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Die Cornwall-Erfolgsreihe erstmals in einem Sammelband: Zwei bezaubernde Liebesromane vor der einzigartigen Kulisse der atemberaubend schönen Küste Cornwalls.
Cornwall für Anfänger
Sonne, Wind, türkisblaues Meer – nichts anderes wünscht sich Anne, als sie nach Cornwall flüchtet, nachdem sie gerade ihren Job verloren hat.Doch schon steht sie vor dem nächsten Problem: Der kleine Gefallen, den sie ihrer Tante schuldig war, ist alles andere als klein. Der hübsche Souvenirladen, den Anne auf Vordermann bringen soll, entpuppt sich als ein Sammelsurium skurriler Kuriositäten, die kein Tourist kauft. Anne krempelt die Ärmel hoch und packt es an, aber das Schicksal ist noch nicht fertig damit, sie in Schwierigkeiten zu ertränken – und das wortwörtlich …
Vincents Plan, in Cornwall Erholung und neue Inspiration zu finden, endet schnell, als er eine Unbekannte aus dem Meer fischen und vor dem Ertrinken retten muss. Blöd nur, dass sie gar nicht gerettet werden will! Die hemdsärmelige Deutsche wächst ihm schnell ans Herz, und plötzlich hält ihn nicht mehr nur die Aussicht auf Ruhe und Ausgeglichenheit in seinem Haus über den Klippen an Cornwalls Küste.
Eine romantische Komödie über die Kraft der Liebe.
Cornwall für immer
Grace lebt dort, wo andere Urlaub machen: im idyllischen Küstenort St Agnes in Cornwall. Sie liebt das türkisblaue Meer und das ewige Rauschen der Wellen in ihrem verträumten Städtchen. Aber etwas fehlt ihr zum Glücklichsein - oder vielmehr jemand: Preston, den sie nie vergessen konnte. Eine einzige fatale Entscheidung hat Grace vor Jahren ihre Jugendliebe gekostet. Nun ist ihr Ex in seinen Heimatort zurückgekehrt, und mit ihm die Chance, ihren größten Fehler wiedergutzumachen. Preston ist noch immer ihr absoluter Traummann, die Anziehung zwischen ihnen ungebrochen. Nur kann ihm Grace auch nach all dieser Zeit unmöglich den wahren Grund ihrer Trennung verraten. Doch Preston scheint auch jetzt nicht bereit zu sein, ihr zu verzeihen. Prestons Familie kann sich das Elend nicht länger mitansehen und beschließt, die beiden zu einer Aussprache zu zwingen. Und wie geht das besser, als die Streithähne kurzerhand im Keller einzusperren?
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Copyright © 2024 by Karin Lindberg
Covergestaltung: Casandra Krammer – www.casandrakrammer.de
Covermotiv: ©️ homydesign, bogalo, pauljune, Devil_WPT, DinaL, Olga_Bonitas, RedKoala, didecs – depositphotos.com
K. Baldvinsson
Am Petersberg 6a
21407 Deutsch Evern
Alle Rechte vorbehalten.
Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet. Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Weitere Informationen unter www.karinlindberg.info.
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Cornwall für Anfänger
Klappentext
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Epilog
Rezept für kornische Hühnchen-Pasties
Cornwall für immer
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Epilog
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Über die Autorin
Eine romantische Komödie über die Kraft der Liebe
Sonne, Wind, türkisblaues Meer – nichts anderes wünscht sich Anne, als sie nach Cornwall flüchtet, nachdem sie gerade ihren Job verloren hat. Doch schon steht sie vor dem nächsten Problem: Der kleine Gefallen, den sie ihrer Tante schuldig war, ist alles andere als klein. Der hübsche Souvenirladen, den Anne auf Vordermann bringen soll, entpuppt sich als ein Sammelsurium skurriler Kuriositäten, die kein Tourist kauft. Anne krempelt die Ärmel hoch und packt es an, aber das Schicksal ist noch nicht fertig damit, sie in Schwierigkeiten zu ertränken – und das wortwörtlich …
Vincents Plan, in Cornwall Erholung und neue Inspiration zu finden, endet schnell, als er eine Unbekannte aus dem Meer fischen und vor dem Ertrinken retten muss. Blöd nur, dass sie gar nicht gerettet werden will! Die hemdsärmelige Deutsche wächst ihm schnell ans Herz, und plötzlich hält ihn nicht mehr nur die Aussicht auf Ruhe und Ausgeglichenheit in seinem Haus über den Klippen an Cornwalls Küste.
Sanftes Rauschen drang an Annes Ohr, es roch nach Meersalz und Frühlingsblüten. Nichts in diesem Raum kam ihr vertraut vor, und doch fühlte sich die Umgebung irgendwie heimelig an. Als sie sich erinnerte, wo und weshalb sie hier war, riss sie die Augen auf und keuchte. Für einen Moment verharrte sie regungslos und versuchte, ihren rasenden Herzschlag zu beruhigen. Nach und nach wich die vorausgegangene Panikattacke der Resignation.
Mit einem Stöhnen schloss sie die Lider und ließ sich zurück in die puffigen Kissen sinken. Anne atmete tief ein und füllte ihre Lungen mit der frischen Morgenluft. Ihre Muskeln entkrampften sich ein wenig. Das Tosen der Brandung drang jetzt verstärkt durch das geöffnete Fenster an ihre Ohren. Sie hatte es die ganze Nacht über wahrgenommen, aber keine Ahnung, wie weit das Meer tatsächlich vom Haus ihrer Tante entfernt war. Obwohl sie als Kind schon einige Male in Cornwall gewesen war, hatte sie keine genauen Erinnerungen mehr abrufen können. Für ein kleines Mädchen wirkte sowieso alles größer und weiter. Anne dachte mit einem wehmütigen Lächeln auf den Lippen an vergangene Tage ihrer Jugend. Sie wünschte, ihre Probleme ließen sich so leicht beseitigen wie die eines Kindes, das traurig war, weil sein Lolli auf den Boden gekullert war. Anne seufzte. Leider war ihrem Problem nicht so einfach beizukommen, und sie wollte jetzt auch nicht daran denken, sondern ihre Sorgen vergessen, genau deswegen war sie hier. Nicht nur deswegen, denn ihre Tante brauchte zudem ihre Hilfe.
Als Anne gestern, nachdem sie zuvor Lisbeth im Krankenhaus besucht hatte, aus dem Taxi gestiegen war, war es bereits dunkel gewesen. Tiefschwarze Nacht, um genau zu sein. Sie hatte kaum die eigene Hand vor den Augen sehen können. Von Wegbeleuchtung hielten die Leute in St. Agnes anscheinend nicht viel. Sie grinste. Hier war vieles anders als zu Hause in Hamburg. Zum Glück.
Erst jetzt bemerkte sie, dass sich am Fußende ihres Bettes der Kater ihrer Tante zusammengerollt hatte und sie aus zwei grünen Augen anstarrte. Gestern war Lord Nelson vor ihr geflüchtet, also hatte Anne ihm einfach frisches Wasser und etwas Trockenfutter in den Napf gefüllt, ehe sie völlig erschöpft ins Gästezimmer gestolpert und sofort ins Bett gefallen war. Das Zimmer war wundervoll kitschig eingerichtet, an den Wänden klebten Blumentapeten, das Bett hatte ein eisernes, verschnörkeltes Gestell, und ihr Bettzeug war mit einem Blütenmuster bedruckt und duftete nach Lavendel. Auf den Simsen vor den Sprossenfenstern standen kleine Blumentöpfchen mit Kakteen, die Vorhänge bauschten sich im Windhauch.
Jetzt war es hell draußen, sie musste also ziemlich lange geschlafen haben. Kein Wunder, die Nächte davor hatte sie kein Auge zugetan. Wie auch, da wegen eines einzigen verdammten Fehlers ihre ganze berufliche Existenz zerstört war.
Nicht jetzt, sagte sie sich und schob die Gedanken an das Desaster ihres Lebens beiseite. Vielleicht würde sich ja alles aufklären und am Ende gut werden.
Anne stieß einen hysterischen Lacher aus und schüttelte den Kopf. Nicht einmal eine senile Nonne würde glauben, dass da noch etwas zu retten war. Die Fakten lagen klar auf dem Tisch. Ihre Karriere war ruiniert. Sie war arbeitslos. Sie konnte einpacken.
Niemand, absolut niemand würde sie je wieder einstellen und ihr noch eine Chance in ihrem Beruf als Rechtsanwaltsfachangestellte geben. Jedenfalls keine Kanzlei, die etwas auf sich hielt.
Sie schluckte und ging ins Badezimmer, dort nahm sie einen weißen Frotteebademantel vom Haken, der für Gäste reserviert war, und zog ihn über. Sie brauchte dringend frische Luft – und einen starken Kaffee. Lord Nelson lag noch im Bett, er hatte es offenbar nicht eilig, rauszukommen. Anne hatte wenig bis gar keine Erfahrung mit Haustieren, aber sie würde bestimmt mit dem Kater klarkommen. Außerdem hatte Lisbeth noch zwei Wellensittiche, die sie zu versorgen hatte. Kein Problem, hatte Anne gestern zu ihr gesagt, als sie sie im Krankenhaus in Truro besucht hatte. Tante Lisbeth war gerade frisch an der Hüfte operiert worden, die sie sich bei einer absolut bescheuerten Fensterputzaktion gebrochen hatte, weil sie von einer Leiter gestürzt war. Da hatte man es mal wieder, im Haushalt ereigneten sich mehr Unfälle als auf den Straßen. Deswegen beschäftigte Anne auch ihre Magda, die einmal in der Woche kam und sich darum kümmerte, dass sie nicht im Schmutz versank.
