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Besondere Momente in zwischenmenschlichen Begegnungen leuchten auf gleich Leoniden am Novemberhimmel. Dann gestalten Menschen gemeinsame Projekte, die erfreuen und zum Nachdenken anregen. Dieses Buch ist ein solches Projekt, das die Hamburger Künstlerin Marion Intzen-Schiff und die Berliner Schriftstellerin Rea Gorgon in Zusammenarbeit erstellt haben. Hier inspirieren die Kunstwerke und lassen Geschichten, Essays und Gedichte entstehen.
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Seitenzahl: 69
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PROLOG - DIALOG als GESCHENK
KLANG - MENSCHENHÖRGANG
NACHTTRAUM - TAGTRAUM
GRENZSCHLAF - STERBEN
ALLEE - BETRACHTUNG
WEG - BALANCE
SPIEGELWAND - DU
HIMMELSGEISTER - SCHÖPFUNG
ZAUBERER - STERNE
ZÜNDELNDER GEDANKE - ZEITENWENDE
SELBST - IDENTITÄT
ELEFANT - EIN TIERGESICHT
GEBURT - FREIHEIT
WOLKENFRAU - STURM
TROTZ ALLEDEM - HÖHLENGEDANKEN - HÖHLENTANZ
LISTE der ZEICHNUNGEN
AUTORINNEN
In gelingenden Begegnungen entsteht etwas Neues. Kleine Schöpfungsakte, die wundersam vom Himmel zu fallen scheinen. Doch jede Neuschöpfung, jede neue Gestaltung bedeutet ebenso Arbeit, die im Ringen um Ausdruck auch von Freude an der Kreativität begleitet wird. In diesem Sinne ist in unserer Begegnung Neues entstanden, das als Kunstbuch hier vorliegt.
Wir trafen uns als Fremde zufällig in einem Herbst an der Nordsee, hielten kurze Momente inne, wechselten langsame Worte und zeigten uns gegenseitig Photos unserer bereits gemalten Bilder: ein Sternschnuppenmoment, aus dem die Idee hervorging, ein gemeinsames Kunstwerk zu gestalten.
Nach dieser kurzen Begegnung sahen wir uns lange Monate nicht mehr. In diese visuelle Lücke schickte mir Marion Schiff ihre bereits gestalteten Kunstwerke per Email und mit der Post. Auch unsere Telefonate nahmen zu und wurden zu kontinuierlichen Gesprächen, in denen sich schöpferisches Vertrauen entwickelte.
Aus meiner Betrachtung ihres künstlerischen Ausdrucks, den ich in mich aufnahm, lösten sich langsame Worte, die Formen annahmen in Texten, Geschichten und Gedichten. So entstanden in dieser Begegnung neue Worte als Antwort auf ihre Bilder. Diese Text-Antworten ergaben sich der Phantasie. Hier wurde das Bild nicht als Text erfunden. Es erfolgte keine interpretierende Ergänzung des Bildes durch Buchstaben. Durch diese Inspiration und mein Verweilen bei ihr entstand ein eigener Text, eine eigenständige Kreation. Ein wahres Geschenk, das geschah. Doch was ist dieses Geschenk. Eine der Begegnung entstiegene Gabe. Das kostenfreie Produkt einer nachhaltigen Investition von Vertrauen.
In unserem Fall war somit nicht das Wort am Anfang, sondern das Bild, nicht das Bild, sondern die persönliche Begegnung. Erst durch sie gestaltete sich am Bild das Wort.
Doch wer schenkt das Geschenk. Wer formt die Begegnung. Eine der Öffnung entstiegene Bewegung, die Weiteres und auch „Menschliches, Allzumenschliches“ zutage förderte. Denn eine wahrhaftige und wirkliche Begegnung lebt nicht allein von schöpferischer Harmonie, sondern auch von unverstandenen Differenzen und schmerzlichen Entfernungen. Mögen sie auch noch so groß sein und lange anhalten, ist doch jederzeit eine Umkehr, eine Richtungsänderung möglich. Auch dies geschah zwischen uns.
In meiner anhaltenden Begegnung mit Marion Schiff ist sie mir im Laufe unserer langsamen Zeit der Zusammenarbeit zur Freundin geworden. In meiner Einlassung auf ihren künstlerischen Ausdruck und auch ihre Person war es mir möglich, ihre Kunst mit der meinigen kommunizieren zu lassen.
Auch wenn Kunstwerke sich oftmals selbst zu genügen scheinen, suchen sie sich doch immer wieder den Weg zu ihren Betrachterinnen und Betrachtern, die trotz unserer medien- und arbeitsschnellen Zeit innezuhalten vermögen, um eine Verbindung herzustellen zu dem, was vor das Auge fällt.
Manchmal sieht das Auge ein Bild, hört das Ohr ein Wort, erblickt der Mensch eine Sternschnuppe, die in klaren Novembernächten vom Himmel fällt: Leoniden aus der Dunkelheit, die am Himmel aufblitzen und wieder vergehen, wie alles Materielle der Veränderung unterworfen ist.
Doch manchmal bleiben immaterielle Eindrücke zurück, sucht Erlebtes erneut seinen fortgesetzten Ausdruck in der Kunst, im Wort, im Bild, in der Begegnung, die Menschen gestaltet zwischen Geburt und Tod.
In diesem Sinne entstand der vorliegende Bild-Wort-Band als Produkt einer gelungenen Begegnung zwischen Marion Schiff und Rea Gorgon.
Dieser gelungenen Begegnung, diesem Geschenk der Kreativität, gelang es, nach Jahren des Stillstands zwischen Marion Schiff und Rea Gorgon, das in der Ruhe gereifte Kunstwerk gemeinsam so zu gestalten, dass es nun endlich dem Buchmarkt und seinen Leserinnen und Lesern, allen Betrachtenden zur Verfügung steht.
