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Bogenschütze, Schwertkämpfer, Kriegsherr Thomas Blackstone. Verpflichtet vor seinem König - und seinem Sohn. Die Bestseller-Serie geht weiter! Historisch exakt recherchiert, spannend und schonungslos. Für alle Leser von Bernard Cornwell und Robert Fabbri. BLUT IST STÄRKER ALS DAS SCHÄRFSTE SCHWERT. Frankreich, 1362: Zwar wurde Thomas Blackstone, einst ein einfacher Bogenschütze, zum Kriegsherrn König Edwards III. ernannt – doch das schützt ihn vor Verleumdung nicht. Eine Gruppe Ritter des Deutschen Ordens trachtet nach Vergeltung an dem walisischen Söldnerführer Gruffydd ap Madoc, der für grausame Verbrechen im Elsass verantwortlich sein soll. Da wittert Simon Bucy, der raffinierte Berater des französischen Königs, seine Chance. Blackstone sei mit dem Waliser geritten und der eigentliche Schuldige, flüstert er ihnen ein, und die Ritter begeben sich auf die Suche. Blackstone kämpft derweil mit Entschlossenheit für den Anspruch seines Königs auf französischen Boden. Zugleich bangt er um die Sicherheit seines Sohnes Henry. Dann gerät nicht nur dieser, sondern auch der englische Prinz in größte Gefahr …
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Seitenzahl: 653
David Gilman
Legenden des Krieges: Der eiserne Schwur
Aus dem Englischen von Anja Schünemann
Bucys scharfer Juristengeist war augenblicklich angespannt wie eine Armbrustsehne. Diese Deutschritter waren ein Gottesgeschenk. Vielleicht war Er doch mit ihnen. Sie waren besser als jeder gedungene Meuchelmörder. In dieser Situation konnte eine Lüge großen Nutzen bringen. «Der Mann, den Ihr sucht, dieser Waliser, stand wiederum unter der Führung eines anderen – eines Engländers, Thomas Blackstone. Blackstone und ap Madoc sind die Männer, die solch willkürliche Gewalttaten gegen Unschuldige verübt haben. Findet den Engländer, dann werdet Ihr auch seinen Freund finden.»
Wolfram von Plauen wechselte Blicke mit den anderen Rittern. Das war eine überraschende Information. «Unseren Dank, mein Herr. Wo können wir diesen Thomas Blackstone finden?»
David Gilman, aufgewachsen in Liverpool, lebt heute in Devonshire. Schon als 16-Jähriger kutschierte er in einem zerbeulten Ford Bauarbeiter durch den afrikanischen Busch. Verschiedenste Jobs überall auf der Welt folgten: als Feuerwehrmann, Waldarbeiter und Werbefotograf, als Marketingmanager eines Verlags und Fallschirmjäger in der British Army. Seit 1986 widmet er sich vollständig dem Schreiben. Er ist erfolgreicher Radio- und Drehbuchautor, seine Kinder- und Jugendromane wurden in 15 Länder verkauft. Im deutschsprachigen Raum wurde er mit seiner historischen Romanserie «Legenden des Krieges» um den Steinmetz, Bogenschützen und Schwertkämpfer Thomas Blackstone zur Zeit des Hundertjährigen Krieges bekannt.
Mehr zum Autor und zu seinen Büchern: www.davidgilman.com
Für Suzy
*Sir Thomas Blackstone
*Henry, Blackstones Sohn
*Sir Gilbert Killbere
*Meulon: normannischer Hauptmann
*John Jacob: Hauptmann
*Renfred: deutscher Waffenknecht und Hauptmann
*Will Longdon: altgedienter Bogenschütze und Centenar
*Jack Halfpenny: Bogenschütze und Ventenar
*Ralph Tait: Waffenknecht
*Richard Quenell: Bogenschütze und Ventenar
*Beyard: Gascogner Hauptmann
*Othon: Waffenknecht
*Aicart: Gascogner Waffenknecht
*Loys: Gascogner Waffenknecht
*Gabriel LaFargue
*Meuric Kynith: Waliser Bogenschütze
*Tom Woodbrook, Robert d’Ardenne, William Audley, Thomas Berford: Waffenknechte
William Ashford: König Edwards Sergeant
*Gruffydd ap Madoc
*Niccolò Torellini: Florentiner Priester
*Gräfin Cateline Babeneaux de Pontivy
*Graf Mael Babeneaux de Pontivy
*Jocard, Gräfin Catelines Sohn
*Jehanne, Gräfin Catelines Tochter
*Judikael: Edelmann und Verbündeter von Babeneaux
*Gwenneg: Edelmann und Verbündeter von Babeneaux
*Roparzh: Hauptmann
*Melita: Dienerin
Jean de Montfort: von England unterstützter Prätendent auf das Herzogtum Bretagne
Charles de Blois: von Frankreich unterstützter Prätendent auf das Herzogtum Bretagne
Jean de Beaumanoir: Edelmann und Verbündeter von Charles de Blois
Papst Innozenz VI.
Guillaume de Grimoard, Papst Urban V.
Simon Bucy: Berater des französischen Königs
Bertucat d’Albret: Söldnerführer
Garciot du Châtel: Söldnerführer
*Roland de Souillac: Arzt
*Alphonse: Verwalter des Grafen de Foix
*Meister Gregory: Kastellan des Grafen de Foix
*Raymond Villon: Bürgermeister von Sarlat
*Guiscard der Lahme: Holzfäller
Graf Henri de Vaudémont: Statthalter der Champagne
Gisbert de Dome, Grundherr von Vitrac
Gaillard de Miremont, Grundherr von Sauignac
Graf Gaston Phoebus de Foix et Béarn
Vicomtes von Cardona, Pallars und Castelbou: Verbündete und Vasallen von Gaston Phoebus
Marschall der Armee Arnoul d’Audrehem
Graf Jean d’Armagnac
Monlezun, Frezensaguet, d’Aure, Jean de la Barthe, Terride, Falga, Aspet, Graf von Comminges, Grundherren von Albret, Grundherren von Pardhala: Feudalherren und Verbündete von d’Armagnac
Jean de Grailly, Captal de Buch: Gascogner Edelmann
König Johann II. (der Gute) von Frankreich
Der Dauphin Karl: Sohn und Erbe des französischen Königs
Karl, König von Navarra: Anwärter auf den französischen Thron
Edward of Woodstock, Prince of Wales und Herzog von Aquitanien
Joan, Princess of Wales
Thomas de Beauchamp, Earl of Warwick
Sir John Chandos: englischer Kommandeur
Sir William Felton: Seneschall des Poitou
*Rudolf von Burchard: Ritter
*Walter von Ranke: Ritter
*Andreas von Suchenwirt: Ritter
*Wolfram von Plauen: Ritter
*Gunther von Schwerin: Ritter
*Sibrand von Ansbach: Ritter
*Albert Meinhard: Halbbruder
*Johannes Hartmann: Halbbruder
Fiktive Personen sind mit * gekennzeichnet.
Und ihnen ward Macht gegeben, zu töten das vierte Teil auf der Erde mit dem Schwert und Hunger und mit dem Tod und durch die Tiere auf Erden.
Offenbarung des Johannes 6:8
Dies ist der Leichnam von Thomas Blackstone, Frankreichs Feind, verkündete ein Schild, das um den Hals des narbengesichtigen Mannes hing.
Dreizehn Leichen baumelten an Galgen außerhalb der Stadtmauer, den Aasvögeln zum Fraß. Sir Gilbert Killbere schluckte schwer, während er das Schild las. Der Geschmack des Todes klebte an seinem Gaumen, als die leeren Augenhöhlen ihn anstarrten. Killbere und sein zehn Mann starker Kundschaftertrupp lenkten ihre Pferde an den Toten vorbei, deren untere Gliedmaßen von Wölfen und wilden Keilern schon bis auf die Knochen abgefressen waren. Es wäre zu gefährlich gewesen anzuhalten, denn vielleicht befanden sich diejenigen, die das getan hatten, noch hinter den Mauern. Killbere und seine Männer ritten hintereinander, die Schilde erhoben zum Schutz vor einer plötzlichen Salve Armbrustbolzen von den niedrigen Wehranlagen. Saint-Ouen war kaum ein Städtchen zu nennen; es war eher ein Weiler, eine jahrhundertealte Siedlung. Einst hatten die Römer ihr Lager mit einer Palisade umgeben, dann war ein Erdwall errichtet worden und später eine niedrige Steinmauer. Das Mauerwerk war inzwischen halb verfallen, jedoch hoch genug, dass entschlossene Männer den Ort verteidigen konnten. Der Eingang war mit zwei hölzernen Torflügeln gesichert, neun Fuß hoch, aus angespitzten Pfählen, die mit Metallschellen verbunden waren. Das verriet den vorsichtigen Reitern, dass einst ein Schmied in dieser Stadt sein Gewerbe ausgeübt hatte. Vielleicht hatte er seine Handwerkskunst auch dazu gebraucht, Waffen für seine Mitbürger zu fertigen.
Bucklige Krähen hüpften über die Brustwehr und zankten lautstark um das Fleisch, das an den Stricken baumelte. Die Leichen waren noch keine Woche alt, doch ihr Verwesungsgestank schlug den Reitern bereits entgegen. Es bedurfte keines Kommandos, als Killbere sein Pferd zum offenen Tor lenkte; die Männer formierten sich hinter ihm zu einem schützenden Schild. Zwei andere ritten neben dem alten Ritter: Renfred, der deutsche Hauptmann, und Ralph Tait. Beide waren schlachtenerprobte Krieger, sie hatten auf Geheiß von König Edwards Unterhändler in Frankreich, Sir John Chandos, gegen Söldner und Bretonen gekämpft.
