Letzte Fahrt - Robert Falcon Scott - E-Book

Letzte Fahrt E-Book

Robert Falcon Scott

4,6

Beschreibung

"Wären wir am Leben geblieben, ich hätte eine Geschichte erzählen müssen von Kühnheit, Ausdauer und vom Mut meiner Gefährten, die das Herz jedes Briten gerührthätte." R.F. ScottRobert Falcon Scott ging als tragische Gestalt in die Geschichte der großen Entdecker ein: 35 Tage nachseinem norwegischen Konkurrenten Roald Amundsen erreichte er am 16. Januar 1912 den Südpol undfand auf dem strapaziösen Rückweg in die englische Heimat zusammen mit seinen vier Kameradenin den eisigen Temperaturen der Antarktis den Tod. Der Nachwelt hinterließ er nur das Tagebuch, daser während der Expedition führte.Im Gegensatz zu den Aufzeichnungen anderer Forschungsreisender ist dieses Tagebuch weit mehr als das wissenschaftliche Dokument der einzelnen Entdeckungen und Beobachtungen eines leidenschaftlichen Forschers. Es ist die tragische und berührende Autobiographie eines Menschen, der angesichts von Enttäuschung, Hunger und Kälte mit großem Mut und Willenskraft für sich und seine Kameraden einsteht und sein Schicksal am Ende ohne Reue annehmen kann.

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Über den Autor

Robert Falcon Scott (1868-1912) unternimmt als britischer Marineoffizier zwei Expeditionen zum Südpol. Die erste scheitert an der mangelhaften Vorbereitung auf das Überleben unter antarktischen Bedingungen und muss vorzeitig abgebrochen werden. Bei der zweiten erreicht er zwar den Südpol, kehrt aber nicht lebend nach England zurück. Erst acht Monate nach seinem Tod wird Scotts Leiche gefunden — zusammen mit seinem Tagebuch, einem wissenschaftlichen und menschlichen Zeugnis von Rang, mit dem er auf tragische Weise in die Geschichte eingeht.

Zum Buch

„Wären wir am Leben geblieben, ich hätte eine Geschichte erzählen müssen von Kühnheit, Ausdauer und vom Mut meiner Gefährten, die das Herz jedes Briten gerührt hätte.“ R.F. Scott

Als der britische Marineoffizier und Polarforscher Robert Falcon Scott am 1. Juni 1910 von London zu seiner Südpolexpedition aufbricht, ahnt er nicht, dass es seine letzte Reise sein wird. Zwar erreichen er und seine Kameraden den Südpol, allerdings erst 35 Tage nach ihrem norwegischen Konkurrenten, dem Polarforscher Roald Amundsen. Noch heute geht uns das Ausmaß an Enttäuschung nahe, das aus den Zeilen spricht, die der Brite seinem Tagebuch an jenem schicksalhaften 16. Januar 1912 anvertraut. Dieses Tagebuch ist nicht allein ein wissenschaftliches Forschungsdokument. Es hat auch einen ästhetischen Wert, denn es zeichnet in eindringlicher Weise die Autobiographie eines Mannes nach, der mit großem Mut und Willenskraft einem tragischen Schicksal trotzt.

ALTE ABENTEUERLICHE REISEBERICHTE

Robert Falcon Scott

Letzte Fahrt

Kapitän Scotts TagebuchTragödie am Südpol

Herausgegeben von Ernst Bartsch

Mit 18 Abbildungen und einer Karte

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

Es ist nicht gestattet, Abbildungen und Texte dieses Buches zu scannen, in PCs oder auf CDs zu speichern oder mit Computern zu verändern oder einzeln oder zusammen mit anderen Bildvorlagen zu manipulieren, es sei denn mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Alle Rechte vorbehalten

copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2012

Der Text wurde behutsam revidiert nach der Edition Erdmann-Ausgabe

Stuttgart 1997

Lektorat: Dietmar Urmes, Bottrop

Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH, nach der Gestaltung

von Nele Schütz Design, München

Bildnachweis: Lager beim „Drei-Grade-Depot“

eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

ISBN: 978-3-8438-0016-7

www.marixverlag.de

Inhalt

Teilnehmer an Scotts Südpolarexpedition 1910–1912

Offiziere

Wissenschaftlicher Stab

Mannschaft

Scotts Tagebuch

Unheilvolle Ausfahrt

Im Packeis gefangen

Auf der Suche nach einem Winterquartier

Die Landung an Kap Evans

Einzug ins Winterquartier

Abschied von der »Terra Nova«

Erster Vorstoß nach Süden: Das Ein-Tonnen-Depot

Mit den Hunden in einer Eisspalte

Eine furchtbare Nacht

Einstweilen in Sicherheit

Das Leben auf der Hüttenspitze

Zurück über das Eis nach Kap Evans

Zum Entsatz nach der Hüttenspitze

Stille Winterarbeit

Eine moderne Polarstation

Universitas Antarctica

Mittwinterfest

Abenteuer bei Kap Evans

Erfahrungen und Vorbereitungen

Rückkehr der Sonne

Fertige Reisepläne

Ein Ausflug nach dem Ferrargletscher

Unglückswochen

Die ersten Automobile auf der Eisbarriere

Aufbruch zum Südpol

Motordefekte

Hoffnungen und Befürchtungen

Auflösung der Motorabteilung

Zusammenbruch der Ponys

Ein verhängnisvoller Aufenthalt

Auf dem Beardmoregletscher

Der Marsch über die Höhe

Rückkehr der zweiten Abteilung

Geradewegs zum Pol

Am Ziel – Eine niederschmetternde Enttäuschung

Rückkehr vom Pol

Glücklich zum Rande des Polplateaus

Der Tod im Lager

Die letzten Märsche

Ein Heldenopfer

Das Ende

Abschiedsbriefe

Botschaft an die Öffentlichkeit

Nachwort

Teilnehmer an ScottsSüdpolarexpedition 1910–1912

Offiziere

Robert Falcon Scott Kapitän, C. V. O., Royal Navy

Edward R. G. R. Evans Kapitän (während der Expedition: Leutnant),

R. N. Victor L. A. Campbell Leutnant, R. N.

Henry R. Bowers Leutnant, R. I. M.

Lawrence E. G. Oates Rittmeister, 6. Inniskilling-Dragoner

G. Murray Levick Arzt, R. N.

Edward L. Atkinson Arzt, R. N., Parasitologe

Wissenschaftlicher Stab

Edward Adrian Wilson B. A., M. B., Chef des Wissenschaftlichen Stabes, Zoologe

George C. Simpson D. Sc., Meteorologe

T. Griffith Taylor B. A., B. Sc., B. E., Geologe

Edward W. Nelson Biologe

Frank Debenham B. A., B. Sc., Geologe

Charles S. Wright B. A., Physiker

Raymond E. Priestley Geologe

Herbert G. Ponting F. R. G. S., Fotograf

Cecil H. Meares Führer der Hundeabteilung

Bernard C. Day Ingenieur

Apsley Cherry-Garrard B. A., Zoologe

Tryggve Gran Unterleutnant der Norweg. Flotte, B. A.

Mannschaft

W. Lashly Oberheizer, R. N.

W. W. Archer Obersteward, früher R. N.

Thomas Clissold Koch, früher R. N.

Edgar Evans

Robert Forde

Thomas Crean

Thomas S. Williamson

Patrick Keohane

George P. Abbott

Frank V. Browning Deckoffiziere, R. N.

Harry Dickason Matrose, R. N.

F. J. Hooper Steward, früher R. N.

Anton Omelchenko Pferdebursche

Dimitri Gerof Hundetreiber

Scotts Tagebuch

Unheilvolle Ausfahrt

Die »Terra Nova« hatte am 1. Juni 1910 mit meiner Expedition an Bord London verlassen, und ich folgte ihr am 16. Juli nach Neuseeland. Als das Schiff in Lyttelton, dem Hafen der Stadt Christchurch auf der Südinsel von Neuseeland, anlangte, zeigte es ein Leck und musste auf drei Wochen ins Dock.

Wir hatten unsere Abfahrt für Sonnabend, den 26. November, nachmittags 3 Uhr angekündigt, und drei Minuten vor dieser Zeit legte die »Terra Nova« vom Hafendamm ab. Eine große Volksmenge hatte sich am Ufer versammelt, und unzählige kleine Boote und zwei Schleppdampfer begleiteten unser Schiff hinaus, sodass unser Fotograf Ponting mit seinen kinematografischen Aufnahmen alle Hände voll zu tun hatte.

Ich fuhr mit hinaus, bis wir die »Cambrian«, das einzige anwesende englische Kriegsschiff, passiert hatten, kehrte dann auf dem Hafendampfer wieder zurück, da noch einige Geschäfte in Christchurch zu erledigen waren, und bestieg am Montag mit Dr. Wilson, dem Leiter des wissenschaftlichen Stabes meiner Expedition, den Schnellzug nach Port Chalmers, wo wir an Bord gehen wollten. Ein Telegramm hatte mir gemeldet, dass die »Terra Nova« Sonntagnacht dort eingelaufen sei.

