Küssen kostet extra - Tim Dünkel - E-Book

Küssen kostet extra E-Book

Tim Dünkel

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Beschreibung

Prostitution verlockt mit schnellem und geilem Sex. Doch was passiert wirklich hinter den verschlossenen Türen der Laufhäuser, der Fensterprostituierten und All-inclusive-Puffs? In kurzweiligen und schonungslosen Geschichten schildert der Autor seine persönlichen Erfahrungen mit der Billigprostitution in Deutschland und anderen Ländern. Ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit beschreibt er die Gefühls- und Moralwelt der Freier, das schwierige Spiel von Anonymität und Intimität, sowie seinen Blick auf das Selbstbild der Prostituierten. Die Geschichten erzählen von einer ehrlichen Suche nach einem erfüllten Sexleben, von Misserfolgen und gelegentlichem Gelingen, und zeichnen ein Bild einer Branche, die aus schlechtem Sex Kapital schlägt. Ein Lehrstück für besseren Sex für alle!

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Inhalt

Übers Ficken mit Huren schreiben

Erste Wahl

Schema F

Kundenkulanz

Eindringling

Letzte Zuckungen

Altenpflege

Große Freiheit

Fair Trade

Fickfreund

Wie Weihnachten

Wunderpille

Fantasien

Trockener Sex

Warmer Atem

Flatrate Ficken

Lecken und Riechen

Gewaltopfer

Heimliche Ergüsse

Süßer Anus

Europa mein Puff

Fitness

Absurd Geil

Body to Body

Sexy Ladies

Pärchensex

Candy Crush

Kuscheln

Placebo

Betroffenheit

Schock

Nachwort

ÜBERS FICKEN MIT HUREN SCHREIBEN

Viele Männer tun es, aber die wenigsten sprechen darüber. Am wenigsten mit Frauen, und wenn, dann anonym in Internetforen. In kurzen Erfahrungsberichten bekommt man dort Einblicke in die „Qualität“ der einen oder anderen Prostituierten. Solche Berichte, selbst wenn sie einer Untersuchung wert wären, geben jedoch keine echten Einblicke in die männliche Erfahrung der Sexualität mit Prostituierten. Wir lernen, wie Männer sich sehen wollen, aber kaum, wie es ihnen dabei geht. Die in diesem Buch gesammelten Geschichten geben einen schonungslosen Einblick in meine Erfahrungen mit Prostituierten. Ich war in meinen Dreißigern, ungefähr von 2008 bis 2018. Wie jeder andere bin auch ich nur ein Einzelfall.

Seit der Legalisierung der Prostitution in Deutschland 2002 hat sich für Männer wie mich der Zugang zu dieser Form der Sexualität sehr vereinfacht. Auch wenn die Prostitution durch ihre Legalisierung in der Öffentlichkeit an Aufmerksamkeit gewonnen hat, denke ich, wird die Perspektive der männlichen Konsumenten in diesem großen Markt kaum verstanden. Zu festgefahren sind die Vorstellungen von der passiven und schutzbedürftigen Rolle der Frau und der aktiven und täterbehafteten Rolle des Mannes – ein Verhältnis, das sich allein schon durch das Geldverhältnis, aber auch durch den körperlichen Umstand der Penetration ableiten lässt. Wenige Männer wagen, offen in der Öffentlichkeit über ihre Erfahrungen in der Welt der Prostitution zu sprechen. Das Geschäft mit dem Sex war und ist diskret. Das heißt aber auch, dass die gefühlte gesellschaftliche Ächtung des Freiers, ohne offen ausgesprochen zu werden, nicht denselben Sprung gemacht hat wie die Gesetzgebung. Es mag sein, dass die Legalisierung zu einer gewissen Akzeptanz beitrug. Vielleicht besteht sogar ein Konsens, dass Prostitution an sich kein Problem sein muss, wenn sie „freiwillig“ stattfindet. Aber was das genau heißen soll, freiwillig Prostitution als Beruf auszuüben und moralisch korrekten Sex zu konsumieren, kann sich wiederum kaum jemand ausmalen. Das ist einer der Gründe, warum das Milieu auch heute noch anrüchig und gewaltanfällig wirkt, egal ob legal oder nicht. Kein Wunder, dass die Stimmen wieder laut werden, die eine weitere Regulierung fordern. Wahrscheinlich zu Recht.