Die Stadt war völlig heruntergekommen, die Bewohner mussten sie schon vor langer Zeit verlassen haben. Behausungen aus Lehmweller waren dem Zahn der Zeit und der Witterung zum Opfer gefallen, grasüberwucherte Dächer waren eingestürzt, und weder wilde Hunde noch freilaufendes Geflügel waren zu sehen. Kein Rauchgeruch hing mehr im Dachstroh. An diesem trostlosen Ort hatten seit Jahren keine Feuer mehr gebrannt. Hier gab es nichts Lebendiges bis auf die Aasfresser.
Killbere und die zwei leichten Reiter lenkten ihre Pferde durch den verlassenen Weiler, doch noch immer regte sich nichts. Er führte sie einmal ringsherum, bis sie wieder das offene Tor erreichten. Am Waldrand jenseits der Wiese, welche den Ort umgab, kam eine Reiterkolonne zum Vorschein. Killbere wartete. Dabei schnäuzte er sich in die Hand und wischte sie an seinem Wappenrock ab.
«Hier ist nichts. Nur der Gestank», teilte er den Männern mit, als diese näher kamen. Er deutete auf die Leichen, die in der auffrischenden Brise leicht schaukelten. «Gut, dass wir nicht hier angekommen sind, als die, die das getan haben, hinter den Mauern lauerten. Sieht aus, als hätte jemand sich für dich ausgegeben.»
Blackstone grinste. «Dabei sieht er mir nicht mal ähnlich.»
Killbere räusperte sich und spuckte aus, dann trieb er sein Pferd an. «So hässlich ist keiner, Thomas.»
Als König Edward nach der Schlacht von Brignais im April desselben Jahres Thomas Blackstone nach Calais beorderte, hatte der narbengesichtige Ritter damit gerechnet, verhaftet zu werden. Stattdessen war er geehrt und zum Kriegsherrn ernannt worden. Er sollte im Dienste des Königs und des Kronprinzen das neu gewonnene Territorium in Besitz nehmen, das sich in der Hand von Söldnern und solchen befand, die gegen den Kandidaten des englischen Königs in der Bretagne kämpften. Der Stellvertreterkrieg wurde zwischen Edwards Mündel und Günstling Jean de Montfort und dem von Frankreich unterstützten Charles de Blois ausgetragen. Blackstones Aufgabe war es, Städte und Gebiete zu sichern, die Edward in dem Friedensvertrag mit Frankreich zugesprochen worden waren, und die Treue eigensinniger Gascogner Edelmänner im Herzogtum Aquitanien sicherzustellen. Dort erwartete man bereits seit Monaten die Ankunft des Prinzen. Der Vertrag mit dem französischen König Johann dem Guten hatte nur so viel Wert, wie jeder der Monarchen ihm beimaß. Die Gebietsstreitigkeiten waren nicht beigelegt worden, und deshalb hatte der englische König seinen Anspruch auf den französischen Thron nicht zurückgezogen. Weite Teile Frankreichs befanden sich in der Hand englischer, französischer und deutscher Söldnerführer, die ihre Leute mit skrupelloser Effizienz einsetzten. Kaum hatten Blackstone und seine Männer eine Horde geschlagen und sie gezwungen, ihre Städte König Edward auszuliefern, da schlossen sich die Söldner schon wieder anderen an. Und so ging der Kampf immer weiter. Kriegerische Franzosen dürsteten noch immer nach Blackstones Blut. Das Bild, das sich nun vor Saint-Ouen bot, konnte nur eines bedeuten: Offenbar war ein tollkühner Söldner darauf verfallen, sich selbst als die Legende auszugeben, damit jene hinter den Mauern ihm ihre Waffen und ihre Frauen auslieferten. Sein Plan war gescheitert.
«Innerhalb der Mauern müssen wenigstens dreißig Mann gewesen sein, Thomas», sagte Killbere, als sie durch das bretonische Marschland südwärts ritten. «Vielleicht mehr, so aufgewühlt, wie der Boden war.»
«Entweder Bretonen oder Räuber», stellte Blackstones Knappe John Jacob fest. «Die nehmen sich nicht viel.»
«Wir liegen mit beiden im Zwist», bemerkte Blackstone und ließ den Blick forschend über das offene Gelände hinter der Stadt gleiten. Nirgends stieg Rauch von Lagerfeuern in die kühle Herbstluft über den Baumwipfeln auf. Wahrscheinlich hatten diejenigen, die den vermeintlichen Blackstone und seine Männer getötet hatten, die verlassene Ortschaft zufällig entdeckt und sich dort zur Rast niedergelassen. Das Pech der dreizehn Gehängten war gewesen, dass sie diese Leute für wehrlose Ortsbewohner gehalten und versucht hatten, sie einzuschüchtern. Die Spuren der Reiter führten an einen Fluss, und als Blackstones Männer das seichte Wasser durchquerten, verlor sich die Spur am anderen Ufer im Wald.
Meulon trieb sein Pferd nach vorn. Der bärtige, grobschlächtige Hüne war von der Flanke herangeritten. «Die Spuren am Flussufer sind das letzte Zeichen von ihnen, Sir Thomas. Sie sind weitergezogen. Vielleicht zurück nach Hause. Wenn das Territorium ihres Herrn hier in der Nähe ist, werden sie nicht anhalten, ehe sie hinter heimischen Mauern in Sicherheit sind. Wenn sie Räuber sind, werden sie vielleicht von den Franzosen gejagt.»
«Wessen Herrschaftsgebiet ist das hier?», fragte Killbere. «Wurde es an Edward abgetreten?»
Blackstone schüttelte den Kopf. «Ich weiß es nicht. Sir John hat diesen Ort nicht erwähnt.»
«Wenn Chandos ihn nicht für den König will, dann sollten wir von hier verschwinden», sagte Killbere. «Es wäre sinnlos, es auf eine Auseinandersetzung anzulegen, nur um uns warm zu halten. Wir haben noch genug zu tun, ehe der Prinz in Bordeaux Einzug hält.»
Blackstones Blick ruhte auf dem ausgedehnten Wald, der den Fluss hinter der Biegung verschluckte. Irgendwo dort drin war ein Feind, der sich rühmte, ihn getötet zu haben. «Der Prinz ist noch auf seinem Landsitz in Cornwall. Er wird erst nächsten Sommer übersetzen. Damit bleibt uns genug Zeit, seinen Auftrag auszuführen.»
Killbere ruckte an den Zügeln, da sein Pferd anfangen wollte zu grasen. «Die beiden sind nun schon fast ein Jahr verheiratet, und er kann sich immer noch nicht losreißen. Wie ein Kind an der Mutterbrust. Ich habe allerdings gehört, es sollen Titten sein, zwischen denen ein Mann mit Freuden ersticken würde.» Er grinste anzüglich. «Hätte ich Joan geheiratet, die schöne Jungfrau von Kent», sagte er mit Betonung auf dem Beinamen der sinnlichen Edelfrau, «dann würde ich den Winter auch unter der Bettdecke verbringen.»
Die wiederverheiratete Witwe von Sir Thomas Holland, die Countess of Kent, genoss die Freiheit, welche ihr privilegierter Status mit sich brachte. Musik, Schmuck und Feiern waren ihre Leidenschaft, und allgemein wurde angenommen, ihre Sinnlichkeit habe den Prinzen betört. Blackstone war davon nicht überzeugt. Sie war bereits fünffache Mutter, und der Prinz hätte unter den jungen Frauen Europas die freie Wahl gehabt.
«Er hat aus Liebe geheiratet, Gilbert. Sogar gegen den Wunsch seines Vaters. Das gefällt mir an ihm.»
Killbere lehnte sich über seinen Zwiesel. «Liebe, Thomas, ist was für Kinder.»
«Und ich war kaum älter, als Henry jetzt ist, als ich mich in Christiana verliebte.»
Killbere schaute sich nach Henry Blackstone um, der hinter John Jacob wartete. Er war dessen Page und hielt sich bereit, um zu tun, was ihm aufgetragen wurde. Wie alt war der Junge jetzt – fünfzehn, sechzehn? Killbere wusste es nicht genau und bezweifelte, dass Blackstone sich an Geburtstage erinnerte. Um die Sommer eines Kindes zu zählen, brauchte es eine Frau, doch Blackstones Frau war tot, ermordet. Das lag nun bereits vier Jahre zurück. «Du warst damals schon ein Krieger. Herrgott, Thomas, Rührseligkeit ist nichts für unsereins. Wie sind wir nur auf dieses trübsinnige Thema gekommen?»
«Du dachtest an die geschlechtliche Liebe.»
Killberes Augen leuchteten auf. «Ach ja, richtig.»
Blackstone trieb sein Pferd an und lenkte es zu der Furt durch den Fluss. «Wenn du dich daran schon nicht mehr erinnerst, dann wirst du alter Hurensohn senil und brauchst bald eine Pflegerin, die sich um dich kümmert.»
«Wenn sie nur jung ist und breite Hüften hat.» Er grinste. «Thomas! Warum reiten wir in diese Richtung?»
«Um herauszufinden, wer meinen Tod will», antwortete Blackstone.
Killbere seufzte und schüttelte den Kopf, dann setzte er sich ebenfalls in Bewegung. «Mindestens halb Frankreich, würde ich meinen», knurrte er.
