Lehrbuch der Soziologie -  - E-Book

Lehrbuch der Soziologie E-Book

0,0

Beschreibung

Die ganze Soziologie im Blick. Der große »Joas und Mau« ist das umfassende Lehrbuch der Soziologie. Es legt nicht nur Wert auf solides Fachwissen, sondern auch auf gute Didaktik. Führende Vertreterinnen und Vertreter des Fachs geben darin einen leicht verständlichen Überblick über Geschichte, Methoden und Gegenstandsbereiche der Soziologie und bieten gleichzeitig eine Einführung in den neuesten Wissensstand. Jedes der 26 Kapitel wird durch Abbildungen, Grafiken und Tabellen aufgelockert und schließt mit Zusammenfassung, Kontrollfragen und Glossar. Erstmals 2001 erschienen, wurde das Lehrbuch an deutschsprachigen Universitäten zu einem erfolgreichen Standardwerk. Für die vorliegende, vollständig aktualisierte und erweiterte 4. Auflage ist Steffen Mau als Mitherausgeber gewonnen worden. Neuerungen sind Kapitel zu »Digitalisierung« und »Sozialpolitik«, ein zusätzliches Kapitel zu sozialwissenschaftlichen Methoden, eine Anleitung zum wissenschaftlichen Arbeiten und last but not least eine Website mit Online-Materialien als Hilfestellungen und Anregungen für die Lehre. Damit bietet das Lehrbuch auf BA- und Nebenfachstudierende zugeschnittene Einführungen in die wichtigsten Themengebiete der Soziologie. Und es stellt Dozentinnen und Dozenten reichhaltiges Material zur Planung ihrer Lehrveranstaltungen zur Verfügung. Inhalt: Das Wissen von der Gesellschaft 1. Die soziologische Perspektive (Hans Joas) 2. Quantitative Sozialforschung (Thomas Hinz) 3. Qualitative Sozialforschung (Udo Kelle) Das Individuum und die Gesellschaft 4. Kultur (Karl-Siegbert Rehberg & Stephan Moebius) 5. Interaktion, Institution und Gesellschaft (Ansgar Weymann) 6. Sozialisation (Dieter Geulen †, Hermann Veith) 7. Der Lebenslauf (Walter R. Heinz & Reinhold Sackmann) 8. Abweichung und Kriminalität (Fritz Sack) Differenz und Ungleichheit 9. Gruppen und Organisationen (Uwe Schimank) 10. Soziale Ungleichheit und Sozialstruktur (Steffen Mau & Roland Verwiebe) 11. Ethnizität, Nation, Rasse (Christian Joppke) 12. Geschlecht und Gesellschaft (Theresa Wobbe & Gertrud Nunner-Winkler) Gesellschaftliche Institutionen 13. Familie (Anja Steinbach & Karsten Hank) 14. Bildung (Jutta Allmendinger & Heike Solga) 15. Religion (Detlef Pollack) 16. Sozialpolitik (Claus Wendt & Thomas Bahle) 17. Medien (Andreas Hepp) Sozialer Wandel und Globalisierung 18. Wirtschaft und Arbeit (Jens Beckert) 19. Technik und Gesellschaft (Werner Rammert & Ingo Schulz-Schaeffer) 20. Staat, Herrschaft und Demokratie (Stefan Lessenich & Claus Offe) 21. Globale Ungleichheiten (Anja Weiß) 22. Bevölkerung (Michaele Kreyenfeld & Dirk Konietzka) 23. Städte, Gemeinden und Urbanisierung (Hartmut Häußermann †, Walter Siebel) 24. Soziale Bewegungen und kollektive Aktionen (Dieter Rucht & Friedhelm Neidhardt) 25. Umwelt (Karl-Werner Brand & Fritz Reusswig) 26. Digitalisierung (Philipp Staab) Das Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten in der Soziologie (Ruth Manstetten) Gesamtglossar Bildnachweise Personenregister Sachregister Autorinnen und Autoren

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 2437

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Lehrbuch der Soziologie

Hans Joas, Soziologe und Sozialphilosoph, lehrt als Ernst-Troeltsch-Honorarprofessor für Religionssoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin und ist außerdem Professor und Mitglied des Committee on Social Thought an der University of Chicago.

Steffen Mau, Soziologe und Politikwissenschaftler, ist Professor für Makrosoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zuvor war er Professor für Politische Soziologie an der Universität Bremen.

4., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage

Diesem Lehrbuch diente ursprünglich die 6. und 7. Auflage des Werkes »Soziologie« von C. Calhoun, D. Light und S. Keller als Vorlage. Zur früheren Textadaption siehe das Vorwort der Herausgeber.

© 1994 and 1997 by McGraw-Hill, Inc.

All rights reserved.

Unter https://www.campus.de/lehrbuchdersoziologie finden Sie ergänzend zum Buch reichhaltiges Online-Material zur Anwendung in Lehrveranstaltungen und im Studium.

4., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage 2020

ISBN 978-3-593-50346-2 Print ISBN 978-3-593-44386-7 (PDF) ISBN 978-3-593-44385-0 (EPUB)

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Trotz sorgfältiger inhaltlicher Kontrolle übernehmen wir keine Haftung für die Inhalte externer Links. Für den Inhalt der verlinkten Seiten sind ausschließlich deren Betreiber verantwortlich.

Copyright © 2001, 2007, 2020 Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main.

Redaktion: Miryam Schellbach, Dr. Judith Wilke-Primavesi

Bildrecherche: Miryam Schellbach

Korrektur: Thomas Uber, Petra Zimlich

Umschlaggestaltung: Guido Klütsch, Köln.

Umschlagmotiv: © gettyimages, Eddy Joaquim

Satz/ePub: Reemers Publishing Services GmbH, Krefeld

Gesetzt aus: Arbotext Advanced Print Publisher

www.campus.de

Vorwort der Herausgeber

Die Soziologie ist ein faszinierendes Fach. Zugleich bietet sie in der Öffentlichkeit immer wieder ein verwirrendes Bild. Berüchtigt für ihre angeblich unverständliche Sprache, von inneren Auseinandersetzungen durchzogen, zu Selbstzweifeln neigend, hat die Soziologie Schwierigkeiten, ihr Wissen einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. In die Medien gelangen meist nur pauschalisierende Zeitdiagnosen und demoskopische Befunde. Dies alles hat mit dem Reichtum seriöser soziologischer Forschung und Theoriebildung recht wenig zu tun.

Das vorliegende, nunmehr in vierter, aktualisierter und erweiterter Auflage erschienene »Lehrbuch der Soziologie« setzt sich zur Aufgabe, einen leicht verständlichen Überblick über das Fach zu geben. Zwar finden sich vielerlei Einführungen in die Soziologie einerseits, Handbücher für Fachleute andererseits, aber kein vergleichbares Lehrbuch, das in der vorliegenden Breite in den neuesten Wissensstand der Disziplin einführt. Ursprünglich inspiriert von einem didaktisch besonders gelungenen US-amerikanischen Vorbild, werden in diesem Lehrbuch die großen Themengebiete der Soziologie – von der Familie bis zur Umwelt, von Wirtschaft und Arbeit bis zu Religion und Geschlecht, vom Lebenslauf bis zur sozialen Schichtung – von führenden deutschsprachigen Fachvertreterinnen und -vertretern in allgemeinverständlicher Weise dargestellt. Das Lehrbuch der Soziologie soll ein Leitfaden des akademischen Unterrichts sein und gleichzeitig ein Kompendium soziologischen Wissens für Studierende und Lehrende sowie ferner für ein interessiertes »gebildetes Publikum«. Seit der ersten Auflage im Jahr 2001 ist das Buch in mehreren aktualisierten Auflagen unter der Herausgeberschaft von Hans Joas erschienen und – über 45.000 Mal verkauft – zu einem Standardwerk der Soziologie geworden.

Die vierte Auflage stellt in vielerlei Hinsicht eine grundlegende Neuerung dar: So ist Steffen Mau als Herausgeber dazugestoßen und hat an der inhaltlichen Neugestaltung mitgewirkt. Für über die Hälfte der Beiträge wurden neue Autorinnen und Autoren gewonnen. Viele Kapitel sind inhaltlich neu justiert worden; Zahlen, Tabellen und Grafiken wurden aktualisiert; die vergleichende und die globale Dimension finden noch stärkere Berücksichtigung als bisher. Zudem sind Kapitel hinzugekommen: So enthält das Lehrbuch jetzt zwei getrennte ausführliche Methoden-Kapitel zur quantitativen und qualitativen Sozialforschung. Es bietet jeweils ein neues Kapitel zur Sozialpolitik und zur Digitalisierung und enthält einen ausführlicheren Abschnitt zum Verfassen von wissenschaftlichen Arbeiten in der Soziologie. Eine weitere Neuerung ist die Umstellung auf Farbigkeit, was der allgemeinen Lesbarkeit und dem Verständnis von Abbildungen, Grafiken und Tabellen sehr entgegenkommt. Last but not least gibt es unter https://www.campus.de/lehrbuchdersoziologie eine das Buch ergänzende Website mit Anregungen und Übungen zur Lehre.

Ein kurzer Rückblick auf die Entstehungsgeschichte dieses Lehrbuchs mag helfen, seinen Anspruch und genaueren Charakter besser zu verstehen. Die Idee, das Projekt in Angriff zu nehmen, entstand in den Lehrveranstaltungen von Hans Joas am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin in den 1990er Jahren. Es gehörte zu den Aufgaben der soziologischen Abteilung dieses Instituts, Studierenden in einem interdisziplinären Studiengang soziologisches Wissen über die USA und damit gleichzeitig Grundkenntnisse des Fachs Soziologie zu vermitteln. Nun ist es relativ leicht, auf dem hochentwickelten Lehrbuchmarkt in den USA für eine solche Veranstaltung geeignete Lehrbücher in englischer Sprache zu finden. Diese waren jedoch für die Lehre im deutschen Sprachraum nicht ganz geeignet, weil sie kein vergleichendes Wissen über Deutschland vermittelten – eine Ausbildung, die zwar Kenntnisse über eine andere Weltregion schafft, nicht aber deren Rückbezug auf ein Wissen über das eigene Land bietet, war (und ist) nicht sinnvoll.

Bei der Ursprungskonzeption dieses Lehrbuchs ging es daher vor allem um die Schließung dieser Lücke auf dem deutschsprachigen Buchmarkt. Die Umsetzung des Projekts erwies sich dann jedoch als wesentlich schwieriger als gedacht. Es war klar, dass die Soziologie über das Stadium längst hinaus war, in dem ein Einzelner das Fach wirklich umfassend hätte überblicken und darstellen können. Schon für Émile DurkheimDurkheim, Émile, den französischen Klassiker der Soziologie, war es gerade das Zeichen unreifer Wissenschaftsdisziplinen, wenn sie in Ein-Mann-Synthesen zusammengefasst werden konnten. Es musste also ein Kollektivwerk werden. Als entscheidende Hilfe und Inspiration erwies sich dabei das bereits erwähnte US-amerikanische Vorbild, nämlich die 6. und 7. Auflage des Lehrbuchs Sociology von Craig CalhounCalhoun, Craig u.a., das zuerst 1994 in New York erschienen war (und dessen letzte Auflage aus dem Jahr 2000 heute nur noch auf dem antiquarischen Markt zu erhalten ist). Ohne dieses konkrete Beispiel eines umfassenden soziologischen Lehrbuchs wäre der Plan eines deutschsprachigen Kompendiums der Soziologie wohl schon in den Startlöchern hängengeblieben. Die Kenntnis dieser Vorlage hat damals die Schwelle zur Zusage der Autorinnen und Autoren gesenkt. Der Umgang damit ist dann sehr unterschiedlich ausgefallen, wobei sich das Lehrbuch mit jeder Überarbeitung weiter von ihr entfernt hat; in der aktuellen vierten Auflage gibt es nur noch in wenigen Kapiteln direkte Überschneidungen.

