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Die Erde krankt am Menschen – davon ist Therapeut Dr. Klaus Wagner fest überzeugt. Und er wird seine vier Patienten nicht aus der Zwangs-Gruppentherapie entlassen, bis sie geheilt sind: Bella, eine 19-jährige Youtuberin, die sich das Leben nehmen wollte, weil ihre Follower-Zahlen hinuntergingen; Rolf Brunner, ein 52-jähriger TV-Produzent, der über die "Me too"-Debatte stürzte; Yusuf, ein 23-jähriger syrischer Asylbewerber, bei dem jegliche Integrationsversuche bisher ins Leere liefen und Lydia, eine 39-jährige Öko-Aktivistin, die 10.000 Hühner befreite – unglücklicherweise direkt neben der vielbefahrenen A3. Schnell eskalieren die Konflikte dieser so unterschiedlichen Lebensentwürfe. Doch Dr. Wagner macht ihnen klar, dass sie alle viel mehr gemeinsam haben, als ihnen lieb ist. Am Ende müssen alle ernsthaft das in Frage stellen, was ihnen am heiligsten ist: die Youtuberin die Segnungen des Internets, die Öko-Aktivistin ihren Nutzen für die Erde, der Syrer seine sexuelle Orientierung und der TV-Produzent seine Libido. Und Dr. Wagner hat zudem noch eine ganz eigene Agenda, wie sich zeigen wird.
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Seitenzahl: 81
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Chris Geletneky / Moritz Netenjakob
Krank
Komödie
Die Erde krankt am Menschen – davon ist Therapeut Dr. Klaus Wagner fest überzeugt. Und er wird seine vier Patienten nicht aus der Zwangs-Gruppentherapie entlassen, bis sie geheilt sind: Bella, eine 19-jährige Youtuberin, die sich das Leben nehmen wollte, weil ihre Follower-Zahlen hinuntergingen; Rolf Brunner, ein 52-jähriger TV-Produzent, der über die „Me too“-Debatte stürzte; Yusuf, ein 23-jähriger syrischer Asylbewerber, bei dem jegliche Integrationsversuche bisher ins Leere liefen und Lydia, eine 39-jährige Öko-Aktivistin, die 10.000 Hühner befreite – unglücklicherweise direkt neben der vielbefahrenen A3. Schnell eskalieren die Konflikte dieser so unterschiedlichen Lebensentwürfe. Doch Dr. Wagner macht ihnen klar, dass sie alle viel mehr gemeinsam haben, als ihnen lieb ist. Am Ende müssen alle ernsthaft das in Frage stellen, was ihnen am heiligsten ist: die Youtuberin die Segnungen des Internets, die Öko-Aktivistin ihren Nutzen für die Erde, der Syrer seine sexuelle Orientierung und der TV-Produzent seine Libido. Und Dr. Wagner hat zudem noch eine ganz eigene Agenda, wie sich zeigen wird.
Eine temporeiche und hoch aktuelle Komödie in drei Akten voller Wortwitz und philosophischer Einsicht.
2 D | 3 H
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Personen
Rolf Brunner (Mitte 50), Filmproduzent
Isabel (Bella) Schmidt (19), YouTube-Star
Lydia Prehn (Mitte 40), Aussteigerin
Yusuf Mohammed Aboud (Mitte 20), Geflüchteter
Dr. Klaus Wagner (Mitte 40), Therapeut
Akt 1
Ein nüchterner Raum mit 5 Stühlen. 4 stehen in einem Halbkreis auf der einen, ein einzelner auf der gegenüber liegenden Seite. In der Ecke ein Tisch mit Getränken. In den Ecken Kameras. Der Raum ist zunächst leer. Dann tritt BELLA durch eine schwere Eisentür ein, 19, schlank, hübsch, aufgetakelt. Sie überprüft per Handykamera kurz ihren Look, dann beginnt sie zu filmen.
BELLA
Hey! Whatsup, everyone - ich bin’s, eure Bella... ja, ich hatte Euch ja erzählt, dass ich jetzt diese komische “Therapie” machen soll...mega nervig irgendwie... TBH... ja, und das ist jetzt hier wohl der “Seminar-Raum”. (sie zeigt ihren Viewern mit dem Handy den Raum). Horror, oder? Ich glaub ja sowieso nicht, dass das hier irgendwas bringt ... hab auch ehrlich gesagt überhaupt keinen Bock auf den Mist ... Hilfe! Aber naja, was soll’s ... ich guck mir das mal an und wenn’s nervt, hau ich halt ab ... bin ja hier keine Gefangene ... hoff ich zumindest... OMG! Ach ja: tut mir echt leid, dass mein letzter Post dann doch nicht so geklappt hat ... sollte ja eigentlich wirklich mein letztes Video werden, also: mein allerletztes ... bis dann meine Mutter ... habt ihr ja gesehen...