In den Straßen von Paris brodelte es. Ladenbesitzer priesen lautstark ihre Waren an. Schlachter und Fischhändler verscheuchten Fliegen von ihren Auslagen, während sie Knochen zerhackten und Fleisch schnitten oder Fische vom morgendlichen Fang ausnahmen. Der Lärm in den verwinkelten Straßen und Gassen war wie gefangen in der Enge zwischen den Fachwerkhäusern, deren vorspringende Obergeschosse einen großen Teil des Tageslichts abhielten. Der durchdringende Gestank menschlichen Unrats mischte sich mit den Düften von frisch gebackenem Brot und süßen Kuchen. Lasttiere wurden mit Peitschenschlägen und gutem Zureden dazu gebracht, den acht Reitern Platz zu machen, die zum Grand Pont und dem Königspalast auf der Île de la Cité strebten. Diese Ritter wichen weder Mensch noch Tier aus. Jeder führte ein zweites Pferd am Zügel, das seine Rüstung und Vorräte trug – Männer, die oft weite Strecken zurückzulegen hatten, wussten, wie nützlich ein Reservepferd war. Manche dieser Ritter hatten schon Städte wie Prag, Berlin, Cölln und Rothenburg besucht. Wolfram von Plauen, der sie über die Grand’Rue führte, hatte das Erdbeben von Rothenburg anno ’56 überlebt, das die Stauferburg, den Sitz seines Mentors, zerstört hatte. Es war eine Lektion in Demut gewesen: So fest man auch an Gott glauben mochte, wenn der Allmächtige befand, es sei an der Zeit, dem Stolz des Menschen einen Schlag zu versetzen, konnte keine Macht der Welt es verhindern. Und der Stolz der Franzosen hatte einen vernichtenden Schlag erlitten, als die Engländer in Crécy und Poitiers die Blüte ihrer Ritterschaft zu Tausenden abgeschlachtet hatten. Inzwischen war der gedemütigte französische König auf den Knien nach Paris zurückgekrochen, tief in Schulden und Schande gesunken. Und während von Plauen nun andächtig das großartige Paris betrachtete – die schönste Stadt der Christenheit, wie manche sagten –, war ihm bewusst, dass es durch den menschlichen Stolz und die menschliche Gier von Jahrhunderten entstanden war. Seine strenge Miene verriet sein Staunen nicht. Einhunderttausend Seelen lebten hinter den Mauern dieser Stadt und in ihren Vororten, und sie hatten dem Krieg getrotzt, den der englische König über sie gebracht hatte. Gott hatte lächelnd auf die korrupten Einwohner von Paris geblickt. Nicht so Wolfram von Plauen.
Handkarren mit eisenbereiften Rädern rumpelten an den deutschen Rittern vorbei, beladen mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die von Arbeit gebeugte Bauern zum Markt schafften. Ein Schwachsinniger im Hemd tanzte an einem Strick barfuß auf dem Pflaster. Vielleicht war es der Vater des abgerissen aussehenden Mannes, der die verirrte Seele dazu brachte, herumzuspringen wie ein Affe, während er mit der Mütze in der Hand um eine milde Gabe heischte. Hunger und Elend lauerten allerorten wie das Böse in der menschlichen Seele. Und doch, so musste von Plauen im Stillen eingestehen, zeugten die Kathedralen von Saint-Denis und Notre-Dame von der Verherrlichung des Göttlichen.
Sie erreichten den Grand Pont und blickten über die Seine. Am Ufer wurden Lastkähne entladen. Männer eilten zwischen Lagerhäusern und Booten hin und her, gebeugt unter der Last von Getreidesäcken. Emsige Ameisen, die Tag und Nacht schufteten, um die Stadt zu ernähren. Von Plauen schaute über die Brücke zu den Bannern und Wimpeln des königlichen Haushalts hinüber, die sich in der frostigen Brise vom Fluss leicht kräuselten. Der einst mächtige französische König und sein Sohn der Dauphin waren in ihrem Inselpalast so sicher gefangen wie im großartigsten Gefängnis.
«Es ist ein Ort der Verderbnis, Wolfram», äußerte sich einer seiner Begleiter. «Geldwechsler und Goldschmiede pflastern den Weg über die Brücke zum Palast. Diese Franzosen sind Kreaturen, die Besitz und Reichtum verehren.» Der jüngere Walter von Ranke war erst kürzlich in die Bruderschaft des Deutschen Ordens aufgenommen worden. Die Wechselfälle der Welt hatten sein inbrünstiges Streben nach Gerechtigkeit noch nicht gedämpft.
Wolfram deutete auf die Türme von Notre-Dame. «Ein solch großartiges Gotteshaus zu erbauen, kostet viel Geld, Walter. Wir sollten nachsichtiger über sie denken.» Er trieb sein Pferd an, um über die Brücke zu reiten. «Und schließlich wollen wir von diesen Leuten erfahren, wo der Mann, den wir suchen, sich vor unserer Gerechtigkeit versteckt.»
Der Dauphin war in reizbarer Stimmung und hatte sich in seine Gemächer zurückgezogen. Als der König von Frankreich als Geisel in England festgehalten worden war, hatte der Dauphin Karl in seiner Abwesenheit rechtmäßig die Herrschaft übernommen. Damit war es nun vorbei. Jetzt hing das Leben des Dauphins zwischen Frankreich und dem Fegefeuer in der Schwebe. Den ganzen Vormittag hatte der königliche Berater Simon Bucy unter seiner scharfen Zunge zu leiden gehabt. Und nun schien es, als würde der Tag für Bucy noch schlimmer werden. Von seiner Amtsstube hoch im Palast sah er unter dräuenden Regenwolken Reiter über die Grand’Rue nahen. Ihr Weg führte von der nördlichen Stadtmauer durch das Herz von Paris direkt zum Grand Pont. Die Deutschritter waren keine Botschafter des Wohlwollens, noch waren sie Pilger auf der Via Francigena, der Pilgerstraße nach Rom. Sie waren Störenfriede. Davon war er überzeugt. Diese strengen, ernsten Brüder glaubten, der Allmächtige lenke ihre Schwerter im Dienste der Gerechtigkeit und Vergeltung. Bucy wandte sich um und wärmte sich die Hände am Kaminfeuer auf der Suche nach ein wenig Trost, denn sicher würden gleich irgendwelche Forderungen an ihn herangetragen werden. Die Deutschen würden Einlass begehren und ihre Schwerter ablegen; der Hauptmann der Wache würde sie zum Kämmerer geleiten, der in Kürze an Bucys Tür klopfen würde, denn Simon Bucy war es, dem der König sein Ohr lieh – und der Dauphin. Während der Gefangenschaft des Königs in England war Bucy, der einst das Parlament geführt hatte, einer der wichtigsten Berater des Dauphins Karl gewesen.
Das Klopfen an der Tür kam eher als erwartet. Bucy folgte dem Kämmerer in die große Eingangshalle. Hinter den geschnitzten Türflügeln aus massiver Eiche befanden sich Säulenbögen, in denen die Banner aus Frankreichs Geschichte ausgestellt waren: Zeugnisse vergangenen Ruhms, der bald wiedererrungen werden sollte, wenn nur der Dauphin den König überzeugen könnte, den Forderungen Englands entschiedener zu begegnen und sein irrationales Verhalten abzulegen. Wolfram von Plauen und seine Begleiter verbeugten sich, als Bucy in die Halle trat. Der Kämmerer hatte sie zweifellos bereits höflich begrüßt. Bucy erachtete es nicht für nötig, ihnen darüber hinaus Wohlwollen zu bezeigen.
«Ich bin Simon Bucy, Berater des Königs.»
«Mein Herr, ich bin Wolfram von Plauen und ersuche um eine Audienz bei Eurem gnädigen König, möge Gott ihn in diesen schweren Zeiten behüten.»
Möge Gott uns alle behüten, dachte Bucy mit einem Anflug von Gereiztheit. Nach der Niederlage der französischen Armee gegen die Söldner bei Brignais im April hatte der König den befremdlichen Entschluss gefasst, zum Papst nach Avignon zu reisen und um Erlaubnis zu bitten, die Gräfin Johanna, Königin von Neapel, zu heiraten. Ein eitler Versuch, die Krone zu stärken, indem er sich die Provence aneignete, über die sie herrschte. Sein Lösegeld war noch immer nicht bezahlt, nach wie vor wurden Geiseln in England festgehalten, die Niederlage brannte noch in den Seelen der Franzosen, Söldner schunden das Land, und König Johann reiste zum Papst. In solchen Zeiten! Wenn er seine Heiratspläne nicht verwirklichen konnte, würde er stattdessen einen Kreuzzug beginnen. Welcher Wahnsinn hatte ihn befallen? Dieser letzte Akt hatte den treuen Bucy dazu bewogen, seine Haltung zu ändern und den Dauphin zu unterstützen, der davon träumte, Frankreich von den Engländern zurückzuerobern.
«Der König befindet sich in Avignon. Er ist ausgezogen, um …» Er zögerte. Je weniger über das Verhalten des Monarchen gesprochen wurde, umso besser. Er sollte diese Ordensritter in dem Glauben lassen, Johann II. sei der christlichste aller Könige. «… um einen Kreuzzug gegen die Heiden zu führen.»
Die Deutschen schienen angemessen beeindruckt. «Ein solch ehrenhaftes Ansinnen verheißt Gutes für unser eigenes Streben, mein Herr.» Wolframs blaue Augen richteten sich auf den älteren Mann. «Nach Gerechtigkeit.»
Ein Diplomat durch und durch, neigte Bucy gnädig den Kopf, doch insgeheim bereitete es ihm tiefes Unbehagen, Deutschritter in der Stadt zu haben. Sie sannen auf Rache, aber an wem? «Wir werden Hilfe leisten, sofern es uns möglich ist. Fahrt fort.»
«Graf Henri de Vaudémont, der königliche Statthalter der Champagne, hat seinen eigenen Kleinkrieg gegen deutsche Fürsten jenseits Eurer östlichen Grenze geführt. Der Herzog von Lothringen sowie der Graf von Bar und ihre Leute haben durch ihn und die von ihm eingesetzten Söldner Furchtbares erlitten.»
Der stoische Bucy ließ sich sein Unbehagen nicht anmerken. De Vaudémont hatte der Krone höchst ärgerliche Probleme bereitet. Nach dem Ende seines Kleinkriegs waren die Söldner zurück nach Frankreich geströmt, manche hatten entlang der Loire geplündert und Festungen südlich von Paris eingenommen.
