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Für immer gibt es nicht Es hätte ihre große Liebesgeschichte sein sollen, aber einer von ihnen ist tot: Als ein kompromittierendes Video auf Instagram die geheime Beziehung zwischen Dylan und Ellis aufdeckt, muss der schüchterne Nerd Dylan sich outen. Nur wenig später haben die beiden einen Autounfall – ausgerechnet, als Dylan Ellis zur Rede stellt, warum er sich eine ganze, schreckliche Woche vor ihm zurückgezogen und jeden Kontakt abgebrochen hat. Als Dylan im Krankenhaus aufwacht, stellt er schockiert fest, dass sein Retter Ellis dem Tod überlassen hat. Er schwört sich, die Gründe dafür herauszufinden. Durch das Eintauchen in Ellis dunkle Vergangenheit wird ihm klar, wie wenig er über seine große Liebe wusste …
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Seitenzahl: 382
Es hätte ihre große Liebesgeschichte sein sollen, aber einer von ihnen ist tot.
Monatelang haben Dylan und Ellis sich heimlich getroffen, sich heimlich geliebt, weil Dylan es nicht gewagt hat, sich zu outen – nicht in seiner spießigen Heimatstadt Ferrivale. Doch dann taucht ein kompromittierendes Video auf Instagram auf. Nur wenig später haben die beiden einen Autounfall. Als Dylan entdeckt, dass sein Retter Ellis dem Tod überlassen hat, schwört er sich, die Gründe dafür herauszufinden. Dabei wird ihm klar, wie wenig er über seine große Liebe wusste …
William Hussey
Roman
Aus dem Englischen von Alexandra Rak
Als El mir den Vorschlag macht, vergrabe ich mein Gesicht in den Händen.
»Willst du mich eigentlich umbringen? Das wäre echt gut zu wissen, dann kann ich nämlich entscheiden, wer nach meinem Tod mein Zeug bekommt. Dir, Ellis Bell, vermache ich meine komplette Comicsammlung und diesen hübschen Mittelfinger hier. Außerdem gebe ich dir alle Zeichnungen zurück, die du mir je geschenkt hast. Die richtig versaute klebt unter meiner Schreibtischschublade.«
Ich nehme meine Hände runter und grinse El von der Seite an. Er grinst zurück. Und da weiß ich, dass ich unsere Diskussion verloren habe. Sein Grinsen hat einfach eine andere Klasse als meins und diese riesigen braunen Augen zwingen einen zum Aufgeben.
»Ach, komm.« Er schüttelt mich an der Schulter. »Spiel nicht die Dramaqueen. Vielleicht wird es ja ganz spaßig.«
»Alter, ich hatte genug ›Spaß‹ für heute.«
Das ist wahrscheinlich die größte Untertreibung der Menschheitsgeschichte.
El seufzt und fährt mit seinem zerbeulten Nissan Micra aus unserer Ausfahrt. Seine langen Finger gleiten geschickt über das Lenkrad. Als er es dann wieder packt, macht mein Magen einen Satz. Aber nur einen kleinen.
»El«, ermahne ich ihn, »da geht’s zur Schule.«
»Also, ich fand jedenfalls, dass deine Eltern es ziemlich gut aufgenommen haben«, sagt er und lenkt ab wie ein Profi. »Deine Mum hat gelacht und in die Hände geklatscht, als hättest du gerade eine Ladung Feenstaub gefurzt, und dein Vater hat dich sogar umarmt. Irgendwie. Mal ehrlich, war das eine Umarmung oder wollte er, dass du ein Bäuerchen machst? Ich glaube, ich habe noch nie etwas Unbeholfeneres gesehen. Ach, und übrigens, mir ist aufgefallen, dass dein Bruderherz schon wieder ein Auge auf mich geworfen hat. Ich weiß nicht, was ich gruseliger finde. Die lüsternen Blicke von Chris oder dieses riesige Schamhaarteil deiner Mutter auf dem Esstisch.«
»Erstens« – ich hebe den Finger – »ist das eine von Mums Skulpturen. Sie hat sie letzte Woche in ihrem Kunstkurs gemacht und ist sehr stolz darauf.«
»Hey, ich erlaube mir da kein Urteil. Für ein riesiges Schamhaarteil ist das echt super.«
»Zweitens«, sage ich und unterdrücke ein Lächeln, »steht Chris ganz bestimmt nicht auf dich. Du hast ihn beim Grillen bei den Berringtons nur ziemlich blamiert, schon vergessen? Außerdem hat er eine Freundin. Seine dritte dieses Jahr, um genau zu sein.«
El zuckt mit den Schultern und fährt weiter Richtung Schule. »Zugegeben«, sagt er schnell und wischt meine letzten Einwände beiseite, »deine Eltern haben mit ›Chris‹ für ihren Erstgeborenen den unschwulsten Namen ausgesucht, den es gibt. Aber drei Freundinnen in zwölf Monaten? Das ist eindeutig viel zu viel.«
»Und dein Schwulenradar irrt sich nie, oder?«
»Nicht, wenn es um die McKees geht. Wo wir gerade von Namen sprechen: Mit ›Dylan Lemuel Jaspers‹ haben sie den Ärger regelrecht heraufbeschworen. Aber wahrscheinlich sind sie einfach so hip und tolerant und alles, dass sie sich ihren zweiten Sohn etwas extrovertierter gewünscht haben.«
»Extrovertierter?« Ich schüttle den Kopf. »Das sagst ausgerechnet du?«
Ganz plötzlich schlägt die Stimmung um. Es ist wie eine Hundertachtziggradwende, von der jeder andere ein Schleudertrauma bekäme. Aber nachdem wir uns nun all die Monate heimlich getroffen haben, bin ich mittlerweile an Els Stimmungsschwankungen gewöhnt. Sein hinreißendes Lächeln verschwindet kurz, doch dann greift er mit seiner starken, sanften Hand nach mir und schiebt seine Finger zwischen meine. Er zieht meine Hand an seine Lippen und küsst sie. Eine Nanosekunde davor beschließe ich, dass mein Magen keinen Satz machen wird. Diesmal nicht. Nicht jedes Mal. Also wirklich, das wird langsam lächerlich.
Er hüpft.
»Ich meine es ernst, Dylan. Deine Mum und dein Dad. Das war ziemlich genial. Ich glaube, dir ist gar nicht klar, wie genial. Du hast deinen Eltern erzählt, wer du bist, und hast noch immer alle Zähne im Mund. Das ist besser gelaufen als bei mir.«
Ich muss blinzeln und lege die Hand an Ellis’ Wange. Er schmiegt sein Gesicht hinein. El weint nur selten, selbst wenn er allen Grund dazu hätte.