Aber dieses kurze Buch ist kein politisches Pamphlet. Ich will vielmehr verschiedene Themen, die mit dem Gewerbe verbunden sind – wie die Wertewelt des käuflichen Sexes, die Möglichkeit von Intimität, Freiwilligkeit, die Moral von Freiern, sexuellen Leistungsdruck, das Selbstverständnis von Prostituierten und viele andere – anhand meiner persönlichen Erfahrung darstellen und hinterfragen. Aus der Sicht eines Mannes, der Sex bei Frauen kauft. Ich versuche nichts zu beschönigen, nichts zu bestätigen und nichts zu widerlegen, sondern zu berichten, wie es mir dabei ging. Für mich handelte es sich im Grunde um eine Suche nach einem erfüllten und lustvollen Sexleben. Die Frage, die sich mir immer wieder stellte, war, ob das Milieu überhaupt die Bedingungen der Möglichkeit dafür schaffen konnte. Guter Sex in der Prostitution, ist das möglich?

Was passiert also in den verschlossenen Zimmern der Laufhäuser, der Fensterprostituierten, der Massagesalons, und All-inclusive-Puffs? Wie der Titel verrät, blieb mein Wunsch nach gutem Sex oft unerfüllt. Im Grunde genommen sind meine Erfahrungen kaum der Rede wert, so banal waren sie. So richtig wild, geil und frei gefickt habe ich kaum. Und an sinnlich schönen Blümchensex war erst gar nicht zu denken. Das lag zum Teil an mir. Meine Tendenz, bei Nervosität und Erschöpfung zu schnell zum Orgasmus zu kommen, meine moralischen Hemmungen, meine sexuelle Sozialisierung, die mir eine gewisse Feinfühligkeit vermittelte, meine angeborene Aldi-Mentalität, nicht für Qualität bezahlen zu wollen, und andere Umstände machten mich nicht gerade zum idealen Freier. Ich bin nicht der Draufgänger, der unter allen Umständen seine Sexualität auf dieselbe Weise auslebt – immer schön rein und raus, falls es so etwas überhaupt gibt. Meine Erfahrungen dürften daher kaum repräsentativ für die Masse der Freier sein. Aber vielleicht macht gerade der Umstand, dass meine Sexualität etwas subtiler ist, die folgenden Geschichten zu einem interessanten Spiegel dessen, was in der Billigprostitution in Deutschland und in anderen Ländern geschieht. Mag sein, dass meine Unternehmungen von Anfang an hoffnungslos waren. Jedoch glaubte ich an das Versprechen vom guten und unkomplizierten Sex und es ist immerhin ein nicht unbeachtlicher Wirtschaftszweig, der von diesem Versprechen lebt. Sehnsucht entsteht da, wo sie enttäuscht wird. Es geht in diesem Buch also um eine ehrliche Suche nach gutem Sex, um viele Erfahrungen mit schlechtem Sex und letztendlich um ein Plädoyer für besseren Sex für jedermann.

Zum Wortgebrauch. Politisch korrekt heißt es heute Sexarbeiter*innen. Ich werde von „Prostituierten“ schreiben und hier und da auch von „Huren“, so wie sich die Frauen für mich gedanklich präsentierten. In einer öffentlichen Diskussion würde ich auch von Sexarbeiter*innen sprechen. Denn das sollte es sein, Sexarbeit. Aber wenn wir von Arbeit sprechen, dann müssten auch dieselben Standards wie in anderen Arbeitsmilieus herrschen. Und das ist leider noch nicht der Fall.

