Lene sucht das Leben - Ann Summer - E-Book

Lene sucht das Leben E-Book

Ann Summer

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Beschreibung

"Lene sucht das Leben" - Eine Reise voller Liebe und Veränderung, gewürzt mit einer Prise Humor. Lene wird 40 und spürt, dass ihr Leben eine Veränderung braucht. Der Alltag mit ihrem arbeitenden und müden Ehemann Christoph ist öde. Doch als Elisa ihr ein Wellness-Wochenende schenkt, gerät Lenes Welt ins Wanken. Als sie sich allein auf die Reise begibt, trifft sie auf Isabell Hansen, eine Reporterin, die ihr Leben umkrempelt Mit neuer Aufgabe und gestärktem Selbstvertrauen bricht Lene aus ihrer Komfortzone aus. Doch während sie an Selbstvertrauen gewinnt, gerät ihre Ehe in Gefahr. Steht Lene vor einer Entscheidung, die ihr Leben für immer verändern könnte? Eine berührende Geschichte über Selbstfindung und die Macht der Liebe.

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Ann Summer

Lene sucht das Leben

Achtet euch und verliert nicht euch und eure Liebe

© Alle Rechte vorbehalten.

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen, Verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung auf DVDs, CD-ROMs, CDs, Videos, in weiteren elektronischen Systemen sowie für Internet-Plattformen.

© Parlez Verlag 2023,

ein Projekt der Bluecat Publishing GbR

Gneisenaustraße 64

10961 Berlin

www.parlez-verlag.de

ISBN: 978-3-863-270-82-7

Kapitel 1

Ich heiße Lene Müller und werde bald vierzig Jahre alt sein. Dreißig war schon so ein magisches Datum. Für mich jedenfalls. Aber vierzig…

Nach meiner Ausbildung zur Kosmetikerin hatte ich große Pläne. Auf ein Kreuzfahrtschiff wollte ich. Die Welt sehen, etwas erleben. Wie wäre mein Leben wohl verlaufen, wenn ich meinen Traum realisiert hätte? Welche interessanten Menschen hätte ich kennengelernt? Was hätte ich alles gesehen? Bekommt man eine zweite Chance in seinem Leben, um eine andere Richtung einschlagen zu können?

Nun, es war nicht so, dass mein Leben schon vorbei war. Oder dass ich es nicht gut und schön hätte. Es war einfach so, dass ich gefühlt zweimal in die Hände geklatscht hatte und schwupp war die Zeit weg. In zwei Wochen stand mein vierzigster Geburtstag ins Haus und ich dachte schon eine Weile über mein Leben nach.

Damals, mit neunzehn Jahren, Kleidergröße sechsunddreißig, einem schönen üppigen, wohlgeformten Busen und einem relativ flachen Bauch, hübschen blauen Augen, langem, blonden Haar, einem Schmollmund… Kurzum mit einer Figur, die mich zufrieden stellte und die ich zu dieser Zeit selbstbewusst betonte, ging ich also nicht meinem Traum nach, sondern begegnete der Liebe.

Und da ich immer schon Lebensweisheiten und Zitate liebte und sie auf mein Leben bezog, weil sie immer Wahrheiten enthalten, war es auch dieses Mal so. Die erste, große Liebe und mir fiel ein Zitat von Herrmann Hesse ein: Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne…

Christoph!

Wahnsinns blaue Augen, so strahlend wie funkelnde Saphire, die natürlich einen verwegenen dunkleren Ton bekamen, wenn die Leidenschaft ihn überkam…

Dazu dunkles langes Haar, männlich markante Gesichtszüge, einen sportlichen Körper und einen unglaublich erotischen schwarzen Gürtel in was weiß ich was für einer Kampfsportart. Aber er konnte mich verteidigen und nur darauf kam es an. Frau musste schließlich darauf achten, dass das Männchen fähig war, sein Weib und seine Brut zu verteidigen…

Ich jedenfalls konnte mich diesem Zauber nicht entziehen. Schmetterlinge im Bauch. Die Zeit nur mit ihm verbringen wollen. Nur an ihn zu denken, wenn wir nicht zusammen waren. Der Deckel für meinen Topf. Das Yin zu meinem Yan. Wir passten auf Anhieb zueinander, dass spürten wir beide sofort. Und aufs Schiff konnte ich doch auch später noch. Einen Job würde ich schon bekommen, aber ihn konnte ich nicht verlassen.