Ja, jetzt wohl nicht mehr. Sie verdrehte die Augen. Magdas Hilfe würde sie sich in Zukunft vermutlich ebenso wenig leisten können wie die hübsche Zweizimmeraltbauwohnung in Eppendorf.
Anne tapste die schmale und steile Holztreppe im beschaulichen Cottage nach unten. So winzig das Haus war, so vollgestopft wirkte es auf sie. Daran konnte sie sich noch erinnern, das war früher schon so gewesen. Anne griff nach einer kleinen Tonfigur, einer Eule, die sich auf dem Fensterbrett zwischen Topfpflanzen auf selbstgehäkelten Deckchen befand. Auf einem verzierten Wandbrett, auf dem neben einigen Vasen auch noch kleine Schmuckkästchen und Bücher ins Rutschen zu geraten drohten, stand eine Uhr – aber der Sekundenzeiger bewegte sich nicht, vermutlich war die Batterie leer. Die Einrichtung entsprach nicht direkt ihrem Geschmack, sie mochte es eher großzügig und ohne zu viel Schnickschnack, aber zu der lebensfrohen Lisbeth, die um einiges älter war als sie, und dem gemütlichen Cottage passte es. Und es war schließlich Lisbeths Zuhause und sie selbst nur zu Gast.
Im Erdgeschoss lag dicker Teppichboden mit einem Muster, das ihr Augenschmerzen bereitete, vor allem vor dem ersten Kaffee. Sie betrat die braunen Steinfliesen in der Küche. Es war kühl, das Cottage hatte keine Zentralheizung, und Anne hatte sich in der letzten Nacht nicht die Mühe gemacht, Ofen oder Kamin anzuschüren. Die Küche war genauso vollgestopft wie der Rest des Hauses. Auf dem Küchentisch thronte ein riesengroßer Käfig mit dem Wellensittichpärchen, einer war grün, der andere himmelblau. Tassen, Teller, Pötte und Pfannen hingen an Haken oder standen auf offenen Regalen, so wie unzählige Gewürze und Öle. Auf dem Fensterbrett tummelten sich einige Töpfchen mit Kräutern, deren Blätter bereits welkten. Sie brauchten dringend Wasser, gleichzeitig hoffte Anne, dass ihre Mutter sich um ihre Pflanzen auf dem winzigen Balkon kümmerte, sie hatte einen Zweitschlüssel für Notfälle.
Anne warf einen Blick aus dem Fenster und freute sich, hier zu sein. Sie hatte sich schon immer nach einem Garten gesehnt, aber in Hamburg war das nahezu unerschwinglich und unmöglich zu finden. Der hiesige Rasen war jedenfalls kürzlich gemäht worden, der Flieder an der Hauswand blühte in einem kräftigen Violett. Früh für die Jahreszeit, dachte Anne, und dann erinnerte sie sich, dass das Klima in Cornwall wegen des Golfstroms sehr mild war. Auf der Terrasse hinter dem Haus befanden sich ein paar Gartenstühle und ein Holztisch, auf dem sich einige Windlichter und kleine Blumentöpfe drängten. Die Apfelbäume standen in voller Blüte, was wunderhübsch aussah und sogar ganz leicht duftete. Das Meer konnte man vom Garten aus nicht sehen, aber genau das war es, was Anne jetzt wollte. Nur nicht ohne einen Kaffee.
Sie öffnete alle Schubladen und Schranktüren in der Küche, aber außer Instantkaffee konnte sie nichts Koffeinhaltiges entdecken. Dafür gab es eine ganze Menge verschiedener Teesorten. »Super«, murmelte sie wenig begeistert und stellte den Wasserkocher an. »Dann eben Instantbrühe.«
Ohne Koffein ging morgens bei ihr gar nichts.
Einige Minuten später hielt sie einen Becher mit dampfendem Kaffee in der Hand, öffnete die Haustür und trat hinaus in den Morgen. Die Luft war klar und frisch, ihre Brust weitete sich, während sie tief einatmete. Ihr wurde fast schon schwindelig bei all dem Sauerstoff. Das hier war kein Vergleich zum stickigen Bürodunst zu Hause, wo sie üblicherweise die meiste Zeit verbrachte. Sie überquerte die Straße und stieg über eine niedrig gespannte Kette. Dahinter standen auf einem kleinen Platz zwei Klappstühle an einer Stelle, von wo aus man eine herrliche Sicht auf die beschauliche Bucht von St. Agnes hatte. Die Einwohner hatten sie Trevaunance Cove getauft, vermutlich war das ein altes kornisches Wort, dessen Bedeutung sie nicht kannte.
Anne ließ sich auf einen der Stühle nieder. Dass sie nur mit einem Bademantel bekleidet war, war ihr egal. Vor ihr leuchteten rote und gelbe Blüten, wie diese Exemplare genau hießen, wusste sie nicht, aber sie sahen zauberhaft aus. Es wehte ein kräftiger Westwind, der die Wellen mit weißen Krönchen ans Ufer spülte und ihr die Haare ums Gesicht flattern ließ. Das Wasser war tiefblau, am Strand schimmerte es in einem hellen, reinen Türkis und verschmolz mit den Felsen, die steil emporragten. Anne schluckte, ihre Augen brannten, und ihre Kehle wurde eng.
Es war so zauberhaft, so friedlich hier. Die Schönheit der Natur raubte ihr den Atem. Hatte sie gestern auf der Reise noch gezweifelt, ob Davonlaufen das Richtige in ihrer Situation war, so war sie nun sicher, dass das hier genau der passende Ort war, um zu überlegen, wie es weitergehen sollte. In diesem kleinen Dorf in Cornwall fühlte sie sich, als wäre sie in eine vollkommen andere Welt abgetaucht. Der Alltagstrott verlief hier gemächlicher, und alles schien sanftmütiger zu sein. Außerdem hatte Anne überhaupt nicht mehr in Erinnerung gehabt, wie anders das Klima hier war, im Vergleich zum typischen trüben englischen Wetter, über das alle schimpften, wenn sie von England redeten. Hier gab es tropische Pflanzen, weiße Strände und türkisblaues Meer wie sonst nirgends im Königreich. Und schon gar nicht in Hamburg, wo sie sonst lebte.
Für gewöhnlich bestimmten das Großstadttreiben, Aktenberge, Computerbildschirme, Meetings, Hektik und ein voller Terminplan ihren Alltag – hier kam es ihr so vor, als hätte jemand an der Uhr gedreht. Der Gedanke an zu Hause und an ihre Sorgen, die sie hinter sich zurücklassen wollte, zerstörte das zarte Freiheitsgefühl, das in ihr aufgestiegen war. Auf einmal brach alles über sie herein. Der Schock, nachdem ihr nächtliches Abenteuer mit Michael entdeckt worden war, der Ärger, die Scham und die Gewissheit, dass sie mit dieser Fehlentscheidung ihr Leben versaut hatte. Sie hätte ihm niemals vertrauen dürfen, aber sie war dumm und naiv gewesen. Und verliebt. Sie hatte die rosarote Brille aufgehabt und nicht gesehen, dass der Mistkerl sie nur benutzt hatte, um an vertrauliche Unterlagen ihres Arbeitgebers zu kommen.
Anne fing an zu weinen. Sie vergrub ihr Gesicht zwischen den Händen und ließ alles heraus, was sich in den letzten Tagen angestaut hatte. Sie konnte noch immer nicht fassen, dass ihr das wirklich passiert war. Sie war überkorrekt, prüfte alles mehrfach, ließ sich kein X für ein U vormachen – aber in diesem Fall hatte sie dem falschen Mann vertraut und sich zu einer Dummheit hinreißen lassen. Die war ihr schließlich zum Verhängnis geworden.
Sie schluchzte leise und wischte sich mit der Hand über die Augen. Einen tiefen Atemzug später nahm sie ihre Tasse und legte ihre Finger darum. Der Becher fühlte sich nur noch lauwarm an, aber kalter Kaffee war momentan ihr geringstes Problem. Sie wünschte, es wäre anders.
Die Sonne tauchte den Morgen in ein wohltuendes, fröhliches Licht. Ihre Strahlen beleuchteten das Meer vor Cornwalls Küste in einem goldenen Orangeton. Der Anblick war fast schon kitschig, aber irgendwie tröstlich, auch wenn sich an ihrer Lage dadurch nichts veränderte. Auf eine seltsame Weise spendete diese Umgebung ihr Zuversicht, dass vielleicht doch noch alles gut werden und sie irgendwo einen neuen Job finden würde. An Wunder glaubte sie nicht, und dennoch … Hatte nicht jeder eine zweite Chance verdient? Wie hätte sie auch ahnen sollen, was passieren würde? Ihr Ex war ein Betrüger, der nie echte Gefühle für sie gehabt hatte, er hatte sie nur ausgenutzt, um an Informationen eines prekären Falles zu kommen, dessen Details er an die Presse verkauft hatte.
