Leuchtturmlichter - Lisa Schregle - E-Book

Leuchtturmlichter E-Book

Lisa Schregle

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Beschreibung

Die 19-jährige Sarah ist schwer traumatisiert und steckt in einer Abwärtsspirale fest. Auf Anraten ihrer Therapeutin fährt sie ans Meer, um endlich auf andere Gedanken zu kommen - ein Urlaub, der alles verändern wird.

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Triggerwarnung

Der größte Teil dieser Geschichte ist fiktiv, jedoch habe ich auch Erfahrungen aus meinem Umfeld bzw. eigene Erlebnisse mit einfließen lassen. Themen wie ein Flugzeugabsturz, Angst und Panikattacken, Albträume mit Flashbacks, Traumatisierung und Depressionen bis hin zum Suizidversuch sind Teil dieser Erzählung, die aber - so viel vorweg - mit einer großartigen Entwicklung enden wird.

Deshalb bitte ich Sie, lieber Leser, liebe Leserin, dieses Buch nur dann zu lesen, wenn Sie sich körperlich und psychisch dazu in der Lage fühlen.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

KAPITEL EINS

KAPITEL ZWEI

KAPITEL DREI

KAPITEL VIER

KAPITEL FÜNF

Vorwort

Ich habe vor einiger Zeit, ebenfalls über BOD, die Kurzversion dieser Geschichte veröffentlicht und „Tage aus Sand“ genannt.

Die Geschichte um die 19-jährige Sarah hat viele Leserinnen und Leser berührt und ich wurde mehrmals darum gebeten, sie doch bitte auszubauen, was ich hiermit endlich geschafft habe.

Die Erzählung ist fiktiv, keine der Figuren stellt eine Person aus meinem Umfeld dar - und trotzdem können Ähnlichkeiten auftreten.

Warnemünde ist ein Ort, den ich, ein Mensch aus dem tiefsten Niederbayern, zufällig für mich entdeckt habe.

Stundenlange, zu der Zeit bereits sehr kalte und windige, Strandspaziergänge mit guten Gesprächen an der wunderschönen Ostsee haben einiges zu diesem Buch beigetragen.

Viel Zeit haben wir auch bei den Leuchttürmen verbracht und in der Dunkelheit beobachtet, wie sie den Schiffen den Weg weisen.

Der Hafen ist ein Ort des Aufbruchs und des Ankommens. Hier stoßen Weite und Heimat aufeinander.

Ich wünsche Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, ebenfalls ein gutes Vorankommen, wohin auch immer Sie unterwegs sind, und dass auch Ihnen immer ein Leuchtturm den Weg weisen wird.

Ihre Lisa Schregle

PS: Ich habe diese Geschichte in einem kompletten Alleingang veröffentlicht - kein Lektorat, kein Gegenlesen. Sollten Sie deshalb irgendwelche Tipp- oder Druckfehler feststellen, bitte ich Sie, darüber hinwegzusehen.

EINS

Es war an einem Abend gegen Ende des Winters.

Die Dämmerung senkte sich bereits langsam über die Hausdächer. Stille machte sich breit.

Ich saß in meinem Zimmer am Schreibtisch und versuchte zu lernen.

Buchseiten mit aneinandergereihten Zahlen und Zeichen, die für mich gerade einfach keinen Sinn ergaben, verschwammen vor meinen Augen zu einem unleserlichen Kauderwelsch. Noch eineinhalb Jahre bis zum Abitur.

Hoffentlich.

Immer wieder glitt mein Blick nach draußen auf die von kahlen Bäumen gesäumten, menschenleeren Straßen, auf die sich an jenem nebelverhangenen Sonntag kaum ein Auto verirrte. Die Gehwege voller Februarmatsch.

Ein Tag, so traurig und leer wie die meisten anderen in dieser Jahreszeit. Zumindest fühlte es sich so an. Es war dieses Dazwischen, die Zeit zwischen Weihnachten und den ersten Frühlingsblumen. Eine tote Zeit, es sei denn, man traut sich, sie mit Leben zu füllen.

Aber dafür braucht man eine Art von Mut, den ich einfach nicht hatte.

Ich sprang auf und öffnete das Fenster, atmete die kalte Luft tief ein.

Vom Herbst liegengebliebene, braungefärbte Blätter raschelten leise im kühlen Wind.

Die Holzdielen auf dem Fußboden knarzten, als ich zurück zu meinem Schreibtisch ging.

