Liebe in fünf Gängen - Ulrike Janos - E-Book

Liebe in fünf Gängen E-Book

Ulrike Janos

4,7

Beschreibung

Conny, Anfang vierzig, geschieden und leidenschaftliche Hobbyköchin, schwärmt für den Fernseh-Starkoch Valentin Seidel. Sie kratzt ihr letztes Geld zusammen, um in Valentins Nobelhotel am Bodensee Urlaub zu machen. Doch das ersehnte Zusammentreffen mit Valentin verläuft ganz anders als erhofft. Dann lernt Conny auch noch Valentins jüngeren Bruder Felix kennen und findet sich auf einmal in einem Wirrwarr aus Schwindeleien und Turbulenzen wieder, das auch ihre Gefühle ins Chaos stürzt ... Eine romantisch-leichte Liebesgeschichte mit viel Humor, aber auch mit Verwicklungen, Enttäuschungen und Tränen.

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Über die Autorin

Widmung

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Impressum

Ulrike Janos

Liebe in fünf Gängen

Liebesroman

Über die Autorin

Ulrike Janos, Jahrgang 1971, liebte schon als Kind alles, was mit Büchern und Sprache zu tun hat. Nach ihrem Studium der Sprachwissenschaften entdeckte sie schon bald ihre Liebe zum Schreiben und vor allem zur Belletristik. Heute ist sie als freie Autorin tätig und lebt in der Nähe von Stuttgart. »Liebe in fünf Gängen« ist ihr erster Roman.

Widmung

Dieses Buch widme ich in Liebe und Dankbarkeit meinen Eltern: Meiner Mama, die mir die Liebe zum Kochen geschenkt hat, das Erscheinen dieses Buches aber leider nicht mehr miterleben darf. Und meinem Papa, der mich in allem, was ich tue, unterstützt und ohne dessen Beharrlichkeit ich nie zum Schreiben gekommen wäre.

1

»So ein Mist«, brummte Conny, denn mit einem ohrenbetäubenden Lärm war der überdimensionale Bücherstapel in der Auslage in sich zusammengestürzt und hatte die ganze Buchhandlung zum Beben gebracht.

Conny versuchte verzweifelt, sowohl die Reißzwecken zwischen ihren Lippen als auch das Plakat, das sie gerade an der gegenüberliegenden Wand anbringen wollte, festzuhalten. Zu allem Übel schwankte auch noch die hölzerne Trittleiter unter ihr wie der Stuttgarter Fernsehturm in einem Novembersturm. Mit der einen Hand hielt sie sich an der Leiter fest, mit der anderen drückte sie das Plakat gegen die Wand. Zaghaft drehte sie sich um und blickte direkt in das finstere Gesicht ihres Chefs. Das hatte nichts Gutes zu bedeuten, so weit kannte sie ihn. Immerhin arbeitete sie nun schon seit mehr als zehn Jahren in seiner Buchhandlung.

Rasch fingerte sie die Reißzwecken aus dem Mund und schob sie in ihre Hosentasche. »Sorry, Herr Wieland«, stammelte sie.

»Hatte ich nicht gesagt, dass Sie den Stapel kleiner machen sollen?«

»Nun, ich dachte, bei diesem ganz besonderen Buch wäre es gut, wenn wir ein paar mehr in der Auslage …« Wobei ein paar ziemlich untertrieben war, das musste Conny schon zugeben.

Doch seine Miene ließ keine Kompromisse zu. »Bitte, Frau Hausmann«, meinte er nur und deutete auf die Bücher, die wild verstreut auf dem Boden lagen. Dann wandte er sich wieder dem Kunden zu, der ihm gegenüber an der Kasse stand und bezahlen wollte.