«Wir beabsichtigen, den Grafen de Vaudémont zu tadeln», sagte Bucy, doch in Wahrheit hatte der abwesende König bislang keinerlei Maßnahmen beschlossen.
«Mein Herr, die Söldner waren Bretonen, Gascogner und Navarreser, angeführt von Gruffydd ap Madoc, einem Waliser. Sie haben gefoltert, geschändet und gemordet, das darf nicht ungestraft bleiben. Wir suchen ihn», erklärte von Plauen.
Bucys scharfer Juristengeist war augenblicklich angespannt wie eine Armbrustsehne. Ap Madoc hatte die Söldner angeführt, die Blackstone vor Brignais gerettet hatten. Diese Deutschritter waren ein Gottesgeschenk. Vielleicht war Er doch mit ihnen. Sie waren besser als jeder gedungene Meuchelmörder. In dieser Situation konnte eine Lüge großen Nutzen bringen. «Der Mann, den Ihr sucht, dieser Waliser, stand wiederum unter der Führung eines anderen – eines Engländers, Thomas Blackstone. Blackstone und ap Madoc sind die Männer, die solch willkürliche Gewalttaten gegen Unschuldige verübt haben. Findet den Engländer, dann werdet Ihr auch seinen Freund finden.»
Wolfram von Plauen wechselte Blicke mit den anderen Rittern. Das war eine überraschende Information. «Unseren Dank, mein Herr. Wo können wir diesen Thomas Blackstone finden?»
Ja, wo? Bucy hob die Hand, eine Geste, um sich Zeit zum Nachdenken zu verschaffen. Diese Gelegenheit durfte er sich nicht entgehen lassen. Nun, da der Vertrag in Kraft und Blackstone der Kriegsherr des englischen Monarchen war, konnten die Franzosen nichts mehr gegen ihn unternehmen. Wenn jedoch Deutsche den Mann töteten, könnte man das der Krone nicht anlasten. Wo war Blackstone? Wie konnte Bucy diesen Eiferern dazu verhelfen, ihn zu finden – und zu töten?
Und dann fiel es ihm ein. Bucy unterdrückte die Aufregung, die in seiner Brust aufwallte. Sein Tag hatte sich soeben über alle Hoffnung hinaus zum Besseren gewendet. Die Wolkendecke riss auf. Die Sonne strahlte warm auf den Palast.
«Der Abgesandte des englischen Königs, ein Italiener, Pater Niccolò Torellini, reist unter sicherem Geleit mit einer Eskorte durch Frankreich nach Avignon. Er wird den Weg über Chartres nehmen. Wenn irgendjemand weiß, wo Thomas Blackstone sich aufhält, dann ist er es.»
Blackstone führte seine Männer in den Wald abseits der Richtung, in die die Spuren der anderen Reiter führten, und schlug das Lager auf. Fünfundzwanzig berittene Bogenschützen, die wertvollsten Männer jeder kämpfenden Truppe, ließen sich in der Mitte nieder. Sie wurden von dem Veteranen Will Longdon befehligt, der als Centenar normalerweise hundert Bogenschützen unter sich gehabt hätte. Blackstone hielt seinen Trupp bewusst klein, leicht bewaffnet und stets bereit, sich schnell durch das verwüstete Land zu bewegen, das Frankreich nunmehr war. Diese Bogenschützen und die gleiche Anzahl Waffenknechte waren leichter zu ernähren und auszustatten als eine größere Truppe und leisteten Blackstone gute Dienste, wenn es galt, weite Strecken in kurzer Zeit zurückzulegen, zuzuschlagen, wo es nötig war, und weiterzuziehen. Wenn sie eine Stadt eingenommen hatten, überließen sie es anderen unter dem Befehl des örtlichen Seneschalls, den Ort besetzt zu halten. Blackstones Auserwählte waren so fähige und erfahrene Krieger, dass sie es mit Söldnerhorden aufnehmen konnten, die drei- oder viermal so zahlreich waren. Und sollten die Franzosen oder die Bretonen sich in größerer Zahl erheben, so würden auf Blackstones Ruf Männer von weit her herbeiströmen, um sich seinem Befehl zu unterstellen und seine Truppe zu verstärken.
Meulon und Renfred ließen ihre Leute am Rand des Lagers einen schützenden Ring bilden. Die Pferde wurden mit Beinfesseln versehen und an einer aufgespannten Leine angebunden, und außerhalb des Ringes aus bewaffneten Männern wurden Posten aufgestellt, die lauschen sollten, ob sich jemand näherte, um gegebenenfalls Alarm zu schlagen. Angst vor den Geschöpfen der Nacht, Dämonen und verlorenen Seelen würde ohnehin die meisten abergläubischen Menschen fernhalten. Doch wenn ein kühner Truppenführer angriff, wie Blackstone selbst es in der Vergangenheit mitunter getan hatte, dann konnte der Tod auch unter dem Mantel der Dunkelheit über sie kommen.
Will Longdon winkte seinen Ventenar Jack Halfpenny zu sich heran. «Wir haben genug Fleisch für zwei Tage», teilte er dem jungen Bogenschützen mit, «aber wenn Thomas plant, mit uns weitere Strecken zurückzulegen, brauchen wir mehr. In diesen Wäldern gibt es bestimmt Wildschweine und Hirsche. Wir gehen an den Fluss und kundschaften aus, wo sie in der Abenddämmerung trinken.»
Killbere biss in einen Apfel. «Will, wenn du dich in diesem Wald verirrst, reiten wir ohne dich weiter. Jack, binde ihm einen Strick um und halte ihn in Sichtweite, hörst du?», knurrte er mit vollem Mund.
«Sir Gilbert, wenn wir erst mit Wild zurückkehren, werdet Ihr dankbar sein, so gute Jäger bei Euch zu haben», entgegnete Longdon.
«Räudige Wilderer trifft es wohl eher. Aber dass du mir keinen zähen alten Bock erlegst – bring uns zartes Fleisch, verstanden?»
Killbere und Will Longdon waren beide Veteranen und dienten schon länger zusammen als irgendwer sonst in Blackstones Truppe. Sie kannten sich noch aus der Zeit, bevor Killbere den jungen Blackstone in den Krieg geführt hatte.
«Ihr solltet ein Nachtlicht brennen lassen, Sir Gilbert. Soll ich Euch wecken, wenn wir wiederkommen, damit Ihr die tröstliche Gewissheit habt, dass wir wohlbehalten zurück sind?»
Killbere warf das Kerngehäuse seines Apfels nach den beiden. «Setz deinen Arsch in Bewegung, du unverschämter Hurensohn – und schieße nicht blindlings, Thomas ist dort draußen.»
Spätes Sonnenlicht flutete über die Lichtung. Blackstones Pferd stand angebunden und senkte seinen unförmigen Kopf in das süße Gras, das bereits im Schatten lag. Es war ein heißer Sommer gewesen, der die Wiesen verbrannt hatte, und die Wärme hatte sich bis in den Herbst gehalten. Blackstone saß auf einem Baumstamm und überlegte, ob er den Mann verfolgen sollte, der behauptet hatte, ihn in Saint-Ouen getötet zu haben. Eigentlich waren er und seine Truppe gerade auf dem Weg zu einem vereinbarten Treffen mit dem Seneschall des Poitou, Sir William Felton. Er und Blackstone hatten nichts füreinander übrig. Früher im selben Jahr, noch vor dem Sieg über die Franzosen bei Brignais, hatte Felton die Lorbeeren für den Sieg gegen die Bretonen bei le Garet geerntet, der eigentlich Blackstones Verdienst gewesen war. Doch Blackstone tröstete sich damit, dass der König und Sir John Chandos wussten, wie es wirklich abgelaufen war, und das inoffiziell auch anerkannt hatten. Die Ehre, von König Edward zum Kriegsherrn ernannt worden zu sein, konnte sich als Segen oder auch als Fluch erweisen. Künftig stand er im Dienste des Prince of Wales und Herzogs von Aquitanien, das würde nicht leicht werden. Jedes unbedachte Wort, jede unüberlegte Handlung konnte ihn in Schande stürzen. Und mit einer Frau an seiner Seite würde der jungvermählte Prinz noch anspruchsvoller sein, diesbezüglich gab Blackstone sich keinen Illusionen hin.
Plötzlich wurde er aus seinen Überlegungen gerissen. Das Bastardpferd hob den Kopf, seine Muskeln zuckten. Blackstone kannte die Warnzeichen. Er band es los, stieg rasch in den Sattel und wartete, den Blick forschend auf den Waldrand gerichtet. Der Wind wehte aus dieser Richtung, doch er hörte nichts als das Rascheln in den Baumwipfeln, wo das welke Laub von seinem bevorstehenden Fall zur Erde wisperte. Wieder durchlief ein Zittern sein Ross. Es scharrte mit dem Huf und warf so kraftvoll den Kopf hoch, dass es heftig an den Zügeln riss.
«Also gut», murmelte Blackstone. «Sehen wir nach, was da ist.» Er ritt langsam über die Lichtung. Wenn eine Gefahr lauerte, konnte er hier auf freier Fläche immerhin nicht überrumpelt werden. Am anderen Rand der Lichtung angekommen, schaute er zwischen die Bäume, konzentrierte sich erst auf einen, dann auf einen anderen, weiter entfernten, bis sein Blick den Wald hundert Schritt weit durchdrang. Nichts deutete auf eine Bedrohung hin. Blackstone lenkte das Bastardpferd auf einen Wildpfad. Die Brise trug einen schwachen Laut heran, der wie ein Vogelruf klang. Ein Stück weiter hörte er durch die Bäume das leise Plätschern des Flusses, der über Felsen strömte. Er spürte die Anspannung des Pferdes unter sich. Als sie den Waldrand erreichten, sah er, dass der Fluss erst eine Biegung nach links machte, dann nach rechts. Flussabwärts war keine Gefahr auszumachen, doch das Pferd bestand darauf, flussaufwärts weiterzugehen. Noch immer bewegten sie sich entgegen der Windrichtung. Blackstone lauschte angestrengt, ob über das Rauschen des seichten Wassers im steinigen Flussbett irgendetwas zu hören war. Und dann war es wieder da – der Laut eines Tieres, schrill, vom Wind herangetragen. Als sie um die Biegung kamen, nahm er am anderen Ufer eine Bewegung wahr.
