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Mit dem Band "Lebte die Seife?" legen wir den Grundstein für unsere 'edition unbewohnt'. Im Jahr 2011 begegneten wir uns bei einem Stipendium im Schloss Wiepersdorf. Über die folgenden Jahre entspann sich ein Dialog, der, auch über Umwege, ein Sammelsurium an Ideen begünstigte. Dieses Sammelsurium wiederum entwickelten wir über drei Jahre lang - während meiner Arbeitsaufenthalte im Atelierhaus des KuBa Saarbrücken in den Jahren 2017, 2018 und 2019 - weiter. Vera Kattler fertigte im Jahr 2019 die Serie "Das schöne Gewand", der ich einen Zyklus meiner Prosaminiaturen gegenüberstellte. Ein stetiger Austausch zu unseren Arbeiten beförderte den Wunsch, beides in einem Buch zusammenzubringen. In unserem Buchprojekt verfolgen wir einen freien künstlerischen Ansatz, der grundlegend für unsere 'edition unbewohnt' werden soll. (Danilo Pockrandt)
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Seitenzahl: 24
Die Barttasse
Das Ei
Ein Brummen
Hinter dem Feld
Beulen
Der Zaun
Der Hut
Die Enten
Ein Mann
Heut´ gehe ich zum Strand
Der Baum
Wald
Jonglage
In den Wellen
Am Fenster
Meine Stimme
Lichtflecke
Das Haus
Regen
Das Bettzeug
Der Einzige im Ort
Die Seife
Der Pool
Schnee
Perlen
Nachwort
Man reichte sie mir im Nachmittagslicht. Die Tasse war offenbar kurz abgewaschen und der Tassenbart frisch geföhnt und gekämmt worden. Ich versuchte zu trinken, aber der Bart rutschte immer auf die Seite, an der ich ansetzen wollte. Es fühlte sich merkwürdig an, ihn mit den Lippen zu berühren. War der Bart tot? Lebte er? Wieso war es ihm überhaupt möglich zu verrutschen, der Tassenrundung nach Belieben zu folgen? Die Fragen, die den Tassenbart betrafen, nahmen anderen Gedankengängen den Platz. Vermutlich war das Taktik. Tee oder Kaffee? Eine beliebte Frage in alltäglichen Abläufen. Wer rechnete schon mit einer Barttasse? Ich bemerkte einzelne Härchen in meinem Tee. Der Bart saß genau am Tassenrand, als würde er sich nicht entscheiden können, entweder außen zu hängen oder in der Tasse zu schwimmen. Ich entschied mich, die Tasse stehen zu lassen, einfach aufzustehen und zu gehen. Ich ahnte noch nicht, dass alle Worte, die ich in den folgenden Tagen sprach, mir nackt und verloren vorkommen würden.
Ich hatte schon zum Schlag angesetzt, als es im Ei klopfte. Ganz leise. Ich hätte es fast nicht gehört. Ich legte mein Ohr an die Schale und lauschte. Ich glaubte zu verstehen und legte den Löffel beiseite. Ich verließ das Haus und ging bis zum nächsten Bauernhof. Dort traf ich auf eine Schar laut gackernder Hühner. Ein Huhn löste sich aus der Menge und stellte sich vor mich hin. Ich räusperte mich, rang nach Worten. Da schnellte sein Kopf zu Boden und es packte eine Assel, die gerade über meinen Schuh krabbelte. Achso!, dachte ich und ging.
Ich hielt es nicht mehr aus. Ständig brummte es. Ich ging vors Haus und starrte in den Himmel. Das Brummen hörte auf. Kaum hatte ich meinen Blick abgewendet, ging das Brummen wieder los. Also schaute ich wieder auf. Das Brummen verstummte. Ich schrie, was das sollte, fuchtelte mit den Armen. Dann ging ich ins Haus, holte mir eine Decke und legte mich auf die Wiese. Ich genoss die Ruhe, während ich in den Himmel schaute. Als ich einschlief, setzte das Brummen wieder ein; meine Träume störte das nicht.