Na gut, wenn er es unbedingt wollte, würde sie den Stapel eben kleiner machen und etwas weniger kunstvoll arrangieren als zuvor. Erich Wieland war ja eigentlich ein prima Chef, nett, wohlwollend und nachsichtig – meistens zumindest. Doch wenn es um solche Dinge ging wie gerade eben, kannte er kein Pardon, erst recht nicht, wenn es vor den Augen der Kunden passierte.

Conny rollte das Plakat, das sie immer noch in der Hand hielt, zusammen, kletterte die Trittleiter hinunter und machte sich daran, den umgekippten Bücherstapel wieder in Ordnung zu bringen. Die Reißzwecken in ihrer Hosentasche stachen sie beim Bücken in den Bauch, und in ihrem Rücken spürte sie die Blicke ihres Chefs, der sie nun natürlich mit besonderer Beobachtung bedachte.

Während sie den Stapel wiederaufbaute, inspizierte sie die Bücher genau, vielleicht ein wenig zu intensiv, was ihr aufgrund des Fotos auf dem Einband auch nicht wirklich schwerfiel. Glücklicherweise hatten alle den unglückseligen Sturz heil überstanden. Das hätte gerade noch gefehlt! Womöglich hätte sie sogar für den Schaden aufkommen müssen, was ihr Brötchengeber in der für ihn typischen Art wohl als »Lehrgeld« bezeichnet hätte. Und das, wo sie im Moment ohnehin knapp bei Kasse war, weil sich ihre anspruchsvolle Tochter schon zum dritten Mal in diesem Frühjahr neue Jeans in den Kopf gesetzt hatte und ihr studierender Sohn unbedingt mit seinem Ökologieseminar auf eine Studienfahrt nach Schweden mitwollte. Eigentlich hätte sie die beiden mit ihren Sonderwünschen zu ihrem Erzeuger schicken sollen, dachte sie und seufzte, doch wie ihr zu Ohren gekommen war, zog dieser es anscheinend gerade vor, sich auf einer Meditationsreise in einem tibetanischen Kloster selbst zu finden.

So war sie also froh, dass die Bücher keinen Schaden davongetragen hatten. Diesmal machte sie den Stapel nicht einmal halb so hoch und legte die Bücher ganz exakt aufeinander, damit sie ja nicht ins Kippen geraten konnten. Die übrigen Exemplare brachte sie zurück ins Lager.

Als sie von dort wieder zurückkam, war der Kunde gegangen, und Erich Wieland empfing sie mit einem Kopfschütteln. »Musste das denn vor dem Kunden sein?«

»Natürlich nicht, und es tut mir auch wirklich leid, ehrlich.«

»Na, dann ist ja gut.« Damit schien die Sache für ihn erledigt, denn er beugte seinen graumelierten Kopf über die Lagerbestandslisten, die er auf der Ladentheke ausgebreitet hatte.

Nun versuchte Conny ihr Glück mit dem Plakat auf ein Neues und erklomm noch einmal die wacklige Trittleiter, die wahrlich schon bessere Zeiten gesehen hatte. Ohnehin verströmte die gesamte Buchhandlung, die sich an einer belebten Einfallstraße in einem Vorort von Stuttgart befand, einen Hauch von Nostalgie und Angestaubtheit – von den Deckenlampen in Tütenform, die sicher noch aus den fünfziger Jahren stammten, bis hin zur Türglocke, die genau in diesem Augenblick einen melodischen, aber etwas antiquierten Dreiklang ertönen ließ.

Eine ältere Dame mit einem weißen Pudel an der Leine betrat den Laden und blickte sich unsicher um. Conny hatte gerade die ersten beiden Reißzwecken an ihrem Plakat befestigt und hegte die leise Hoffnung, dass sich ihr Chef selbst um die Kundin kümmern würde. Schließlich wollte sie endlich einmal mit dem Plakat fertig werden. Und das Buch, das darauf beworben wurde, sollte ja auch verkauft werden.