Anne konnte nach wie vor nicht fassen, dass sie sich so hatte täuschen lassen. Dass seine Gefühle sich als Illusion herausgestellt hatten. Wie hatte sie sich nur hinreißen lassen können, seiner Bitte nachzugeben? Aber Anne hatte einmal in ihrem Leben nicht als Langweilerin dastehen wollen, die keinen Spaß mitmachte. Er hatte ihr eingeredet, dass der Nervenkitzel es wert sei, dass es ein Abenteuer wäre, dass er es aufregend finden würde, sie in ihrem Büro zu verführen, wenn alle im Feierabend waren. Sie bereute heute zutiefst, dass sie ihre Prinzipien über Bord geworfen, dass sie das Bauchgrummeln ignoriert hatte, um ihm zu gefallen. Den Preis dafür musste sie jetzt zahlen.
Mit einem Seufzen kehrte Anne, nachdem sie ihren Kaffee ausgetrunken hatte, zum Cottage ihrer Tante zurück. Harmony Cottage, stand auf einem Holzschild, das neben der Haustür an den rosafarben gestrichenen Außenwänden befestigt war. Auf dem schwarzen Schindeldach ragten mehrere Schornsteine in den Morgenhimmel, zwei Spatzen saßen darauf und piepsten aufgeregt.
»Hey. Hallo!«, rief eine helle Stimme nicht weit entfernt, Anne fühlte sich angesprochen. Sie blickte nach links und entdeckte eine blonde, schlanke Frau. Sie trug einen dunklen Pullover zu einer weißen Stoffhose. Sie winkte freundlich und lächelte.
»Hallo«, erwiderte Anne und schob sich eine Strähne hinters Ohr. Vermutlich sah sie furchtbar aus. Bademantel, fettige Haare, gerötete Augen …
»Bist du …?«, fragte die andere.
»Ich bin Lisbeths Nichte. Anne«, half sie aus und rang sich ein Lächeln ab.
»Oohhhh.« Die Pupillen weiteten sich. »Verstehe. Gut, dass ich vorhin nicht rein bin, um Lord Nelson zu füttern. Sonst hättest du dich ganz schön erschreckt, was?« Sie trat näher zum Zaun und streckte ihre perfekt manikürten Finger herüber. »Ich bin übrigens Grace.«
»Freut mich.« Anne schüttelte ihre Hand.
»Ich bin drüben im Sea & Salt angestellt«, fuhr die andere fort. »Muss gleich zur Arbeit.«
»Sea & Salt?«, wiederholte Anne mit einem Stirnrunzeln.
»Das ist ein Kosmetikstudio und Day Spa.«
Das erklärte natürlich Grace’ perfekte Erscheinung, klassisches Tagesmakeup, lackierte Nägel, blonde Haare, die glänzten und saßen, als käme sie gerade vom Friseur. Wenn jemand vom Fach war, gehörte das wohl dazu. Das waren alles Dinge, die Anne nie wirklich gut hinbekommen hatte. Sie trug ihr Haar meist zu einem Zopf oder einfachen Dutt gedreht, wenn sie zur Arbeit ging. Außer Puder, Mascara und vielleicht noch etwas Kajal schminkte sie sich nicht – und ihre Nägel … Der Lack platzte grundsätzlich schon wieder ab, kurz nachdem sie ihn aufgetragen hatte, also ließ sie es seit Jahren einfach ganz bleiben. In ihrer Welt hatte sie nie durch Aussehen gepunktet, sondern durch Kompetenz und Zuverlässigkeit – tja, es sah so aus, als müsste sie langsam mal umdenken, denn in ihrem alten Job würde sie nicht mehr weitermachen können.
»Oh.« Anne wurde rot. Ihr war klar, dass sie es nötig hatte, sich ein wenig um ihr derangiertes Äußeres zu kümmern, der freundlichen Nachbarin offenbar auch, obwohl sie nicht pikiert wirkte, eher ein wenig besorgt. Peinlich berührt verzog Anne ihre Lippen. Zu Hause wäre sie nie auf die Idee gekommen, mit fettigem Haar und im Bademantel vor die Tür zu gehen – nicht mal bis zur Mülltonne. Aber das war davor gewesen. Bevor ihr Leben den Bach runtergegangen war.
Anne räusperte sich, und dann sah sie, wie Grace sich mit der flachen Hand gegen die Stirn schlug. »Ich habe was Falsches gesagt«, plapperte diese drauflos. »Das ist ja mal wieder typisch für mich, dabei wollte ich nur nett sein. Tut mir leid. Ich wollte damit nicht ausdrücken, dass du es nötig hättest, Anne. Ich meine nur, du bist vermutlich im Urlaub, und manchmal möchte man sich da ja was Gutes tun, ausspannen, sich verwöhnen lassen … Du weißt schon, einfach mal etwas für sich machen, es sich gutgehen lassen … Wir haben wirklich auch ganz tolle Massagen bei uns im Programm.«
Die Worte sprudelten nur so aus ihr hervor. Anne schätzte Grace auf Ende zwanzig, vielleicht Anfang dreißig. Sie war schlank und groß, um die Augen hatte sie ganz feine Linien, die darauf schließen ließen, dass sie stets gut gelaunt war und gern lachte. Anne mochte sie, sie war sympathisch, und ihr Verhalten wirkte ehrlich und natürlich und nicht wertend oder gar von oben herab. Anne merkte, wie ihre Schultern ein wenig herabsanken und sie sich entspannte.
»Ist schon okay. Mir ist klar, dass ich ein bisschen ramponiert aussehe«, meinte sie mit einem schwachen Lächeln. »Hatte ein paar harte Tage, bevor ich hergekommen bin.« Das war die Untertreibung des Jahrzehnts, aber sie wollte nicht vor Grace, die sie kaum kannte, das Desaster ihres Lebens ausbreiten.
»Dann bist du also zum Ausspannen hier?«
»So ungefähr«, antwortete sie ausweichend. »Vor allem möchte ich meiner Tante ein bisschen unter die Arme greifen. Die Haustiere, der Laden – nach der Operation muss sie vermutlich auch noch für einige Wochen zur Reha …«
»Stimmt, Lisbeth kann sicher Hilfe gebrauchen. Mensch, die Arme! Wie geht es ihr denn?«
»Den Umständen entsprechend, du kennst sie ja. Die wirft so leicht nichts um. Aber erst mal fällt sie aus, und da ich, äh, gerade ein bisschen mehr Freizeit habe, habe ich angeboten zu helfen.«
»Ach, und du möchtest dich auch um den Laden kümmern?« Grace neigte ihren Kopf, als fände sie das irgendwie ungewöhnlich.
»Ja, wieso? Jetzt beginnt doch bald die Saison, und es wäre ziemlich schlecht, wenn ein Souvenirshop dauerhaft geschlossen wäre. Wenn ich das richtig verstanden habe, gibt es hier nicht mehrere im Ort?«
»Äh, ja, das stimmt«, meinte Grace.
Anne kniff ihre Augen zusammen und verstand nicht ganz, warum Grace auf einmal so komisch guckte, deswegen sagte sie nur: »Aber ja. Ich bin auch zur Erholung hier.«
Sie wollte weder Mitleid noch Fragen, deswegen behielt sie für sich, dass sie fristlos entlassen worden war, während jemand anderes im Unternehmen nun versuchte, den Schaden zu begrenzen, wie auch immer das gehen sollte, das Geld war weg. Anne atmete tief durch und schluckte den Kloß herunter, der sich in ihrer Kehle gebildet hatte.
»Du musst unbedingt die Cornish Pasties probieren. Bei Maude schmecken sie am besten«, wechselte Grace das Thema, wofür Anne sehr dankbar war.
»Pasties?« Sie glaubte, sich verhört zu haben. Pasties oder Pastries?
»Ja, das sind Teigpasteten mit verschiedenen Füllungen. Die bekommt man in Cornwall überall, aber Maude macht die besten.«
»Maude, hm, sagt mir nichts. Müsste ich sie kennen?«
»Ja, ihr gehört die kleine Backstube da oben an der Ecke. Die kannst du gar nicht verfehlen.« Grace zeigte den Hügel hinauf, die Straße war eng und steil. So genau hatte Anne das in der letzten Nacht nicht wahrgenommen, als sie mit dem Taxi angekommen war. Das Dörfchen war einfach malerisch. Vermutlich kannte hier jeder jeden, aber das war ihr egal, sie hatte nicht vor, Teil des Dorfklatsches zu werden. Sie kannte ja auch niemanden.
Es war zig Jahre her, dass sie in Cornwall zu Besuch gewesen war, und daher konnte sich vermutlich auch niemand an sie erinnern. Sie hatte es bedauerlicherweise nicht einmal zur Beerdigung ihres Onkels vor fünf Jahren geschafft, weil sie zu der Zeit in Australien im Urlaub gewesen war und ihre Reise nicht so schnell hatte umorganisieren können. Dass Anne viel zu lange nicht in Cornwall gewesen war und das Gefühl hatte, Lisbeth unbedingt zur Seite stehen zu müssen, war nur einer der Gründe gewesen, warum sie sofort Ja gesagt hatte, als sie hörte, dass Lisbeth sich die Hüfte gebrochen hatte und Hilfe brauchte. Nachdem sie dann noch mit Lisbeths Sohn Preston, ihrem Cousin, telefoniert und er ihr erzählte, wie eingespannt er in seinem Job war und sich nicht jeden Tag um Laden und Haustiere kümmern konnte, hatte auch das letzte Fünkchen gezündet, und sie war in den nächstbesten Flieger gestiegen.