Was in wissenschaftlichen Originalpublikationen ungewöhnlich bis anstößig wäre, erscheint im Falle eines Lehrbuchs nicht nur als zulässig, sondern sogar als geboten. Ein Lehrbuch soll eben nicht die Auffassungen einzelner Forschender und ihr Bemühen um Innovation und Distinktion dokumentieren, sondern den gesicherten Erkenntnisstand eines Fachs – sofern die Wissenschaften mit ihrer Tendenz zur immerwährenden Selbstrevision so etwas wie einen gesicherten Erkenntnisstand überhaupt kennen. Klar war und ist, dass die Beitragenden durchweg hervorragende Vertreterinnen und Vertreter ihres Gebiets sein sollten. Normalerweise sind diese jedoch regelmäßig zeitlich enorm gefordert. Es ist deshalb besonders erfreulich, dass in praktisch allen Fällen – von der ersten bis zur vierten Auflage – die zuerst gefragten »idealen« Beitragenden gewonnen werden konnten.

Zwei weitere Bemerkungen sind nötig. Erstens: Das vorliegende Lehrbuch wird nicht über eine spezifische theoretische Perspektive integriert, wenn darunter eine der Schulen der theoretischen Soziologie verstanden wird. Aber es zerfällt auch nicht in unverbundene oder zueinander widersprüchliche theoretische Perspektiven. Es wurde vielmehr der pragmatische Weg eingeschlagen, jedem Kapitel als theoretische Strukturierung ein minimales Netz von zentralen Begriffen und konzeptionellen Perspektiven zu Grunde zu legen. Selbstverständlich wäre es naiv zu behaupten, damit sei nichts theoretisch präjudiziert. Es ist durchaus ein gemeinsamer Nenner damit bestimmt worden; den Autorinnen und Autoren blieb aber in diesem Rahmen genügend Freiheit, ihre eigenen Akzente zu setzen. Zwar lassen sich aus diesem Lehrbuch der Sinn und die genaueren Argumente der theoretischen Diskussionen in der Soziologie nicht lernen; es ist aber ein Korridor eröffnet worden, der die Bewegung zwischen konkurrierenden Theorien erlaubt.

Zweitens: Sinn eines Lehrbuchs muss es sein, das Wissen eines Fachs, nicht die subjektiven Sichtweisen der Beitragenden zu präsentieren. Wir haben unsere Aufgabe als Herausgeber demgemäß so interpretiert, dass wir einem Überschuss an Subjektivität entgegenzutreten haben. Zumindest in der Wahl der Beispiele sind immer wieder Tendenzen der Wertung unverkennbar, die nicht mit allgemeiner Zustimmung werden rechnen können – selbst nicht innerhalb des Kreises der Beitragenden, noch weniger in dem der Leserinnen und Leser. Dies soll aber nicht die Bemühung verdecken, das jeweilige Pro und Contra im Fall konkurrierender Auffassungen so fair wie möglich darzustellen. Letztlich aber sind die einzelnen Autorinnen und Autoren für ihre Kapitel selbst verantwortlich.

Der Anspruch dieses Lehrbuchs ist grandios und bescheiden zugleich. Er ist insofern grandios, als versucht wird, ein Buch vorzulegen, das ein ganzes Fach repräsentiert – und dies zudem in einer Form, die nicht nur die eingeübten Angehörigen des Fachs anspricht. Wenn das Fach nach außen spricht, macht es sich selbstverständlich verwundbar; seine Aussagen können nicht durch Verweise auf Methoden und Theorien immunisiert werden. Die Hoffnung ist, dass die deutschsprachige Soziologie – bei allen Kontroversen – mit einem Lehrbuch, das die Breite des Fachs und ihre Vertreterinnen und Vertreter zwischen zwei Buchdeckeln zusammenführt, stärker zentriert wird, als sie es gegenwärtig ist. Auch zukünftig wird das Lehrbuch durch neue Erkenntnisse oder durch die neue Berücksichtigung vernachlässigter alter Erkenntnisse immer wieder umgearbeitet werden müssen, und dies könnte selbst ein wenig zu der gewünschten Zentrierung beitragen.

Der Anspruch ist aber zugleich bescheiden, da uns bewusst ist, dass ein Lehrbuch in diesem Sinne – als die kollektive Stimme eines Fachs – immer nur »work in progress« darstellt und somit niemals abgeschlossen sein kann. Sicher wird das Lehrbuch, wie es jetzt vorliegt, auch zukünftig in wissenschaftlicher und in didaktischer Hinsicht verbesserungsfähig sein, ganz zu schweigen von der Notwendigkeit, die Daten immer wieder auf den neuesten Stand zu bringen. Dabei gibt es sicherlich Zielkonflikte zwischen dem Bedürfnis nach Aktualität und dem Wunsch nach gesicherten Datenbeständen.

In diesem Buch vermeiden wir die ausschließliche Verwendung des generischen Maskulinums und verwenden bei generalisierten Personenbezeichnungen alternierend die weibliche und männliche Form. Einen darüber hinausgehenden Anspruch einer nicht-binären Geschlechterbezeichnung lösen wir damit allerdings nicht ein, weil viele der damit verbundenen grammatikalischen Folgeprobleme noch nicht konsistent gelöst worden sind und bei den älteren Texten tiefere redaktionelle Eingriffe notwendig geworden wären.

Unser Dank gilt zuallererst allen Autorinnen und Autoren des Bandes, die trotz notorisch starker Arbeitsbelastung bestehende Kapitel überarbeitet oder neue Kapitel verfasst haben. Wir danken den Autorinnen und Autoren für ihre Geduld mit Verzögerungen, die sich im Laufe der Zeit immer wieder bei der Arbeit am Lehrbuch ergeben haben. Dank gilt außerdem den Studierenden unserer Lehrveranstaltungen, die uns immer wieder die Bedeutung von guter Didaktik und geeignetem Lehrmaterial in Erinnerung rufen. Wir danken Judith Wilke-Primavesi und Miryam Schellbach vom Campus Verlag für die Bereitschaft und das Durchhaltevermögen, dieses anspruchsvolle Projekt umzusetzen. Ohne das Engagement des Verlages von der Planung bis hin zur technischen und lektoratsmäßigen Betreuung wäre dieses Lehrbuch nicht erschienen. Zu erinnern ist deshalb mit Dankbarkeit auch an die entscheidende Rolle, die Adalbert Hepp für die Verwirklichung der ursprünglichen Fassung des Lehrbuchs gespielt hat. Craig CalhounCalhoun, Craig, der Hauptverantwortliche für das amerikanische Lehrbuch, das seinerzeit als Vorbild diente, war bei der Grundkonzeption der ersten Auflage hilfsbereit und verständnisvoll. Ohne seine Vorarbeit und Unterstützung und die seiner Koautoren gäbe es dieses deutsche Lehrbuch nicht. Es hat sich nun schon zwanzig Jahre auf dem soziologischen Buchmarkt erfolgreich gehalten und viele Studierendenkohorten geprägt. Wir hoffen, dass es mit dieser komplett revidierten Neuauflage, mit neu hinzugekommenen Autorinnen und Autoren und mit der erweiterten Herausgeberschaft gelingt, auch zukünftige Generationen von Studierenden an das Fach heranzuführen und sie für dieses zu begeistern.

Leserinnen und Leser – Studierende ebenso wie Forschende und Lehrende der Soziologie – möchten wir ausdrücklich zu Rückmeldungen ermuntern. Besuchen Sie die Website zum Lehrbuch unter https://www.campus.de/lehrbuchdersoziologie, schicken Sie uns auf diesem Weg Ihre Anregungen für Verbesserungen und gern auch eigene Beispiele zur Anwendung soziologischer Erkenntnis.