Dienstag, 29. November, nachmittags ½ 3, verließen wir bei strahlendem Sonnenschein den Kai zur endgültigen Abfahrt nach Süden. Womöglich begleiteten uns noch mehr Fahrzeuge als in Lyttelton, und mit dem Reservekanonenboot der Freiwilligen Flotte folgten uns mehrere Schlepper weit hinaus.

Donnerstag, 1. Dezember. Das Schiff stampfte gestern sehr infolge südwestlicher Dünung. Über Nacht wurde der Wind stärker, ich erwachte von der Bewegung; jetzt bläst er steif aus Nordwesten, und die See geht hoch. Unter diesen Umständen bietet das Schiff einen seltsam bunten, nicht gerade erfreulichen Anblick. Der Raum unter uns ist dank der Geschicklichkeit unseres Proviantmeisters Leutnant Bowers so dicht vollgepackt, wie es menschliche Geschicklichkeit nur ersinnen kann, und auf Deck ist’s kaum anders. Der Raum unter der Großluke enthält alle Vorräte für unsere Landung und einen Teil der Hütten; über ihm auf dem Hauptdeck sind der Rest des Holzwerkes für die Hütten, die Schlitten, die Ausrüstung für die Landreise und alle Instrumente und Maschinen für die Männer der Wissenschaft wundervoll gedrängt verpackt. Das beengt zwar den Platz der Leute sehr, aber sie haben selbst gebeten, auf sie keine Rücksicht zu nehmen; sie würden sich schon behelfen.

Unter der Back sind Stände für fünfzehn meiner mandschurischen Ponys, das Äußerste, was der Raum fassen konnte. Sieben auf der einen Seite, acht auf der anderen, die Köpfe einander zugewandt. Durch ein Loch im Schott sieht man die Reihe der Pferdeköpfe mit traurigen, geduldigen Augen emporschaukeln, jetzt die von der Steuerbordseite, dann die auf der Backbordseite, und dazwischen Anton, den Wärter, mit der Bewegung des Schiffes einträchtig hin und her schwanken. Die wochenlange Fahrt wird eine schlimme Probe für die armen Tiere sein und sie sehr herunterbringen. Der übrige Raum der Back ist mit 5000 Kilo Futter dicht vollgepackt, und dazwischen haust der immer achtsame Anton, der russische Pferdeknecht, der arg an Seekrankheit leidet. Trotzdem rauchte er gestern Abend eine Zigarre; er rauchte immer ein wenig, dann kam eine Pause, wo sich sein Magen umkehrte, darauf griff er wieder zu seiner Zigarre. »Nicht gut!«, klagte er Rittmeister Oates, indem er sich den Magen rieb. Ein tapferer kleiner Kerl!

Die vier übrigen Ponys stehen außerhalb der Back auf der Leeseite der Vorluke in einem starken hölzernen Bau. Unter ihrem wasserdichten Segeltuchdach haben sie es jedenfalls besser als ihre fünfzehn Kameraden.

Unmittelbar hinter dem Schott der Back ist die kleine Achterluke, bei schlechtem Wetter der einzige Zugang zur Mannschaftsmesse. Dann kommt der Fockmast, und zwischen ihm und der Vorluke die Kombüse und der Kran. Hinter der Vorluke ist das Eishaus, das drei Tonnen Eis, 162 geschlachtete Hammel und drei Rinder nebst einigen Büchsen Kalbsmilch und Nieren enthält. Die geschlachteten Tiere sind lagenweise, mit Holzlatten zwischen den einzelnen Lagen, verstaut – ein Triumph guter Verpackung, und ich denke, dass uns den Winter hindurch frisches Hammelfleisch verbürgt ist.

Unmittelbar hinter dem Eishaus und zu beiden Seiten der Großluke stehen zwei ungeheure Packkisten, die sich mehrere Zentimeter hoch über dem Deck erheben und schrecklich viel Platz wegnehmen, jede mehr als 9 Kubikmeter; sie enthalten zwei Motorschlitten. Der dritte ruht quer über der Hinterdecköffnung, da, wo bisher die Achterwinde war. Die Kisten sind mit kräftigem Segeltuch überdeckt und mit schweren Ketten und Tauen festgemacht, damit sie unter allen Umständen sicher sind. Das Petroleum zu diesen Schlitten enthalten Blechkannen und -fässer, die in starke Holzkisten verpackt sind, im Ganzen 2 ½ Tonnen Öl, das den Raum unmittelbar vor dem Hinterdeck und den Motorschlitten gegenüber arg beeinträchtigt. Der Rest der Behälter mit Petroleum, Paraffinöl und Alkohol steht zwischen der Großluke und dem Fockmast und längs der beiden Kühlgänge.