Als Kind hatte Anne die Abgeschiedenheit, die wundervolle Natur und vor allem die Ruhe nicht so richtig zu schätzen gewusst. Jetzt schon. Mehr denn je wahrscheinlich. Es war der perfekte Ort, um sich von allem zurückzuziehen und die Wunden zu lecken.
»Okay, dann hole ich mir nachher welche. Wobei …« Anne legte sich eine Hand auf ihren Bauch. »Eigentlich würde es mir guttun, wenn ich mal auf Kohlenhydrate verzichten würde.« Obwohl Anne sonst eher eine disziplinierte Person war, konnte sie sich bei Backwaren selten bis nie zurückhalten, was man ihr ihrer Meinung nach leider auch ansah.
Grace runzelte die Stirn und schnalzte mit der Zunge. »Bitte, im Urlaub wirst du doch keine Diät halten? Dafür sind Maudes Pasties auch einfach zu lecker.«
Sie grinste.
»Da hast du auch wieder recht. Ich werde definitiv mal vorbeischauen und mir eine holen.«
Anne merkte, dass Grace sie eindringlich musterte. Vermutlich fragte sie sich, warum die Nichte jetzt so plötzlich auftauchte und sogar im Laden aushelfen wollte, wo sie doch seit Ewigkeiten nicht hier gewesen war. Anne wollte ihr armseliges Dasein nicht vor Grace ausbreiten. Sie hatte in den letzten Jahren nichts anderes getan als gearbeitet. Zehn-Stunden-Tage waren in ihrem Job als Rechtsanwaltsfachangestellte in einer renommierten Kanzlei normal, es hatte sie nie gestört, aber jetzt musste sich etwas ändern, sie wusste nur noch nicht was und wie.
»Meine Mutter hat schreckliche Flugangst, bei unserem letzten Aufenthalt sind wir mit der Fähre gereist, aber auch das war eine Tortur für sie. Seitdem kam Lisbeth immer zu uns nach Deutschland, besonders nachdem mein Onkel gestorben ist. Eigentlich schade, dass ich so lange mit einem Besuch in St. Agnes gewartet habe«, erklärte Anne, was der Wahrheit entsprach, aber eben nicht alles war. »Ich hatte ganz vergessen, wie schön es hier ist. Aber jetzt bin ich ja da.« Sie schenkte Grace ein ehrliches Lächeln.
»Ach so, na, ich verstehe. Ich würde ja gerne mehr verreisen, aber mit meinem mickrigen Gehalt ist das einfach nicht drin.«
»Dafür lebst du an einem Ort, an dem andere Urlaub machen.«
»Stimmt, wenn du das so sagst … Und wenn du was brauchst – und sei es auch nur ein offenes Ohr oder Mehl und Eier –, komm einfach vorbei. Deine Tante und ich sind befreundet und seit Ewigkeiten Nachbarn, das macht dich dann quasi auch zu meiner Freundin.« Sie zwinkerte, dann schaute sie auf ihre Uhr. »Ui! Schon so spät. Jetzt muss ich aber wirklich los! Bis bald, Anne. Schön, dich kennengelernt zu haben.«
Anne wollte gerade noch etwas erwidern, da war Grace auch schon über die Straße gehuscht und verschwunden. Sie schaute ihr kurz hinterher, dann ging sie ins Harmony Cottage und sprang unter die Dusche. Und danach würde sie sich auf die Suche nach einem ordentlichen Kaffee machen und die Tiere versorgen …
Vincent saß in der Küche seiner Eltern, trank eine Tasse Kaffee und stocherte lustlos in seinem Rührei. Er hatte nur kurz vorbeischauen wollen, weil seine Mutter Hilfe mit dem Auto gebraucht hatte. Als sie ihm anbot, noch mit ihnen zu frühstücken, hatte er nicht Nein sagen können. Jetzt bereute er, dass er nicht standhaft geblieben war, denn die Diskussionen endeten immer gleich.
»Wie lange soll das eigentlich noch so weitergehen?«, fragte sein Vater jetzt, und Vincent gab sich größte Mühe, bei diesen Worten nicht zusammenzuzucken, denn sie trafen – wie jedes Mal, wenn sein Vater sie aussprach – ins Mark. Er hatte keine Antwort darauf. Wie sollte er auch?
Larry Redcliffe war die ältere Ausgabe seiner selbst, rein äußerlich zumindest. Ansonsten hatten die beiden wenig bis gar nichts gemeinsam. Wenn es nach seinem Vater gegangen wäre, würde Vincent ebenso wie er im Anzug und mit Schlips am Frühstückstisch sitzen und sich für einen langen Bürotag in der Kanzlei stärken. Aber er war eben nicht wie sein Vater.
Man konnte Vincent nicht vorwerfen, dass er nichts aus seinem Leben gemacht hätte, was seinen Vater jedoch nie davon abhielt, ihm zu sagen, dass er dennoch nicht glücklich über die Karriere seines Sohnes in der Medienbranche war.
»Darling, nun lass den Jungen doch mal in Ruhe sein Frühstück essen«, mischte sich Ava Redcliffe ein und legte ihrem Mann eine Hand auf den Unterarm.
Ihr Gatte stieß ein Grunzen aus und trank den Rest seines Earl-Grey-Tees aus, die Tasse stellte er mit einem Scheppern ab.
»Schon gut, Mum.« Vincent schob sein Besteck zur Seite. »Und Dad, ich kann es dir nicht sagen. Und es ist ja auch nicht so, dass ich nicht schon häufiger hier gewesen wäre.«
Und dennoch wussten alle am Tisch, dass es dieses Mal anders war. Dass sich alles verändert hatte. Aber was dachte sein Vater? Dass er sich jetzt doch noch an der Uni einschrieb und in seine Fußstapfen trat? Eher fror die Hölle zu. Erstens fühlte er sich zu alt, um noch einmal komplett von vorne anzufangen, und zweitens interessierten ihn Jura und Gesetzestexte nicht die Bohne.
»Junge, ich meine es doch nur gut.«
Vincent wollte die Augen verdrehen, hielt sich jedoch zurück und holte nur tief Luft. »Ja«, war alles, was er sagte. »Ich muss dann auch mal wieder los.«
»Wie kommst du denn voran?«, erkundigte sich seine Mum und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. Ihre Fürsorge war herzlich, aber sie erdrückte ihn. Mein Gott, er war fünfunddreißig Jahre alt und nicht zwölf!
»Es geht«, log er. Vor einigen Tagen war er aus London nach Cornwall gekommen, in der Hoffnung, dass er seiner Ideenflaute hier ein Ende bereiten konnte. Bis jetzt war das leider nicht der Fall gewesen.
Vermutlich war seinen Eltern ebenso klar, dass ihm kein einziger Gag aus der Feder fließen wollte, obwohl er früher nur so vor Ideen sprühte und mehr Einfälle hatte, als er gebrauchen konnte. Seitdem war viel passiert. Zu viel.
Seit dem einen Tag, der sein Leben von Grund auf verändert hatte, war sein Humor erloschen.
Vincent schluckte und schob den Stuhl zurück. »Danke für das Frühstück. Ich muss los.«
»Aber du hast doch noch gar nicht aufgegessen!«, protestierte seine Mutter.
Larry runzelte die Stirn, das bekam Vincent mit, ehe er die Küche verließ.
»Ich komme später noch mal vorbei, Mum. Dann schauen wir nach dem Wagen«, rief er ihr noch über seine Schulter hinweg zu.
›Nach dem Wagen schauen‹ bedeutete, dass sie mal wieder irgendwas am Navi verstellt hatte und nicht wusste, wie sie das rückgängig machen sollte. Sie und Technik, das waren zwei verschiedene Paar Schuhe. Aber ihm machte es nichts aus, ihr immer mal wieder zu helfen. Im Gegenteil, das ließ ihn sich wenigstens nicht vollkommen nutzlos fühlen.
»Mach dir keine Umstände«, schob sie hinterher, aber da hatte er sich schon seine Jacke vom Haken geschnappt und war aus dem Haus geflüchtet.
Nachdem er die Tür hinter sich zugeschlagen hatte, rieb er sich mit der Hand über das Gesicht. Gott, ob es jemals aufhörte, dass jeder ihn ständig mit quälenden Fragen nervte?
Er stapfte davon, lief hinauf ins Moor und immer weiter, bis er atemlos inmitten von Heidekraut, Ginster, Farn und Brombeersträuchern innehielt. St. Agnes hatte er weit hinter sich gelassen, er war allein. Eigentlich sollte er sich hier oben frei fühlen und endlich durchatmen können. Aber dem war nicht so. Sonnenstrahlen wärmten sein Gesicht, doch der kalte Wind nahm ihnen die Kraft. Er hatte gehofft, endlich alles hinter sich lassen zu können, das Gegenteil war der Fall. Was früher einmal befreiend gewesen war, tat jetzt nur noch weh. Manchmal schmerzte jeder einzelne verdammte Atemzug. Heute war so ein Tag. Vincent wandte sich um. In der Ferne konnte er das unruhige Meer sehen. Dunkelblau und grenzenlos, der Horizont war so weit und unendlich. Er schloss die Augen und konzentrierte sich ganz darauf, das zu tun, was für andere selbstverständlich war. Einatmen. Ausatmen. Weiterleben.
Matt ließ er sich auf den Boden sinken und verharrte eine Weile regungslos. Das Zwitschern der Vögel nahm er jetzt erst wahr. Das leise Rauschen des Windes in den Blättern, Büschen und Gräsern. Es roch nach Frühling, würzig und frisch. Das Leben erneuerte sich.
