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Es kostet Paula viel Mühe und Kraft, bis sie sich in der neuen Firma eine einigermaßen sichere Position erkämpft hat. Aber schließlich schafft sie es, den Respekt der anderen Mitarbeiter zu gewinnen – und die Sympathie ihres Kollegen, dem sie gegenübersitzt. Doch aus anfänglicher Sympathie wird schnell eine Liebe, die schon bald ihr ganzes Leben in Frage stellt…
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Seitenzahl: 207
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1. Das erste Jahr
2. Frühlingserwachen
3. Crescendo
4. Höhenwanderung
5. Der Abstieg
6. Eiszeit
7. Der Weg in die Freiheit
Nach einer wahren Begebenheit.
Alle Namen sind frei erfunden.
Sie war Anfang 27, hatte ein Wirtschaftsstudium gerade so eben bestanden und war schon nach einem Jahr aus ihrer ersten Stelle bei einem Versicherungsunternehmen geflogen.
Keine guten Voraussetzungen, um einen neuen Arbeitsplatz zu bekommen. Sie hatte schon dutzende von Bewerbungen geschrieben und die Absagen häuften sich mittlerweile auf ihrem Schreibtisch.
Als sie wieder einmal die Samstagszeitung auf der Suche nach einer Stelle durchblätterte, fiel ihr ein Einzeiler auf: Büroanfängerin gesucht.
Sie hatte zwar schon ein Jahr lang als Sachbearbeiterin bei einer Versicherung gearbeitet, aber das war wohl zu wenig, um von Büroerfahrung zu sprechen. Also rief sie Anfang der nächsten Woche dort an und stellte kurz ihre Qualifikationen vor. Am darauffolgenden Wochenende fand sie die Mitteilung auf ihrem Anrufbeantworter, dass man es mal mit ihr versuchen wollte und sie sollte am kommenden Montag zum Vorstellungsgespräch kommen.
Die Firma Officetec war eine Import-Export-Firma im Bereich der Bürotechnik mit Sitz in einem Hagener Gewerbegebiet. Damals wohnte sie in Hagen und so hatte sie keinen allzu langen Weg mit dem Auto zurückzulegen. In dem Gewerbegebiet waren vorwiegend kleinere, noch inhabergeführte Firmen ansässig. In vielen der Gebäude befand sich im oberen Stockwerk die Wohnung des Geschäftsinhabers, so auch bei Officetec.
Sie parkte ihr Auto bewusst auf der gegenüberliegenden Straßenseite und nicht auf dem Firmenparkplatz. Schließlich war sie noch keine Mitarbeiterin und sie wusste, manche Chefs waren in dieser Hinsicht sehr empfindlich.
Mit mulmigem Gefühl stieg sie aus dem Auto und betrat das Empfangsbüro.
Im Eingangsbereich arbeitete eine ältere Dame hinter der Empfangstheke. Sie hatte anscheinend noch keine Notiz von ihr genommen.
Sie räusperte sich.
„Guten Tag, mein Name ist Paula Römer. Ich bin zu einem Vorstellungsgespräch bei Herrn Brauer eingeladen worden.“
Die Frau hinter der Theke schaute nur kurz von ihrer Arbeit auf.
„Einen Moment noch bitte“, antwortete sie mürrisch und wies mit dem Kopf in Richtung eines kleinen Glastisches mit zwei Stühlen. Paula setzte sich. Sie nutzte die Wartezeit, um sich umzuschauen.
Vom Empfangsraum aus konnte man zwei weitere Büros sehen, deren Wände zum Empfangsbereich hin verglast waren, so dass das Gefühl entstand, in einem Großraumbüro zu sitzen.
Von einem der beiden Räume stand die Tür auf. Eine blonde, langhaarige Frau tippte dort gerade am PC. Sie trug einen Minirock und hochhackige Schuhe. Anscheinend arbeitete sie für die Empfangsdame, denn jetzt kam sie mit einem Schriftstück zu ihr.
„Frau Hansmann, können Sie das bitte noch unterschreiben?“, bat sie die Frau hinter der Theke.
