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10 Dinge, die ich an ihm hasse ...
Lianna hat nach dem Tod ihrer Eltern eine schwierige Zeit hinter sich. Doch das Schicksal meint es gut mit ihr: Als sie einen neuen Job in der renommierten Anwaltskanzlei findet, scheint es steil bergauf zu gehen ... wäre da nicht Darren de Best, Senior-Partner in der Kanzlei. Ein Mann wie ein rotes Tuch für Lianna - seine kühle und arrogante Art treiben sie zur Weißglut. Und für genau diesen Kerl soll sie jetzt als persönliche Assistentin zur Verfügung stehen. Zähneknirschend nimmt sie an. Und obwohl er so anders ist als sie, kann sie die Spannung zwischen ihnen und das Kribbeln in ihrem Bauch immer weniger ignorieren. Bis ein Zufall dafür sorgt, dass beide ein wohlgehütetes Geheimnis voreinander preisgeben müssen. Ein Geheimnis, das für ihre Arbeit ernsthafte Konsequenzen hätte, käme es ans Licht ...
Eine sexy Office-Romance mit einem teuflisch heißen Boss
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Seitenzahl: 353
ANNIE WILLIAMS
Law of Attraction
Roman
Lianna hat nach dem Tod ihrer Eltern eine schwierige Zeit hinter sich. Doch das Schicksal meint es gut mit ihr: Als sie einen neuen Job in einer renommierten Anwaltskanzlei findet, scheint es steil bergauf zu gehen … wäre da nicht Darren de Best, Seniorpartner in der Kanzlei. Ein Mann wie ein rotes Tuch für Lianna – seine kühle, arrogante Art treibt sie zur Weißglut. Und für genau diesen Kerl soll sie als persönliche Assistentin zur Verfügung stehen. Zähneknirschend nimmt sie an. Doch dann holt Lianna ihre Vergangenheit ein und droht ihr neues Leben in Bellblossom zu zerstören. Und der Einzige, der helfen kann, ist Darren de Best …
Die Scharniere der alten Gartenpforte quietschen durchdringend, als ich mich mit vollem Körpereinsatz dagegenstemme. Seit meinem letzten Besuch hier sind einige Wochen vergangen, die Ponyfransen hängen mir in die Augen, sodass ich kaum etwas sehe. Rechts und links im Arm trage ich jeweils eine XXL-Tüte vom Supermarkt, die mir den Blick versperren.
Natürlich hätte ich erst einmal parken, das Gartentor öffnen und das Haus aufschließen können, bevor ich die Einkäufe reintrage. Aber ich bilde mir immer noch ein, dass ich multitaskingfähig bin, obwohl es bei mir fast immer zu einer kleinen Katastrophe führt, wenn ich mehrere Dinge gleichzeitig mache: eine Chatnachricht schreiben und dabei Orangensaft in ein Glas schenken, während der Autofahrt die Zähne mit Zahnseide reinigen oder mit einem heißen Kaffee in der Hand die Haare föhnen.
Trotzdem gibt es keinen Aha-Effekt bei mir. Lernkurve: extrem flach. Man könnte sagen, ich bin unbelehrbar.
Die Tüten beinhalten so in etwa alles, was eine Großfamilie beim Umzug in ein neues Haus benötigen würde: Staubtücher, Putzmittel in allen möglichen Duftrichtungen, Arbeitshandschuhe aus Plastik, Raumdeo, ein paar Konserven, Chips, Müsli, Milch und eine große Tüte Kaffee. Im Auto zwängen sich zwischen die Umzugskartons noch ein Eimer, mehrere Wischmopps in unterschiedlicher Größe, ein Handfegerset mit Schaufel und ein Besen. Allerdings bin ich nicht die Matrone eines riesigen Haushalts, sondern Single, und das wird auch so bleiben.
Die groben Wegplatten, deren hochstehende Kanten unter den Flipflops drücken, kann ich nur erahnen, denn sehen kann ich nichts.
Auf der überdachten Veranda angekommen, stelle ich die Last vorsichtig ab und atme tief durch.
Hallo, neues Zuhause! Hallo, goldene Zukunft.
Bin ich wirklich hier? Knapp zweitausend Meilen entfernt von Saint Paul, Minnesota?
Ohne an die ganzen Kartons und Tüten im Auto zu denken, die in der Hitze schmoren, lehne ich mich gegen die warme Hauswand und schließe die Augen.
Die Luft riecht anders, ein sehr warmer Windhauch streicht mir über die Haut, obwohl wir erst März haben. Ich kann die feinen Salzkristalle schmecken, die der nahe Pazifik herüberweht. Es fühlt sich ungewohnt an, wenn man wie ich aus dem zweitkältesten Bundesstaat der USA nach Kalifornien kommt. Vor vier Tagen bin ich noch durch knietiefen Schnee über den Bürgersteig gestapft, um zu dem alten 73er Ford Kombi zu kommen, den ich mir für meinen Neustart gekauft habe. Dabei hat sich mein ganzer Körper gegen die Kälte gewehrt, und ich war noch Stunden nach der Abfahrt völlig verspannt vom Beladen mit den Umzugskartons.
Obwohl für mich hier alles fremd ist, fühle ich mich sofort zu Hause in Bellblossom. Einem klitzekleinen Fleckchen Erde an einem felsigen Stück Küste nahe Solana Beach, San Diego, Kalifornien.
Auf dem Weg zum Auto für die nächste Fuhre streichen meine Finger im Vorbeigehen über einen Lavendelbusch. Sofort breitet sich ein würziger Duft um mich herum aus.
Das ist mein neues Leben. Und ich werde alles dafür tun, damit es mir diesmal besser gelingt.
Dafür habe ich mir drei feste Vorsätze fein säuberlich in dem kleinen Notizbuch notiert, das in meiner Basthandtasche liegt. Es ist ein Geburtstagsgeschenk meiner Lehrerin der Abschlussklasse, und ich wollte es mir immer aufheben, um darin etwas Besonderes aufzuschreiben. Und das habe ich.
Vorsatz Nummer eins ist, mich nicht mehr mit falschen Freunden abzugeben, denn das hat mich die letzten drei Jahre gekostet.
Vorsatz Nummer zwei ist, im Job alles zu geben. Mr Bold, der Inhaber der alteingesessenen Anwaltskanzlei Bold & Partner hat mir sogar angeboten, für mich zu bürgen, damit ich einen Kredit für die Hausrenovierung aufnehmen kann.
Und mein dritter und wichtigster Vorsatz ist, mich nicht zu verlieben, denn genau wie bei der Wahl meiner Freunde scheine ich auch bei der Männerwahl ein unglückliches Händchen zu haben. Meine Vorliebe für besonders hoffnungslose Fälle führt nur dazu, dass ich leide wie ein Hund.
Und damit ist jetzt Schluss!