Die Tür geht auf und ein junger Araber betritt den Raum - YUSUF, 24, schlank, Bart, abgetragene Second-Hand-Kleidung. Yusuf spricht gutes Deutsch mit arabischem Akzent.
YUSUF
Hallo!
BELLA
Wenn du mich anpackst, ruf ich sofort die Bullen!
YUSUF
Wieso sollt’ ich dich anpacken?
BELLA
Keine Ahnung - wieso trägst du’n Bart?
YUSUF
Weil ... das ist eben meine Kultur.
BELLA
Ja, eben. Frauen-Antatschen ja anscheinend auch!
YUSUF
Nein! Da ist ein blödes Klischee!
BELLA
Ach, ja?
YUSUF
Ja!
BELLA
Toll. Dann sag das mal deinen Freunden!
YUSUF
Das sind nicht meine Freunde. Das ist auch ein Klischee. Meinst du, dass alle Leute, die einen Bart tragen, sich kennen?
BELLA
Mir egal - lass mich einfach in Ruhe, okay?
Yusuf rollt die Augen, setzt sich auf einen Stuhl, holt ebenfalls sein Handy raus und checkt seinen Empfang. Zeitgleich versucht Bella, ihr Video wegzuschicken. Aber es funktioniert nicht. Aufgeregt läuft sie durch den Raum und sucht Empfang.
BELLA
Maann, verdammte Scheiße - ich hab hier keinen Empfang.
Yusuf steht wieder auf und streckt sein Handy in alle Richtungen. Beide machen das jetzt, was sehr albern aussieht.
YUSUF
Ich auch nicht ... Da hatten wir ja in Aleppo ein besseres Netz...
BELLA
Aleppo? Was’n Aleppo? Klingt wie’n Zirkus-Clown!?
YUSUF
Aleppo ist eine der größten Städte in Syrien. Guckst du keine Nachrichten?
BELLA
Nee ... krieg ich schlechte Laune von ... Maann! Haben die Pfosten hier noch nicht mal Wlan?
LYDIA PREHN betritt den Raum. Lydia ist 39, trägt wallende Gewänder, Birkenstocks und hat eine hochgesteckte Rasta-Frisur. Sie ist Ökemöke durch und durch und hat selbstverständlich kein Handy.
LYDIA
Hallo! Bin die Lydia!
BELLA
Hi. Wissen Sie, ob es hier vielleicht’n verstecktes Wlan gibt?
LYDIA
Nee. Kein Wlan und kein Netz. Die wollen nicht, dass wir telefonieren. Oder surfen. Gehört wohl zum Konzept.
BELLA
Was? Spinnen die? Ich hab’n Youtube-Channel. Ich poste jeden Tag um elf.
YUSUF
Und ich muss meine Mutter anrufen.
Er bemerkt den Blick von Lydia.
YUSUF
Die liegt in’ Krankenhaus....
LYDIA
Oh, gute Besserung. Hoffentlich nichts Schlimmes?
YUSUF
Nee, alles gut. Is nur schwanger.
Bella schaut irritiert.
LYDIA
Oh, toll! Glückwunsch!
Bella und Yusuf suchen weiter Empfang.
LYDIA
Tja, muss man halt mal ein paar Stunden ohne Handy klarkommen. Geht ja auch.
Bella und Yusuf starren sie entsetzt an.
BELLA
Und wenn ich darauf keinen Bock habe? Ich will wenigstens selbst entscheiden, wann ich kein Netz habe! Horror, echt! Voll die Nazis hier...
ROLF BRUNNER, 49, Zweireiher, offenes Hemd, klassischer Dicke-Hose-Manager, kommt rein. Er hat sein Handy am Ohr.
BRUNNER
... ja, Norbert, dann schick die Muster doch erstmal mir, damit ich ... Norbert? Norbert, hörst du mich noch?
Er will das Handy schon weg legen, als er Bella sieht, die ihn stirnrunzelnd anschaut. Rolf nimmt das Handy wieder ans Ohr.
BRUNNER
Norbert? Jau, jetzt hör ich dich wieder... genau ...du, dann sag den Netflix-Heinis, wenn sie die Serie unbedingt haben wollen, dann müssen sie sich eben an unsere Dealterms halten. Sonst verkaufen wir das Ding an Apple. Oder Amazon. Ihre Entscheidung. ... ja, ja …
Die Tür geht ein weiteres Mal auf und ein unscheinbarer Mann mittleren Alters kommt rein: Dr. KLAUS WAGNER, 47, Therapeut, schlank, Bart, Brille, schon leicht schütteres Haar - er erinnert entfernt an Sigmund Freud. Wagner stellt seine Tasche ab und grinst in die Runde.