Berlin im Mai 2020

Hans Joas und Steffen Mau

Inhalt

Vorwort der Herausgeber
Inhalt
1Die soziologische PerspektiveHans Joas
1.1Soziologische Phantasie
1.1.1Fünf Schlüsselbegriffe
1.2Die Soziologie als Wissenschaft
1.2.1Die wissenschaftliche Methode
1.2.2Soziale Tatsachen
1.3Die Anfänge der Soziologie
1.3.1Die Soziologie und die moderne Ära
1.3.2Klassische soziologische Theorien
1.4Moderne soziologische Theorien
Literaturverzeichnis
2Quantitative SozialforschungThomas Hinz
2.1Ursprünge der quantitativen Sozialforschung
2.2Forschungsdesigns der quantitativen Sozialforschung
2.2.1Experimentelles und quasiexperimentelles Design
2.2.2Ex-post-facto-Design
2.3Datenformate der quantitativen Sozialforschung
2.3.1Querschnittdaten
2.3.2Längsschnittdaten
2.4Datenerhebungsformen
2.4.1Befragungen
2.4.2Beobachtungen
2.4.3Prozessproduzierte Daten
2.5Stichproben
2.5.1Zufallsstichproben
2.5.2Andere Stichproben
2.6Datenauswertungen
2.6.1Beschreibende und schließende Statistik
2.6.2Zusammenhangsanalysen und RegressionRegressionsmodell
2.6.3Kausalmodelle
2.7Neuere Entwicklungen
2.7.1Text als Daten
2.7.2Räumliche Daten
2.7.3Netzwerkdaten
2.8Ausblick
Literaturverzeichnis
3Qualitative SozialforschungUdo Kelle
3.1Die qualitative Tradition der Sozialforschung
3.1.1Die kulturanthropologische Ethnografie
3.1.2Die »Chicagoer Schule«
3.1.3Kritik an der qualitativen Feldforschung
3.1.4Die aktuelle qualitative Sozialforschung
3.2Theoriegrundlagen qualitativer Methoden
3.2.1Erklären und Verstehen
3.2.2Die interpretative Soziologie: Phänomenologie und Symbolischer Interaktionismus
3.2.3Der Konstruktionscharakter sozialer Wirklichkeit: Ethnomethodologie, Konstruktivismus und hermeneutische Wissenssoziologie
3.2.4Die postmoderne Radikalisierung konstruktivistischer Positionen
3.2.5Poststrukturalismus, Postmodernismus und politische Standpunktepistemologie
3.3Die Erhebung und Auswertung qualitativer Daten
3.3.1Fallauswahl und Fallkontrastierung
3.3.2Qualitative Datenerhebung
3.3.3Die Auswertung qualitativer Daten
3.4Die Qualität qualitativer Forschung
Literaturverzeichnis
4KulturKarl-Siegbert Rehberg & Stephan Moebius
4.1Die kulturelle Dimension
4.1.1Kulturbegriffe
4.1.2Die Entstehung der Kultursoziologie
4.2Die Elemente der Kultur
4.2.1Materielle und nichtmaterielle, objektive und subjektive Kultur – Verkörperungen
4.2.2Werte
4.2.3Normen
4.2.4Symbole
4.2.5Sprache
4.2.6Wissen
4.3Kulturelle Unterschiede und Integration
4.3.1Kulturelle Integration
4.3.2Kulturelle Unterschiede und Subkulturen
4.3.3Die Produktion der Kultur
4.4Kultur und MassenmedienMassenmedien
4.4.1Kulturelle Globalität
4.4.2Kultur und Gesellschaft – Zeitdiagnosen
Literaturverzeichnis
5Interaktion, Institution und GesellschaftAnsgar Weymann
5.1Soziales Handeln und Interaktion
5.1.1Die Definition der Situation
5.1.2Symbolischer Interaktionismus und Pragmatismus
5.1.3Der dramaturgische Ansatz
5.1.4Ethnomethodologie
5.1.5Sozialer Austausch und rationale Wahl
5.2Das Gewebe sozialer Beziehungen
5.2.1Die Analyse von Netzwerkmustern
5.2.2Grundbegriffe der Netzwerkanalyse
5.2.3Wie bekommt man einen Job?
5.2.4Position und Macht in Netzwerken
5.3Institutionen und Gesellschaft im Wandel
5.3.1Status und Rolle
5.3.2Bevölkerungsstruktur
5.3.3Institutionen
5.3.4Neo-Institutionstheorie: Isomorphismus
5.3.5Modernisierung und Globalisierung
Literaturverzeichnis
6SozialisationDieter Geulen †, Hermann Veith
6.1Anthropologische Voraussetzungen der Sozialisation
6.1.1Die menschliche Konstitution
6.1.2Die menschliche Handlungsfähigkeit
6.1.3Die menschliche Entwicklung
6.2Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Sozialisation
6.2.1Sozialsysteme und Lebensformen
6.2.2Alltagsweltliche Veränderungen
6.2.3Individuelle Lebensführung
6.2.4Strukturen der sozialen Ungleichheit
6.3Sozialisationsinstanzen in Kindheit und Jugend
6.3.1Die Familie
6.3.2Kindertageseinrichtungen
6.3.3Die Sozialwelt der Peers
6.3.4Die Schule
6.3.5Die Medien
6.4Sozialisation im Erwachsenenalter
6.4.1Berufliche Sozialisation
6.4.2Politische Sozialisation
6.4.3Selbstkonzept und Selbstverwirklichung
6.4.4Selbstanpassungen im Alter
Literaturverzeichnis
7Der LebenslaufWalter R. Heinz & Reinhold Sackmann
7.1Generationen und der Lebenslauf
7.1.1Die geburtenstarken und geburtenschwachen Jahrgänge
7.1.2Sozialer Wandel und Generationsbildung
7.2Der Lebenslauf aus soziologischer Perspektive
7.2.1Soziale Definitionen des Alters
7.2.2Altern und die Übergänge im Lebenslauf
7.2.3Die Altersstruktur: Das »Ergrauen« der Gesellschaft
7.3Phasen des Lebenslaufs
7.3.1Entwicklungs- und sozialpsychologische Erklärungsansätze
7.3.2Kindheit
7.3.3Jugend
7.3.4Der Übergang zum Erwachsenenstatus: Junge Erwachsene
7.3.5Erwachsenenalter
7.3.6Alter
7.3.7Sterben und Tod
7.4Perspektiven der Lebenslaufforschung
Literaturverzeichnis
8Abweichung und KriminalitätFritz Sack
8.1Die gesellschaftliche Konstruktion von Abweichung
8.1.1Variationen in der sozialen Definition von Abweichung
8.1.2Die sozialen Funktionen abweichenden Verhaltens
8.1.3Definition von Abweichung als Ausdruck von Machtbeziehungen
8.1.4Prozesse der Etikettierung – Ein alternatives »Paradigma« der Analyse
8.2Wer wird ein Abweichler?
8.2.1Vererbung
8.2.2Sozialisation
8.2.3Anomie / Strukturelle Spannung
8.2.4Soziale Kontrolle
8.3Struktur und Formen der Kriminalität
8.3.1Allgemeine Kriminalitätsentwicklung und Kriminalitätsfurcht
8.3.2Gewalt- und Eigentumskriminalität
8.3.3Kriminalität ohne Opfer
8.3.4Organisierte Kriminalität
8.3.5»Weiße-Kragen«- und Wirtschaftskriminalität
8.3.6Computerkriminalität oder »Cybercrime«
8.4Das System der Strafverfolgung
8.4.1Die Polizei als Instanz der staatlichen Kontrolle
8.4.2Die Trichterfunktion des Systems strafrechtlicher Kontrolle
8.4.3Die »Wiedergeburt« des Gefängnisses
8.4.4Kriminalpolitik wider die Kriminologie – The punitive turn
Literaturverzeichnis
9Gruppen und OrganisationenUwe Schimank
9.1Wesensmerkmale sozialer Gruppen
9.1.1Gruppeneigenschaften
9.1.2Gruppendynamik
9.1.3Der Einfluss der Gruppengröße
9.1.4KonformitätKonformität und Kontrolle
9.1.5FührungFührung
9.1.6Der Entscheidungsprozess in einer Gruppe
9.1.7Primär- und Sekundärgruppen
9.2Entstehung und Merkmale bürokratischer Organisationen
9.2.1Organisierung großer Menschenmengen: Das MilitärMilitär
9.2.2Die Integration unterschiedlicher Aufgaben: Swift and Company
9.2.3Max Webers IdealtypusIdealtypus
9.3Realitäten des organisatorischen Lebens
9.3.1Informelle VerhaltensnormenInformelle Verhaltensnormen
9.3.2Professionelle
9.3.3Mikropolitik
9.3.4Begrenzte Rationalität
9.3.5Die Bedeutung des externen Umfelds
9.3.6Organisationsgesellschaft
Literaturverzeichnis
10Soziale Ungleichheit und SozialstrukturSteffen Mau & Roland Verwiebe
10.1Soziale Ungleichheit
10.1.1Ungleichheitstheorien
10.1.3Horizontale Ungleichheiten und Intersektionalität
10.2Die Entwicklung des Ungleichheitsgefüges
10.2.1Das sozialdemokratische halbe Jahrhundert: Der Abbau von Ungleichheit nach dem Zweiten Weltkrieg
10.2.2Liberalisierung, Globalisierung und De-Regulierung: Die Zunahme von Ungleichheit seit den 1980er Jahren
10.3Sozialstruktur und Sozialstrukturforschung
10.3.1Was bedeutet Sozialstruktur?
10.3.2Stand, Klasse und Schicht
10.3.3Klassenansätze: Marx, Weber und die Berufsklassen
10.3.4Schichtansätze
10.4Jenseits von Klasse, Stand und Schicht?
10.4.1Individualisierung und Entstrukturierung
10.4.2Milieus und Lebensstile
10.4.3Die kulturalistische Klassentheorie
10.4.4Sozialstruktureller Wandel der Gegenwart
10.5Interessen und gesellschaftliche Spaltungslinien
Literaturverzeichnis
11Ethnizität, Nation, RasseChristian Joppke
11.1Ethnizität
11.1.1Ethnizität im Allgemeinen
11.1.2Ethnizität im Besonderen
11.2Nation und Nationalismus
11.2.1Modernistische Ansätze
11.2.2Primordiale Ansätze
11.2.3Zivile versus ethnische Nation
11.3Rasse und Rassismus
11.3.1Offizieller Rassismus
11.3.2Rassismus ohne Rassen
11.4Integration in der liberalen Gesellschaft
11.4.1Segregation, Assimilation, Integration
11.4.2Multikulturalismus
11.4.3Erschöpfter Nationalismus?
Literaturverzeichnis
12Geschlecht und GesellschaftTheresa Wobbe & Gertrud Nunner-Winkler
12.1Die soziale Konstruktion des Geschlechts und das Arrangement der Geschlechter
12.1.1Die gesellschaftliche Konstruktion des Geschlechts (gender)
12.1.2Kompetenter Regelgebrauch – Die interaktive Konstruktion des Geschlechts
12.1.3Das Arrangement der Geschlechter – Schnittstelle von Interaktion und Sozialstruktur
12.2Geschlechterunterschiede und ihre Erklärung
12.2.1Kategorialer Denkhabitus
12.2.2(Evolutions-)Biologisches Geschlechtsverständnis
12.2.3Wesensdifferenzen?
12.2.4Geschlecht als natürliche Kategorie?
12.2.5Theoretische Kontroversen – Praktische Widersprüche
12.2.6Stereotype
12.2.7Lernmechanismen
12.2.8Geschlechtsaneignung im Entwicklungsverlauf
12.2.9Ausblick
12.3Geschlechter(un)gleichheit in der Arbeitswelt zwischen Wandel und Persistenz
12.3.1Erklärungen für geschlechtlich segregierte Berufsfelder und Positionen
12.3.2Wer arbeitet wie lange und für welchen Verdienst? Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigung
12.3.3Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz
12.3.4Ausblick
Literaturverzeichnis
13FamilieAnja Steinbach & Karsten Hank
13.1Kernelemente einer Definition von Familie
13.2Familie im (historischen) Wandel
13.2.1Familienformen im Wandel
13.2.2Ursachen des Wandels von Familienformen
13.3Familiale Prozesse im Lebensverlauf: Partnerschaft und Fertilität
13.3.1Partnerschaft
13.3.2Fertilität
13.4»Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm« – Intergenerationale Transmission
13.4.1Intergenerationale Transmission sozialer Ungleichheiten
13.4.2Intergenerationale Transmission von (familialem) Verhalten
13.4.3Intergenerationale Transmission von Einstellungen und Werten
13.5Die Ausgestaltung von Beziehungen in Partnerschaft und Familie
13.5.1Die Paarbeziehung
13.5.2Beziehungen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern
13.5.3Großeltern-Enkelkind-Beziehungen
13.5.4Geschwister-Beziehungen
13.6Familie und Wohlbefinden
13.6.1Familienstruktur und das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen
13.6.2Familienbiografie und Gesundheit: Partnerschaft und Fertilität
13.7Herausforderungen und Perspektiven für Familien
Literaturverzeichnis
14BildungJutta Allmendinger & Heike Solga
14.1Das deutsche Bildungssystem
14.2Bildungsexpansion und Bildungsmobilität
14.3Bildung und ihre gesellschaftlichen Funktionen
14.4Bildungsungleichheiten – Definitionen und Ausmaß
14.4.1Chancenungleichheit und Ergebnisungleichheit
14.4.2Ausmaß von Chancenungleichheiten
14.4.3Ausmaß von Ergebnisungleichheiten
14.5Bildungsungleichheiten – soziologische Erklärungen
14.5.1Statuserwerbsmodell
14.5.2Rational-Choice-Erklärungen
14.5.3Konflikttheoretische Ansätze
14.6Bildung und Arbeitsmarkt
14.6.1Bildungserträge: Theoretische Überlegungen
14.6.2Bildung und Erwerbstätigkeit in Deutschland
14.6.3Bildung und Einkommen
14.6.4Bildung und Arbeitsmarkt im internationalen Vergleich
14.7Bildung und Sozialpolitik
Literaturverzeichnis
15ReligionDetlef Pollack
15.1Zum Selbstverständnis der Religionssoziologie
15.2Definition der Religion
15.2.1Kultur: Religiöse Überzeugungen und Symbole
15.2.2Soziales Handeln: Religiöse Praktiken und Handlungsvorschriften
15.2.3Sozialstruktur: Religiöse Gemeinschaften
15.3Religionen und funktionale Integration
15.4Typen religiöser Institutionen
15.4.1Kirchen und Sekten
15.4.2Kulte
15.5Religiöse Innovation
15.6Religion und sozialer Wandel
15.6.1Die religiösen Wurzeln der ModernisierungModernisierung
15.6.2Säkularisierung
15.6.3Religiöse Reaktionen auf Säkularisierung
15.6.4Fundamentalismus
15.7Kirche und Staat
15.8Religion und Kirche im wiedervereinigten Deutschland
15.8.1Religion und Kirche in den westdeutschen Bundesländern
15.8.2Religiosität außerhalb der Kirche
15.8.3Das Christentum und andere religiöse Gemeinschaften: Zunehmender religiöser Pluralismus
15.8.4Religion und Kirche in Ostdeutschland
Literaturverzeichnis
16SozialpolitikClaus Wendt & Thomas Bahle
16.1Sozialpolitik und Sozialstaat: Definition
16.2Historische Entwicklung des Wohlfahrtsstaates
16.3Theorien des Wohlfahrtsstaates
16.3.1Funktionalistische, konflikttheoretische und institutionalistische Ansätze
16.3.2Typologien des Wohlfahrtsstaates
16.4Gesundheitspolitik
16.5Pflegepolitik
16.6Familienpolitik
Literaturverzeichnis
17MedienAndreas Hepp
17.1Was sind Medien?
17.1.1Medien als technisch basierte Kommunikationsmittel
17.1.2Grundtypen von Kommunikation
17.2Gesellschaftswandel als tiefgreifende Mediatisierung
17.2.1Von der Mediatisierung zur tiefgreifenden Mediatisierung
17.2.2Tiefgreifende Mediatisierung als Refiguration
17.3Der Wandel des Mediensystems
17.3.1Das hybride Mediensystem
17.3.2Plattformen
17.4Der Wandel von Medienproduktion
17.4.1Journalistische Medienproduktion
17.4.2Datafizierter Journalismus
17.5Der Wandel von Öffentlichkeiten
17.5.1Ebenenmodelle von Öffentlichkeiten
17.5.2Heutige Netzöffentlichkeiten
17.6Der Wandel von Mediennutzung
17.6.1Vom Rezipierenden zum Nutzenden
17.6.2Medienrepertoires und Medienensembles
Literaturverzeichnis
18Wirtschaft und ArbeitJens Beckert
18.1Wirtschaft und Arbeit
18.1.1Die Entwicklung der Industriegesellschaft
18.1.2Kapitalismus
18.1.3Die Einbettung von Märkten
18.2Arbeitsmärkte
18.2.1Erwerbstätigkeit
18.2.2Frauenerwerbstätigkeit
18.2.3Die institutionelle Einbettung des Arbeitsmarktes
18.2.4Die Veränderung der Arbeitswelt
18.2.5Arbeitsorganisation
18.2.6Arbeit und Familie
18.3Arbeitslosigkeit
18.3.1Die Verteilung von Arbeitslosigkeit
18.3.2Was tun gegen Arbeitslosigkeit?
18.4Die institutionelle Struktur des Kapitalismus
18.4.1Die neue Wirtschaftssoziologie
18.4.2Varianten des Kapitalismus
18.4.3Globalisierung
18.4.4Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise
Literaturverzeichnis
19Technik und GesellschaftWerner Rammert & Ingo Schulz-Schaeffer
19.1Der Begriff der TechnikTechnik-Begriff
19.1.1Von der Technik des Machens zur Technik der Sachen
19.1.2Verkörperungsformen des TechnischenVerkörperungsformen des Technischen
19.1.3Formen der Technisierung
19.2Technik prägt und verändert Gesellschaften
19.2.1Technik im AlltagTechnik im Alltag und die Veränderung des Alltäglichen
19.2.2Sozio-technische Infrastrukturen und deren Beharrungsvermögen
19.2.3Technik, Arbeit und Sozialstruktur
19.2.4Technik und Kultur
19.2.5Technikfolgen: Zwang, Druck und Drift
19.3Technik ist sozial konstruiert
19.3.1Die soziale Aushandlung technischer Funktionalität
19.3.2Wer oder was steuert die Technikentwicklung?
19.3.3Wie kommt die Technik in die Gesellschaft?
19.4Sozio-technische Konstellationen
Literaturverzeichnis
20Staat, Herrschaft und DemokratieStephan Lessenich & Claus Offe
20.1Politische Gemeinschaften
20.1.1Gewaltsamkeit
20.1.2Geordnete Herrschaft
20.1.3Zugehörigkeit
20.2Legitime Herrschaft
20.2.1Die Folgebereitschaft der Beherrschten
20.2.2Das staatliche Gewaltmonopol
20.2.3Der gesellschaftliche Legitimitätsglaube
20.3Staatsbürgerstatus (citizenship)
20.3.1Zugehörigkeit zur politischen Gemeinschaft
20.3.2Elemente der Staatsbürgerrolle
20.4Nation
20.4.1Die Nation als moderne Kulturidee
20.4.2Gesellschaftshistorische Unterschiede
20.4.3Multinationale Staatlichkeit
20.5Demokratie
20.5.1Demokratisierung politischer Herrschaft
20.5.2Elemente demokratisch verfasster Gemeinwesen
20.5.3Demokratiemodelle
20.6Staatsfunktionen
20.6.1Historische Konfigurationen von Staatsaufgaben
20.6.2Demokratische Politik und kapitalistische Ökonomie
20.7Konflikte
20.7.1Der demokratische Kapitalismus und seine Widersprüche
20.7.2Die multidimensionale cleavage-Struktur
20.8Macht
20.8.1Relationaler Machtbegriff
20.8.2Staatsbezogenes Machthandeln
20.9Krieg
20.9.1Krieg als Extremform politischer Herrschaftssicherung
20.9.2Die Modernität des Krieges
20.10Transnationalisierung
20.11Post-DemokratiePost-Demokratie?
20.11.1Idealisierung vergangener Verhältnisse
20.11.2Krise der Repräsentation
20.11.3Regierung der Migration
Literaturverzeichnis
21Globale UngleichheitenAnja Weiß
21.1Was wissen wir (nicht) über Armut und Reichtum in der Welt?
21.1.1Extreme Armut im Globalen Süden
21.1.2Ungleichheit in der Welt
21.1.3Aufstieg der Weltmittelklassen
21.1.4Reichtum
21.2Warum bleiben die Armen arm?Der Streit zwischen Modernisierungstheorie, Weltsystemtheorie und postkolonialen Studien
21.3Globalisierung und grenzüberschreitende Zusammenhänge
21.3.1Die Diffusion von Normen und politischen Institutionen
21.3.2Ökonomische Verflechtungen
21.3.3Multilokalität und Migration
21.4Zukunft der Welt – Perspektiven der Soziologie
Literaturverzeichnis
22BevölkerungMichaela Kreyenfeld & Dirk Konietzka
22.1Elemente der Bevölkerungswissenschaft
22.1.1Bevölkerungsentwicklung: Europa und weltweit
22.1.2Bevölkerungsdaten
22.1.3Bevölkerungsaufbau
22.2Demografisches Verhalten in Deutschland
22.2.1Geburtenentwicklung in Deutschland
22.2.2Internationale Migration
22.2.3Sterblichkeit
22.3Die Theorien des ersten und zweiten demografischen Übergangs
22.3.1Der erste demografische Übergang
22.3.2Der zweite demografische Übergang
22.3.3Bevölkerung und gesellschaftliche Entwicklung
Literaturverzeichnis
23Städte, Gemeinden und UrbanisierungHartmut Häußermann †, Walter Siebel
23.1Effekte der Urbanisierung für die »Gemeinschaft«
23.1.1Historische Entwicklung
23.1.2Desintegration
23.2Urbane Lebensweise
23.2.1Persistenz von Gemeinschaft
23.2.2Wandel von Gemeinschaft
23.2.3Lokale Gemeinschaft und soziale Kontrolle
23.3Geschichte der Stadt – Wandel des städtischen Lebens
23.4Wie sich Städte entwickeln
23.4.1Die ökonomische Theorie
23.4.2Die Sozialökologie
23.4.3Die politisch-ökonomische Theorie
23.5Die Restrukturierung der Städte
23.5.1Suburbanisierung
23.5.2Sanierung und Gentrifizierung
23.5.3Ethnische Segregation
23.5.4Ökonomischer Strukturwandel
23.5.5Wachsende Probleme der Suburbanisierung
23.6Stadtentwicklung am Anfang des 21. Jahrhunderts
23.6.1Soziologische Stadtdefinitionen
23.6.2Soziale Ausgrenzung
23.6.3Stadtentwicklung unter den Bedingungen der Globalisierung
Literaturverzeichnis
24Soziale Bewegungen und kollektive AktionenDieter Rucht & Friedhelm Neidhardt
24.1Kollektive Aktionen
24.1.1Formen von Menschenansammlungen
24.1.2Protestformen
24.2Soziale Bewegungen
24.2.1Begriff und Merkmale sozialer Bewegungen
24.2.2Drei Beispiele für gesellschaftlich folgenreiche Bewegungen
24.3Globalisierungseffekte im Bewegungsbereich
24.3.1Prodemokratische und progressive soziale Bewegungen
24.3.2Rechtspopulistische Bewegungen
24.4Erklärungen und theoretische Ansätze
24.4.1»Aufstand der Massen«
24.4.2Deprivation und die sozialen Bedingungen von Solidarität
24.4.3Programme und Ideologien
24.4.4Organisation und Unternehmertum
24.4.5Bewegungsumwelt – »Gelegenheitsstrukturen«
Literaturverzeichnis
25UmweltKarl-Werner Brand & Fritz Reusswig
25.1Gesellschaft und Natur
25.1.1Ursachen und Antriebskräfte gesellschaftlicher Umweltveränderungen
25.1.2Sozial-ökologische Regime
25.1.3Umweltprobleme, -katastrophen und soziale Verwundbarkeit
25.1.4Gesellschaftliche Deutungs-, Reaktions- und Anpassungsmuster
25.2Theoretische Zugänge zur ökologischen Problematik moderner Gesellschaften
25.2.1Das Paradigma des rationalen Akteurs: Umwelthandeln als Kosten-Nutzen-Abwägung
25.2.2Der diskurstheoretische Zugang: Die soziale Konstruktion der Umweltproblematik
25.2.3Die systemtheoretische Perspektive: Luhmanns Modell der selbstreferentiellen ökologischen Kommunikation
25.2.4Die »(Welt)Risikogesellschaft«: Globale ökologische Risiken als Motor reflexiver Modernisierung
25.3Schwerpunkte empirischer Umweltforschung
25.3.1Umweltbewusstsein, Lebensstile und nachhaltiger Konsum
25.3.2Globale Umweltveränderungen und Klimawandel
Literaturverzeichnis
26DigitalisierungPhilipp Staab
26.1Digitalisierung – Ein neues Feld der Soziologie
26.1.1Der Aufstieg der digitalen Technologien
26.1.2Phänomenbereich
26.2Die klassische Perspektive: Vernetzung, Dezentralisierung und Demokratisierung in der Ökonomie der Informationen
26.2.1Vernetzung
26.2.2Ökonomie der Informationen: Dezentralisierung, Demokratisierung, Kooperation
26.3Digitalisierung heute: Hierarchisierung, Zentralisierung, Überwachung
26.3.1Digitalisierung und demokratische Öffentlichkeiten
26.3.2Markt und Digitalisierung
26.3.3Arbeit und Digitalisierung
26.3.4Digitalisierung und soziale Ungleichheit
Literaturverzeichnis
Das Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten in der SoziologieRuth Manstetten
1.Vom Thema zur Fragestellung
Die Themensuche
Die Fragestellung
Das (Forschungs-)Konzept
2.Recherchieren, lesen und verwalten
Recherchieren
Lesen
Verwalten
3.Der Aufbau wissenschaftlicher Arbeiten
4.Wissenschaftlich schreiben
Kriterien wissenschaftlichen Schreibens
Richtig zitieren und paraphrasieren
Das Literaturverzeichnis
Layout
Textüberarbeitung
5.Den Schreibprozess planen und in Gang bringen
Literaturverzeichnis
Gesamtglossar
Bildnachweise
Sachregister
Personenregister
Autorinnen und Autoren

