes Bild bieten.

1.1.3Organisationskultur und akademische Kulturen

Der Begriff der Organisationskultur beschreibt die Existenz und Entwicklung von expliziten und impliziten Handlungsnormen, Abläufen und Werten innerhalb einer Organisation. Universitäten, Hochschulen und außeruniversitäre Forschungsinstitutionen können sich selbst ganz unterschiedlich begreifen, zum Beispiel als Europa-Universität (wie etwa Europa-Universität Flensburg, Stiftung Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder), als anerkannte, auf Spitzenforschung ausgerichtete Exzellenz-Universität (z. B. RWTH Aachen, TU Dresden, Berlin University Alliance, Universität Konstanz, Ludwig-Maximilians-Universität München) oder auch als Hochschule mit starkem Bezug zur eigenen Region und den dort ansässigen Unternehmen (z. B. TU Braunschweig, BTU Cottbus-Senftenberg). Diese Selbstwahrnehmung und Positionierung finden, ebenso wie die damit verbundenen besonderen Finanzierungsformen, natürlich Eingang in die tägliche Arbeit an einer Institution.

Ein übergeordnetes Spannungsfeld im Bereich der Organisationskultur in der Wissenschaft ist, dass wissenschaftliche Organisationen zum einen auf Innovation, Kreativität sowie die Produktion von neuem Wissen ausgerichtet sind und zugleich das Ziel haben, Traditionen zu wahren und Wissen zu reproduzieren. Wichtiger Hintergrund ist hier, dass Forschungsinstitute und Hochschulen – wie andere öffentliche Institutionen auch – als träge in Bezug auf strukturelle und kulturelle Veränderungen gelten (z. B. im Vergleich zu privatwirtschaftlichen Institutionen oder internationalen Universitäten in Deutschland sowie anderen Privatuniversitäten). Auch in der eigenen Forschung müssen Wissenschaftler:innen die Balance zwischen dem gründlichen, systematischen, manchmal Jahrzehnte dauernden Ausforschen komplexer Forschungsfragen und der Anforderung nach neuen, nie gedachten und revolutionären Ideen finden. Diese Herausforderung wird nicht zuletzt auch durch den Zwang verstärkt, Drittmittel für die eigene Forschung einzuwerben. Auch auf der Teamebene müssen sie zum einen Team-Traditionen wahren (z. B. Arbeitsabläufe, bewährte Methoden und Forschungsansätze) und auf der anderen Seite immer wieder mit neuen Anforderungen umgehen und neue Personen integrieren (☞ 1.6.3 Konflikte in Teams und Arbeitsgruppen).

Als in der Wissenschaft beschäftigte Person werden Sie es über die Kultur Ihrer Organisation hinaus mit Zugehörigkeiten auf vielen Ebenen zu tun haben. Hierzu gehören nationale akademische Kulturen ebenso wie Fach- und Professionskulturen sowie die Kultur innerhalb einzelner Teams oder Arbeitsgruppen. Die Identifikation der wissenschaftlichen Akteur:innen mit ihrer Organisation ist oft vergleichsweise gering. Die eigene Fachcommunity ist viel eher Ort der Identifikation. Diese fachlichen und organisationsübergreifenden Netzwerke sind Ort der Selbstvergewisserung und Maßstab für die Einordnung von Leistungen. Umgekehrt kann es auch zu dem Dilemma kommen, dass einzelne Wissenschaftler:innen in ihrer (internationalen) Fachcommunity sehr hohes Ansehen genießen, organisational aber maximal prekär beschäftigt sind und keinerlei strukturelle Unterstützung genießen.

Als Akteur:in in der Forschung kennen Sie bestimmt auch das Gefühl der Spannung zwischen Ihren individuellen Werten (Person), den Werten der Fachkultur(en)/Disziplin(en)/Forschungsschwerpunkte(n), denen Sie sich zugehörig fühlen, sowie den Werten der Organisation als Ganzes. Nicht immer lassen sich diese Werte vereinbaren, und so manch ein Konflikt hat die Inkompatibilität der Werte als Ursache.