Mein Zimmer war klein, mit langen Regalen voller Bücher Teilweise stammten sie noch von meinen Großeltern. Geschichten, die Oma schon als junges Mädchen las. Aus einer Welt, die ich mir nicht mal annähernd vorstellen konnte. Meine Großmutter war noch ein kleines Kind, als der Krieg ausbrach. Doch ihren Eltern gelang es, ihr und ihren Geschwistern trotz allem eine gute Kindheit zu bieten.

Sie lebten in Armut, doch außer an Geld fehlte es ihnen an nichts.

Die Bücher handelten von den Träumen und Wünschen junger Mädchen in der damaligen Zeit. Dinge, die heute selbstverständlich sind - oder völlig fremd. Daneben standen Bücher, die ich mir für den Unterricht besorgen musste. Lektüren, die jeder Gymnasiast gelesen haben sollte und schließlich die, die ich mir selbst aussuchte. Biografien, Romane, Dramen.

Doch ich fand keine Ruhe zum Lesen. Immer mal wieder schaffte ich ein paar Seiten, oft vor dem Schlafengehen, bis mir nach kurzer Zeit die Augen zufielen.

Seufzend wandte ich mich wieder meinem Mathebuch zu.

Während ich versuchte, die Zeilen zu verstehen, spürte ich wieder dieses merkwürdige Gefühl in mir.

Seit ein paar Wochen überkam es mich regelmäßig.

Es stieg aus dem Bauch auf und bewegte sich immer mehr in die Richtung meines Herzens - bis ich irgendwann weinen musste.

Auch diesmal hatte ich Tränen in den Augen.

Einfach so.

Es war eine Mischung aus Melancholie und Traurigkeit, aber gleichzeitig eine unglaubliche Sehnsucht, die mich da immer wieder plötzlich übermannte. Als wäre da etwas Verborgenes, was ich endlich finden sollte. Was wichtig war. Aber ich konnte es weder greifen, noch fand ich die richtigen Worte für diese merkwürdige Empfindung.

Wie gern hätte ich mit jemandem darüber gesprochen, aber es gab nicht viele Menschen um mich herum, mit denen man über so etwas reden konnte.

Die meisten würden mich nicht verstehen und nur müde lächeln.

In der Pubertät gehörten solche Stimmungsschwankungen halt dazu, hieß es. Und mit meiner Geschichte doch sowieso. Ich war ja ohnehin nicht normal. Was dieses „normal“ eigentlich bedeuten sollte, konnte mir noch niemand beantworten. Angepasst, unauffällig, leise. Ich sei zu leise, zu unauffällig, zu ängstlich- oft so, als wäre ich gar nicht da.

Und das war dann schon wieder unnormal.

Auch die wenigen Freundschaften, die ich pflegte, kamen mir oft erschreckend leer vor.

Monoton, einseitig, fast langweilig. Wenn überhaupt, war meistens ich es, die anrief.

Oder gar nicht.

Im Grunde war ich allein. Allein unter Menschen, die mich mochten und die ich mochte.

Allein unter vielen um mich herum, die da waren und mich doch nicht erreichten.

Allein. Allein mit meinen Gedanken, mit meinem Leben.

Ich seufzte, klappte mein Buch zu und stand auf.

Unten in der Küche hörte ich meine Großmutter rumoren, bestimmt würde es bald Abendessen geben.

Ich sah sie in Gedanken vor mir, wie sie mit ihrem grauen Dutt und den rosigen Wangen in unserer geheizten Küche stand und voller Hingabe in ihrem bestimmt schon jahrzehntealten großen Topf rührte. Oft summte sie dabei ein Lied. Meine Oma liebte die ganz alten Schlager. Manchmal drehte sie auch das Radio auf. Die klassischen Sender waren ihr am liebsten.

Ich mochte meine Oma Elfriede. Die ältere Frau von fast 80 Jahren mit dem herzlichen Lachen, die so hilfsbereit war, dass sie manchmal die halbe Nachbarschaft bekochte.

Oma war überall gern gesehen und hatte viele Freunde.

Leise öffnete ich meine Zimmertür. Der Duft nach Suppe zog schon über die Flure. Ich atmete tief ein. Dann machte ich mich langsam auf den Weg ins Erdgeschoss.

Unten stand die Wohnzimmertür offen, ich warf einen Blick hinein. Mein Großvater Hans lag auf der Couch vor dem Kamin und schlief, während im Hintergrund leise der Fernseher lief.

Unsere schwarze Katze Moni hatte sich zu seinen Füßen zusammengerollt und schnarchte.