1Die soziologische Perspektive

Hans Joas

1.1Soziologische Phantasie
1.1.1Fünf Schlüsselbegriffe
1.2Die Soziologie als Wissenschaft
1.2.1Die wissenschaftliche Methode
1.2.2Soziale Tatsachen
1.3Die Anfänge der Soziologie
1.3.1Die Soziologie und die moderne Ära
1.3.2Klassische soziologische Theorien
1.4Moderne soziologische Theorien
Literaturverzeichnis

Gibt es etwas Natürlicheres als die Geburt eines Kindes? Wilma und Willem Stuart, ein holländisches Paar in den Dreißigern, waren überglücklich: Wilma hatte zwei gesunde männliche Zwillinge, Teun und Koen, geboren. Zuerst beachteten die Stuarts die äußeren Unterschiede zwischen den Zwillingen nicht groß, doch im Lauf der Monate traten sie immer deutlicher hervor: Teun war blond und hellhäutig wie seine Eltern, Koen hatte dunkle Haut und braunes Kraushaar. Wenn die Stuarts die Babys in ihrem Zwillingskinderwagen spazieren fuhren, wurden sie zum Objekt der Neugierde: »Was? Das sind Zwillinge? Wie ist das denn möglich?«, wollten die Leute wissen. »So, Koen heißt er? Nein, ein holländischer Name für so ein fremd aussehendes Kind!« Schließlich platzte eine Nachbarin damit heraus, was alle glaubten: »Nun gib dein Geheimnis schon zu, Wilma! Du hast zwei Männer gleichzeitig gehabt!« (New York Times, 28. Juni 1995) Wilma empfand die Zwillinge mit unterschiedlicher Hautfarbe wie ein Symbol ehelicher Untreue.