Ich entschied mich für Christoph. Wir wohnten beide noch in unseren Elternhäusern, hatten somit noch nicht so viele Verpflichtungen und genossen unser junges, noch freies Leben. Trafen uns mit Freunden, waren oft jeden Abend unterwegs, um dann zu ihm oder zu mir zu gehen.

Christoph beendete seine Lehre im Büro einer Speditionsfirma und wurde als Speditionskaufmann übernommen. Nun leisteten wir uns eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung. Unsere Eltern schenkten uns den größten Teil der Einrichtung und halfen uns mit Geschirr und Töpfen aus. Ich bekam einen Job als Halbtageskraft in einem Kosmetikinstitut in der nächstgrößeren Stadt. Es war ok…ich hatte kein hundertprozentig gutes Verhältnis zu meiner Chefin, Frau Overheu. Aber wer hatte das schon. Dafür verstand ich mich mit meiner neuen Kollegin Laura auf Anhieb.

Ich dachte auch in dieser Zeit noch manchmal darüber nach, meinen Traum doch noch zu verwirklichen. Und wieder war ich nicht mutig genug, es durchzuziehen. Außerdem wollte ich nicht wirklich verlassen, was ich gewohnt war. Lieber der Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Mmh… Aber Christoph. Ich liebte ihn über alles und das stand an erster Stelle. Alles andere würde sich schon ergeben. Was in aller Welt trieb mich immer wieder dazu, das aufgeben zu wollen?

Meine Entscheidung wurde mir abgenommen. Nach einigen Monaten eröffnete mir meine Kollegin Laura, die mittlerweile auch zu einer guten Freundin geworden war, die frohe Botschaft.

Es war Montagmorgen, wir wollten vor der ersten Kundin noch einen Kaffee trinken.

„Ich bin im dritten Monat“, flüsterte Laura. Ich starrte sie erstaunt an.

„Was?“ Mehr brachte ich nicht heraus.

„Ja, ich war doch am Freitag noch beim Arzt. Jetzt bin ich hundertprozentig sicher. Sag’s aber bitte niemandem. Ich geh heute nach Feierabend zu Frau Overheu. Oh, ich freu mich ja so!“

„Ja, das ist toll“, hörte ich mich mit monotoner Stimme sagen. Gott sei Dank konnte ich mich nicht im Spiegel sehen. Mein fassungsloser Gesichtsausdruck sprach bestimmt Bände. Und Laura. Die registrierte mich nicht und beschäftigte sich nur noch mit dem einen: ihr Baby. Sie nahm ihre Umgebung gar nicht mehr richtig wahr. Musste sie auch gar nicht und klar: Ich freute mich für sie. Das kam nur alles so plötzlich – für mich. Gedanken schossen mir durch den Kopf. Wir machten doch so viel zusammen. Gemeinsame Kinoabende, Quatschen ohne Männer – nur wir beide. Und der Job? Wie furchtbar würde die Zeit sein ohne Laura.

„Frau Müller! Ihre Kundin ist da.“ Frau Overheus energische Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Wenn die wüsste. Also auf ins Gefecht. Da war ich jedenfalls erst einmal abgelenkt.

Den ganzen Tag über gab es so viel zu tun, dass ich nicht dazu kam, Laura nochmal auf dieses Thema anzusprechen. Mir fiel ein, dass ich ihr gar nicht gratuliert hatte. Ich Egoist. Machte mir Gedanken nur um mich, anstatt um meine gute Freundin.

Kurz vor Feierabend, nachdem Laura ihre letzte Kundin verabschiedet hatte, sah sie mich mit glänzenden Augen an, lächelte etwas verhalten und machte sich auf den Weg zur Chefin. Ich war unsicher. Sollte ich auf sie warten? Nein. Ich hatte genug Neuigkeiten für heute. Ich zog meine Jacke an und ging.

