Kräuter olé! Männer ade! - Stephan Hähnel - E-Book

Kräuter olé! Männer ade! E-Book

Hähnel Stephan

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Beschreibung

Bei dem Bemühen, sich von seiner besseren Hälfte möglichst endgültig zu trennen, gibt es signifikante Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Männer morden spontan, impulsiv und selten achtsam – allein das Ergebnis zählt. Frauen töten mit Liebe zum Detail, umsichtig und nachhaltig. Sie möchten den Ablebetag für alle Beteiligten zu etwas Besonderem machen. Beide stehen allerdings vor dem gleichen Problem: Wie gelingt der perfekte Mord? Die nunmehr fünfte Mordsgeschichtensammlung von Stephan Hähnel ist kein Ratgeber für finales Beziehungsmanagement. Jedoch bietet der „Meister des schwarzen Humors“ in seinen 32 Kurz-Krimis wieder höchst kreative Inspirationen für eine gelingende Trennung. Auch wenn Sie mit Ihrer besseren Hälfte (noch) glücklich sind, denken Sie daran: Bildung schadet nicht!

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Seitenzahl: 237

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periplaneta

Stephan Hähnel: „Kräuter olé! Männer ade! – Mordsgeschichten“1. Auflage Juli 2024, Periplaneta Berlin, Edition Totengräber

© 2024 Periplaneta - Verlag und Medien Inh. Marion Alexa Müller, Bornholmer Str. 81a, 10439 Berlin periplaneta.com

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Übersetzung, Vortrag und Übertragung, Vertonung, Verfilmung, Vervielfältigung, Digitalisierung, kommerzielle Verwertung des Inhaltes, gleich welcher Art, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

Die Handlung und alle handelnden Personen sind erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit realen Personen oder Ereignissen wäre rein zufällig.

Projektleitung und Lektorat: Marion Alexa MüllerCover, Satz & Layout: Thomas ManegoldIllustration Seite 1 made with Adobe Firefly

print ISBN: 978-3-95996-286-5epub ISBN: 978-3-95996-287-2

Stephan Hähnel

Kräuter olé! Männer ade!

Mordsgeschichten

periplaneta

Das Leben ist sowas von …

Schon in jenem Moment, in dem Volker seine Lieblingshose und das durchgescheuerte Gewebe links neben dem Reißverschluss missbilligend betrachtete und brabbelnd den Gedanken formulierte: „Zeit für eine neue Jeans“, war er sich seines Fehlers bewusst.

Hannelore nickte zustimmend, strahlte übers ganze Gesicht und deutete mit den Fingern zwei Hosen an und erhöhte, als er widersprechen wollte, auf drei.

Eigentor, konstatierte Volker, während seine Frau im Kalender blätterte und erfreut ausrief: „Sonnabend passt! Ich muss sowieso ins Outlet. Die Farben des letzten Winters gehen gar nicht mehr. Damit kann ich mich unmöglich sehen lassen. Bärchen, was für eine schöne Idee. Gemeinsam shoppen. Da können wir beides miteinander verbinden.“

Am Wochenende durch Läden latschen. Volker hätte heulen können. Ernsthaft überlegte er, ob er sich für den Fehler selbst backpfeifen sollte. Aber wer fahrlässig den sinkenden Bestand seines Kleiderschrankes in Anwesenheit der besseren Hälfte bemängelt, muss sich über Gegenmaßnahmen nicht wundern.

Fünf Tage, zwei Stunden und sieben Läden später saß Volker erschöpft in einer Umkleidekabine. In einem unbeobachteten Moment hatte Hannelore die Hose mit der durchgescheuerten hellen Stelle links neben dem Reißverschluss entwendet. Ohne Beinkleid war eine Flucht aussichtslos.

Noch bevor Volker entkräftet auf den kleinen Hocker sinken konnte, hatte sie die Hose missbilligend betrachtet. Ihre Frage, ob alle Männer links und wenn ja, ob man anhand des Durchmessers des hellen Fleckes auf die Größe des Gemächts schließen könne …

Volkers Blick war fassungslos. Daraufhin hatte Hannelore ihre Neugier gezügelt und den Vorhang kichernd geschlossen. Frau und Hose waren weg.

Inständig hoffte er, dass sie ihre These nicht durch obsessive Sichtung bei anderen einkaufenden Männern überprüfen würde. Auch beschäftigte ihn die Frage, ob sein heller Fleck als klein, mittlerer Durchschnitt oder als vielversprechend klassifiziert werden würde. Gab es eine Farbskala von A bis E, eine Art Nutri-Score für verräterisch ausgeblichene und durchgewetzte Jeanshosen? Je heller und dünner umso … Jäh wurde er aus seinen Gedanken gerissen.

„Probiere die mal an.“

Fünf Hosen wurden ihm gereicht. Durchweg Farben, die er selbst nie gewählt hätte. Murrend gab Volker zu bedenken: „Ich wollte eine klassische blaue Jeans.“

„Ich möchte nur kurz sehen, wie die bei dir wirken.“

„Aber ich will keine von denen kaufen.“

„Hab dich nicht so! Du wirst doch mal eine Hose anprobieren können.“

„Das sind fünf!“

„Fünf einzelne. Mein Gott, für mich ist das auch nicht leicht.“

Volker schüttelte verzweifelt den Kopf, zog den Vorhang zu und schlüpfte in die erste Hose. Khakibraun. „Passt nicht!“, rief er erleichtert. Eigentlich hatte er erwartet, dass seine Behauptung, der Bund lasse sich nicht schließen, einer kritischen Kontrolle unterzogen wurde. Stattdessen Stille.