Das ganze Geheimnis der Stuarts bestand darin, dass sie nach fünf Jahren erfolgloser Versuche, ein Kind zu bekommen, eine Spezialklinik für In-vitro-Befruchtungen aufgesucht hatten. Als das Getuschel anfing, zogen die Stuarts ihren Arzt zu Rat. Koen, so bewiesen DNA-Tests, hatte einen anderen Vater. Weitere Nachforschungen ergaben, dass die Klinik an dem Tag, als Wilma und Willem Eizellen und Sperma abgeliefert hatten, noch andere In-vitro-Befruchtungen vornahm. Offenbar hatte ein Techniker die Vorschriften nicht eingehalten und dieselbe Pipette für zwei Befruchtungen verwendet. Die Hälfte von Koens Genen stammte von einem Mann von der Karibikinsel Aruba, der mit seiner Frau ebenfalls diese Klinik aufgesucht hatte.

Eigentlich hatten die Stuarts verhindern wollen, dass ihre Kinder als Retortenbabys stigmatisiert würden. Unter Pseudonym wandte sich das Paar, von der sozialen Missbilligung im Dorf zermürbt und aus Furcht, Koens arubischer Vater könnte das Kind beanspruchen, an die Öffentlichkeit. Über Nacht verwandelte sich die soziale Ächtung in freundliches Lächeln und Glückwünsche: Die Stuarts waren wieder akzeptiert. Trotzdem machten sich Wilma und Willem wegen der Zukunft ihres schwarzen Kindes in einer überwiegend weißen Gesellschaft mit verschiedenen Formen des Alltagsrassismus Sorgen. Der hier geschilderte Fall ist nur einer von vielen, in denen der Einsatz neuer Technologien und der sie begleitende soziale Wandel eine Geburt zu mehr als einem »natürlichen« Vorgang machen.

Abbildung 1.1

Ein Plakat wirbt für die bis 2015 gültige chinesische Ein-Kind-Politik. Auch wenn diese das Geschlecht des Kindes keineswegs vorschrieb, kamen seit ihrer Einführung jährlich mehr Jungen als Mädchen zur Welt. Dies lag nicht zuletzt daran, dass asiatische Kulturen traditionell Jungen bevorzugen. Neue medizinische Reproduktionstechnologien, die diese traditionelle kulturelle Präferenz noch fördern, erlaubten es den Paaren, sich ihren Wunsch nach einem Sohn und gleichzeitig solche staatlichen Anordnungen zu erfüllen. Oft wurden weibliche Föten kurzerhand abgetrieben.

In vielen asiatischen Kulturen zieht man traditionell Söhne Töchtern vor. »Ein Mädchen aufzuziehen«, so lautet die allgemeine Einstellung etwa in weiten Teilen Indiens, »ist genauso wie die Pflanze des Nachbarn zu gießen«. Töchter bedeuten eine finanzielle Last. Nach traditioneller Sitte sind ihre Eltern verpflichtet, deren künftigen Ehemännern eine beträchtliche Mitgift zu geben; sobald die Töchter verheiratet sind, werden sie in die Familie ihres Mannes integriert. Söhne hingegen tragen den Familiennamen weiter und halten Besitz und Vermögen in der Familie, weil sie das Land oder das Geschäft erben. Wenn es kein soziales Sicherungssystem und keine Altenpflegeheime gibt, sorgen die Söhne, von ihren Frauen unterstützt, für ihre Eltern im Alter.

Paaren blieb früher nichts anderes übrig, als auf Söhne zu hoffen oder um Söhne zu beten. Die neue Technologie hat aus dem bloßen Wunsch nach Söhnen eine Option gemacht. Eine Frau kann mit Hilfe der Amniozentese und ähnlicher Verfahren das Geschlecht ihres ungeborenen Kindes erfahren und entscheiden, ob sie es abtreiben oder bis zur Geburt austragen möchte. In China wurde Paaren die traditionelle Präferenz von Söhnen durch die »Ein-Kind-PolitikEin-Kind-Politik« der Regierung erschwert. Um das BevölkerungswachstumBevölkerungswachstum zu reduzieren, führte der chinesische Staat 1979 eines der strengsten Programme zur Geburtenregelung ein, das es je gab: Die Paare wurden per Gesetz verpflichtet, ihre Familien auf ein Kind zu begrenzen. Wie in Indien untersagte die chinesische Regierung den Einsatz von Medizintechniken zur Geschlechtsbestimmung. Doch da diese leicht zugänglich sind, finden viele Paare doch ohne Problem bestechliche Ärzte, die ihnen das Geschlecht eines Fötus mitteilen. Infolgedessen hat sich das Geschlechterverhältnis bei den Geburten in China immer mehr verschoben.

Wie alle Technologien erhöht auch die Reproduktionstechnologie die Fähigkeit des Menschen, natürliche Prozesse zu steuern. Ursprünglich war sie entwickelt worden, um Paaren, die keine Kinder bekommen können, zu Kindern zu verhelfen, sowie zur pränatalen DiagnostikDiagnostik, pränatale: Paare mit der Anlage zu einer Erbkrankheit (z. B. Tay-Sachs oder Sichelzellenanämie) können jetzt beraten und im Falle eines älteren Partners (die ein höheres Risiko für ein Kind mit Down-Syndrom haben) rechtzeitig aufgeklärt werden. Sie hat Tausende von Paaren glücklich gemacht. Neue Technologien haben jedoch nicht selten unvorhergesehene Folgen (Merton 1936). In Asien wird die pränatale Diagnostik – wie aufgezeigt – zur gezielten Auslese von Jungen eingesetzt, während die Hightech-Reproduktion im Westen neue Fragen hinsichtlich der Identität eines Kindes aufwirft. Heute kann eine FamilieFamilie aus einer Frau und einem Mann bestehen, die beide unfruchtbar sind, sowie aus einem Kind, das mit Hilfe einer Eispenderin oder eines Samenspenders gezeugt oder von einer Leihmutter geboren wurde, die das Kind bis zur Geburt austrug – und vielleicht gehört noch ein Kindermädchen dazu, das bei der Pflege des Kindes hilft. Wer sind nun die »wahren« Eltern des Kindes?

Um die Auswirkungen einer neuen Technologie und anderer Phänomene in ihrem ganzen Ausmaß zu verstehen, müssen wir über die Technologie selbst und die von ihr Gebrauch machenden Individuen hinaus auf die sozialen Kräfte blicken, die menschliches Verhalten prägen. Neue Reproduktionstechnologien sind nicht einfach aus dem Nichts entstanden. Sie sind vielmehr Teil des anhaltenden Trends zur MedikalisierungMedikalisierung von Zeugung, Schwangerschaft und Geburt – und ganz allgemein zur Anwendung von Wissenschaft und Technik zum Zwecke der Naturbeherrschung. In den USA und anderen westlichen Ländern haben auch der Aufschub der Elternschaft und der Wunsch nach kleinen Familien eine Rolle gespielt, genauso wie die (zumindest in den USA) potenziell hohen Profite der Spezialkliniken für In-vitro-Befruchtungen. In Asien hat einerseits die starke, kulturell bedingte Bevorzugung von Jungen, andererseits die Machtausübung der chinesischen Regierung die Entwicklung von Reproduktionstechnologien beschleunigt. Um zu erklären, warum die Individuen sich für deren Anwendung entscheiden und welche Folgen dies hat, müssen wir die sozialen Kräfte verstehen, die ihr Handeln beeinflussen. Dazu bedarf es soziologischer Phantasie.

Wir beginnen dieses Kapitel mit einem Überblick über die Soziologie. Was leistet die soziologische Perspektive für unser Verständnis neuer Technologien, globaler Ereignisse und unseres eigenen Lebens, und welche Dimension(en) fügt sie ihm hinzu? Wir führen in diesem Abschnitt fünf zentrale Begriffe ein: Sozialstruktur, soziales Handeln, Kultur, Macht und funktionale Integration. Danach betrachten wir die Soziologie als Wissenschaft (Abschnitt 1.2), die mit wissenschaftlichen Methoden soziale Tatsachen untersucht. Im Anschluss verfolgen wir die Soziologie bis auf ihre Anfänge zurück (Abschnitt 1.3) und stellen die klassischen soziologischen Theorien vor, die auch heute noch für die soziologische Theorienbildung und Forschungspraxis grundlegende Bedeutung haben. Abschließend geben wir einen kurzen Überblick über moderne soziologische Theorien (Abschnitt 1.4).

1.1Soziologische Phantasie

Phantasie, soziologischeDie Soziologie untersucht die Arten und Weisen, wie das menschliche Leben sozial organisiert wird. Sie bedient sich dabei empirischer Forschungsmethoden und Theorien, um das soziale Leben in einem breiten Spektrum von Situationen zu untersuchen. Sie möchte intime Beziehungen wie Elternschaft oder Freundschaft, umfassende globale Netzwerke und alles, was »dazwischen liegt«, verstehen. Sie interessiert sich für die vielfältigen Beziehungen zwischen Menschen. Die anderen Sozialwissenschaften hingegen stellen jeweils nur eine Dimension des sozialen Lebens in den Mittelpunkt: Die VolkswirtschaftslehreVolkswirtschaftslehre untersucht die Dynamik von Märkten und den Gütertausch, die PolitikwissenschaftPolitikwissenschaft Regierungsformen und Machtbeziehungen, die EthnologieEthnologie Fragen der kulturellen Unterschiede, die Psychologie die Wechselbeziehungen zwischen Biologie, Entwicklung und individuellen Merkmalen. Die Soziologie bezieht alle diese Dimensionen ein. Ihr besonderes Interesse gilt der Frage, wie die verschiedenen Aspekte des sozialen Lebens sich gegenseitig beeinflussen – wie z. B. familiäre Entscheidungen über die Anwendung von Reproduktionstechnologien von religiösen Werten beeinflusst werden und wie sich diese Entscheidungen ihrerseits auf den Markt für medizinische Dienstleistungen, die Zahl der Kinder, für die Schulen gebraucht werden usw., auswirken.

Die Soziologie liefert uns aber nicht nur Informationen, sie lehrt uns auch, die Welt und unsere Stellung in ihr in einer spezifischen Perspektive wahrzunehmen. Oft versuchen wir unsere sozialen Erfahrungen zu erklären, indem wir die Motive der direkt beteiligten Personen analysieren. Die Soziologie geht über diesen individualpsychologischen Erklärungsansatz hinaus: Sie untersucht auch die zahlreichen wiederkehrenden Muster, d. h. die sozialen Gesetzmäßigkeiten in den Einstellungen und Handlungen der Individuen, und fragt, wie diese Muster im Lauf der Zeit, von Kultur zu Kultur und zwischen sozialen Gruppen variieren. So geht die Soziologie nicht nur der Frage nach: »Weshalb lassen sich die Individuen sonografieren und machen von der In-vitro-Befruchtung Gebrauch?« Sie fragt auch: »Welche sozialen Bedingungen führten zur Entwicklung von Reproduktionstechnologien? Welche Gruppen haben die Verwendung dieser Technologien vorangetrieben (oder wollten sie einschränken)? Wer hat Zugang zu ihnen?« Die Soziologie ignoriert die Individuen nicht. Sie zeigt vielmehr, dass wir die Handlungen der Individuen – und unsere eigenen Erfahrungen – nur aus ihrem sozialen Kontext heraus verstehen können. So ist die chinesische Bevorzugung von Jungen nur aus dem Kontext der patrilinearen Vererbung von Eigentum und Familiennamen und der Ahnenverehrung heraus zu verstehen. Auf Grund dieser beiden Merkmale der chinesischen Gesellschaft wünschen sich Chinesinnen und Chinesen männliche Nachkommen.