Nur in seinem Innersten herrschte eisiger Winter. Nichts würde je wieder gut werden, denn sein bester Freund Will war nicht mehr da.
Irgendwann, Vincent hatte keine Ahnung, wie lange er hier verharrt hatte, stand er wieder auf und streckte sich. Er fühlte sich etwas besser, aber noch immer nicht gut. Vielleicht würde er sich niemals mehr gut fühlen können. Verdient hatte er es jedenfalls nicht.
Vincent klopfte sich Gras und den Staub von seiner Jeans und machte sich auf den Rückweg. Er hatte nicht vergessen, dass seine Mutter auf ihn wartete. Der Wind blies noch immer kräftig, die Brandung krachte tosend gegen die Felsen. Ein paar Seevögel kreisten über ihm. Er ging die gleiche Strecke zurück, die er auch gekommen war, nahm dann aber einen kurzen Umweg über die alte Steintreppe und kam damit am Thewlis Shelter vorbei. Es war nach dem ersten Bürgermeister von St. Agnes benannt, der über fünfzig Jahre in dem winzigen Haus gelebt hatte. Heute wurde es nur noch als Aussichtspunkt genutzt oder als Unterschlupf, wenn einen mal ein Regenguss überraschte. Die Fenster waren herausgenommen und die Inneneinrichtung auch. Übrig geblieben waren nur die hinteren Wände, die nun mit Muschelsand verputzt waren. Vincent verweilte einen Augenblick und sah auf die Bucht hinab. Die Flut hatte eingesetzt. Obwohl er es schon tausende von Malen beobachtet hatte, faszinierte ihn das Spiel der Gezeiten immer wieder aufs Neue.
Und dann entdeckte er eine Frau, die auf den Felsen herumkraxelte. Er runzelte die Stirn, wollte sich abwenden, aber irgendetwas hielt seinen Blick gefangen. Ihr roter Schal flatterte im Wind, ebenso wie ihre blonde Mähne. Vincent schüttelte den Kopf. »Idiotin.« Wie blöd musste man sein, zu dieser Zeit dort herumzuklettern. Für Touristen war es noch zu früh in der Saison, aber kein Einheimischer wäre so lebensmüde. Er schnitt eine Grimasse und setzte dann seinen Weg fort. Aus dem Augenwinkel bemerkte er immer wieder den roten Schal. Obwohl es ihn nichts anging, beobachtete er die Frau, während er die letzten Stufen nach unten nahm.
In einem Moment hatte er sie noch im Blick, im nächsten sah er nur noch den flatternden roten Stoff, der durch die Luft segelte. Die Frau war verschwunden.
Das hatte ja so kommen müssen. Er stieß einen Seufzer aus und ging schneller. Hoffentlich hatte sie sich nicht verletzt. Vincent rechnete jeden Augenblick damit, dass sie sich aufrichtete und wieder in seinem Blickfeld auftauchte. Sie musste gestolpert sein.
Das hoffte er jedenfalls. Wenn sie bei dem Wetter und der nahenden Flut ins Wasser gestürzt war, konnte sie sich ernsthaft verletzt haben.
Oder schlimmer.
Die Felsen waren scharfkantig und die Brandung unerbittlich. Innerlich zählte er bis zehn, als sie dann noch immer nicht zu sehen war, fluchte er wie ein Kutscher und rannte los.
Schon nach wenigen Schritten ließ sein Körper ihn spüren, dass er schon einmal besser in Form gewesen war. Aber schlappmachen konnte er sich in dieser Situation nicht leisten. Außer ihnen war niemand am Strand. Er hatte keine Zeit zu telefonieren, um Hilfe zu holen. Erst musste er sehen, wo sie abgeblieben war. Wenn sie sich beim Sturz am Kopf verletzt hatte und womöglich bewusstlos geworden war, würde sie innerhalb kürzester Zeit ertrinken.
»Scheiße«, murmelte er noch einmal, während er noch schneller rannte. Das hier war der Spielplatz seiner Kindheit. Er kannte jeden Stein, jeden Felsen und jede noch so kleine Höhle in der Gegend. Das kam ihm nun zugute, denn im Gegensatz zu dieser äußerst leichtsinnigen Frau wusste er genau, wo er hintreten musste. In wenigen Sekunden war er an der Stelle angelangt, wo er sie zuletzt gesehen hatte. Ihr Schal lag auf einem der Steine, das gleichmäßige Zischen der auf die Felsen treffenden Wellen übertönte alles andere. Wo war sie?
Vincent schaute suchend ins Wasser und konnte zunächst nichts entdecken. Doch beim zweiten Hinsehen entdeckte er einen blonden Haarschopf einige Meter weiter in der Bucht aufblitzen, der jetzt auftauchte. Sie ruderte hektisch mit den Armen und schnappte nach Luft. Erleichtert fing er wieder an zu atmen, doch schon in der nächsten Sekunde wurde ihm klar, dass diese Frau keine gute Schwimmerin war, oder sie hatte sich doch verletzt – was kein Wunder wäre.
Ohne zu zögern, schlüpfte er aus den Schuhen und stürzte sich in die Fluten. Das Wasser war eiskalt, er spürte den Adrenalinstoß in seinem Körper und wie sich alle Muskeln kurz anspannten. Mit kräftigen Zügen kraulte er zu ihr.
»Alles gut, ich helfe Ihnen«, schrie er über den Lärm der Wellen hinweg. Endlich bekam er sie zu fassen. Mit geübten Bewegungen machte er sich daran, sie hinter sich herzuziehen, wie er es tausendmal zuvor geübt hatte. Bislang hatte er sein Wissen über Rettungsschwimmen nie anwenden müssen. Heute war er froh darüber, dass man als Kind in dieser Gegend nicht zum Fußball, sondern zu den Lifeguards ging. Wo steckten die eigentlich, wenn man sie mal brauchte? Diese und verschiedene andere Gedankenfetzen schossen ihm durch den Kopf, während er versuchte, die leichtsinnige Frau zu retten. Sie schlug noch immer in wilder Panik um sich und arbeitete eher gegen ihn als mit ihm.
»Bleiben Sie ruhig, ich bin da. Nicht kämpfen«, wies er sie an und wurde dabei immer wieder selbst untergetaucht. »Verdammt noch mal, Sie bringen uns noch beide um«, brüllte er, als er wieder zu Atem gekommen war. Doch ihre Kräfte schwanden schnell, was vermutlich ihr Glück war, denn so konnte er endlich das tun, wozu er in die Fluten getaucht war. Er zog sie vor der tosenden Brandung und den spitzen Felsen in ruhigeres Wasser und dann an den Strand. Er war selbst völlig entkräftet, als er sie im hüfthohen Uferbereich auf die Beine stellte, dann in seine Arme hob und an den Strand trug. Vincent keuchte, als er sie schließlich im Sand absetzte, und ließ sich auf die Knie fallen, um wieder zu Atem zu kommen.
»Alles in Ordnung bei Ihnen?«, fragte er nach Luft japsend.
Sie blickte auf, und ihre Lider flatterten. Ihre Lippen waren blau, sie zitterte – ob vor Kälte oder durch den Schock, wusste er nicht. Allerdings, und das musste er zugeben, hatten ihre grünblauen Augen eine so außergewöhnliche Farbe, dass er sich für eine Sekunde zu lang darin verlor. Obwohl sie vor Schreck geweitet waren, strahlten sie dennoch eine so intensive Lebensenergie aus, dass ihm trotz des kalten Windes und der nassen Klamotten, die ihm am Leib klebten, innerlich ganz heiß wurde.
Sein Herz hämmerte noch immer hart gegen seine Rippen, ein untrügliches Zeichen dafür, dass er in den letzten Monaten zu viel Zeit in geschlossenen Räumen mit zu viel Alkohol und zu wenig Sinnvollem verbracht hatte.
Und dann nickte sie. »Ja.« Ihre Stimme glich einem heiseren Krächzen, aber der Klang war dennoch irgendwie angenehm. Er fragte sich, wie sie sich anhörte, wenn sie nicht gerade kurz vor dem Ertrinken gerettet worden war.
»Das war ganz schön dumm von Ihnen«, tadelte er schließlich.
Ihre hübsche Stirn legte sich in Falten. »Wie bitte?«
»Warum sind Sie denn da oben herumgekraxelt?« Vincent richtete sich auf, der eisige Wind fuhr ihm in die Glieder. Er brauchte dringend eine heiße Dusche – sie auch.
»Soll ich mich jetzt vielleicht dafür entschuldigen, dass mir ein Unfall passiert ist?« Sie bibberte am ganzen Körper. Doch ihre Augen schleuderten Blitze.
»Ein Danke würde genügen.« Er konnte sich ein spöttisches Grinsen nicht verkneifen. Da hatte er es wohl mit einem Exemplar von Frau zu tun, das Fehler nicht gern zugab. Andererseits – sie hatte gerade eine traumatische Erfahrung hinter sich, vielleicht sollte er nicht so streng mit ihr sein. Überhaupt ging ihn das alles, jetzt, da sie gerettet war, nichts mehr an, und er sollte verschwinden.
»Soll ich Sie zu Ihrem Hotel bringen?«, fragte er zu seiner eigenen Überraschung, als er sich seiner guten Kinderstube besann. Nach dem Schreck hatte sie ihre Lektion sicherlich gelernt und würde bei dem Wetter nicht mehr auf den Klippen turnen.