Auf dem Nachhauseweg dachte ich über unsere zukünftige Beziehung nach. Veränderungen waren nun mal unausweichlich im Leben. Und schon Goethe sagte, das Leben gehört dem Lebendigen an, und wer lebt, muss auf Wechsel gefasst sein. Sonst wäre es langweilig. Es würde sich sicherlich einiges ändern. Im letzten Jahr hatte schon ein Pärchen aus unserem Bekanntenkreis ein Baby bekommen. Die beiden waren immer schon etwas abgehoben. Sie bekamen einen Jungen. Tilmann-Johannes. Namen sind eben auch Geschmackssache. Na ja, der Kleine war halt von Anfang an etwas Besonderes.

Nach der Geburt konnten die glücklichen Eltern natürlich nicht mehr zu unseren wöchentlichen Spieleabenden kommen. Und wenn man sich zufällig irgendwo traf, dann gab es nur ein Thema: Tilmann-Johannes. Tilmann-Johannes hat so starke Blähungen, er war die ganze letzte Nacht wach. Tilmann-Johannes hat Durchfall. Tilmann-Johannes hat sein erstes Gläschen Möhrenbrei bekommen. Sein Kaka war ganz orange.

Echt jetzt? Und sowas erzählten sie, ohne rot zu werden.

Ich dachte, wenn man im Leben neue Aufgaben bekommt, wächst man daran. Das konnte hier unmöglich der Fall sein. Sie waren so beschränkt auf dieses eine Thema. Sollte das so sein? Würde ich auch mal so werden und es nicht bemerken? Und Laura auch? Was würde aus unseren Quatsch-Abenden, wo wir uns gemütlich mit einem Gläschen Wein über Gott und die Welt unterhielten? In Zukunft wäre das begrenzt auf Windelwechsel, Babygeschrei und Durchfallanalysen.

Zu Hause erzählte ich Christoph nichts davon. Er hatte sowieso einen schlechten Tag im Büro und war nicht aufnahmebereit für meine Probleme. Ich bereitete das Abendbrot zu und er deckte den Tisch, während er noch immer über einen inkompetenten Arbeitskollegen meckerte, der wohl die Schuld an seiner schlechten Laune trug. Beim Essen beobachtete ich meinen Mann. Ich dachte plötzlich daran, wie es wäre, wenn wir ein Baby erwarten würden. Sollte das der Vater meiner Kinder sein? Huch. Was war das denn? Ich verwarf den Gedanken sofort wieder. Wir hatten doch noch Zeit.

Nach dem Essen reagierten wir uns ab. Mit Sex. Sex war immer gut, um den Kopf frei zu bekommen. Und dementsprechend warfen wir uns beide ins Zeug und der Erfolg gab uns recht. Ermattet und befriedigt schliefen wir in Löffelchenstellung ein.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war Christoph schon zur Arbeit gegangen. Beim Frühstück dachte ich darüber nach, wie Frau Overheu wohl auf Lauras Neuigkeit reagiert hatte. Würde sie eine neue Kollegin einstellen? Auch Laura war wie ich eine Halbtageskraft.

Oje. Über das ganze Grübeln hatte ich vollkommen die Zeit vergessen. Wenn ich mich beeilte, würde ich gerade so noch pünktlich erscheinen. Ausgerechnet heute. Ohne weiter nachzudenken, erledigte ich alles Nötige und verließ die Wohnung. Ich brauchte zwanzig Minuten, um mit meinem kleinen Auto zur Arbeit zu kommen. Zum Glück erwischte ich einen Parkplatz fast vor dem Geschäft. Ein gutes Zeichen. Oder?

Na ja, dann mal rein in die Höhle des Löwen, dachte ich bei mir und öffnete pünktlich wie immer die Tür. Ich war die erste an diesem Morgen. Laura fing erst am Mittag an. Frau Overheu war wohl noch bei der Bank, um Kleingeld zu holen. Ich machte mich an die allmorgendlichen Aufgaben. Licht in jeder Kabine anstellen, Duftöle aufstellen, Wellnessmusik laufen lassen, alles, was man zum Wohlfühlen und Entspannen brauchte.