Er lenkte das Pferd behutsam wieder in den Schutz der Bäume. Das schwarz gescheckte Fell des Tieres sah aus wie angesengt, weshalb ihm nachgesagt wurde, es sei eine Ausgeburt der Hölle; hier wirkte es als Tarnung, sodass Blackstones Bewegungen durch Schatten und Lichtflecken kaum auszumachen waren. Eine Elster schäckerte, das plötzliche Aufleuchten von Blau und Weiß ließ Männer aufblicken. Ein Dutzend waren dort am anderen Ufer. Vielleicht noch mehr zwischen den Bäumen, wo Blackstone sie nicht sehen konnte. Plötzlich schallendes Gelächter und Rufe. Spott. Ein Klatschen zerriss die Luft. Die flache Hand eines Mannes ohrfeigte schallend eine Gestalt, die herumgestoßen wurde. Männer im Kreis. Zwei von ihnen quälten eine Frau mit rabenschwarzem Haar, ihr Mantel war heruntergerissen, blutroter Samt am Boden, ihr Kleid war in Fetzen. Lachend warfen die Männer sich gegenseitig ein Kleiderbündel zu, und die Frau versuchte, es an sich zu bringen. Es war eine Lumpenpuppe. Flachsblond, schlaff. Ein Kind. Die Männer quälten die Frau, indem sie das Kind durch die Luft warfen.
Eine ferne Erinnerung traf Blackstone unverhofft: wie er damals vor der Schlacht von Crécy an der Furt von Blanchetaque gekämpft hatte, um ein Mädchen zu retten, das allein im Wald zurückgeblieben war. Das Mädchen sollte später seine Frau werden, doch das hatte der sechzehnjährige Bogenschütze noch nicht gewusst, als er in den Wald geritten und den französischen und böhmischen Rittern ausgewichen war, die Jagd auf sie machten. Ihre Rettung und die anschließende gewagte Flussdurchquerung mit ihr, als die Flut bereits hoch stand, hatten ihm sowohl Lob als auch Tadel eingebracht, doch das machte nun einmal den Wagemut des jungen Blackstone aus. Nun ritt er leise in Schlangenlinien zwischen den Bäumen hindurch und beobachtete eine andere Frau, die um ihr Leben und das ihres Kindes fürchtete.
Das Bastardpferd strebte vorwärts, doch Blackstone hielt es zurück und lenkte es ins seichte Wasser. Als sie die Mitte des Flusses erreichten, hielt er es an. Die Ohren des Tieres waren gespitzt. Eines zuckte nach links und rechts, um auf weitere Bedrohungen zu lauschen, doch seine Augen waren wie die Blackstones fest auf die Männer gerichtet. Das streitbare Ross stand entschlossen da. Blackstone wusste, wenn er ihm freien Lauf ließ und geradewegs in die Gruppe der Männer stürmte, würde die Frau wahrscheinlich als Erste sterben und nach ihr das Kind – sofern es überhaupt noch am Leben war. Und wenn ein Dutzend Männer ihn wie ein Rudel Wölfe anfielen, konnten sie ihn aus dem Sattel zerren. Er musste sie dazu bringen, auf ihn zuzukommen. Blackstone hob seinen Schild und zog das Wolfsschwert aus der Scheide.
Und wartete.
Einer der Männer am hinteren Rand des Kreises legte den Kopf in den Nacken, um aus einem Weinschlauch zu trinken. Da bemerkte er den einzelnen Ritter, der mitten im Fluss wartete. Lichtflecken tanzten auf dem Wasser und spiegelten sich in den Augen eines wild aussehenden Pferdes, das im seichten Wasser stand und mit dem Huf scharrte. Der Mann verschluckte sich am Wein und prustete, dann sagte er etwas, woraufhin die anderen sich umdrehten und starrten. Augenblicke später rannten drei von ihnen zu ihren Pferden, die angebunden zwischen den Bäumen standen. Angefeuert von ihren Kameraden, ritten sie los. Rufe schollen über das Wasser: Stimmen, die brüllten, sie würden den Eindringling töten. Lachen. Es würde ein Leichtes sein.
Blackstone wartete, dann drückte er dem Bastardpferd seinen linken Schenkel in die Seite und trat es mit der rechten Ferse hinter dem Sattelgurt. Das Schlachtross brauchte keine weiteren Kommandos. Es schwenkte plötzlich mit der Hinterhand nach links herum und keilte nach dem ersten der herannahenden Pferde aus, sodass dieses abrupt ausweichen musste. Der Reiter schwankte im Sattel und schlug blindlings zu, doch seine Klinge prallte von Blackstones Schild ab, während das Wolfsschwert in perfekt gezieltem Bogen die ungeschützte Kehle des Mannes unter dem Kinnriemen seines Helms traf. Es erübrigte sich, abzuwarten und dem Mann beim Sterben zuzusehen: Blackstone hörte das Platschen, während er sich bereits dem zweiten Angreifer zuwandte. Der stellte sich in den Steigbügeln auf, um sich gegenüber dem großen Blackstone einen Vorteil zu verschaffen. Sein Schlag, der tödlich hätte sein sollen, sauste über Blackstones Kopf hinweg, und dem Mann blieb keine Zeit, sich wieder zu fangen, ehe der Schwung von Ross und Reiter ihn mit dem Unterleib gegen die Spitze des Wolfsschwerts presste. Die Klinge durchbohrte ihn und trat am unteren Rücken wieder aus. Sein Schrei störte einen Krähenschwarm auf, sodass die Vögel erschrocken krächzend aus den Baumwipfeln emporflatterten. Der Faustriemen des Wolfsschwerts schnitt in Blackstones Handgelenk ein und verhinderte, dass die Waffe seinem Griff entglitt.
Der dritte Mann versuchte, mit seinem Pferd dem Ritter mit dem verzerrten, narbigen Gesicht auszuweichen, doch Blackstones nächster Schlag trennte den Schwertarm des Mannes ab und grub sich in seinen Brustkorb. Das Töten hatte weniger Zeit in Anspruch genommen, als die übrigen Männer am Flussufer brauchten, um zu ihren Pferden zu gelangen. Einer von ihnen rief Befehle. Sie schlugen die Frau nieder, sodass sie reglos am Boden liegen blieb, ebenso wie die vermeintliche Lumpenpuppe, das Kind. Die Reiter brüllten in weinseliger Kühnheit und ritten los, auf das Flussufer zu. Neun gegen einen. Blackstone trieb sein Ross an. Es stürmte in die Gruppe, als die Männer eben ins flache Wasser ritten und der veränderte Grund unter ihren Hufen ihre Reittiere verunsicherte. Das Bastardpferd rannte in die beiden vordersten Rosse hinein, ehe ihre Reiter oder Blackstone ihre Schwerter einsetzen konnten. Im nächsten Moment waren sie aneinander vorbei, und die Männer hatten alle Mühe, ihre Tiere wieder unter Kontrolle zu bringen und zu wenden. Der nachfolgende Trupp war nicht geordnet genug, um Blackstone geballt anzugreifen. Der nächste Mann fiel, als Blackstone sein Schwert über die Flanke des Pferdes zog. Das verwundete und erschrockene Tier scheute; die Klinge durchtrennte das Bein des Mannes unter dem Knie. Blut spritzte, und Ross und Reiter stürzten. Das Bastardpferd wendete ohne Blackstones Zutun, ebenso angriffslustig wie sein Herr, kämpfte gegen die Trense an und bleckte seine gelben Zähne. Das Ross, auf das es nun zustürmte, stieg mit weit aufgerissenen Augen, während der Reiter fluchend an den Zügeln riss. Die entscheidenden Momente, die er brauchte, um sein Tier zu bändigen, kosteten ihn das Leben. Die Kante von Blackstones Schild traf den Mann unter dem Kinn, Kieferknochen und Genick brachen, und er stürzte rücklings ins Wasser. Das Pferd eines anderen Angreifers stolperte in dem felsigen Flussbett, warf seinen Reiter ab und fiel dann auf ihn. Das Tier kam wieder auf die Beine, der Mann jedoch blieb bäuchlings im Wasser liegen und regte sich nicht mehr. Zwei weitere Reiter kamen Blackstone entgegen. Sie erkannten, dass er verwundbar wäre, wenn sie von beiden Seiten zugleich angriffen, und so ritten sie schnell auf ihn zu. Das war ein Fehler: Sie hinderten so ihre Gefährten daran, Blackstone vollständig zu umzingeln. Blackstone trieb sein Pferd an, um sie auseinanderzutreiben. Sein Schild fing den Schlag des einen Reiters ab, doch die Wucht des Aufpralls warf ihn zurück und verschaffte dem zweiten Mann die Gelegenheit, seinen Streitkolben mit Schwung auf seinen offenen Helm zu schmettern. Halb betäubt sackte Blackstone in sich zusammen, während sein Pferd ihn in vollem Lauf an den Gegnern vorbeitrug und diese ihre Tiere wendeten.