Um diese Packkisten herum, von der Kombüse nach vorn bis an das Steuerbord achteraus, steht das Deck voll aufgestapelter Kohlensäcke, die aber bald verschwinden werden, denn die »Terra Nova« frisst entsetzlich viel Kohlen: wie mir schon gestern gemeldet wurde, acht Tonnen am Tag!

Die Wasserbehälter sind mit Pressheu gefüllt, bis auf einen, der 12 Tonnen Süßwasser enthält; genug hoffentlich, bis wir das Eis erreichen. Ich hatte ursprünglich nur 30 Tonnen gepresstes Haferstroh bestellt, aber Oates überzeugte mich, dass dies zu wenig sei, und unser Ponyfutter macht daher jetzt im Ganzen gegen 50 Tonnen aus. Das Extrafutter besteht aus 5 Tonnen Heu, 5 bis 6 Tonnen Ölkuchen, 4 bis 5 Tonnen Kleie und etwas Haferschrot. Korn nehmen wir nicht mit.

Die anscheinende Verwirrung auf Deck vervollständigen unsere dreiunddreißig Hunde; sie sind, zwei ausgenommen, sibirischen Ursprungs; Meares hat sie ausgesucht und mithilfe des Hundeführers Dimitri Gerof quer durch Sibirien nach Wladiwostok getrieben, von wo er sie per Dampfer nach Sydney und von da nach Lyttelton brachte. Sie sind, was bei der Wildheit der Tiere unbedingt nötig ist, zwischen den Motorschlitten an den Pfosten und Riegeln des Eishauses und der Großluke angekettet und haben allen Schutz, der sich auf Deck bieten lässt, aber ihre Lage ist nicht beneidenswert. Die Wellen brechen sich unaufhörlich an der Wetterseite des Schiffes und das Spritzwasser regnet auf alles, was sich auf das Mitteldeck wagt, in dichten Wolken herunter. Die Schwänze diesem Regen zugekehrt, sitzen die Hunde trübselig umher, ihre Decken triefen und ab und zu lässt eins der Tiere ein wehmütiges Winseln hören. Ihre Nahrung, ungefähr 5 Tonnen Hundekuchen, haben wir in die Lücken zwischen dem Gepäck eingekeilt; Meares ist nicht dafür, die Hunde mit Seehundfleisch zu füttern, während ich das, im Winter wenigstens, für besser halte.

Wie wir es fertigbringen, an unserem Kajütentisch für vierundzwanzig Offiziere Platz zu finden, ist mir noch unerklärlich. Meist sind zwar einer oder zwei auf Wache, was die Sache erleichtert, aber es ist trotzdem ein heilloses Gedränge.

Die »Terra Nova« ist mit Matrosen so gut besetzt, dass jede Wache ihrer neun zählt, und Meares und Oates haben ihre Gehilfen zur Beaufsichtigung der Hunde und der Ponys. Die Seekrankheit zeigt sich am stärksten bei dem Geologen Priestley, aber auch unser Fotograf Ponting will vom Essen nichts sehen, sondern bleibt bei seiner Arbeit; gestern sah ich ihn beim Entwickeln seiner Platten, die Schüssel zum Entwickeln in der rechten Hand – ein anderes Gefäß in der linken.

Heute haben wir 350 Kilometer zurückgelegt, ein guter Anfang.

Freitag, 2. Dezember. Ein großer Unglückstag! Um 4 Uhr nachts frischte der Wind mit großer Heftigkeit auf, und wir waren bald nur noch unter Mars-, Klüver- und Stagsegel. Die See ging plötzlich hoch, das Schiff stampfte schwer und nahm über die Reling viel Wasser ein. Petroleumbehälter und Futterkisten begannen sich auf dem oberen Deck zu lösen, die Kohlensäcke wurden von den Sturzseen hochgehoben, gegen die angeseilten Kisten geworfen und drohten sie zu zertrümmern. Alle Säcke mussten woanders verstaut werden, was eine ungeheure Arbeit machte. Von Stunde zu Stunde wurden Seegang und Wind stärker und das Schiff stampfte immer wütender; wir minderten die Segel bis auf das große Marssegel und das Stagsegel, stoppten die Maschinen und drehten bei, aber nichts half. Oates und unser Arzt Atkinson hatten die ganze Nacht zu tun, die Ponys auf den Beinen zu halten oder wieder aufzurichten.