„Ja, sicher, Frau Orlowski“, antwortete diese freundlich und nahm das Papier entgegen.
Es war beruhigend, dass sie auch freundlich sein konnte.
Nun ging die bisher verschlossene Tür des anderen Büros auf und im Türrahmen erschien ein untersetzter Mann, der wohl so um die 60 Jahre alt war.
„Frau Römer?“
Sie nickte.
„Kommen Sie doch bitte herein.“
Sie setzte sich ihm gegenüber an den Schreibtisch und er stellte sich als Herr Brauer vor, Geschäftsinhaber der Firma Officetec. Er befragte sie noch einmal kurz nach ihrem Lebenslauf und teilte ihr dann kurz mit, dass sie 40 Stunden in der Woche arbeiten müsste und ihr Anfangsgehalt 1.500€ betrug. Das war nicht gerade üppig, aber sie hatte ja leider keine große Wahlmöglichkeit.
Im Laufe des Gesprächs kam noch ein jüngerer Mann hinzu, der sein Sohn war.
„Sie werden hauptsächlich für ihn und Frau Hansmann arbeiten“, erklärte der Senior. „Wenn Sie die Stelle annehmen, können Sie gleich nächsten Montag anfangen.“
Sie nickte und strahlte.
Endlich wieder ein Job für sie.
Am nächsten Montag führte sie der Juniorchef als erstes durch die Firma und stellte ihr die anderen Mitarbeiter vor. Sie erfuhr, dass Frau Hansmann als Chefsekretärin für den Seniorchef arbeitete und Frau Orlowski hauptsächlich für die Ablage zuständig war. Aber sie würde Paulas Vertretung übernehmen, wenn sie krank oder im Urlaub war.
Vom Empfangsraum, den sie ja bereits kannte, führte er sie durch eine dritte Tür durch einen kleinen Zwischenraum, in dem die Kaffeemaschine stand, zu einem weiteren Büro, in dem hauptsächlich Frau Orlowski arbeitete.
Hier befand sich der Hauptteil der Ablage. Nur die Rechnungsordner waren im Raum vorne neben Frau Hansmann untergebracht, in dem sie zusammen mit dem Buchhalter arbeiten würde.
Von Frau Orlowskis Büro musste man ein Stück durch das Lager gehen, wollte man zu dem letzten Raum gelangen, in dem die Verkaufs- und Einkaufsangelegenheiten bearbeitet wurden und in dem auch der Juniorchef seinen Platz hatte.
Der Juniorchef begleitete sie zurück in das vordere Büro mit der offenen Tür, in dem sie von nun an arbeiten würde. Direkt ihr gegenüber saß der Buchhalter Herr Pleigur, der ebenfalls heute seinen ersten Arbeitstag hatte.
Man wies sie eindringlich darauf hin, dass die Tür immer offenzustehen hatte. Frau Hansmann würde also jedes Wort hören können, das hier gesprochen wurde.
Der Juniorchef gab ihr mehrere Kassetten, die sie über ein Diktiergerät abzuhören hatte. Auf ihnen erteilte er ihr die verschiedensten Arbeitsanweisungen oder diktierte Schreiben, die sie mit Hilfe des Computers zu verfassen hatte. Die fertiggestellten Schriftstücke hatte sie ihm dann in einer Unterschriftsmappe vorzulegen.
Aber kaum hatte sie mit dem Abhören der Kassette begonnen, hatte sie auch schon Fragen über Fragen. Wie wurden die Schreiben gespeichert, wo war der Drucker? Wo wurden Lieferscheine und Aufträge abgeheftet? Wie legte man im Computer einen Auftrag an, etc, etc. Dauernd musste sie zu Frau Hansmann gehen und sie mit ihren Fragen löchern. Woher sollte sie das auch alles wissen? Sie hatte ja noch nicht einmal einen Abschluss als Bürokauffrau.
Ihrem Kollegen, Herrn Pleigur, ging es nicht viel anders. Auch er war zur Einarbeitung dringend auf die Hilfe von Frau Hansmann angewiesen. Aber je mehr die beiden sie fragten, umso verschlossener und abweisender wurde sie.