Blackstone schüttelte die Benommenheit ab, doch seine Sicht war noch verschwommen. Er war umzingelt: Vier Männer waren nun hinter ihm, zwei vor ihm. Er trieb sein Pferd zum Flussufer und tötete den Nächsten der beiden, dann hatte das Bastardpferd wieder festen Boden unter den Hufen. Blackstone befreite sich aus den Steigbügeln und schwang sich aus dem Sattel. Stehend zu kämpfen, verschaffte ihm einen dringend benötigten Vorteil. Zum einen waren die Pferde der Gegner angreifbar, wenn sie die niedrige Uferböschung erklommen, zum anderen mussten die Reiter sich tief aus dem Sattel beugen, um ihn zu treffen. Gewandt wich Blackstone dem ersten Ross aus, dessen Reiter bereits sein Schwert dorthin herabsausen ließ, wo er eben noch gestanden hatte. Er fuhr herum, ehe das Pferd ihn erreichte, und griff den Mann an seiner blinden Seite an, stieß ihm die Schwertspitze ins Gesäß, als der Reiter sich vorbeugte. Der Mann stürzte schreiend aus dem Sattel. Ein Pferd streifte Blackstone mit der Schulter und warf ihn zu Boden. Er rollte sich ab, stieß sein Schwert aufwärts und traf den weichen Bauch des Tieres. Das brüllte auf, stolperte und fiel, wobei es ein Bein seines Reiters unter sich einklemmte. Blackstone wich den schlagenden Hufen aus und bohrte die Schwertspitze in die Kehle des Mannes.
Er fuhr sich mit einem Arm übers Gesicht, wischte sich Schweiß und Blut aus den Augen. Das Bastardpferd trat mit der Hinterhand nach einem Ross aus, dessen Reiter es auf die Ausgeburt der Hölle abgesehen hatte. Die Hufe hielten seine Klinge auf sichere Distanz, und als sie trafen, hörte Blackstone einen Schmerzensschrei: Das Bein des Mannes war gebrochen. Er ließ sein Schwert fallen. Sein Ross brachte sich vor den schlagenden Hufen in Sicherheit. Trotz seiner Schmerzen verlieh der Zorn dem Reiter Mut, und er zog eine Streitaxt aus dem Gürtel.
Die drei überlebenden Männer hielten ihre Rosse im Fluss zurück. Der Mann, den sie töten wollten, hatte bereits neun von ihnen erledigt. Sie zögerten, dann trieben sie ihre Tiere an und ritten nebeneinander auf ihn zu. Blackstone hob den Kopf, sodass ihm der kühlende Wind ins Gesicht blies. Da hörte er ein Geräusch wie vom Flügelschlag eines Vogels. Blackstone kannte es gut: So klang die Befiederung eines Pfeils, der durch die Luft schnellte. Fast im selben Atemzug brachen zwei der Männer zusammen, jeder einen ellenlangen Pfeil in der Brust. Zwei Gestalten am anderen Ufer legten bereits neue Pfeile auf, doch der überlebende Reiter riss sein Pferd herum und ergriff die Flucht. Blackstone stand inmitten des Gemetzels und reckte sein Schwert in die Höhe, seinen Bogenschützen zum Gruß.
Will Longdons Gelächter scholl über das Wasser.
Die beiden Bogenschützen trugen die ohnmächtige Frau und ihr Kind in Blackstones Lager.
Killbere schaute erst die Überlebenden an und dann Blackstone, der sich seines Kettenhemds entledigt hatte. Henry legte gerade seinen Wappenrock und das Unterhemd zum Trocknen in den letzten Sonnenstrahlen aus, die noch durch die Bäume fielen. John Jacob schärfte das Wolfsschwert. Die Klinge aus gehärtetem Stahl war noch immer scharf genug, um einem Mann den Arm abzutrennen, doch selbst eine solche Waffe, von deutschen Meistern der Schwertschmiedekunst in Passau hergestellt, bedurfte der Wartung, wenn sie Helme und Kettenpanzer durchschlagen hatte.
«Du hättest wohl nicht einfach davonreiten können», bemerkte Killbere und gab den Weinschlauch weiter.
«Hättest du das getan?», entgegnete Blackstone, ehe er begierig trank. Henry brachte ein Stück grobes Tuch, damit Blackstone seinen verschwitzten Körper abreiben konnte.
Killbere seufzte. «Frauen, die der Rettung bedürfen, bringen Scherereien in das Leben eines Mannes, Thomas. Es gibt einen Grund, weshalb sie der Rettung bedürfen. Und dieser Grund kann hochschnellen wie eine Schlange und einen in die Eier beißen. Wäre es denn so schwer gewesen, umzukehren und Hilfe zu holen oder sie ihrem Schicksal zu überlassen?» Blackstone wollte etwas erwidern, doch Killbere hob abwehrend die Hand. «Ich weiß. Du hast getan, was du für richtig hieltest. Herrgott, wie oft hat uns das schon in Schwierigkeiten gebracht? Wer auch immer diese Männer waren, sie haben gehörig Dresche bezogen, deshalb ist nicht anzunehmen, dass wir heute Nacht mit Freunden von ihnen zu rechnen haben. Trotzdem werde ich Meulon auftragen, für alle Fälle die Wachen zu verdoppeln.» Er betrachtete das zerrissene Wappen, das Blackstone einem der Toten abgenommen hatte. Der blutfleckige Stoff zeigte den Kopf eines Keilers auf ausgeblichenem gelbem Grund. «Das waren keine Söldner. Diese Männer dienen einem Edelmann, aber ich kenne das Wappen nicht.»
«Ich auch nicht.» Blackstone zog sich ein frisches Hemd über. «Ich hoffe, sie kann uns etwas dazu sagen, wenn sie zu sich kommt.» Er wies mit einer Kopfbewegung auf die Frau, die jetzt auf einem Lager aus geschnittenen Farnwedeln und Moos lag. Will Longdon kümmerte sich um sie, gerade hob er ihren Kopf an, um ihr einen Trank einzuflößen.
«Sie ist keine Dienstmagd, das steht fest. Sieh dir ihre Kleidung an. Das Unterkleid ist aus edlem Leinen und bestickt. Und dieser Mantel wurde nicht auf einem Markt gekauft. Sie gehört zu jemandem. Ein Mann kann sehr aufgebracht reagieren, wenn man ihm sein Pferd oder seine Frau wegnimmt.» Killbere gab Blackstone den Stoff mit dem Wappen zurück. «Wobei ein Pferd wertvoller ist.»
Die erlittene Gewalt hatte die Frau und das Kind in unruhigen Schlaf fallen lassen. Ihr Fieber stieg über Nacht, aber Blackstone wies Henry an, sich dicht neben die beiden zu legen und ihnen die Stirn mit einem nassen Lappen zu kühlen. Er ließ ein Feuer anfachen und Steine vom Fluss herbeischaffen, um die Glut einzufassen. Als die Frau heftig zu zittern begann, wickelten sie Steine in Sacktuch und legten sie ihr in den Rücken, um sie zu wärmen. Henry Blackstone versah unermüdlich seine Pflichten, ohne gewahr zu sein, dass sein Vater, der zwanzig Fuß entfernt in seine Decken gewickelt lag, ein wachsames Auge auf ihn hielt.
Als das erste Licht des Tages in den Wald drang und die Männer erwachten, war Blackstone bereits auf den Beinen und sah gemeinsam mit John Jacob nach dem Rechten. Seine Hauptleute Renfred und Meulon waren die Nacht hindurch ebenso wachsam geblieben wie ihre Posten, dennoch waren keinem der beiden irgendwelche Zeichen von Müdigkeit anzumerken. Die Jahre mit Blackstone hatten sie gelehrt, Erschöpfung zu überwinden, vor allem wenn die Pflicht rief, und sie sorgten so gut für ihre leichten Reiter wie Will Longdon und Jack Halfpenny für ihre Bogenschützen.
Als das Fieber der Frau nachließ und sie erwachte, sah sie einen narbengesichtigen Mann neben sich knien. Sie fuhr zurück. Henry legte seine Hand auf ihre.
«Madame, dies ist mein Vater, Sir Thomas Blackstone, der Euch vor den Männern am Fluss gerettet hat.»
Als die Frau Blackstones Namen hörte, wurde sie noch ängstlicher. Verstört befreite sie sich von ihren Decken und kroch von ihm fort, bis sie mit dem Rücken an einen Baumstamm stieß. Als sie sich in der fremden Umgebung umschaute, erblickte sie geisterhafte Gestalten wüst aussehender Männer, die sich schweigend durch das fleckige Licht und den Rauch der Lagerfeuer bewegten. Henrys betroffene Miene konnte sie nicht beruhigen. Sie bekreuzigte sich, und ihre Lippen bewegten sich in stummem Gebet. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie sich nach ihrem Kind um.
«Mein Kind. Meine Tochter. Wo ist sie?»
«Euer Kind lebt», antwortete Blackstone mit sanfter Stimme, die sein bedrohliches Äußeres Lügen strafte. «Einer meiner Männer ist bei ihr. Wir haben einen Trank aus Kräutern, der sie stärken wird. Sie ist in Sicherheit. Beruhigt Euch. Hier droht Euch keine Gefahr.»
Blackstone wies mit dem Kopf auf einen behelfsmäßigen Unterstand ein paar Schritt entfernt. Darunter lag das Kind auf einem weichen Lager aus Pflanzen. Eine Gestalt beugte sich über das Mädchen. Die Lederkappe und der Armschutz des Mannes verrieten ihr, dass er ein Bogenschütze war.
«Ich flehe Euch an, tut meinem Kind nichts zuleide. Tut mit mir, was Ihr tun müsst, aber verschont sie.»
«Wir haben Euch nicht gerettet, um Euch weiteres Leid zuzufügen. Die Männer, die Euch in ihrer Gewalt hatten, sind tot», erklärte Blackstone.
Die Frau rappelte sich hoch, sodass Henry hastig ausweichen musste, und ging zu ihrem Kind. Will Longdon kniete neben dem bewusstlosen Mädchen, doch auf einen Wink von Blackstone zog er sich zurück, um Platz für die Mutter zu machen.