Das Schlimmste aber sollte noch kommen: die Meldung aus dem Maschinenraum, dass die Pumpen verstopft seien und das Wasser schon über den Feuerungsrost steige! Von diesem Augenblick an war der Maschinenraum der Mittelpunkt der allgemeinen Aufregung. Lashly stand bis an den Hals in strömendem Wasser und arbeitete unverdrossen und heiter, um die Ansauger der Pumpen zu reinigen. Aber das Wasser stieg immer höher, und wenn auch hin und wieder die Pumpen ansogen, in fünf Minuten waren sie wieder verstopft. Höher und höher kroch das Wasser, zuletzt kam es mit dem Kessel in Berührung, wurde wärmer und wärmer und dann so heiß, dass keiner mehr an den Ansaugern arbeiten konnte und nichts übrig blieb, als das Feuer ausgehen zu lassen.

Die See ging höher als je; wie viel Wasser wir einnahmen, war gar nicht festzustellen, ein grüner Strom rollte über Reling und Achterdeck und ein großes Stück des Geländers wurde von den Sturzwellen fortgerissen. Die Petroleumfässer trieben auf dem Deck umher und einige wurden über Bord geschwemmt. Die Sodpumpe, die von der Hauptmaschine unabhängig ist, half uns auch nicht, denn vorn, wo sie stand, fegten immer die schwersten Sturzseen über die Reling und rauschten hoch über das Achterdeck hinweg; einmal stand ich bis unter die Arme im Wasser. Die Szene auf Deck wurde immer düsterer und im Maschinenraum strömte das Wasser beängstigend. Und mitten hinein in diese Verwirrung plötzlich der furchtbare Ruf, dass durch die Ritzen des Achterraums Rauch emporsteige! Der Achterraum war mit Kohlen angefüllt und lag unmittelbar neben dem Maschinenraum, und das auf Deck stehende Wasser machte ein Öffnen der Luke zum Herauslassen sich entwickelnder Gase unmöglich. Und doch wäre, um das Feuer zu unterdrücken, keine andere Hilfe gewesen, als die Luken zu öffnen, die Sturzseen hineinfluten zu lassen und so das Schiff zum Sinken zu bringen. Es waren furchtbare Augenblicke, ehe wir die Gewissheit hatten, dass der Rauch in Wirklichkeit nur Dampf war von dem im Maschinenraum befindlichen Schlagwasser, das bis in die erhitzten Kohlen gestiegen war.

Die vierundzwanzig Mann Achterwache bildeten zwei Reihen und begannen nun mit den Schöpfeimern zu arbeiten, während die Matrosen an den verstopften Handpumpen beschäftigt waren. Wenn wir auf diese Weise nicht Herr des Wassers wurden, waren das Schiff und wir alle verloren! So sonderbar es erscheinen mag, wir mussten versuchen, es auszuschöpfen. Und unsere Anstrengung blieb nicht ganz fruchtlos. Vier Stunden lang gingen die Schöpfeimer von Hand zu Hand, vom untersten Feuerraum auf kleinen Eisenleitern nach dem obersten Deck hinauf, zusammen mit dem Tröpfeln der Pumpen, und wenn das Wasser auch nicht sank, so stieg es doch nur noch sehr wenig.

Unterdes kommen wir auf ein Mittel, um an das Saugwerk der Pumpen zu gelangen: Wir schlagen ein Loch in das Schott des Maschinenraumes, die Kohlen zwischen diesem und dem Wasserschacht der Pumpen werden entfernt und ein Loch in den Schacht gebrochen. Den Lukendeckel über dem Schacht können wir nicht öffnen, da zu viel Wasser an Bord kommt. Wir sind zwar noch nicht über den Berg, aber ich fasse wieder Mut, wenn auch unsere Rettung ein halbes Wunder sein wird. Offiziere und Matrosen arbeiten verzweifelt, aber sie singen dabei Matrosenlieder und keiner hat den Mut verloren.

Ein Hund ist ertrunken, ein Pony ist tot und zwei andere werden auch nicht mehr lange mitmachen. Der Sturm fordert schweren Tribut von uns, aber wenn wir nur des Wassers Herr werden, wird schon alles gut. Noch ein Hund, höre ich, ist eben über Bord geschwemmt worden – o weh!

Gott sei Dank, der Sturm nimmt ab! Die See geht zwar noch bergehoch, aber das Schiff hält sich schon besser. Ich flehe zu Gott, dass wir vor Morgengrauen wieder unter Segel sein möchten!