»Du weißt«, sage ich, »dass ich immer für dich da bin …«
»Weiß ich. Aber ich habe dir ohnehin schon das meiste erzählt, und meine Zähne habe ich am selben Tag richten lassen, als ich in dieses idyllische Städtchen gezogen bin. Und inzwischen, Dee McKee, ist eine Menge ranziges Wasser unter dieser speziellen Brücke durchgeflossen, und ich habe keine große Lust, da noch mal reinzuwaten.«
Er grinst. Sein aufgesetztes Lächeln ist so breit, dass ich sogar noch seine Backenzähne weiß aufblitzen sehe, als wäre er eine wandelnde Werbefigur für die Zahnchirurgie von Ferrivale. Seine Zähne sind perfekt. Selbstverständlich sind sie das. Er ist Ellis Maximillian Bell. Apropos Maximillian. Das ist eines der wenigen Dinge an meinem Freund, auf die ich mir noch keinen Reim machen kann. Bei allem, was ich von seinen Eltern weiß, erscheint es mir eher unwahrscheinlich, dass sie sich mit seinem zweiten Vornamen so viel Mühe gegeben haben. Vermutlich empfanden sie schon die Wahl seines ersten Vornamens als lästige Pflicht, die sie ihm nie verziehen haben. Meiner Theorie zufolge hat El sich den Namen Maximillian selbst ausgesucht, hat ihn für sich reklamiert und ihn sich einverleibt, und das auch erst letzten Dezember, als Mr Morris uns die wichtigsten Personen der Französischen Revolution vorgestellt und El sich ziemlich für den Revolutionsführer Maximilien Robespierre begeistert hat. Zumindest ganze zwei Wochen lang. Els Leidenschaften sind intensiv, aber kurzlebig.
Zum Glück mit Ausnahme von mir.
Mein Freund. Eigenartig, wie neu das nach wie vor klingt. Der Gedanke geht mir noch eine Weile im Kopf herum. Ich mag das Gefühl, meine Gedanken fließen ganz ruhig und selbstverständlich. Zugegeben, El und ich sind schon seit geraumer Zeit zusammen, aber seit heute Abend ist es offiziell. Mein Bruder weiß Bescheid. Meine Eltern wissen Bescheid. Die Welt, oder zumindest mein kleiner Teil davon in Ferrivale, weiß Bescheid. Und zu verdanken haben wir das einem lüsternen Perversling an unserer Schule, der uns heimlich mit dem Smartphone aufgenommen und es dann auf Instagram gepostet hat. Wahrscheinlich sollte ich dem netten Pornotyp aus unserer Nachbarschaft wirklich dankbar sein. Seine schäbige Aufnahme hat mir den letzten Schubser gegeben, der noch gefehlt hat. Ich musste in den sauren Apfel beißen und meiner Familie alles gestehen.
El hat nie verstanden, warum es mir so schwerfiel, es meinen Leuten zu erzählen. Für einen Außenstehenden – besonders für einen mit Els Familiengeschichte – muss das schrecklich feige gewirkt haben. Aber die Dinge sind nun mal nicht immer so, wie andere glauben. Da ist zum Beispiel der Blick, den sich meine Eltern zugeworfen haben und von dem El nichts mitbekommen hat.
Tja.
»Aaaaal-sooooo«, bohrt er nach, »können-wir-können-wir-können-wir-können-wir?«
Ich reibe mir verzweifelt übers Gesicht und stöhne. Wenn ich mich jetzt querstellen würde, würde er umdrehen, da bin ich mir sicher, aber es ist nun mal so: Obwohl ich Angst habe – und es ist eine verdammt lähmende Angst –, bin ich irgendwie auch neugierig. Also gebe ich mich geschlagen und nicke.
»Juhu!« Wir stehen gerade an einer Kreuzung und El trommelt mit den Handballen aufs Lenkrad. Dann wühlt er in der Tasche seiner perfekt geschnittenen Secondhandjacke, holt einen Lippenstift raus und macht einen Kussmund. »Ellis geht zum Schulball!«
Wenig später fahren wir mit quietschenden Reifen auf den Schulparkplatz. El ist fast fünf Monate älter als ich und beherrscht sein Auto wie ein Formel-1-Pilot. Er hat dem »unbelehrbaren Dussel« (meiner Wenigkeit) sogar ein paar überdrehte Fahrstunden gegeben. Zu meiner Verteidigung nur so viel: Er ist nicht unbedingt der gewissenhafteste Lehrer. Ich habe noch immer keine Ahnung, wie man seitwärts einparkt oder geschmeidig die Gänge wechselt, aber er hat sein Bestes gegeben und mir gezeigt, wie man mit Handbremse wendet oder von null auf hundert beschleunigt. Unter anderem. Da fällt mir unsere erste Fahrstunde auf dem leeren Supermarktparkplatz am Stadtrand wieder ein und meine Wangen fangen an zu glühen. In jener Nacht habe ich ein paar Dinge gelernt, die in keiner Straßenverkehrsordnung stehen.
Wir rasen durch das Tor und dann legt El einen lässigen Neunziggraddrift hin und hält vor Miss Harper, unserer Grand-High-Dementorin für Geografie. Sie wirft dem Auto einen Blick zu, der einem Muggel auf fünfzig Schritt Entfernung die Seele aussaugen könnte. Doch als sie sieht, wer hinterm Lenkrad sitzt, lächelt sie, als hätte ihr gerade jemand einen Korb voller Kätzchen gereicht. Ich bin mir noch nicht sicher, ob sie die Kleinen hätscheln oder auffressen würde, aber trotzdem.
»Sie sehen hiiiiin-reißend aus, Miss H!« Als wir an ihr vorbeigehen, tänzelt El praktisch um sie herum und sie kichert. Wirklich wahr, sie kichert! Herrje. »Sie haben was mit Ihren Haaren gemacht. Zissssch! Echt heiß.«
Das wilde Gewirr auf ihrem Kopf gehört seit meiner Ankunft an der Ferrivale High vor sieben Jahren zu ihrem Inventar. Wahrscheinlich reicht es sogar noch länger zurück und seine Wurzeln liegen im geheimnisvollen Nebel ihrer Anfänge als Superschurkin.
Wir haben keine Eintrittskarten, aber solche Formalitäten gelten nur für Normalsterbliche. Als wir uns den Türen der Turnhalle nähern, zeigt El sein strahlendes Gigawatt-Grinsen, bei dessen Anblick Katie Linton, Suzie Ford und der Rest des Organisationskomitees vom Osterball fast in Ohnmacht fallen. Selbst Gemma Argyle schenkt ihm ein nachsichtiges Lächeln. Als sie uns durchlassen, verdrehe ich die Augen. Mensch, sehen die denn nicht die ach so subtilen Signale, die El aussendet und die ganz, ganz leise SCHWUUUUL raunen?!
Als wir uns durch die Schwingtüren schieben, wummern uns die Bässe entgegen. Der abgestandene Mief der Halle wird heute Abend von übertrieben gut gelaunter Popmusik abgerundet. Ellis kennt wahrscheinlich den Namen der Band, Alter und Sternzeichen der einzelnen Mitglieder, ihr Lieblingsjunkfood und jede Skandalgeschichte, die über sie die Runde macht. Ich hingegen habe den Musikgeschmack eines Urgroßvaters, und alles nach Madonnas Hits der 80er könnte, was mich betrifft, auch Altsumerisch sein. Obwohl El das weiß und auch, wie abgrundtief es mich demütigen würde, wenn ich diese unbekannte Sprache tänzerisch ausdrücken müsste, schnappt er mich am Kragen meines schwarzen T-Shirts – ich wähle immer schwarz, das erspart mir das Nachgrübeln über Mode – und zieht mich durch die Menge.
»Ellis, was zum Geier?«, zische ich in seinen Nacken.
»Lass das«, sagt er und schlägt lachend meinen Atem weg, »das kitzelt.«
»Ich mach gleich noch was ganz anderes als kitzeln!«
Er stürmt mit mir auf die spärlich bevölkerte Tanzfläche, legt seine Hände auf meine Hüften, dreht mich, bis ich ihn anschaue, und zieht mich zu sich. »Versprochen?«
Ach, scheiß auf Ellis Nervbold Bell und sein nervig großartiges Grinsen.