Bei Herbert Marcuse stieß ich auf einen Begriff, der meinen Erinnerungen einen gewissen Rahmen bietet. Er spricht von dem genitalen Primat, das im modernen Kapitalismus entsteht. Gemäß diesem Primat wird Sexualität, die eigentlich den ganzen Körper betrifft, auf die Genitalien reduziert. Der Rest des Körpers steht damit der Arbeit zur Verfügung. Meine Erfahrungen zeugen von dieser Zweiteilung unseres Körpers: Sowohl von einer entfremdeten Arbeit als auch von einer entfremdeten Sexualität.

ERSTE WAHL

Meine erste Begegnung mit Prostitution hatte ich während eines Besuchs in Amsterdam. Ich war noch ein pubertierender Junge, so um die fünfzehn und hatte schon das erste Mal Sex, was wie eine Offenbarung für mich war. Die offensichtliche Akzeptanz der Prostitution in Holland machte mich neugierig. Wie alle Touristen spazierten auch wir über den bekannten Achterburgwal, dass Rotlichtviertel in Bahnhofsnähe. Es war ein regelrechtes touristisches Ereignis, wenn ein Mann in eines der Fenster verschwand oder daraus hervorkam. Letzteren Anblick fand ich besonders interessant, da ich versuchte, am Gesichtsausdruck der Männer zu erkennen, was drinnen vor sich ging. Peinlich berührt von den Versuchen der jungen Frauen selbst mich, einem kaum schwanzbehaarten Burschen, zu verführen, sagte mein Freund:

„Das kann man durchaus einmal machen. 50 Gulden. Warum nicht?“

Ich antwortete nicht, aber das Argument des niedrigen Preises überraschte mich. Ja, dachte ich mir, das kann man wohl machen. 50 Gulden sind nicht viel, für etwas, was eine echte Erfahrung verspricht. Aber ich fragte nicht weiter, wie ernst er es meinte und ob es ihm wirklich einmal 50 Gulden Wert war. Wahrscheinlich schon.

Ohne es darauf angelegt zu haben, lebte ich später in Holland. Jahre vergingen, bevor sich mein Interesse in Neugier und dann in praktische Taten wandelte. Ich hatte eine sehr bewegte und tiefe Beziehung mit einer Italienerin. Viele ihrer Freundinnen waren lesbisch, und eine von ihnen forschte zur Prostitution. Nachdem sie das Geschäft lange theoretisch und aus der Distanz studiert hatte, erzählte sie uns, wie sie es schließlich selbst einmal ausprobierte. Sie machte es zusammen mit einer erfahrenen Freundin. Sie erzählte, wie überrascht sie war, als der Kunde seine jüdische Kippa ablegte. Er war älter als sechzig, und sie vermutete, dass wohl nahezu alle Freier ältere Männer seien. Ich hörte mit Interesse zu und bewunderte sie für ihren Mut. Ich hätte gerne gesagt:

„Ja, das möchte ich auch einmal ausprobieren!“

Doch wie ungleich wäre es gewesen, wenn ich, sozusagen aus Forschungsmotiven, eine ähnliche Erfahrung als Freier eingefordert hätte. Aber in gewisser Weise mache ich genau das in diesem Buch, rein soziologisch betrachtet.

Mein erstes Mal konnte nicht in der touristischen Gegend Amsterdams stattfinden. Irgendein Bekannter hätte mich erkennen können. Diese Befürchtung war von Anfang an da und hat sich nie wirklich gelegt. Dennoch nahm ich bei Gelegenheit kleine Umwege durch das Rotlichtviertel, um einige Blicke in die Türrahmen zu erhaschen. Eine der Damen zeigte mir im Vorbeigehen kurz ihre Brüste, um mich zum Bleiben zu überzeugen. Schon das war ein Moment, den ich in Gedanken mit nach Hause nehmen konnte, ganz für mich allein, ohne ihn mit jemandem zu teilen. Ein anderes Mal zog eine Prostituierte beim Vorbeigehen sogar ihr Spitzenhöschen herunter, um mit ihrer schönen Muschi zu protzen. Ich konnte nicht glauben, was mir geschah. Echte Überzeugungsarbeit!