Doch schon im nächsten Moment vernahm sie ein leises Räuspern. Hatte sie doch geahnt, dass er sie von der Leiter holen würde, um die Kundin zu bedienen! Sie ließ das Plakat los, das glücklicherweise schon an den beiden oberen Ecken befestigt war, so dass es wenigstens an seinem Platz hängen blieb.

Mit einem kaum hörbaren Seufzer kletterte sie von der Leiter, setzte ihr höflichstes Verkäuferinnenlächeln auf und wandte sich der Kundin zu. »Wie kann ich Ihnen helfen?«

Wenn es stimmte, dass Hunde oftmals ihren Herrchen ähnelten, dann traf es für diese Kundin und ihren Pudel tausendprozentig zu. Die Dame hatte wirklich so etwas wie ein Pudelgesicht, und Conny versuchte, so gut es ging, das Lachen zu verkneifen und möglichst professionell zu wirken.

»Ich suche ein Buch für meine Enkelin zum Geburtstag. Sie wird fünfzehn«, sagte die Dame und blickte Conny fragend an.

»Haben Sie denn an etwas Bestimmtes gedacht?«

Sie schüttelte den Kopf. »Vielleicht können ja Sie mir einen Rat geben? Sie wissen bestimmt viel besser als ich, was die Jugend heute so liest. Wissen Sie, als ich fünfzehn wurde, steckten wir mitten im Wiederaufbau nach dem Krieg, und da hatten wir andere Dinge zu tun, als zu lesen.«

»Natürlich.« Conny nickte verständnisvoll und überlegte. Die meisten Mädchen in diesem Alter fuhren ja gerade auf Fantasy oder Vampirgeschichten ab. Doch während sie mit der Kundin im Schlepptau zur Jugendbuchabteilung marschierte, kam ihr eine zündende Idee. Warum sollte sie nicht gleich die Gelegenheit beim Schopfe packen?

»Wissen Sie was?«, meinte sie und machte eine Kehrtwendung, bei der sie beinahe noch die Dame mitsamt ihrem Pudel umgestoßen hätte. »Immer dieselben Geschichten zu lesen, das wird doch auf Dauer für ein junges Mädchen langweilig. Wie wäre es denn mal mit etwas völlig anderem? Ich hätte da ein Buch, das Ihrer Enkelin bestimmt gefallen würde.«

Sie blieb vor dem Bücherstapel stehen, den sie gerade wiederaufgebaut hatte, und griff nach dem obersten Buch.

»Ein Kochbuch?« Die Kundin runzelte die Stirn. »Also, ich weiß nicht …«

Conny versuchte, so überzeugend wie möglich zu wirken. »Warum nicht? Sehen Sie, Ihre Enkelin ist doch nun schon eine junge Dame, sozusagen beinahe erwachsen. Da wird es höchste Zeit, dass sie kochen lernt.« Obwohl die Kundin sie skeptisch anblickte, fuhr sie unbeirrt fort: »Und wer ist dafür besser geeignet als Valentin Seidel, der genialste Koch, den ich kenne. Ach was, er ist nicht nur ein Koch, er ist ein wahrer Küchengott! Und gerade sein neuestes Buch hier ist einfach …«

»Frau Hausmann«, unterbrach sie eindringlich die Stimme ihres Chefs. »Lassen Sie mich das bitte machen, ich bediene die Dame. Kümmern Sie sich lieber um Ihr Plakat.«

Während sich Erich nun endgültig mit der Kundin in die Jugendbuchabteilung aufmachte, trottete Conny zurück zu ihrer Leiter. Verärgert presste sie die beiden fehlenden Reißzwecken in die Wand. Das war mal wieder typisch für ihren Chef. Wenn sie sich besondere Gedanken machte und den Kunden nicht immer denselben Einheitsbrei verkaufen wollte, bremste er sie mit seiner rückständigen Denkweise aus! Und dazu noch bei diesem einen Buch, das es doch besonders verdiente, entsprechend ins Rampenlicht gerückt zu werden!

