Leise Töne - Julia Penn - E-Book

Leise Töne E-Book

Julia Penn

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Beschreibung

Mit langsamen, schweren Schritten bog sie auf der leeren Straße ab, hielt sich mühevoll fest an den rauen, kalten Häuserwänden, glitt an ihnen entlang und riss sich blutige kleine Wunden in ihre feuchten Handflächen. Irgendwo in der Ferne heulte ein Motor durch die Nacht, schallend und doch nicht real. Sie wankte, die Flasche verkrampft festhaltend an ihrer Brust, halb leer das Elixier, für diesen Abend, für diese Nacht, sie brauchte es, nie hätte sie das gedacht, doch nun möge es ihr helfen, bitte Gott, sie sprach in stillen, schweigenden Worten, möge es mir helfen, sie zu vergessen und nasse Tränen rannen ihr Gesicht entlang, klirrten leise, als sie sanft auf die Flasche in ihren Armen tropften. In diesen kurzen Erzählungen stehen die alltäglichen und unauffälligen Protagonisten wie du und ich, wie ein jeder von uns, im Vordergrund. Keine Helden, nur stille Teilnehmer am Leben mit seinen vielschichtigen Facetten. Manchmal Beobachter, manchmal namenlos. Die Erzählungen sind leise und nachdenklich gehalten.

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Inhaltsverzeichnis

Ihr Klang in mir

Du

Frau Valentina

Zersprungen

Die Familie

Das Vergissmeinnicht in der Vase

Wie Ines Dinge nahm und sie wegwarf

Wie die Nähmaschine ihre Arbeit verrichtete

Eine ganz und gar kitschige Liebesgeschichte

Die Geschichte einer Sommerjacke

Das unumkehrbare Leben

Wie viel wiegt dein Stück Kuchen?

Schnee in Helens Schuhen

Unklare Verhältnisse

Neptuns kleine Seeungeheuer

Als der alte Sessel abgeholt wurde

Diese eine Stunde am Morgen

Hungrige Hände

Niemals denk an mich

Ich kann dir nicht geben, was du willst

Die alte Frau im Rollstuhl

Die Liebe und andere seltsame Dinge

Verborgen

Geräusche

Der magere Junge

An dich, mein Herz

Zum Schluss

Ihr Klang in mir

Symbiose. Verbunden. Schatten. Lichtspiele, die sich langsam und gemächlich im strahlenden Zickzack an der weißen Wand brechen. Gegenüber.

Ihr Knie winkelt sich sanft in meine Kniekehle. Der rechte Arm umfasst leicht meine Brust. Als würde sie ertrinken. Weich. Und schön.

Ihr Atem strömt leise den frischen und noch ganz verschlafenen Morgentau an mein Gesicht, hinterlässt feine Tröpfchen sich windender Erinnerungen. Ich habe die Augen geschlossen. Die zarten und derben Finger in unendlichen Kreisen und Bahnen auf meiner brennenden Haut.

Rechts herum, links herum. Geschwungen in der Mitte.

Helle Sterne, zerwühlt im Laken unserer Leidenschaft, meiner Geister, die unentwegt durch Falten, Tiefen, Furchen fahren und schallend lachen. In unserem Zudeck. Unserem Zudeck vor ihrem Fluch, ihren scheinheiligen Klauen. Ich werde blind. Die Augen rot.

Drehe mich um. Da ist sie. Lächeln. Augen aus so fein gewebtem Grün, dass ich am liebsten barfuß drüber laufen möchte, um mich von der sanften Ebene forttragen zu lassen.

Sie bewegt sich. Eine kleine Hummel hat sich kühn durch den offen wehenden Vorhang geschlängelt und schwirrt jetzt still um all die schattenhaften Wesen herum.

Ich beobachte sie. Hat sie sich verirrt? Ihre Flügel sind ganz ruhig. Aufrichtig.

Meine Hand streichelt liebevoll die Zartheit ihres Mundes, die feinen Linien ihres Halses, im Tranke meines Wahnsinns.

Ertrinken. In sie hineinkriechen. Sterbend. Viel zu schnell die alte Haut abgelegt. Gift.

Die Hummel setzt sich nieder auf meinen linken Knöchel. Ich lasse sie. Gewähre ihr Einblicke in die strömenden Venen und pulsierendedn Adern meines Lebens. Ein Leben, jung und noch in Blüte und doch schon mehr die Schwärze ausgemalt, als eine einzige Nacht verbergen mag.