Mein Magen macht wieder einen Satz.
Okay, Dylan, du schaffst das. Keine Rückzieher mehr. Die Geheimniskrämerei hat ein Ende, die Tür ist fest verschlossen und verriegelt. Kein Wiedereintritt, keine Rückerstattung. Von jetzt an heißt es, schwul sein. Inzwischen dürfte mindestens die Hälfte meiner Klassenkameraden gesehen haben, wie ich mit einem Typen unverblümt einen Balztanz aufs Parkett lege, also kann ich nicht mehr so tun, als würde mich Catwoman heiß machen, auch wenn sie wirklich scharf ist. Mir wird plötzlich ganz leicht und flatterig ums Herz, als hätte es sich nahezu in Luft aufgelöst, aber Els Hände liegen fest und zuverlässig auf meinen Hüften. Ich sehe mich nicht um, richte meinen Blick ausschließlich auf ihn.
Tief Luft holen.
Los geht’s.
Zeit herauszufinden, was Ferrivale High von dem neuen (verbesserten?) Dylan McKee hält.
»Du willst es wirklich, oder?«, flüstere ich an seinem Hals. »Du versuchst, mich umzubringen.«
»Entspann dich«, flüstert er zurück. »Aber falls du vorhast, abzuhauen, werde ich dir ein Bein stellen, verstanden?«
Das Ganze passiert so schnell, dass ich irgendwie vergesse, in Schockstarre zu verfallen. Wir sind in der Schule, mein Geheimnis ist gelüftet, und El hat mir keine Zeit gelassen, in Panik zu geraten. Plötzlich wird mir klar, dass er das von Anfang an so geplant hat. Es ist der letzte Tag vor den Osterferien. Wenn er nicht darauf beharrt hätte, zum Ball zu gehen, und mit mir in die Turnhalle gestürmt wäre, bevor ich auch nur durchatmen konnte, hätte ich mir die ganzen Ferien über einen Riesenkopf gemacht. Wenigstens bringen wir es jetzt einfach hinter uns. Eins muss ich meinem Freund daher lassen: Er ist schon ziemlich genial.
Wir tanzen weiter. Von der Discokugel fällt Stroboskoplicht auf Els Markenzeichen, seine Perlenkette, und lässt sie grün und blau und gelb aufleuchten. Ich glaube, ich habe ihn noch nie ohne sie gesehen. Diese Perlen sind sein hartnäckiger Fingerzeig: sein kleiner Hinweis an die Welt, der verrät, dass er ist, wie er ist, egal, ob es den anderen gefällt oder nicht. Außerdem sind sie verdammt cool! Ich liebe diese Perlen. Ich liebe seinen langen, anmutigen Hals und die dunklen Stoppeln an seinem Kinn, seine ausgeprägten Wangenknochen, seine weichen schwarzen Locken und seine starken Hände in meinem Kreuz und …
Ihn. Ich liebe ihn.
Ich liebe dich, Ellis.
Ich liebe ihn so sehr, dass meine Angst verschwindet. Sie wissen alle Bescheid. Selbst wenn sie das Video auf Instagram nicht gesehen haben, bevor die Moderatoren es heute früh gelöscht haben, wurde es bis dahin bestimmt bereits unzählige Male heruntergeladen und geteilt. Wenn das Internet erst mal von deinem linken Nippel, einem Stück deiner rechten Pobacke und deinem entweder vor Verzückung oder wegen chronischer Verstopfung verzogenen Gesicht Besitz ergreift, lässt es dich nie wieder los.
Aber wir tanzen und ich schaue in die wissenden Gesichter, die an uns vorbeiziehen, und sie sind mir vollkommen egal.
»Jetzt darfst du mich ruhig umbringen«, sage ich, obwohl ich das überhaupt nicht so meine.
»Warum sollte ich das tun?«, murmelt er. »Ich habe dich doch gerade erst gefunden.«
Der Rhythmus wird schneller, das Tempo zieht an und er löst sich behutsam von mir. Er tanzt weiter, aber ich höre mit meinem Gehampel auf – das nach menschlichem Ermessen schlichtweg nicht unter ›Tanzen‹ fällt. Ich stehe bloß schwankend da.
»Wie meinst du das?«, hauche ich. Ich kann ihn wunderbar hören, aber ich habe das Gefühl, als müsste ich meine Wörter mit Gesten unterstreichen, weil ich sonst nicht gegen die Musik ankomme. »Du hast mich doch schon vor einer Ewigkeit gefunden. Letzten November. Am Lagerfeuer. Mit Diätpepsi und Schulband und Alistair Pardue, der auf dem Hintern gelandet ist. Schon vergessen?«
»Das werde ich nie vergessen. Aber heute Abend habe ich dich erst richtig gefunden, Sprosse.«
Die Musik wird wieder langsamer und er zieht mich noch enger an sich als vorhin. El ist gut einen Kopf größer als ich, und mir gefällt, dass unsere Körper irgendwie zusammenpassen, als wären sie extra dafür gemacht. Und plötzlich denke ich: Zum Teufel mit all den bigotten Dummköpfen, die ›Gott hasst Schwuchteln!‹ skandieren. Wenn es einen Gott gibt, dann hat er dafür gesorgt, dass El und ich so gut zusammenpassen.
Sein Kinn streift meine Wange und meine unzähligen Sommersprossen, denen ich einen meiner El-spezifischen Spitznamen verdanke. Sprosse, unbelehrbarer Dussel, Prof, Dee McKee – den letzten hat er mir wegen meiner (in Els Augen) berüchtigten Vorliebe für jegliche Art von Junkfood gegeben.
»Ich habe dich erst heute Abend gefunden, als du zu dem wurdest, der du bist«, fährt er fort. »Als du es ihnen erzählt hast.«
Er hat recht. Ich hole tief Luft. Ich bin ich selbst. So sehr ich selbst, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Und es ist mir egal, dass ich nicht tanzen kann oder manche Leute an den Sprossenwänden lehnen und hinter vorgehaltener Hand über uns tuscheln und lachen und plötzlich ein hervorgestoßenes »Schwuchteln« zu hören ist, als das Lied leiser wird. Eigentlich ist das Wort eine Aufforderung, und ich tue etwas, das ich vor vierundzwanzig Stunden noch für unmöglich gehalten hätte.
Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, werfe Ellis die Arme um den Hals und küsse ihn.
Mitten in der Turnhalle der Ferrivale High knutsche ich vor unseren Mitschülern und Lehrern meinen hinreißenden Freund ab. Jemanden zu küssen ist noch so neu für mich, dass ich im ersten Augenblick vergesse, die Augen zu schließen, und sehe, wie sich Els Mundwinkel nach oben ziehen. Aber dann verliert auch er sich in dem Kuss. Er lächelt nicht länger, ich schließe die Augen und er hält meinen Hinterkopf und ich küsse ihn, bis mir die Zehenspitzen wehtun. Und ja, ich höre immer noch das Gekicher, aber es ist nur Begleitmusik zur Begleitmusik. Es ist leise. Unbedeutend. Hass in Atomgröße. Es spielt keine Rolle. Außerdem ruft da auch noch jemand:
»Wuhuuu! Schnapp ihn dir, McKeeeeee! Küss den sexy Mittelstürmer!«
Die Aufforderung wird von ein paar Rufen und einer Runde Applaus begrüßt, doch dann legt sich eine Hand auf meine Schulter.