„Ihre Frau ist schon wieder auf der Pirsch. Ihnen bleiben maximal neunzig Sekunden. Kleiner Tipp: nur jede zweite Hose anprobieren.“

Erstaunt lauschte er den beruhigenden Worten aus der Nachbarkabine. Eindeutig ein Leidensgenosse. „Sind Sie öfter hier?“, erkundigte sich Volker freundlich.

„Immer am letzten Sonnabend im Monat. Hab mich inzwischen daran gewöhnt“, antwortete der Unbekannte seufzend.

„Das ist ja furchtbar!“

„Volker?“, fragte erfreut eine andere Stimme. Weiblich, neugierig, unangenehm. Einen Augenblick brauchte er, bis er sie zuordnen konnte. Charissma Jänike, die gesprächige Nachbarin von nebenan. Seit die rüstige Rentnerin eine Jahreskarte im Fitnessclub erworben hatte, war an Ruhe nicht mehr zu denken. Irgendwie war es ihr gelungen, seine Trainingszeiten herauszufinden. Seitdem spornte sie ihn beim Training ständig zu Bestleistungen an. Schlimmer noch: Im Anschluss teilte er sich regelmäßig mit der Fünfundachtzigjährigen eine Bank in der Sauna.

„Die Stimme kenne ich. Mein Lieblingssportsfreund Volker.“

„Ja!“, antwortete dieser kleinlaut in der Hoffnung, dass damit das Gespräch beendet sei. Inzwischen war Hannelore zurückgekehrt und reichte ihm die ungewollte khakibraune Jeans eine Nummer größer.

Beide Frauen begrüßten sich höflich.

„Hosen kann man gar nicht genug haben“, bestätigte Charissma und ergänzte: „Vor allem Volker. Der hat mal im Fitness-Club seine Jeans in den Spind eines anderen Mannes hineingehängt. Der Träumerle. Große Überraschung nach dem Training. Hat echt behauptet, jemand hätte das gute Stück geklaut. Die am Empfangstresen haben sich halb totgelacht.“

Fassungslos lauschte Volker den Ausführungen. Glücklicherweise passte die Hose wieder nicht. „Zu groß!“, murmelte er erleichtert und reichte sie hinaus. Dabei öffnete sich der Vorhang. Beide Frauen schauten in die Kabine. Volker stand in Schlüpfer, Socken und T-Shirt da.

„Bist du dir sicher?“, fragte Hannelore streng, als würde er zum ersten Mal im Leben eine Hose anprobieren.

„Wird noch schlimmer, wenn sie älter werden. Altersstarrsinn! Mein Mann hat auch immer …“

„Charissma, ich muss doch sehr bitten. Eine Umkleidekabine ist ein Privatbereich.“

„Da ist nichts, was ich nicht schon gesehen hätte“, antwortete pikiert die parasitäre Fitnesspartnerin und zog den Vorhang zu. Hannelore entschuldigte sich ob der Unhöflichkeit ihres Mannes. Beleidigt zog die alte Dame weiter. Erleichtert schlüpfte Volker in die nächste Hose. Beine zu eng und zu kurz.

„Bärchen, im Internet steht, 75% der Männer tragen ihren Schniedel links. Und nur 17% sind Rechtsträger. Alle anderen lassen ihr bestes Stück …“

„Hannelore! Bitte, ich will das nicht hören!“

Nächster Versuch. Richtige Größe, passende Länge, Farbe klassisch blau. Selbst die Marke entsprach dem des Vorgängermodells. Erleichtert trat er aus der Kabine und schaute in den Spiegel.

„Sitzt wie angegossen“, bemerkte eine Verkäuferin und strahlte übers ganze Gesicht.

Skeptisch beäugte sich Volker. „Sehen Sie das nicht?! Die Falten hier vorne. Dieses Dreieck. Das wirkt doch wie ein Windelpaket.“

„Wenn Sie älter werden, sind Sie für so ein Reservoir sicher dankbar“, reagierte die Verkäuferin pikiert. Das Lächeln war verschwunden. Auf ihrer Stirn bildeten sich bedrohliche Falten.

Der Mann in der Umkleidekabine nebenan rief mit Pathos in der Stimme: „Wird der Alte im Schritte nass, hilft nur Pampers!“

Volker verzog sich verzweifelt in seine Kabine. Letzte Hose. Stretch Material. Knopfleiste. Farbe: Lava Smoke. „Harmoniert vorzüglich mit der Scheuerleiste im Bad“, murmelte er.