Sonnabend, 3. Dezember. Gestern Abend nahm der Wind langsam ab, und die Schöpfarbeit wurde mit zweistündiger Ablösung ununterbrochen fortgesetzt. Es war eine unheimliche Nachtarbeit, bei dem heulenden Sturm, der Dunkelheit, den alle paar Minuten über das Schiff hinrollenden ungeheuren Sturzseen, ohne Maschinen und ohne Segel, die Männer der Wissenschaft zum Teil unten im Maschinenraum, schwarz vom Maschinenöl und Schlagwasser, die überlaufenden Eimer weitergebend, ohne Rücksicht auf die Köpfe der Tieferstehenden; dabei nass bis auf die Haut, so nass, dass einige es vorzogen, nackt wie chinesische Kulis zu arbeiten, während die anderen in Trikotjacken, Schifferhosen und Seestiefeln hantierten. Alle zwei Stunden eilten die Abgelösten in ihre Koje, um dort im Regenrock eingewickelt zu ruhen; aber nach zwei Stunden wurden sie wieder geweckt, schlüpften in das triefend nasse Zeug und eilten wieder an die Arbeit. Und sie blieben Sieger: Das Hin- und Herrauschen der Wellen auf dem Boden des Maschinenraumes bei dem trüben Licht zweier Petroleumlampen wurde von Stunde zu Stunde geringer. Um 10 Uhr abends war das Loch im Schott des Maschinenraumes gebrochen – Leutnant Evans kletterte über die Kohlen hinüber und fand seinen Weg zu dem Pumpenschacht und in ihn hinein. Bald hatte er den Ansauger gereinigt, und mit Freudenrufen wurde der erste tüchtige Wasserstrahl aus der Pumpe begrüßt. Von diesem Augenblick an waren wir gerettet. Alle Mann mussten nun abwechselnd an der Pumpe arbeiten, und obwohl sie sich noch mehrere Male wieder verstopfte, sank das Wasser im Maschinenraum gleichmäßig, und heute Morgen konnte man sich wieder darin aufhalten. Am Vormittag wurde wieder geheizt, die Ventile sind gereinigt und jetzt segeln und dampfen wir bereits wieder in bester Ordnung südwärts, zwei Striche von unserem Kurs. Mit einem Schlag sind wieder alle voller Hoffnung, die gestern Abend noch, wie sie mir heute gestanden, im Stillen an unserer Rettung verzweifelten.

Unser Verlust ist nicht so groß, wie ich befürchtete, aber doch immer ernst genug. Abgesehen von der Zertrümmerung der Reling, haben wir zwei Ponys, nur einen Hund, 300 Liter Petroleum, 10 Tonnen Kohlen und einen Spiritusbehälter des Biologen eingebüßt. Das dritte Pony hat sich wieder erholt; es sieht ein wenig steifbeinig aus, wird aber wohl durchkommen, wenn wir keinen neuen Sturm bekommen. Osman, unser bester Schlittenhund, war heute früh sehr elend.

See und Wind scheinen wieder stark zu werden und wir haben schwere, südliche Dünung.

Montag, 5. Dezember. 56° 40’ südlicher Breite. Wir haben noch immer Dünung aus Südwest, wenn auch nicht mehr so heftig wie gestern, aber ich wünsche von Herzen, dass sie endlich ganz aufhören möge, und ich bete, dass keine Stürme mehr kommen! Auch die vier Ponys an der Backbordseite sind von dem furchtbaren Wetter sehr mitgenommen und es hängt so viel, ja alles von gutem Wetter ab.

Dienstag, 6. Dezember. Die Dünung hat weiter abgenommen und wir kommen bei ruhigem Wetter tüchtig weiter. Ich bin hauptsächlich der Tiere wegen dafür aufrichtig dankbar. Noch ein Tag und wir sind aus dem Bereich der Weststürme heraus.

Mittwoch, 7. Dezember. 61° 22’ südlicher Breite, 179° 56’ westlicher Länge. Ein scharfer Südwestwind trieb uns drei Striche aus unserem Kurs heraus, aber die See blieb ruhig, ein Zeichen, dass das Eis nicht mehr fern ist. Am Nachmittag betrug die Luft- und Wassertemperatur 1 Grad Celsius und ein günstiger Wind hat uns wieder in unseren Kurs hineingetrieben. Viele Vögel umflattern das Schiff; die ersten Eissturmvögel und die ersten Raubmöwen erscheinen und gestern Abend zeigten sich Delfine in der Nähe; dunkle, finster blickende Albatrosse und Seeschwalben begegnen uns unaufhörlich.