»Das reicht, meine Herren.«
Mr Robarts, unser Schulleiter, sieht uns ultrastreng an. Blinzelnd schaue ich auf, er hat sein lausiges »Dieses Verhalten kann ich ganz und gar nicht gutheißen«-Gesicht aufgesetzt. Lausig, weil der Gesichtsausdruck im nächsten Moment schon wieder verschwindet und er ein kleines Lächeln partout nicht unterdrücken kann. Er tätschelt uns beiden den Rücken.
»Hört mal, Jungs, tanzt ruhig weiter, aber haltet es jugendfrei, ja? Ich hätte am Montagmorgen gerne noch meinen Job, und falls ein paar von den Jungfrauen eifersüchtig werden, rufen mich bestimmt deren Eltern an.«
»Danke, Sir«, murmle ich, und selbst El weiß, dass er mich jetzt besser nicht noch einmal küsst, wo wir gerade so fair behandelt wurden. Stattdessen wirbelt er mich einmal herum, wir nehmen eine formelle Tanzpose ein und ich lehne den Kopf an seine Brust.
Ich kann noch immer nicht glauben, dass das wirklich passiert. Noch gestern hätte ich das für unmöglich gehalten. Wir beide ganz offen als stolzes Paar vor der gesamten Schule auf der Tanzfläche. Mein Herz pocht einmal tief und dankbar. Danke, du geheimnisvoller, perverser Pornoposter, du hast mir tatsächlich einen Gefallen getan.
Plötzlich fällt mir auf, dass El mindestens fünf Minuten lang geschwiegen hat. Das ist beunruhigend. Ungefähr so, als würde ein Politiker vergessen zu lügen oder Michael Bay einen Film drehen, der nicht zum Kotzen ist.
»Was ist los?«, frage ich.
»Nichts«, knurrt er und dreht seinen Kopf plötzlich zur Seite. »Mich würde einfach nur …«
»Ellis?«
»Na schön.« Er sieht mich wieder an und seufzt theatralisch. »Mich würde einfach nur interessieren, wer dir beigebracht hat, so zu küssen.«
Ich grinse. »Willst du das wirklich wissen?«
»Ja, will ich.«
»Womöglich gefällt es dir nicht.«
»Ich bin Manns genug, um damit klarzukommen.«
»Bist du dir absolut sicher …?«
»Sprosse.«
»Also gut.« Ich lasse ihn einen Moment lang zappeln. »Es war Julia. Wir hatten von Anfang an diese heimliche Affäre. In Wirklichkeit oute ich mich heute Abend nämlich als Hetero, der total auf Tanten abfährt.«
»Diese niederträchtige alte Kuh«, erwidert er todernst. »Mit der werde ich mal ein Wörtchen reden, sobald ich nach Hause komme.«
Dann dreht er mich noch einmal im Kreis und ich nehme die Turnhalle zum ersten Mal richtig wahr. Ich muss zugeben, dass die Mädchen aus dem Schulballkomitee (die gleichzeitig dem Debattier- und dem Geschichtsclub angehören und außerdem noch für die Öffentlichkeitsarbeit und diesen LGBTQ-Schutzraum verantwortlich sind, obwohl sie mit queer nie näher in Berührung gekommen sind als damals, als Katie im Speisesaal auf einem Stück Quiche ausgerutscht und mit dem Kopf auf Gemma Argyles Schoß gelandet ist) sich selbst übertroffen haben. Die Wände sind mit kitschig rosafarbenen Stoffbahnen bespannt und von der Decke baumeln gigantische Ostereier aus Pappmaschee, die wie riesige Piñata-Kothaufen aussehen.
Und dann sehe ich ihr Glanzstück und bleibe stehen.
»Oh, fuck, das ist jetzt nicht wahr«, murmle ich.
»Was denn?«, fragt El.
Und während ich noch auf diese unvorstellbare Scheußlichkeit auf der anderen Seite der Halle starre, spüre ich, wie sich ein heißes Schuldgefühl in meinen Bauch bohrt. Klar, hinter mir liegt nicht gerade ein einfacher Tag, der mit dem wilden Zirpen meines Handys um sieben Uhr früh begonnen hat:
Warst du schon auf Instagram, Alter? Vielleicht solltest du mal nachschauen. Netter Hintern, übrigens …
Dylan, mein Freund! Ich wusste gar nicht, was alles in dir steckt – aber jetzt weiß ich, wie du es am liebsten magst!!!
Lieber Dyl, es tut mir total leid, was du gerade durchmachst. Ich wollte dich nur wissen lassen, dass es Gemma und Suze und mir VOLLKOMMEN egal ist, dass du jetzt schwul bist xxx
Und so weiter und so fort …
Ich hatte es so eilig, herauszubekommen, wovon all diese wohlmeinenden Freunde sprachen, dass ich beinahe meinen Laptop geschrottet hätte. Natürlich ahnte ich es, aber selbst als ich das verschwommene Standbild angeklickt und das Video abgespielt habe, habe ich noch in Gedanken geflüstert: Bitte nicht, bitte nicht, bitte nicht, bitte nicht. Und dann hörte ich wie zum Hohn meine eigene Stimme blechern und demütigend aus den Lautsprechern: »Oh ja. Ja, El, ja!«
Also jep, der Tag war erst schrecklich und dann sonderbar herrlich gewesen. Was nichts entschuldigt.
»Mike«, hauche ich. »Oh mein Gott, Mike.«
Ich löse mich von El und schlängle mich durch die Zuschauer, die sich versammelt haben, um sich unseren ersten öffentlichen Tanz anzusehen. Ich fühle mich in Menschenansammlungen unwohl, aber im Moment fällt es mir leicht, die Blicke zu ignorieren, die mir durch die Turnhalle folgen. Ein paar von Els Fußballkumpeln klopfen mir freundschaftlich auf die Schulter. Ich arbeite mich vorwärts und die Geste scheint sich in eine Art Meme zu verwandeln. Als ich das megavergrößerte Foto meines besten Freundes erreiche, tut mir tatsächlich die Schulter weh.
Mike Berringtons leicht verpeiltes, aber hübsches Gesicht grinst mir riesig von der Wand entgegen. Da ist die Narbe, die ich ihm im Kindergarten verpasst habe, als ich ihn aus Versehen mit dem Ellbogen in den Ententeich gestoßen habe – ein spiegelverkehrtes, aufgeblähtes S, das wie ein Brandzeichen auf seinem Kinn prangt. Ich spüre, wie El seine Hand in meine schiebt.
»Was ist los?«
Ich drehe mich zu ihm, Tränen brennen in meinen Augen.
»Mensch, Ellis, ich hab’s vergessen. Er hat seine verdammte vierte Sitzung und ich hab’s vergessen.« Als es bei El klick macht, verschwindet sein Stirnrunzeln. »Heute ist Chemotag.«
Und ich bin offiziell der schlechteste beste Freund aller Zeiten.
»Gefällt es euch?«, fragt Gemma Argyle und stolpert dabei praktisch in uns hinein. Mit einer Hand deutet sie auf das gigantisch vergrößerte Bild von Mike.
»Was zum Teufel soll das sein?«, murmle ich.
Sie sieht mich an, als hätte ich gerade ihre Großmutter umgebracht. Oder schlimmer noch, als hätte ich sie im Englischunterricht gefragt, ob sie mir ihren Louis-Vuitton-Kugelschreiber ausleiht.