Als sie fertig war, kletterte sie die Leiter hinunter, trat ein paar Schritte zurück und bewunderte ihr Werk. Welch Bild von einem Mann Valentin Seidel doch war! Sein neues Kochbuch in der Hand strahlte er von dem Plakat herunter, und unter seiner überdimensionalen Kochmütze quollen blondgesträhnte Locken hervor, die ihn in Connys Augen ein wenig wie einen Engel aussehen ließen. Sie atmete tief ein und sah ihn vor sich, wie er am Herd stand, mit einer eleganten Handbewegung eine seiner umwerfenden Saucen umrührte und dabei seinen weiblichen Fans ein charmantes Lächeln über den Bildschirm schickte.

Conny schloss die Augen und träumte weiter. Nun sah sie ihn auf sich zukommen, er strahlte sie an, und sie hörte seine unvergleichlich samtige Stimme: »Conny.« Dann beugte er sich zu ihr hinunter, und sein Mund kam ihrem immer näher ...

»Conny! Sag mal, schläfst du?« Wie aus dem Nichts war hinter Conny eine attraktive Rothaarige in einem eleganten Designerkostüm aufgetaucht. »Aha, hätte ich mir ja denken können, womit du dich wieder beschäftigst. Mister Küchengott persönlich! Na, auf dem Plakat sieht er ja wirklich ganz appetitlich aus. Nur die Haare sind ein bisschen zu feminin, wenn du mich fragst.«

Conny schreckte auf und drehte sich rasch um. »Doro!«, rief sie und fiel ihrer Freundin um den Hals. »Bist du schon zurück? Wie war’s in Hamburg?« Sie schob Doro ein Stückchen von sich weg und musterte sie eingehend. »Neue Haarfarbe, wenn ich mich nicht irre?«

Doro nahm eine Pose ein, die Marilyn Monroe vor Neid hätte erblassen lassen, und strich sich über das Haar. »Habe ich mir in Hamburg machen lassen. Ist ein Geheimtipp, der kommende Coiffeur der Stadt, ein ganz schnuckeliger Typ. Leider ein bisschen jung für mich, und außerdem soll er mehr auf Männer stehen. Sieht heiß aus, was?«

Conny nickte anerkennend und öffnete den Mund, um zu antworten, aber Doro ließ sie nicht zu Wort kommen. »Süße, ich sage dir, Hamburg ist schon eine tolle Stadt. Da ist immer was los, anders als hier bei uns. Die Promis geben sich dort die Klinke in die Hand. Und die Filmpremiere war echt erste Sahne! Wenn ich dir erzähle, wer sich alles auf dem roten Teppich getummelt hat ...«

Conny klappte die Trittleiter zusammen und stellte sie neben die Tür, die zum Lager führte. »Weißt du, Doro, manchmal beneide ich dich wirklich um deinen Job. Du fliegst in der ganzen Welt herum – na ja, zumindest beinahe – und triffst so viele berühmte Leute.«

»Ach, so toll ist das auch nicht immer, eine Klatschreporterin zu sein«, seufzte Doro und betrachtete ihre sorgfältig manikürten Fingernägel. »In unserer beschaulichen schwäbischen Idylle tut sich ja nicht allzu viel Sensationelles, über das ich berichten kann. Nicht mal bei den Politikern. Früher hatten wir wenigstens noch einen Ministerpräsidenten, der sich scheiden ließ und sich dann eine junge Freundin zulegte. Aber heute sind alle irgendwie viel zu brav geworden. Keine Skandälchen, kein Klatsch und Tratsch, nichts. Bis einem die Promis in Scharen über den Weg laufen, muss man wenigstens bis nach München fahren.«

