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Die Brüder Hinni und Karl, zwei alte ostfriesische Bauern, bleiben stur: „Wir verkaufen nicht! Keinen Quadratzentimeter.“ Kurze Zeit später brennt ihr Elternhaus … Als eine Leiche am Strand von Harlesiel gefunden wird, muss Ermittlerin Tomke Evers ihren Urlaub abbrechen. Mit den Kollegen Carsten Schmied und Hajo Mertens taucht sie ein in einen Sumpf aus Hass, Gier, Skrupellosigkeit, Betrug und Mord. Wer ist der Tote vom Strand? Wer hat den Direktor der dubiosen Immobilienbank erschlagen? Wer hat eine dritte Leiche an einem derart ungewöhnlichen Ort platziert? Gibt es eine Verbindung zwischen den Toten? Steckt womöglich Jojo de Vries hinter den Morden? Oder dessen Geliebte, Bella Jannssen, die Tochter des toten Direktors? Was hat Jojos Ehefrau mit der Tat zu tun? Und wer versteckt sich in der alten, verlassenen Villa? Fragen über Fragen – und die Kommissare stehen immer mehr unter Druck. Sind die Provinz-Ermittler mit gleich drei Leichen überfordert? Wieder einmal sorgt Tomke Evers mit ihren außergewöhnlichen Methoden für Aufregung im Team. Und auch in ihrem Privatleben gibt es Turbulenzen – darf sie ihre Gefühle zulassen? Ach so, und – wo sind eigentlich Hinni und Karl?
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Seitenzahl: 379
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„Küstenhaie“ spielt im Dreieck Wilhelmshaven, Wittmund und vor allem in und um Carolinensiel, der neuen Heimat der Autorin.Ähnlichkeiten mit lebenden Personen, Organisationen oder Institutionen in diesem Roman sind rein zufällig und nicht geplant.Verbrechen, Mord und Totschlag in meinem Buch sind meiner Fantasie entsprungen und somit – bis auf einige wenige Geschehnisse, die dem Volk vom Munde abgeschaut wurden – frei erfunden.
Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über www.dnb.de© 2022 CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hamelnwww.niemeyer-buch.deAlle Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: C. RiethmüllerEPub Produktion durch CW Niemeyer Buchverlage GmbHeISBN 978-3-8271-8440-5
Gaby KadenKüstenhaie
Prolog
Nur noch zwei Stunden bis zu dem vereinbarten Treffen. Der obligatorische „Elf-Uhr-Tee“ war getrunken. Hinni holte die Schnapsbuddel sowie zwei Gläser aus dem Schrank und schenkte wortlos ein. Sie hoben die Gläser, nickten sich zu und warfen den Kopf in den Nacken. Alles wie immer. Sie verstanden sich ohne Worte, hatten immer die gleichen Gedanken und Ideen, wie eineiige Zwillinge, doch sie waren nur ganz normale Brüder.
„Blifft dat dorbi oder hast du deine Meinung inzwischen geändert?“, fragte Hinni ohne aufzublicken.
„Nein, ich habe meine Meinung nicht geändert und ich werde sie nicht ändern. Wie kommst du darauf?“
„Tja, man hört so dit un dat.“
„Mensch Hinni, lass dich von den Geldsäcken nicht verrückt machen. Ik verkoop nicht, keinen Quadratzentimeter. Und du hoffentlich auch nicht. Waren wir nicht schon immer so?“
Karl hob die Hand und kreuzte Zeige- und Mittelfinger.
Hinni nickte. „Und ich verkaufe schon zweimal nicht, dat is so sicher wie Ebbe und Flut. Ik gah nich weg.“
Hinni Harms nahm die Schnapsbuddel wieder zur Hand und goss die beiden Gläser noch einmal tüchtig voll.
„Wenn wir nicht zusammenhalten, wer dann?“ Er hob sein Glas. „Weg mit dat Zeug un up de Familie. Und dat das alles erhalten bleibt!“ Er machte mit dem Glas in der rechten Hand eine weit ausholende Bewegung.
Hinni und Karl waren sich einig. Die beiden Brüder besaßen jeder gut 10 000 Quadratmeter Land in einem Areal von fast 400 000 Quadratmetern, das eine Immobilienbank als Bauland auserkoren hatte. Schon lange und immer wieder, machte man ihnen Angebote für dieses Stück Land. Den beiden jedoch war diese Bank sehr suspekt, denn dort konnte man weder Geld einzahlen noch abheben; also konnte das keine richtige Bank sein, folglich waren es „Gauner“, wie sie meinten.
Schon mehrmals hatten sie Besuch von Mitarbeitern des Unternehmens, und jedes Mal hatte man ihnen horrende Summen für ihren Grund geboten. Auf Karls Grundstück stand das alte Bauernhaus, in dem er lebte. Da es auch das Elternhaus der beiden war, hatte man das Angebot für ihn noch um ein ganzes Stück erhöht. Einen kleinen Teil des Landes bewirtschaftete er noch selbst, besaß ein paar Hühner und fünf Schweine für den Eigenbedarf, den Rest hatte er verpachtet.
Hinnis Teil war komplett verpachtet und wurde von einem Bauer aus dem Ort bewirtschaftet.
Alle anderen Besitzer von Grundstücken in diesem Areal hatten ihren Grund und Boden schon an das Unternehmen verkauft, nur die beiden Brüder blieben standhaft – stur, wie man ihnen vorwarf. Ohne ihre Grundstücke war eine sinnvolle Bauplanung nicht möglich, lagen sie doch an strategisch wichtigen Punkten.
„Ein Segen für den kleinen Ferienort“, argumentierten die Mitarbeiter der Bank, und dass mehr Gäste kommen würden, um gutes Geld im Ort zu lassen. Sie seien die beiden einzigen, die sich diesem Wohlstand entgegenstellen würden. Doch das zählte für die Brüder nicht. Sie amüsierten sich spitzbübisch über die Überredungsversuche der „jungen Schnösel“, die immer wieder bei ihnen auf der Matte standen.
„Lat de Kerls man kommen, die maken bi uns keen Schnitt“, prostete Karl seinem Bruder zu.
„Nu stell die Buddel weg, wir brauchen einen klaren Kopf“, forderte Hinni, der jüngere der beiden, seinen Bruder auf. „Und denke daran: Wir wollen mal hören, wie viel sie heute bereit sind zu bezahlen, um dann dankend abzulehnen. Ich freue mich jetzt schon auf die blöden Gesichter. Was wollen wir mit dem Geld? Wir haben beide unser Auskommen und weder Kind noch Rind – wie man so sagt. Brauchst du ein größeres Auto oder etwa zwei? Auf Weltreise wollen wir nicht gehen, heiraten schon gar nicht und Nutten, na, die können wir uns auch so leisten. Kerle wie wir sind regelrecht dazu verpflichtet, am Erhalt des Alten und …“
„Nu halt mal die Luft an, Hinni, ich weiß, dass dich dieses Bauvorhaben auf den höchsten Mast treibt. Mich auch. Aber wir dürfen es nicht übertreiben, mit denen ist nicht zu spaßen. Als Lars so lange stur blieb, hat plötzlich sein Stall gebrannt. Das waren die, da bin ich mir sicher. Er hat es gewaltig mit der Angst bekommen und dann doch verkauft, du weißt …“
Hinni griff hinter den Küchenschrank und zog ein Gewehr hervor. „Sollen sie mal, die werden schon sehen, was sie davon haben“, rief er und schüttelte die Waffe heftig.