Mein Handy klingelt. Es ist Skye, die sicherlich wissen will, ob ich gut angekommen bin.
Mit ihrem niedlichen hellblonden Fransenbob, den großen blauen Augen, den vollen Lippen und ihrer zierlichen Figur sieht sie aus wie eine Erscheinung, ein kleiner Engel. Irgendwie entrückt, lieblich und anschmiegsam. Aber auch geheimnisvoll, und das ist sie. Denn in ihr tobt ein ständiger Vulkan, ihr Temperament und ihre Energie sind scheinbar unerschöpflich.
Sie ist meine beste Freundin hier in Kalifornien.
Leider auch meine einzige Freundin.
Es gibt viele Menschen, die ich deutlich länger kenne. Aber keinen, den ich lieber mag. Gerade einmal fünf Monate ist es her, dass wir uns kennengelernt haben. Ihr Anruf hat mein Schicksal in die richtige Richtung gelenkt. Skye ist bei einem Nachlassverwalter tätig, und ihr wurde die Aufgabe übertragen, die Erben für das Haus meiner Großtante in Bellblossom zu finden. Sie platzte unvermittelt zu einem Zeitpunkt in mein Leben, als es von Perspektivlosigkeit, einer Ich-bin-gegen-alles-Haltung und einer riesengroßen inneren Leere geprägt war.
Seitdem habe ich mich öfter gefragt, ob ich sie deswegen sofort umwerfend fand? Aber das ist es nicht.
Ich mochte einfach ihre unverblümte, praktische Art, mit der sie mir von dem unerwarteten Erbe berichtete und nachdrücklich versicherte, sie sei keine Trickbetrügerin, die an meinen letzten Cent kommen wolle. Da hätte sie auch lange drauf warten können, denn ich war komplett pleite.
Aber wieso sollte ich auch nicht daran zweifeln, dass der Anruf ernst gemeint war? Schließlich wusste ich nicht einmal, dass es diese Großtante überhaupt gegeben hatte. Meine Großeltern und sie hatten sich überworfen. Selbst meine Eltern erzählten mir immer, dass der Rest unserer Verwandtschaft verschollen sei. Und nun war ich die einzige Überlebende der Familie und hatte somit Anspruch auf ein eigenes kleines Häuschen direkt am Meer!
Nachdem wir uns das erste Mal getroffen haben, quasi zur Beurkundung und Erledigung der Formalien, war klar, dass Skye und ich beste Freundinnen werden.
Ein paar Wochen, Hunderte von Chats und einige Telefonate später hat sie ihren Chef Howard angebettelt, mir einen Job bei einem seiner Bekannten zu vermitteln, damit ich auch wirklich hierher ziehe. So viel Nächstenliebe hat nach dem ganzen Pech der letzten Jahre sofort meinen Argwohn geweckt. Aber inzwischen kenne ich sie deutlich besser und weiß, dass Skye einfach eine Macherin ist.
Und jetzt habe ich nicht nur ein eigenes kleines Häuschen, auch wenn es etwas verwohnt ist, sondern eben auch eine neue beste Freundin und eine echte Perspektive.
»Na, Lianna, schon in deinem kleinen Schloss angekommen?«, fragt sie neugierig.
»Gerade eben. Ich habe es aber noch gar nicht hinein geschafft.«
»Wie schade, da ist dein Hofstaat sicher enttäuscht.«
»Wenn du damit die Mäuse und Spinnen meinst, die ich beim letzten Besuch gesehen habe, kann ich damit leben.« Ich denke an das dunkle, feuchte Zimmer in einer Wohngemeinschaft, in dem ich bis vor einer Woche gehaust habe. Bei dem Gedanken daran läuft es mir kalt über den Rücken, und ich schäme mich etwas. Ich hoffe nur, Skye findet nie heraus, wie es wirklich um mich stand.
»Besser die als gar kein Leben in der Bude. Ich kann nachher Floyd mitbringen, der spielt gerne mit Mäusen.«
»Ich kann mir schon denken, wie der spielt. Einmal durchs Haus jagen, und zum Schluss packt er die mit seinen Riesenpranken und macht sie platt.«
Floyd ist Skyes Riesenmischlingshund. Ein Viertel Schäferhund, ein Viertel Boxer, etwas Jagdhund, und der restliche Genpool muss irgendetwas mit Müllschlucker zu tun haben, meint Skye, denn er frisst wirklich alles, was ihm vor die süße dunkelbraune Nase kommt. Sie hat mir glaubhaft versichert, dass er den Rekord im »Riesen-Jalapeño-Pizza mit Käserand«-Wettessen hält – inklusive Pappschachteln.
Durchs Telefon höre ich sie schnaubend lachen. Vermutlich denkt sie auch gerade daran. »So oder so ähnlich. Auf jeden Fall hätte er so viel Spaß, dass ich mir das Gassigehen heute Nachmittag sparen könnte und mehr Zeit zum Helfen hätte.«
»Moment mal …« Mein Blick schweift über den Garten, und ich hüpfe zu ein paar Büschen an der Grundstücksgrenze und inspiziere den etwas morschen Holzzaun dahinter. Er knarzt zwar, als ich an ihm rüttle, hält aber. »Lass ihn doch draußen spielen. Ich glaube, es ist alles eingezäunt.«
»Bin schon auf dem Weg«, verspricht sie mir. Und gibt mir durchs Telefon einen dicken Schmatzer.
Nachdem wir aufgelegt haben, gehe ich wieder zum Haus. Mich ergreift eine feierliche Stimmung, als mir schlagartig klar wird, wo ich bin. Auf meiner Veranda. Vor meiner Eingangstür, die direkt in mein Haus führt. Mit zittrigen Fingern krame ich in der Handtasche nach dem Schlüsselbund. Als ich ihn nicht finde, öffne ich weit die Tasche und stecke den Kopf hinein.
Da liegt er, unter dem Notizbuch, dessen Anblick mich an meine guten Vorsätze erinnert.
Als ich aufschließen will, klemmt das Schloss. Aber mit ein bisschen Geruckel lässt sich das Problem lösen. Ich stoße die Tür auf und brauche kurz, um mich an das diffuse Licht drinnen zu gewöhnen. Es ist zwar hell, weil die Sonne scheint, aber die ungeputzten Scheiben filtern einen Teil des Lichts. Es riecht nach Holz, nach Staub und etwas abgestanden, weil ewig nicht gelüftet wurde. Zum Glück überhaupt nicht modrig oder feucht. Ich gehe durch die Räume, um die Fenster zu öffnen.
Hinter dem Eingang beginnt ein breiter Flur, von dem links die Küche abgeht. Die Schränke sind sicher fünfzig Jahre alt, in einem dunklen Grün gehalten, mit abgestoßenen Kanten. In der Mitte des Raums befindet sich eine Kochinsel. Eigentlich gerade wieder total angesagt, aber auch ihr Zustand ist so, dass ich gar nicht weiß, ob ich den Herd anschmeißen kann, ohne das ganze Haus abzufackeln. Die brüchigen Stromkabel schauen an einigen Stellen heraus.