Eine wirkliche Absicht formte sich erst, als ich zufällig in einer anderen Stadt ein Hurenviertel abseits des Tourismus entdeckte. Dort waren nur Freier ohne Gaffer. Ich war unter Gleichgesinnten. Das Viertel befand sich in einer schmuddeligen Wohngegend, nicht weit vom Bahnhof entfernt. Der Weg dorthin war sehr ruhig und bei jedem Mann, der an mir vorbeilief, hatte ich den Eindruck, dass er wüsste, wohin ich ging, und dass auch er wüsste, dass ich weiß, wohin er ging. Ich hatte verstanden, dass es zwei Hurenviertel gab, und der Unterschied war so einfach wie traurig: das eine mit vorwiegend holländischen Frauen, das andere mit Frauen, die aus anderen Ländern stammten, wobei die holländischen Frauen mindestens 30 Euro, die anderen 25 Euro verlangten. Ich fühlte mich bei den internationalen Frauen sicherer, wobei der Preis sicher auch eine Rolle spielte.

Diese ersten Spaziergänge geschahen zu einer Zeit, als ich mit meiner Freundin immer weniger Intimität teilte, ohne dass mir das so genau bewusst war. Der Sex, den ich mit ihr zu Beginn der Beziehung hatte, war unglaublich schön. Doch auf eine unmerkliche Weise hatten wir uns immer weiter voneinander entfernt. Ich stand früh auf, um arbeiten zu gehen und sie schlief oft bis in den späten Vormittag. Der getrennte Rhythmus trug dazu bei, dass wir immer weniger Sex hatten. Und der wenige Sex trug dazu bei, dass wir noch weniger Sex hatten. Dennoch, wir waren jung und wir hatten ab und zu noch schöne Momente, vor allem sonntagmorgens nach dem Aufwachen – ein Klassiker in festen Beziehungen, der deutlich macht, wie sehr Sex, Ruhe und Zeit miteinander verbunden sind. Ich war mir nicht bewusst, dass meine Erkundungsspaziergänge Ausdruck der zu Ende gehenden Beziehung war. Vor allem war mir nicht bewusst, dass je mehr ich andere Quellen der Befriedigung suchte, desto wahrscheinlicher es war, dass meine Freundin dasselbe tun würde.

Ohne an meine Beziehung zu denken war ich fasziniert von der Idee, eine Grenze der gesellschaftlichen Moral zu überschreiten. Ich war neugierig, was für eine neue Sex-Erfahrung das wohl sein mag. Es war wie die Neugier, eine neue Droge auszuprobieren, ohne die Wirkung zu kennen, einschließlich der potenziellen Abhängigkeit. Das waren echte Fragen, auf die ich Antworten suchte. Ich dachte nicht daran, dass es sich um einen Vertrauensbruch handeln könnte. Ich wollte sogar meiner Freundin davon berichten, mit Begeisterung und dem Vertrauen darauf, dass sie es verstehen würde. Ich wollte meine Erfahrung teilen, da ich sie für mich und damit auch für unsere Beziehung bereichernd fand. Nach einem der ersten Spaziergänge war ich fest entschlossen, es ihr zu erzählen. Ich saß auf einer Bank am Bahnhof und formulierte schon die Sätze. Unseren Werten entsprechend hätte ich das Gespräch wagen sollen, aber unsere Beziehung ließ es zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zu. Ich hätte ihr ungefähr Folgendes erzählt.

Schon wenn man in die Gasse einbog, betrat man eine Welt mit eigenen Regeln. Die anderen Männer waren keine Personen mehr, die ich hätte ansprechen können mit ‚Guten Tag, ich heiße so und so und komme von hier und da‘. Ich wurde zum Schwanzträger. Zunächst war ich ängstlich, erkannt zu werden, was schon bei der Hinfahrt begann. Was hätte ich einem Bekannten gesagt, wenn er mich abends allein im Zug vorgefunden hätte? Es gab keinen guten Grund, am Abend unter der Woche von der einen in die andere Stadt zu fahren. Einmal hatte ich im Getümmel der Männer einen Kollegen in der Gasse erkannt. Ich flüchtete und machte mich sofort auf den Heimweg. War er nahe genug, um mich zu erkennen? Bei späteren Gesprächen ließ er nichts andeuten. Bei anderen Spaziergängen, als ich nach ein paar Momenten etwas Sicherheit gewonnen hatte, unerkannt zu bleiben, stellte sich jedoch ein eigenartiges Gefühl der Gemeinsamkeit mit den anderen Männern ein, vereint in der sexuellen Begierde. Und sobald ich den anderen ins Gesicht schauen konnte, gewann die Situation sogar einen Hauch von Natürlichkeit.