Ich blieb kurz stehen und betrachtete meinen Opa, seine faltigen Hände, die auf seinem Bauch lagen. Hände, die über viele Jahre hart arbeiteten, die schwere Lasten trugen, selten Pause machten. Die mich als Baby hoch hoben und über meine Haare strichen, als ich als kleines Kind nach dem schweren Unglück meiner Eltern so oft weinend im Bett lag und nicht einschlafen konnte.

Vor meinem inneren Augen zogen Bilder vorbei. Ich sah uns beide vor vielen Jahren auf dem Teppichboden vor dem Kaminfeuer sitzen und mit meiner Ritterburg spielen. Wir kämpften gegeneinander, mit Rittern und Pferden, doch Opa ließ mich niemals verlieren. Ich sollte ein Gewinner sein - und ein Gewinner bleiben, wenn ich groß bin.

Doch dann, dann kam dieses schreckliche Unglück.

Ich war vier Jahre alt und erinnere mich noch heute an einen glühend heißen Sommermorgen. Meine Eltern, die für meine Schwester und mich immer nur das Beste wollten, wollten mit uns beiden in den Urlaub fliegen.

Bereits viele Abende vor unserer Abreise zeigte mir meine Mama immer wieder Bilder von Flugzeugen und erzählte von ihren bisherigen Reisen, von all den Abenteuern, die sie in sämtlichen Teilen der Welt erlebt hatte. Sie wanderte drei Wochen lang allein durch die Regenwälder Australiens, bestaunte Elefanten in Afrika und spazierte an der Chinesischen Mauer entlang.

Mama war Reisejournalistin und übte diesen Beruf mit großer Leidenschaft aus. Wenn sie zuhause war, zeigte sie meinem Papa, meiner Schwester Laura und mir immer Fotos von ihren Erlebnissen.

Papa war selbstständiger Fotograf und oft mit meiner Mama, manchmal aber auch alleine unterwegs. Ich erinnere mich an seine grauen Augen, die immer in die Ferne gerichtet waren. Er mochte es nicht, wenn wir im Haus Verstecken spielten.

Er mochte es allgemein nicht, wenn er uns aus den Augen verlor.

Papa hatte uns am liebsten immer im Blick.

Meine Eltern liebten das Leben.

Und so waren sie sehr glücklich, als sie uns mitteilten, dass wir in den Sommerferien drei Wochen auf Lanzarote verbringen würden.

Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern, dafür war ich mit vier Jahren einfach noch zu klein.

Aber ich weiß, dass diese drei Wochen einfach wundervoll waren. Viel Sonne, frische Luft und Meer, lange Spaziergänge und Toben am Strand und abends hielten wir Stockbrot und Würstchen ins Lagerfeuer, während hinter uns die Brandung rauschte.

Wir lernten andere Kinder kennen, die mit ihren Eltern ebenfalls Urlaub in der Gegend machten und mit denen wir den ganzen Tag spielen durften.

Manchmal fuhren wir in die Stadt. Es war sehr heiß und die Gassen waren eng. Aber die dicht aneinandergereihten Häuser waren bunt und überall blühten wunderschöne Blumen.

Ich mochte die Sprache, in der die Menschen miteinander redeten, auch wenn ich kein Wort verstand. Wenn ich ein Eis kaufen wollte, deutete ich einfach mit dem Finger auf die Sorte. Oft bekam ich eine zweite Kugel obendrauf. Manchmal schenkten sie mir das Eis und ich lief strahlend zu meinen Eltern zurück. Kinder waren auf dieser Insel gern gesehen.

Ich genoss jeden Tag, baute unzählige Sandburgen und war stolz auf jede einzelne. Immer wieder lobten sie mich dafür. „Unsere Sarah wird bestimmt mal Architektin, schaut euch diese Türme an“, lachte mein Papa.

Aber er meinte es ernst.

„Wenn ich groß bin, will ich in so einem Schloss leben“, rief ich dann immer stolz und deutete auf meine Bauwerke.

“Wenn du so weiter übst, wirst du dir dein eigenes bauen“, antwortete Papa und sah mich an, mit dieser Mischung aus Freude und väterlichem Stolz.

Im Nachhinein wünschte ich, wir hätten jeden einzelnen dieser kostbaren Momente auf Video aufgenommen. Ich würde diesen Film in Endlosschleife abspielen. Ein Stück Leben festhalten. Sommer, Wärme. Erinnerungen.

Ich krallte mich an jede einzelne, ging diese wundervollen Sommerszenen immer wieder in meinem Kopf durch und hatte große Angst, irgendwann eine zu vergessen.