Ich hatte noch etwas Zeit, bis meine erste Kundin kam, also machte ich mich daran, die Wäsche vom Vortag in die Waschmaschine zu befördern. Die Klingel der Ladentür war zu hören. Schnell zog ich meinen weißen Arbeitskittel über und ging nach vorne in den Verkaufsraum.

„Guten Morgen Frau Müller. Kommen Sie doch bitte gleich mal mit in mein Büro. Ich habe etwas mit Ihnen zu besprechen.“ Frau Overheu war eine sehr dominante Persönlichkeit, die keine Widerrede duldete. Man konnte in ihrem Institut zwar weitestgehend selbständig arbeiten, wenn aber die Verkaufszahlen nicht stimmten oder es Beschwerden seitens der Kunden gab, wurde man in ihr Büro zitiert und das endete meistens mit einem Tadel. Trotzdem versuchte ich mich mit ihrer Art zu arrangieren, ich war froh, überhaupt Arbeit zu haben.

„Stell dich nicht so an“, würde meine Mutter sagen. „Was dich nicht umbringt, macht dich härter!“ Womit enthüllt wurde, woher ich meine Vorliebe für Lebensweisheiten hatte.

Frau Overheu hatte inzwischen ihre Jacke an die Garderobe gehängt und hinter ihrem Schreibtisch Platz genommen.

„Kommen Sie ruhig herein und setzen sich. Es ist ja noch keine Kundin da“, sagte sie und bot mir den Stuhl vor ihrem Schreibtisch an. Meine Hände wurden etwas feucht und mein Puls war leicht beschleunigt. Was hatte ich falsch gemacht? Ich konnte mir nicht vorstellen, warum ich hier sonst saß.

„So Frau Müller, ach ich werde jetzt einfach mal Lene sagen. Also ich gehe davon aus, dass Laura Sie bereits von ihrem baldigen Kindersegen in Kenntnis gesetzt hat?“ Ich nickte bejahend.

„Gut. Dann also folgender Vorschlag: Da Sie beide Halbtagskräfte sind, ich aber momentan nicht die Nerven dafür habe, eine neue Kraft einzuarbeiten, biete ich Ihnen eine Ganztagsstelle an. Sie müssen sich nicht gleich entscheiden. Besprechen Sie das zu Hause, denken Sie darüber nach und teilen Sie mir bitte morgen Ihre Entscheidung mit.“

Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich nickte und sprach etwas zögerlich.

„Ja, natürlich, morgen.“

Das Läuten der Türglocke erlöste mich, sie kündigte meine Kundin an, eine der schwierigen Art. Ich brauchte meine ganze Konzentration, um Freifrau von Eblingen zufriedenzustellen. Sie war eine hochnäsige Adlige von und zu und eigentlich mit allem und jedem unzufrieden. Vor allem auch, weil sie heute nicht von der Chefin persönlich behandelt wurde, was ihrer Ansicht nach selbstverständlich war. Das ließ sie mich natürlich spüren und ich musste tief durchatmen und mich bemühen, trotzdem einen freundlichen Ton anzuschlagen. Nicht immer einfach. Augen zu und durch! Was einen nicht umbringt…

