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Diese Anthologie beinhaltet die Beiträge zum Live-Programm der Lesebühne Minden im Jahr 2019. Wir nehmen Sie mit auf eine Zeitreise. Aber damit meinen wir nicht nur den Blick in Vergangenheit und Zukunft. Nein, wir werfen auch einen Blick in wichtige Zeitfenster. Heitere und nachdenkliche Geschichten gehören genauso zu diesem Buch, wie wunderschöne Gedichte.
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Seitenzahl: 35
Die Zeit, unsere Zeit, ist wohl eines der kostbarsten Güter, die wir Menschen besitzen. Gleichwohl ist sie ein schwer zu beschreibendes, kaum zu fassendes Phänomen. Die Zeit kann man nicht riechen und nicht schmecken. Und man kann sie nur indirekt hören und sehen. Aber jeder Mensch fühlt sie irgendwie. Und zwar ganz unterschiedlich. Nicht nur unterschiedlich von Mensch zu Mensch, sondern jeder Mensch in unterschiedlichen Situationen ganz verschieden. Mal rast sie förmlich dahin, mal scheint sie sich endlos zu dehnen.
Wohl auch deshalb haben Generationen von Wissenschaftlern, Philosophen, Künstlern, und sogenannten Universalgenies versucht, ihr Wesen zu ergründen und zu definieren.
Früher waren Bezugswissenschaften die Biologie oder Astronomie - die Zeit wurde zwischen zwei Sonnenaufgängen, zwischen Aussaat und Ernte und ähnlichen für das Überleben wichtigen Intervallen gemessen. Man orientierte sich an Perioden wie Mondphasen, Jahreszeiten und Lebenszyklen, dem Umlauf der Gestirne usw. Man hörte auf die innere Uhr. Fast alle Lebewesen, bis hin zum Einzeller, besitzen eine biologische innere Uhr, die sich mit dem Tag-Nacht-Wechsel und anderen natürlichen Zyklen synchronisiert. Auch der Mensch verfügt über diese innere Uhr - Millionen geplagter Schichtarbeiter arbeiten heutzutage gegen den Rhythmus ihrer inneren Uhr an.
Früher bestimmte also nicht die Uhr, sondern natürlich gegebene Bedingungen oder das Wetter den Terminplan. Mit den Hühnern wurde schlafen gegangen und mit dem ersten Hahnenschrei ist man aufgewacht. Die Natur war von Gott geschaffen und so haben außer der Natur nur kirchliche Rituale wie die Kirchenglocken den Tag strukturiert.
Aber wir Menschen wollten die Zeit genauer messen. Dazu brauchte man Instrumente – die Uhr war die wichtigste Erfindung. Mit der großflächigen Einführung von Uhren wurden die Handlungen der Menschen kalkulierbar und kontrollierbar - je präziser die Instrumente zur Zeitmessung wurden, desto pünktlicher, desto zeitgenauer mussten die Menschen ihre Tätigkeiten ausrichten. Spätestens mit der Notwendigkeit, funktionierende Fahrpläne für die Eisenbahn zu erstellen, wurden die verschiedenen Ortszeiten zum Problem. Man erfand die Zonenzeit, es kam die Weltzeituhr.
‚Gott gab den Europäern die Uhr und den Afrikanern die Zeit‘. Dieses afrikanische Sprichwort verdeutlicht recht anschaulich, dass Tage, Stunden oder Minuten Maßeinheiten sind, die je nach Kultur verschieden wahrgenommen oder eingeschätzt werden und mit denen unterschiedlich umgegangen wird.
In den kapitalistisch und kommerziell geprägten Gesellschaften rund um den Globus wird die Zeit heutzutage in Geld gemessen: „Zeit ist Geld“.
Das Bestreben, immer mehr Geld in immer weniger Zeit zu verdienen, beherrscht heute das gesellschaftliche Leben dieser Länder, auch unseres Landes. Die Beschleunigung ist leider Grundmaxime fast aller Lebensbereiche. Durch Dampfmaschine, Eisenbahn, Auto und Flugzeug sind wir schneller geworden und reicher – um den Preis von mehr Zeitdruck und Zeitnot. Diese sind Hauptursachen für den heute vielfach empfundenen Stress.
Immer schneller, immer schneller - das neue Beschleunigungsmittel heißt „Gleichzeitigkeit“ - wer drei Dinge gleichzeitig macht, kann mehr Geld verdienen, mehr erleben und mehr erledigen. Die Hausfrau bügelt, hört sich dabei ein Hörbuch an und beaufsichtigt gleichzeitig die Kinder. Im Büro liest man E-Mails, während man gleichzeitig auf Handy und Festnetz telefoniert oder chattet. Die heutige Generation wird angeleitet, fortwährend etwas zu tun, um etwas „wert“ zu sein - die Wertvorstellungen haben sich also ebenfalls geändert im Laufe der Zeit.
Statt die uns zur Verfügung stehende „Freizeit“ für unser Glück zu nutzen, fühlen wir uns nur allzu oft gefangen in der Leistungsfalle der Arbeitszeit, leiden unter Hektik oder Angst. Jetlag, Burnout und Flow sind Begriffe, die erst in jüngerer Zeit in unserem Vokabular auftauchen.
Die sogenannten sozialen Medien verlangen von uns eine ständige Präsenz, 24h am Tag, 7 Tage die Woche. Das hat uns der Fortschritt gebracht. Aber gehen wir noch einmal an den Anfang meines Vortrags zurück:
Unser menschliches Zeitkonto wird nur einmal gefüllt. Wie wir mit diesem Konto umgehen, ist alleine unsere Sache. Tun wir dies selbstbestimmt, oder werden wir getrieben? Vergeuden wir unsere Zeit? Manchmal oder häufiger? Oder geben wir unserer Zeit den Wert, der ihr zusteht?
Mit dieser Frage und zwei Aussagen über die Zeit, die von berühmten Persönlichkeiten stammen, möchte ich meinen kurzen Vortrag über die Zeit schließen, denn ich möchte Ihre kostbare Zeit nicht über Gebühr in Anspruch nehmen.
Von Lucius Annaeus Seneca stammt der folgende Ausdruck:
Es ist nicht wenig Zeit, die wir zur Verfügung haben, sondern es ist viel Zeit, die wir nicht nutzen.