Abbildung 1.2

Reproduktionstechnologien haben soziale Folgen. In dem berühmt gewordenen Fall von »Baby M« bezahlte ein Paar aus der oberen Mittelschicht Mary Beth Whitehead dafür, dass sie sein Kind als Leihmutter austrug. Nach der Geburt des Kindes ging Whitehead vor Gericht, weil sie es behalten wollte. Sie verlor den Prozess. Doch auf Grund dieses Falles verboten zahlreiche US-Bundesstaaten die Praxis der Leihmutterschaft.

In den USA hängt der Zugang zu medizinischer Versorgung weitgehend von den finanziellen Mitteln der Individuen ab. Die künstliche Befruchtung ist ein großes Geschäft: Millionen von Paaren geben Tausende von US-Dollar aus, um sich den Wunsch nach einem eigenen Kind zu erfüllen. Einige KrankenversicherungenKrankenversicherung übernehmen einen Teil der Kosten, doch viele lehnen dies ab; hinzukommt, dass viele Frauen keine private Krankenversicherung haben. Kurz, nur die relativ Wohlhabenden können das »Wunder« der neuen Reproduktionstechnologien in Anspruch nehmen.

Viele Aspekte unseres privaten Lebens werden von »Kräften« bestimmt, auf die wir keinen Einfluss haben. Dazu gehören selbst die Verhältnisse bei unserer Geburt: wie alt unsere Eltern sind, wie viele Geschwister wir haben, wie viele andere Individuen unseres Alters oder unserer Generation mit uns im Kindergarten und später um Arbeitsplätze konkurrieren werden. Wenn wir uns diesen Punkt klar gemacht haben, haben wir einen wesentlichen Teil dessen, wofür der bedeutende US-amerikanische Soziologe C. Wright MillsMills, C. Wright den Ausdruck soziologische PhantasiePhantasie, soziologische prägte, begriffen.

Damit ist gemeint, dass wir unsere Erfahrungen im Kontext der Ereignisse in unserer sozialen UmweltUmwelt, soziale wahrnehmen. Gemeint ist damit ferner, dass wir strukturelle Zusammenhänge und Muster wahrnehmen, die sich unserer individuellen Erfahrung allein nicht erschließen. So sehen Personen, die über eigene Erfahrungen mit Reproduktionstechnologien verfügen, oft nur einen Teil des Problems. Um ein vollständiges Bild zu gewinnen, bedarf es nicht nur systematischer Untersuchungen von Einstellungen und Verhaltensmustern zu verschiedenen Zeiten, an verschiedenen Orten und unter verschiedenen sozialen Verhältnissen, sondern auch der beabsichtigten bzw. unbeabsichtigten Folgen sozialer Handlungen.

Dank soziologischer Phantasie erkennen wir auch, dass wir mehr sind als einfach Akteurinnen und Akteure in unseren persönlichen Dramen. Wir sind eingebunden in soziale Zusammenhänge, die sich auf einer allgemeineren sozialen Bühne abspielen. So schrieb Mills Mitte des 20. Jahrhunderts:

»Heute empfinden die Menschen ihr privates Leben oft als eine einzige Kette von Fallen. Sie werden das Gefühl nicht los, dass sie mit ihren Schwierigkeiten nicht fertig werden, und sie haben damit oft recht.

Nehmen wir als Beispiel ArbeitslosigkeitArbeitslosigkeit. Wenn in einer Stadt mit 100.000 Einwohnern nur eine Person arbeitslos ist, ist das ihr persönliches Problem. Um Abhilfe zu schaffen, sehen wir uns – dem Problem angemessen – ihren Charakter, ihre Fertigkeiten und unmittelbaren Jobaussichten an. […] Wenn aber viele Tausend arbeitslos sind, ist das ein soziales Problem. Sehr wahrscheinlich finden wir unter den Jobaussichten, die jeder Person offen stehen, keine passende Lösung für sie. Denn just die Struktur der Jobaussichten, der Arbeitsmarkt, ist zusammengebrochen. Für eine korrekte Formulierung des Problems und die Abschätzung möglicher Lösungen müssen wir die ökonomischen und politischen Institutionen einer Gesellschaft und nicht nur die persönliche Situation und den Charakter isolierter Individuen analysieren.

Nehmen wir als weiteres Beispiel Kriege. Bricht ein KriegKrieg aus, mag das individuelle Problem darin bestehen, wie man überlebt oder ehrenvoll stirbt, Geld aus ihm herausschlägt, in die höheren und sichereren Ränge des militärischen Apparats aufsteigt – oder was man tun kann, um ihn zu beenden. […] Doch die strukturellen Probleme des Krieges haben mit seinen sozialen Ursachen zu tun: mit den Menschentypen, die er in Führungspositionen hievt, mit seinen Auswirkungen auf die wirtschaftlichen, politischen, familialen und religiösen Institutionen, mit der chaotischen Verantwortungslosigkeit einer Welt von Nationalstaaten.« (Mills 1959: 3, 9)Mills, C. Wright

Dank soziologischer Phantasie können wir sowohl unsere individuellen Erfahrungen besser verstehen als auch gesellschaftliche Fragen genauer beantworten.

Wir wiegen uns gern in dem Glauben, dass wir wichtige persönliche Entscheidungen autonom treffen – z. B. ob wir Kinder haben wollen. In Wahrheit werden auch unsere persönlichen Entscheidungen von sozialen Kräften mitgeformt. Dies zeigt sich schnell, wenn man die Veränderung der GeburtenrateGeburtenraten oder ähnliche Phänomene über eine längere Zeit und in ihrer Abhängigkeit von historischen Ereignissen, politischen Rahmenbedingungen und sich wandelnden Werten betrachtet (vgl. zur Bevölkerung Kap. 22).

1.1.1Fünf Schlüsselbegriffe

Wie andere Wissenschaften benutzt die Soziologie spezifische Begriffe, um ihre Analyse sozialer Phänomene zu organisieren und spezifische Gegenstände und Probleme in den Vordergrund zu rücken. Viele soziologische Begriffe und Fachausdrücke sind in die Alltagssprache eingedrungen, wie etwa Peergroup und Sozialisation; allerdings haben sie im soziologischen Kontext eine präzisere Bedeutung. Wir führen im Folgenden fünf soziologische Schlüsselbegriffe ein, die es uns erlauben, die wichtigsten Dimensionen des sozialen Lebens zu erfassen.

Sozialstruktur

Die SozialstrukturSozialstruktur ezeichnet ein Muster von BeziehungenBeziehung, soziale, Positionen und Mengen von Individuen. Dieses Muster bildet das »Grundgerüst« der sozialen Organisation einer Population, gleichgültig ob es sich um eine kleine Gruppe oder eine ganze Gesellschaft handelt. Beziehungen entstehen, sobald Menschen in relativ stabile, kontinuierliche Muster spezifischer Interaktionen und / oder gegenseitiger Abhängigkeit eintreten – beispielsweise Ehen oder Beschäftigungsverhältnisse auf der interpersonalen Ebene oder Institutionen wie das Bildungssystem und Gesundheitswesen auf einer umfassenderen, mehr abstrakten Ebene. PositionenPositionen (manchmal auch als StatusStatusStatus, sozialer bezeichnet) sind anerkannte Plätze im Netz sozialer Beziehungen – etwa die Positionen des Vaters, einer Ministerin oder des Pfarrers –, die in der Regel mit Verhaltenserwartungen (gemeinhin als RollenRolle/n bezeichnet) verbunden sind. Die IndividuenmengenIndividuenmengen in verschiedenen Kategorien (etwa die Mitgliederzahl einer studentischen Organisation oder die Gesamtpopulation eines Landes, die Zahl unverheirateter Mütter oder der erwerbstätigen Frauen), insbesondere aber die relative Größe dieser Kategorien (etwa der Anteil der über 65-Jährigen in einer Population oder das Verhältnis von Offizieren zu Rekruten in einer Armee) sind für die Sozialstruktur relevant.

Es ist wichtig, zwischen der Sozialstruktur und den Individuen oder dem »Personal« zu unterscheiden. So ist die Struktur einer UniversitätUniversität vergleichsweise stabil, während ihr Personal sich ständig verändert. In jedem Semester nehmen Neuimmatrikulierte ihr Studium auf, während Graduierte die Universität verlassen. Gleiches gilt auch für ihr Lehrpersonal: Manche Dozentinnen und Dozenten erhalten eine volle Professur, andere wechseln die Universität. Trotz dieses ständigen Personalwechsels ändert sich, wenn überhaupt, nur langsam ihre Grundstruktur – die Beziehungen zwischen Verwaltung, Fachbereichen und Studierendenschaft, zwischen Professorinnen und Professoren und Studierenden, zwischen höheren und niederen Semestern usw. Die Struktur bestimmt die Möglichkeiten, die den Individuen offenstehen, aber diese beeinflussen auch die Struktur. Wenn z. B. die Zahl der Neuimmatrikulationen sinkt, werden womöglich weniger Lehrpersonen eingestellt. Wenn die Zahl der Frauen, die ein Studium aufnehmen, könnte langfristig auch die Zahl der Professorinnen auf Lehrstühlen ansteigen.

Die Sozialstruktur ist eine wichtige Quelle der Stabilität im sozialen Leben, doch strukturelle Faktoren können auch Veränderungen hervorrufen und sie prägen. So war das strikte chinesische Familienplanungsprogramm, das in der Ein-Kind-Politik gipfelte, eine Reaktion auf das rapide BevölkerungswachstumBevölkerungswachstum. Nicht nur ist die chinesische Bevölkerung enorm groß, auch ihr Wachstum – das Ergebnis besserer Ernährung und medizinischer VersorgungVersorgung, medizinische unter der kommunistischen Regierung – ist relativ neuen Datums. Es gab also einen strukturellen Grund (eine bereits riesige Bevölkerung plus einen hohen Prozentsatz gebärfähiger Frauen), der erwarten ließ, dass die chinesische Bevölkerung weiterhin rapide expandieren würde. Eine rasch wachsende Bevölkerung hätte alle potenziellen Gewinne aus der Entwicklung der WirtschaftWirtschaft und der höheren Produktivität der Landwirtschaft »aufgefressen«, wenn es nicht gelungen wäre, das Bevölkerungswachstum zu reduzieren; auch der allgemeine Lebensstandard wäre auf einem relativ niedrigen Niveau verharrt. China investierte einen Teil der Ausgaben für sein Familienplanungsprogramm in Technologien zur Geburtenbeschränkung.

Wie erwähnt, reagierte China mit einer strikten Politik der Geburtenregelung. Eine unbeabsichtigte Folge dieser Politik war, dass chinesische Paare mit Hilfe von Sonografie und AbtreibungAbtreibung weiterhin ihrer traditionellen Bevorzugung von Söhnen folgt. Das daraus resultierende Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern hat erhebliche strukturelle Konsequenzen. Wenn das Geburtenverhältnis sich hin zu den Jungen verschiebt, entsteht zwanzig Jahre später ein Frauenmangel für Männer im Heiratsalter, wie es heute der Fall ist. Nicht nur gehen dann einige Männer bei der Partnerinnensuche leer aus, erwachsene Männer heiraten dann auch wesentlich jüngere Frauen (wodurch oft Programme konterkariert werden, den Status der Frau durch bessere Ausbildung anzuheben). Letzten Endes gibt es zu wenige Töchter und Schwiegertöchter, die sich an der Altenpflege beteiligen, und folglich wächst der Druck auf die Regierung, sich der Alten anzunehmen. Ermutigt die Regierung die Frauen weiterhin, eine bessere Ausbildung anzustreben und traditionell männliche Berufe zu ergreifen, wird der Frauenmangel in traditionell weiblichen Berufen und sozialen RollenRolle/n noch dramatischer werden.