»Das Komitee hat beschlossen, dass der diesjährige Ball zu Ehren unseres tapferen Mitschülers Michael Berrington stattfindet. Wenn Mike erst einmal mit der Behandlung durch ist, kaufen wir ihm vom kompletten Erlös aus den heutigen Eintrittskarten ein ganz besonderes Geschenk.«
»Aha«, sagt El, »lieb von euch. Aber was zum Teufel habt ihr mit ihm angestellt?« Er zeigt auf das goldene Licht, das aus Mikes Kopf zu strahlen scheint.
»Es ist der Osterball«, erklärt Gemma.
»Und deshalb ist er …« El runzelt die Stirn. »Jesus?«
El konnte Mike schon immer gut leiden. Er schätzt ihn sehr, weil, und ich zitiere ihn jetzt, »Mikey klug, witzig und hübsch anzusehen ist und er mein Liebesleben in keinster Weise bedroht«. Das stimmt. An einem guten Tag könnte Mike dem Schauspieler Ansel Elgort schwer Konkurrenz machen, und trotzdem habe ich nie für ihn geschwärmt. Das wäre, als würde ich meinen eigenen Bruder begehren.
»Es ist die Zeit der Erneuerungen, des neuen Lebens, der Wiederauferstehung und der Wunder«, sagt Gemma schnippisch. Sie ignoriert mein Stöhnen. »Und der arme Mike kann jede Hilfe gut gebrauchen.«
Fick dich!!!, würde ich am liebsten sagen, was ich aber nicht tue. Ich glaube, tief in ihrem Herzen meint sie das teilweise wirklich ernst und gut. Außerdem ist sie hier nicht der Schuft. Sondern ich.
Ich laufe Richtung Tür, aber da holt El mich auch schon ein. Ich strecke ihm abwehrend eine Hand entgegen. »Gib mir einen Moment, okay?«
Er nickt verständnisvoll. »Sag der faulen Socke, dass ich morgen vorbeikomme und wir zusammen das Spiel schauen, wenn er Lust hat.«
Das bringt mich beinahe zum Lächeln. Mike und Ellis und Fußball. Mir spuken Erinnerungen an den letzten Herbst und das Schullagerfeuer und Els Fußballpetition und das erste Mal, als ich einen Blick auf diesen wunderschönen jungen Mann geworfen habe, durch den Kopf. Ich winke Ellis eigenartig mit beiden Händen und schiebe mich durch die Schwingtür nach draußen auf den Parkplatz. Dort ist es kühl und ruhig. Der Asphalt schimmert im Mondschein blauschwarz. In der Dämmerung drängen sich Schüler, die rauchen, knutschen und andere Dinge tun. Ich lehne mich an Els Auto und öffne meine Kontakte.
Während sich der Anruf aufbaut, schaue ich kurz zum Schuldach hoch: der Ort des gestrigen Überraschungspicknicks, das mein wunderbarer Freund für mich vorbereitet hatte – und wo wir mitten beim Rumschmusen heimlich gefilmt wurden (›Rumschmusen‹? Ach, herrje, Dylan!). Ich frage mich gerade zum tausendsten Mal, wer das gewesen sein könnte, als Mike abnimmt.
»Hey, Pornostar«, seufzt er.
Er klingt müde. Gott, er klingt so verdammt müde. Mir wird plötzlich ganz kalt und ich fühle mich fast so verängstigt wie damals, als er mir zum ersten Mal davon erzählt hat.
»Bitte nicht«, stöhne ich. »Erzähl mir nicht, dass du es dir angeschaut hast!«
Mike gluckst wie ein alter Mann. »Ernsthaft? Nein. Ihr zwei seid so überhaupt nicht mein Typ.«
»Ach, komm schon. Wenn du zwischen mir und Gemma Argyle wählen müsstest?«
»Also, wenn ich mich zwischen euch entscheiden müsste«, sagt er grübelnd. »Unter diesen absolut besonderen Umständen könntest du vielleicht Glück haben.«
»Ich fühle mich geehrt«, sage ich lachend. »Bitch.«
»Stricher.«
Neue Spitznamen, die wir uns um Weihnachten herum gegeben haben, nachdem ich es ihm erzählt hatte. Er war der Erste, der davon erfuhr, abgesehen von El natürlich. Er hat sich mir offenbart und ich mich ihm, quid pro quo: Ich habe Leukämie. Ich bin schwul. Unter einer funkelnden Lichterkette haben wir uns fest in den Arm genommen.
»Ich habe versucht, dich anzurufen. Und hab dir ein paar Nachrichten geschickt«, sagt er.
»Also, nach dem tausendsten Ich würde mir mal den Leberfleck auf deinem Hintern untersuchen lassen, habe ich mein Handy ausgestellt. Aber das ist jetzt egal. Wie geht es dir, Mike?«
»Zu meinem Elend kommen wir gleich, Dylan.« Er atmet hörbar aus. »Ich schätze mal, dass du einen beschissenen Tag hinter dir hast. Weißt du, wer das gepostet hat?«
»Keinen Schimmer. Aber El ist fest entschlossen, es herauszufinden.«
»Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, warum irgendjemand so etwas tut«, brummt Mike. »Aber ich bin ganz Els Meinung. Wir werden herausfinden, wer das war, Dylan, versprochen.«
Jetzt muss ich trotz allem lächeln. Die zwei wichtigsten Menschen in meinem Leben sind El und Mike. Bei ihnen fühle ich mich sicher und erwünscht, und das ist eine Menge wert.
»Ich habe bei dir zu Hause angerufen«, fährt Mike fort. »Deine Mum hat mir erzählt, dass du zum Ball wolltest. Alter, ernsthaft? Reden wir hier vom Ferrivale High Osterball? Du weißt, dass ich El mag, aber manchmal glaube ich echt, er hat einen schlechten Einfluss auf dich und macht meine jahrelange Arbeit zunichte. Weißt du noch, wie wir diese Veranstaltung immer genannt haben?«
»Den Idiotenball«, sage ich lachend. »Klar, und er ist genauso idiotisch, wie wir ihn uns vorgestellt haben. Von der Decke hängen riesige glänzende Kothaufen und die Turnhalle ist so rosa, als hätten sie dort alle Türen verriegelt und einen Schwarm Flamingos abgemetzelt. Spaß beiseite, Mike, wusstest du, dass sie ein riesiges Bild von dir an die Wand geklebt haben?«
Er stöhnt. »Ja, eine der drei Hexen hat mir einen mit Herzen und weinenden Emojis verzierten Screenshot geschickt.«
»Die haben dich übelst gephotoshopt, Kumpel. Es sieht aus, als hätte jemand deine Fürze angezündet und du würdest dich in der Nachglut sonnen.«
»Es sieht aus, als wäre ich tot«, sagt er kichernd.
Das sollte ein Witz sein, doch einen Moment lang starre ich nur auf meine Hand, und ja, ich weiß, das klingt lächerlich, aber ich schwöre, dass ich unsere kleinen, verschränkten Kinderhände vor mir sehe. Mike und Dylan, Lauffreunde, die ordentlich aufgereiht von der Grundschule zum öffentlichen Schwimmbad gehen. Mike und Dylan, Karaokefreunde, Hand in Hand auf Tamsin Carlisles vierzehnter Geburtstagsfeier, als wir »I Got You Babe« schmetterten und unsere Mikros wie Feuerzeuge in der Luft schwenkten. Mike und Dylan, vergangenes Weihnachten, als wir uns an den Händen hielten und uns auf die ein oder andere Weise outeten.
