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Mit den Krimis und der Literatur ist es im Literaturbetrieb so eine Sache. Krimis werden in den Institutionen der „hehren“ Literatur mit leicht gerümpfter Nase behandelt, gleichzeitig tragen ihre Verkaufszahlen dazu bei, dass der Buchmarkt überleben kann. Krimis gibt es zu jedem Thema und mittlerweile auch fast zu jeder Ortschaft, von Kikeritzpatschen bis Stinatz – Quantität statt Qualität scheint das Motto einiger spezialisierter Verlage zu sein. Aber Krimis haben eine lange Tradition, berichtet Robert Preis in seiner Einleitung. Und benötigen Institutionen der Literatur nicht mehr, weil sie sich selbst institutionalisiert haben – es gibt eigene Preise und Stipendien, Festivals, Rezensent:innen und Veranstaltungsformate nur für Kriminalliteratur. Nicht zuletzt Wolf Haas hat mit seinem Kommissar Brenner dazu beigetragen, dass der Literaturbetrieb feststellen musste, dass es eben auch Hybride gibt: Krimis müssen nicht, können aber durchaus literarische Qualitäten aufweisen. Robert Preis, selbst Autor einer noch nicht abgeschlossenen Reihe von Graz-Krimis, die mittlerweile schon teilweise verfilmt ist, hat fünf Kolleg:innen um Kurzkrimis gebeten: Judith Raith, Manfred Baumann, Clementine Skorpil, Thomas Raab und Isabella Trummer. Fünf österreichische Autor:innen stellvertretend für ein eigenes Genre. Bilden Sie sich selbst eine Meinung, wir sind gespannt, was Sie dazu sagen. Und hoffen, Sie haben an diesem Heft genauso viel Freude wie wir! Andrea Stift-Laube
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Mit den Krimis und der Literatur ist es im Literaturbetrieb so eine Sache. Krimis werden in den Institutionen der „hehren“ Literatur mit leicht gerümpfter Nase behandelt, gleichzeitig tragen ihre Verkaufszahlen dazu bei, dass der Buchmarkt überleben kann. Krimis gibt es zu jedem Thema und mittlerweile auch fast zu jeder Ortschaft, von Kikeritzpatschen bis Stinatz – Quantität statt Qualität scheint das Motto einiger spezialisierter Verlage zu sein. Aber Krimis haben eine lange Tradition, berichtet Robert Preis in seiner Einleitung. Und benötigen Institutionen der Literatur nicht mehr, weil sie sich selbst institutionalisiert haben – es gibt eigene Preise und Stipendien, Festivals, Rezensent:innen und Veranstaltungsformate nur für Kriminalliteratur. Nicht zuletzt Wolf Haas hat mit seinem Kommissar Brenner dazu beigetragen, dass der Literaturbetrieb feststellen musste, dass es eben auch Hybride gibt: Krimis müssen nicht, können aber durchaus literarische Qualitäten aufweisen.
Robert Preis, selbst Autor einer noch nicht abgeschlossenen Reihe von Graz-Krimis, die mittlerweile schon teilweise verfilmt ist, hat fünf Kolleg:innen um Kurzkrimis gebeten: Judith Raith, Manfred Baumann, Clementine Skorpil, Thomas Raab und Isabella Trummer. Fünf österreichische Autor:innen stellvertretend für ein eigenes Genre. Bilden Sie sich selbst eine Meinung, wir sind gespannt, was Sie dazu sagen. Und hoffen, Sie haben an diesem Heft genauso viel Freude wie wir!
Andrea Stift-Laube
POESIE AN UNVERMUTETEN STELLEN
Clemens J. Setz
Folge 21: Die Erinnerung an Yabujin
LITERATUR
Sofie Lichtenstein
Wir würden
Tom Veber
Gedichte
Aus dem Slowenischen von Daniela Kocmut
Mario Schemmerl
Festhalten
Friederike Schwab
Räume der Poesie
Boštjan Narat
Die Band
Aus dem Slowenischen von Daniela Kocmut
Joachim G. Vötter
Der gekreuzigte Garten
EMIL-BREISACH-LITERATURPREIS 2023 DER AKADEMIE GRAZ
Nina Maria Metzger
laute farben und grindige tiere
SCHWERPUNKT: WARUM KRIMI?
Robert Preis
Warum Krimi – Einführung
Thomas Raab
Wenn sich zwei streiten
Clementine Skorpil
Die drei Leopolde
Manfred Baumann
Judith muss man schonen
Judith Raith
Erinnere dich
Isabella Trummer
Die Resilienz der Opfer
ABSPANN
Constantin Schwab
Retten, retten, besser retten. Über Travelers und das Absurde
KURZBIOGRAFIEN
& Impressum
Clemens J. Setz
Folge 21: Die Erinnerung an Yabujin
Damals, in meiner Beschäftigung mit der Twitterdichtung, musste ich immer wieder erleben, wie riesige künstlerische oder poetische Werke einfach so gelöscht wurden. Jetzt habe ich mich lange und wortreich darüber aufgeregt, aber einen der bedeutendsten Verluste habe ich gar nie erwähnt. Das hat damit zu tun, dass das Werk eigentlich in überhaupt kein Genre einzuordnen ist. Man nennt es, etwas notgedrungen, „Rap“, aber es ist ein vollkommen bizarres und bizarr vollkommenes Gesamtkunstwerk, das heute nur mehr in Resten existiert. Der junge Mann hinter dem Projekt nannte sich Yabujin. Er veröffentlicht nicht nur eine neue, hinreißende Art von Musik und verbaler Dichtung, sondern erfand sogar eine eigene Kunstsprache, in der er einen Teil seines zunehmend zu einem enigmatischen Verweisnetzwerk anschwellenden Outputs komponierte.