Sie rappelte sich auf, ihre Klamotten klebten wie eine zweite Haut an ihrem Körper, der überaus ansehnliche Kurven an den richtigen Stellen hatte. Vincent schluckte. Gegen seinen Willen reagierte er auf sie. Und das, obwohl er doch vor allem nach Cornwall gekommen war, um sinnlosen Frauengeschichten aus dem Weg zu gehen, die ihn in London an jeder Ecke lockten und von der Arbeit abhielten. Er brauchte Ruhe und das Meer, um sein inneres Gleichgewicht wiederherzustellen – keine Weibergeschichten, die ihn anderweitig ablenkten.
»Hey«, rief jemand und riss Vincent aus seinen absurden Gedanken, immerhin hatte sie ihn nicht angemacht, sondern er hatte sie aus der Flut gerettet. Vincent blickte zu Jasper, einem der örtlichen Rettungsschwimmer, dessen Job er eben erledigt hatte …
»Gibt’s hier ein Problem?«, wollte er wissen.
Vincent war dicht dran, die Augen zu verdrehen und einen Kommentar abzugeben, dass er sich nicht wie ein amerikanischer Cop aufführen sollte. Aber dann sah er aus dem Augenwinkel, dass die Frau wie ein begossener Pudel davonstapfte und ein »Nein« brummte.
Fassungslos starrte Vincent ihr hinterher. Was hatte sie vor? Und dann begriff er. Sie marschierte geradewegs zurück zu den Klippen, von denen sie eben gestürzt war. Er rannte hinterher.
»Was glaubst du, machst du da?« Ihm war erst klar, dass er zum vertraulichen ›Du‹ übergegangen war, als es schon heraus war. Andererseits hatte er ihr gerade das Leben gerettet, da war höfliche Zurückhaltung eigentlich überflüssig.
Sie blickte ihn von der Seite an. Beinahe hätte er über ihren empörten Gesichtsausdruck laut gelacht. Sie sah bezaubernd aus, wenn sie ihn so anfunkelte – nass, mit Sand in den Haaren und mittlerweile wieder herrlich roten Lippen. Wow, hätte er beinahe von sich gegeben. Sie war umwerfend.
Und nicht erfreut, dass er ihr folgte. Seltsam, dachte er. War ihr wirklich nicht klar, dass sie in Lebensgefahr geschwebt hatte?
»Ich hole meinen Schal. Der ist aus Kaschmir. War teuer«, klärte sie ihn knapp auf.
Teuer? Es ging ihr um einen verdammten Schal? Gott. Die hatte ja Nerven.
Vincent lachte humorlos. Die Frau verstand tatsächlich gar nichts. »Du bist wohl vollkommen irre? Ist dir nicht klar, dass du eben beinahe ertrunken wärst?«
»So ein Unsinn.« Sie marschierte weiter.
Sowas Stures hatte er sein Lebtag noch nicht gesehen. Vincent machte große Augen. Er war sprachlos, was nicht oft vorkam, aber er hielt mit ihr mit.
Jasper rannte nun auch hinter ihnen her. Ein Außenstehender, der diese Szene zufällig beobachtete, musste sie alle drei für bescheuert halten.
»Hey, jetzt bleibt doch mal stehen. Alle beide«, forderte Jasper sie auf.
»Du musst diese Verrückte aufhalten.« Vincent ging langsamer und schüttelte noch einmal den Kopf, weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte. Er war fassungslos über die Respektlosigkeit, die diese Person der hiesigen Naturgewalt entgegenbrachte.
»Miss, warten Sie doch mal!« Jasper hastete ihr derweil nach und hielt sie an der Schulter fest. Sehr zu Vincents Überraschung blieb sie tatsächlich stehen. Mit zusammengezogenen Augenbrauen verfolgte er die Szene.
»Ich geh schon«, hörte er sich dann zu seiner Überraschung sagen. Er musste wohl selbst einen Schaden haben, aber dann fiel ihm ein, dass er seine Schuhe auf den Felsen ausgezogen hatte, ehe er ins Wasser gesprungen war. Und die hätte er gern wieder. »Muss sowieso noch mal hoch. Jasper, pass bitte auf, dass sie keine Dummheiten macht.«
Sie sog scharf den Atem ein. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie ihr Gesichtsausdruck nun war: mehr als ungehalten. Aber das war ihm egal, noch mal wollte er sie nicht aus der Brandung retten – oder Jasper dabei zusehen, wie er baden gehen musste. Diese Frau schien offenbar gar nichts zu begreifen.
»Kommen Sie mit, ich gebe Ihnen eine Decke. Sie sind ja ganz durchgefroren«, hörte er den Rettungsschwimmer indes zu ihr sagen.
Vincent sparte sich die Frage, wo der echte Lebensretter gewesen war, als man ihn gebraucht hatte. Vermutlich beim Pinkeln oder beim Mittagessen, überlegte er und ging weiter. Andererseits badete hier zu der Jahreszeit an einem Wochentag kaum jemand – normalerweise. Im Sommer teilten sich drei Kräfte den Posten, jetzt war das nicht nötig. ›Eigentlich‹, das Stichwort. Eigentlich hatte er selbst auch kein Bad in der keltischen See vor St. Agnes nehmen wollen. Schon gar nicht in seinen Klamotten. Egal, nun war er durchweicht, und der raue Wind tat sein Übriges.
Mit flinken Bewegungen glitt er von einem Stein zum nächsten und fand schließlich Schal und Schuhe, in die er jedoch nicht schlüpfte, da er triefende Socken an den Füßen hatte. Wenn schon der Rest pitschnass war, so wollte er sich nicht auch noch seine Turnschuhe ruinieren. Ihn überraschte der Gedanke, in den letzten Monaten war ihm alles egal gewesen. Da hätte er vermutlich nicht mal mitbekommen, wenn jemand seine Turnschuhe rot angepinselt hätte. Was so ein halb freiwilliges Planschen im April doch ausmachen konnte …
Jasper und die Frau, deren Namen er noch nicht kannte, standen an seinem Jeep. Sie hatte eine warme Decke um die Schultern und unterhielt sich mit dem Rettungsschwimmer. Vincent bibberte, außerdem hatte er weder Lust auf Smalltalk noch darauf, nähere Bekanntschaft mit einer Irren zu schließen, deswegen hängte er ihr den Schal um den Hals und sagte: »Schönen Urlaub noch.«
Dann ging er eilig weiter.
Ihm war klar, dass sein Verhalten grob unhöflich war. Normalerweise hätte er sich anders benommen, aber er war einfach nicht in der Lage, darauf zu achten, was andere von ihm denken könnten. Außerdem schien es, als hätte sie ihn auch gar nicht erkannt – was sehr gut war. Er hatte keine Lust, einen weiblichen Fan an der Backe kleben zu haben. Obwohl er nur kurz mit ihr geredet hatte, meinte er, einen deutschen Akzent herausgehört zu haben. Es war also nicht verwunderlich, dass sie nicht wusste, wer er war. Seine Sendung wurde nur im Vereinigten Königreich ausgestrahlt. Und selbst wenn sie ihn erkannt hätte, wäre es ihm egal gewesen. Wenn er eins nicht brauchte, dann Groupies, die sich nach seinem Befinden erkundigten.
Er hörte, dass ihm jemand etwas hinterherrief. Eine weibliche Stimme, aber er ignorierte sie. Er wollte nicht in ein Gespräch verwickelt werden, denn er hatte schon lange nicht mehr wirklich etwas zu sagen. Alles, was er brauchte, war eine heiße Dusche und ein Wunder, das ihn vergessen ließ, was in seinem Leben schiefgegangen war.
Aber an Wunder glaubte er nicht. Dabei half ihm nicht mal der Gedanke, dass er eben jemandem womöglich das Leben gerettet hatte, auch wenn diese Person – wenn er ihre Blicke richtig einschätzte – das vermutlich anders sah. Ihm konnte es egal sein, er hatte das Richtige getan, und höchstwahrscheinlich würde er sie ohnehin nie wiedersehen. Er setzte seinen Weg nach Hause fort.
Vincent ging wenig später durch die Hintertür, die er grundsätzlich nicht abschloss, in sein Haus. Er warf die Schuhe in den Flur, stapfte die Treppen nach oben und stellte die Dusche im Bad an. Er war bis auf die Knochen durchgefroren, seine Hände und Füße waren steif vor Kälte, aber das war es nicht, was ihn beschäftigte. Immer, wenn er die Lider schloss, sah er wieder diese herrlichen grünblauen Augen vor sich, die so irritiert – oder war es überrascht gewesen – zu ihm aufgeblickt hatten. Als ob sie selbst nicht fassen konnte, was da eben geschehen war. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen, während er sich daran erinnerte, wie zielstrebig sie ein zweites Mal zu den Felsen gestapft war. Nass und durchgefroren.
Die Frau musste entweder sehr mutig oder einfach unfassbar durchgeknallt sein.
Beides fand er herrlich, denn in seinem Umfeld fasste ihn derzeit jeder nur mit Samthandschuhen an. Entweder man bemitleidete ihn, oder man ging ihm aus dem Weg. Sein Alltag bestand aus fernen Blicken, Neugier und Abstand, weil niemand etwas Falsches sagen oder tun wollte.