Es hängen keine Bilder an der Wand. Im ganzen Haus nicht. Dafür gibt es ein paar weiße Rechtecke an den Wänden, wo sich früher wohl mal welche befunden haben. Wer sie jetzt hat, weiß ich nicht.
Rechts vom Flur liegen ein Gästebad und ein kleines Zimmer, das leer steht. In Gedanken habe ich es schon zu meiner Basis erklärt, denn bis auf den stumpfen Holzfußboden und die etwas fleckigen Wände ist es ganz ordentlich. Hier werde ich zuerst sauber machen, streichen und mein Lager aufschlagen. Mein Schlafsack und eine aufblasbare Matratze sind zwar nicht gemütlich, aber für die ersten Wochen wird es reichen. Wenn ich darauf die letzten Jahre verbracht habe, bringen mich die paar Wochen auch nicht um.
Geradeaus kommt man ins Wohnzimmer, das sich über die ganze Länge des Hauses erstreckt und zum Meer hin eine breite Glasfront hat. Davor schließt sich eine breite Holzterrasse an, die sich ebenfalls über die ganze Länge des Hauses erstreckt und sogar noch darüber hinausgeht. Nachdem ich den Raum das erste Mal gesehen habe, war mir sofort klar, dass ich einen Durchbruch zwischen Küche und Wohnzimmer brauche. Der Ausblick zwischen den trockenen Eukalyptusbäumen hindurch aufs Meer, das heute in weichen Wellen zum felsigen Strand unter dem Haus rauscht, ist einfach fantastisch.
Ich sehe mich schon in dem renovierten Haus in meiner offenen Küche stehen und Essen für eine kleine Party vorbereiten. Nur für nette Leute, für besondere Menschen, für Freunde und Bekannte. Denn in einem Ort, in dem es so jemanden wie Skye gibt, muss es noch mehr tolle Menschen geben.
Vom Flur aus gelangt man über eine Treppe in den ersten Stock, in dem noch einmal zwei große Zimmer und ein Bad sind. Vereinzelt stehen die alten Möbel meiner Großtante herum. Nicht mein Geschmack, aber besser als gar nichts. Die Kommoden und Schränke sehen ganz massiv und gut erhalten aus. Mit ein bisschen weißer Farbe lassen sie sich bestimmt tünchen. Auch ihr breites Bett sieht passabel aus. Eine neue Matratze müsste reichen.
Von hier oben sieht man nach hinten raus zwischen den Baumkronen auf den Pazifik, nach vorn über den kleinen Vorgarten zur verlassen daliegenden Straße. Letzte Woche habe ich noch auf zwölf Quadratmetern in einem innenliegenden Zimmer ohne Tageslicht gehaust und mir das Bad und die Küche mit acht weiteren Mitbewohnern geteilt. Welch ein Aufstieg. Dankbarkeit erfüllt mich, und ich mache mich beschwingt auf den Weg ins Erdgeschoss.
Einen Augenblick lang genieße ich das Gefühl, endlich ein Zuhause zu haben. Aber ich gönne mir nur eine kurze Auszeit. Dann mache ich mich an die Arbeit, denn es ist viel zu tun.
Gerade habe ich die letzten Besitztümer aus dem zerbeulten Ford Kombi ins Haus getragen und den ersten Fußboden gewischt, da höre ich draußen Floyds herzzerreißendes Jaulen. Als ich aus dem Küchenfenster schaue, sehe ich, wie er den Kopf über das Gartentor reckt, seinen massigen Kopf nach oben gestreckt und das Maul zu einem O geformt. Wie ein Kojote, der nach seinem Rudel ruft. Schon erscheint Skye hinter ihm und öffnet das Tor.
Ich gehe den beiden schnell entgegen, denn Skye ist genauso schwer beladen wie ich zuvor.
»Gut erzogen …«, rufe ich ihr zu und strecke beide Hände nach einer der Taschen aus.
»Floyd? Das wüsste ich aber!«, keucht Skye etwas außer Atem und fällt mir erst einmal um den Hals.
»Ich meinte auch dich, seine persönliche Türöffnerin.«
»Ja, Wahnsinn, oder? Ich kann einfach nicht anders, bin wohl schwerst hundeverliebt.«
Wir lösen uns voneinander, und sie streicht mit der frei gewordenen Hand über sein dunkelbraunes Fell.
»Eigentlich habe ich alles, was wir für eine Putzorgie brauchen«, sage ich zu ihr, während ich die Tüte in meiner Hand inspiziere. Dabei ist Putzorgie nicht das angemessene Wort für das, was in meinen neuen vier Wänden schleunigst passieren sollte. Es ist eher eine Kombination aus Schädlingsbekämpfung, Entrümpelungskommando und Großreinigung.
»Für den Hausputz vielleicht …« Skye hält mir die zweite Tasche hin und öffnet sie weit.
»Putzlappen?«, frage ich ungläubig und ziehe mit spitzen Fingern an einem dünnen Stoffzipfel, der eher nach feinster Seide als nach grobem Staubtuch aussieht.
»Könnte man so sagen … oder eher etwas, um dich herauszuputzen.« Grinsend beobachtet sie, wie meine Gesichtszüge sich verändern.
Von Verwirrung, als ich das Stück Stoff immer weiter herausziehe, bis zu ungläubigem Staunen, als ich es schließlich ganz in der Hand halte.
»Eine Seidenbluse?« Sie ist weiß, fühlt sich wahnsinnig weich und edel an und hat sogar ein eingenähtes Top, damit der BH nicht durchscheint. So ein edles Teil war noch nie in meinem Besitz.
»Damit du dich morgen etwas herausputzen kannst. Dein erster Arbeitstag bei Bold. Oder?«
Dankbar falle ich ihr um den Hals.
»Ach, nicht der Rede wert«, winkt Skye ab und freut sich riesig, als ich nacheinander ein Teil nach dem anderen aus ihren großen Taschen ziehe und meine Augen vor Entzücken immer größer werden.
Nacheinander fördere ich ein modisches Business-Highlight nach dem anderen zutage. Zwei weitere Blusen, eine in Schwarz und eine in Taubengrau mit einer großen modernen Schleife am Hals, eng geschnittene Stoffhosen in Weiß, Creme und Grau. Tops, einen Blazer und zwei paar Ballerinas, die aussehen wie neu. Dazu noch ein paar bunte, luftige Sommerkleider, die auf den ersten Blick aussehen wie für meine Figur gemacht. Eines in hellem Petrol mit geflochtenem dünnen Ledergürtel gefällt mir besonders gut. Es sieht aus wie ein Einzelstück von einem noblen Designer. Über die ganze Vorderseite ist eine auffällige große Blüte gestickt. Es ist traumhaft schön.