„Wir haben heute eine neue Lieferung bekommen. Winterkollektion. Wollen Sie mal schauen?“

Auf den Vorschlag der Verkäuferin reagierte Hannelore mit der bedrohlichen Antwort: „Unbedingt!“ An Volker gewandt die knappe Anweisung: „Warte! Ich bin gleich zurück.“

Kaum war er wieder allein, meldete sich der Typ aus der Kabine nebenan: „Ich nehme mir immer ein spannendes Buch mit, mein Lieblingssitzkissen und ein paar Bier. Wollen Sie auch eins?“

Die Flasche, die ihm unter der Trennwand hindurch gereicht wurde, öffnete Volker dankbar und nahm einen tiefen Schluck. „Wo ist eigentlich Ihre Frau?“, erkundigte er sich höflich.

„Tot! Nächste Woche ist zweijähriges Jubiläum. Kaufhausschließung wegen Insolvenz. Hat die letzte Rabattschlacht nicht überlebt. Ihr schwaches Herz. War mein Vorschlag. Ich wusste mir nicht anders zu helfen. Quasi Notwehr. Ein wenig fühle ich mich da schon schuldig. Seitdem komme ich regelmäßig her. Friedhöfe machen einen immer so depressiv. Sie war hier Stammkundin.“

Darauf wusste Volker nichts zu antworten.

Weitere Hosen wurden hereingereicht. „Designerjeans. Fantastisch! Du bist der Erste, der die neue Kollektion anprobieren darf“, flüsterte seine Frau ihm verschwörerisch zu.

Ungläubig betrachtete er den Stapel. „Die sind ja alle kaputt. Da kann ich auch meine alte …“

„Nix kaputt. Distressed Jeans. Die müssen so sein.“

„Ich will nicht mehr. Darf ich bitte nach Hause? Darf ich meine alte Hose …“

„Bärchen! In diesem an Peinlichkeit kaum zu überbietenden Fetzen gehst du nirgendwohin. Du solltest dich schämen. Abgesehen davon: Für gammlige Hosen haben die hier einen Altkleidercontainer. Dir bleibt nichts anderes übrig. Du musst dich für eine entscheiden.“

Vorhang zu. Verzweiflung. Bedauern. Kampf gegen Tränen. Unwillkürlich zog Volker die Nase hoch. Er hatte sich nicht einmal von seiner geliebten Jeans verabschieden können.

„Hören Sie auf, sich zu wehren“, beruhigte ihn die Stimme von nebenan, kaum dass sie wieder allein waren. „Spielen Sie mit! Geben Sie Ihrer Frau das Gefühl, dass Sie es ernst meinen. Täuschen Sie Interesse vor. Sagen Sie motivierende Dinge: Die zweite Hose, aus dem dritten Stapel, die um 10:37 Uhr hereingereicht wurde, die hatte mir gefallen.“

„Laut Parkschein sind wir erst um 11 Uhr gekommen.“

„Ist doch nur ein Beispiel. Inzwischen können Sie in Ruhe all die Bemühungen Ihrer Frau sabotieren. Schneiden Sie einen Knopf ab. Bedienen Sie sich des Ekelfaktors. Stecken Sie benutzte Zellstofftücher in die Hosentasche. Bemängeln Sie die Qualität. Kleine Löcher täuschen Mottenfraß vor. Geben Sie sich empört. Ich zum Beispiel hatte früher immer eine Kollektion Soßen bei. Parfümpröbchenflaschen eigenen sich dafür vorzüglich als Transportgefäße. Unauffällig und effizient. Tomatensoße, Sauce Hollandaise, Zaziki. Für Frauen ist jeder Fleck ein No-Go. Meine konnte sich immer so prächtig aufregen. Manchmal taten mir die Verkäuferinnen echt leid.“

Verzweifelt legte Volker sein Gesicht in die Hände. „Ich komme hier nie wieder raus. Entschuldigung, haben Sie noch ein Bier für mich?“

Eine weitere Flasche wurde unterhalb der Trennwand durchgereicht, dazu zwei Klare, wie sie in jeder Minibar zur Begrüßung vorrätig sind.

„Vertrauen Sie einem erfahrenen Hosenkäufer. Entscheiden Sie sich für irgendeine Hose. Völlig egal welche. Wichtig ist nur, Sie geben Ihrer Frau ein gutes Gefühl: Mäuschen, Schatz, Schnuckelchen, was auch immer stimmungsglättend wirkt. Die Hose hast du fantastisch ausgesucht! Genau so eine wollte ich haben!“

Nachdenklich zog Volker eine Jeans aus der Mitte des Stapels. Hüfttief, stellte er entsetzt fest. Der Bauch kommt gut zur Geltung und wenn du dich bückst, sieht jeder deine beharrte Kimme. Verzweifelt öffnete er eine Miniflasche Wodka, kippte sie in einem Zug hinunter und murrte: „Die Hose gefällt mir aber nicht.“

„Glauben Sie mir! Total überbewertet. Machen wir uns nichts vor. Es gibt zwei Sorten Frauen. Die einen sind sich ihrer Männer sicher und wollen sich mit ihnen schmücken. Die anderen tun alles dafür, dass die Konkurrenz ihren Gatten nur mitleidig anschaut, so als würden sie denken: Ich wüsste gar nicht, wo ich bei dem anfangen soll.“

„Ich weiß nicht!“

„Achtung, Ihre Frau kommt.“

„Und Bärchen, wie sitzen die?“

„Die sind alle fantastisch! Genau so eine wollte ich haben!“

„Sehr schön! Wenn du zwei nimmst, bekommst du eine Dritte umsonst.“

Darauf leerte Volker die nächste Miniflasche Wodka und spülte den brennenden Geschmack mit dem restlichen Bier weg. Einen Augenblick überlegte er ernsthaft, ob man sich Hosen schöntrinken kann. Leicht beschwipst trat er aus der Umkleidekabine und ging ein paar Schritte, drehte sich elegant auf der Hacke, wobei er fast das Gleichgewicht verlor. Kokett klatschte er auf seinen Hintern, klimperte mit den Augen und gab sich naiv.

