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Im Sielhafenmuseum „Groot Hus“ in Carolinensiel wird die Leiche eines Mannes gefunden. Doch die Kommissare Tomke Evers und Hajo Mertens stehen vor einem Rätsel. Sie finden mysteriöse Blutspuren, die nicht zu dem Toten gehören. Außerdem ist eine wertvolle Bibel verschwunden. Zwei junge Ausreißer, die sich in der Tatnacht im Museum versteckt haben, gelangen in den Fokus der Ermittlungen. Was haben sie beobachtet? Sind sie selbst in den Fall verwickelt? Als später eine Frau vergiftet wird und geheimnisvolle Dinge aus der Vergangenheit zutage treten, wird der ganze Fall immer undurchsichtiger. Das LKA schaltet sich ein. Erst allmählich kristallisiert sich heraus, dass die historische Heilige Schrift der Ursprung des Verbrechens sein muss.
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Seitenzahl: 416
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Titelseite
Impressum
Über die Autorin
Was mir wichtig ist!
Ärger im Paradies
Nachts im Museum
Zu Hause bei Benny
Zurück im Museum
Am nächsten Morgen
Auf dem Kommissariat in Wittmund
Nachts zuvor in der Kajüte
Die Ermittlungen im Museum
Dirk und Benny – Am Morgen danach
In der Nacht zuvor beim Schlachter
Die Ermittlungen gehen weiter, gleicher Tag
Marie ist weg
Carsten landet in Harle
Beim Schlachter
Die Nachricht
Jan Becker sucht die Jungs
Benny auf dem Weg zurück zu Dirk
Jan Becker auf dem Weg nach Hause
Benny und Dirk auf dem Weg nach Hause
Die Forderung
Kommt Marie zurück?
Am nächsten Morgen
Marie
Der Koffer
Morgens, auf dem Kommissariat in Wittmund
Michaela und Marie auf dem Heimweg
Unter dem schwimmenden Weihnachtsbaum
Auf dem Polizeipräsidium in Wittmund
Michaela und Marie
Vor und nach der Schule
Auf dem Kommissariat
Auf dem Hof von Jan Becker
Hof Becker
Knippkuchen und Cola
Wat mut, dat mut!
Die Patientin
Die Verfolger
Brumm, der Bär, und Quak, die Ente
Auf nach Spiekeroog
Auf der Fähre zurück nach Carolinensiel
Auf dem Revier in Wittmund
In der Wohnung von Rieke Gärtner
Wo sind die Jungs?
Teambesprechung
Benny und Dirk in ihrem Versteck
Die Teambesprechung geht weiter
Kleine Kinder, kleine Sorgen, große Kinder ...
Nachts in ihrem Versteck auf dem Schiff
Feierabend, Tacos und ein unangenehmes Telefongespräch
Am nächsten Morgen
Morgens auf dem Schiff
Nach dem Frühstück
Weiteres Verhör Becker
Zu Hause bei Benny
Auf dem Revier in Wittmund war die Aufregung groß
Am nächsten Morgen
Benny sucht die Lösung
Es kam noch schlimmer!
Michaela kommt heim
Im Büro
Mit den Frankfurtern und dem LKA
Geständnisse?
Weihnachten
Und nun?
Rezept: Carstens mörderisch guter „Handkäs mit Musik“
Rezept: Oma Jettchens ostfriesische Knippkuchen
Marie’s geliebte
Gaby Kaden
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im
Internet abrufbar über http://dnb.ddb.de
© 2015 CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hameln
www.niemeyer-buch.de
Alle Rechte vorbehalten
Der Umschlag verwendet Motive von shutterstock.com.
Underwater ... Ase 2015, Old Bible Sorin Popa 2015
Druck und Bindung: Nørhaven
eISBN 978-3-8271-9886-0
EPub Produktion durch ANSENSO Publishing www.ansensopublishing.de
Die Geschehnisse, sämtliche Handlungen und Charaktere sind frei erfunden.