„Is ja good, stell dat oll Ding weg un set di daal. Ein Auto fährt auf den Hof.“
Karl beobachtete, wie zwei Männer ausstiegen und stellte fest, dass es dieselben waren, die schon mehrmals auf seinen Hof gekommen waren. Jedes Mal fand das Treffen hier bei ihm statt, denn Hinnis Hof lag zu weit entfernt, ganz hinter Wittmund. Dorthin hatte der Bruder vor über dreißig Jahren geheiratet, aber seine Doris war schon vor vielen Jahren gestorben. Nun trafen sich die Brüder oft hier bei Karl im Elternhaus.
Zwei Männer in dunklen Anzügen und Krawatten kamen auf das Haus zu. Karl konnte beobachten, wie ein dritter, der weniger korrekt gekleidet war und wohl am Steuer gesessen hatte, ebenfalls das Auto verließ und nach rechts hinter dem Seitenflügel verschwand. „Hinni, das Gewehr, schnell!“
„Warum? Was ist?“
„Da verschwindet einer hinterm Haus. So ein bulliger Typ, der sieht nach nix Gutem aus. Schnell das Gewehr!“
Hinni nahm das Gewehr in Anschlag und entsicherte es in dem Moment, als die beiden Männer eintraten.
„Was soll das?“, riefen beide erschrocken.
„Köhler! Du heißt doch Köhler, wenn ich mich recht erinnere? Ruf euren Pitbull zurück, aber schnell! Oder soll ich euch eine Portion Schrot verpassen?“ Hinni deutete auf einen der beiden und klemmt den Kolben des Gewehrs schnell wieder fest gegen die Schulter.
„Mach schon, aber schnell!“
Köhler drehte sich mit erhobenen Händen um, pfiff durch die Zähne und rief: „Henry! Henry, komm zurück.“
Sein Kollege hatte vor Schreck seinen Aktenkoffer fallen lassen und stand mit erhobenen Händen zitternd im Türrahmen. Durch das Küchenfenster konnte Karl sehen, dass der angesprochene Henry wieder um die Ecke kam und fragend zum Haus blickte. „Setz dich ins Auto, aber schnell!“, rief Köhler nach draußen.
„So ist es brav“, meinte Hinni, als die Autotür zuschlug, und ließ den Gewehrlauf etwas sinken.
Karl ging auf die beiden Männer zu. „Wir wissen, was ihr bei Lars gemacht habt. Uns könnt ihr nicht drohen. Wir jagen euch vom Hof wie zwei räudige Hunde. Wenn ich ihn“, er deutete zum Auto, „oder einen von euch hier noch mal sehe, gibt es eine Ladung Schrot, von der ihr lange etwas habt. Ist das angekommen?“
Köhler senkte die Arme und sah Karl drohend an. „Das wirst du bereuen, du alter Bauernarsch, das wirst du bereuen! Wir haben noch immer alles bekommen, was wir wollten. Und wenn Direktor Jannssen seinen ‚Pitbull‘ losschickt, beißt er. Und dich wird er auch beißen oder deinen Scheißbruder hier!“ Er deutete auf Hinni, der noch immer das Gewehr im Anschlag hatte. „Oder euch beide, ich verspreche es dir. Übrigens, ab sofort ist die Zeit der Angebote vorbei.“ Er deutete auf die Waffe. „Das können wir auch.“
Köhler drehte sich um, schlug seinem noch immer zitternden Kollegen gegen den Kopf und meinte kurz: „Komm endlich, oder hast du dir in die Hose gemacht?“
Ohne sich noch einmal umzudrehen stiegen die beiden in das Fahrzeug und der bullige Fahrer fuhr mit quietschenden Reifen vom Hof.
Drei Tage später hatten die Feuerwehren vom Bezirk Wittmund und Umgebung einen Brand zu löschen. Die steife Brise, die an diesem Tag herrschte, fachte das Feuer immer wieder an. Eine Brandwache musste die ganze Nacht dafür sorgen, dass Glutnester gelöscht wurden. Erst am nächsten Tag konnten sich die Brandermittler einen Überblick verschaffen. Das Elternhaus von Hinni und Karl Harms war nur noch eine verkohlte Ruine.
CIRCA EIN JAHR SPÄTER (2013). DER PLAN.DONNERSTAGVORMITTAG
Jan Jannssen, Direktor der Wilhelmshavener Tourist-Immo-Invest-Bank, tobte:
„Seit zwei Jahren arbeiten wir nun an diesem Projekt. Meine Partner in Düsseldorf wollen es und ich will es. Unsere Investoren werden langsam nervös. Aber was tun Sie? Nichts, als sich Ihre Hinterteile in meinen teuren Ledersesseln breit sitzen. Hier geht es um Millionen, meine Herren, und ich lasse mir dieses Projekt weder von irgendwelchen sturen ostfriesischen Bauerntölpeln noch von euch unfähigen Idioten kaputtmachen. Wie kann es sein, dass keiner von euch überbezahlten Schwachköpfen“ – er fuhr mit einer weit ausholenden Geste über den Konferenztisch – „in der Lage ist, mir diese beiden Grundstücke zu beschaffen? Fast 400 000 Quadratmeter freies Land gehören bereits uns. Uns! Warum seid ihr Schwachköpfe nicht in der Lage, den Rest zu liefern?“
Auf seiner Stirn, die nahtlos in einen dicken kahlen Schädel überging, hatten sich dicke Schweißperlen gebildet. „Einzig die Verbindung zum Wasser fehlt, und ausgerechnet dort liegen diese Grundstücke, dieses verdammte Ackerland und die alte vergammelte Ruine!“, tobte er mit hochrotem Kopf weiter. „Genau dort, an der einzigen Stelle, an der eine Verbindung zu fließendem Wasser möglich ist. Mit diesem Projekt könnte ich unserem Haus ein Denkmal setzen! Wie soll ich es verwirklichen, wenn ich keinen Zugang zum Wasser habe? Wie können die geplanten Wasserwege und Kanäle umgesetzt werden, wenn nicht über diesen Weg? Die Nordsee können wir wohl kaum anzapfen! Ich brauche diesen Zugang!“
Sein Gesicht hatte die Farbe eines frisch gebrühten Hummers angenommen. „So soll es aussehen, so.“ Er schlug mit seinem Zeigestock immer wieder auf den Tisch in der Mitte des Konferenzraumes. Hier lag ein überdimensionaler, architektonischer Plan, auf dem Häuser, Wege und kleine Wasserstraßen eingezeichnet waren.
Die vierzehn Männer in dem imposanten Konferenzraum, durchweg Immobilienverkäufer und Manager der Tourist-Immo-Invest-Bank blickten betreten ins Leere. Bloß keinen Blickkontakt zum Alten, wenn dieser tobte. Das war gefährlich. Dann suchte er sich nämlich einen heraus, an dem er seinen Frust auslebte. So kam es dann auch.