Freifrau von Eblingen war eine eindrucksvolle Erscheinung. Sie trug nur Designerkleidung, passend dazu ihre Designerschuhe, passend zu ihrer Designerhandtasche und natürlich durfte der Hut passend dazu nicht fehlen. Adel verpflichtet. Manchmal dachte ich, sie hätte keinen Spiegel und auch keine gute Freundin, die ihr aufzeigten, wie nahe sie dem Bild einer Vogelscheuche in ihren sündhaft teuren Klamotten gleichkam. Aber es musste eben immer das Beste und Teuerste sein und somit profitierte auch ich davon. Sie würde nach meiner Empfehlung sicherlich die teuerste Creme kaufen, was meinen Provisionsumsatz steigerte. Nachdem ich meiner exklusiven Kundin aus der Kleidung geholfen hatte, bettete ich sie auf die Behandlungsliege. Was sie dann von sich gab, zeugte davon, dass sie von Beruf kinderlose Ehefrau war, sich dafür aber um Putzfrau, Köchin und Gärtner kümmern musste. Und ihr Elend wurde noch schlimmer, als ich dachte Sie atmete mit einem tiefen Seufzer aus und klagte mir ihre schwierige momentane Situation: „Ich habe mir diese Auszeit bei Ihnen aber auch wirklich verdient. Heute müssen Sie sich besonders viel Mühe geben. Sie glauben gar nicht, was für einen Stress ich zu Hause habe. Und dann dieser Lärm dazu. Fürchterlich, hätte ich das vorher gewusst, dann wäre ich schon eine Woche früher in unser Sommerhaus gefahren.“

Um Gottes Willen, was war ihr nur Schlimmes geschehen? Ein Einbruch? Einer Party mit vierhundert Gästen? Was war der Auslöser für ihr schlechtes Befinden? So mitfühlend ich konnte fragte ich sie danach.

„Wir haben die Handwerker im Haus. Wir lassen unser Esszimmer renovieren. Wissen Sie, nach vier Jahren muss man einen Farbwechsel haben. Wir müssen nun schon die ganze Woche in dem kleinen Esszimmer dinieren. Welch eine Zumutung.“

Während sie weitererzählte, führte ich die Behandlung fort und dachte nur: diese bösen, bösen Handwerker!

„Diese groben Männer nehmen ja überhaupt keine Rücksicht. Morgens um halb neun stehen sie vor der Tür und sind so laut, dass ich fast aus dem Bett falle. Erst wollten sie schon um sieben Uhr anfangen, aber das hat mein Mann verhindern können. Stellen Sie sich das nur mal vor. Ich würde ja vollkommen um meinen Schönheitsschlaf gebracht werden. Und dann dieser Dreck. Furchtbar sag ich Ihnen. Ich habe meine Putzfrau angewiesen, immer gründlich hinter diesen Barbaren her zu putzen. Unzumutbar, dieser Stress.“

Ich lachte leise, aber intensiv in mich hinein. Und sah meine Chance gekommen.

„Das verstehe ich. Dann kommt für Sie die Behandlung heute ja gerade recht. Und ich muss wirklich sagen, die Behauptung, die Haut ist der Spiegel der Seele, trifft nun voll und ganz auf Sie zu, Frau von Eblingen. Der Stress der letzten Tage hat seine Spuren hinterlassen. Ich würde dann heute eine regenerierende Ampulle und eine Ultraschallbehandlung empfehlen. Natürlich mit vorheriger Dermabrasion.“

„Ja Kind. Tun Sie nur alles, was notwendig ist. Ich vertraue Ihnen da. Sie handeln ja im Sinne ihrer Chefin, von der ich eigentlich behandelt werden wollte. Aber Sie können das ja auch.“

Danke für die Blumen. Sie konnte es wirklich nicht lassen. War das eigentlich Absicht, oder merkte sie nicht einmal, dass es verletzend war, was sie so von sich gab?

Im weiteren Verlauf der Behandlung erzählte sie mir von ihrem bevorstehenden Urlaub in Kapstadt und ich beriet sie über die Sonnenpflege, die sie dort unbedingt benötigte. Zum Abschluss bekam Frau Freifrau ihr gewünschtes Make-up und schlüpfte wieder in ihr Vogelscheuchen-Outfit. Sie kaufte, was ich ihr empfohlen hatte, und gab mir ein üppiges Trinkgeld. Sie schaute auf die Uhr und verabschiedete sich schon wieder im Stress, da sie fast zu spät zu einer Verabredung zum Mittagessen beim Italiener kam. Die Tür fiel ins Schloss und ich atmete tief durch.

Geschafft. Überlebt. Kaffee.