»Ich dachte, ich müsste dort mit löchriger Jeans und Schlabbershirt auftauchen und darauf beharren, dass das der neue Kanzlei-Shabby-Chic ist.«
»Da hättest du aber jede Menge Überzeugungsarbeit leisten müssen, denn Bold ist, wie du vielleicht schon gemerkt hast, etwas … konservativ.«
Ja, das habe ich, bei dem kurzen Vorstellungsgespräch, das vor vier Wochen ungewöhnlicherweise in einem Café in der Nähe der Kanzlei in Bolds Mittagspause stattfand. Mr Bold kam in einem maßgeschneiderten blauen Sakko mit Manschettenknöpfen, die so teuer aussahen wie mein alter Ford. Immerhin habe ich für die Klapperkiste mehrere Hundert Dollar bezahlt.
»Woher hast du die Klamotten?« Ich lege die Teile sorgfältig wieder in die Taschen zurück, damit sie bei unserer bevorstehenden Reinigungsaktion nicht in Mitleidenschaft gezogen werden.
»Ich habe Nila nahegelegt, mal wieder ihren übervollen Kleiderschrank auszumisten, bevor sie den Überblick verliert, nachdem sie erneut im Shoppingrausch war.«
Nila ist Skyes modebewusste Mitbewohnerin.
»Und sie weiß, dass du mir die Sachen gibst?«
»Sagen wir es mal so: Sie weiß, dass sie sich keine Sorgen um den Abtransport machen muss, weil ich das übernommen habe.«
»Und für deine Mühe muss sie jetzt eine Woche lang abwaschen …?«, rate ich frech.
»Iiih, was denkst du nur, Lianna?« Skye stößt ein leises Quietschen aus und lacht still in sich hinein. »Wir haben einen Geschirrspüler«, ergänzt sie.
»Dann hat sie dafür zwei Wochen Küchenfegedienst?«, tippe ich noch einmal.
»Das würde ich nie von ihr verlangen …«
Einen Moment lang komme ich ins Grübeln. »Bad? Dann ist das Bad dran?!«
»Inklusive WC, die nächsten vier Wochen …«
»Du bist ein echter Teufel, Skye Patterson!«, lobe ich sie scherzhaft. Noch nie habe ich es erlebt, dass jemand so offensichtlich einen Vorteil in Anspruch nimmt und seinem Gegenüber trotzdem das Gefühl gibt, etwas schuldig zu sein.
»Es war ein Notfall, Lianna, glaub mir!« Mit großen Kulleraugen schaut sie mich zwischen ihren blonden Strähnen hindurch gewinnend an. »Unser Badezimmer sah grauenerregend aus, und dann kam Nila mit neuen Klamotten nach Hause und fluchte, weil sie keinen Platz mehr in ihrem Schrank dafür fand. Nenn mich gute Fee, weil ich ihr angeboten habe, die Entsorgung zu übernehmen.«
»Schon klar.«
»Außerdem hast du erwähnt, dass du nur das Nötigste in deinem Wagen mitkriegst.«
Mein Magen zieht sich augenblicklich zusammen, als sie die Notlüge wiederholt, die ich ihr vor ein paar Tagen am Telefon aufgetischt habe. Skye weiß so vieles nicht von mir, und ich fühle mich wirklich mies deswegen.
Aber sollte ich unsere sich rasend schnell entwickelnde Freundschaft über so viele Bundesstaaten hinweg damit belasten, ihr von meinen fragwürdigen Lebensumständen zu berichten?
Die offizielle Version lautet, dass ich in dem klapprigen Ford nur das Nötigste mitnehmen konnte und mich entschieden habe, den Rest erst zu holen, wenn ich das Haus auf Vordermann gebracht habe. Die inoffizielle Version ist, dass ich nicht mehr als diese paar Kartons besitze!
»Hallo, Lianna? Noch anwesend?« Skye merkt, dass ich abwesend bin, und schaut mich besorgt an.
Ich weiche instinktiv ihrem Blick aus und täusche Betriebsamkeit vor, indem ich die beiden Klamottentaschen in eine Ecke des Flurs stelle, die ich direkt vor ihrem Erscheinen schon gefegt und gefeudelt habe.
Im Moment ist nicht der richtige Zeitpunkt für Erklärungen. Noch lange nicht!
Obwohl ich kaum geschlafen habe, fühle ich mich am nächsten Morgen wach und voller Energie. Die Erinnerungen an den gestrigen Tag lassen mich mit einem breiten Lächeln aufstehen.
Skye ist ein echter Schatz. Sie ist noch bis zwei Uhr nachts geblieben, damit mein provisorisches Schlafzimmer im Erdgeschoss vor der ersten Nacht bezugsfertig wird.
Wir haben im gesamten Haus den Boden und auch die Wände gefegt, weil überall Staub lag und Spinnenweben hingen, gefeudelt, die Fenster geputzt und die restliche abgestandene Luft rausgelassen.
Dabei habe ich Floyd richtig beneidet. Er hat währenddessen Schmetterlinge im Garten gejagt und sich danach in der Sonne geaalt. So wohl, wie er sich in dem Garten fühlt, habe ich Skye angeboten, ihn am Wochenende öfter bei mir zu lassen, auch wenn sie etwas anderes vorhat.
Während ich mich an das Reinigen der Bäder gemacht habe, ist Skye noch einmal zu einem Megastore ein paar Orte weiter gefahren und hat ihr Auto mit Farbe vollgeladen. Ein wunderschönes Cremeweiß, mit dem wir die Wände meines provisorischen Lagers im Erdgeschoss gestrichen haben.
Wann habe ich in letzter Zeit so viel Produktives geschafft? Mir fällt nichts ein. Deshalb fühle ich mich gut, als ich zu meiner neuen Arbeitsstelle aufbreche.
Doch je näher ich den mehrstöckigen, verglasten Bauten des Core Districts, dem Geschäftsviertel von San Diego, komme, desto schneller klopft mein Herz. Meine Hände schwitzen, und das nicht, weil die Klimaanlage im Wagen spinnt. Wer kommt beim Autokauf in Eiseskälte schon auf die Idee, so etwas auszuprobieren?
Bold & Partners ultramoderner, luftig wirkender Bürokomplex liegt an einer stark befahrenen Straße, die jetzt zur Hauptverkehrszeit hoffnungslos verstopft ist. Der Stau gibt mir ein paar Minuten, in denen ich tief durchatmen kann. Mein Puls wird langsam wieder ruhiger.
Als Mitarbeiterin darf ich in der Tiefgarage parken. Die Einfahrt liegt gut sichtbar vor der nächsten Kreuzung, genau wie Mr Bold es mir beschrieben hat.