Dann kam der besagte Tag des Rückfluges, dieser glühend heiße Morgen.

Ich weiß noch, dass ich weinte, irgendwie hatte ich die ganzen Zeit schon ein komisches Gefühl. Am Gate ließ ich die Hand meiner Mama nicht los.

Ich erinnere mich noch an den Einstieg ins Flugzeug und dass unsere Plätze sehr weit hinten waren.

Ab dem Zeitpunkt bricht meine Erinnerung ab. Alles weitere weiß ich nur noch aus Erzählungen und aus den häufigen nächtlichen Albträumen, in denen sich immer der gleiche Filmriss abspielt: es muss schon kurz vor der Landung gewesen sein, als wir plötzlich fallen, irgendjemand brüllt, ein lauter Knall, ohrenbetäubende Geräusche, der Geruch nach Feuer und nach verbranntem Holz.

Erst viel später erzählten mir meine Großeltern, was geschehen war. Man sprach von einem technischen Defekt, aber so richtig konnte ich das nicht glauben. Auf jeden Fall stürzte unser Flugzeug ab und die meisten Menschen, darunter auch meine Eltern und meine Schwester, die zu dem Zeitpunkt zwölf Jahre alt war, starben noch am Unfallort.

Ich gehörte zu den wenigen, die überlebten und wurde aufgrund schwerer Verletzungen viele Wochen in einem Krankenhaus behandelt. Meine Großeltern, die Eltern meiner Mutter, zogen in ein nahegelegenes Hotel und besuchten mich so oft es ging. Anschließend nahmen sie mich mit nach Hause. Seitdem wuchs ich bei ihnen auf und sie taten alles, um mir trotz meiner Vergangenheit eine erfüllte Kindheit zu bieten.

Aufgrund meines Traumas und den damit einhergehenden Angst- und Panikattacken, sowie Albträumen, war ich seit Jahren in psychologischer Behandlung bei meiner Therapeutin Frau Dr. Köhl, eine freundliche Frau Mitte 50 mit sanften braunen Augen und grau melierten Haaren.

Ihre Aufgabe war es in erster Linie, mich durch meinen Alltag zu begleiten und mir zu helfen, mit all den größeren und kleineren Hürden des Lebens, die für andere selbstverständlich waren, besser zurechtzukommen.

Durch das schreckliche Erlebnis in meiner Kindheit fielen mir die einfachsten Dinge oft unendlich schwer. Ob man mich jemals heilen könnte, wusste sie nicht. Und wenn, so sagte man, würde so etwas noch Jahre dauern.

Ich zuckte bei den Erinnerungen zusammen und mein Herz begann zu rasen. Opa schnarchte noch immer.

Ich schaute ihn mit großen Augen an und konzentrierte mich auf die gleichmäßige Bewegung seines Bauches, während er ruhig atmete.

Langsam beruhigte sich auch mein Herzschlag wieder.

Auf dem Flur näherten sich Schritte. Meine Oma kam, um nach Opa und mir zu schauen.

„Ach, hier seid ihr. Geh schon mal vor in die Küche, Sarah, ich wecke Opa auf und dann essen wir. Ich habe eine gute Kartoffelsuppe gemacht..“

Ich setzte mich an den gedeckten Esstisch und musste lächeln, als ich meinen Blick an den Wänden in unserer gemütlichen kleinen Küche entlang gleiten ließ.

Da waren meine selbstgemalten Bilder aus dem Kindergarten, von denen sich Oma heute noch nicht trennen kann, neben einem Kalender mit Kochrezepten und einem großen, gerahmten Foto von meiner Familie. Zu dem Zeitpunkt war ich ungefähr zwei Jahre alt.

Früher musste ich immer weinen, als ich es sah, doch heute bin ich froh, dass es da hängt.

„So werden wir sie immer in unserer Mitte haben“, hatte meine Oma erklärt und mit den Fingern vorsichtig über das Bild gestrichen.

Unsere Familie.

Heute trug meine Großmutter eine grüne Schürze mit bunten Blumen. Ich musste an den Frühling denken.

Doch Oma braucht keinen Frühling. Sie strotzt auch im Winter nur so vor Energie. Es ist, als ob in ihr drin immer die Sonne scheinen würde.

Abend sieht sie mit Opa fern oder setzt sich in ihren Schaukelstuhl und blättert in ihren Illustrierten mit den ganzen bunten Fotos von und Berichten über Prominente, von denen ich größtenteils nicht mal die Namen kenne.