Viele Arbeitsabläufe und Prozesse verlaufen formal und entlang von Hierarchien. Zugleich wird nach außen oftmals ein hierarchiefreier, auf Gleichrangigkeit basierender Raum postuliert oder gelebt. Dazu kommt auch noch die bestehende Diskrepanz zwischen den formalen und den informellen Hierarchien (z. B. in Form von Postdocs in Sandwichpositionen).

Beispiel

Micha Weißbart ist Postdoc in der Gruppe von Professorin Lin Tang. Micha betreut die beiden Promovierenden von Professorin Tang, Max Kühnert und Tania Walter. In einem gemeinsamen Treffen zu Beginn der Promotion wurde ein grober Fahrplan festgelegt. Seitdem übernimmt Micha die Alltagsbetreuung. Das geht lange gut. Dann rät Micha Max, seine Untersuchungen in eine Richtung fortzuführen, die Max nicht so gut gefällt. Max geht hinter Michas Rücken zu Lin Tang, die mit ihm eine neue Absprache trifft. Micha erfährt davon nichts, bis eine Publikation von Max Kühnert und Lin Tang erscheint, an der Micha Weißbart nicht beteiligt wurde. Micha hat durch die Betreuungsleistung wirklich viel zum Projekt beigetragen, auch wenn das Projekt letztlich in eine etwas andere Richtung ging, als Micha ursprünglich vorgeschlagen hatte. Eine massive Kränkung und Demotivation Michas ist die Folge.

Dieses Beispiel zeigt, welches Konfliktpotenzial in ungeklärten Hierarchien und inoffiziellen Betreuungsverhältnissen (☞ 2.7 Betreuung) lauert.

Die Wissenschaft war schon immer ein sowohl von Konkurrenz als auch Kooperation geprägter Bereich. Der wissenschaftliche Wettbewerb war immer schon ein Ringen um Sichtbarkeit und Anerkennung in der wissenschaftlichen Community sowie in der Gesellschaft. Doch haben die hochschulpolitischen Trends der letzten Jahre diesen Wettbewerb durch die verstärkte Konkurrenz um Drittmittel und Kennzahlen verschärft. Erfolge müssen individualisiert werden, um als forschungsstark wahrgenommen werden.

Auf der anderen Seite baut Wissenschaft immer auf den Erkenntnissen anderer auf. Viele Fragestellungen sind von einzelnen Personen oder Disziplinen nicht mehr zu bewältigen; inter-, transdisziplinäre und multiprofessionelle Kooperationen sind notwendig. Dieses Dilemma prägt die wissenschaftliche Karriere (☞ 2. Konfliktfeld Wissenschaftskarriere; ☞ Checkliste: Autor:innenschaftskonflikte).

Beispiel

Ryoyu Miahira ist Postdoc in einem interdisziplinären Projekt und kooperiert mit Forschenden verschiedener Fachrichtungen, Disziplinen und Ländern. Eine Untergruppe von fünf Wissenschaftler:innen hat gemeinsam ein Teilprojekt erfolgreich abgeschlossen, und nun soll das dazugehörige Manuskript eingereicht werden. Die ursprüngliche Konzeption des Unterprojekts stammt von Fabienne Delore. Ryoyu hatte im Rahmen der Projektentwicklung eine zentrale Idee eingebracht, die die Ausrichtung verändert und die Attraktivität des Projekts – seiner Ansicht nach – massiv erhöht hat. Beide beanspruchen nun die Erstautor:innenschaft.

Das Spannungsverhältnis von Kooperation und Konkurrenz wirkt bis auf die Ebene der Zusammenarbeit an Forschungsinstituten und Hochschulen. Die für die Zusammenarbeit geltenden Normen (implizite und explizite) sind stark von Fachkultur, Organisationskultur und akademischer Kultur beeinflusst. In den experimentellen Wissenschaften ist Kooperation im Alltag notwendig, da sich viele Aufgaben im Labor nicht allein bewältigen lassen. In manchen Geisteswissenschaften herrscht hingegen immer noch das Bild des einsamen Genies vor, das allein in seinem Studierzimmer seine Thesen und Gedanken entwickelt. Inwieweit diese gegensätzlichen Bilder tatsächlich auf den Forschungsalltag zutreffen, ist natürlich sehr unterschiedlich. Diese Ideale und inneren Rollenbilder der Beteiligten selbst prägen die Zusammenarbeit in jedem Fall.