Und dann löschte er alles.
Man weiß, dass Yabujin aus Litauen stammt. 1999 wurde er geboren und seit 2015 ist er im Internet aktiv. Bekannt wurde er zuerst für seine eindeutig dem Nostalgie-Genre „Webcore“ zuordenbaren Rapsongs und Musikvideos. Webcore imitiert bewusst die Ästhetik früher Internetseiten. RealPlayer-Stream-Gestotter, absichtlich schlechte Schnitte und Überblendungen, stark verpixelte Bilder, liebliche Maskottchen an den Rändern, herzerfrischend gut imitierter Midi-Sound. Die Musik von Yabujin ist eine eigenwillige Mischung aus Rap und Techno. Einige seiner Alben sind noch relativ leicht zu finden. Freundliche Menschen haben sie nach der Löschung bewahrt.
„Yabujin makes you feel like u r stuck in a 80s video game in an endless hallway“, lautet ein Kommentar auf Youtube, was durchaus stimmt, aber das kratzt nur ein wenig an der Oberfläche. Denn unterhalb der Früh-Internet-Ästhetik und der charmanten Camp- und Catchiness der Songs existiert ein ganzer Planet aus Zusammenhängen, drängenden Fragen und Privatmythologien, die Yabujin über die Jahre angelegt hat. Am deutlichsten kann man das in seinen Youtube-Videos sehen (bzw. in den wenigen, die von Fans bewahrt wurden), in denen Gespräche verschiedener Entitäten in der „Azeroy“ genannten Kunstsprache dargestellt werden. Diese vollkommen surrealen Gespräche, etwa über das Aussehen von Vögeln oder das Problem der Erschaffung künstlichen Lebens, gehören für mich zum Verstörendsten und Wunderbarsten, was man je im Internet finden konnte. Wen Werke wie David Lynchs Eraserhead oder die frühen Essays von Georges Bataille (z.B. über die Metaphysik des großen Zehs oder die Symbolik der Blumen) beglücken, der wird bei den Videos der Azeroy-Serie geschmeichelt mitnicken.
In der rein verbalen Nacherzählung verlieren diese philosophischen Gespräche leider den ganzen Zauber. Man muss es wohl selbst ansehen – und studieren. Man glaube mir, es lohnt sich. Ein Youtube-Kanal namens „Yoshimi“ hat sogar so etwas wie eine kunsthistorische Analyse der Azeroy-Welt vorgelegt, in einem hervorragenden Video namens „The Rapper who Created their own Language“. Er geht in seinen Deutungen scheinbar recht tief, aber diese Tiefe ist noch immer nichts gegen den schwindelerregenden Wirbel aus Verweisen und Sackgassen und mysteriösen Singularitäten, die das ursprüngliche Gesamtwerk dem Betrachter lieferte. Und das alles in diesem Stil:
Es war einfach entzückend. Hier ein random ausgewählter Dialog zwischen zwei Wesen (oder Stimmen) aus der mythischen Azeroy-Welt:
A: Ich werde als erstes Leben erschaffen
(besprüht einen Baumstumpf mit einer Sprayflasche)
B: Wie?
A: Ich weiß schon, wie.
B: Wie?
A: Nach chirurgischer Art.
B: Um die Kerze heilig zu machen? Du verlierst sie doch bloß.
A: Die Kerze ist unwichtig.
B: Hmpf.
A: Sie brennt doch schon.
B: Das Feuer ist nicht heilig. Du bist ein Idiot.
A: Bin ich gar nicht.
B: Bist du doch.
A: Das ist gemein.
Aber dann ging dem Künstler das Internet allmählich auf die Nerven. Die Fans waren viel zu begeistert, zu besessen von seiner Person. Sie kommentierten seine Tattoos, rätselten über seinen Wohnort, seine Sexualität, seine Familie. Er schuf einzigartig enigmatische Kunst – und sie wollten seine Adresse herausfinden. Also löschte er einfach alles, bis auf ein paar Soundcloud-Einträge, und verschmolz vollständig mit jenem Element, aus dem er ursprünglich gekommen war: dem Underground.
Yabujins Werk war eine der genuinen Kunsterfahrungen meines Lebens. In den bewahrten Resten, die noch zugänglich sind, kann man die einstige Intensität durchaus noch ablesen. Am besten, man beginnt bei seinen Liedern und ihren raffiniert komponierten Manga-und-Gamecube-Kindheit-Nostalgie-Effekten, ihren harmlosen Lyrics über adoleszente Verwirrtheit und unklare Sehnsucht, und steigt erst dann, wenn sich die schrillen Ohrwürmer verlässlich im Bewusstsein festgesetzt haben, vorsichtig in das viel unheimlichere Azeroy-Videokunst-Universum ein. Man wird daraus nichts Nacherzählbares mitnehmen, nur erleben wird man, auf einer verblüffend „reinen“ Ebene, d. h. einer ohne Ideologien. Auch vergessen wird man es nicht so bald.
Sofie Lichtenstein
Wir würden