»Weiß deine Familie denn jetzt Bescheid?«, platzt Mike in meine Gedanken. »Wie haben sie es aufgenommen?«
»Gut.« Ich nicke, obwohl er mich nicht sehen kann. »Doch. Sie fanden es in Ordnung.«
»Wirklich?«
Er wartet ab. Manchmal vergesse ich einfach, dass Mike meine Familie fast schon genauso lange kennt wie ich.
»Doch, doch.«
»Das ist ja dann toll …«, sagt er. »Bist du dir sicher?«
»Warum sollte ich mir nicht sicher sein?«
»Dylan. Ich bin’s.«
»Na gut«, seufze ich. »Ich denke, Chris hätte ruhig ein wenig kommunikativer sein können. Im Grunde hat er mich in den Schwitzkasten genommen und mir mit den Fingerknöcheln über den Schädel gerieben, aber es ist ein Wunder, dass er überhaupt sprechen gelernt hat, daher war seine Reaktion vermutlich ganz okay. Und Mum und Dad? So ziemlich, wie man es von ihnen erwarten würde.«
»Also sehen sie das mit El entspannt?«
»Wie geht es dir, Mike?«, platze ich heraus.
»Mir geht’s gut, Dylan. Wirklich.«
»Und deine Chemo? Bist du noch im Krankenhaus?«
»Oh, die wundersame Welt der Chemo? Also heute war ein ziemlich verrückter Tag. Zu guter Letzt mussten sie … Ah, Mist. Warte mal.« Ich höre Mikes Mutter – nicht, was sie sagt, aber ihr leises Murmeln, das ich überall erkennen würde. Carol ist wie eine Godzilla-Mutter – beängstigend, aber auf eine geniale und kultige Weise, und wenn du eins ihrer schuppigen Eidechsenbabys bist, würde sie dich bis aufs Messer verteidigen. Glücklicherweise werde ich als ein Ehren-Berrington betrachtet, seit ich Mike auf seiner vierten Geburtstagsfeier einen Kuss gegeben habe, weil er hingefallen war und zu heulen anfing. Ich kann es ehrlicherweise kaum abwarten, Carol meine Neuigkeiten zu erzählen, obwohl ich mir recht sicher bin, dass sie es längst ahnt. Mike kommt wieder ans Handy. »Sorry, mein Lieber. Ja, war ein total verrückter Tag. Ich erzähle dir später alles. Könnte dich zum Schmunzeln bringen oder vielleicht zum Platzen. Mein Vater hätte fast jemandem den Kopf abgerissen. Hör mal, Dylan, ich muss jetzt echt Schluss machen. Komm morgen vorbei, ja? Ich hab Mum und Dad noch nichts verraten, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie dir einen verdammten Kuchen backen oder uns alle bei der Pride anmelden oder so.«
»Abgemacht.«
»Nacht, Stricher.«
»Nacht, Bitch.«
Er legt auf. Er hört sich in Ordnung an. Wirklich. Nur ein bisschen müde.
Ich gehe zurück zum Ball.
Einen Augenblick lang beobachte ich einfach nur Ellis. Mein Herz ist immer noch ganz voll von Mike, voller Ängste, die wir nie ausgesprochen haben, seit er mir seine Diagnose mitgeteilt hat, und es hilft mir ein bisschen, El zuzuschauen. Ganz gleich, was als Nächstes mit meinem ältesten Freund geschieht, ich weiß, dass dieser Mensch uns beistehen wird, einfach nur, indem er da ist.
Inzwischen sind mehr Leute auf der Tanzfläche. Ich kann mir kaum ein Grinsen verkneifen, als ein paar aus der Fußballmannschaft miteinander tanzen und El und mich nachahmen. Da schwingt nichts Boshaftes mit. Sie lachen und tun so, als wollten sie knutschen, es ist fast eine Art Huldigung. Irgendwie fühle ich mich sogar eigenartig stolz. Das ist doch schon einmal ein Fortschritt, oder? Ein kleiner Schritt für Ferrivale High. Vielleicht werden nächstes Jahr schon mehr geoutete Schüler miteinander tanzen, und dann ganz ohne eine Spur von Parodie.
Ich lenke meine Aufmerksamkeit von den Jungs, die sich gespieltes Liebesgeflüster zusäuseln, auf El. Er nimmt auf seine gewohnt lässige Art die Leute für sich ein. Es erstaunt mich immer wieder, wie problemlos er zwischen diesen Gruppen hin- und herwechselt und von den meisten akzeptiert wird. Gerade scherzt und spaßt er mit Gemma und den Komiteehexen. Jetzt steht er dicht bei den Rugbyspielern und kichert über irgendeine Sportanspielung, die ich nie kapieren würde. Jetzt ist er bei den Büchernerds, unterhält sich wahrscheinlich über die neuesten Queer-Romane und rätselt, ob Jane Austen ein ganz kleines bisschen bi war. Dann klatscht er die grinsende Lehrerparade ab – Dementorin Harper, Schweißring Robarts, die kleine Miss Buchanan mit ihrem hinreißenden Damenbart, Mr Morris, unseren Geschichtslehrer. Nur Mr Denman, unseren Kunstlehrer, der gerade erst aus dem Krankenstand zurück ist, überspringt er, weil er zu spät aufgestanden ist. Natürlich erntet er hier und da auch ein paar schräge Blicke, aber El geht damit um, wie er immer damit umgeht – mit seinem großen Herzen bringt er alle beschämt zum Schweigen.
Ich lehne mich an die Sprossenwand und denke: Was jetzt? Die letzten vier Monate hat sich alles um mich und El gedreht und darum, dass niemand etwas erfährt. Ich mache mir nichts vor, das war aufreibend. Doch das ist nicht mehr nötig. Ich denke, wir können einfach wir selbst sein. Die Abschlussprüfungen stehen an, und wenn wir die richtigen Noten haben (bitte, lieber Gott!), geht es im September nach Bristol. Wir haben schon vor langer Zeit beschlossen, dass wir die Studentenwohnheime außen vor lassen und uns stattdessen lieber eine kleine Wohnung suchen. Ein gemütliches Zuhause für zwei. Vielleicht adoptieren wir eine streunende Katze oder versuchen, ein, zwei Monate einen Goldfisch am Leben zu halten, wir werden uns megakontaktfreudig in Uniclubs und ähnlichen Veranstaltungen tümmeln, aber wir werden auch zum ersten Mal die Chance haben, richtig als Paar zusammenzuleben. Allein beim Gedanken daran werde ich ganz aufgeregt. Aber erst einmal kommt der Sommer mit den unendlichen Möglichkeiten eines Sommers: El, der mich zu Konzerten und in Galerien schleift; und ich, der ihn zu Comic-Cons und zu meinen mittelalterlichen Lieblingsschlössern und Schlachtfeldern schleife. Lange Nächte, lange Vormittage, Frühstück im Bett, lesen, zeichnen, berühren.
Ich und El.
»Lass uns von hier verschwinden.«
Und wieder einer von Els Stimmungsumschwüngen. Ich habe gerade Mitchell Harrison und Joe Cotterill zugeschaut und mich kaputtgelacht, weil sie zu »Uptown Funk« einen langsamen Walzer tanzen, da steht er plötzlich direkt vor mir. Und ist verändert. Ellis ohne die Spur eines Lächelns ist immer beunruhigend. Man gewinnt den Eindruck, als könnte man doch endlich die Dunkelheit sehen, die er vor so vielen Monaten aus Birmingham mitgeschleppt hat.