Die Feedbackkultur innerhalb der deutschen akademischen Welt ist häufig besonders kritikorientiert (☞ 5. Kommunikation im Konflikt). Ein durch Wertschätzung geprägter Kommunikationsstil spielt eher eine untergeordnete Rolle. Viele Konflikte drehen sich um diesen Punkt. Vielleicht erinnern Sie sich selbst an Situationen, in denen eigentlich hilfreiches Feedback in einer Form an Sie herangetragen wurde, die es so gut wie unmöglich gemacht hat, es anzunehmen.

Beispiel

Die Verteidigung von Tony Mayer ist in zehn Tagen. Um diese gut vorzubereiten, hat Tony die Arbeitsgruppe eingeladen, um einen Probevortrag zu halten und das Feedback für den letzten Feinschliff zu nutzen. Insgesamt ist Tony mit dem Vortrag schon sehr zufrieden. In der Diskussion im Anschluss meldet sich zunächst Tonys Betreuerin: »Das war schon okay, aber du musst auf Folie 9 die Grafik neu machen, die geht so gar nicht.« Tony notiert den Punkt und schaut in die Runde. Nach und nach geben alle Kolleg:innen in ähnlichem Stil Feedback. Nach dem fünften Punkt spürt Tony Verzweiflung und Panik in sich aufsteigen und kann kaum noch folgen. Schließlich beendet Tonys Betreuerin die Probeverteidigung mit den Worten: »Vielen Dank an alle für das Feedback, und Tony, es ist doch wunderbar, dass du noch zehn Tage bis zur Verteidigung hast. Das ist absolut machbar!« Tony ringt um Fassung.

1.2Kernaufgaben der Universitäten und Hochschulen

Freiheit von Wissenschaft und Lehre sowie die akademische Selbstverwaltung sind für Universitäten und Hochschulen grundgesetzlich verankert; das ist ein wesentlicher Unterschied zu anderen Organisationen. Gleichzeitig liegen in diesen Handlungsfeldern die Kernaufgaben vor allem des wissenschaftlichen Personals. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht dabei die Forschung, der höchste gesellschaftliche Relevanz eingeräumt wird und die die professionelle Identität sowohl von jungen als auch von erfahrenen Wissenschaftler:innen wesentlich prägt. Lehre als weitere zentrale Aufgabe befindet sich in dauernder Konkurrenz zur Forschung (z. B. um Ressourcen, Sichtbarkeit und Relevanz). Dabei steht sie oftmals hintan. Lehrleistungen bleiben häufig unsichtbar und werden nicht adäquat honoriert. Die akademische Selbstverwaltung wird häufig durch bestimmte, mehrheitlich mit Wissenschaftler:innen besetzten Gremien ausgeübt. Das Engagement in ihnen wird – ähnlich wie bei der Lehre – vorausgesetzt, aber nicht immer angemessen wertgeschätzt. Im Folgenden wollen wir Ihnen diese drei Bereiche etwas genauer vorstellen und jeweils auf einige Konfliktpotenziale hinweisen.

1.2.1Forschung

Forschung ist nicht nur die Kernaufgabe der Wissenschaft, die in Hochschulen und Forschungsinstitutionen das höchste Ansehen genießt. Gleichzeitig hat sie als Impulsgeberin unter anderem für die ökonomische, soziale, medizinische und ökologische Entwicklung auch gesellschaftlich große Bedeutung.