„Das müssen sie schon selber wissen“, entgegnete sie den Neuen oder „Ich habe jetzt keine Zeit.“
Und der Berg von zu erledigenden Aufträgen auf Paulas Tisch wurde immer größer.
Seltsamerweise hatte Frau Hansmann aber genug Zeit, sich vor dem Tisch von Paula aufzubauen und elend lange über private Angelegenheiten zu tratschen. Paula war das unangenehm. Diese Frau war ihr nicht gerade sympathisch und außerdem hatte sie jede Menge an Arbeit zu erledigen.
Aber sie wollte nicht unhöflich zur Chefsekretärin sein und so ließ sie ihre Vorträge über sich ergehen. Vielleicht war sie dann ja etwas umgänglicher in punkto Hilfe.
Diese Hoffnung erwies sich jedoch als falsch.
An ihrem dritten Arbeitstag stiefelte Frau Hansmann in das Büro des Seniors, schloss aber die Tür nicht richtig.
Paula konnte nicht alles verstehen, was gesagt wurde, hörte aber noch den letzten Satz des Chefs: „Na ja, sie ist ja erst drei Tage bei uns.“ Es war klar, dass über sie gesprochen worden war.
Als der Chef wieder unterwegs war, fragte Paula Frau Hansmann direkt, ob der Chef sich über sie beschwert habe.
„Nein“, erwiderte diese ohne mit der Wimper zu zucken, „ich habe mich über sie beschwert. Sie sind mir zu langsam.“
„Na, dann ist es ja nicht so schlimm“, meinte Paula leichthin.
Frau Hansmann zuckte mit den Augenbrauen und sah sie spöttisch an. Paula hatte noch nie als Bürokauffrau gearbeitet und unterschätzte daher völlig den Einflussbereich einer Chefsekretärin.
Aber eins war ihr auch damals schon bewusst – diese Frau wäre sie lieber heute als morgen los und sie hatte von ihr keine Hilfe zu erwarten.
Auch ihr Kollege konnte ihr nicht helfen. Er war ja ebenfalls neu hier und hatte selbst mit der Einarbeitung in die Buchhaltung zu kämpfen, die er mit einer Teilzeitstelle in den Griff bekommen sollte. Die Bearbeitungsrückstände waren enorm, hatte doch Frau Hansmann vorher die Buchhaltung als vorübergehende Vertretung neben ihrer eigenen Arbeit erledigt – oder eben auch nicht.
Kaum ging Herr Plaigur mittags nach Hause, setzte sich auch schon Frau Hansmann an seinen Platz und kontrollierte alles, was er gemacht hatte. Dabei stöhnte sie Paula vor, wie viele Fehler der Neue machte und dass er die ganze Sache einfach nicht in den Griff bekam. Paula war schnell klar, sie wollte nicht nur sie sondern auch den Buchhalter loswerden.
Genau, wie sie in seinen Unterlagen nach Fehlern suchte, würde sie es nach ihrem Feierabend auch bei ihr machen. Denn Frau Hansmann blieb grundsätzlich noch nach dem eigentlichen Dienstschluss in der Firma und hatte so ausreichend Gelegenheit dazu.
Ohne Hilfe würde Paula in einem derart feindlichen Umfeld nicht lange überleben, das war ihr klar. Aber wen könnte sie um Unterstützung bitten?
Sie versuchte es mit dem Verkaufssachbearbeiter, aber der winkte ab. „Damit kenne ich mich auch nicht aus“, erwiderte er lapidar auf ihre Fragen.
Den Juniorchef, geschweige denn den Seniorchef, konnte sie schlecht belästigen.
Also ging sie in ihrer Not zu Frau Orlowski, die erstaunlich gut Bescheid über die Organisation der Firma wusste. Sie war sehr hilfsbereit und freundlich und Paula fiel ein Stein vom Herzen.
Endlich mal jemand, der ihr nicht mit Ablehnung oder Gleichgültigkeit begegnete. Doch so viel Frau Orlowski auch über die Firma wusste, vom eigentlichen Sachgebiet der Frau Hansmann hatte sie keine Ahnung. Dieses Wissen hatte Frau Hansmann bisher immer strengstens geheim gehalten. Der Junior aber gab ihr immer mehr Aufträge, die genau in dieses Gebiet fielen.