„Jojo, Sie machen das.“ Er deutete mit seinem Zeigestock auf einen smarten jungen Mann, Johannes de Vries, der erfolglos versuchte, sich unsichtbar zu machen. Aber es half nichts. Jannssen funkelte ihn an, dass es Jojo eiskalt über den Rücken lief. „Ich will, dass Sie die beiden alten Bauern auftreiben. Ich erwarte zwei unterschriebene Verträge, das kann ja wohl so schwer nicht sein. Es handelt sich doch nur noch um Ackerland. Das alte Haus ist abgebrannt. Wer, außer mir, kann also damit etwas anfangen? Ich erwarte nur positive Nachrichten“, wetterte er weiter. „Sie haben acht Tage Zeit. Beschaffen Sie mir dieses Land, koste es was es wolle – egal, was Sie tun, aber tun Sie etwas und zwar schnell. Ich sehe Sie in einer Stunde in meinem Büro, dann will ich Vorschläge hören und die müssen sehr gut sein. Meine Herren, die Sitzung ist beendet.“ Er schmetterte seinen Zeigestock auf den Tisch und verließ mit großen Schritten den Raum. Inka Petersen, seine Sekretärin, hatte große Schwierigkeiten ihm zu folgen.
Während des Wutausbruches des Direktors hatten alle still in ihren großen Lederstühlen gesessen. Fast hatte es den Anschein gehabt, als sei ein jeder noch etwas tiefer in seinen weichen Sitz gerutscht. Keiner hatte einen Blick für das sagenhafte Panorama des Südstrandes von Wilhelmshaven übrig, keiner interessierte sich für den fantastischen Ausblick auf die Nordsee.
Allerdings kam jetzt, da der Alte den Raum verlassen hatte, wieder Leben in die Runde. Warum hatte es ausgerechnet Jojo getroffen? Alle anderen Mitarbeiter waren skrupellos und profitorientiert genug für diesen Auftrag, bereit, für ihren Job und die Provision alles zu tun. Aber Jojo? Manch einer vermutete einen Grund, doch keiner wagte es, ihn auszusprechen. Alle waren sie froh, dass der Kelch an ihnen vorübergegangen war. Bis auf Jojo natürlich. Behäbig standen sie auf und blickten zum Teil mitleidsvoll, zum Teil aber auch schadenfroh auf ihren Kollegen. Hatten sie sich bisher nicht alle die Zähne an diesem Auftrag ausgebissen? Sie gingen an ihm vorbei durch die breite Tür des Konferenzraumes, mancher mit gesenktem Blick, der eine oder andere klopfte Jojo aufmunternd auf die Schulter.
Keiner sagte etwas, nur Bernd Köhler, der als letzter ging, flüsterte im Vorrübergehen leise, sodass nur Jojo es hören konnte: „Jojo, vergiss es, daran beißt du dir die Zähne aus. Die alten Kerle sind stur. Geld wollen sie nicht, und Henrys Feuerzeug hat auch nicht …“
Da drehte Jojo sich um, holte aus und schlug dem Flüsterer mit der geballten Faust mitten auf die Nase. Köhler ging zu Boden, rappelte sich aber schnell wieder auf. Mit der einen Hand hielt er seine blutende Nase, die andere erhob er mit drohender Faust und keuchte: „Das hast du nicht umsonst gemacht, du Loser. Wenn der Alte dich nicht fertigmacht, dann tue ich es, das schwöre ich dir.“ Er suchte in seiner Hosentasche nach einem Taschentuch, das er sich auf die blutende Nase drücken konnte, und verließ fluchend den Raum.
Jojo wunderte sich über sich selbst. Er war kein gewalttätiger Mensch. Aber diesen Bernd konnte er einfach nicht leiden. Außerdem provozierte der ihn schon seit Wochen, machte blöde Bemerkungen über Heike und schnappte ihm immer wieder auf sehr unfaire Weise so manchen Deal vor der Nase weg. Die Andeutung mit dem Feuerzeug hatte ihn in Rage gebracht. Das hatte er nun davon. Innerlich musste Jojo lachen. Hat ganz schön blöd geschaut, der Arsch. Hoffentlich war die Nase gebrochen. Geschähe ihm recht.
Er ging in die Kaffeeküche und drückte auf den Cappuccino-Knopf bei der monströsen Kaffeemaschine, blickte sich sorgsam um und holte aus seiner Brusttasche einen silbernen Flachmann. Rasch goss er einen großen Schluck daraus in die Tasse und steckte das gute Stück wieder weg. Heike hatte es ihm vor ein paar Jahren zu Weihnachten geschenkt. Eigentlich, um es in die Vitrine zu stellen, denn es war ein altes Erbstück aus ihrer Familie, das sie von ihrem Vater, dem alten und schwerreichen Adrian Hoffmann, bekommen hatte. Aber Jojo fand es sehr praktisch, dass der Flachmann ganz wunderbar und ohne aufzutragen in die Brusttasche seines Sakkos passte. Er trug ihn fast immer bei sich. Seit er hier bei der Immo-Invest arbeitete, verging kein Tag ohne dieses kleine Beruhigungsmittel, seine „Hoffmannstropfen“, wie er den Inhalt des Fläschchens spöttisch nannte. Er nahm seine Tasse und stellte sich etwas abseits an einen der Bistrotische.
Was sollte er nur dem Alten sagen, fragte er sich. Er und auch einige seiner Kollegen hatten schon alles versucht, doch die Besitzer dieser beiden Grundstücke waren stur. Irgendwie aber auch verständlich. Selbst Bernd Köhlers rabiate Methoden zogen bei ihnen nicht. Seit das alte Haus abgebrannt war, waren die beiden zudem wie vom Erdboden verschluckt. Keiner wusste, wo sie sich aufhielten, keiner hatte mehr Kontakt zu den beiden Bauern gehabt. Einer von der beiden hatte einen Hof in einem kleinen Ort hinter Wittmund, aber der war seit knapp einem Jahr verpachtet. Die beiden Brüder hatten ihren Wohnsitz in einem kleinen Nebengebäude des Hofes angemeldet, wo sie allerdings nie anzutreffen waren. Die neuen Pächter wussten angeblich nichts vom Verbleib der beiden. Das so umworbene Ackerland in Küstennähe war inzwischen auch komplett verpachtet. Die beiden Brüder hatten alles geregelt und waren verschwunden.
Jojo konnte es nachvollziehen, dass man sein Land, Haus und Hof nicht so einfach verkaufte. Er besaß selbst ein kleines altes Haus im Westen von Carolinensiel, geerbt von seiner Großtante, an dem sein Herz hing und von dem er sich niemals trennen würde. Eine ganze Weile hatte er in diesem Haus gelebt, bis er Heike kennengelernt und geheiratet hatte. Nun stand das Haus mehr oder weniger leer, er benutzte es nur manchmal als Rückzugsort und Ruhepol, wenn ihm alles über den Kopf wuchs und er seine Ruhe brauchte. Oder wenn ihm die kalte Pracht in Heikes Anwesen zu viel wurde. Nur wenige Menschen wussten davon.