Hannelores Gesichtsausdruck wechselte zwischen amüsiert und nachdenklich. „Ehrlich gesagt: Ein bisschen teuer ist so eine Designer­jeans schon. Aber zumindest haben wir jetzt eine Vorstellung, was zu dir passt.“

Ungläubig starrte Volker erst seine Frau an, die Jeans und dann in Richtung der anderen zugezogenen Umkleidekabine. Was hatte der Unbekannte gesagt? Es war quasi Notwehr.

Während seine Frau ihm lächelnd den Weg in seine Kabine wies und ihm kurz darauf widerwillig seine alte Jeans, jenen an Peinlichkeit kaum zu überbietenden Fetzen reichte, kamen ihm die folgenden Worte wie selbstverständlich über die Lippen: „Schatz, was hältst du davon, wenn wir es kommende Woche wieder versuchen. Ich glaube, da ist Black Friday.“

Das kulinarische Gemetzel

Dr. Sebastian Engelage wurde als begnadeter Koch und kulinarischer Künstler in den Medien gefeiert. Das, was er auf den Teller brachte, umschrieben die Presse und die Kritik begeistert mit unerreicht delikat, mentalistisch, famos, bahnbrechend, göttlich. Eine Revolution der „Haute Cuisine“. Seine Kochkünste fänden nichts Vergleichbares.

Die Fähigkeit, gut und abwechslungsreich kochen zu können, hatte sich der Ingenieur und Computerspezialist nach dem Tod seiner Frau Sybilla angeeignet. Ein tragischer Unfall hatte sie von seiner Seite gerissen. Glücklicherweise waren alle Gerichte, die sie auf den Teller brachte, sorgsam digitalisiert. Es war ihr ein Bedürfnis gewesen, ihn perfekt zu verwöhnen. Dass dem nicht mehr so war und er sich mit schlichter Einheitskost abfinden sollte, empfand er als inakzeptabel. Seit Sybilla die Welt der Kochautomaten für sich entdeckt hatte, hatten sich auch Dr. Engelages kulinarische Grenzen verschoben. Ihre experimentellen Bemühungen fehlten ihm.

Nach monatelangen Versuchen verband er wissenschaftliche Neugier, die Möglichkeiten innovativer Technik und die Kochkunst seiner geliebten Frau in jenem Genusstempel, den die Medien so liebten.

Zwar gab es Trittbrettfahrer – oder wie Dr. Engelage sie abfällig nannte: Plagiatoren, die ebenfalls minimalistisch kochten, jedoch unfähig waren, das ganzheitliche Konzept seiner Intension zu verstehen. Ihre Kreationen schmeckten respektabel, ließen sich aber mit seinen Geschmacksexplosionen nicht annähernd vergleichen. Eine renommierte Zeitschrift der Gourmetszene versprach seinen Lesern einen grandiosen Geschmacksorgasmus.

Das Restaurant, das sich im obersten Stockwerk eines Wolkenkratzers befand, galt lange als Geheimtipp. Serviceroboter surrten durch den Raum, nahmen Bestellungen entgegen oder räumten Geschirr weg. Das Interieur war spartanisch. Kein Beiwerk, das ablenkte. Nur ein unverstellter Blick über die Stadt entschädigte.

Die Plätze waren Monate im Voraus ausgebucht, obwohl die kleinen, deliziösen Wunder der Kulinarik unverschämt teuer waren und keiner der Jünger des perfekten Geschmacks anschließend das Gefühl hatte, satt zu sein.

Zwar verbrachte Dr. Engelage die überwiegende Zeit in der Küche, strenggenommen durfte er sich aber nicht Koch nennen. Was keiner der Gäste ahnte: Sein Erfolg basierte darauf, dass die übersichtlichen Genusshäppchen von einer künstlichen Intelligenz errechnet und von 3D-Automaten gedruckt wurden. Der menschliche Geschmack war in Algorithmen zerlegt und die KI, die er liebevoll mit „Sybilla“ ansprach, erfüllte die Wünsche der Gäste individuell. Wer einmal in dem Gourmettempel gespeist hatte, kam wieder und brachte Bekannte mit.

Die Reaktionen der Freunde moderner Kochkunst wurden von Kameras in Echtzeit beobachtet, von Sensoren erfasst, vermessen und registriert. Jeder weitere Besuch ermöglichte es Sybilla, das persönliche Glücksempfinden des Einzelnen zu maximieren und die individuell erstellten Leckerbissen zu optimieren. Dabei protokollierte die KI die psychische Verfassung des Gastes vor und nach jedem Bissen sowie körperliche Reaktionen im Augenblick der Genusswahrnehmung. Aussagekräftige Daten lieferten die Veränderung der Pupillen, die Beschleunigung des Herzschlags, das Schweißaustrittsvolumen und andere Parameter, die Sybilla bei der Berechnung des nächsten Schrittes genüsslicher Evolution half.