Über die Autorin:
Gaby Kaden lebte über 50 Jahre in Hessen, hat einen erwachsenen Sohn und zog 2011 mit ihrem Mann an die Nordsee, nach Carolinensiel. „Veränderungen sind wichtig, nur sie bringen mich weiter, machen mich offen. Stillstand ist Rückschritt“, sagt sie. In der alten Heimat arbeitete sie im kaufmännischen Bereich, war Betriebsrätin, Schiedsfrau und folgte zusätzlich ihrer Berufung, der spirituellen Arbeit mit Menschen. Nach Kurzgeschichten und Meditationen veröffentlichte sie 2010 ihr erstes Buch „Schluss mit Angst und Panik“.
Obwohl schriftstellerische „Spätzünderin“, hat sie mit ihren beiden Küstenkrimis „Die Tote im Siel“ und „Küsten Haie“ schnell auf sich aufmerksam gemacht. Sie sammelt wahre, dem Volk vom Munde abgeschaute Geschichten, die mit Erfundenem, Humor und ein wenig „Lokalkolorit“ verschmelzen.
Gaby Kaden ist ehrenamtlich im „Deutschen Sielhafenmuseum“ in Carolinensiel tätig und seit 2015 Mitglied im „SYNDIKAT“. Mehr über Gaby Kaden unter: www.gaby-kaden.de
Bleib du selbst, stehe zu dir, lass dich nicht verbiegen.
Auch wenn ich Kriminalromane schreibe, die Sehnsucht nach Liebe, Frieden und Harmonie überwiegt!
Dass ich einen dritten Kriminalroman schreiben durfte, habe ich Ihnen/Euch, meinen Leserinnen und Lesern, zu verdanken. Dafür vorab ein dickes Dankeschön. Danke für ganz viel Feedback, auf welchem Weg auch immer.
Und es gilt noch mehr „Danke“ zu sagen.
Danke, dass ich in diesem Kriminalroman das „Deutsche Sielhafenmuseum in Carolinensiel“ als Ort der Tat nehmen und erwähnen durfte.
Danke auch denjenigen, die mir erlaubt haben, sie mit ihrem wirklichen Namen zu nennen:
Jürgen Wolff mit zwei „ff“, dem Seewolf,
Gesche und Thomas von der Insel Spiekeroog,
Achim, dem Skipper der „Hoop op Zegen“,
Ilka und Enrique.
Danke an:
Werner, Sascha und Sandra dafür, dass es euch gibt, Tomke Janssen für die Hilfe bei den plattdeutschen Sätzen, Wolfgang Straub für die Fotos, Irina, die immer wieder unerbittlich darauf achtet, dass ich ermittlungs- und kriminaltechnisch korrekt arbeite sowie Kerstin für kritische Einwände.
Danke auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des CW Niemeyer Verlages für ihre Hilfe und Unterstützung, besonderen Dank an Carsten Holzendorff für sein Vertrauen, Carsten Riethmüller für die Covergestaltung, Brigitte Pacholeck für das Lektorat und ihre Geduld und Rebecca Frankowitz für die Herstellungsbetreuung.
Ohne EUCH wäre alles NICHTS!
Danke aber auch für die Steine, die mir ab und an in den Weg gelegt werden, sie zu überwinden macht mich stark.
Danke Ostfriesland, dass ich hier leben darf!
Und natürlich möchte ich erwähnen, dass alles in diesem Buch frei erfunden und ausschließlich meiner Fantasie entsprungen ist. Alles andere wäre Zufall!
„Oma, so geht das nicht! Ihr müsst mit euren Aktionen aufhören, sonst bekommt ihr riesigen Ärger. Was heißt bekommt, ihr habt ihn ja schon. Das ist kein Spaß mehr. Wenn es euch egal ist, dann denkt wenigstens an mich. Ich sitze auf dem Kommissariat in Wittmund und bekomme alles ab.“
Tomke Evers saß mit ihren beiden einzigen Verwandten, Oma Jettchen und Tant’ Fienchen am Küchentisch. Der alte Küchenofen bollerte, auf dem Tisch stand eine Kanne mit schwarzem Tee.
Oma und Tant‘ Fienchen hatten hochrote Köpfe; Tomke war der Verzweiflung nahe. Sie wusste einfach nicht mehr, wie sie den beiden störrischen alten Frauen beibringen sollte, dass ihre Aktionen so einfach nicht gingen.