Ich ging in den Aufenthaltsraum. Einen Moment Ruhe und sofort fiel es mir wieder ein: Ganztagsstelle. Bessere Bezahlung. Wir könnten uns eine größere Wohnung leisten. Auch verlockend, aber dann auch bindend. Oh, immer diese Entscheidungen. Was wäre, wenn…

Was würde aus meinem Traum werden. Konnte ich ihn noch weiter nach hinten verschieben? Würden dann nicht auch noch andere Begebenheiten mein Leben bestimmen. Größere Wohnung, Haus, Kinder. Und danach? Aber das Angebot einer Ganztagsstelle auszuschlagen für etwas, was nur in meiner Vorstellung existiert? Ich wüsste ja nicht einmal, ob ich es überhaupt soweit schaffen würde. Die Nachfrage nach diesem Job auf einem Schiff war sicherlich riesig. Und da waren sie wieder. Der Spatz und die Taube. Also manche Weisheiten waren aber auch zu blöd.

Also die Fakten sondieren. Positives und Negatives gegeneinander aufstellen. So schlecht war die Arbeit nicht, meistens machte sie mir Spaß. Es gab mehr Geld. Ich war mit meinem Schatz zusammen, mit meiner Familie und meinen Freunden. Auf der anderen Seite wollte ich etwas von der Welt sehen, einfach mal raus. Tja… also ich konnte ja erstmal die Stelle annehmen und dann immer noch…

Ich hörte die Glocke der Ladentür. Meine nächste Kundin war da. Meine Chefin hatte mir bis morgen Zeit gegeben. Ich würde es Christoph erzählen und mit ihm zusammen entscheiden. Obwohl ich eigentlich schon wusste, was er sagen würde. Als ein logisch denkender Mann zog er den Spatzen vor.

Kapitel 2

Natürlich stimmte Christoph zu, die Vollzeitstelle anzunehmen. Wir waren jung und brauchten das Geld. Wir wollten eine größere Wohnung, planten Urlaub irgendwo am Mittelmeer mit Sonnengarantie. Das wollte alles bezahlt werden.

Also nahm ich die Stelle an.

Wir gönnten uns einen kleinen Kredit, leisteten uns zuerst eine größere Drei-Zimmer-Wohnung und ein paar neue Möbel und dann den Urlaub im warmen Ägypten.

Es waren wunderschöne zehn Tage für Christoph. Ich zählte acht davon zu dieser Kategorie, die letzten zwei waren zum Kotzen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Brech-Durchfall beschränkte meinen Bewegungsradius auf Bett - Klo - Bett.

Bei der Abfahrt war ich noch etwas schwach auf den Beinen, aber fähig, die Heimreise ohne Tüte anzutreten. Die zwei Tage intensiver Magendarmentleerung hatten mir wirklich gereicht. Abgesehen von dem Nebeneffekt, dass meine Waage zu Hause zum ersten Mal nach einem Urlaub weniger anzeigte als davor.

Zu Hause angekommen, blieb mir zum Glück noch der Sonntag, um mich auf dem Sofa zu erholen. Am Montag stürzte ich mich voller Elan wieder in die Arbeitswelt.

Für ungefähr acht Wochen.

Ich hatte zu viel um die Ohren, mit der Vollzeitstelle, der neuen Wohnung, dass mir nicht auffiel, dass meine Regel ausgeblieben war.

Ups.

Acht Wochen nach unserem Urlaub stand ich morgens auf und rannte sofort zum Klo, um mich in aller Ausgiebigkeit von meiner Gallenflüssigkeit zu verabschieden. Mehr hatte mein Magen nicht zu geben. Er war ja noch leer.

Oh nein. Nicht schon wieder eine Magendarmgrippe. Doch dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen.

Eine einfache Gleichung! Scheiße!

Ich meldete mich krank und ging sofort zum Gynäkologen, um Gewissheit zu haben.

„Herzlichen Glückwunsch. Sie sind in der achten Woche.“ Mit einem warmen Lächeln übergab der Arzt mir das Ultraschallbild, während ich mich bemühte, dass mir meine Gesichtszüge nicht allzu sehr entglitten.