Forschung ist aber nicht gleich Forschung. Die Grundlagenforschung beschäftigt sich nicht zweckgerichtet mit den Fundamenten der Wissenschaft und bildet damit oft die Basis für andere Arten von Forschungsprojekten. Anwendungsbezogene Forschung setzt dagegen einen klaren Fokus auf die direkte Nutzung bzw. Nutzbarkeit ihrer Resultate für Gesellschaft, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft. In der medizinischen Forschung gibt es zudem noch die translationale Forschung (übersetzt wissenschaftliche Ergebnisse in klinisch anwendbares Wissen, auch »bench-to-bedside« genannt) sowie klinische Studien direkt an Patient:innen. Diskussionen gibt es um die Auftragsforschung, für die es strikte Regelungen an den Universitäten gibt, um sicherzustellen, dass diese nicht wirtschaftlich profitieren und um die Wissenschaftsfreiheit zu erhalten. An manchen außeruniversitären Forschungsinstituten hingegen, hier vor allem bei der Fraunhofer-Gesellschaft, gehört verwertungsbezogene Auftragsforschung selbstverständlich hinzu. Besonders ausgeprägte Diskussionen gibt es in Bezug auf die militärische Auftragsforschung,11 die auch innerhalb der Institutionen starke Kontroversen auslösen kann.

Im Zuge der wissenschaftspolitischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte und der Exzellenzinitiative haben sich die Finanzierungsmodelle von Forschung sehr verändert. Die Steuerung der Verteilung von Fördergeldern über Programmforschung, bei der über die Ausschreibung bestimmter Themenfelder eine thematische Festlegung von Fördergeldern entsteht, bündelt auf der einen Seite Energien und bringt bestimmten Forschungsfeldern Erfolg und Sichtbarkeit. Auf der anderen Seite wird dadurch jedoch ein steuernder Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit vorgenommen.

Zeitgleich wird Forschungserfolg zunehmend über Kennzahlen beurteilt (z. B. Impact Factor, Anzahl der Publikationen, Sichtbarkeit in der Presse). Ob diese Kennzahlen tatsächlich als Indikatoren für wissenschaftliche Qualität taugen oder ob hier eine Scheinobjektivität erzeugt wird, die vor allem ein Symptom der Ökonomisierung der Wissenschaft ist, ist ein umstrittenes und viel diskutiertes Thema.

Insgesamt stehen durch leistungs- und exzellenzorientierte Finanzierungsmodelle nicht nur die individuell Forschenden miteinander in Konkurrenz, sondern auch ganze Forschungsfelder: Große, prestigeträchtige Forschungsfelder konkurrieren mit kleinen »Orchideenfächern« um z. B. Ressourcen, institutionelle Unterstützung, strategische Einbettung und Berücksichtigung. Auch hier werden z. T. Kennzahlen zur Bewertung herangezogen, die allerdings zwischen den einzelnen Fachrichtungen schwer vergleichbar sind. Neben offensichtlichen Kriterien gibt es in diesem Zusammenhang auch verdeckte Hierarchisierungen. Geisteswissenschaftliche Bereiche werden gegenüber den naturwissenschaftlichen beispielsweise häufig als weniger relevant abgewertet, was auch damit zusammenhängt, dass Forschung, die besonders viele finanzielle, materielle und räumliche Ressourcen benötigt, oft als »bedeutsamer« bzw. »wertvoller« wahrgenommen wird. Darüber hinaus gibt es einige Beispiele in der Forschungsgeschichte, in denen Forschung oder Ideen so innovativ waren, dass die zeitgenössische Community nicht in der Lage war, die Exzellenz zu erkennen und diese erst in der Rückschau nach Jahren oder Jahrzehnten deutlich wurde. Ein historisches Beispiel ist das kopernikanische Weltbild – genannt nach den Entdeckungen von Kopernikus. Dies gilt auch für viele Schlüsselforschungen, für die Jahre oder Jahrzehnte später Nobelpreise verliehen wurden und deren Relevanz erst zeitverzögert erkannt wurde.

Die Fixierung auf quantitative Indikatoren wie Anzahl der Publikationen hat unter anderem dazu beizutragen, dass Wissenschaftler:innen (und natürlich auch Institutionen) unter einem enormen Publikationsdruck stehen, um ihren Erfolg im System zu sichern. Dieses Phänomen wird oftmals als »publish or perish« umschrieben. Ganz besonders für Wissenschaftler:innen in der Qualifizierungsphase heißt das, dass Forschungsprojekte sehr schnell publizierbare Ergebnisse abwerfen müssen (☞ 2.2 Postdoc-Phase). Forschung, die einen Zeithorizont von mehr als zwei bis drei Jahren benötigt, hat es schwer, zumal sich auch die Dauer der Finanzierung fast ausschließlich in dieser Größenordnung bewegt. Inwieweit diese Rahmenbedingungen dazu beitragen, die Qualität der Forschung zu sichern und zu verbessern, wird ebenfalls kontrovers diskutiert.