Ihre letzten Aktivitäten hatten den beiden zwei Anzeigen beschert, die vor Gericht endeten.
„Ach, du schnackst von Spaß, Tomke? Nee, is dat moi. Soll ich der Frau Kommissarin einmal erzählen, was uns keinen Spaß macht?“
„Hauptkommissarin, wenn schon.“
„Schnack nich! Zum Beispiel, wenn hier die Autos durchrasen, die Lkws sich gegenseitig überholen und überbreite Traktoren, groß wie Hochhäuser und so breit, dass sie fast beide Straßenseiten benötigen, zur Erntezeit bis nachts um zwei Uhr Wettrennen veranstalten. Und nicht nur dann!
Dat mokt ken Spaß, mien Deern!
An manchen Tagen ist es so schlimm, dass uns in der Stube die Gläser in den Schränken tanzen.
Dat mokt ken Spaß!
Und wenn man dann denkt, jetzt ist langsam Ruhe, dann geht es auch schon wieder los. Morgens um vier Uhr nämlich.
Dat mokt ken Spaß!
Wenn man Angst haben muss, dass Kinder durch vorbeirasende Traktoren von ihren Fahrrädern geweht werden, oder sie nur mit viel Mühe die Straße überqueren können, auch das macht keinen Spaß!“
Oma hatte sich in Rage geredet.
Ihr Kopf war rot wie der alte Leuchtturm von Wangerooge und so langsam ging ihr die Luft aus. Darum fuhr Tant’ Fienchen fort: „Am allerschlimmsten ist, dass sich keiner darum schert. Keiner auf den Ämtern, kein Bürgermeister interessiert sich dafür und ihr von der Polizei auch nicht. Die scheinheiligste Antwort, die wir bekommen haben, war: ‚Es ist ja noch nichts passiert‘.
Dat mokt ken Spaß!
Selbst unseren Landrat interessiert es nicht. Der reagiert ja noch nicht einmal auf unsere Briefe.
Dat mokt ken Spaß!
Soll ich noch mehr erzählen? Weißt du eigentlich, wie gefährlich der Schulweg für die kleine Marie und auch andere Kinder hier entlang der Bahnhofstraße ist? Und wenn man als mündiger Bürger etwas dagegen tut, wird man auch noch bestraft. Und noch eines! Wenn es ganz schlecht läuft, müssen wir die Reparatur unserer Straßen, die eindeutig von diesen Riesen beschädigt werden, auch noch bezahlen.“
Auch Tant’ Fienchen musste absetzen, um Luft zu holen.
Tomke nutzte die Gelegenheit und ging dazwischen.
„Eure Demo in der Bahnhofstraße vor knapp zwei Jahren oder die Blumenkübel, die ihr letztes Jahr über Nacht aufgestellt habt, waren gelinde gesagt noch harmlos und die Behörden haben alle vorhandenen Augen zugedrückt! Aber eure letzten beiden Aktionen waren der Hammer; die eine war Freiheitsberaubung und die andere Eingriff in den Straßenverkehr und das geht gar nicht!“
Die letzten Worte sprach sie betont langsam aus.
„Über die Strafen, die man euch aufgebrummt hat, dürft ihr euch nun wirklich nicht beschweren.“
„Ach wat!“ Oma winkte ab.
„Dass ihr im September die beiden Traktorfahrer unter einem fadenscheinigen Vorwand aus der Fahrerkabine gelockt und ihnen die Schlüssel geklaut habt, hat dem Ganzen dann doch die Krone aufgesetzt. Ich frage mich übrigens heute noch, wer von euch beiden es geschafft hat, in die Fahrerkabinen dieser riesigen Gefährte zu klettern“, wollte Tomke wissen.
Oma kicherte nur und ging auf die Frage nicht ein.
„Und dafür müssen wir jetzt bezahlen“, fuhr sie lautstark auf, „das muss man sich mal vorstellen! Da tut man als Einziger etwas für die Sicherheit auf unseren Straßen und muss dafür sein Sparbuch plündern. Na ja, wat mut, dat mut, hilft ja nix. Das geht übrigens alles von deinem Erbe ab“, feixte sie. „Selbst schuld, kann ich da nur sagen, wenn du uns auch nicht hilfst!“
Oma konnte sich kaum beruhigen, sie war sich keiner Schuld bewusst.