Sie hob das Kind auf die Arme und ging ein paar Schritte in eine Richtung, dann in eine andere, verzweifelt auf der Suche nach einem Fluchtweg. Männer standen herum und beobachteten sie. Sie saß in der Falle. Jeder dieser Männer konnte mit wenigen Schritten bei ihr sein und sie packen.
Ein Mann stand da und aß einen Apfel, eine Hand am Heft des Schwertes in seinem Gürtel. «Um Himmels willen, Frau, beruhigt Euch», sagte Killbere. «Ihr wurdet gerettet. Von einem Engländer, dafür solltet Ihr Gott auf Knien danken. Dieser räudige Bogenschütze hat Euer Kind versorgt, als wäre es ein neugeborenes Lamm. Wir sind Krieger, aber wir verstehen etwas von Kräutern und Heilmitteln. Eine Frau, die Euch nicht unähnlich war, hat uns darin unterwiesen.» Killbere machte einen Schritt und wandte sich halb ab, wie um sie durchzulassen. «Lauft davon, wenn Ihr wollt, aber die Männer, von denen Ihr überfallen wurdet, haben sicher Gefährten. Wir haben ihre Spuren gesehen. Wenn Ihr davonlauft, wird Euer Kind sterben.»
Sie war vor Angst und Unsicherheit wie gelähmt. Bislang hatte keiner der Männer irgendwelche Anstalten gemacht, sie aufzuhalten. Sie blieben respektvoll auf Abstand.
Die Frau wischte sich mit einer schmutzigen Hand Tränen vom Gesicht, dann strich sie ihrer Tochter behutsam das schweißnasse Haar aus der Stirn.
Der Bogenschütze verzog sein unrasiertes Gesicht zu einem Lächeln und zeigte auf den Unterstand. «Ich habe einem der Jungs aufgetragen, das zu bauen. Um das Kind vor Tau und Rauch zu schützen und ein bisschen warm zu halten. Die Nächte sind frostig. Ich habe sie mit meiner eigenen Pferdedecke zugedeckt, da sind keine Läuse drin, die sie plagen könnten. Denkt an Euch selbst und Euer Kind, Madame. Thomas Blackstone ist ein guter Mann. Er hat hart gekämpft, um Euch zu retten, und ich und Jack Halfpenny, wir haben selbst zwei von denen getötet. Sie sind langsam gestorben, Jagdpfeile mit Blattspitzen haben ihnen die Brust zerfetzt.» Longdon runzelte die Stirn, als fürchtete er, sich zu viel herausgenommen zu haben. «Ich dachte, es tröstet Euch vielleicht, das zu wissen.»
«Bleibt bei Eurem Kind, bis Ihr beide stark genug seid, um zu gehen, wohin Ihr eben gehen wollt», riet Killbere. Er wies mit einer Kopfbewegung auf Henry. «Der Junge da hat Euch was zu essen gemacht. Wir versorgen Euch, so gut wir können, dann mögt Ihr Eurer Wege gehen.»
Die Frau wirkte nun weniger ängstlich. Sie wandte sich an den Mann, der sie gerettet hatte. «Wir waren auf dem Weg nach Süden und haben in einem verlassenen Dorf Rast gemacht. Männer kamen ans Tor und verlangten, die drinnen wären, sollten sich ergeben. Einer behauptete, er sei der Engländer Thomas Blackstone.» Sie richtete den Blick fest auf Blackstone.
«Er war ein Betrüger», erklärte Blackstone.
«Und woher weiß ich, dass Ihr keiner seid?»
«Wie gut hat der Mann gekämpft?», fragte Killbere.
«Schlecht», antwortete sie.
«Da habt Ihr die Antwort.» Killbere warf das Kerngehäuse des Apfels fort und machte ein paar Schritte auf sie zu. Sie hatte ihren Mut wiedergefunden und wich nicht zurück. Killbere strich mit einer Hand über seinen Wappenrock, als könnte er den Schmutz von dem aufgestickten Wappen abwischen. «Hier seht Ihr, wer er ist. Ein Prinz hat es ihm verliehen, ein König hat ihn geehrt, und ihre Feinde fürchten es.»
Sie schaute Blackstone an. «Er hat meinen Sohn», erwiderte sie.
«Wer?», fragte Blackstone.
«Graf Mael Babeneaux de Pontivy. Als der Räuber Euren Namen nannte, sagte Graf Mael, er habe geschworen, Euch zu töten. Sie haben dem Mann jeden Knochen im Leib gebrochen und ihn dann aufgehängt, sodass er langsam erstickt ist. Wenn Ihr der seid, für den Ihr Euch ausgebt», fuhr sie fort, «dann würde Graf Mael bedauern, dass Ihr noch lebt.»
«Und in welcher Beziehung steht Ihr zu diesem bretonischen Grafen?», fragte Blackstone.
«Ich bin seine Frau, Gräfin Cateline Babeneaux.»
Während das fiebernde Kind sich erholte, ritt Blackstone mit einer Handvoll seiner Männer noch einmal zu der Stelle, wo sich der Vorfall ereignet hatte. Der aufgewühlte Boden zeigte an, dass der bretonische Edelmann von dem verlassenen Dorf nach Hause geritten war. Sie folgten dem Fluss, der in Windungen immer wieder durch den Wald verlief, von dort, wo sie am Vortag die Spuren gemieden hatten, bis zum äußersten Ausläufer des Waldes. Hier führten die Hufabdrücke über einen breiten Pfad, dann tat sich hügeliges Weideland vor ihnen auf, sie sahen einen Hain und in der Ferne ein Dorf. Nahe dem schlammigen Pfad befand sich ein Schafpferch, und die niedrigen Wände der einfachen Steinhäuser trugen spitze Strohdächer. Das dicke Moos darauf zeugte von einem nassen und kalten Wind, der meist von Westen wehte. Jedes Haus hatte nur eine einzige Tür und beherbergte sowohl Menschen als auch Tiere. Blackstone kannte nur zu gut den Gestank, der in solchen Hütten herrschte. Er und seine Männer hatten schon so manche Tür aus den ledernen Angeln getreten, um Feinde aufzustöbern. Eine gegerbte Ziegenhaut war vor eine Fensteröffnung gespannt, und im Inneren herrschte drückende Düsternis. Blackstone wusste, das Stroh der Dächer würde schwer in Brand zu stecken sein, falls sie das Dorf angreifen und zerstören müssten. Das trockene Heu und Stroh hingegen, das auf dem Dachboden für die Tiere gelagert war, würde sofort brennen, und das Feuer würde rasch die gebogenen Holzstreben erfassen. Dann würde der Qualm von dem schwelenden Strohdach feindlichen Soldaten die Sicht nehmen und ihnen das Atmen erschweren. Er musste alles bedenken, wenn er es mit entschlossenen Männern zu tun hatte, die seinen Kopf auf einem Pfahl sehen wollten.
Ein kleiner Bach, nur einen Schritt breit und knietief, schlängelte sich von dem Flussbett fort – er versorgte wohl das Dorf mit Wasser. In ein paar Wochen würde der Winter über die Dörfler hereinbrechen, und falls sie das Glück hatten, genug Hammelfleisch vorrätig zu haben, konnten sie dieses zu den Rüben essen, die in Mieten neben einer der Scheunen eingelagert waren. Schwache Laute von aufgeschreckten Hühnern drangen an die Ohren der Männer, dann trug der Wind eine Frauenstimme herüber. Es war die zornige Stimme eines alten Weibes, das einen Stock schwingend hinter einer der Hütten hervorkam. Ein Mädchen mit einer Ziege am Halfter machte sich hastig davon – eine Szene, wie sie sich in jedem beliebigen Dorf ein Dutzend Mal die Woche abspielte: Eine Ziege reißt aus, frisst den Kohl einer Nachbarin an, und die jüngste Tochter der Familie wird ausgeschickt, um den Missetäter einzufangen. Im Übrigen schien in dem Dorf keine Bedrohung zu lauern; die Gefahr war weiter entfernt. Auf einem Turm, der über dem fernen Wald aufragte, wehte eine Fahne in der steifen Brise, und darauf prangte der Kopf eines Keilers.
Killbere kratzte sich den Bart. «Thomas, die Burg dort ist nicht Gegenstand des königlichen Vertrags. Wir haben keine Veranlassung, sie oder diesen elenden bretonischen Grafen anzugreifen. Der Mann, der den Kampf gestern überlebt hat, wird seinen Herrn inzwischen vor uns gewarnt haben, und ohnehin ist das Ganze eine Familienangelegenheit. Wir sollten unserer Wege gehen.»
«Habe ich irgendetwas gesagt?»
«Deine Gedanken tönen lauter als die Stimme eines Dorfpredigers, der über die Verdammten wettert, und ich nehme an, solche werden wir sein, wenn du versuchst, die Burg dort einzunehmen. Wenn wir den Turm über diese Bäume hinweg sehen können, dann hat sie bestimmt auch dicke Mauern und hohe Wehranlagen.»
Statt einer Antwort knurrte Blackstone nur, doch er hielt den Blick auf die Landschaft gerichtet.
«Das Dorf in Brand stecken und den Rauch nutzen», sagte Killbere. «Ist es das?»
Blackstone grinste.
«Da haben wir es! Herrgott noch mal! Du kannst den Hurensohn herauslocken, und wir können ihn und seine Leute töten, aber wozu? Weil der Mann dich hasst? Das ist nicht Grund genug. Ich schwöre, über die Jahre hat es Zeiten gegeben, da hätte auch ich dir gern mehr als einen Arschtritt versetzt.»
«Gilbert, er hat seine Frau und sein Kind den eigenen Männern ausgeliefert.»