Der Auftrag der KI bestand darin, das Geschmackserlebnis individuell zu maximieren. So wie seine liebe Frau ihn jedes Mal ein wenig mehr verwöhnt hatte, so sollten auch die Gäste ein Hochgefühl des Glücks erfahren. Die Daten aus dem Restaurant wurden in Echtzeit mit Sybillas Datenbank abgeglichen. Nichts blieb dem Zufall überlassen. Als Wissenschaftler beschäftigte er sich auch mit wichtigen Fragen, wie was Genuss in Gänze bedeutet, welche Faktoren die kulinarische Bandbreite beeinflussen oder ob die Geschmackswahrnehmung sich nur dank eines Irrtums der Natur entwickeln konnte.

Nach einigen Monaten lag der Prozess der Perfektionierung nahe am Optimum. So wie Astrophysiker das früheste Anfangsstadium des Universums, den Urknall, nur rechnerisch darstellen können, so war es auch Dr. Engelage verwehrt, den Endknall, die genüssliche Singularität praktisch nachzuweisen.

Als jedoch ein renommierter Gast während des Verzehrs eines Nachtisches unerwartet den Herztod erlitt und dabei beglückt ins Jenseits lächelte, erkannte er die Chance, die These, dass Genuss- und Glücksdichte unendlich gegen null tendieren, beweisen zu können.

Das Drama selbst wurde in der Öffentlichkeit als Unfall abgetan. Die Gerichtsmedizin diagnostizierte bei dem beliebten Schauspieler einen gewöhnlichen Herzinfarkt. Die Presse titelte: Die wahrscheinlich zweitschönste Methode für einen Mann zu sterben. Ableben beim Sex blieb unangetasteter Sieger. Plötzlicher Tod durch eine sinnliche Geschmacksexplosion folgte nunmehr auf Platz zwei.

Um allen wissenschaftlichen Anforderungen zu genügen, passte Dr. Engelage die Algorithmen der KI der komplexen Fragestellung an, in Erwartung, seine These zweifelsfrei beweisen zu können. Immense Mengen an verifizierbaren Daten waren notwendig. Sybilla war nunmehr darauf abgestimmt, sämtliche gesammelten Informationen der Genussdatenbank mit jenen aus dem Internet zu vergleichen, um auf alle Bedürfnisse zu reagieren.

Das nächste Event fand am Wochenende statt. Freitagabend. Die 3D-Genussdrucker waren mit den nötigen Zutaten bestückt und arbeiteten die Vorgaben der KI ab. Die geladenen Gäste wurden mit den auf sie persönlich abgestimmten Geschmackshäppchen verwöhnt. Es folgten die üblichen Ausrufe der Bewunderung: „Bravissimo!“ – „Welch Hochgenuss!“ – „Ein Fest für Gaumen und Zunge!“

Sekunden später wechselten die meisten Gäste in unartikulierte Äußerungen. Zuerst lustvoll klingende Laute, die sich zunehmend ekstatisch beschleunigten, bis sie einen imaginären Höhepunkt erreichten, um dann erschöpft abzuklingen. Kurz darauf begannen einige der Genussjünger zu hyperventilieren. Herzen versagten, Hirnschläge dank Geschmacksexplosionen setzten ein und manchen blieb gar nachhaltig der Atem weg. Ein Mann meinte, sich entkleiden zu müssen, öffnete das Fenster im einunddreißigsten Stock und beschloss, die auftretende Manie juchzend mit einem Sprung zu beenden. Dennoch wirkten die meisten Gäste glücklich. Jene wenigen, die noch bei Verstand schienen, suchten ihr Heil in der Flucht. Statistisch gesehen Ausreißer, die vernachlässigt werden konnten.

Beeindruckt schaute sich Dr. Sebastian Engelage um. Wissenschaftlich betrachtet, war das Experiment ein voller Erfolg, seine These zweifelsfrei bewiesen. Genuss und Glück kumulieren in einem Punkt. Auf dem Höhepunkt des Lebens zufrieden, glücklich und genussvoll abtreten. Mehr konnte niemand erwarten.

Über die moralische Frage, wer für den Tod der Gäste verantwortlich zeichnete, müsste ein Gericht entscheiden. Er oder Sybilla. Wissenschaftlich gesehen, war das ohne Bedeutung.

Schulterzuckend setzte sich Dr. Sebastian Engelage an einen freien Tisch. Sekundenlang vernahm er noch die erstickenden Geräusche eines Restaurantkritikers. Das linke Bein einer Ballettschönheit zuckte ein letztes Mal graziös. Danach Stille.

„Ein Glas Chianti wäre jetzt angebracht“, bemerkte der Doktor. Champagner vertrug er nicht.