„Nun mal sachte, Oma. Das hätte auch ganz anders ausgehen können. Der Richter hat die gute Absicht hinter eurer bösen Tat gesehen und war in der Strafbemessung mehr als human. 2.000 Euro Geldstrafe, zahlbar an einen guten Zweck, nun, es hätte auch schlimmer kommen können.“
Tomke schaute die beiden erwartungsvoll an.
Plötzlich funkelten Omas Augen schelmisch und sie stieß ihre Schwester von der Seite an.
„Wenn es auch kein Spaß ist, Fienchen, Spaß gemacht hat es trotzdem, oder? Weißt du noch, wie knatterig die beiden Traktorfahrer geschaut haben, als die Zündschlüssel weg waren? Und die Demo in der Bahnhofstraße von damals, geht als ,Ostfriesendemo‘ in die Geschichte ein. Das soll uns alten Tanten mal einer nachmachen“, kicherte sie.
Tomke schüttelte den Kopf und stand auf.
„Ich muss zurück nach Wittmund, in einer Stunde beginnt mein Spätdienst.“
„Schon wieder? Wann kommt denn endlich Carsten zurück, das kann doch nicht sein ...“
„Du brauchst jetzt gar nicht abzulenken, die Sache ist noch nicht ausgestanden. Und übrigens, wenn ich das nächste Mal komme, möchte ich, dass die Warnbaken, die noch immer draußen im Schuppen stehen, verschwunden sind. Eine weitere Straßensperrung habt ihr doch sicher nicht vor, oder?“ Sie schaute die beiden streng an.
Oma winkte ab, streckte beleidigt das Kinn vor und griff nach ihrer Teetasse.
Tomke küsste ihre beiden Lieben auf die Stirn, seufzte: „Was mache ich nur mit euch“, und verließ die Küche. Als sie die Haustür ins Schloss zog, meinte sie, leises Gelächter zu hören und musste schmunzeln. Wie sie diese beiden guten Wesen liebte ...
Tomke fuhr zurück nach Wittmund, gleich begann ihr Spätdienst.
Der Nachmittag bei ihren Verwandten endete, wie so oft in den letzten Monaten, mit großen Diskussionen um die Eskapaden der beiden alten Ostfriesinnen. Allerdings auch wie das wohlbekannte „Hornberger Schießen“. Großes Getöse und Diskussionen ohne Ergebnis. Die Aktionen von Oma und Tant‘ Fienchen beeindruckten sie zwar irgendwie, aber das konnte sie nicht zugeben, dann würden die beiden Oberwasser bekommen. Die „Ostfriesendemo“ vor zwei Jahren, bei der sie für eine Stunde die komplette Straße blockiert und für viel Aufsehen gesorgt hatten, sowie die „Blumenkübelblockade“ danach, waren schon heftig. Aber die Straßensperrung zwischen „Goldener Linie“ und dem Kreisel bei „Scheidemann“ sowie die Sache mit den gestohlenen Traktorschlüsseln war einfach zu viel. Das durfte sie den beiden nicht durchgehen lassen.
Nun fuhr Tomke zum Nachtdienst und dachte an die letzten, aufregenden Monate. Carsten, Hajo und sie hatten sich auf ihrem neuen Kommissariat in Wittmund gut eingelebt. Die Umstrukturierung, ob nötig oder nicht, war abgeschlossen und sie hatten ein neues Einzugsgebiet.
In Wittmund gab es nun ein neues Kommissariat mit Abteilung für Delikte am Menschen sowie die Kriminaltechnik. Sie waren jetzt für einen Teil der ostfriesischen Küste zuständig, ab der goldene Linie, mit den Inseln Wangerooge, Spiekeroog, Langeoog und dem dazugehörenden Hinterland. Aurich behielt den westlichen Teil und die restlichen Inseln. Es gab einen fließenden, kollegialen Übergang.