Ihre Augen funkeln, necken und versinken. Doch verflucht. Verflucht. Sie ist da. Nicht greifbar. Ein hingehauchtes Wort, so dünn und kläglich, dass ich unsichtbar werde. Vor Glück.

Sonnenstrahlen spiegeln kleine fleckige Streifen auf den Körper der Hummel. Flügel schlagen, meine Blicke besiegend. Eingekuschelt in die Schwere, der Vorhang verfangen in meinem fliehenden Haar, ziehe ich Kreise und Bahnen. Auf dem Weg nach draußen dieser herrliche Duft, kostet meine Seele, bunt und rein.

Ich werde nicht mehr fortgehen. Grabe meine Hände tief in ihren Rücken, lache laut und schallend, alles dringt tief in mich hinein.

Ich bin frei. Ich bin fort. Sie ist da. Ihre grünen Augen. Frei. Verflucht. Sie ist fort. Alles rot.

Der Schlaf umarmt mich.

Du

Immer noch lästig. In deiner Erinnerung. Ohne Ende, ohne Fortsetzung. Ansätze, was nützen sie?

Aufgedunsen wie eine fette Henne. Bist gegangen. Hast gefickt, bist gegangen.

Die Uhr zeigt elf. Dein Handy vibriert, macht dir die Klänge des Realen, des Vergrabenen zu deutlich. Kannst es nicht leben, deine Welt, in dir.

Steckst das Handy wieder ein, achtlos. Schaust auf das Meer, die Sonne brennt die Lider schwer.

Füße im Sand, schlackst durch dich hindurch, reibt zwischen den Zehen. Kleine Steine pieksen dich.

Warme Haut.

Das Böse klopft an deine Schläfe. Du willst es nicht, wirfst es hinaus in die brechenden Wellen. Dort ist alles hell. Und rein. Schlammige Spuren kleiner Krabbeltierchen um dich herum, zuhause im schönsten davontreibendem Floße zu den ausgesandten dünnen Mondenfäden. Genau dort ist Vergessen.

Deine Hand zittert. Was mach ich nur, was mach ich nur? Du denkst immerzu, immerfort. Gedanken werden zu Gedankenstumpfen.

Mach uns keine Sorgen, haben sie gesagt. Sei frei! Und du küsstest dein Vibrieren in dir, dein verlorenes Flackern.

Möwen kreischen unerbittlich, stoßen sich immer wieder ab vom langen Steg, der voller Dreck ist. Der Fick war gut gewesen, mehr brauchst du nicht, setzen freudejuchzend an zum Landen, berühren leicht die sanften, weißen Schaumkronen mit ihren Flügelschlägen. Tauchen hinein. Du greifst dir deine mitgebrachte Sektflasche, wühlst in allerlei Sachen, kaust an den Fingernägeln. Sie sind ganz blutig. Böses Monster. Du. Deine kleine düstere Welt.

Der Sekt fließt kalt die Kehle runter, du ziehst an den Resten deines verkorksten Verstandes. Das Gras in der Lunge, der Rauch beißend in der Nase, bevor der Gleichmut dich davonträgt.

Lachen, Kichern, wo kommt das her? Du drehst dich um, gehst schwimmen. Wie gut es tut. Das Wasser kotzt alles aus. Kotzt aus die Einsamkeit. Kotzt aus die Angst. Kotzt aus die Schläge. Kotzt sich tot. Wie beruhigend.

Lebst du gewissenlos? Ohne Ecken, ohne Kanten? Unumkehrbar verbrannt in deiner gedemütigten Seele. Die Füße oft staubig. Ohne Mut. Die Schuhe dünn, abgewetzt vom vielen, angsterfülltem Umdrehen vor deinen Häschern. Nackt, begafft, entblößt. Jedesmal reißt deine Brust weiter auf. Oberflächlich die Gesichter. Du schweigst, wie so oft.

Die kalten Tropfen des Meeres hängen hungrig an dir, ziehen dich zurück. Dem Strom der Zeit gehässig widersetzend, lechzen sie nach dir und du liebkost sie liebevoll.

Du denkst an sie. Denkst an die braunen Augen, die kleinen Sommersprossen auf der Nase, die Verschmelzung mit deinem Blau der Angst. An ineinander geschmiegte Finger, die ungeniert durch Täler von Achtung und dem wundervoll gewollten Spiel aus Unzüchtigkeit und Hingabe streifen. Sie flüstert leise Worte in dein Ohr. Du erschauerst.

Stehst auf, gerade, mit durchgestrecktem Rücken, deine Haut bedeckt vom Mantel des tosenden, spiegelnden Himmels, und lächelst über den kleinen, unperfekten Riss in ihrer Unterlippe.