Sie hingegen … Sie war wie eine neue Seite in einem ungeschriebenen Buch. Für einen Wimpernschlag kam es ihm so vor, als wäre mit ihr alles möglich.
Er schüttelte den Kopf. Was für einen Unsinn dachte er da eigentlich? Vielleicht hatte er mehr Wasser geschluckt, als gut für seinen Verstand war.
Mit einem Seufzen trat er unter die lauwarme Dusche. Er wusste aus eigener Erfahrung, dass man sich nicht sofort unters heiße Wasser stellten durfte, sonst hatte man das Gefühl, wie ein Hummer im Topf zu schmoren.
Obwohl er es begrüßte, sich zum ersten Mal seit Langem wieder selbst zu spüren, wollte er diese Erfahrung nicht gleich übertreiben und sich verbrühen.
Es war gerade mal früher Nachmittag, und Anne verspürte dennoch das starke Bedürfnis, sich zu betrinken oder sich sinnlos Kohlenhydrate einzuverleiben. Sie war nach dem unfreiwilligen Bad im Meer frisch geduscht, ihre Haare hingen ihr noch nass und strähnig um den Kopf. Sie stand im Bademantel mit Flipflops an den Füßen in der Küche und gab den Sittichen Wasser und Futter. Während sie den Käfig wieder schloss, dachte sie an ihren peinlichen Auftritt zurück, und Hitze flammte in ihren Wangen auf. Es war unfassbar, dass sie sogar zu ungeschickt zum Laufen war! Da stürzte sie wie eine Dreijährige ins Wasser und ließ sich von einem Wildfremden aus den Fluten ziehen.
Sie war nicht einmal vierundzwanzig Stunden im Dorf und hatte sich bereits bis auf die Knochen blamiert. Anne stöhnte und rieb sich die Stirn, dann füllte sie etwas Trockenfutter in Lord Nelsons Napf und erneuerte auch sein Wasser. Sie war überrascht, dass der Kater sich überhaupt nicht für die Vögel interessierte, aber auch froh, dass sie sich diesbezüglich wenigstens keine Sorgen machen musste.
»Gott«, brummte sie und überlegte, womit sie ihre Stimmung aufhellen konnte. Zur gleichen Zeit stieß ihr Magen ein lautes Knurren aus. Der Kühlschrank gab nicht viel her, das hatte sie am Morgen schon festgestellt. Deswegen öffnete sie jetzt die Tür zum Abstellraum. Vielleicht gab es da ja irgendwas, das sie sich zubereiten konnte. Sie würde morgen einkaufen gehen, für heute hatte sie genug erlebt. Anne stieß einen leisen Schrei aus, als sie in den kleinen Raum sah. »Ach du Scheiße«, entfuhr es ihr. »Was hat sie sich nur dabei gedacht?«
In der engen Kammer waren unzählige Kartons übereinandergestapelt, nicht alle davon voll, es war ein heilloses Durcheinander. Deckenhoch. Anne runzelte die Stirn und trat näher. Sie versuchte zu erkennen, ob es außer Nippes noch etwas anderes gab, aber dafür müsste sie alles ausräumen, und dazu hatte sie keine Energie mehr übrig. Vielleicht wurde Lisbeth ja senil und war deswegen von der Leiter gestürzt? Seltsam, denn bei ihrem Gespräch im Krankenhaus hatte sie nicht den Eindruck gemacht, als stimmte etwas mit ihrem Erinnerungsvermögen nicht. Anne wusste es nicht genau, aber sie hatte mal irgendwo gelesen, dass Demenzkranke die Defizite bis zu einem gewissen Stadium gut verbergen konnten. Andererseits hatte Anne noch nie gehört, dass jemand dann tonnenweise Plunder kaufte. Egal, was es war, diese Entdeckung war äußerst merkwürdig.
»Dann also doch noch mal anziehen und rausgehen«, murmelte sie und begab sich auch schon auf den Weg nach oben. Zehn Minuten später öffnete sie die Haustür und war überrascht, als sie fast auf eine Papiertüte trat, die auf der obersten Stufe lag. Das Logo Maude’s Pasties prangte darauf. Außerdem stand mit Filzstift ›Lass es dir schmecken, xo Grace‹ darauf.
Anne lächelte und hob die Aufmerksamkeit auf. Sofort stieg ihr der Duft von frischem Gebäck in die Nase.
»Herrlich«, stieß sie hervor und setzte sich auf die Stufe vor dem Haus, die Tür hinter ihr stand noch offen. Von hier aus konnte sie das Meer und die Felsen sehen, auch wenn die kleine Terrasse auf der gegenüberliegenden Seite definitiv die bequemeren Sitzmöglichkeiten bot. Der Himmel war von einigen Schleierwolken bedeckt, die Sonne schien ihr ins Gesicht. Hier war sie vor dem kühlen Wind geschützt, es fühlte sich beinahe schon sommerlich an.
Anne biss in eine der beiden Pasties, die Grace für sie besorgt hatte, und stöhnte leise. Gott, die Dinger schmeckten ja wirklich köstlich! Ein warmes und wohliges Gefühl breitete sich langsam in ihrem Magen aus und verdrängte das grummelige Brummen, das ihr eben noch schlechtere Laune beschert hatte. Was für eine dumme Idee, auf Kohlenhydrate verzichten zu wollen. Doch nicht, wenn sie in ihr diese Glücksgefühle hervorriefen! Obwohl die Gebäckstückchen nicht klein waren, ließ sie sich das zweite auch noch schmecken, das war – nicht wie das erste – mit Gemüse und einer Kräutercreme gefüllt. Fast noch besser als das mit Fleisch.
Anne schreckte auf, als sich etwas von hinten an sie schmiegte. Als ihr klar wurde, dass es nur Lord Nelson war, der sich um ihre Beine schlängelte, entspannte sie sich wieder. »Du hast wohl auch schon wieder Hunger, hm?«, meinte sie und brach ihm ein Stückchen ab. Anne hatte keine Ahnung, ob Katzen Gebäck mit Gemüse essen durften, aber eine Kante würde das gute Tierchen schon nicht umbringen. Vorsichtig biss der kuschelige Kater mit seinen spitzen Zähnchen in sein Leckerchen und verschwand dann um die Ecke. Anne war sich sicher, dass Lord Nelson Pasties besser schmeckten als Mäuse …
Mit einem Schmunzeln knüllte sie die Tüte zusammen, stand auf und klopfte sich die Krümel von der Hose. Dann zog sie die Tür hinter sich zu und machte sich auf den Weg zum Supermarkt. Dabei fiel ihr auf, dass die Bewohner von St. Agnes sich wirklich Mühe gaben, ihren Ort sauber und aufgeräumt zu halten. Die Vorgärten waren ordentlich und gepflegt, nirgendwo lag Müll auf den Straßen herum. Die meisten Häuschen hatten wie das Cottage ihrer Tante schwarze Schindeldächer und mehrere Schornsteine darauf.
Zum Supermarkt ging es ein ganzes Stückchen bergauf, sie war schon nach ein paar Minuten völlig aus der Puste.
»Puh«, schnaufte sie. Vielleicht hätte sie lieber doch nur eine Pastete futtern sollen … Egal, sagte sie sich. An die hügelige Gegend würde sie sich schon gewöhnen, und im Nullkommanichts würde sie fit sein und die Berge hinauf tänzeln und nicht mehr nach Luft japsen, so wie jetzt.
Nachdem Anne im örtlichen Laden ein paar Lebensmittel besorgt hatte – unter anderem auch eine Flasche Wein, die sie Grace als Dankeschön für die Pasties schenken wollte –, schlug sie auf dem Rückweg eine andere Richtung ein. Sie kam an Lisbeths Laden vorbei und hätte beinahe die Einkäufe fallen gelassen, als sie genauer hinschaute. Von außen sah das Häuschen, das direkt neben einer kleinen Brauerei lag, ja noch ganz in Ordnung aus. Die Holzbretter waren in einem Mintton gestrichen, die Fensterrahmen in einem dunklen Blau. Über dem vorstehenden Dach hing ein Schild mit der Aufschrift ›Unique Gifts‹ – einzigartige Geschenke. Das war zumindest nicht gelogen! Das Geschäft war wirklich außergewöhnlich, aber nicht im positiven Sinne.
Anne schüttelte ungläubig den Kopf, während sie sich an den schmutzigen Schaufenstern die Nase platt drückte. Das Innere war von oben bis unten mit Ramsch vollgestopft. Leider war es schrecklicher Bling-Bling-Souvenirkram, wie er in einschlägigen Touristenläden überall auf der Welt zu finden war, vielleicht noch ein bisschen schlimmer. Im Geschäft ihrer Tante gab es Ananas-Kerzenhalter oder kleine Holzschälchen – ebenfalls in Ananas-Form. Billige Ketten aus Plastik, seltsame Lampen und allerhand anderen Trödel, von dem Anne nicht mal sagen konnte, was es eigentlich darstellen sollte. Außerdem gab es noch zwei rollbare Kleiderständer, an denen quietschbunte und billig anmutende Klamotten und Handtaschen wild durcheinander hingen. Sie fragte sich, wie man sich in diesem Raum bewegen sollte und wer, zur Hölle, auch nur irgendwas in diesem Laden kaufen würde. Anne seufzte. Deswegen also hatte Grace sie so komisch angesehen, als sie ihr erzählt hatte, dass sie den Souvenirshop betreiben wolle, solange die Tante im Krankenhaus und danach zur Reha war.