Wollte er sie testen? Oder wollte er damit Frau Hansmann ärgern? Zuzutrauen war es ihm ja.
Es war ihr schon aufgefallen, dass die beiden ein sehr merkwürdiges Verhältnis zueinander hatten, das man noch am ehesten mit Hass-Liebe bezeichnen könnte.
Wie auch immer, als der Junior ihr diktierte, dass sie für einen bestimmten Kunden eine Langzeit-Lieferantenerklärung anfertigen sollte, hatte sie noch einmal all ihren Mut zusammengenommen und Frau Hansmann gefragt. Aber diese sagte nur: „Das müssen Sie schon selbst herausfinden.“
Der Junior hatte sie schon zweimal nach der Erledigung dieser Angelegenheit gefragt und die Sache wurde langsam brenzlig. Und Frau Orlowski konnte ihr auch nicht weiter helfen. Glücklicherweise kam ihr die tägliche kurze Abwesenheit der Chefsekretärin zu Hilfe. Sie musste regelmäßig vormittags einmal zur Post fahren, um dort Sachen für den Senior abzugeben und auch abzuholen. Dafür benötigte sie ungefähr 15 Minuten.
Diese 15 Minuten waren Paulas Chance. Kaum war sie aus dem Haus, durchwühlte sie ihren Schreibtisch und die dahinter stehenden Regale. Und richtig: Es gab einen Ordner mit Langzeitlieferantenerklärungen und den entsprechenden Formularen. Aus der Rückseite der Formulare entnahm sie, dass die Kunden einmal im Jahr eine solche Erklärung benötigten, die besagte, dass die gekauften Waren in der EU hergestellt worden waren.
Endlich konnte sie ihre Arbeit erledigen. Dabei hasste sie es, sich so verhalten zu müssen. Aber sie hatte keine andere Chance. Und natürlich nutzte sie diesen Weg auch künftig, wenn Frau Hansmann ihr ihre Hilfe versagte.
Der Junior fuhr fort, ihr Aufgaben aus dem eigentlichen Sachgebiet von Frau Hansmann zu übertragen. Und je mehr ihrer Aufgaben sie bewältigen konnte, desto unabhängiger wurde sie von ihr.
Gleichzeitig wurde Paula zu einem wichtigen Werkzeug im Spiel zwischen dem Junior und Frau Hansmann. Einerseits war dies eklig, andererseits war es natürlich nicht schlecht, dass sie für den Junior eine gewisse Bedeutung gewann. Denn nur mit ihrer Hilfe konnte er sozusagen an Frau Hansmann vorbei arbeiten und ihre Bedeutung im Betrieb reduzieren.
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Der ständige Kampf an allen Fronten zehrte an Paulas Kräften und sie war froh, wenn sie einen Vorwand fand, um im Büro von Frau Orlowski zu verschwinden. Ihr Büro wurde in kürzester Zeit zu ihrem Fluchtraum, wenn es vorne nicht mehr auszuhalten war. Hier tankte sie die nötige Kraft für ihren Dauerkampf. Als sie sich wieder einmal über die ständigen Attacken von Frau Hansmann beklagte, sagte Frau Orlowski nur: „Wissen Sie, bevor Sie hier angefangen haben, hat sich eine Frau vorgestellt, die die Stelle zunächst bekommen sollte, dann aber doch nicht angefangen hat. Frau Hansmann meinte nur, es sei gut, dass sie sich so entschieden hätte, denn sie könnte sie nicht leiden und sie wäre daher ohnehin nicht lange hier geblieben.“
Es war klar, was das für Paula bedeutete.
Umso mehr vertraute sie Frau Orlowski.
Es dauerte gar nicht allzu lange, bis sie auch ihre Pausen bei ihr verbrachte und sie sich duzten.
Als Paula sie das erste Mal in ihrer Pause besuchte, meinte Mariella: „Das ist aber mutig von Ihnen.“
Paula wusste erst nicht, was sie meinte, aber als Frau Hansmann in den nächsten Tagen noch unfreundlicher zu ihr wurde als vorher, konnte sie die Bedeutung ihres eigenen Handelns erahnen.