Frau Valentina

War sie nicht schön? Wie sie da so saß, im Garten, ganz hinten, das Gesicht umrahmt von kleinen, abgesetzten Sonnenflecken, die sich in den Baumwipfeln verfingen. Den Wind, den sie mitbrachte von ihren Reisen und die zerstreuten Pusteblumen um sie herum.

Sie war alles, was sich die Anderen wünschten. Im Anfang, am Ende, dazwischen. Graublaue Augen, Haare so rot und in sinnlichen Wellen, wie loderndes Feuer. Die blasse Haut filigran und atemberaubend. Die Menschen liebten sie. Liebten ihren grazilen Gang, das verschmitzte Lächeln, die Grübchen, die weißen und geraden Zähne, die Goldkette am Hals, dezent und unaufdringlich.

Frau Valentina beachtete nichts von all dem. In den Laken ihrer zahlreichen Liebhaber fand sie unbeständiges Glück, ohne Intimität.

Liebe. Ach, sie war ihr egal.

Im Alter von 12 Jahren malte sie überall ihre beiden Namen an die Zimmerwände, mit Herzen ausgemalte Träume. Sie hielten sich an den Händen, verstohlene Blicke hinter zugepressten Mündern.

Aber ewig, ewig hält nichts. Das lernte sie früh.

Siebzehn Jahre später träumte sie immer noch von ihm, er war längst fort, verlobt, ein Haus auf Raten, ein Baby, ein Garten, zwei Autos. Und sie vergessen. Der warme Druck auf ihrem Rücken, das Raunen. Fort.

Sie stand auf, ging zurück ins Haus, das Schloss schnappte lautlos zu. Vom Flur mit den marokkanischen Fliesen und den efeugetränkten, offenen Fenstern, in die helle, elfenbeinfarbende Küche.

Heute morgen hatte sie den Flieder etwas zurechtgezupft und ihn auf den Kachelofen in eine dunkelblaue Vase gestellt. Die alte Katze schlich ihr um die Beine, mit grauen, zitternden Schnurrbarthaaren, ach, meine liebe Velvet, dachte sie und eine Zeitung lag auf dem Tisch.

“Frau Valentina, Frau Valentina!”, schrie der kleine Junge ihrer Nachbarin unten, sie glaubte sich an den Namen Jamie zu erinnern, wie jeden Morgen und winkte ihr zu. Sie konnte ihn gut leiden, er hatte immer ein klein wenig den Schelm im Nacken.

Sie beugte sich dicht über die Zeitung, rückte ihre Brille zurecht, blies eine immer wieder ins Gesicht fallende, hartnäckige Strähne beiseite und kniff ihre altersschwachen Augen fest zusammen, so dass der helle Tag nur noch als winziger, enger Raum anmutete.

Da, der Kinoteil, dreiundzwanzigste Seite. In zwei Wochen würde ihr neuer Film erscheinen. Es ist ihr letzter. Unbewusst schiebt sie den Anker an ihrer Kette von links nach rechts und von rechts nach links, richtet sich wieder auf, öffnet den Tresenschrank für einen guten Tropfen roten Trockenweines. Nippt ein wenig, verliert sich.

Als sie 40 wurde, eiferten und strahlten ihr die zahlreichen Grammys und goldgerahmten Filmplakate wie perfekt eingefangene Momente entgegen. Perfekte Kleidung, perfekte Mimik, ein Lächeln hier, ein gut situierter Seufzer dort, ein höflicher Knicks morgen, perfekte Gesten, immer zur richtigen Zeit. Das Woanders interessierte sie nicht. Sie stieg in das Bett von Rick, von Brian, von Dennis, weiß Gott, wie sie alle hießen, und ließ sie tanzen, tanzen, bis der Nebel die Gedanken und Träume ganz klein machten und nichts übrig war, als ihr kehliges, champagnergetränktes Lachen.

Sie hielt die vornehme Pipette mit der qualmenden Minzzigarette in der rechten, ringgeschmückten Hand. Starrte an die Wand und legte den Kopf in den Nacken. Ihre Schreie waren über die Jahre leise geworden, niemand hörte ihr Flüstern. Wie weit musste sie noch gehen?

Zersprungen

Eigentlich war alles vorbei. Kein Gezeter und Gezerre mehr, das Grau grauer, die Flügelschläge verstummt, der See geheimnisvoll schön. Samtig, verlassen. Unberührt.

Er schließt die Augen, spürt die Wellen, die sein Körper hinterlassen werden. Ist dort drüben ein Ort, an dem die Zeit nicht gilt?