Tausend Gedanken gingen mir auf dem Nachhauseweg durch den Kopf. Aber ich wusste nicht mehr, wie ich dorthin gekommen war. Auf einmal stand ich vor unserer Wohnung. Ich ging hinein, setzte mich aufs Sofa und wartete auf Christoph. Unfähig mich weiter zu bewegen, geschweige denn, irgendeinen vernünftigen Gedanken zu fassen. Als Christoph schließlich nach Hause kam und mich erblickte, stürmte er besorgt auf mich zu.

„Lene. Was ist los mit dir? Sag was!“

Ich sah ihn sekundenlang an, dann platzte es einfach aus mir heraus.

„Ich bin schwanger!“

Christoph wurde sichtbar blass, sagte erstmal nichts und plumpste neben mir aufs Sofa. Eine Weile saßen wir so da und schwiegen uns an. Dann drehte Christoph sich zu mir und nahm mein Gesicht in seine Hände. Er blickte mir direkt in die Augen als er anfing zu sprechen.

„Wir kriegen das hin, Schatz.“ Diese paar Worte, gesprochen mit solch einer Überzeugung in der Stimme, dass ich ihm jedes einzelne voll und ganz abnahm. Ich nahm ihn mit tränenden Augen in den Arm.

Zuletzt hatte sich seine Überzeugung bewahrheitet. Schließlich saß ich jetzt hier, auf meinem Sofa, zwei Wochen vor meinem vierzigsten Geburtstag und ließ mein Leben Revue passieren.

Also bestimmte das Schicksal unser Leben und nicht ich. Ich hatte mal ein Zitat von Homer gelesen, das besagt: Aber der Mensch entwirft und Zeus vollendet es anders. Toll! Nachdem ich so lange mit mir gerungen hatte, die Vollzeitstelle anzunehmen, war ich sie genauso schnell auch wieder los. Aber ich wurde vollkommen dafür entschädigt. Wir bekamen unser Kind. Zwei Monate, nachdem wir standesamtlich geheiratet hatten.

Unser Sohn Lukas kam ohne besondere Vorkommnisse, völlig komplikationslos, wie mein Mann immer wieder gerne betonte, auf die Welt. Er musste es ja wissen, schließlich war er bei der Geburt dabei und hatte alles hautnah miterlebt.

Männer…

Ohne Job konnte ich mich nun voll und ganz den Belangen und dem Wohlergehen meiner kleinen Familie widmen.

Christoph stieg in der Firma auf und verdiente genug Geld, sodass wir sogar daran denken konnten, uns ein kleines Häuschen zu bauen. Was wir dann auch taten. Zwei Jahre nach Lukas Geburt zogen wir in das vorstädtische Idyll mit großem Garten ein. Vorschriftsmäßig meldeten wir unseren Sohn im nahegelegenen Kindergarten an.

Kaum hatte ich etwas Luft zum Durchatmen, während er sich im Kindergarten seine Zeit vertrieb, mit dem erstem Englischkurs malträtiert wurde und just gerade dem ewig feuchten Windelpopo entwachsen war, da wurde ich wieder schwanger.

Naja, so unerwartet kam es dann doch nicht. Wir waren uns durchaus bewusst, welche Verhütungsmethoden auf dem Markt kursierten, ohne Hormone schlucken zu müssen. Wir wollten sowieso nicht so viele Jahre zwischen den Kindern verstreichen lassen.

Kira wurde geboren. Ein wahres Prachtexemplar. Schon im Mutterleib hatte sie mit ihren ständigen Schluckauf Attacken ihre Präsenz unterstrichen. Aber als sie geboren wurde, übertraf sie alles. War ich durch meinen Sohn völlig verwöhnt gewesen, er schlief ständig und früh durch lächelte immer und überall. So sollte ich jetzt erfahren, was es wirklich hieß, ein Baby zu haben.