Killbere seufzte. «Das geht uns nichts an. Wenn ein Edelmann seine Frau seinen Männern überlässt, dann hat sie es entweder mit anderen getrieben, oder er selbst hat eine Geliebte. Ich wette, sie sollte den Überfall im Wald nicht überleben. Vielleicht verrät das Wappen des Mannes uns alles, was wir wissen müssen: Er hat seine Schnauze im Trog einer anderen Frau.»
«Warum behält er den Sohn bei sich und nicht die Tochter?», fragte Blackstone und prüfte den wechselnden Wind. Er wollte nicht, dass ihre Witterung von der Stelle, wo sie im Schatten saßen, zum Dorf hinübergetragen wurde. Dorfbewohner hatten so gute Nasen wie wilde Hunde, die Gefahr rochen, und wenn es treue Bauern waren, dann war womöglich bereits ein Bote losgerannt, um den Grafen Mael vor Blackstone und seinem Trupp zu warnen und sich so die Gunst des Burgherrn zu sichern.
«Mädchen brauchen viel Fürsorge, Thomas. Kinderfrauen und eine Erzieherin, jemanden, der sie ankleidet und füttert. Jungen kann man arbeiten lassen, ihnen grobe Kleidung geben und sie nützliche Dinge lehren, zum Beispiel zu kämpfen.»
«Aber später hätte auch ein Mädchen seinen Wert. Ein Mann wie dieser Graf könnte eine Heirat arrangieren, dadurch seinen Status verbessern oder sich einen Vertrag mit einem Feind erkaufen», entgegnete Blackstone.
«Ein Sohn erbt eines Tages den Besitz seines Vaters und führt seinen Namen weiter. Der Name eines Mannes ist mehr wert als das Brautgeld für ein Mädchen.»
Blackstone antwortete nicht. Er betrachtete die Umgebung eingehend. Wenn sie zu dem fernen Wald hinüberritten und auf freier Fläche von Männern des Grafen Mael überrascht wurden, die von einer Patrouille zurückkehrten, dann mussten sie das Gelände zu ihrem Vorteil ausnutzen.
Killbere las seine Gedanken. «Du hast nicht etwa vor, dort hinüberzureiten? Wir wären auf dem Präsentierteller, unübersehbar wie die Eier eines Mastiffs. Warum sind wir überhaupt hier? Wenn Babeneaux geschworen hat, dich zu töten, dann hast du wahrscheinlich jemanden umgebracht, den er kennt. Ich wette, seine Bastarde sind über halb Frankreich verteilt, Thomas, und du hast ganz bestimmt einen von ihnen zur Hölle geschickt.»
Blackstone wandte sich im Sattel um und musterte seine wartenden Männer. Richard Quenell war ebenso wie Jack Halfpenny Bogenschütze und Ventenar der wenigen Männer unter seinem Kommando. Er hatte sich früher im Jahr Blackstones Truppe angeschlossen und sich im Kampf gegen die Bretonen wacker geschlagen. Blackstone wusste, dass er einige Zeit in der Bretagne und im Limousin verbracht hatte, wo der bretonische Adel riesige Landstriche beherrschte.
«Quenell», rief Blackstone.
Der Bogenschütze lenkte sein Pferd neben ihn. «Herr?»
«Dieser Babeneaux – bist du ihm schon einmal begegnet?»
Quenell schüttelte den Kopf. «Den Namen habe ich gehört, aber ich hatte noch nicht das Vergnügen, einen Eschenschaft in seiner Brust zu versenken. In der Schlacht bei le Garet habe ich sein Banner gesehen.»
«Dann haben wir ihn nicht getötet, als wir die Gelegenheit dazu hatten», stellte Killbere fest. «Ein Jammer. Sonst hätten wir jetzt weniger Scherereien und könnten unserer Wege ziehen.»
«Er hatte Angehörige weiter im Norden. Eine Schwester, die mit einem bretonischen Ritter verheiratet war», sagte Quenell.
«Wie hieß er?», fragte Blackstone.
Quenell forschte in seinem Gedächtnis. «Der Name klang für mich ungewöhnlich … Er hieß … Regard oder Beauregard … Nein, es war Sagard, Rolf de Sagard. Ja, so hieß er.»
«Gütiger Gott», knurrte Killbere, «die Vergangenheit verfolgt uns wie Waldgeister. De Sagard. Wie lange ist das her, Thomas? Fünf, sechs Jahre?»
Blackstone nickte. Es war in der Zeit gewesen, als der französische Monarch den blutrünstigen Priester auf ihn angesetzt hatte. Blackstones Familie war beinahe zu Tode gekommen, sein junger Knappe Guillaume Bourdin war brutal gefoltert und ermordet worden, und sie hatten Blackstones Freund, dem normannischen Grafen Guillaume de Fossat, eine Falle gestellt. De Fossat war ins bretonische Marschland gelockt und in de Sagards Burg gefangen gehalten worden, wo der blutrünstige Priester ihn lebendigen Leibes gehäutet hatte. Blackstone hatte seinen Freund von seinem Leiden erlöst und anschließend Rolf de Sagard getötet, weil dieser die Gräueltat zugelassen hatte.
«De Sagards Witwe ist also Babeneaux’ Schwester», sagte Killbere. «Thomas, wir haben hier nichts mehr verloren. Es ist klar, weshalb er dich umbringen will. Du hast seine Schwester den Wölfen der Armut vorgeworfen, ohne einen Mann, der sie und ihre Kinder beschützt. Wahrscheinlich musste er für die armen Hunde im Dorf die Abgaben erhöhen, nur um sie all die Jahre zu ernähren.»
«Ich habe keinen Zwist mit ihm, Gilbert. Er hat einen Zwist mit mir.»
«Thomas, sieh es als Steinchen in deinem Stiefel: Es stört, es sticht vielleicht, aber man kann es einfach ignorieren.»
«Babeneaux trägt dasselbe Gift in sich. Er foltert und tötet langsam, wie bei dem Mann, den wir dort haben hängen sehen. Und er hat seine Frau und Tochter seinen Männern ausgeliefert», erwiderte Blackstone. «Steinchen kann man aus einem Stiefel herausklopfen.» Er wendete das Bastardpferd zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
Killbere schloss sich ihm an. Dabei warf er Quenell einen finsteren Blick zu. «Du hast ein großes Mundwerk. Manchmal ist es besser, sich unwissend zu stellen und sein Gedächtnis nicht so sehr anzustrengen.»
Als Blackstone vor der Mutter mit ihrem Kind stand, spürte er den Stachel der Erinnerung an seine eigene tote Frau und Tochter. Das Mädchen hieß Jehanne. Sie war fünf Jahre alt. Ihr Körper war nach der Misshandlung durch die Soldaten von Blutergüssen übersät, und ein Schlag auf den Kopf hatte ihr vorübergehend das Bewusstsein geraubt, doch jetzt starrte das blauäugige Kind aus den Armen seiner Mutter zu ihm auf.
«Sie hat sich erholt», sagte Cateline. «Dank Eurem Sohn und diesen Männern.»
«Sie haben einst von einer heilkundigen Frau gelernt, was zu tun ist.»
«Dann müssen mein Dank und meine Gebete ihr gelten.»
«Gebete werden ihr mehr nutzen.»
Das genügte als Erklärung. Cateline nickte. «Was werdet Ihr nun mit uns anfangen?»
«Ich habe herausgefunden, weshalb Euer Mann meinen Tod wünscht, aber ich will wissen, warum er Euch Euren Sohn genommen hat.»
«Aus Hass auf mich und die Tochter, die ich ihm geboren habe. Ich war eine Witwe mit einem kleinen Sohn. Er hat mich geheiratet, weil ich Grundbesitz und einen Titel aus eigenem Recht hatte. Doch ich konnte ihm keinen eigenen Sohn schenken. Mein Sohn Jocard wird erben, wenn er das Mannesalter erreicht, und im Falle meines Todes würde Mael der Vormund des Jungen.»
«Und Ihr habt versucht zu fliehen?»
«Ja. Wir gingen nach Süden, um zunächst beim englischen Seneschall in Poitiers, Sir William Felton, Schutz zu suchen und ihn dann um eine Eskorte nach Avignon zu bitten. Dort will ich meinen Sohn in die Obhut von Erziehern geben, bis er erwachsen ist.»
«Ihr kennt Sir William Felton?», erkundigte sich Killbere.
«Dem Namen und Ruf nach.»
«Ruf?», wiederholte Killbere, kaum fähig, seinen Sarkasmus zu verhehlen.
Sie nickte. «Er hat vor Monaten die Bretonen geschlagen. Er steht in der Gunst des englischen Königs.»
Killbere beugte sich vor und funkelte sie an. «Madame, Sir Thomas Blackstone war es, der die Bretonen geschlagen hat. Warum sollte Sir William Euch gewogen sein? Ihr seid Bretonin. Euer Sohn ist Bretone. Euer Grundbesitz liegt im bretonischen Sumpfland.»
Cateline Babeneaux stand furchtlos vor dem bedrohlich auftretenden alten Ritter. «Maßt Euch nicht an, mich zu schulmeistern. Ich bin nicht töricht. Mein Grundbesitz liegt in der Nähe des Herrschaftsgebiets von Jean de Montfort. Wenn es meinem Mann in die Hände fällt, kann er von dort aus Angriffe gegen jene unternehmen, die auf der Seite der Engländer stehen. Der französische König sähe nichts lieber, als dass sich im Herzen des Gebietes, das der englische König begehrt, eine Viper einnistet.»
Blackstone wechselte einen Blick mit Killbere. Nun war klar: Indem sie Mael Babeneaux beseitigten, würden sie dazu beitragen, dass Edwards erwähltes Mündel, der junge de Montfort, eines Tages die Bretagne in Besitz nehmen konnte.
«Thomas», sagte Killbere. «Diese Frau wird Verderben über uns bringen. Ich spüre es.»
«Gilbert, ich habe vom König den Auftrag, sein Territorium zu sichern.»