Nach dem Sturm hatte das Hauptdeck unter dem Packraum, wo die Ponys untergestellt sind, ein böses Leck, und der Stallschmutz tropfte auf Hängematten und Bettstücke, ohne dass einer von der Mannschaft ein Wort darüber gesagt hätte. Mit Segeltuch und Ölleinwand suchten sie sich die Plage vom Leib zu halten; es war schon sowieso im Mannschaftsraum ungemütlich genug. Alles war durcheinandergeworfen, allenthalben hatte das Wasser seinen Weg dorthin gefunden, dabei Mangel an Luft, die nur durch die kleine Vorluke hereinkam, kein Tageslicht, sondern nur Lampenlicht, das allerhand Scherereien machte, die Männer alle nass bis auf die Haut, ohne Gelegenheit ihr Zeug zu trocknen – kurz, ihre fröhliche Standhaftigkeit ist geradezu bewundernswert.

Gestern Abend trieb weit hinten im Westen der erste Eisberg vorüber und glänzte hin und wieder auf, wenn die Sonne aus den Wolken hervortrat.

Donnerstag, 8. Dezember. Der Wind wuchs über Nacht zu einem mäßigen Sturm an, und heute haben wir den ganzen Tag hindurch gegen eine steife Brise und hohen Seegang anstampfen müssen. Am Abend hielten wir ein wenig ostwärts von unserem Kurs und konnten so wenigstens Vorder- und Achtersegel gefüllt bekommen. Aber dieser Gegenwind stellt meine Geduld sehr auf die Probe, zumal unser Kohlenverbrauch größer ist, als ich berechnet hatte.

Das Stampfen und Schlingern des Schiffes störte mich die ganze Nacht hindurch, und bei jedem Stoß musste ich an die armen Ponys denken. Wie lange mögen sie wohl die Erinnerung an diese entsetzlichen Tage bewahren? Die Hunde sind wieder obenauf; für sie ist die Nässe das Schlimmste. Sie hätte uns beinahe unseren besten Leithund Osman gekostet. Er lag nach dem letzten Sturm so erschöpft da, dass er kaum noch ein wenig zitterte und sein Leben an einem Haar zu hängen schien. Er wurde in Heu warm eingepackt und lag so vierundzwanzig Stunden ohne Nahrung, die er beharrlich zurückwies; dann aber zeigte sich die wunderbare Zähigkeit seiner Rasse: Er war hinterher wieder so kräftig wie zuvor.

Freitag, 9. Dezember. 65° 8’ südlicher Breite, 177° 41’ westlicher Länge. Heute früh 6 Uhr wurden Eisberge und Packeis gemeldet; anfangs glaubte ich, das Packeis bestehe nur aus Bruchstücken der Berge, aber dann fuhren wir in einen Eisstrom von kleinen, abgezehrten Eistafeln hinein, die nicht mehr als 60 bis 90 Zentimeter dick waren. Wir steuerten deshalb nach Süden und Westen und konnten im offenen Wasser ziemlich geraden Kurs halten, obgleich wir fünf oder sechs weitere Eisströme durchquerten, von denen keiner mehr als 300 Meter breit war.

Wir fuhren heute an mehreren schönen, meist tafelförmigen Eisbergen vorüber, deren Höhe bis zu 25 Metern ging. Einer kam so dicht heran, als ob er gefilmt werden wollte, und schien ziemlich frisch gekalbt zu sein. Zwischen den oberen Teilen des Eisbergs und den unteren war eine Verschiedenheit des Ursprungs deutlich erkennbar, als ob ein Landgletscher von einer Lage periodischen Schnees nach der anderen bedeckt worden sei. Zwischen diesen waagerechten Schichten harten, weißen Firnschnees zeigten sich eingesprengte Lagen aus blauem Eis.

Ein anderer Eisberg zeichnete sich durch unzählige senkrechte Risse aus, die kreuz und quer liefen, sodass die einzelnen Klötze sich willkürlich bogen und formten, wodurch der ganze Berg ein überaus zerfetztes Aussehen erhielt.

Wir beobachteten in diesen Tagen zahlreiche Walfische von der Art der Riesenwale (Balaenoptera Sibbaldi), die als die größten Säugetiere gelten. Zuerst sieht man einen kleinen dunklen Höcker auftauchen, und gleich darauf spritzt eine Fontäne grauen Nebels ungefähr zwei Meter hoch senkrecht in die kalte Luft empor. Wilson ist mehrmals von diesen Wasserstrahlen erreicht worden; sie hinterlassen einen Übelkeit erregenden Geruch nach ranzigem Öl. Dann verlängert sich der Höcker und empor wälzt sich ein ungeheuer großer, schwarzgrauer runder Rücken mit einem schwachen Wulst längs des Rückgrates, auf dem eine kleine hakenähnliche Rückenflosse erscheint. Dann verschwindet das Tier wieder in der Tiefe. Auch Vögel zeigen sich, antarktische Sturmschwalben, ein Eissturmvogel und heute Morgen Kaptauben.