In diesem Zusammenhang bietet unter anderem auch das Peer-Review-Verfahren Konfliktstoff, das vor allem der kollegialen Validierung von Forschungsideen sowie Forschungsleistung dient. Durch die steigende Zahl an Publikationen und Drittmittelanträgen ist das System überlastet, und die Dauer für die Begutachtungen steigt und steigt. Das trifft die sowieso schon unter Druck stehenden Wissenschaftler:innen auf befristeten Stellen besonders hart, sowohl in Hinsicht auf eingereichte Publikationen und Anträge als auch in Bezug auf den Zeitaufwand für die Begutachtungen der Forschung anderer. Des Weiteren beruht das Peer-Review-System auf der Verständigung, dass die zu begutachtende Forschung von den Kolleg:innen, die auch immer Konkurrent:innen sein können, vertraulich behandelt wird. Besonders in stark konkurrenzgeprägten Fachrichtungen kommt es jedoch immer wieder mal – bewusst oder unbewusst – zu Ideenklau. Manchmal scheint es so, als ob Anträge und/oder Publikationen anderer so lange blockiert werden, bis die eigene Forschung schneller publiziert oder bewilligt ist. Natürlich gibt es dagegen Sicherungsmechanismen, die aber nicht immer greifen. Als ein kontrovers diskutierter Schwachpunkt des Systems gilt, dass die Gutachter:innen in der Regel anonym bleiben, während Antragstellende und Autor:innen bekannt sind. Online-Pre-Print-Server und andere offene Review-Plattformen haben sich als Reaktion darauf in einigen Fachkulturen bereits durchgesetzt.

Eine weitere zentrale Konfliktlinie besteht zwischen kollektiver und individueller Forschungsleistung. Auf der einen Seite können komplexe Fragestellungen nur noch kollektiv und zum Teil inter- oder transdisziplinär erforscht werden; die karrierebezogene Notwendigkeit aber, Forschungserfolg einzelnen Individuen zuzuordnen, zwingt dazu, Teile der Kollektivleistung für sich selbst zu beanspruchen: ein dauernder Konfliktherd, da faire Kriterien dafür, wer welche Leistung erbracht hat, schwer zu finden sind. Oft manifestiert sich dieser Konflikt beim Thema Autor:innenschaften (☞ Checkliste: Autor:innenschaftskonflikte).

Beispiel

Dr. Hannes Stieger und Dr. Irene Schultz haben verschiedene Standpunkte in Bezug auf eine gemeinsame Publikation. Dr. Schultz hat die meisten Experimente durchgeführt und die Daten analysiert, bevor sie in den Mutterschutz ging. In dieser Zeit kam es zu einigen neuen Entwicklungen, und es wurde klar, dass die Publikation so schnell wie möglich veröffentlicht werden muss, da eine andere Gruppe in eine ganz ähnliche Richtung forschte. Dr. Stieger steuerte einige zusätzliche Daten bei, welche die Arbeit von Dr. Schultz hervorragend ergänzen. Zusätzlich schrieb er den Hauptteil der Rohfassung. Dr. Schultz unterstützte Dr. Stieger beim Schreiben der Publikation so gut, wie sie es mit dem Neugeborenen konnte. Der Abgabetermin rückt näher, und beide beanspruchen die Erstautor:innenschaft für sich. Die Leitungsebene weigert sich zu entscheiden, wem sie zufällt.

Zudem entstehen wissenschaftliche Ideen ohnehin nie im luftleeren Raum, sondern im Austausch und Diskurs mit anderen Menschen, sodass es mitunter schwierig ist, Ideen immer eindeutig zuzuordnen. Gerade im Zusammenhang mit steilen Hierarchien und Machtungleichheit kann dies zu einem massiven Problem werden, beispielsweise dann, wenn wissenschaftliche Leistungen einzelner übersehen oder anderen zugeordnet werden.