Das Projekt, das der Alte da vorhatte, war in Jojos Augen mehr als fragwürdig. Wer brauchte es? Als gebürtiger Ostfriese kämpfte er schwer mit sich, alle diese Projekte, die von den Maklern, Banken und Investoren immer wieder auf den Tisch gelegt wurden, umzusetzen. Er stammte aus sehr einfachen Verhältnissen. Sein Vater war früher als Fischer hinausgefahren, seine Mutter saß an der Kasse in Scheidemanns Supermarkt und vermietete in ihrem Haus eine kleine Ferienwohnung. Thorsten, sein jüngerer Bruder, arbeitete in Wittmund bei der Polizei. Die ortsgebundene Familie, vor allem seine Mutter, hätte kein Verständnis für seine Arbeit gehabt. Dass er damals die extravagante und reiche Heike Hoffmann geheiratet hatte, konnten sie alle ebenfalls nicht verstehen. Gut, dass sie nicht wirklich wissen, was ich hier tun muss, sagte Jojo sich häufig. Sein Bruder ahnte es wohl, denn er hatte den Kontakt zu ihm schon vor längerer Zeit abgebrochen.
Nun ging es um ein Areal von fast 400 000 Quadratmeter mit Hotels und Bettenburgen für mehr als 2000 Menschen. Es waren Kanäle und Grachten geplant, die sich durch dieses Gebiet zogen und in die Harle führten, beziehungsweise von deren Wasser gespeist wurden. Letztlich sollte das ganze Projekt als Touristenattraktion dienen. War das sinnvoll für diesen kleinen idyllischen Küstenort? Gab es überhaupt Bedarf dafür? Einige Wochen im Sommer eventuell, aber davor oder danach, außerhalb der Hauptsaison? Und erst im Winter? Schon jetzt schien der Ort ausgelastet, denn mehr Touristen konnte er schwerlich versorgen. Und warum auch? Es hatten sich schon Bürgerinitiativen gegen das geplante Objekt gebildet und in den sozialen Netzwerken wurden immer mehr ablehnende Stimmen laut. Interessant und für Jojo erfreulich war, dass sich viele junge Menschen gegen das Objekt stellten und eher nach bezahlbarem Wohnraum für Einheimische verlangten. Sie wollten außerdem die Idylle ihres Küstenortes bewahren. Wo sollten weitere 2000 Menschen hin? Weder die Straßenverhältnisse noch die Infrastruktur gaben es her. Auch der Strand würde die Masse an Urlaubern gar nicht fassen können. Hier könnte man viel Sinnvolleres tun: Erneuerung des Strandes, Grünanlagen und neue Häuser entlang der Harle oder auch Hausboote konnte er sich vorstellen.
Mit der neuen Cliner Quelle, die in den nächsten Tagen eröffnet werden sollte, hatte man schon einen sehr guten Anfang gemacht. Von Häusern auf Stelzen, die halb in die Harle gebaut waren, war einmal die Rede gewesen. Hier hatten zwar diverse Umweltverbände Bedenken gehabt und ihre Zweifel angemeldet, jedoch hätten sie eher in das Bild des idyllischen Küstenortes gepasst.
Sylter Verhältnisse waren hier nicht gefragt. Was sollte solch ein monströses Bauvorhaben? Warum beschränkte man sich im Ort nicht auf Erneuerung und Modernisierung im verträglichen Rahmen? Klar, müsste investiert werden, aber diese Dimensionen, in denen die Investoren dachten, passten einfach nicht.
Den Geldgebern, die aus ganz Deutschland kamen, war das gleichgültig. Ihnen ging es darum, Geld zu investieren und zwar so, dass es reiche Ernte brachte – wenn nicht über Rendite, dann über steuerliche Abschreibung. Ob das bebaute Areal dann irgendwann als tote Wüste endete, scherte sie nicht. So etwas passierte vielerorts immer wieder. An einigen war er, Jojo, beteiligt gewesen – leider, sagte er sich.
Auch Jan Jannssen war das egal. Er wollte dieses Projekt, koste es was es wolle. Dafür mussten eben Ansässige weichen. Jannssen ging über Leichen, das war Jojo klar.
Wenn die Leute nicht verkaufen wollten, konnte man sie doch nicht zwingen, oder? Aber das konnte er dem Chef nicht beibringen, das wollte der nicht hören. Er wollte die Grundstücke, und das schnellstens. Legal geht gar nichts, überlegte er weiter und war sich sicher, dass bei dem Brand des alten Bauernhauses ein gewisser Henry, ein skrupelloser Laufbursche des Alten, seine Finger im Spiel gehabt hatte. Hatte Bernd Köhler nicht gerade so etwas angedeutet? Nein, legal geht nichts.
Es widerstrebte Jojo zwar gewaltig, aber er wusste, es gab da Mittel und Wege, ein solch zweifelhaftes Projekt zu verwirklichen. In einer anderen Gemeinde an der Küste hatten sie etwas Ähnliches auch geschafft. Er war damals für eine Investorengruppe tätig gewesen, die unbedingt ein küstennahes Projekt namens „Blaue Lagune“ umsetzen wollte. Auch dort war ein Anwohner, ein betagter Landwirt, nicht bereit, das Feld für ein Großprojekt zu räumen. Jojo und sein damaliger Kollege hatten die zuständigen Stellen mit ein wenig „Beihilfe“ davon überzeugt, dass der alte Mann dement und unbeholfen sei. Für die passenden Pannen im und um das Haus hatte dieser Henry gesorgt, ein ganz übler Geselle. Nach drei Monaten wurde der alte Besitzer in ein Pflegeheim eingewiesen und der Sohn war, aufgrund der hohen Pflegekosten gerne bereit, Haus und Grundstück zu verkaufen. Bingo, das war’s.
So oder so ähnlich müsste es hier doch auch klappen. Allerdings drehte es sich um zwei Grundstücke und zwei Besitzer, da war es nicht so einfach. Zweimal dement und Pflegeheim, das könnte auffallen. Nein, das wollte er auch nicht, er musste sich etwas anderes einfallen lassen. Außerdem musste man die beiden Brüder erst einmal auftreiben. Das haben die ganz clever gemacht, dachte Jojo, sind einfach abgetaucht. Vielleicht auf Weltreise? Oder vielleicht besuchen sie Verwandte irgendwo, möglicherweise in Amerika? Nein, er vermutete sie eher hier irgendwo in der Nähe. Zwei so alteingesessene Ostfriesen konnten nicht lange fern der Heimat leben.
Die „Blaue Lagune“ war mittlerweile übrigens zu einem Schandfleck verkommen, aber das interessierte niemanden.
Als erstes musste ihm der Alte einen größeren finanziellen Spielraum geben, überlegte Jojo. Zusätzlich zum Grundstückspreis benötigte er wieder eine gewisse Summe als „Beihilfe“ für die entsprechenden Stellen, falls nötig. Die musste diesmal aber gewaltig höher sein, denn monetäre Überzeugungsarbeit war nicht ungefährlich, und für ihn musste dabei auch noch etwas abfallen. Der übliche Bonus reichte hier nicht aus, das musste er Jannssen als erstes klar machen. Dann konnte er Heike endlich verlassen und mit Bella … Jojo träumte ein wenig vor sich hin und mahnte sich kurze Zeit später zur Vernunft. Er musste das ganz vorsichtig angehen, der Alte und Heikes Vater waren nämlich dicke Freunde, da durfte nichts bekannt werden, sonst wäre er weg vom Fenster.