Kira schrie, bevor sie die Augen aufhatte und hörte erst wieder auf, als ihr die Flasche den Mund verschloss. Sie hatte ein volles halbes Jahr Dauerblähungen. Das hieß, sie Tag und Nacht mit dicken Ringen unter den Augen Bauch kraulend durch die Gegend zu tragen. Meistens tat das ich, weil Christoph zur Arbeit musste. Es gab viele volle Windeln, deren Inhalt durch die viele Luft im Bauch in intensiven Pupsen bis zum Nacken katapultiert wurde. Auch für diese Reinigung war ich zuständig. Mein Mann hatte es zwar versucht, bekam aber, sobald er die Windel geöffnet hatte und den ersten Atemzug in Verbindung mit Blickkontakt hatte, einen so starken Brechreiz, dass er kein zweites Mal Luft holen schaffte. Er rief nach mir und rannte ins Bad, wo er sich unter merkwürdigen Röchellauten, die ich in dieser Verbindung noch nicht von ihm gehört hatte, übergab.

Auch das Füttern unserer liebreizenden Tochter übernahm ich. Sie saugte gierig an der Flasche, als würde es kein Morgen mehr geben. Durch diese schnelle Nahrungsaufnahme überforderte sie wahrscheinlich ihren Magen und beim Bäuerchen kam dann die Hälfte wieder heraus. Das obligatorische Tuch über der Schulter saugte den größten Teil der Milch auf, doch dieses säuerliche Bukett legte sich wie ein Hauch auf meinen Pulli. Diese ganzen, aneinanderreihenden Tatsachen, der übermüdeten, ständig Baby tragenden, leicht nach säuerlich Erbrochenen duftenden Hausfrau und Mutter ließ meine Rolle als begehrenswerte Geliebte etwas in den Hintergrund treten. Für Christoph sicherlich genauso wie für mich. So vermutete ich jedenfalls. Denn durch diese erwähnten Anforderungen an mich spürte ich kein so intensives Verlangen nach Sex.

Trotz allem war da eine große Liebe für meine kleine Familie. Und die half mir, alles zu meistern. Bei meinen Kleinen tat ich jeden Abend immer, was H. Jackson Brown Jr. schrieb: „Gib deinen Kindern einen Gute-Nacht-Kuss, auch wenn sie schon eingeschlafen sind.“

Das Leben zog dahin. Christoph verdiente gutes Geld, ich kümmerte mich um die Familienbelange. In dieser Zeit hatte ich gar nicht die Muße dafür, überhaupt daran zu denken, dass ich irgendetwas im Leben anders hätte machen können oder etwas verpasste. Mein Tag war vollkommen ausgefüllt. Morgens die Kinder fertig machen. Der eine will dies nicht anziehen, die andere will keine Zähne putzen. Kaffee kochen, Frühstück zubereiten. Christoph wecken. Gesundes Frühstück für die Kinder zubereiten und verpacken. Lukas pünktlich für die Schule fertig machen. Kira in den Kindergarten bringen. Einkaufen. Wohnung putzen. Wäsche waschen. Mittagessen vorbereiten. Kira aus dem Kindergarten abholen. Zuhause auf Lukas warten. Essen, grundsätzlich immer mit dem Kommentar: „Das mag ich heute nicht. Ich will Nudeln.“ Drüber hinweghören. Schularbeiten machen. Verabredungen für die Kinder treffen oder zum Fußballtraining fahren. Kinder abholen. Abendessen machen. Bettfertig machen. Selber mit brennenden Füßen ins Bett fallen wollen. Da kam Christoph schon zur Tür herein. Er hatte wieder einen langen, anstrengenden Tag gehabt.

„Was gibt’s zu essen? Ich hatte wieder einen beschissenen Tag. Was hast du so gemacht?“

Dicke Augen bei dieser Aussage! Ich hörte mir seine Probleme an, während ich ihm sein Abendessen kredenzte. Als er fertig war, stand er auf, dankte mir mit einem Kuss auf die Wange und begab sich zum Fernseher. Mist… ich brauchte gar nicht versuchen ihn zum Kuscheln oder zu mehr zu animieren, bei seiner Stimmung. Ich wusste nicht, wie es bei ihm war, vielleicht sollte ich ihn einfach mal fragen, ob er den Kopf auch mal wieder „frei bekommen“ wollte? Denn bei mir machte sich doch mal seit kurzem so ein Kribbeln im unteren Teil meines Körpers breit. Obwohl…