Tomke konnte diese Aufteilung anfangs zwar nicht nachvollziehen, aber man begründete sie damit, dass der Verlauf, wenn auch nicht geradlinig, doch sinnvoll sei, da Aurich auch Emden, Leer und den ganzen Grenzstreifen mit seinen Drogenproblemen übernahm. Die Gerichtsmedizin blieb in Wilhelmshaven. Christof Gerdes blieb ihr Chef und hatte sein Büro weiterhin in Wilhelmshaven. Nach einigen Wochen hatten sie sich daran gewöhnt.
„Das Museum schließt in fünfzehn Minuten, wir bitten Sie, Ihren Besuch zu beenden. Morgen ab zehn Uhr sind wir wieder für Sie da und freuen uns, Sie bei uns begrüßen zu dürfen“, kam es zwar undeutlich, aber doch verständlich, durch den Lautsprecher des „Groot Hus“ im Museumshafen von Carolinensiel.
Das anschließende „Klack, Pieps, Quietsch ...“ zeigte, dass die Lautsprecheranlage des Deutschen Sielhafenmuseums auch schon bessere Tage gesehen hatte.
Benny und Dirk verhielten sich absolut ruhig in ihrem Versteck. Gegen 17 Uhr waren sie ganz offiziell als Besucher in das „Groot Hus“ gekommen, um sich dann heimlich in der alten Kapitänskajüte auf der dritten Etage zu verstecken. Die Tür hatten sie von innen verriegelt und hofften, dass man sie nicht entdecken würde. Nun saßen sie hier schon eine Stunde und warteten darauf, dass das Museum endlich geschlossen wurde.
Dirk war auf die Idee gekommen, sich hier zu verstecken. Einen Plan hatten sie nicht, aber er kannte das Museum recht gut. Vor einigen Monaten hatte er hier ein vierwöchiges Berufspraktikum absolviert. Benny hatte damals zwar versucht ihn zu überreden, das Praktikum mit ihm gemeinsam auf dem Flugplatz von Harlesiel zu machen, aber er zog das Museum vor. Bennys Fliegerleidenschaft teilte er nicht wirklich.
Nun waren sie hier, ein anderer Ort war ihnen erst einmal nicht eingefallen.
Beide trugen einen Rucksack mit sich, der, wie sie fanden, die wichtigsten Sachen enthielt. Außer ein paar Kleidungsstücken und ihren Ausweisen gab es da Wasser, Cola, ein paar Brote; zudem hatte Benny eine Tüte der leckeren, vorweihnachtlichen Knippkuchenfn1 aus Großmutters Vorrat eingepackt. Sie hatten ihre Handys dabei und Benny außerdem noch sein heiß umkämpftes Tablet.
Als er sich gerade wieder einen der leckeren Kekse in den Mund schob, erlosch die dustere Funzel in dem kleinen, engen Raum.
„Kein Problem“, meinte er, „ich habe eine Taschenlampe dabei. LED, siehst du“, und schaltete sie ein.
Plötzlich schlug sich Dirk gegen die Stirn: „Mir fällt gerade ein, hier gibt es eine Alarmanlage.“
„Was? Und damit kommst du jetzt erst um die Ecke?“
Benny verschluckte sich an einem Kekskrümel und musste husten.
„Ja, hab’ einfach nicht mehr daran gedacht, Mensch.“
Benny winkte mit seiner Taschenlampe: „Was soll’s, wir bleiben hier, bis morgen wieder aufgeschlossen wird, dann hauen wir ab und keiner merkt etwas.“
„Okay!“, antwortete Dirk kleinlaut, „nur, wenn ...“
„Was wenn?“
„Hoffentlich müssen wir nicht aufs Klo, weil ... dann bekommen wir ein Problem!“
„Warum?“ Benny schaute seinen Freund fragend an und knabberte weiter an seinem Keks.
„Weil ... na ja, jetzt fällt mir das wieder ein, nach Feierabend wird hier der Bewegungsmelder eingeschaltet. Wir mussten damals immer alle Fenster über Nacht gut verschließen, da der kleinste Windzug den Bewegungsmelder und somit die Alarmanlage auslöst. Mensch, dass ich das vergessen habe ... und jetzt?“
„Weil, weil ..., vergessen ... und jetzt ..., Mensch was bist du denn für eine Pfeife?“
Nun saßen sie in der Patsche. Benny war entsetzt und fragte sich, wie es weitergehen sollte. Sie waren in dieser Kapitänskajüte gefangen und er wollte gar nicht darüber nachdenken, was passierte, wenn sie mal zur Toilette mussten. Konnte es sein, dass seine Blase schon drückte? Oder bildete er sich das nur ein?