Sie hatte sich herausgenommen, die Chefsekretärin in den Pausen allein zu lassen und ihr dadurch ihre Abneigung gezeigt. Doch was sollte das an ihrem Verhältnis ändern? So oder so war sie darauf aus, sie loszuwerden.
Frau Hansmann dagegen ahnte, dass ihre Gegnerin nun eine Verbündete im Betrieb hatte und dadurch stärker geworden war. Ihr Kampf gegen Paula würde schwieriger werden.
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Mariella war bereits einige Jahre in der Firma und hatte schon so einiges erfahren und erlebt, was die Beziehung zwischen den Mitarbeitern und ihren Chefs anging.
Frau Hansmann hatte ihr einmal erzählt, dass sie den Juniorchef schon als Kind kannte. Später machte er dann eine Lehre in der Firma, ehe er jetzt als Einkaufs- und Verkaufssachbearbeiter arbeitete.
Das Verhältnis der beiden war daher ziemlich kompliziert.
Er kämpfte um seinen eigenständigen Arbeitsbereich, den er Frau Hansmann Stück für Stück abringen musste.
Sie schien hier in früheren Jahren komplett die Zügel in der Hand gehabt zu haben. Andererseits war sie aber auch wie eine Oma zu ihm und er hatte eine gewisse Zuneigung zu ihrer energischen und zupackenden Art.
Am meisten aber verschlug es Paula die Sprache, als Mariella von Frau Hansmann und dem Seniorchef erzählte, denen sie ein Verhältnis unterstellte.
„Pass mal auf“, sagte sie zu Paula, „wenn der Seniorchef das nächste Mal auf Geschäftsreise geht, wird es gar nicht lange dauern, bis sie sich Urlaub nimmt. Und ihre Laune danach ist immer außergewöhnlich gut…“
Ungläubig sah Paula sie an. „Vielleicht ist sie nur einfach verknallt in ihn…ich meine, er ist doch verheiratet.“
„Meinst Du, das ist ein Hinderungsgrund?“, fragte sie herausfordernd.
„Nein, natürlich nicht“, musste Paula zugeben, „aber was macht Dich so sicher, dass da tatsächlich etwas läuft?“
Mariella zögerte. Hier handelte es sich schließlich um äußerst brisante Informationen, die ihr den Kopf kosten konnten, würde Paula nur ein Wort davon weitergeben. Aber die Beziehung zu Paula war mittlerweile so eng geworden, dass sie ihr vertraute. Und Paula hatte auch im Traum nicht vor, irgendetwas von dieser Unterhaltung nach außen weiterzugeben.
So begann Mariella zu erzählen:
„Der Senior hatte früher einmal in Holland eine Niederlassung unserer Firma. Speziell dafür hatte er eine Holländerin eingestellt. Aber die Geschäfte liefen nicht gut. Die Schuld dafür bekam natürlich die Holländerin in die Schuhe geschoben und sie wurde schon nach relativ kurzer Zeit entlassen. Die letzten paar Wochen bis zum Kündigungstermin hat sie nicht mehr im Außendienst gearbeitet, sondern war nur noch im Büro. Und sie hat mir erzählt, dass der Senior und Frau Hansmann oft in der dem Büro angegliederten Wohnung übernachtet haben. Den Rest kannst Du Dir dann ja denken…“
Paula war sprachlos. Frau Hansmann war demnach noch gefährlicher als sie es sich schon gedacht hatte. Ihr Einfluss auf den Chef konnte nicht hoch genug eingeschätzt werden.
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Das sollte sie auch schon kurz darauf auf einem Gebiet zu spüren bekommen, auf dem es regelmäßig Streit zwischen mehreren Parteien gab: dem Rechnungsdruck.