Es war kurz vor elf Uhr, die Stunde fast um. Er stellte seine Tasse ab, nahm ein Pfefferminz aus der Bonbonschale auf dem Tisch und richtete sich auf. Jetzt mit starken Schultern zum Chef und mit fester Stimme überzeugen, sprach er sich selbst Mut zu. Gleichwohl wusste er, dass das nicht leicht war. Wenn man dem alten Jannssen gegenüberstand, fühlte man sich sofort wie ein winziges Mäuschen, der hatte so eine Art …
Mit festem Schritt marschierte er durch den langen Gang auf das Vorzimmer seines Chefs zu. Die Tür von Inka Petersen, der Sekretärin, stand offen. Er warf ihr nur ein „Moin“ zu und klopfte an die Tür des Direktors. Als er keine Antwort bekam, schaute er unsicher zu Inka, die ihm mit einer ungeduldigen Handbewegung und hochgezogenen Augenbrauen bedeutete, doch hineinzugehen.
Als Jojo das Büro des Direktors betrat, saß dieser mit dem Rücken zur Tür hinter seinem Schreibtisch und schaute aus dem riesigen Fenster auf die Nordsee. Der Ausblick war wirklich phänomenal, aber er bezweifelte sehr stark, dass das dem Alten überhaupt auffiel.
Jojo war schon einige Male hier gewesen und doch immer wieder von Neuem beeindruckt. Der Raum hatte sicher 120 Quadratmeter und war nur spärlich, aber sehr edel eingerichtet. Der gläserne Schreibtisch war locker zwei mal drei Meter groß, rechts erstreckte sich eine teure hölzerne Schrankwand mit Tür, hinter der sich noch ein weiterer Raum befand. Eine Konferenz-Sitzgruppe aus grauem Elefantenleder nahm die linke Hälfte des Raumes ein.
Jannssen fragte nur: „Und? Welchen Vorschlag haben Sie mir zu machen?“
Jojo nahm die Schultern zurück, streckte schildkrötenhaft den Kopf etwas aus dem Hals und versuchte, seiner Stimme einen festen Klang zu geben. Attacke, überlegte er, Frechheit siegt. „Wenn Sie sich umdrehen, Herr Direktor, können wir reden.“
„Was fällt Ihnen ein, Sie …“ Der Alte drehte sich mit Schwung in seinem tiefen Ledersessel um, hob die Hand und zeigte drohend mit dem Zeigefinger auf Jojo, ließ sie dann aber wieder fallen, grinste und meinte: „Respekt, in welchem Selbstfindungskurs haben Sie das denn gelernt?“
Jojo nahm allen Mut zusammen und fragte: „Wollen wir über Selbstfindungskurse diskutieren oder wollen Sie meinen Vorschlag hören?“
Der Direktor verzog spöttisch den Mund, zeigte aber gleichzeitig auf den Sessel vor seinem Schreibtisch und deutete Jojo an, dort Platz zu nehmen. Er griff zum Telefon und bestellte bei seiner Sekretärin zwei Espresso. Oh, das hatte es auch noch nicht gegeben, wunderte sich Jojo und nahm Platz. Habe ich etwa die richtige Strategie an den Tag gelegt?
Während sie auf den Kaffee warteten, sprach Jannssen kein Wort. Er fixierte Jojo mit unbewegter Miene, aber spöttischen Augen und machte ihn damit schon wieder unsicher. Bloß nicht kleinkriegen lassen, sagte er sich.
Der Kragen seines Hemdes wurde immer enger und die Krawatte drückte ihm schier die Luft ab. Die Spannung wurde unterbrochen, als die Sekretärin die bestellten Espresso brachte. Sie stellte das Tablett ab, warf einen mitleidigen Seitenblick auf Jojo, verließ das Büro und schloss die schwere Tür hinter sich. Draußen wartete schon Bernd Köhler auf sie.
„Und, Inka?“, flüsterte er erwartungsvoll. „Hast du etwas mitbekommen?“
„Wie denn? Die haben kein Wort gesprochen. Das ist die Strategie des Alten, er macht das immer so, das kennst du doch auch. Schweigend, sein Gegenüber am ausgestreckten Arm verhungern lassen und dann zuschlagen, darin ist er Meister. Warum interessiert dich das denn eigentlich? Sei froh, dass er dich nicht ausgesucht hat.“
„Mich doch nicht. Der weiß, was er an mir hat.
„Von wegen“, lachte sie auf, „du hast das mit den fehlenden Grundstücken schließlich auch nicht auf die Reihe bekommen.“
„Lass mal, ich habe einen Spezialauftrag bekommen. Wenn du willst, könnte ich dir heute Abend davon erzählen.“ Er legte seinen Arm um sie, setzte sich halb auf ihren Schreibtisch und deutete auf die Telefonanlage: „Kannst du nicht hier über deine …“
„Bist du verrückt, Bernd? Das kann ich nicht machen. Wenn er mich erwischt, fliege ich, dieses Risiko gehe ich nicht ein, und für dich schon gar nicht.“ Sie schob seinen Arm grob von ihrer Schulter.
Köhler grinste: „Als wenn du das nicht schon des Öfteren getan hättest.“
„Ich glaube, es ist besser, wenn du jetzt gehst.“ Sie kniff die Augen gefährlich eng zusammen und deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger zur Tür. „Verschwinde und mach die Tür hinter dir zu, ich habe zu tun.“
Kaum hatte er das Büro verlassen, drückte sie auf einen der Knöpfe der Telefonanlage und hörte die durchdringende Stimme ihres Chefs. Als sie den Kopf hob, sah sie Bernd Köhler grinsend in der Tür stehen. „Wusste ich’s doch, du falsches Luder.“
Erschrocken ließ sie den Lautsprecherknopf los und schrie: „Raus, Scheißkerl!“ Sie musste vorsichtiger sein, überlegte sie, viel vorsichtiger. Der Kerl konnte ihr gefährlich werden. Das durfte nicht passieren, wenn sie ihr Ziel erreichen wollte. Vielleicht sollte sie sich wirklich für kurze Zeit auf ihn einlassen, nur um ihn abzulenken. Der Schreck saß ihr jetzt doch so heftig in den Gliedern, dass sie nicht mehr wagte, weiter zu lauschen. Nun, spätestens wenn etwas Schriftliches vereinbart wurde, erführe sie es ja sowieso.
Kaum hatte sie sich wieder ihren Schreibarbeiten zugewandt, hörte sie aus dem Büro ihres Chefs laute Stimmen und Geschrei, Wortfetzen wie: „Verrückt …, Erpressung …, nicht mit …, bereuen …, Finger von meiner …, ich warne Sie …, nicht wagen …“ Jetzt schlachtet er den armen Kerl, dachte Inka Petersen. Na, ihr konnte es egal sein. Hier hatte jeder einzelne sogenannte Manager Dreck am Stecken, einer wie der andere. Alles eine Schweinebande. Sie konnte ein Lied davon singen, ein trauriges Lied. Allen voran der Alte, dieser gierige, rücksichtslose alte Sack. Erinnerungen und unbändige Wut kamen in ihr hoch und Tränen schossen ihr in die Augen. Auch wenn dieser Jojo noch einer von der harmloseren Sorte war und an der größten Schweinerei des Alten, wie sie es sah, nicht beteiligt gewesen war, wirklich leid tat er ihr nicht.