Er lehnte sich auf der harten Holzbank zurück und murmelte: „Ich muss nachdenken.“ Benny war sauer.
Knappe zwei Stunden saßen beide fast schweigend und in ihre Gedanken versunken da. Ihnen war langweilig. Ihr Abenteuer hatten sie sich etwas anders vorgestellt. Wenn es schon mit solch einer Panne begann, wie sollte es weitergehen? Sie tranken Cola, knabberten Knippkuchen, keiner sprach ein Wort.
Benny stellte fest, dass er dringend pinkeln musste. Dirk offensichtlich auch, denn er rutschte unruhig auf der harten Bank hin und her. Aus purer Langeweile hatten sie ständig getrunken. Und nun?
Auf einmal zuckte Benny zusammen. Was war das für ein Geräusch?
Er spitzte die Ohren und schaute zu Dirk. Der hatte es offensichtlich auch gehört und saß plötzlich kerzengerade.
„Wer ist da draußen?“, flüsterte Benny.
Dirk zuckte mit den Schultern.
„Keine Ahnung, vielleicht die Putzfrauen. Licht aus“, kommandierte er zu Benny hinüber, öffnete behutsam die Kajütentür einen kleinen Spalt und blinzelte hindurch. Sekunden später schob er sie schnell wieder zu.
„Zwei Männer, mach doch die Taschenlampe aus“, raunte er Benny zu, „da schleichen zwei Typen herum“, und wagte noch einen weiteren, vorsichtigen Blick durch den Türspalt.
„Ich denke, die haben eine Alarmanlage hier“, flüsterte Benny zurück, „das sind bestimmt Mitarbeiter vom Museum, die etwas reparieren müssen oder so.“
„Mit Taschenlampen und Sturmhauben?“, fragte Dirk und schob die Tür vorsichtig wieder zu. „Die haben beide solche Strickmützen mit Sehschlitzen auf, das sind keine Museumsmitarbeiter.“
Sie schauten sich entsetzt an. Die Idee abzuhauen und sich erst einmal hier im Museum zu verstecken, war wohl doch nicht so berauschend, wie Benny nun feststellen musste. Aber nach dem Ärger zu Hause wollten sie einfach nur weg.
fn1 Ostfriesische Spezialität zur Weihnachtszeit.
Hinnerk Frerichs tobte.
„... und ich sage dir, solange du deine Füße unter meinen Tisch streckst, wird das gemacht, was ich sage. Ist das klar? Dat unnütze Ding kommt weg.“
Der Vater schlug mit seiner kräftigen, ledergegerbten Pranke auf den Tisch, dass es nur so knallte. Er griff mit der anderen nach Bennys Tablet, das Objekt seines Wutausbruches. Dann zog er die Schublade des schweren Küchentisches auf, schob den kleinen Computer hinein und schloss die Lade ab. „Dat Ding blieft hier! Und jetzt hilfst du mir das Dach zu reparieren, das ist wichtiger, sonst mache ich dir Beine.“ Hinnerk Frerichs drohte mit der Faust. Die Worte seines Vaters wirkten auf Benny wie Peitschenschläge und ließen ihn zusammenzucken. Vater, von wegen, eigentlich war er sein Stiefvater und das ließ er ihn auch immer wieder spüren. Vor allem, dass er unehelich war, rieb er Benny immer wieder unter die Nase.