Ich zwänge mein breites Auto in eine freie Parklücke, weit entfernt vom Fahrstuhl. Das Einparken dauert eine Weile, da ich keine Servolenkung habe und mit den großen Ausmaßen des Fords noch nicht so vertraut bin.
Anscheinend bin ich die Einzige, die keinen Neuwagen fährt, wenn ich mir die geparkten Wagen anschaue. Es juckt mich in den Fingern, die Sonnenbrille aufzusetzen, damit ich vom Glänzen des Lacks und Chroms im hellen Neonlicht nicht geblendet werde.
Ein dunkelgrauer Porsche fährt dicht an mir vorbei, als ich gerade mal wieder eingeschlagen habe und zurücksetzen will. Aus dem Inneren heraus höre ich sogar durch die geschlossenen Fenster den neusten Hit von The Weeknd dröhnen.
Ich setze zu einem lauten Fluch an und versuche, einen Blick in den Wagen zu erhaschen.
Du rücksichtsloser Idiot!
Eine Schimpftirade bleibt mir im Hals stecken, denn am Steuer des Porsches sitzt ein so unverschämt gut aussehender Mann, dass es mir die Sprache verschlägt. Teurer Anzug, weißes Hemd, das zwischen der geschlossenen Knopfleiste hervorblitzt, sonnengebräunt, zurückgekämmtes dunkles Haar und markante Gesichtszüge. Ein Mann, der Frauen verdammt gefährlich werden kann.
Solche Menschen sieht man ja nicht jeden Tag. Schade, dass er so ein rücksichtsloser Fahrer ist. Ich wende den Blick ab und mühe mich erneut mit dem Auto ab.
»Im Augenblick sind es knapp tausend«, beantwortet kurze Zeit später Mr Bold meine Frage nach der Anzahl der Mitarbeiter. »Aber natürlich über mehrere Standorte verteilt.«
»Natürlich«, pflichte ich ihm bei und hoffe, nicht allzu beeindruckt zu wirken. Was für eine Menge Arbeitsplätze, für die Aden Bold die Verantwortung trägt. Vorsichtshalber schließe ich auch den offen stehenden Mund.
Der große Besprechungsraum mit Blick über San Diego zwischen den großen Gebäuden des Geschäftsviertels bis zum strahlend blauen Meer, die modernen hellen Stahlmöbel, der gemaserte Holztisch und das weiche Leder der Stuhlpolster machen für mich dieses Gespräch irgendwie surreal. Ich in dieser Kanzlei. Ist das ein Traum?
»Hier in diesem Gebäude sitzen zweihundert. Wir sind auch in zwei Außenstellen in Los Angeles, in San Francisco, aber auch an mehreren Standorten in Florida.«
Ich kann mich gerade noch zurückhalten, fast hätte ich laut durch die Zähne gepfiffen. Das wäre wohl unangebracht und passt auch nicht zu meinem Business-Outfit. Die weiße Seidenbluse liegt kühl auf der Haut. Der Stoff streicht bei dem leichten Lufthauch, der aus einer indirekten Klimaanlage kommt, immer wieder sanft über meine Haut. Dazu trage ich die etwas weite graue Stoffhose von Nila und ein paar ihrer flachen Ballerinas in einem modischen Schlammton.
In Gedanken schicke ich ein riesengroßes Dankeschön an Skye. In der Mittagspause muss ich ihr unbedingt schreiben. Die ganzen Klamottenberge sparen mir Hunderte von Dollar, die ich sonst für ordentliche Bürokleidung auf den Tisch blättern müsste und jetzt ins Haus stecken kann. Am liebsten würde ich mich bei Nila persönlich bedanken, aber Skye meint, das wäre nicht so klug, da diese glaubt, ihre Sachen wären irgendwo in der Kleiderspende. Ich muss mir merken, dass ich nie irgendetwas davon trage, wenn ich Skye und sie mal besuche.
Akten sortieren, Gutachten abtippen, Unterlagen für Gericht und gegnerische Parteien zusammenstellen, allgemeine organisatorische Tätigkeiten, Schreibarbeiten … Die Worte von Aden Bold rauschen nur so durch meinen Kopf, und ich nicke eifrig. Selbst wenn er sagen würde, ich solle die Waschräume putzen oder den Müllcontainer reinigen, hätte ich zu allem genickt. Denn ich habe einen Job! Und er hat wenigstens noch ein bisschen mit dem zu tun, von dem ich mir einbilde, etwas zu verstehen.
»Ein polizeiliches Führungszeugnis und das Empfehlungsschreiben eines gewichtigen Unternehmens ist natürlich Standard, bevor der Einstellungsvertrag unterschrieben wird«, kommt es wie nebenbei von ihm.
Schluck.
»Das dürfte kein Problem sein, oder?«
Mein Hals ist wie zugeschnürt, und mit einem Mal platzt dieser wunderschöne Traum, den ich in den letzten Wochen geträumt habe.
Das Blut rauscht mir laut in den Ohren und verhindert für einen Augenblick, dass ich klar denken kann.
»Den Arbeitsvertrag habe ich schon dabei …« Meine Stimme klingt kratzig und rau. Mit zitternden Fingern ziehe ich das gewünschte Dokument aus der Schutzhülle.
Mr Bold greift über den Tisch und schaut sich die einzelnen Seiten an. Der entschlossen wirkende Mann mit den grauen Schläfen und den sympathischen, von Lebenserfahrung geprägten Gesichtszügen wirkt für eine Sekunde unschlüssig. »Manchmal ist unsere Personalabteilung schneller, als ich denke. Darren hat sicher alles kontrolliert. Na, dann haben die ja schon alles von Ihnen. Super. Dann will ich Sie nicht weiter aufhalten. Guten Start!« Geschäftig schiebt Mr Bold seinen Stuhl zurück und reicht mir die Hand.
Ich müsste jetzt etwas sagen. Die Sache aufklären. Aber das kann ich nicht. Ich bin doch gerade erst hier angekommen. Ich kann nicht wieder zurück!
Wie ferngesteuert greife ich nach seiner Hand und bleibe stumm.
Die nächsten Stunden verbringe ich damit, mir von Coleen, der guten Seele der Kanzlei, wie Bold sie nennt, alles Wichtige zeigen zu lassen. Die Räumlichkeiten, meinen Arbeitsplatz ihr gegenüber, zumindest für die Einarbeitungszeit, das Ablagesystem der Fälle und so viel mehr, dass mir schon der Kopf gehörig dröhnt, als sie einen Lunch vorschlägt.
Die firmeneigene Kantine gleicht einem modernen Restaurant. Der Raum ist hell, verschachtelt und bietet an unterschiedlich großen Tischen sicher Platz für zweihundert Personen. Vorsichtig geschätzt. Es ist um diese Uhrzeit sehr voll. Und ich sehe rings um mich herum nur schöne Leute. Die Frauen sind überwiegend blond und top gestylt, die Männer sehen eher aus wie Fitnessgurus und nicht wie Anwälte. Entweder zieht es nur Blondinen und Sportfreaks nach San Diego oder man wird so, wenn man nur lange genug hier lebt.