Sie nahm den Telefonhörer auf und wählte die Büronummer von Bernd. Mit zuckersüßer Stimme verabredete sie sich mit ihm zu einem Treffen und versprach, ihm dabei genau zu erzählen, was sich im Büro des Alten abgespielt hatte.
Dort war es wieder ruhig geworden. Sie konnte nichts mehr hören, die Lauschtaste wollte sie nun nicht mehr drücken, schließlich konnte die Tür jeden Moment aufgehen. Die Stimmen wurden wieder lauter und die Tür flog tatsächlich auf.
„So nicht!“, schrie Direktor Jannssen, „so nicht! Wer mich über den Tisch ziehen will, muss früher aufstehen, viel früher. Ein solcher Grünschnabel wie Sie, schafft das schon gar nicht, Sie Jungspund. Verschwinden Sie und kommen Sie erst wieder, wenn Sie die Grundstücke haben. Und lassen Sie die Finger von der Politik. Kümmern Sie sich um das Fußvolk, das passt besser zu Ihnen.“
Plötzlich kam er ganz nahe an Jojo heran und flüsterte gefährlich leise: „Noch etwas: Finger weg von Bella, sonst erfährt Ihr Schwiegervater mehr über Sie, als Ihnen lieb ist, haben Sie mich verstanden?“ Ohne Jojos Antwort abzuwarten, wandte Jannssen sich um und zog die Tür mit einem lauten Knall hinter sich zu. An seinem Schreibtisch griff er wütend nach dem Telefonhörer und wählte eine Kurznummer. „Sie muss weg. In spätestens zwei Stunden holst du sie ab, wohin sage ich dir noch“, bellte er in den Apparat und warf den Hörer auf.
Mit hochrotem Kopf marschierte Jojo an der verdutzten Sekretärin vorbei.
„Wow“, rief sie ihm nach, „da müssen Sie ihm aber gewaltig auf die Zehen getreten haben. So viele Worte verschwendet er sonst nicht an Leute, die ihn ärgern. Na, der Kopf ist ja noch dran“, gluckste sie.
Doch Jojo war schon aus der Tür, er wollte nur raus, raus hier. Das sollte er ihm büßen. Das sollten sie ihm büßen, das sollten sie ihm alle büßen. Der Alte, Bernd Köhler und die Schreckschraube im Vorzimmer auch. Wartet nur ab. Er hatte nicht die Geduld, auf den Fahrstuhl zu warten, sondern verließ das Haus über das große offene Treppenhaus. Indem er zwei, manchmal drei Stufen auf einmal nahm, versuchte er sich ein wenig abzureagieren.
Als er vor dem gläsernen Gebäude stand, nahm er sein Handy aus der Tasche, wählte, fauchte ein paar Worte in den Apparat, setzte sich in sein Auto und fuhr mit quietschenden Reifen vom Parkplatz. Der alte Hausmeister, der in der Grünanlage beschäftigt war, schaute ihm kopfschüttelnd nach.
BELLA. DONNERSTAG GEGEN MITTAG
Zwanzig Minuten später traf Jojo vor Bellas Haus im nobelsten Wilhelmshavener Wohnviertel ein, parkte am Straßenrand und fuhr mit dem Fahrstuhl in die Penthouse-Wohnung im vierten Stock. Bella stand mit erwartungsvollem Blick in der Wohnungstür und streckte ihm die Hände entgegen: „Mein Liebling, schön dass du …“ Zu mehr kam sie nicht. Er stieß sie so gewaltig vor die Brust, dass sie nach hinten in die große Diele torkelte. Sie verlor das Gleichgewicht und fiel auf den harten Marmorboden. Er stürmte auf sie zu, zog sie wieder hoch, schlug sie brutal ins Gesicht und schrie immer wieder: „Scheißkerl, Scheißkerl …, ich bring’ ihn um!“
Mit einer Hand packte er Bella am Arm, zerrte sie gewaltsam ins Wohnzimmer und warf sie auf die Couch, mit der anderen Hand riss er ihr das Kleid vom Körper. Ihr war klar, was jetzt kam. Nur nicht wehren, wusste sie, dann ist es schneller vorüber. Nichts fragen, nichts sagen, nicht wehren – wie immer, wenn er von ihm kam. Sie ließ es geschehen, schaltete innerlich ab. Warum tat er das? Warum tat er ihr nur so weh? Immer und immer wieder. Sie musste etwas tun, schoss es ihr durch den Kopf, das konnte so nicht weitergehen … Bella wusste genau, wenn es vorbei war, würde es ihm unendlich leidtun. Was war nur wieder geschehen?
Nach fünf Minuten war der brutale Übergriff vorüber und Jojo lag heulend und wie ein Häufchen Elend neben ihr auf der ausladenden Couch. „Es tut mir leid, bitte entschuldige“, jammerte er. „Ich liebe dich, es tut mir so leid. Der Alte, der Alte ist schuld“, schluchzte er.
Sie strich ihm über den Kopf: „Schon gut, mein Liebling, schon gut, ich liebe dich auch. Ich weiß doch, dass er schuld ist.“ Sie streichelte ihn so lange, bis er sich beruhigt hatte.
Plötzlich sprang er auf. „Ich muss etwas tun, das geht so nicht weiter, das muss endlich ein Ende haben …“
„Was hast du vor? Bitte, bleib, ich muss dir etwas sagen, lass mich bitte nicht alleine. Bitte, Jojo, es geht mir nicht gut, und du musst wissen, dass ich …“, flehte sie ihn an.
„Später, Liebes, später“, unterbrach er sie. „Jetzt habe ich etwas zu erledigen. Bleib liegen und ruhe dich aus. So etwas wird nicht wieder passieren, glaube mir. Ich muss dem endlich ein Ende machen.“ Er nahm sich eine Jeans aus seinem Fach in Bellas Kleiderschrank, schlüpfte hinein, zog ein frisches Shirt über, gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn und strich ihr übers Haar. „Ich muss weg, ich melde mich bei dir.“
„Bitte, Jojo …“
Doch er beachtete sie nicht mehr. Entschlossen hob er seine Autoschlüssel vom Fußboden auf, warf sich die Anzugsjacke über und verließ ohne ein weiteres Wort die Wohnung. Bella hörte, wie die Wohnungstür ins Schloss fiel.
Nach einigen Minuten erhob sie sich vorsichtig und schleppte sich durch die Diele ins Badezimmer. Der ganze Körper tat ihr weh, sie blutete und erschrak, hoffentlich war nicht … Mein Gott, wenn sie es nun verloren hatte … Gerade heute wollte sie ihm sagen, dass sie ein Baby bekommen würden. Hoffentlich hatte sie es durch den brutalen Überfall nicht verloren. Ihr Unterleib schmerzte entsetzlich. Sie setzte sich auf den breiten Badewannenrand und spürte instinktiv, dass es vorbei war. Zum zweiten Mal war er vorbei, der Traum von einem Kind. Sie hatte das Gefühl, als würde ein glühendes Eisen sie innerlich verbrennen, so entsetzlich brutal, so schmerzhaft und doch endgültig.