Es gab zwei verschiedene Arten von Fenstern, einmal die, die zur Straße hinausblickten und die, die in einem U-förmigen Gang angeordnet waren. Der intensive Geruch in den Gängen war unverkennbar. Es war warm und roch nach einer Mischung aus Hallenbad und Parfümerie, oder auch nach einer parfümierten Toilette. Dazu passte auch, dass die Frauen in Unterwäsche dastanden, in spezieller Unterwäsche natürlich, aber dennoch in Unterwäsche, wie in Umkleiden. Ja, man kann auch sagen, dass es ein gewisser Umkleidegeruch war. Beim Eintreten in die Gänge weckte der Geruch ein unverwechselbares Empfinden, wie ich es sonst nur vom Zahnarzt kenne. Der Geruch trennte die Welten.

Ich begann, das Lächeln der Damen zu genießen und im Vorbeigehen zu erwidern. Es erforderte eine zusätzliche Überwindung, stehenzubleiben und auf eine Einladung zum Gespräch einzugehen. Die einfachste Frage war die nach dem Preis, ohne mich weiter zu verpflichten.

„Wie viel?“

Fragen kostet nichts, und ich konnte einfach weiterlaufen. Die Antwort war meistens:

„Blasen, Ficken 25 Euro“.

Manchmal wurde noch dazu gefügt:

„Mit Anfassen“.

Was der Hinweis auf „Anfassen“ bedeuten sollte, erfuhr ich erst später. Erfahrenere Kunden begannen an dieser Stelle ein Gespräch über andere Leistungen. Ich hatte beobachtet, wie jemand fragte, ob Arschficken erlaubt sei. Sie sagte nein und er ging weiter. Er war nicht viel älter als ich, aber anscheinend schon weiter in seiner Erfahrung. Die Tatsache, dass ich einfach weitergelaufen war, schaffte oft ungewollt eine Verhandlungssituation. Denn manche senkten daraufhin den Preis. So lernte ich die Preise kennen. 20 Euro war das Minimum.

Ich begann das Gedränge der Männer als eine Wahlsituation und die Flirtgebärden der Frauen als Werbung wahrzunehmen. Ich wusste erst nicht, wie eine solche Wahl getroffen werden kann. Hieße das nicht, von der Person abzusehen, und sie auf das mögliche sexuelle Vergnügen zu reduzieren? Oder war das nicht schon längst geschehen? Hemmungen hatte ich trotzdem. Außerdem wusste ich nicht so recht, nach welchem Kriterium ich vorgehen sollte. Sexuelle Anziehung war kein Trieb, der sich in eine einfache Sprache von wenigen Sekunden übersetzen ließ. Normalerweise brauchte es Zeit, um sich kennenzulernen, Vertrauen aufzubauen und Begehren füreinander zu entwickeln, bevor eine geteilte Intimität entstehen kann. Hier stellte sich die Sexualität anders dar. In Sekunden wurde entschieden.

Ich entwickelte allmählich Sympathien, ein Gefühl der Nähe beim ersten Lächeln. Ähnlich wie wenn man sich entscheidet, bei vorbeifahrenden Autos auf die Farbe zu achten und nach einer Weile eine Vorliebe entwickelt. Nach mehrmaligem Vorbeilaufen wurde mir eine Frau im ersten Fenster auf der rechten Seite im vorletzten Gang immer sympathischer. Es war sie, die ich in Gedanken behielt, als ich bei einem der Spaziergänge ungetaner Dinge wieder nach Hause fuhr. Ich fühlte mich schon fast vertraut mit ihr. Sie war etwas dicker als die anderen, schön rundlich. Dünnere Prostituierte machten mir eher Angst, sie aber weckte Vertrauen. Außerdem war sie etwas älter als ich. Dachte ich, es sei mit älteren und dickeren Frauen einfacher? Oder gab es mir das Gefühl, dass meine Wahl moralisch korrekt war? Oder war es meine sexuelle Vorliebe, der ich mir zuvor nicht bewusst war?