Coleen empfiehlt mir den Caesars Salad und bestellt sich auch einen an der Essensausgabe. Dann steuert sie auf einen großen runden Tisch zu, an dem schon ein paar andere Frauen in meinem Alter sitzen. Und obwohl sie alle auf den ersten Blick sehr geschäftig und kühl wirken, täuscht der Eindruck. Ich werde warmherzig begrüßt und wie selbstverständlich in die Unterhaltung einbezogen.
Ich versuche zuzuhören und mir zu merken, worüber die anderen reden. Wie hieß die Rothaarige mir gegenüber noch einmal? Allison? Und die mit den schwarzen langen Haaren links von ihr? Sie hat etwas von Pokahontas. Insgeheim verpasse ich ihr diesen Spitznamen. Den Namen der Kleinen mit der Brille kann ich mir vor lauter Aufregung auch nicht merken.
Plötzlich wird es still um mich herum. Irgendetwas hat sich in den letzten Sekunden unter meinen Tischnachbarinnen verändert. Das spüre ich instinktiv. Nur kann ich nicht ausmachen, was es ist. Ich werfe Coleen einen fragenden Blick zu, aber die guckt haarscharf an mir vorbei auf irgendetwas, das direkt hinter mir stattfinden muss. Die anderen senken die Blicke und stochern in ihrem Essen, von ausgelassener Stimmung ist hier keine Spur mehr.
»Dein Geheimtipp war scheiße, Coleen, nur dass du es weißt!«, höre ich eine männliche Stimme laut und selbstbewusst.
An den Tischen um uns herum konzentrieren sich die Mitarbeiter angestrengt auf ihr Essen. Beziehungsweise tun so, denn ich kann sehen, wie viele heimlich zu uns rüberschielen.
Obwohl ich es nicht will, drehe ich mich um, damit ich sehe, wer so eine Wirkung auf einen Raum voller Menschen haben kann.
Schräg hinter mir steht der Typ aus dem Porsche.
Er hält eine Mappe mit Papieren in der Hand und fixiert Coleen mit dunklen Augen, die undurchdringlich und geheimnisvoll wirken.
»Deine Freundin ist keine ausgebildete Sekretärin, sie ist eine Vollkatastrophe!« Sein Tonfall ist schneidend und … vernichtend.
»Ich sag den Personalern, sie sollen sie entlassen.«
»Spar dir die Mühe, das habe ich schon erledigt.«
»Im Personalbüro Bescheid gesagt?«, fragt Coleen ungläubig, als würde sie dem Kerl eine solche operative Tätigkeit gar nicht zutrauen.
»Nein, die Dame entlassen. Ich habe ihr gesagt, sie soll ihre Sachen packen und nicht mehr wiederkommen.«
Coleen scheint die Fassung zu behalten, aber ich sehe ihr an, wie sich ihr Gesicht verschließt.
Der Typ dreht sich ohne ein weiteres Wort um und geht. Wie von Geisterhand entspannen sich alle wieder. Nein, seine Persönlichkeit kann wirklich nicht mit seinem Aussehen mithalten.
»Das war Darren de Best, Bolds Partner«, erklärt mir die Rothaarige so beiläufig, als ob wir alle eben nicht einen total miesen Auftritt von einem umwerfend gut aussehenden Mann miterlebt hätten.
Meinem zweiten Chef neben Bold!
»Ich hätte dich gerne vorgestellt«, erklärt Coleen mir entschuldigend, »aber ich sage mal, Mr de Best hat kein so großes Interesse an neuen Mitarbeitern.«
»Vielleicht lohnt es sich für ihn auch nicht, sich die Namen zu merken, wenn er sie so schnell wieder rauswirft«, versuche ich mich an einem Witz, merke aber, wie komisch mich die anderen auf einmal angucken.
Hinter mir höre ich ein unfreundliches Räuspern.
»Eine Sache noch, Coleen …«
Verdammt! Ich ducke mich über den Salat und stopfe eine übervolle Gabel in den Mund. Nur zur Sicherheit, falls er mich für die Bemerkung zur Rede stellen will. Oder gleich wieder feuern. Das wäre ein kurzer Auftritt. Für vier Stunden und vierzehn Minuten wäre ich zumindest vielversprechende Angestellte bei Bold gewesen.
Aber de Best scheint sich mit Neulingen wie mir wirklich nicht abzugeben. Er trägt Coleen auf, sich sofort um Ersatz zu kümmern.
Sie blickt auf ihren halb aufgegessenen Salat, nickt erschlagen und steht auf. »So, Mädels, ich geh dann mal …« Mit einem Nicken in meine Richtung dreht sie sich um, und ich trotte betreten hinter ihr her. Ich traue mich nicht, mich noch einmal umzudrehen. Zum einen habe ich noch den Mund voll und muss mächtig kauen, was sicher ganz schön verfressen aussieht, zum anderen habe ich Angst davor, dass Bolds Partner noch einmal mein Gesicht sieht und es sich zusammen mit der Bemerkung abspeichert.
»Das ist unter seiner Würde, Lianna. Er merkt sich nur, wer wichtig für ihn ist«, versucht Coleen mich später zu beschwichtigen. »Meinen Namen behält er nur, weil Bold die Hand schützend über mich hält. Und jetzt muss ich schnell dafür sorgen, dass unser Held eine neue Sekretärin zum Verschleißen kriegt. Dann bin ich gleich wieder für dich da.«
»Kann ich helfen?«
Coleen schüttelt den Kopf. »Ist doch dein erster Tag, da sollst du nicht gleich die Drecksarbeit machen.«
»Ich dachte, so läuft das, wenn man neu ist?«
Sie schmunzelt und klappt gleichzeitig ihren Laptop auf.
Untätig zusehen will ich aber auch nicht. »Ich weiß, wie man Stellengesuche im Internet veröffentlicht! Ein Jobangebot gibt man sicher ähnlich ein. Soll ich?«
Coleen schüttelt nur leicht den Kopf.
»Aber da melden sich sicher über hundert Bewerber, bei so einer renommierten Kanzlei. Und dann sucht ihr einen oder eine aus, und den Rest aus der engeren Auswahl könnt ihr als Nachrücker nehmen, wenn wieder eine hinschmeißt.«
»Lianna, lass gut sein.« Coleen wirft mir ein flüchtiges Lächeln über den Laptopmonitor zu.