Wie das gesamte Werk keiner hemmenden Reglementierung von außen unterworfen war, sondern sich frei entfalten konnte, ist nun der letzte Schritt der Buchgestaltung getan: In den Formaten von Buch und Ebook ist es nun allen Interessierten zugänglich. Unsere schöpferische Kreation in Wort, Bild und Begegnung kann nun als „Geschenk“ seinen weiteren Weg gehen. Vielleicht gelingt es, für andere Menschen Inspiration, Kommunikation, Anregung, Dialog und Geschenk zu sein. Dies würde uns freuen.
Wer ein Geschenk erhält, bedankt sich. Dies haben wir alle sinnvoller Weise gelernt. So bedanken wir uns bei allen Menschen, die auch nur in der geringsten Art und Weise am Geschehen unserer Kreativität Anteil haben, und auch uns selbst, die wir diesem nicht immer gradlinigen Lebensprozess treu geblieben sind.
Wir bedanken uns bei diesem Leben, das immer wieder neue Möglichkeiten der Lebendigkeit und Beweglichkeit bietet und alles, wirklich alles bereit hält zwischen Freude und Leid, Inspiration und Stillstand, gemeinsamen Zeiten und solchen der Trennung, zwischen Weggehen und Wiederkommen, Anfang und Ende, Lebendigkeit und Lähmung. Sterben und Leben.
Mögen Sie sich dem Leben, seiner Lebendigkeit, Kreativität und Inspiration zuwenden.
Im Mai 2017
Hamburg und Berlin
Marion Intzen-Schiff
Rea Gorgon
Seht da – der Mensch – ein Sinnenwesen im Zeitalter doppelgebündelter Rationalität. Das Ohr – ein Grenzorgan an der Schwelle des Leibes, verdeckt, versteckt, eine Muschel, eine Schnecke, gefellte Trommel, hörender Nerv, Gehörgänge und Bogengänge, Paukenhöhle und Rachenraum, Schaltzentren und Impulsleiter.
Wir sehen das Ohr, die Muschel, die aufnimmt vom Außen, der Welten laute und auch leise Töne. Hier dringen gute und böse und gar keine Worte in den Leib, ein Durchgang für Wahrheit und Lüge, für Trost und Schmerz und auch für die feinsten Wellen des Schweigens.
Doch was Worte und Wellen, was Musik und Autolärm, Sirenen und Regenströme, Stürme und Kirchenglocken, Schreie und Schweigen im inneren Ohr, das in den Leib gebettet, selbst Leib, bewirken, ist dem nächsten Ohr nur hörbar, wenn sich der Mund zur Resonanz öffnet.
So vermag der Mensch die Ohren so weit zu öffnen, dass er die leisesten Klänge aus dem fernsten Winkel des Raumes vernimmt, oder auch das Ohr zu verstopfen, wenn die Augen wegschauen vom Geschehen, das die Leiber der Nächsten bedroht oder das eigene Fleisch aus dem trägen Schlummer erwecken will. Wer weiß schon, wie Hörlaute sich in Fleisch und Knochen wellen. Wer kennt schon die Einverleibung des Wortgeistes, der ins Ohr sich drängt.
Angenehme Laute, durchs Ohr getanzt, eine Ohrweide, die das Hirn weitet, das Herz erfreut, Leber und Nieren der Entgiftungsarbeit enthebt und den Menschen in der Nacht in einen himmlischen Schlaf niederlegt. Hier ruht das Ohr im Menschen und der Mensch legt sich vertrauensvoll ins eigene Ohr und in den Mund des Nächsten, der Verlässlichkeit hält.
So der Mensch die Heerscharen von Lauten verdauen und verarbeiten kann, wird sich das Ohr öffnen, um zu hören. Doch die Schmerzklappen der Augen werden auch über das Ohr gelegt, ein Pfropfen im Hörgang, der sich des Nachts und auch am Tag gegen Nachrichten und Informationen stemmt, um der Lautwelt Einhalt zu gebieten.
So berichtet mir eine Freundin ihr jüngstes Unvermögen, Nachrichten zu hören, die sich in ihrer Sintflut global gebärden und sie überschwemmen gleich Wassermassen ohne Auffangbecken. Doch auch die anhaltenden Sozial- und Gesundheitsnachrichten aus dem eigenen kleinen Land schmerzen bereits vor der Ohrmuschel.
So muss das erwerbslose Ohr hören, dass es faul sei und nicht arbeiten wolle und auch, dass es unsozial sei. Es hört die Worte von Politikern, die den öffentlichen Druck auf Erwerbslose schneller steigern wollen und darauf drängen, dass nun endlich zwischen Faulen und Schwachen statistisch unterschieden wird. Jedoch: Wer soll dies wie beurteilen? Wer überprüft die sortierenden Interessen ihres Geistes, deren Wahrnehmungen sich an gut gepolsterten Einkommen nähren?
Wehe dem feingliedrigen Hörzentrum, das die Hinter- und Zwischentöne wahrnimmt und an die Nerven weiterleitet. Denn das Ohr hört fast täglich von Firmenfusionen und Massenentlassungen, von Haushaltsverschlankungen und millionenfacher Arbeitslosigkeit, die sich nicht senken will, für die keine gewinnsüchtige Turbo-Wirtschaft, nicht eine wirtschaftsdominierte Politik verantwortlich gemacht wird, auch kein technologischer Fortschritt und nicht staatliche Institutionen, die arbeiten wollende Menschen auf den Hungerlohn der Straße setzen; es sind die Arbeitslosen, die Faulen, die Trägen, die Nutznießer. Laut atmet der neue Sündenbock ins Ohr, der in die Wüste der Armut getrieben wird.