Damals wurden die Rechnungen noch per Schreibmaschine auf durchnummerierten Mehrfachdrucksätzen geschrieben. Ein Rechnungsformular bestand aus der Original-Rechnung, der Kopie, einem gelben Lieferschein und einem blauen Packzettel. Die Fahrer erhielten bei der Auslieferung den gelben Lieferschein und den blauen Packzettel mit. Der Lieferschein wurde beim Kunden abgegeben, den blauen Packzettel hatte er zum Beweis des Erhalts der Ware zu quittieren.
Wenn die Fahrer nun die blauen Packzettel zurückbrachten, ordnete Frau Hansmann sie den entsprechenden Rechnungsnummern zu. Diese Sätze gab sie dann nach hinten zum Junior, damit er die Preise der Waren auf dem Packzettel eintragen konnte. Der Junior gab die Rechnungen schließlich wieder zu Frau Hansmann, die die endgültigen Formulare von
Frau Römer auf der Schreibmaschine schreiben ließ, wobei die Gesamtsumme auszurechnen war.
Vorgabe des Seniors war, dass Rechnungen für erfolgte Warenlieferungen bis spätestens zum Ende des Monats verschickt werden sollten.
Der Arbeitsablauf knirschte in der Regel an drei Stellen: Zunächst gab Frau Hansmann die Drucksätze nicht zügig zum Junior, so dass dieser zu wenig Zeit hatte, fristgerecht die Preise einzutragen. Und der Junior machte sich einen Spaß daraus, die Formulare möglichst lange bei sich liegen zu lassen, damit Frau Hansmann ins Schwitzen geriet. Denn für den pünktlichen Versand wurde letztendlich sie vom Senior verantwortlich gemacht. Hatte er mal keine Lust, sie zu ärgern, nutzte Frau Hansmann nun ihrerseits die Möglichkeit, die Sachen möglichst spät zu Paula zu geben, so dass sich diese überschlagen musste, um die Rechnungen rechtzeitig verschicken zu können. Natürlich hoffte sie, dass Paula sich in dem Zeitdruck möglichst oft verrechnen würde, denn dann konnte sie sie mal wieder beim Alten anschwärzen.
Zu ihrem Ärger geschah dies aber nicht, so dass sie eine andere Möglichkeit suchen musste, Paula schlecht zu machen. Und wer suchet, der findet.
Paula hatte auf den Rechnungen für europäische Kunden eine sogenannte Umsatzsteuer-Ident-Nr. hinzuzufügen – ein Erfordernis im internationalen Handelsverkehr.
Das tat sie auch, allerdings erst, wenn sie die Rechnungen zum Ausrechnen und fertig tippen erhielt. Machte sie die Papiere für den Versand fertig, fügte sie die Nummer noch nicht hinzu. Auf Packzettel und Lieferschein erschien die Umsatzsteuer-Ident-Nr. daher nicht.
Kaum hatte sie zum ersten Mal die Rechnungen bearbeitet, wurde sie auch schon unwirsch vom Senior in sein Büro gerufen. Er hielt ihr einen Packzettel für Waren an einen holländischen Kunden unter die Nase.
„Warum steht hier keine Ident-Nr.?“, schnauzte er sie an.
Paula erklärte ihm ihre Vorgehensweise und dass auf den Rechnungen diese Nummer zu finden sei, so wie vorgeschrieben.
„Schon beim Versand der Ware haben Sie die Nummer aufzuschreiben“, polterte er. „Okay“, sagte sie nur, dann konnte sie zu ihrem Arbeitsplatz zurück gehen.
Es war klar, wer dem Alten die entsprechenden Packzettel unter die Nase gehalten hatte und warum. Wenn die Sekretärin sie nicht um jeden Preis hätte los werden wollen, hätte sie Paula wohl vorher einfach mal auf die fehlende Nummer angesprochen.
Paula wischte sich den Schweiß von der Stirn. Der Stuhl, auf dem sie hier saß, war äußerst wackelig und sie hätte auf sich selbst keinen Pfennig gewettet, dass sie länger als drei Monate überleben würde.
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Wer jedoch seine Probezeit nicht überlebte, war der Buchhalter. Nach zwei Monaten wurde er ins Büro vom Senior gerufen und kam kurz danach mit hochrotem Kopf wieder heraus. Zu Paula meinte er nur: „Meine Dienste werden hier nicht mehr gebraucht – ich bin gerade gekündigt worden.“
Paula war geschockt. Ihr war klar, wer als nächster dran war. Doch die Zeit verging und nichts passierte. So dachte sie jedenfalls.