„Nein!“, schrie sie gequält auf. „Nein, ich will es nicht verlieren. Bitte, bitte nicht. Das ist nicht fair.“ Immer lauter, immer hysterischer jammerte, heulte und schrie sie: „Nein, das ist nicht fair, nein, nein, nein! Das wirst du mir büßen.“ Sie sprang auf, trommelte mit den Fäusten gegen die Wand, schlug ihren Kopf immer wieder gegen die harten Kacheln, bis sie kraftlos, so als hätte alle Energie sie verlassen, wie in Zeitlupe an der Wand herunterglitt und nackt auf dem kalten Boden liegen blieb.
IM FAHRSTUHL. DONNERSTAG GEGEN 13 UHR
Als Bellas Wohnungstür hinter ihm ins Schloss fiel, lehnte Jojo sich kraftlos gegen die Wand. So ging das nicht weiter. Warum nur ließ er all seinen Frust immer wieder an Bella aus? Das hatte sie nicht verdient. Die Wut, die in den letzten Wochen immer wieder in ihm hochkam, hatte ihren Höhepunkt erreicht. Mehr ging nicht, jetzt war Schluss, das war ihm klar. Er musste etwas tun. Es gab nur eine Möglichkeit, wusste er, es gab nur diese eine Möglichkeit, und nun musste er es tun. Koste es was es wolle. Er war bereit. Entschlossen drücke er den Rufknopf des Fahrstuhls. Wenn sich die Tür in den nächsten zehn Sekunden öffnete, würde er es tun, entschied er … Zehn, neun, acht, sieben sechs, fünf … Weiter kam er nicht. Mit einem leisen Summen bremste der Fahrstuhl ab. Es war entschieden, er würde es tun. Leise öffnete sich die Fahrstuhltür; in Jojos Kopf hämmerte es. Er würde den Alten … Doch als er den Fahrstuhl betreten wollte, lief er gegen eine breite Männerbrust. Als er nach oben blickte und das Gesicht erkannte, erschrak er: „Scheiße, Henry, was …“
Im selben Moment hatte er das Gefühl, seine Ohren würden explodieren, und ihm wurde schwarz vor Augen. Jojo sackte zusammen, fiel aber nicht zu Boden, denn zwei sehr kräftige Arme fingen ihn auf, versetzten ihm einen weiteren Schlag gegen den Kopf und zogen ihn tiefer in den Fahrstuhl hinein. Ohnmächtig lehnte er gegen die Fahrstuhlwand, die Beine weit von sich gestreckt. „Zur falschen Zeit am falschen Ort, sorry“, murmelte Henry. „Ich kann keine Zeugen brauchen.“ Er drückte im Fahrstuhl den Knopf für die Tiefgarage.
VORBEI. DONNERSTAG GEGEN 13.30 UHR
Als Bella wieder zu sich kam, wusste sie im ersten Moment nicht, was geschehen war. Ihr war kalt. Sie lag auf den kalten Fliesen des Badezimmers, hob langsam den Kopf und schaute sich um. Das Blut, das an den weißen Fliesen herunterlief, der brennende Schmerz in ihr, ließen die Erinnerung zurückkommen. Es war vorbei, sie würde es verlieren, oh mein Gott, sie würde es verlieren. Sie griff sich an den Kopf, der vor Schmerzen hämmerte, und als sie ihre Hand betrachtete, war auch diese voller Blut. Ihr Blick fiel auf ihre Armbanduhr; seit Jojos Überfall war knapp eine Stunde vergangen.
„Er ist schuld“, flüsterte sie gefährlich ruhig. „Er ist schuld, ich hasse ihn und ich werde ihn töten. Wenn ich es nicht tue, tötet er mich auf seine herrische und brutale Art, so, wie er damit auch Mutter getötet hat. Ich habe keine andere Wahl. Dann ist Jojo auch wieder wie früher, so wie ich ihn kennengelernt habe.“ Sie kroch auf allen Vieren zur Tür und zog sich unter Schmerzen am Türrahmen hoch.
„Jojo“, rief sie zaghaft Richtung Wohnzimmer. „Jojo, komm bitte, ich kann nicht …“
Aber Jojo meldete sich nicht. Natürlich, fiel ihr wieder ein, er war ja gegangen. Was hatte er nur vor? Sie griff vorsichtig nach dem Smartphone auf dem kleinen Flurtisch neben der Badezimmertür, drückte mit zittrigen Fingern eine Taste. Nach kurzem Klingeln meldete sich die Mailbox. „Jojo, wo bist du?“, murmelte sie halb ohnmächtig. „Komm … bitte …gleich …“ Sie brach im Türrahmen wieder zusammen.
Eine gefühlte Ewigkeit später hörte sie, wie sich ein Schlüssel im Schloss ihrer Wohnungstür drehte. „Jojo“, rief sie, „Jojo, bitte hilf mir, ich muss ins Krankenhaus, sonst verliere ich unser Baby.“ Als Bella den Kopf hob, sah sie, dass in der Tür nicht Jojo, sondern ein großer, wuchtiger Mann stand und erschrak heftig. Sie nahm instinktiv die Arme vor den Körper und schaute ihn überrascht und gleichzeitig angstvoll an.
„Henry, du? Was willst du hier? Wieso hast du einen Schlüssel für meine Wohnung?“
Ohne auf ihre Frage einzugehen, stieß er wütend hervor: „Nun zu dir. Pack ein paar Sachen zusammen, du wirst verreisen.“ Er zerrte sie auf die Füße.
„Wie bitte? Was soll das? Ich werde nicht verreisen!“
„Das entscheidest nicht du. Zieh dich an und packe. Ansonsten nehme ich dich so mit.“
„Was soll das? Was willst du?“, rief Bella angstvoll. Sie deutete auf seine Hand. „Hast du Jojos Schlüssel? Was ist mit ihm? Warum hast du gesagt ‚nun zu dir‘? Ich habe es genau gehört! Was hast du getan? Halte dich endlich aus meinem Leben raus!“, schrie sie und ihre Stimme überschlug sich.
„Was passiert, wenn ich mich raushalte, sehe ich.“ Er deutete mit der Hand in das Badezimmer. „Der große Zampano hat mich geschickt. Er bezahlt und sein Wort gilt. Tut mir leid für dich und deinen Stecher, selbst schuld …“
„Nein, er ist schuld, dieser böse alte Scheißkerl ist schuld und sonst niemand. Und du bist sein blöder Laufbursche. Mein Gott, ist das erbärmlich. Lasst mich endlich in Ruhe!“ Sie hob die Hand und wollte nach ihm schlagen. „Du Schwein …!“ Zu mehr reichte ihre Kraft nicht. Sie fiel in sich zusammen und blieb auf dem kühlen Boden liegen.
Henry zuckte mit den Schultern. „Dann eben nicht.“ Er sah sich in der großen Wohnung um und fing an, ein paar Kleidungsstücke aus dem Schrank im Schlafzimmer zusammenzupacken. Wenn sie mich nicht hätten … Ich bin wieder mal der Saubermann für die feinen Herrschaften, dachte er. Er warf einen Blick auf Bella, die noch immer ohnmächtig auf dem Boden lag. „Auch gut, dann sabbelst du mir wenigstens nicht die Ohren voll“, brummte er und begann, die Spuren in der Wohnung zu beseitigen.