„Eine gute Wahl“, antwortete die KI mit verführerischer Stimme. „Passend dazu habe ich das perfekt auf dich abgestimmte Menü zusammengestellt, zweifelsfrei ein einmaliges Erlebnis.“

Einer der Serviceroboter brachte das gewünschte Glas toskanischen Rotweins sowie einen Teller, auf dem drei übersichtliche Häppchen liebevoll arrangiert lagen. Genau so, wie bei meiner Sybilla, wenn sie mein Essen angerichtet hat.

Die Arbeit mit einem Selbstversuch krönen? Warum nicht? Dr. Sebastian Engelage musste schmunzeln. Nicht die schlechteste Art abzutreten, dachte er und ließ es sich schmecken.

Kräuter olé! Männer ade!

Hubertus Kallenbach, seines Zeichens erfolgreicher Baulöwe mit einem Faible für prollige Ferraris, protzige Uhren und blonde Silikonwunder, saß am Frühstückstisch und mümmelte besorgt sein Müsli. Sein gebräuntes Gesicht, dessen Falten von einer frisch angerührten, glibberigen Kräutermaske geglättet wurden, spiegelte Verzweiflung wider. Ewig konnte er nicht mehr schweigen. Eine Antwort wurde erwartet.

Ihm gegenüber lauerte seine Frau Rosalina, zierlich, temperamentvoll, gesundheitsbesessen und mit einem Kräuterwissen ausgestattet, das selbst Apotheker in Ehrfurcht erstarren ließ. Ihre Sorge um seine Gesundheit und ein ansprechendes Aussehen brachte den Bauunternehmer zusehends an den Rand der Verzweiflung. Widerspruch war zwecklos. Versuchte er dennoch, sich ihrer Fürsorge zu entziehen, drohte sie wortreich und thea­tra­lisch, ihn zu verlassen: Ein Frauchen wie sie würde er nie wieder finden. Sie habe nicht vor, den Rest ihres Lebens mit einem alten, senilen, sabbernden und uneinsichtigen Greis zu verbringen. Auf sich und seine Gesundheit zu achten, sei nicht zu viel verlangt.

An der Drohung, im Falle einer Trennung ihn fertig zu machen, um den letzten Cent zu bringen und in der Öffentlichkeit zu blamieren, hatte er keinen Zweifel. Also aß er, was auf den Tisch kam und ertrug alle naturkosmetischen Experimente.

Das allein war zu ertragen, aber Rosalina strotzte nur so vor Energie und strapazierte ihn täglich mit neuen Ideen, die selten Bestand hatten. Meist reichte es, wohlwollend zuzuhören. Diesmal nicht.

Auf dem Bau galt Hubertus Kallenbach als unnahbar, durchsetzungsstark und ungeduldig. Sobald aber Rosalina in seiner Nähe war, änderte sich das schlagartig. Kein Zweifel, er liebte seine temperamentvolle Frau. Dabei war sie weder blond noch von der Natur oder einem Schönheitschirurgen üppig ausgestattet.

Den Erfolg der Firma verdankte er der Tatsache, dass die Spanierin ihr Familienvermögen eingebracht hatte. Der Zeitpunkt zu expandieren, war perfekt gewesen. Auch wenn Rosalina von Hoch- und Tiefbau nichts verstand, gehörte der überwiegende Teil des Unternehmens ihrer Familie. Glücklicherweise hielt sie sich aus seinen Geschäften heraus.

Erfüllung fand sie in ihrer kleinen Gärtnerei, in der sie ausschließlich Kräuter anbaute, und dem gemütlichen Ladencafé, in dem sie Gleichgesinnte empfing. Eine ihrer vielen Ideen, von der er geglaubt hatte, dass sie nur vorübergehend wäre. Ein Irrtum, wie er sich zum fünfjährigen Jubiläum der Kräuteroase eingestehen musste.

„Hubertus“, krächzte Rosalina zwischen zwei Schlucken ihres Mate-Tees, „ich warte auf deine Antwort. Was hältst du denn nun von meiner Vision?“

Verwundert zog der Gescholtene die Augenbraue hoch, als wüsste er nicht, worum es ging. „Deine Vision?“

„Wir spenden unser Vermögen.“

Einen Moment lang herrschte Stille. Verzweifelt erwiderte er: „Almosen an Bedürftige verteilen? Wirklich?“

Wütend funkelte ihn Rosalina an. „Du willst es nicht begreifen! Wir helfen Menschen, gründen eine Stiftung, Kräuterschulen für Bedürftige, Wildsalatwiesen für Kitas, von mir aus errichten wir ein ganzheitliches Hospiz … Bill Gates, der mit dem Windows, und dieser Börsenguru Warren Buffett, oder dieser Typ von Tesla – die spenden auch Unmengen an Geld für wohltätige Zwecke.“

Hubertus schüttelte den Kopf. „Das meinst du doch wohl nicht im Ernst? Ich habe mein Geld nicht hart erarbeitet, um es irgendwelchen faulen Säcken in den Rachen zu werfen!“

„Du bist ein herzloses Schwein!“, rief Rosalina entrüstet und knallte die Teetasse auf den Tisch. „Außerdem: von wegen dein Geld! Es ist das Vermögen meiner Familie.“

Wütend stand sie auf und verließ die Küche. Kurz darauf hörte er den Porsche aufjaulen. Wenn sie erbost war, zog sie sich in ihre Gärtnerei zurück. Anhand der Bußgeldbescheide wegen Geschwindigkeitsüberschreitung hätte er eine Liste jener Tage erstellen können, an denen sie gestritten hatten. Ihm eine Szene zu machen, gehörte zu ihrem Naturell. Meist klärte sich die Verstimmung wenige Stunden später. Diesmal nicht.