»Was ist los?«, frage ich und zupfe ihn am Ärmel.
»Nichts. Lass uns einfach gehen, okay?«
Er schaut über seine Schulter, aber ich kann nicht genau sagen, worauf er seinen Blick richtet: auf die Komiteemädchen, die Fußballspieler, die Büchernerds, die Lehrer? Was ich allerdings genau weiß, ist Folgendes: Als er wieder zu mir schaut, zittern diese perfekten rosafarbenen Lippen.
»Können wir bitte gehen?«, wiederholt er.
Um mein Herz legt sich eine unbeschreibliche Angst, ganz fremd ist sie, aber auch schrecklich vertraut. Ich habe Ellis schon einmal so erlebt – in jenen dunklen Tagen über Weihnachten, als er sich ohne ersichtlichen Grund vor mir zurückgezogen hat. Ich werde nicht noch einmal durch den Schmerz und die Angst dieser fürchterlichen Wochen gehen. Nein. Wir müssen reden.
Wir sitzen im Auto und rühren uns nicht. El verharrt schweigend hinterm Lenkrad und zupft und dreht an seinen Perlen. Er sieht … ich weiß nicht …verloren aus? Ja, das trifft es vielleicht noch am besten. Seine Augen sind riesig und leer, und ich habe den Eindruck, als würde er mich überhaupt nicht wahrnehmen.
Als ich meinen Arm ausstrecke, um ihn zu berühren, zuckt er zusammen, als hätte ich ihn mit einer Zigarette verbrannt. Er schaut auf meine Hand und dreht sich von mir weg, dabei drückt er den Rücken durch, bis seine Schultern fast die Decke berühren, als würde meine Nähe ihn irgendwie anwidern.
»Himmel, El, was zum Teufel ist los?«
In meiner Stimme schwingt ein eigenartiges Flehen mit, was mir nicht gefällt. Die Vorstellung, dass ich etwas getan haben könnte, weswegen er mich hasst, und das ausgerechnet heute, macht mir Angst. Allerdings habe ich keine Ahnung, was zum Henker das sein soll. Im Geist gehe ich die letzte halbe Stunde durch. Es lag bestimmt nicht daran, dass ich rausgegangen bin, um mit Mike zu reden, deswegen kann er unmöglich eifersüchtig sein. El hat die Sache zwischen Mike und mir immer verstanden. Hat vielleicht jemand etwas zu ihm gesagt? Ihm etwas Schreckliches über mich erzählt? Auf der Jagd nach einem dunklen, verborgenen Geheimnis, das ich El nie anvertraut habe, stürme ich durch meine gesamte Schullaufbahn. Aber das ist ausgeschlossen. Mein einziges Geheimnis und der Grund für meine verborgene Scham wurde heute Morgen enthüllt, und, Herrgott noch mal, El war derjenige, der mir überhaupt erst beigebracht hat, dass man sich deswegen absolut nicht zu schämen braucht.
Okay, also ist es vielleicht gar kein Geheimnis. Vielleicht ist es eine Lüge. Habe ich mir etwas vorgemacht? Das ganze Schultergeklopfe und das gespielte Geknutsche der Fußballmannschaft auf der Tanzfläche – waren das doch Sticheleien und ich einfach so sehr in diesem schwindelerregenden, schrecklich wundervollen Tag gefangen, dass ich das falsch interpretiert habe? Wurden irgendwelche hässlichen Gerüchte gestreut?
Mein Hirn würgt einen wahren Schatz an vergifteten Glanzstücken hervor:
Dir ist schon klar, dass McKee eigentlich ein ganz schönes Flittchen ist, oder, Ellis? Hat der halben Fußballmannschaft einen geblasen, bevor du in der Stadt aufgetaucht bist.
Ich habe gehört, dass er mit [hier bitte Namen einsetzen] fremdgegangen ist und sie es dir bald verklickern wollen.
Ellis, Mensch, wach auf. Er ist nicht einmal schwul. Er hat es nur aus Jux ausprobiert. Es ist eine Phase, verstehst du?
Komisch, wie das Gehirn arbeitet. Tief in meinem Inneren weiß ich, dass das alles völliger Blödsinn ist, aber jede der ausgedachten Unterhaltungen erscheint mir einleuchtender als die vorherige. Ich überlege sogar schon, was ich darauf erwidern könnte:
Ach, du lieber Himmel, Ellis, ich ein Flittchen? Gab es irgendjemanden auf dem Planeten, der mich entjungfert haben könnte, bevor wir uns kennengelernt haben?
Fremdgegangen? Als wäre ich in der Lage, zwischen Hausaufgaben, Geschichtsclub, Unibewerbungen und unseren wilden Pausenknutschereien irgendwo eine heimliche Affäre unterzubringen.
Nicht schwul? Ernsthaft?! Nicht schwul? Das Einzige, was an mir nicht schwul ist, ist mein Tanzstil.
Aber alles, was ich herausbekomme, ist: »Ellis. Bitte rede mit mir.«
Mein Herz wirft sich wie ein gefangener Vogel gegen meinen Brustkorb. Aber ich beschließe, dass ich mutig sein muss. Ich strecke wieder meinen Arm nach ihm aus.
Seine Reaktion macht mir Angst. Er schiebt mir seine flache Hand entgegen, um mich abzublocken, und ich denke: Das war’s. Es gibt kein Zurück mehr. Ich habe keine Ahnung, was passiert ist, keine Ahnung, was gesagt wurde, aber wenn er mich tatsächlich von sich stößt, wird mein Herz brechen und ich werde wieder zu dem Dylan von vor einem halben Jahr. Vergesst es, es wird noch viel schlimmer werden, denn wenn man sich erst einmal geoutet hat, gibt es kein Zurück mehr, und ich bin jetzt dort draußen allein. Nicht einfach nur allein. Ich war siebzehn Jahre lang allein, aber damals wusste ich wenigstens nicht, wie es sich auch anfühlen kann. In meinem Leben gab es noch nicht diese … diese Fülle – das ist eine lausige Beschreibung, aber besser bekomme ich es nicht hin –, was also wird wohl von mir übrig bleiben, wenn er geht?
Leere Menschen begreifen nicht, dass sie leer sind. Ich schätze, sie leben in einer glückseligen Unwissenheit. Wir können versuchen, uns in etwas Fremdes hineinzuversetzen – romantische Filme, schmalzige Liebeslieder, andere Jugendliche, die Händchen halten und sich auf diese völlig schräge Art anlächeln –, wir können so tun, als würden wir das alles verstehen. Aber das tun wir nicht. Nicht wirklich. Nicht, bis wir es erleben.
Plötzlich spüre ich, wie El seine Finger unter meine Hand schiebt, bis unsere Handflächen aufeinanderliegen. So verharren wir ein paar Sekunden, die sich wie das weite Meer erstrecken. Dann schaut er mich durch diese ewig langen Wimpern endlich an, und der Schmerz in seinen schwarztee-dunklen Augen ist kaum auszuhalten. Schmerz, aber keine Wut, keine Abscheu. Ich drehe mein Handgelenk und schiebe meine Finger zwischen seine.