Auch die Sozialstruktur westlicher Länder wird gegenwärtig durch neue Fertilitätsmuster umgeformt. Die GeburtenrateGeburtenraten sinken, weil die Paare beschließen, weniger Kinder zu haben, dies zum Teil mit Hilfe moderner Methoden der Familienplanung. Die neue westliche Familienstruktur, in der Familien mit einem oder zwei Kindern die Norm sind, hat die Erfahrung des Familienlebens, die Nachfrage nach Schulen und viele andere Aspekte des Lebens in Europa und Nordamerika drastisch verändert; auch Frauen können dort heute viel leichter eine berufliche Karriere starten. Paare, die kleinere Familien planen, tendieren dazu, erst später Kinder zu bekommen. Viele Erstgebärende sind heute Frauen im Alter zwischen dreißig und vierzig. In zwanzig Jahren werden deshalb viele Erstsemester Eltern haben, die im oder nahe am Pensionsalter sind. Welche Konsequenzen erwachsen daraus für die Studienfinanzierung?

Soziales Handeln

Soziales HandelnHandeln, soziales bezeichnet ein Verhalten, das von bewussten Absichten gesteuert und nicht instinktiv oder reflexhaft ist. Wir sprechen von sozialem Handeln, weil es sich erstens auf andere Menschen bezieht und zweitens von Bedingungen abhängt, die andere Menschen geschaffen haben. Ja, gerade die »Menschwerdung«, das Heranreifen zu einem IndividuumIndividuum, der Erwerb der Handlungsfähigkeit ist ein sozialer Prozess: Wir lernen vorwiegend mittels sozialer BeziehungenBeziehung, soziale eine Sprache, WerteWerte, NormenNorm/en und ganz allgemein, wie man etwas macht.

Nicht nur Individuen führen soziale Handlungen aus, sondern auch Gruppen und komplexe Organisationen wie Unternehmen oder Regierungen. Als Individuen handeln wir in der Regel, um gewisse unserer Eigenschaften zu verändern, indem wir z. B. täglich Basketball trainieren, um unser Spiel zu verbessern, oder indem wir uns den Anonymen Alkoholikern (AA) anschließen, um die ruinösen Wirkungen der Alkoholabhängigkeit auf unseren Körper und unsere Beziehungen zu stoppen. Wir können sowohl als Individuen als auch in Gruppen und Organisationen handeln, mit dem Ziel, die Gesellschaft zu verändern – interethnische Konflikte zu entschärfen, das Gesundheitssystem zu reformieren, das Weltklima zu retten oder eine Revolution zu machen. Durch einige der wichtigsten sozialen Handlungen entstehen neue Beziehungen, so wenn sich Heiratswillige ihr Jawort geben oder wenn Staaten oder Organisationen von ihren Gründern durch den Entwurf einer Verfassung ins Leben gerufen und mit einer sozialen Struktur versehen werden. Diese Handlungen wiederum schaffen neue Handlungszwänge. Nach der Heirat mag das Paar einen wachsenden inneren und äußeren Druck verspüren, ein Kind zu zeugen; nach der Geburt eines Kindes gleiten Männer und Frauen oft unbewusst in stereotype GeschlechtsrollenGeschlechtsrollen, obgleich sie sich vielleicht vorgenommen hatten, die elterlichen Pflichten gerecht zu teilen (vgl. Kap. 12 und 13).

Wir halten manche Aspekte unserer sozialen Umwelt oft für selbstverständlich, als wären sie schon immer da gewesen oder gerade erst auf wundersame Weise und anonym entstanden; wir ignorieren dabei die Rolle sozialen Handelns. So waren die neuen Reproduktionstechnologien nicht das unvermeidliche Produkt des wissenschaftlichen Fortschritts, der aus sich heraus immer neue Entwicklungen hervorbringt. Sie waren vielmehr »das Ergebnis einer Reihe spezifischer Entscheidungen, getroffen von bestimmten Personengruppen an bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten, die eigene Ziele verfolgten« (Wajcman 1994). Mit denselben Ressourcen hätte man auch die Ursachen der Unfruchtbarkeit und deren vorbeugende Behandlung erforschen oder Adoptionsdienste erweitern können, um Paare, die sich Kinder wünschen, und notleidende, verlassene Kinder zusammenzubringen.

Abbildung 1.3

Während in den USA immer weniger Kinder zur Adoption freigegeben werden, hat die chinesische Ein-Kind-Politik zusammen mit der kulturellen Bevorzugung von Söhnen dazu geführt, dass vermehrt chinesische Mädchen zur Adoption durch US-amerikanische Paare freigegeben wurden.

Selbst die rein privaten Entscheidungen, die eine Person trifft, sind soziale Handlungen. Betrachten wir als Beispiel eine alleinlebende 37-jährige Frau, die mittels künstlicher Befruchtung schwanger wird. In welchem Sinne ist ihre Handlung »sozial«? Einmal, weil sie von der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation abhängt. Zwar existierte diese Technologie bereits vor Jahrzehnten, doch die meisten Ärzte hätten es seinerzeit abgelehnt, einer alleinlebenden Frau zu einer Schwangerschaft zu verhelfen. Hinzu kommt, dass eine Frau, die weit über Dreißig ist, ein höheres Risiko hat, ein Kind mit einer Behinderung wie etwa dem Down-Syndrom zu bekommen. Doch heute werden alleinlebende schwangere Frauen kaum mehr stigmatisiert. Und die moderne pränatale DiagnostikDiagnostik, pränatale kann genetische Defekte bereits in der Schwangerschaft feststellen und stellt die Frau vor die freie Wahl, wie sie damit umgeht. Zum Zweiten ist ihre Handlung sozial, weil sie andere betrifft: das Kind, den Vater (selbst einen anonymen Samenspender, wenn das Kind ihn später kennenlernen will) und die größere Gesellschaft.

Möglich geworden sind viele Entscheidungen erst, nachdem andere Entscheidungen getroffen worden waren: etwa die Entscheidung, in die Entwicklung der pränatalen Diagnosetechnik mehr zu investieren, oder die Entscheidung der Ärztinnen und Ärzte, die entsprechenden Verfahren auch anzuwenden.

Kultur

KulturKultur ist das mehr oder weniger integrierte, den Lebensstil von Menschen prägende Muster von Weisen des Denkens, Verstehens, Bewertens und Kommunizierens. Viele unserer Merkmale, die für uns das spezifisch Menschliche ausmachen – Sprache, Moral, Technik und Fertigkeiten – sind kulturelle Elemente, die wir durch soziale Beziehungen erlernen – zuerst meist innerhalb der Familie und später durch Teilnahme an kulturellen Institutionen wie Schulen, Vereine und Kirchen. Die KulturKultur stellt die gemeinsamen Quellen des Denkens und Handelns bereit, derer wichtigste die SpracheSprache ist. Sie liefert uns auch die Kriterien, mittels derer wir die Bedeutung von Handlungen bewerten. Eine immer wieder diskutierte Frage ist etwa, ob AbtreibungAbtreibung gesetzlich erlaubt und jeder Frau zugänglich sein soll. Über diese (und zahllose andere) Fragen haben wir alle unsere persönlichen Meinungen. Doch ob wir urteilen, das »Lebensrecht« des Fötus sei höher zu bewerten als die freie Entscheidung der Frau oder umgekehrt, immer ist es die Kultur, dank derer wir die Tragweite dieser Frage ermessen, zwischen diesen beiden Vorstellungen abwägen und sie diskutieren. Generell misst unsere Kultur dem Leben einen hohen Wert bei, aber auch der Freiheit der Wahl. Die Abtreibung gehört zu den Fragen, bei denen unterschiedliche kulturelle WerteWerte, kulturelle aufeinanderprallen.

In vielen asiatischen Gesellschaften werden Söhne auf Grund tradierter kultureller Werte bevorzugt. Weniger offensichtlich ist, dass asiatische Kulturen dazu neigen, der Gruppe (vor allem der Familie) einen höheren Wert beizumessen als dem IndividuumIndividuum – und der sozialen OrdnungOrdnung, soziale und Harmonie einen höheren Wert als der persönlichen Freiheit. Viele Chinesinnen und Chinesen hielten es durchaus für richtig und angemessen, dass der Staat von den Paaren verlangte, ihren Wunsch nach mehreren Kindern dem größeren Wohl der Gesamtgesellschaft zu opfern. Doch – wie im Fall der AbtreibungAbtreibung in einigen westlichen Kulturen – durchkreuzen in China die Werte der Familie und der sozialen Ordnung manchmal einander, ohne dass man sich dessen bewusst wäre: Richtet man sich nach einem Wert (dem Wohl der Gesellschaft), verletzt man vielleicht einen anderen (den Wert großer Familien).

Die Kultur enthält die Ideale, die unsere individuellen Träume und Wünsche bestimmen. Kinderlose Ehen werden im Westen heute mehr akzeptiert als früher, gelten aber nicht als Idealzustand. Von klein auf hören wir: »Wenn du groß bist«, gefolgt von, »und Mutter / Vater wirst« so oft, dass es uns vorkommt, als sei beides dasselbe (Lasker / Borg 1994). Unser kulturelles Weiblichkeitsideal war auf Mutterschaft, unser Männlichkeitsideal auf Vaterschaft ausgerichtet. Auf Grund kultureller Einflüsse, verstärkt durch sozialen Druck, fühlen sich unter diesen Bedingungen kinderlose Paare Mitte Dreißig oft unerfüllt. Da immer mehr ihrer Freundinnen und Freunde Kinder haben, sind sie (und fühlen sie sich) von gesellschaftlichen Ereignissen ausgeschlossen. Menschen ohne Kinder können als egoistisch und »komisch« wahrgenommen werden. Doch nicht nur Paare, auch alleinlebende kinderlose Frauen, ob lesbisch oder heterosexuell, kommen sich vielleicht vor, als würden sie von der NormNorm/en abweichen. Gelten Kinderlose als egoistisch, so kommen Paare mit nur einem Kind nur wenig besser weg. Trotz gegenteiliger Beweise werden Einzelkinder als verwöhnt und schlecht angepasst stereotypisiert. Im Übrigen zieht die westliche Kultur »natürliche« Geburten der Adoption vor, selbst wenn bei Ersteren medizinische Hightech-Eingriffe notwendig sind.

Ferner ermöglicht die Kultur die Entwicklung neuer Technologien, indem sie einen gesellschaftlich organisierten Vorrat an Informationen bereitstellt, aus dem Ärztinnen und Ärzte, der Staat, Unternehmerinnen und Unternehmer, besonders kreative sowie »normale« Leute gleichermaßen schöpfen können. Die westliche KulturKultur ist stark von der Technik geprägt. Wir verwenden enorme Anstrengungen auf den technischen FortschrittFortschritt, technischer: So haben die erstaunlichen Errungenschaften von Wissenschaft und Technik in den letzten 200 Jahren unsere Vorstellungen von den Grenzen des Machbaren drastisch verschoben. Weit seltener als unsere Vorfahren glauben wir an feststehende Grenzen, die uns von der NaturNatur oder Gott gesetzt sind, und wir neigen weit häufiger zu der Vorstellung, es müsse für alle Probleme eine Lösung geben, wenn wir nur über die erforderliche Technologie verfügten. In dieser Sichtweise wird die Natur als eine Menge nützlicher und manipulierbarer Ressourcen aufgefasst, nicht als etwas Heiliges oder Mächtiges, das wir nicht antasten sollten. Das gilt selbst für die menschliche Natur, wie die MedikalisierungMedikalisierung von Zeugung, Schwangerschaft und Geburt belegt, oder auch der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2020 zur SterbehilfeSterbehilfe. Unter dem Einfluss des Klimawandels oder globaler Pandemien mag sich daran in der Zukunft etwas ändern, aber noch ist es nicht zu einer epochalen Umorientierung gekommen.