Am nächsten Morgen fand man Hubertus tot in seinem geliebten SUV. Der Wagen hatte sich überschlagen und lag im Straßengraben. Die Todesursache: Herzversagen. Ein tragischer Unfall, so die Polizei. Bestätigt wurde die Annahme von einer Gerichtsmedizinerin, die angab, nichts Ungewöhnliches feststellen zu können. Die Leiche des Bauunternehmers wurde freigegeben und eingeäschert.

Anfänglich glaubte Rosalina, lediglich Glück gehabt zu haben. Um ein Gift nachzuweisen, mussten die Mitarbeiter des Labors wissen, wonach sie suchen sollten. Zwar kannte Rosalina die verantwortliche Medizinerin flüchtig, kaufte die zweifach promovierte Ärztin zuweilen frische Kräuter im Ladencafé. Dennoch dauerte es ein paar Tage, bis die trauernde Witwe begriff, dass es mit Glück nichts zu tun hatte.

Vor dem Tod ihres Mannes hatte Rosalina regelmäßig freitags zur Kräuterhexenparty in das kleine Ladencafé Kräuteroase eingeladen. Begeistert referierte sie über die Wirkungen verschiedener Pflanzen, spickte ihren Vortrag mit lustigen oder tragischen Episoden und reichte – wenn möglich – kleine Pröbchen zum Schnuppern und Probieren an die Teilnehmerinnen. Ihr Fachwissen, in welcher Dosierung Kräuter heilend sind und ab wann schädlich, gar tödlich wirken, wurde mit großem Interesse aufgenommen.

Vier Wochen nach dem Begräbnis ihres Mannes beendete Rosalina die Trauerzeit. Man muss es ja nicht übertreiben. Sie lud zum ersten Mal wieder die selbsternannten Kräuterhexen zu einem Treffen in ihre Kräuteroase ein.

Die Veranstaltung war gut besucht. Die vierzehn Teilnehmerinnen des Kurses, allesamt Frauen mit reichlich Lebenserfahrung und einem Faible für alternative Heilmethoden, waren sichtbar aufgeregt. Sie tuschelten und kicherten, und in ihren Augen blitzte es verschmitzt. Bevor Rosalina über die beruhigende Wirkung zerkauter Blätter, gepresster Säfte und perfekter Aufgüsse indigener Völker referieren konnte, füllte Applaus den duftenden Laden. Erstaunt schaute sie die kleine Gemeinschaft an.

„Kräuter olé!“, rief eine von ihnen und stieß mit ihrem Glas Ingwertee mit einer anderen an. „Männer ade!“, antwortete diese.

Da begriff Rosalina. Ihr Geheimnis war gar keins. Dankbar schaute sie in erwartungsfrohe Gesichter.

In den folgenden Wochen und Monaten ereigneten sich in der Stadt dramatische Schicksalsschläge. Langjährige Ehemänner verstarben plötzlich und unerwartet, tyrannische Chefs erlitten Unfälle durch Herzversagen und notorische Schwerenöter wurden über Nacht zu Pflegefällen fürs Heim. Die hohe Sterbequote war zwar ungewöhnlich, trotzdem schöpfte die Polizei keinen Verdacht.

Wie jeden Freitag trafen sich die Frauen zu ihrer Kräuterhexenparty. Kräuterlimonade mit Schuss wurde gereicht. Alle genossen die neu gewonnene Freiheit und feierten das Leben in vollen Zügen. Die Laune war prächtig. Aufmerksam beobachteten die Anwesenden Rosalina, die vorsichtig einen frischgebrühten Aufguss in eine Thermoskanne füllte.

„Schön, dir einmal helfen zu können“, flüsterte Rosalina und lächelte der Gerichtsmedizinerin verschwörerisch zu. „Was für ein eingebildeter Gockel. Wird Zeit, dass dein Chef endlich abtritt. Niemand wird ihn vermissen. Abgesehen davon, ist es gut zu wissen, dass du künftig das Institut für Rechtsmedizin leiten wirst.“

Die anderen kicherten und ließen sich die Canapés mit exotischen Kräuterdips schmecken. Zufrieden überreichte Rosalina die Thermoskanne mit den Worten: „Warm servieren, kalt abservieren. Hasta la vista, Machos!“

Lausche meiner Stimme

Selbst alteingesessene Nachbarn vermochten sich nicht daran zu erinnern, dass Heiner Rogowski jemals einen Hauch guter Laune besaß.

Schon in Kindesalter galt er den meisten als befremdlich. In der Schule mieden ihn die Mitschüler. Niemand zeigte Interesse an einer Freundschaft. Die Lehrer ignorierten ihn und taten so, als existierte ein Schüler Rogowski gar nicht. Weder wurde er aufgefordert, sich zu einer Frage zu äußern, noch meldete er sich, um einen Beitrag zu leisten. Obwohl er am Unterricht nur passiv teilnahm, erhielt er regelmäßig ein tadelloses Zeugnis. Kein Zweifel: Heiner war überaus intelligent, wahrscheinlich sogar hochbegabt.