Fasziniert schaue ich ihr zu, wie ihre Finger wahnsinnig schnell über die Tastatur rattern. Zwischendurch klickt sie auf die Maus. Mit zusammengezogenen Augenbrauen fixiert sie konzentriert den Bildschirm. Zwischendurch wird Coleen immer wieder vom Klingeln des Telefons unterbrochen. Knapp, aber höflich vertröstet sie die Anrufer. Ihren Auskünften nach zu urteilen, sind es alles Mandanten, die Fragen zu ihrem Fall haben. Wie sie so konzentriert und trotzdem gelassen wirken kann, ist mir ein Rätsel.
Als ich sie danach frage, meint sie nur: »Computerspiele, jede Menge Computerspiele, am liebsten die, wo richtig Action ist, daher die Übung.«
Ich nutze die Zeit, um mich ein wenig in unserem Büro umzuschauen. Heute Vormittag war ich so überflutet von neuen Eindrücken, dass ich gar nicht bewusst wahrgenommen habe, wie es hier aussieht.
Es ist ein langgezogener Raum, in dessen Mitte sich zwei breite weiße Schreibtische gegenüberstehen, deren Arbeitsflächen mit edel glänzendem Klavierlack überzogen sind. An dem mit Blick zur Tür sitzt Coleen und ich ihr gegenüber. In Coleens Rücken befindet sich ein großes Fenster, durch das ich auf die anderen Bürokomplexe des Geschäftsviertels schauen kann.
Rechts und links von uns befinden sich hohe Sideboards, deren breite Schubfächer Coleen heute Vormittag ständig geöffnet hat, um Mandantenakten herauszuholen.
Der Rhythmus der Tippgeräusche verändert sich langsam. Kam es mir eben noch vor wie ein Hagelschauer, der auf die Tasten niederprasselt, ist es inzwischen nur noch ein leicht tröpfelnder Sommerregen. Passend dazu entspannt sich ihr Gesichtsausdruck von Minute zu Minute mehr. Dann atmet sie erleichtert auf.
»So, erledigt. Jetzt bin ich wieder für dich da!«
»Anzeige war keine gute Idee?«, hake ich neugierig nach. Mich interessiert, warum Coleen das Normalste der Welt, das Unternehmen tun, wenn sie eine Stelle frei haben, so einfach ablehnt.
»Gar nicht gut.«
»Weil …?«
»Weil wir einen Ruf haben«, höre ich eine Frauenstimme hinter mir. Es ist Pokahontas, die unbemerkt hinter mir ins Büro getreten ist.
»Eyleen«, kommt es von Coleen.
Sie legt einen Stapel Akten auf das Sideboard und beginnt, diese zügig einzusortieren. Ohne ihre Arbeit zu unterbrechen, erklärt sie mir: »Wir sind nicht irgendeine Kanzlei, wir sind die erste Adresse in Kalifornien und Florida, wenn es um Wirtschaftsrecht geht.«
Ehrfürchtig nicke ich, obwohl Pokahontas das nicht sehen kann.
Coleen stiert währenddessen auf ihren Monitor und scheint sich nicht damit wohl zu fühlen, dass Eyleen so offen mit mir spricht. Auch wenn sie sehr freundlich zu mir ist, bin ich für sie noch eine Fremde.
»Bold sucht kein Personal, Bold findet es. Weil alle zu Bold wollen.«
»Aber das ist nicht so?«
»Eigentlich schon, nur nicht, wenn es darum geht, jemanden für Darren zu finden. Deswegen nutzt Bolds Liebling hier«, während sie das sagt, nickt sie Coleen anerkennend zu, »auch ihre ganzen Kontakte, die sie durch ihre zahlreichen Weiterbildungen hat.«
»Bolds Ruf muss ja nicht darunter leiden, dass sein Partner so anspruchsvoll ist«, kommt es von Coleen.
»Anspruchsvoll ist gut!«, schnaubt Eyleen, steckt die letzte Akte ins Schubfach und verschwindet mit einem kurzen Nicken aus der Tür.
Coleen steht auf und streicht ihren Rock glatt. »Komm, ich habe dich noch gar nicht den Kollegen in den angrenzenden Büros vorgestellt.«
Gemeinsam klopfen wir an die Glastüren auf unserem Flur und stecken die Köpfe hinein.
Erleichtert stelle ich fest, dass Coleen nach der letzten Tür des Gangs wieder auf unser Büro zusteuert, ohne dass wir an dem Büro von Darren de Best vorbeigekommen sind.
Bis zum Feierabend erklärt mir Coleen noch die Ablagesysteme der Firma und freut sich, als ich zum Schluss einen ganzen Schwung Papiere aus ihrem Ablagefach unter ihren aufmerksamen Blicken richtig zusortiere. Am liebsten würde ich sie zu den einzelnen Fällen befragen. Aber Fallbegutachtungen gehören leider nicht zum Job.
Das schlechte Gewissen, das mich den ganzen Tag über begleitet und unter meiner freudigen Aufregung lauert, versuche ich zu ignorieren.
Ich bin hier richtig, das spüre ich.
»Du weißt, dass dieses Haus auch einen Keller hat?«, fragt mich Skye später, als wir die Wände im oberen Stockwerk streichen.
»Bis jetzt noch nicht, aber das erklärt, warum hier so wenig Sachen herumstehen.«
»Ich war mal unten. Ein heilloses Durcheinander, aber es riecht nicht schimmlig. Das kannst du dir gut für später aufheben.«
»Und der Eingang?« Eine Kellertreppe wäre mir aufgefallen.
»Ist eine Bodenluke im Flur. Steht jetzt die Kommode drüber.«
»Dann kann der Kellergeist wenigstens nicht raus.«
»Und du kannst nicht rein und ihn in seinem Schönheitsschlaf stören.«
»Also eine Win-win-Situation!«, stelle ich grinsend fest. »Dann lass ich ihn erst mal in Ruhe. Ich kann es sowieso kaum abwarten, endlich die Handwerker zu bestellen.« Unwillkürlich geht mein Blick zu den etwas morschen Fensterrahmen. »Sag mal, wie hast du das eigentlich mit der Stelle hinbekommen?«
»Mein Chef war mir noch einen etwas größeren Gefallen schuldig, und er kennt Bold gut. Sie sind zusammen in Harvard gewesen.«
Das Erste, was ich im Einführungskurs meines Rechtswissenschaftsstudiums in Minnesota gelernt habe, ist, dass wir uns im Berufsleben vor Harvard-Absolventen in Acht nehmen sollen. Die Universität hat den Ruf, weltweit die fachlich besten, taktisch klügsten und gerissensten Anwälte auszubilden.
Auch wenn ich nach vier Semestern quasi über Nacht der Universität den Rücken gekehrt habe und nie den langen Weg nach dem Bachelor auf eine Law School eingeschlagen habe, habe ich mir das trotzdem gemerkt.
Ob Darren de Best auch dort studiert hat? Vielleicht war Bold sein Mentor?
Erschrocken schiebe ich den Gedanken zur Seite. Der Auftritt dieses arroganten Typen beim Mittagessen scheint mir mehr zuzusetzen, als ich wahrhaben will.