In Wirklichkeit hatte Frau Hansmann längst eine Stellenanzeige für eine neue Bürokauffrau aufgegeben.
Aber sie hatte nicht mit Mariella gerechnet, die die Ablage verwaltete. Als ihr die Kopie der Rechnung für die Stellenanzeige „Bürokauffrau“ in die Hände fiel, schaltete sie sofort.
Sie ging zum Junior und fragte, weshalb Paula denn entlassen werden sollte. Sie leistete doch gute Arbeit. Da Paula für den Junior in seinem Kampf gegen Frau Hansmann mittlerweile zu einer wichtigen Hilfe geworden war, setzte er sich beim Senior für ihren Verbleib ein.
Schließlich sollte sie ja auch hauptsächlich mit ihm zusammenarbeiten und nicht mit dem Senior.
Als Frau Hansmann erfuhr, dass Paulas Stelle nicht neu besetzt wurde, stürmte sie wutentbrannt aus ihrem Büro. Ihr war wohl klar, dass sie Paula jetzt nicht mehr so einfach loswerden würde.
Eine Zeit lang grübelte sie darüber nach, wer dem Junior wohl die Information über die Stellenanzeige gegeben haben könnte. Bald kam sie auf Frau Orlowski, da sie sich mit Paula gut verstand und die Ablage verwaltete. Sofort überlegte sie, wie sie in Zukunft neues Personal suchen könnte, ohne dass Unterlagen in der Ablage erschienen.
Die Lösung war einfach: Statt selbst Stellenanzeigen aufzugeben, würde man künftig auf Stellengesuche hin anrufen.
So verging die dreimonatige Probezeit von Paula ohne Kündigung und sie trat vereinbarungsgemäß ihren ersten Jahresurlaub an.
Als sie zurückkehrte, war der Platz ihr gegenüber nicht mehr leer: Ein neuer Buchhalter war eingestellt worden.
Ihr war sofort klar, dass es kein Zufall war, dass er seine Arbeit während ihrer Urlaubszeit begonnen hatte. Frau Hansmann wollte ihn sicherlich erst einmal für sich gewinnen und ihn vor der völlig unmöglichen Bürokauffrau warnen, die ihm bald gegenüber sitzen würde.
Der Neue hieß Gunnar Fuhrmann und war ein kleiner, stabiler Mann um die 40 mit braunem, gelocktem Haar, das ihm immer etwas wirr ums Gesicht hing. Das erste, was Paula auffiel, war sein wachsamer Blick, der alles genau wahrzunehmen schien, was um ihn herum geschah. Er wirkte ziemlich ausgeschlafen und sie fragte sich, weshalb dieser Mann wohl ausgerechnet hier gelandet war.
Sie hoffte spontan, dass er Frau Hansmann überleben würde.
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Die dauernde Kontrolle durch die Chefsekretärin und der ständige Druck, nur ja keinen Fehler zu machen, belasteten Paula. Kein Wort, keine Bewegung von Paula entging ihr.
Besonders schlimm war dies, wenn es wenig zu tun gab. Normalerweise wäre das die Zeit gewesen, sich mal mit einem Kollegen zu unterhalten, aber das konnte sich Paula nicht leisten. Zu groß war die Angst, dass Frau Hansmann dem Junior oder Senior von ihren Leerlaufzeiten erzählen würde. Also dachte sie sich immer irgendetwas aus, was zu erledigen war, egal wie unsinnig die Tätigkeit auch sein mochte.
Es war also kein Wunder, dass Paula ihre Arbeit bald zuwider war und sie relativ schnell beschlossen hatte, sich auf einen anderen Job zu bewerben. Allerdings wollte sie vorher ihren Abschluss als Bürokauffrau nachholen, was als Externe vor der Industrie- und Handelskammer nach vier Jahren Berufserfahrung möglich war. Es war diese Perspektive, die ihr das nötige Durchhaltevermögen gab.