Macht

MachtMacht ist die Fähigkeit einer sozialen Akteurin oder eines Akteurs, den Gang der Ereignisse oder die Struktur einer sozialen Organisation zu bestimmen. Sie kann ausgeübt werden gegen den Willen anderer, damit diese Dinge tun, die sie sonst nicht täten, oder um ihren Willen zu bestimmen, damit sie gewisse Dinge tun wollen (oder meiden). Macht der ersten Art übt eine Polizistin aus, die einen Dieb daran hindert, ein Auto zu stehlen, oder ein Autodieb, der mit vorgehaltener Pistole eine Autobesitzerin zwingt, an einen einsamen Ort zu fahren, wo es keine Polizei oder sonstige Zeugen gibt. Macht der zweiten Art übt ein Unternehmer aus, der durch Werbung zum Kauf seiner Produkte animiert, auch solcher Produkte, von denen die Konsumentinnen und Konsumenten nicht wussten, dass sie sie wünschen oder brauchen. Macht der zweiten Art nutzt auch der Staat, wenn etwa der Eigenheimbau steuerlich bezuschusst wird; er unterstützt auf diese Weise die Mittelschicht und fördert ganz bestimmte Siedlungsstrukturen. Man beachte, dass Macht von Individuen wie etwa Beamten oder Kriminellen oder von weit »größeren« sozialen Akteuren wie etwa Unternehmen und Regierungen ausgeübt werden kann.

Der chinesische Staat nutzte offensichtlich seine Macht, wenn er anordnete, dass die Familien sich auf ein Kind beschränken müssen, und neue Technologien zur Verfügung stellte, um »minderwertige« Geburten zu verhindern. Nur ein autoritäres Regime wie das chinesische konnte sich eine so extreme und kontroverse Maßnahme »leisten«. Andere Länder mit vergleichbaren Bevölkerungsproblemen – Indien, Indonesien, Nigeria – hatten weit größere Schwierigkeiten, eine wirksame Familienplanung durchzusetzen.

Für die meisten Menschen in den westlichen Gesellschaften ist die Vorstellung, der Staat könne seine Macht zur Geburtenregelung einsetzen, ein Horror. Doch diese Praxis ist der westlichen Kultur nicht so fremd, wie wir glauben mögen. In den 1930er Jahren befürworteten nicht nur zahlreiche deutsche Biologen im Umfeld der nationalsozialistischen Ideologie und Herrschaft die EugenikEugenik – d. h. Versuche, die Eigenschaften einer Population durch selektive Reproduktion zu verbessern –, sondern auch ihre Fachkollegen in anderen Ländern. Mehr als dreißig Staaten verabschiedeten Gesetze zur ZwangssterilisierungZwangssterilisierung in der Absicht, die Gesellschaft von »Unangepassten« zu »säubern« – Alkohol- und Drogenabhängigen, an Epilepsie Leidenden, Menschen mit psychischer Störung, Kriminellen und vor allem Menschen mit geistiger Behinderung, deren Probleme man für erblich bedingt hielt. Die Eugenik wurde als wissenschaftliche Lösung für ein soziales (und ökonomisches) Problem propagiert: Unangepasste sich frei fortpflanzen zu lassen, sei, so dachten viele, eine »Verschwendung öffentlicher Mittel«. Diese Pseudowissenschaft war allerdings mehr durch populäre Vorurteile als durch ihre prognostischen Fähigkeiten gekennzeichnet. Abraham LincolnsLincoln, Abraham Eltern – der eine Elternteil war geistig behindert, der andere Alkoholiker – wären als ungeeignet für die Zeugung von Kindern klassifiziert worden! Vor allem im nationalsozialistischen Deutschland kam es zu extremen Auswüchsen dieser Praxis. Trotzdem blieben in einigen Staaten Vorschriften zur Zwangssterilisierung bis in die 1970er und 1980er Jahre hinein in Kraft. Heute fürchten manche, die Fortschritte der GentechnikGentechnik könnten dazu führen, dass erneut eugenische Maßnahmen vorgeschlagen werden.

Geld verleiht eine Form von MachtMacht. Die Spezialkliniken für künstliche Befruchtungen in den USA sind überwiegend kommerzielle Unternehmen: »Wer bezahlen kann, schafft an«; wer es nicht kann, ist in der Regel von ihren Dienstleistungen ausgeschlossen. Hingegen haben die meisten Menschen in fast allen europäischen Ländern und in Kanada im Rahmen öffentlich finanzierter Gesundheitssysteme Anspruch auf diese Dienstleistungen. Breite Gruppen haben hier ihre politische Macht dazu benutzt, um durchzusetzen, dass die medizinische Versorgung für die gesamte Bevölkerung aus Steuergeldern oder durch öffentliche KrankenversicherungenKrankenversicherung mitfinanziert wird und nicht, wie in den USA üblich, überwiegend auf privaten Versicherungen und privater Bezahlung basiert. Doch selbst in den USA nutzen alle, die sich die teuren künstlichen Befruchtungen leisten können, aus öffentlichen Mitteln mitfinanzierte Forschungen über Fertilitätsprobleme. Es zeigt sich mithin, dass bei diesem Problem noch andere Machtformen eine Rolle spielen: Die Macht von RegierungenMacht, von Regierungen, die Bürgerinnen und Bürger zu besteuern und zu entscheiden, wofür die Steuereinnahmen ausgegeben werden, und die MachtMachtvon Einzelpersonenvon Gruppenvon Organisationen der Wohlhabenden (und Besser-Organisierten), Druck auf die Regierung auszuüben, damit diese das Geld des »Volkes« zu ihrem Vorteil ausgibt.

Die Soziologie untersucht auch die Macht ganzer Sozialsysteme, die von der Macht von Einzelpersonen, Gruppen oder Organisationen verschieden ist. So verfügt die US-amerikanische Gesellschaft über mehr Macht als die äthiopische. Das heißt nicht nur, dass die USA die militärische Macht besitzen, Äthiopien in einem Krieg zu besiegen, oder die Wirtschaftskraft haben, um das Land zu schikanieren. Vielmehr ist die Diskrepanz zwischen den Niveaus der technischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung dieser Gesellschaften gemeint, die das Leben der Menschen bestimmen. So mögen Menschen in den USA gelegentlich ArbeitslosigkeitArbeitslosigkeit und Armut erfahren, aber sie verhungern selten. Äthiopien hingegen wird häufig von schlimmen Hungersnöten heimgesucht, deren Ursache nicht nur das Klima ist, sondern auch die relativ primitive Technik, die geringe wirtschaftliche Entwicklung und die gesellschaftliche Desorganisation. Moderne Industriegesellschaften fördern das Denken in Zeitplänen, nach Stechuhren und Terminen. Zunehmend bekommen diesen Zeitdruck auch Agrargesellschaften wie Äthiopien zu spüren, sobald sie Städte, Büros und moderne Industrien entwickeln. Man muss auf ihn reagieren, auch wenn einem das verplante Leben nicht immer attraktiv erscheint. Sowohl in Äthiopien als auch in den USA ist die persönliche IdentitätIdentität, persönliche enger mit der nationalen Identität verflochten als mit den separaten ethnischen Identitäten. Die Individuen zahlen in beiden Ländern Steuern und akzeptieren die Verpflichtung zum Militärdienst – jedenfalls meistens – weil sie glauben, dass ihre Existenz an die ihres Landes geknüpft ist. Nationalistische IdeologienIdeologie, nationalistische verfügen über die Macht, solche patriotischen Gefühle zu mobilisieren. Diese MachtMacht liegt nicht bei irgendeinem einzelnen sozialen Akteur (obgleich Individuen und Gruppen patriotische Gefühle beschwören können), sondern bei der Gesellschaft als Ganzer.

Funktionale IntegrationIntegration, funktionale

Kinder kommen nicht isoliert von der sozialen RealitätRealität, soziale einer Gesellschaft zur Welt. Die Zahl der Geburten – ob weiblich oder männlich, »normal« oder »behindert« – wirkt sich auf die Schule, den Arbeitsmarkt, die Heiratsmuster, die Altenpflege u.v.m. aus. Häufig sind Eigenschaften der Sozialstruktur und der sozialen Organisation funktional miteinander verknüpft. Was in einem Teil der Gesellschaft geschieht, beeinflusst, was in anderen Teilen geschieht, und wird wiederum selbst davon beeinflusst. Werden z. B. neue Medizintechniken entwickelt, um Frühgeburten am Leben zu erhalten, müssen die Versicherungsprämien steigen, um diese kostspieligen Therapien zu bezahlen.

Einige frühe Soziologen erklärten diese funktionalen Verknüpfungen oft mittels einer biologischen Analogie. Sie verglichen die Gesellschaft mit einem Organismus wie dem menschlichen Körper, in dem Herz, Lunge, Leber, Gehirn und andere Organe strukturell differenziert, aber funktional verknüpft sind. Die Lunge benötigt das Herz, das Blut in die Lungenarterie pumpt; alle anderen Organe, also auch das Herz, hängen von der Lunge ab, die das Blut mit Sauerstoff anreichert; das Gehirn steuert durch das Nervensystem direkt zahlreiche Körperfunktionen, braucht aber Herz und Lunge, die es mit sauerstoffhaltigem Blut versorgen usw. Wenn das Herz nicht genügend und regelmäßig Blut pumpt, oder die Lunge nicht genügend Sauerstoff liefert, oder Teile des Gehirns beschädigt werden, ist das System insgesamt – der ganze Organismus – davon betroffen. Gesellschaften sind nicht so stark integriert wie biologische Organismen, doch auch ihre Teile sind wechselseitig voneinander abhängig, damit sie als System arbeiten können. So konnten die neuen Reproduktionstechnologien nur entstehen, weil die medizinischen Fakultäten Fachleute ausbilden, die Forschung die Technologien entwickelte, die WirtschaftWirtschaft die finanziellen Mittel produzierte, um sie zu bezahlen, usw.

Abbildung 1.4

Um ihren funktionalen Beitrag für die Gesellschaft als Ganze zu leisten, müssen auch Teile innerhalb von Schulen koordiniert oder funktional integriert sein. Pädagogische Fachkräfte betreuen die Kinder in Ganztagsschulen z. B. bei den Hausaufgaben.

Der Ausdruck FunktionFunktion bezeichnet den Beitrag, den jede soziale Beziehung, Position, Organisation, jeder Wert oder jede Eigenschaft einer Gesellschaft für das soziale System als Ganzes leistet. In einem funktional integrierten System wird jeder Teil von seinen Beziehungen zu den anderen Teilen beeinflusst und ist von ihnen abhängig. So besteht die Funktion von Schulen darin, junge Menschen auszubilden, die über die von den Unternehmen geforderten Fertigkeiten verfügen und am öffentlichen Leben als Bürgerinnen und Bürger ihres Landes teilnehmen können. Wir können die Funktion der Schule nicht voll verstehen, wenn wir sie isoliert untersuchen; wir müssen auch die Beziehung von Schulen zu anderen Teilen der Gesellschaft analysieren. Schulen sind auf einer anderen Ebene selbst funktional integriert: die Lehrpersonen der verschiedenen Fächer, das Verwaltungspersonal, die Schüler und Schülerinnen, der Hausmeister, ja selbst die Wandtafeln und Schulbücher haben verschiedene Funktionen zu erfüllen. In der sozialen Realität finden wir die funktionale IntegrationIntegration, funktionale