Er war streng, sehr streng und böse. Er duldete keinen Widerspruch. Aber nun war es genug, Benny wollte nicht mehr. Das Tablet, dessen Anwendung er sich selbst beigebracht hatte, war von seinem ersparten Geld gekauft und sein ganzer Stolz. Sein karges Taschengeld hatte er eisern gespart und den Rest durch Hilfsarbeiten bei diversen Bauern verdient. Lange konnte er es vor seinem Stiefvater verstecken, aber heute hatte er ihn erwischt. Nun war es weg. Dass er inzwischen schon sechzehn Jahre alt und fast erwachsen war, interessierte ihn nicht. Er führte ein strenges Regiment, war der Herr im Hause und selbst Bennys Mutter und auch die Großmutter, die hier mit ihnen in dem alten Haus lebte, mussten unter ihm leiden. Die beiden Frauen hatten Angst vor dem groben Kerl, der immer wieder zu Gewalt und Wutausbrüchen neigte. Benny auch, „aber irgendwann kommt meine Zeit“, sprach er sich oft Mut zu.
Seit Frerichs in seinem Job bei der Müllabfuhr nicht mehr den großen Wagen fahren durfte, sondern zu Sortierarbeiten abgestellt war, konnte man ihn gar nicht mehr ertragen. Ständig ließ er seinen Zorn an der Familie aus. All den „modernen Kram“ verfluchte er, mit Computer und Technik kannte er sich nicht aus. Wenn ich Pech habe, verkauft er das Teil und steckt das Geld in seine eigene Tasche, befürchtete Benny. Er hatte nun genug, wollte weg, einfach nur weg. Wohin wusste er nicht, noch nicht. Aber vielleicht hatte sein Freund Dirk eine Idee, denn ihm erging es nicht viel anders. Oft hatten sie schon darüber gesprochen. Für seine Mum tat es ihm leid, aber er ertrug das alles einfach nicht mehr.
Dirks Mutter war ähnlich unerträglich wie der Stiefvater.
Anders unerträglich. Sie trank und während ihrer Saufphasen musste Dirk abtauchen, denn dann war sie unberechenbar, verprügelte ihn und für Essen war kein Geld da. Manchmal musste Dirk auch das Haus verlassen, weil sie sich Männer in ihr Bett holte.
Benny schüttelte sich. Oft schon hatte man Dirk beim Klauen von Lebensmitteln erwischt, aber was sollte er tun? Selbst sein Zeitungsgeld, das er sich früh morgens schon vor der Schule durch Austragen des Harlinger Anzeigers verdiente, nahm sie ihm oft ab.
Benny und Dirk hatten sich immer wieder überlegt, dass man gemeinsam abhauen müsste, einfach weg und niemals zurück. Sie wollten auf ein Schiff, am besten auf ein Containerschiff, dort könnte man sich wunderbar verstecken, blieb sicher unentdeckt. Man müsste sich nur ein Schiff aussuchen, das nach Amerika führe, so träumten sie oft vor sich hin. Das allerdings musste gut geplant sein ...
Benny wollte Pilot werden, das könnte man in Amerika doch sicher auch. Und Dirk?
Der Anfang war getan, sie waren von zu Hause weg, aber nun saßen sie hier im Museum fest und draußen schlichen finstere Typen herum. Was waren die doofen Alten gegen diesen Albtraum, den sie hier erleben sollten?
Es war eine Scheißidee, sich hier in diesem alten Kasten zu verstecken. Und es sollte noch viel schlimmer kommen.
Was wollten diese vermummten Männer da draußen mit ihren Taschenlampen? Eines war klar, zum Museum gehörten sie nicht.
„Wir müssen uns ruhig verhalten“, flüsterte Benny seinem Freund zu, „ganz ruhig. Die führen nichts Gutes im Schilde.“
Er deutete nach draußen und fragte nochmals: „Ich denke, die haben hier eine Alarmanlage?“
Einige Stunden zuvor, am späten Nachmittag.
Es war ein Leichtes, die Alarmanlage so zu manipulieren, dass sie beim Abschließen nach Feierabend nur das Signal des „Scharfschließens“ gab, ohne dass sie wirklich eingeschaltet war. Niemand hatte etwas bemerkt. In Monteurkleidung waren die beiden Männer am Nachmittag in das „Groot Hus“ gekommen und hatten sich, ostfriesisch wortkarg, als Techniker ausgegeben. Da der Mitarbeiter an der Kasse, wie fast alle im Museum, ehrenamtlich tätig und für solche Angelegenheiten die Verwaltung zuständig war, fragte er nicht weiter nach.
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