»Mein Gott«, japste Anne. Sie musste den Schock erst einmal verdauen, ging ein paar Schritte weiter zum nächsten Haus, um sich wieder zu fassen. Dort befand sich eine kleine Brauerei; ›Driftwood Spars Brewery‹, stand auf dem Schild, das über der Tür leicht im Wind baumelte. Sie warf einen Blick durchs Fenster. Hier sah auf den ersten Blick alles tipptopp aufgeräumt aus. Die Regale im Laden waren fein säuberlich mit den verschiedenen selbst gebrauten Bieren bestückt, das Ambiente war zwar rustikal, aber äußerst passend. Die Fenster waren sauber und nicht speckig wie die von Lisbeths Laden. An den äußeren Hauswänden ragten zwei Eisenstangen hervor, an denen Blumenampeln mit roten Geranien hingen. Irgendwie süß, dachte sie und wollte gerade weitergehen, als ein Mann in kurzen Hosen, Wollpullover und dreckigen Gummistiefeln um die Ecke kam. Er hatte einen Haufen roter Locken auf dem Kopf und unzählige Sommersprossen im Gesicht. Er pfiff fröhlich vor sich hin und nickte ihr zu. Sie schätzte ihn ungefähr auf ihr Alter.
»Hi«, sagte sie.
Er blieb stehen und drückte die Klinke nach unten. »Wir haben geöffnet«, entgegnete er. »Du kannst ruhig reinkommen.«
Anne wollte eigentlich kein Bier kaufen, aber da sie quasi Geschäftsnachbarn waren, folgte sie ihm in den Laden. Es roch nach Hopfen und Malz und ein wenig säuerlich, die Tür zum Brauraum stand offen. Zwei Kessel glänzten darin. Während die Fliesen im Eingangsbereich sauber waren, sah es dahinten ein bisschen schmutzig aus. Anne hatte keine Ahnung, ob das bei einer kleinen Brauerei wie dieser normal war, und erlaubte sich daher kein Urteil.
»Ihr habt ja ganz schön viele Sorten«, sagte sie, während der Eigentümer hinter der Kasse herumkramte. Anne verkniff sich ein Schmunzeln, er sah zu lustig aus mit seinen Gummistiefeln und dem Rollkragenpullover über der kurzen Hose. Dazu die roten Locken und Sommersprossen, einfach urig.
Von Low Lodge, über Alfie’s Review bis Forest Blond gab es alle möglichen Sorten, von denen sie noch nie gehört hatte.
»Ja, sind alles meine Kreationen, die gibt’s auch drüben im Driftwood Spars.«
»Gehört ihr irgendwie zusammen? Das ist eine Pension und Bar, oder?«
Er zuckte die Achseln. »Das stimmt. Aber nö, wir gehören nicht zusammen.«
»Na, ich dachte, wegen des Namens.«
Er lachte, ein dunkles, kehliges Lachen. »Nee, das liegt daran, dass hier am Strand einfach viel Treibholz angeschwemmt wird.«
Er redete mit ausgeprägtem kornischen Akzent. Hier sprach man das ›R‹ so ähnlich wie die Amerikaner. Alles klang irgendwie runder und nicht so gestelzt wie das typische British English der Londoner.
»Oh«, stieß Anne hervor und dachte sofort an Schmuggler und Piraten. Als sie seinen amüsierten Blick auf sich spürte, räusperte sie sich. Dann fiel ihr Augenmerk auf einige Urkunden, die an der Wand hingen. Der Brauer hatte anscheinend schon einige Preise abgeräumt. »Kannst du mir was empfehlen? Ich bin sonst nicht so die Biertrinkerin.«
»Also was Mildes, nicht zu kräftig im Geschmack?«
Sie nickte. »Genau! Ich bin übrigens Lisbeths Nichte, Anne. Während sie sich erholt, kümmere ich mich um ihre Haustiere und den Laden.«
»Ach, das ist ja spannend«, erwiderte er, umrundete den Tresen und ging zum Regal hinter ihr, das sie sich vorhin angesehen hatte. »Probier mal das Forest Blonde, das ist ganz mild im Geschmack. Ein echtes Mädchenbier. Ich bin übrigens Brody.« Er reichte ihr die braune Flasche mit dem goldenen Etikett. »Geht aufs Haus. Sag mir, ob’s geschmeckt hat.«
Anne hob eine Augenbraue und erwiderte sein Grinsen. »Klar, vielen Dank. Das werde ich machen.« Sie packte die Bierflasche zu ihren anderen Einkäufen in die Tüte, ein kühles Blondes würde sie definitiv brauchen, spätestens wenn sie anfing, den Laden umzuräumen, damit man überhaupt Kunden hereinlassen konnte. »Ja, ich werde dann mal wieder. Muss mich hier erst noch ein bisschen zurechtfinden.«
»Wenn du Hilfe brauchst, komm einfach rüber.«
»Das ist ja nett, danke, werde ich machen.«
»Aber klar doch.«
»Super, dann, äh, noch einen schönen Tag. Bye, Brody.«
Er hob die Hand zum Gruß und hielt ihr dann die Tür auf.
Anne wusste zwar noch immer nicht, wie sie Lisbeths Geschäftskonzept finden sollte, aber zumindest war der erste Schock etwas abgemildert. Ein Glück, dass ihr Geschäftsnachbar ein netter Kerl war. Komischer Kauz zwar mit den Gummistiefeln und Sporthosen, aber nett.
Vincent saß an seinem Schreibtisch und starrte auf das weiße Blatt Papier vor sich. So ging das nun schon seit Stunden. Neben ihm türmten sich zerknüllte Zettel, auf die er etwas gekritzelt hatte, nur um dann zu merken, dass es einfach nur schlecht war. Nicht witzig. Überhaupt nicht witzig. Einfach nur langweilig und sinnlos.
Er raufte sich die Haare und atmete tief durch. Dabei hatte er gedacht, dass ihm der Tapetenwechsel guttun würde. Hier lenkte ihn nichts von der Arbeit ab, und außer dem kleinen Zwischenfall gestern geschah hier auch absolut nichts Aufregendes, was ihn in irgendeiner Weise stören könnte. Von seinem Arbeitszimmer aus hatte er einen großartigen Blick hinaus auf den Ozean. Alles war perfekt.
Oder es sollte so sein.
Warum wollte es ihm dann nicht gelingen? Früher war es so einfach gewesen, die Gags waren nur so aus seiner Feder geflossen, er hätte damit mehrere Sendungen pro Woche füllen können. Jetzt reichte es nicht einmal für eine im Monat.
Vincent seufzte leise. Ein Glück, dass er noch etwas Aufschub hatte, ehe die neue Show auf Sendung gehen würde. Wie es ihm jemals gelingen sollte, das ohne Will an seiner Seite alleine durchzuziehen, blieb ihm schleierhaft. Er vermisste seinen besten Freund. Mit jedem Atemzug. Mit jeder Minute. Jeden Tag.
Doch das Schlimmste war die Schuld, die ihn von innen zerfraß. Langsam, aber unaufhaltsam. Wo einst das Zentrum seines Humors gelegen hatte, war jetzt nur noch ein dunkles schwarzes Loch in ihm, das alles andere aufzehrte.
»Scheiße«, brüllte er und fegte alles von seinem Schreibtisch. Er schob noch eine ganze Reihe anderer Flüche hinterher und flüchtete aus dem Raum und dann aus dem Haus. In ihm brodelte es, er wollte etwas zertrümmern, etwas kaputtmachen, um seiner Hilflosigkeit Herr zu werden. Seine Kehle war eng, sein Herz raste. Ohne Ziel hastete er über die Steintreppe hoch zum Moor, doch auch dort schien er heute keinen Frieden zu finden. Es war noch nicht ganz Mittag, die Sonne stand hoch am Himmel, und kreischende Möwen flogen dicht über der Wasseroberfläche entlang, die er von hier oben aus sehen konnte. Vincent schloss die Augen und versuchte wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Wenn es ihm nur für ein paar Minuten gelingen würde, die Last, die auf seinem Herzen lag, loszuwerden, konnte er es schaffen. Aber wie sollte das gehen, wenn er sich doch mit jedem Atemzug bewusst war, dass das Leben seines Freundes viel zu früh geendet hatte. Und es war seine Schuld. Er hätte es verhindern können, aber er hatte nur an sich gedacht. Hatte gar nichts gedacht.
Weil es nicht den Anschein hatte, dass er heute hier oben zur Ruhe kommen würde, machte er sich auf den Weg zum Haus seiner Eltern. Als er gestern noch einmal dort vorbeigeschaut hatte, war niemand daheim gewesen.
Wenig später saß er mit seiner Mutter in dem neuen Vauxhall und erklärte ihr Schritt für Schritt, wie man ein Ziel eingab.
»Ach so ist das«, murmelte sie immer wieder. »Sag mal …«
Er horchte auf. »Ja?«
»Was war das denn gestern am Strand?«
»Was meinst du?« Dabei war ihm ganz klar, worauf sie hinauswollte.
»Hast du jemanden aus dem Wasser gerettet?«
»Was glaubst du denn? Dass ich Synchronschwimmen geübt habe?«
»Vincent. Bitte.«
Er schnaufte aus. »Die Frau schien abgerutscht zu sein, und ich hatte Sorge, dass sie sich vielleicht verletzt hatte und ertrinkt. Ist ja noch mal alles gutgegangen.«
»Wer ist sie?«