Aber eine dritte Eigenschaft war auffällig: Sie war dunkelhäutig. Wahrscheinlich aus Surinam, wie viele in Holland. Warum diese Wahl? Zum einen war es das Neue, da ich bis dahin noch nie Sex mit einer schwarzen Frau gehabt hatte. Mir war aber auch bewusst, dass mit dieser Wahl weniger Verbindung mit meiner Freundin bestand, mit der ich zu diesem Zeitpunkt immer noch in einer Beziehung war. Oder es war das Exotische, sozusagen wie bei Cezanne, obwohl der Vergleich höhnisch klingt. Aber vor allem war es jemand, der mir damals nie in meiner beruflichen Umgebung begegnen würde. Ich hätte nicht den Mut gehabt, eine Frau zu wählen, die mir auch in meinem Berufsleben hätte begegnen können. Ich nahm die Frau als eine Person außerhalb meines eigentlichen Lebens wahr. Diese Trennung erleichterte mir die moralische Überwindung. Ich wollte sichergehen, dass sich die Begegnung auf nichts anderes auswirken konnte.

Der Moment war also gekommen. Der Schritt in das Zimmer war noch intensiver als der Schritt in die Gasse. Es war ein Fallenlassen wie vom Zehn-Meter-Turm ins kalte Wasser – allein das schon ein echter Genuss. Ein starker Impuls sagte, dass es einfacher wäre, vorbeizulaufen. Doch dann kam der Moment, in dem ich für eine Sekunde das Zweifeln aussetzte und kurzerhand dem Lächeln und dem Fingerwink folgte.

„Willst du?“, fragte sie.

„Ja“, sagte ich prompt und schon stand ich drin.

Mein „Ja“ war etwas überstürzt und überraschend, da ich nicht diskutierte und nicht weiter flirtete. Sie zog den Vorhang zu, und die Höhle schloss sich. Ein verbotener, aber geschlossener Ort, an dem schon im nächsten Moment Nacktheit und Genitalien geteilt werden sollten. Krass!

SCHEMA F

Einmal entschieden und hineingehuscht, gab es zugleich nichts mehr zu entscheiden. Alles passierte nach dem Programm der Prostituierten. Und da es sich wie ein Programm anfühlte, entstand auch nicht die Intimität, die mit der Berührung von Genitalien normalerweise einhergeht, aber eben nicht muss.

Ihr werbendes Flirten wandelte sich schlagartig in eine formelle Freundlichkeit. Sie fragte nach meinem Namen. Ich nannte meinen richtigen Namen, den sie aufgrund seiner Seltenheit nicht verstand. Seitdem heiße ich für Prostituierte der Einfachheit halber Tim. Die Prostituierten arbeiten schließlich auch nicht unter ihrem echten Namen.

Ich konnte ihren Widerwillen nur schwer deuten. Ich habe ihr durchaus gesagt, dass es für mich das erste Mal sei. Aber sie reagierte nicht darauf. Vielleicht hatte sie mir nicht geglaubt, oder mich nicht richtig verstanden. Vielleicht war sie auch enttäuscht, dass ich nicht die nötige Routine mitbrachte, die ihr die Arbeit erleichtert hätten. Vielleicht dachte sie, dass es bei mir schon ausreiche, passiv zu bleiben. Die einfachste Antwort wäre gewesen, dass sie keinen Gefallen an ihrer Arbeit fand. Doch für mich, zum ersten Mal in dieser Situation, war nichts von dem klar.

Nach dem Austausch des Geldes kam der Sex, das „Blasen und Ficken“. Sie wollte es so schnell wie möglich