DR. WAGNER
Guten Tag.
Die anderen nicken ihm zu, während Brunner weiter quasselt.
BRUNNER
... Norbert, sag denen, wir brauchen da absolute inhaltliche Freiheit ... das ist mir fast wichtiger, als noch 100 000 Euro mehr Marge zu machen ... natürlich nur fast! Hehehe...
DR. WAGNER
Entschuldigung …
Brunner macht in Richtung des Therapeuten eine Geste, dass dieser sich kurz gedulden soll.
BRUNNER
Sekunde ...
DR. WAGNER
Ich wollte nur sagen...
BRUNNER(ins Handy)
Norbert, warte mal kurz...
(zum Therapeuten) Ganz kleinen Augenblick ... ich muss noch kurz mein Telefonat hier ...
DR. WAGNER
Ich wollte Ihnen nur sagen: wir haben hier kein Handynetz!
BELLA
Also: gar keins!
Bevor Brunner etwas sagen kann:
YUSUF
Und auch kein Wlan!
LYDIA
Gehört zum Konzept!
Brunner fühlt sich ertappt.
BRUNNER
Jaja, ich weiß.
(ins Handy) Norbert - ich ruf später zurück!
Er legt auf. Alle schauen ihn an. Dr. Wagner lächelt sanft.
BRUNNER
Ich hab nur schon mal ne Sprachnachricht für’n Kollegen aufgenommen. Schicke ich ihm dann später...
DR. WAGNER
Natürlich. Das ist eine einleuchtende Erklärung. Bitte setzen Sie sich doch alle.
Jeder setzt sich auf einen Stuhl. Wobei Bella darauf achtet, dass sie nicht direkt neben Yusuf sitzt.
DR. WAGNER
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um mich zunächst kurz bei Ihnen vorzustellen. Mein Name ist Dr. Klaus Wagner, ich bin Ihr Therapeut. Sie müssen Isabel Schmidt sein.
Er hält ihr freundlich die Hand hin. Bella nimmt sie nicht.
BELLA
Eigentlich nennen mich alle nur “Bella”!
DR. WAGNER
Ja, ich weiß. Dann sind Sie Lydia Prehn.
LYDIA
Hallo!
DR. WAGNER
Dann haben wir noch Yusuf Mohammed Aboud …
BRUNNER(zynisch)
Willkommen in Deutschland...
Seitenblick von Yusuf, Dr. Wagner lächelt Rolf an.
DR. WAGNER
Und Sie müssten dann Rolf Brunner sein.
BRUNNER
Ums direkt ganz klar zu sagen: Ich halte das hier für reine Schikane.
DR. WAGNER
Eine interessante Sichtweise. Lassen Sie uns gleich gerne darüber sprechen. Zunächst würde ich Sie alle aber bitten, mir ihre Smartphones auszuhändigen.
Aufgeregtes Gemurmel.
LYDIA
Für mich okay - ich hab gar keins.
BELLA(fast angeekelt)
Was???
DR. WAGNER
Ich weiß, Lydia. Ich habe eher Yusuf, Rolf und Bella gemeint. Wären Sie so nett? Ich verspreche Ihnen auch: Den Geräten wird nichts passieren!
BRUNNER
Wieso das denn?
BELLA
Ey, ich hab da kein’ Bock drauf? Ich geb’ mein Handy nie ab!
YUSUF
Ich auch nich ... und das ist nagelneu...
BRUNNER(mehr zu sich)
Hm, wahrscheinlich frisch geklaut...
Böser Seitenblick von Yusuf, der es gehört hat.
BRUNNER
Is wirklich schwierig für mich - ich muss immer erreichbar sein.
DR. WAGNER
Aber wir haben hier doch ohnehin keinen Empfang.
BRUNNER
Ja, ich weiß ... Aber trotzdem! Für alle Fälle! Notruf und so.
DR. WAGNER
Wissen Sie - ironischerweise spiegelt Ihre Reaktion einen der Gründe wieder, warum wir Sie bitten, sich vor unseren Gesprächsrunden von Ihren Geräten zu trennen. Wir haben nämlich bei den meisten Menschen eine gewisse Abhängigkeit von ihren Smartphones festgestellt. Und da unsere Gesprächsrunden dann am effektivsten sind, wenn sie mit möglichst wenig Ablenkung stattfinden, würde ich Sie bitten, über Ihren Schatten zu springen und mir vorübergehend Ihre elektronischen Lieblinge anzuvertrauen.
BELLA
Und wenn ich mich weigere?
DR. WAGNER