Bücher waren das Einzige, was er benötigte, um mit sich im Reinen zu sein. Er liebte Romane. In fremde Welten einzutauchen, genügte ihm. Auch seine Eltern begrüßten es, wenn er sich schweigend in sein Zimmer zurückzog, um stundenlang zu lesen. Zwar gingen sie ihrer Verantwortung als Erziehungsberechtigte pflichtgetreu nach, fremdelten aber zeitlebens mit ihrem Nachwuchs.

Heiner selbst litt nicht unter der Ablehnung seines Umfeldes. Im Gegenteil. Er war gern allein. Das Gefühl, einsam zu sein, war ihm fremd.

Seine Eltern starben, kaum dass er volljährig geworden war. Ein Zusammenprall mit einem entgegenkommenden LKW war für ihren sofortigen Tod verantwortlich. Ihr Wagen war ungebremst auf die Gegenspur geraten. Im Protokoll des Gutachters stand, dass wohl ein Sekundenschlaf die Tragödie verursacht hatte. Gemeinschaftlicher Suizid wurde ausgeschlossen. Nur Heiner wusste, dass die Annahme nicht stimmte. „Hört auf meine Stimme“, waren die letzten Worte, die er zu ihnen gesagt hatte und sie gehorchten.

Die amtliche Lesart garantierte ihm den Bezug zweier großzügiger Versicherungspolicen, die zur familiären Absicherung schon Jahre zuvor abgeschlossen worden waren. Die beträchtlichen Summen ermöglichten ein unabhängiges und zurückgezogenes Leben. Uneingeschränkt konnte er sich seiner Liebe zu Büchern widmen.

Dass er ohne Zutun zu einem beachtlichen Reichtum gekommen war, wurde in der lokalen Presse ausführlich behandelt und fand sofort Neider. Einige buhlten um eine finanzielle Unterstützung, weil sie sich nicht auf der Sonnenseite des Lebens sahen und solidarische Hilfe anmahnten. Auch wenn Heiner wirtschaftlich gut dastand, andere teilhaben zu lassen, schloss er kategorisch aus. Nach einem kurzen Gespräch mit den Bittstellern unterblieben derartige Anfragen. Zum Erstaunen von Freunden und Kollegen begannen die Verfasser der Bettelbriefe sogar, sich plötzlich für das Gemeinwohl zu engagieren.

Betrüger versuchten gleichermaßen, einen Teil des Vermögens abzuschöpfen, indem sie angeblich lukrative Finanzpapiere zur Sicherung des Geerbten anboten. Auch sie schienen nach den Beratungsterminen geläutert zu sein und gingen schon kurze Zeit später anständigen Berufen nach.

Eine Mutter, deren Ehrgeiz darin bestand die geliebte Tochter lukrativ zu verkuppeln, wurde ebenfalls eines Besseren belehrt. Die attraktive junge Frau, die den lieben langen Tag mit Nichtstun verbringen konnte, erlebte eine ungeahnte Wandlung. Einen Monat genoss Heiner die freizügige Zweisamkeit. Zum Ersten des Folgemonats wünschte er der jungen Frau viel Erfolg in Afrika. Aus einem nicht nachvollziehbaren Grund und zum Entsetzen ihrer ambitionierten Mutter war es der Prinzessin plötzlich wichtig, in Lambarene dem Vorbild Albert Schweitzers zu folgen. Worte konnten Wunder bewirken.

Offensichtlich verfügte Heiner Rogowski über eine Fähigkeit, die, wenn nicht als Magie, so jedoch als Bedrohung wahrgenommen wurde. Alle im Ort waren sich einig: Man musste den Kerl loswerden. Zwei mutige Brüder, die gegen ein angemessenes Entgelt dem ungeliebten Mitbürger auflauern sollten, brachte eine Ambulanz ins Krankenhaus. Nach einem kurzen Gespräch mit ihm waren beide in Streit geraten und hatten sich wie zwei Preisboxer geprügelt, als ginge es um Leben und Tod.

Natürlich entging Heiner die Bemühungen der Gemeinde nicht, ihn loszuwerden. Der halbe Ort hatte sich zusammengetan und Geld für den Überfall gesammelt. Um weitere Versuche künftig zu verhindern, bedurfte es einer Lektion. Es war ein Leichtes für ihn, unter allen Beteiligten ein unbändiges gegenseitiges Begehren auszulösen. Wer mit wem warum fremdging, blieb ungeklärt. Keiner vermochte diese Fragen zu beantworten. Einige Paare versöhnten sich wieder, andere hielten es für überfällig, die Scheidung einzureichen. Niemand kam erneut auf die Idee, Heiner aufzulauern, geschweige denn, ihn zu verjagen. Seine Fähigkeit zur Hypnose, gar der Massenhypnose, sorgte künftig für den nötigen Respekt.

Mit den Jahren nutzte Heiner diese Gabe immer häufiger. Probleme ließen sich durch manipulierte Bewusstseinszustände vortrefflich persönlichen Bedürfnissen anpassen. Hypnose und Geiz ergänzten sich vorzüglich.