Einen Augenblick bin ich versucht, Skye zu fragen, ob sie auch von dem Gerücht gehört hat, dass de Best einen unnatürlich hohen Sekretärinnenverschleiß hat. Aber höchstwahrscheinlich kennt sie gar niemanden aus der Firma, und dann fallen mir wieder Coleens Worte ein, und obwohl ich erst einen Tag dort arbeite, fühle ich mich verpflichtet, loyal zu sein und den Klatsch über Bolds Partner nicht weiterzutragen. Auch wenn ich Skye für absolut vertrauenswürdig halte, will ich mich auf die positiven Dinge konzentrieren und die Zeit nicht mit Spekulationen verbringen.
»Zu dem Kreditangebot hat Bold in dem Gespräch leider nichts gesagt«, kläre ich Skye auf.
»Ach, schade«, stimmt sie mir bedauernd zu. »Aber höchstwahrscheinlich ist das auch etwas, das du bei der Personalabteilung ansprechen kannst.«
»Meinst du?«
Bei dem Stichwort Personalabteilung fallen mir wieder siedend heiß Bolds Worte ein.
Ein polizeiliches Führungszeugnis und das Empfehlungsschreiben eines gewichtigen Unternehmens ist natürlich Standard …
Mein Hals verengt sich sofort, als ich an das Gespräch denke, und in mir breitet sich Starre aus. Der lange Stab mit der Farbrolle am Ende will sich nicht mehr hoch und runter bewegen lassen, sosehr ich auch meinen Muskeln befehle, einfach weiterzumachen.
De Best wirkt so berechnend und abgebrüht, dass er mich sicher nicht nur feuern lässt, wenn er erfährt, dass ich kein Führungszeugnis habe, sondern verklagt mich garantiert auch wegen Erschleichung eines Arbeitsverhältnisses aufgrund Vorspieglung falscher Tatsachen.
Hat Skye etwa irgendetwas gefälscht, um mir zu helfen, diesen Job zu bekommen?, schießt es mir durch den Kopf.
»Ist was, Süße?« Sie taucht ihre Farbrolle in den Eimer und streicht sie gewissenhaft ab, während sie mir einen besorgten Blick schenkt.
»Nein«, weiche ich aus. »Ich frage mich nur, wie Bold mich ohne Empfehlungsschreiben eingestellt hat. Er meinte, das wäre Standard.«
»Ach, das«, winkt Skye unbesorgt ab. »So etwas wollen viele Anwaltskanzleien haben. Ich habe Howard eins für dich fertig gemacht und hingelegt. Ich glaube, er hat nicht mal draufgeschaut und das unterschrieben.«
»Aber ich habe doch nie für deinen Chef gearbeitet«, stelle ich verwundert fest und spüre, wie sich meine Anspannung etwas löst und die Muskeln sich langsam wieder entkrampfen.
»Hab was zusammengefaselt aufgrund der intensiven Zusammenarbeit beim Nachlass deiner Großtante bla, bla …« Sie dreht sich mit der Farbrolle in der Hand wieder zur Wand.
Von einem polizeilichen Führungszeugnis sagt sie kein Wort. Und ich frage nicht weiter nach. Vielleicht meint es das Schicksal jetzt gerade wirklich gut mit mir, und in der Personalabteilung hat jemand etwas übersehen. Warum sollte ich das Glück herausfordern und irgendjemanden danach fragen? Manchmal sollte man eben einfach den Mund halten.
In den nächsten Tagen stellt sich heraus, dass die Bürgschaft keine große Sache bei Bold ist. Nur mich scheinen Summen nervös zu machen, die mehr als fünf Stellen vor dem Komma haben. Bei Bolds Fällen geht es meist um Millionensummen, und mein kleiner Hauskredit wird von der Personalabteilung ohne mit der Wimper zu zucken abgesegnet. Eine reine Formalie. Ein einfaches Geschäft. Skye musste im Rahmen ihrer Erbensuche das Haus meiner Großtante sowieso offiziell schätzen lassen, und mit der klitzekleinen Unterschrift, unter der ich in einem zwanzigseitigen Dokument Bold & Partner versichere, ihnen bei Nichtzahlung der Kreditsummen das Haus zu überlassen, ist für sie der Fall erledigt.
Am Ende der ersten Arbeitswoche habe ich nicht nur den Kredit bei der Bank in trockenen Tüchern, sondern auch noch jede Menge nette neue Kollegen kennengelernt.
Darren de Best war nicht dabei, und ich bin nicht böse darum. Coleen hat ihm schon am zweiten Tag des Jobs eine neue Sekretärin besorgt, die es bereits geschlagene vier Tage bei ihm aushält. Man munkelt, es könne daran liegen, dass er sie noch nicht gesehen hat, weil er zu einem Gerichtstermin nach Miami fliegen musste.
Die anderen Mitarbeiter machen einen freundlichen Eindruck. Damit hat sich die Quote der netten Kollegen auf achtundneunzig Prozent erhöht. Eine unglaublich hohe Zahl, wenn man den propagierten Gesetzmäßigkeiten meines alten Juraprofessors Duke Walker Glauben schenkt, der schwor, dass immer im Leben die 80-zu-20-Regel gilt. Bei den Menschen, die zu Recht verurteilt wurden, genauso wie bei freundlichen Kollegen. Aber vielleicht hätte er auf Darren de Best angesprochen behauptet, dass er Nervpotential für zwanzig arrogante Typen hat.
Das Fazit für meinen Start in Kalifornien fällt jedenfalls deutlich besser aus, als ich es mir je zu erträumen gewagt hätte. Abgesehen davon, dass er auf einer Notlüge basiert. Oder besser gesagt, dem Weglassen eines nicht ganz so unwichtigen Details.
Erpressung, Unterschlagung, Morddrohungen. Die Akte mit dem düsteren Inhalt liegt vor mir auf dem strahlend weißen Schreibtisch. Sie liest sich wie ein Krimi. Wissbegierig beuge ich mich über den Fall und schaue mir ein Beweisfoto genauer an.
Die große Schleife der dunkelgrauen Seidenbluse verdeckt das Bild. Dank Skyes ganzer Businessklamotten und der schlichten Teile, die ich aus Saint Paul mitgenommen habe, brauche ich mir um die Bürokleidung keine Gedanken zu machen. Ich streiche den Stoff zur Seite und betrachte das Foto, kann aber nichts Spannendes darauf erkennen.
Coleen ist kurzfristig zum Troubleshooting zu Bold verschwunden, und ich kann meine Neugier kaum zügeln, endlich etwas mehr als die kleinen Puzzleteilchen der Fälle zu sehen, deren ausgehende Schreiben ich tippe und die eingehenden dazusortiere, nachdem einer der Anwälte beschlossen hat, was damit zu tun ist.