Es ist ganz unerklärlich, dass das Packeis uns so viel nördlicher begegnet, als wir erwartet haben. Wir haben den Tag über gute Fortschritte gemacht, aber am Abend verdichten sich die Eisströme zu beiden Seiten des Schiffes mehr und mehr, und das Packeis zeigt sich in bedenklich großen Feldern. Noch immer begegnen uns viele Eisberge, teils tafelförmig, teils fantastisch zernagt. Der Abendhimmel war wundervoll, mit jeder möglichen Wolkenform und mit jeder Art Licht und Schatten; die Sonne trat von Zeit zu Zeit aus den Wolkenlücken hervor und beleuchtete mit blendendem Glanz irgendein Eisfeld, einen steil abfallenden Eisberg oder ein Fleckchen blauer See, und Sonnenlicht und Schatten jagten sich beständig über unsere Bahn, die das Schiff auf glattem Kiel und gleichmäßig durchstrich, nur hin und wieder poltern treibende Eisschollen dagegen.

Sollte das Packeis dick werden, so lasse ich das Feuer unter den Kesseln ausgehen und warte, bis sich das Eis wieder öffnet. Lange kann es auf diesem Meridian nicht geschlossen bleiben.

Sonnabend, 10. Dezember. Ich blieb gestern Abend bis Mitternacht auf Deck. Die Sonne tauchte gerade unter den südlichen Horizont; der Nordhimmel flammte in prachtvollem Rosa und spiegelte sich in der ruhigen See zwischen dem Eis wider, während das Eis in allen Farben spielte. Eisberge und Packeis zeigten nach Norden hin einen blassen, grünlichen Farbton mit tiefen, purpurroten Schatten, während die Farbe des Himmels zwischen safrangelb und blassgrün wechselte.

Der heutige Morgen fand uns so ziemlich am Ende des offenen Wassers und wir schafften von einem Eisfeld acht Tonnen Eis herauf. Leutnant Rennick lotete 3585 Meter Tiefe und das Lot brachte zwei Stückchen vulkanischer Lava herauf. Unser Biologe Nelson fing mit einem vertikalen Schleppnetz einige Krustentiere und anderes und nahm eine Wasserprobe und Temperaturen aus 400 Metern Tiefe. Wilson schoss antarktische Sturmvögel und schneeweiße Sturmschwalben.

Eisberg

Gegen ½ 2 kamen wir durch leichtes Packeis, dann aber tiefer in alte, dicke Felder hinein, die sich um einen großen Eisberg gruppierten. Wir machten schleunigst kehrt, um einen anderen Weg einzuschlagen, aber je weiter wir nach Süden vordrangen, desto dicker wurde das Packeis.

Um 3 Uhr stoppten wir und schossen vier Krabbenfresserrobben, deren Leber zum Abendessen vorzüglich schmeckte.

Heute Nacht stecken wir in dichtem Packeis, es lohnt sich kaum der Mühe, weiter vorzudringen! Zwar lässt ein bogenförmiges Stück klaren Himmels, das sich den ganzen Tag im Süden zeigte, auf offenes Wasser in jener Richtung schließen. Vielleicht ist das offene Wasser nur 40 Kilometer entfernt – aber 40 Kilometer wollen in unserer augenblicklichen Lage sehr viel besagen!

Im Packeis gefangen

Sonntag, 11. Dezember 1910. Das Eis schloss sich während der Nacht enger zusammen und um 6 Uhr erschien jeder Versuch, vorwärts zu kommen, aussichtslos; wir ließen also das Feuer ausgehen. Die Eisfelder sind fast einen Meter dick, sehr fest und eng aneinandergedrängt. Die Fläche, die dieses Eis jetzt einnimmt, ist viel größer als zu der Zeit, wo es noch eine einzige Tafel bildete. Wenn also das Ross-Meer im Frühling ganz zugefroren ist, muss die Masse des aus ihm stammenden Packeises im Norden ungeheuer sein. Jedenfalls kommt das Eis um uns aus dem Ross-Meer, nur ist das Fehlen von Pressungen unerklärlich.

Am Abend liefen die Matrosen auf Schneeschuhen übers Eis und genossen diese herrliche Körperbewegung ausgiebig.

Montag, 12. Dezember. Das Packeis war heute Morgen etwas lockerer und eine lang gezogene Dünung deutlich bemerkbar. Oates, Bowers und Gran begaben sich auf Schneeschuhen nach einer angeblichen Insel, die sich aber, wie ich gleich vermutet hatte, als ein seltsam kuppenförmiger Eisberg mit niedrigen Klippen ringsum herausstellte.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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