IM KOFFERRAUM. DONNERSTAG GEGEN 15.30 UHR
Langsam kam Jojo zu sich und stellte erschrocken fest, dass seine Hände auf dem Rücken gefesselt und sein Mund geknebelt und zugeklebt war. Das Atmen fiel ihm schwer. Seine Füße waren ebenfalls gefesselt, was er zwar nicht sehen konnte, aber er spürte ein festes Band um die Knöchel. Es war dunkel und er befand sich in einem engen Raum. Panisch versuchte er sich zu bewegen, was wegen der Fesseln nur bedingt möglich war. So wand er sich hin und her und versuchte seine Hände zu befreien, zog die Beine an und stieß mit den Knien gegen einen harten, metallischen Deckel über sich. Kofferraum. Das war wohl ein Kofferraum in dem er sich befand. Was sollte das? Was hatte dieser bescheuerte Henry vor? Warum hatte er ihn zusammengeschlagen und hier eingesperrt? Sein Kopf schmerzte. Er zog und zerrte weiter an den Fesseln, konnte sich aber nicht befreien. Der Knebel im Mund gab ihm das Gefühl, gleich ersticken zu müssen. Zunge und Mundhöhle waren ausgetrocknet, schreien war unmöglich. Er musste hier raus, wusste er, dieser Typ war zu allem fähig. Langsam hatten sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt, außerdem war ein ganz schmaler Lichtstreifen rechts über ihm zu erkennen. Er versuchte seine Umgebung zu erkunden, was durch seine beschränkte Bewegungsfreiheit und die Fesseln fast unmöglich war.
Ruhig bleiben, sagte er sich, wenn er überleben wollte, musste er ruhig bleiben. Vielleicht gab es hier ein Werkzeug oder ähnliches, das er greifen und womit er seine Fesseln lösen konnte. Ablenken, nachdenken, ruhig bleiben, sonst würde er durchdrehen. Immer wieder tastete er mit den gefesselten Fingern ins Leere, aber außer einem teppichähnlichen Belag konnte er nichts ertasten. Der Kofferraum, in dem er sich befand, war wohl leer, abgesehen von ihm – dachte er mutlos. Aber es musste sich um ein größeres Auto handeln, da er, als ausgewachsener Mann, gut hineinpasste. Immer wieder versuchte er, die Fesseln an seinen Händen zu lösen. Er riss und zog, bis er aufhören musste, weil seine Schultern höllisch schmerzten. Konnte es sein, dass die Fesseln etwas lockerer geworden waren?
Plötzlich horchte er auf. Schritte waren zu hören. Sollte er sich bemerkbar machen, damit ihn jemand hörte? Oder war es etwa dieser Henry? Egal, er musste es riskieren, er wollte hier raus. So gut es ging, strampelte er in seinem Gefängnis hin und her, schlug abwechselnd mit den Knien, dem Kopf und der rechten Schulter gegen den Kofferraumdeckel. Schreien war wegen des Knebels unmöglich, so gab er nur unartikulierte Laute von sich. Besser als nichts, dachte er. Als sich der Kofferraumdeckel öffnete, konnte er nur schemenhaft erkennen, wer über ihm stand.
Grell trafen ihn das helle Neonlicht und gleichzeitig ein weiterer Schlag. Für Sekundenbruchteile erkannte er noch, dass Henry eine leblose Frau über der linken Schulter trug. Bella, schoss es ihm durch den Kopf, bevor er erneut das Bewusstsein verlor.
Henry schlug den Kofferraumdeckel zu, öffnete die hintere Tür des Wagens und warf die leblose Bella wie eine Puppe auf den Rücksitz. Er nahm sein Handy aus der Brusttasche, wählte eine Nummer und fragte nur: „Ich hab sie. Beide. Nein, das ging nicht anders, er ist mir in die Arme gelaufen und einen Mitwisser kann ich nicht gebrauchen. Wohin soll ich sie bringen?“ Er lauschte auf die Antwort und meinte: „Schwanger?“, er blickte entsetzt auf die Rückbank, „Sören-Klaas-Klinik? Wo ist die denn?“ Er bekam die Adresse und meinte: „Okay, Chef, und was mache ich mit ihm?“ Wieder lauschte er „Klar, ich kümmere mich darum, aber das kostet extra. Ihre beiden kleinen Freunde habe ich auch verschwinden lassen“, antwortete er knapp und warf sein Handy auf den Beifahrersitz.
„Scheiße“, brummte er vor sich hin, „das war nicht vereinbart. Gut, dass ich in der Wohnung schon klar Schiff gemacht habe, das wird eine längere Fahrt.“ Er gab die angegebene Adresse in sein Navi ein und startete den Wagen.
DIE ANKUNFT
Nach einer fast zweistündigen Fahrt kam Henry mit der schlafenden Bella in der Sören-Klaas-Klinik an. Sein Navi hatte ihn über die A28 und die A31 in das Emsland, vorbei an Papenburg, geführt.
Er kannte die Gegend gut, denn vor einigen Jahren war er noch Arbeiter in der Werft in Papenburg gewesen, bis Jan Janssen ihn hier durch Zufall entdeckt und vom Fleck weg für seine ganz speziellen Dienste und Aufträge engagiert hatte. Während der Fahrt hierher hatte er einen weiteren Auftrag erhalten, was bedeutete, dass er nach Erledigung seines jetzigen Auftrags sofort zurück nach Harlesiel musste. Seine saubere Arbeit und vor allem seine Verschwiegenheit hatten sich in den Kreisen des Alten herumgesprochen und so wurde er weiterempfohlen. Es war nicht zu fassen, wie viel Dreck sich in den feinen Kreisel sammelte, den er dann beseitigen musste.
Den kleinen Ort, in dem sich die Klinik befand, kannte er nicht, aber auf sein Navi war Verlass. So gelangte er schließlich zu einem sehr eleganten Gebäude. Nobel, dachte er mit Blick auf das Haus, sehr elegant und teuer.
Ein Blick auf die Rückbank ließ ihn erkennen, dass Bella noch immer fest schlief. Während einer kurzen Pause auf einem Parkplatz hatte er vorsichtshalber ein Schlafmittel in Mineralwasser aufgelöst und der benommenen Bella zu trinken gegeben, weswegen sie noch immer schlief. Um Jojo wollte er sich später kümmern. Er stieg aus, öffnete die Wagentür und hob die schlafende Bella auf seine Arme. Als er sich über den weißen Kiesweg in Richtung des Hauses bewegte, wurde die Eingangspforte geöffnet und zwei in Weiß gekleidete Männer sowie eine junge Frau in Schwesterntracht kamen ihnen entgegen. Man hatte sie wohl schon erwartet. Der Alte hatte das süße Töchterlein also angemeldet, dachte Henry.
Einer der Männer nahm ihm Bella aus den Armen und trug sie zum Haus, der andere steckte ihm einen Umschlag zu und bedeutete ihm wortlos, wieder zu fahren. Die junge Krankenschwester lief, den Puls der Schlafenden prüfend, neben Bella und ihrem Kollegen her. Henry ging zu seinem Auto und als er sich nochmals umdrehte, sah er, dass der Überbringer des Umschlages noch immer breitbeinig und mit verschränkten Armen an seinem Platz stand, um sicherzugehen, dass Henry das Gelände auch wirklich verließ.