»El, du hast mir Angst gemacht. Du machst mir Angst.«
»Tut mir leid.«
Seine Stimme klingt normal oder zumindest äußerst kontrolliert. Das ist die Sache, die niemand an El versteht: Alle glauben, er ist ein impulsiver, unverschämter Typ, der tut und sagt, was er will, und vermutlich stimmt das teilweise sogar. Aber wir sind alle voller Widersprüche, nicht wahr? Mein Freund hat Dinge durchgemacht, die die Seele jedes sogenannten Helden aus meinen geliebten Comics brechen würde, nur würde man das nie vermuten. Nicht, bis man ihn kennt. Wirklich kennt. Deshalb lasse ich mich auch nicht von seiner Stimme täuschen.
»Also …« Er dreht sich um, bis er wieder gerade hinterm Lenkrad sitzt. »Wie geht es Mike? Hast du ihm meinen Vorschlag ausgerichtet? Er sollte sich wirklich komplett den Kopf rasieren. Dann sieht er aus wie ein elegant gekleideter Professor X.«
Obwohl wir uns nun schon so lange kennen, bin ich noch immer beeindruckt. Ich habe keine Ahnung, wie er dieses Steuerung-Alt-Entfernen-Ding mit seinen Gefühlen hinkriegt. Aber diesmal lasse ich ihn nicht damit durchkommen. Nicht heute Abend.
»Hör auf, El.«
»Womit?«
»Mit ablenken.«
»Wenn du es nicht aushältst, dass ich deinem besten Freund ein Kompliment mache, Schatz, dann ist das dein Problem.«
»Himmelherrgott!« Ich werfe meinen Kopf gegen die Nackenstütze. »Kannst du mal einen Moment lang ernst bleiben? Mike geht’s gut, okay? Und ich weiß, dass du dir wirklich Sorgen machst und dich auf jeden Fall erkundigt hättest, aber es ist trotzdem ein wenig respektlos, weißt du?«
Er blinzelt, als hätte ich ihn noch einmal verbrannt. »Dylan, es tut mir leid. Ich wollte nicht …«
»Das weiß ich doch, aber ich finde es nicht in Ordnung, dass du Mike benutzt, um dich aus der Sache herauszuwinden. Also gut, haken wir deine Frage ab, damit wir endlich darüber reden können, was zum Teufel mit dir los ist.« Ich schließe die Augen. »Mike hatte seine Chemo und ist müde. Und er ist mutig und lustig und liebevoll, und er hat sich Sorgen um uns gemacht. Und Carol wird uns einen Kuchen backen und gemeinsam mit uns zum Christopher-Street-Day gehen, und verdammt!«
Ich breche in Tränen aus. So richtig volle Kanne mit Atemnot und Schnodder und Schluckauf, das komplette Programm. Im Gegensatz zu El weine ich durchaus. Was völlig absurd und verdammt lächerlich ist. Pixarfilme, Oscarreden, Werbung mit Erdmännchen – ich laufe nahezu ständig Gefahr, zu dehydrieren. Aber das gerade fühlt sich anders an.
»Liebling.« El kämmt mit seinen langen Fingern durch meine Locken. Er legt seine Hand in meinem Nacken und zieht mich zu sich und ich rieche hinter seinem Deo seinen starken, süßen Duft.
»Erzähl mir einfach, was passiert ist«, sage ich. »Sag es mir dieses Mal.«
»Da gibt es nichts.«
»El …«
Er schaut mich fest an. »Also gut. Gibt es doch. Aber ich möchte dich nicht mit hineinziehen. Außerdem ist es vorbei.«
Okay, ich habe es lange genug vermieden – weil mir allein schon beim Gedanken an diese Zeit schlecht wird –, aber diesmal muss ich etwas sagen.
»Hat es irgendetwas mit dem zu tun, was im Dezember passiert ist?«
El hat sich während der Weihnachtsferien vor mir zurückgezogen. Komplett zurückgezogen. Keine Anrufe, keine Nachrichten, nichts. Wir waren erst seit einer Woche richtig zusammen, und ich habe mir das Gehirn zermartert, um herauszufinden, was ich falsch gemacht hatte. Als er im neuen Jahr wieder bei mir auftauchte, war ich so erleichtert, ihn wieder zurück in meinem Leben zu haben, dass ich all seine dürftigen Entschuldigungen akzeptierte. Aber ehrlich gesagt habe ich die Beweggründe für sein Verschwinden nie geglaubt.
Ich möchte diese Zeit nicht wieder aufwärmen – ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen –, aber diese Angst heute an ihm? Das alles fühlt sich wie ein schreckliches Nachbeben von Weihnachten an.
El schüttelt entschieden den Kopf. »Nein, Dylan. Es hat nichts mit dem zu tun, was damals passiert ist.«
Ich will nicht zu sehr drängen, aber ich muss. »Du hast mir versprochen, dass du mich nie mehr so ausschließt. Du hast es versprochen, El.«
»Ich schließe dich nicht aus«, beharrt er. »Das heute, das ist anders.«
»Also gut …« Mir ist schwindelig. Ich atme tief ein. »Hast du einen anderen?«
»Nein, Dylan.« Als ich wegschauen will, nimmt er mein Kinn und dreht mich zu sich. »Es gibt keinen anderen. Es wird niemals einen anderen geben. Du Dussel.« Er lächelt sein schiefes Ellis-Lächeln, das strahlender ist als jede Leuchtreklame auf dem Broadway, und der Schmerz in seinen Augen ist fast nur noch eine Erinnerung. »Weißt du das denn noch immer nicht? In Ordnung, jetzt kommt’s … Ich kann gar nicht glauben, dass ich das jetzt wirklich sage.« Er lacht und kitzelt mich überfallartig. »Du bist der Richtige, Dylan. Du und deine wunderbaren Sommersprossen und dein rötliches Haar und deine Leberflecken auf dem Hintern und dein dämliches Geschichtszeug und dein Comicbücher-Quatsch und deine unheimlich süße Schüchternheit, die fast schon wieder nervt, und deine ständige Tollpatschigkeit und deine Vorliebe für Maoam und DU.
Er lässt mich los und ich falle lachend in meinen Sitz zurück und strahle.
El lacht auch, aber dann wird wieder einmal der berüchtigte Schalter umgelegt. »Es gibt nur dich, Dylan«, sagt er, wobei seine Stimme beinahe bricht. »Und ich weiß, dass du aus irgendeinem irrsinnigen Grund glaubst, dass du nicht verdienst, von mir geliebt zu werden. Was dich so ziemlich zum intelligentesten Idioten macht, der mir je begegnet ist. Ich liebe dich, Sprosse. Und was jetzt kommt, ist Märchen-Schwachsinn, ich weiß, aber irgendwie liebe ich dich, seit ich dich zum ersten Mal gesehen habe.«
Ich sitze benommen da.
»Das ist unmöglich«, sage ich leise. »Ich habe doch nur rumgestanden und dich angegafft.«
El schüttelt den Kopf. »Du solltest dich mal sehen. Dein Gaffen ist eins der besten Dinge an dir. Weißt du noch, wie mich an diesem ersten Abend am Lagerfeuer alle angestarrt haben? Da kam er hereinstolziert, der neue Schüler, ganz selbstgerecht und kampfeslustig, und mir begegneten diese schockierten Blicke und das Gelächter und der unmittelbare Hass und die seltsame Bewunderung – die übliche bunte Palette. Aber du? Du hast mich ohne Vorurteile oder Erwartungen angeschaut. Du hast einfach so ausgesehen, als wolltest du gerne Hallo sagen.«
»Was ich getan habe.«