Natürlich war ihr Engagement für die Firma unter diesen Umständen auf das Allernötigste begrenzt, was sich vor allem darin ausdrückte, dass sie pünktlich um 17 Uhr Feierabend machte.
Das passte aber nun so gar nicht in das Konzept der Chefs, die für ihr Geld möglichst viel von ihren Angestellten haben wollten, im Klartext: Unbezahlte Überstunden waren Pflicht.
Jedes Mal, wenn Paula um Punkt 17 Uhr Feierabend machte, kam der Juniorchef am nächsten Tag kurz vor Dienstschluss mit einer angeblich äußerst wichtigen Angelegenheit, die noch ganz dringend erledigt werden musste. Da der Junior von seinem Büro im hinteren Teil des Gebäudes gar nicht wissen konnte, wann sie nach Hause ging, war klar, wer ihm regelmäßig davon Meldung machte. Frau Hansmann.
Um seine regelmäßigen Feierabend-Attacken abzuwehren, dachte Paula sich einen Trick aus. Sie ging regelmäßig etwa fünf bis zehn Minuten später. Und siehe da – sie wurde in Ruhe gelassen.
Nur noch einmal kam es zu einem großen Streit mit dem Junior deswegen.
Sie hatte gerade schon ihre Sachen zusammengepackt, als er ins Büro gerauscht kam.
„Dieses Schreiben hier muss unbedingt noch heute verschickt werden“, teilte er ihr mit. Nun hatte sie per Zufall gesehen, wie der Junior noch eine halbe Stunde zuvor völlig entspannt mit den Lkw-Fahrern auf dem Hof herumgequatscht hatte. Es war klar, er hatte das Schreiben einfach vergessen oder es bewusst bis kurz vor ihrem Feierabend verschoben.
Sie hatte aber keine Lust, das für ihn auszubaden. Also ging sie trotzdem. Er war gerade wieder mit den Lkw-Fahrern beim Laden draußen auf dem Hof, als sie das Büro verließ, und er schrie ihr hinterher: „Frau Römer, haben Sie das Schreiben schon fertig?“
Wütend drehte sie sich um: „Nein und ich sehe auch gar nicht ein, warum ich Überstunden machen muss, wenn Sie vergessen, mir wichtige Schreiben herüberzugeben.“
Ihr Temperament war mit ihr durchgegangen und ließ sie diese unverschämten Worte sagen. Verständlicherweise explodierte nun ihr Chef: „Wenn es noch etwas Dringendes zu erledigen gibt, müssen Sie eben auch mal länger bleiben.“
Einen Moment lang zögerte Paula. Sie wusste, dass er im Grunde genommen Recht hatte. Und dass es für ihn unerträglich wäre, wenn er sich vor seinen Arbeitern ihr gegenüber nicht durchsetzen könnte. Sie riskierte einen ernsthaften Streit mit ihm, wenn nicht sogar die Kündigung. Mit vor Wut hochrotem Kopf kehrte sie ins Büro zurück.
„Na“, feixte ihr Kollege, „schon wieder da?“
Nach diesem Streit bekam Paula nur noch selten kurz vor Feierabend dringend zu bearbeitende Sachen von ihm.
Und wenn dies mal der Fall war, wusste sie, dass es sich wirklich um unaufschiebbare Dinge handelte, die sie dann auch erledigte.
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Der Junior fuhr darin fort, ihr Arbeiten zu übertragen, die zum eigentlichen Kerngebiet von Frau Hansmann gehörten.
Es war klar, er wollte ihre Machtposition im Betrieb auf ein Minimum beschränken, um möglichst nicht mehr mit ihr zusammenarbeiten zu müssen.
Frau Hansmann kämpfte mit all ihrer Macht dagegen an, was natürlich hauptsächlich Paula zu ertragen hatte, da der Junior sie ja als Waffe gegen die Chefsekretärin auserkoren hatte.
Irgendwie konnte Paula sogar die Wut von Frau Hansmann verstehen, denn für sie war im Gegensatz zu Paula ihre Arbeit gleichzeitig ihr Lebensinhalt.