Doro Canin, eigentlich Dorothea Haas, war Connys älteste und beste Freundin. Den »Künstlernamen«, wie sie ihn selbst bezeichnete, hatte sie sich zugelegt, als sie ihre eigene Zeitungskolumne mit dem Namen Doro’s Stars bekam. Sie war nämlich Gesellschaftsjournalistin im Stuttgarter Büro des Süddeutschen Kuriers und berichtete regelmäßig darüber, was sich bei der Prominenz so tat – ein Job, der wie angegossen zu der extrovertierten, eleganten und weltgewandten Doro passte, die mit beiden Beinen fest im Leben stand. Sie war genau das Gegenteil der eher zurückhaltenden, verträumten und empfindsamen Conny. Und dennoch – vielleicht auch gerade deswegen – verband die beiden seit dem ersten Tag, als sie sich in der Grundschule kennengelernt hatten, eine innige Freundschaft, die auch noch hielt, als sich die Wege der beiden im Laufe der Zeit unterschiedlich entwickelten. Doro zog es in die weite Welt hinaus, sie studierte Journalismus in Berlin, für ein halbes Jahr sogar in New York, während Conny zu Hause in Stuttgart blieb, eine Lehre als Buchhändlerin machte und eine Familie gründete. Dennoch blieben die beiden eng verbunden, und so betätigte sich Doro natürlich auch als Connys Trauzeugin, als Patentante ihrer beiden Kinder – und nach Connys Scheidung auch als ihre Seelentrösterin.

»Frau Hausmann, ich bin für eine halbe Stunde unterwegs«, ließ sich da Erich Wielands Stimme vernehmen, der inzwischen die Kundin mit dem Pudel fertig bedient hatte.

Conny nickte. »Kein Problem, Herr Wieland, ich bin ja da.«

Dann wandte er sich Doro zu. »Ah, sieh an, die Frau Haas. Was machen die Schönen und Reichen dieser Welt?«

»Das können Sie alles morgen in Doro Canins Kolumne nachlesen, Herr Wieland«, gab Doro schlagfertig zurück, wobei sie das »Doro Canins« besonders betonte. »Ein netter Mann, dein Chef«, meinte sie, als dieser den Laden verlassen hatte. »Leider jedoch etwas vergesslich, was meinen Namen anbelangt. Oder er macht das mit Absicht und will mich ärgern. Das würde ihm ähnlich sehen.«

Conny lachte. »Doro, du musst dich nun mal damit abfinden, dass manche Leute in dir immer noch das kleine Mädchen aus der Stuttgarter Vorstadt und nicht die große Dame von Welt sehen. Ich fürchte, das wird sich auch niemals ändern, und wenn du noch so oft als Doro Canin in der Zeitung erscheinst. Zumal dann, wenn dich jemand von klein auf kennt, so wie Herr Wieland. Weißt du noch, wie wir uns als Kinder immer die Nase am Schaufenster der Buchhandlung plattgedrückt haben? Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich mal hier arbeiten würde.«

»Ja, und dein Brötchengeber, der damals noch der Sohn vom Chef war, hat uns immer gnadenlos verscheucht«, sagte Doro mit einem spöttischen Unterton in der Stimme. Dann seufzte sie erneut. »Aber vielleicht war ja früher doch alles besser, findest du nicht auch?«

»Bist du heute auf dem Melancholie-Trip, oder wie soll ich es verstehen, dass du permanent am Seufzen bist? Das kenne ich von dir überhaupt nicht.«

»Ach, ich weiß auch nicht«, meinte Doro und seufzte schon wieder. »Irgendwie sollte mal etwas richtig Sensationelles passieren. So ein richtiger Knall, etwas noch nie Dagewesenes, ein handfester Skandal, über den ich dann berichten könnte – möglichst exklusiv natürlich.«

Conny grinste. »Und so einen Skandal willst ausgerechnet du aufdecken?«

»Warum denn nicht? Das würde mich mit einem Schlag in ganz Deutschland berühmt machen – ach, was sage ich, in ganz Europa! Ich sehe schon die Schlagzeile vor mir: Doro Canin deckt auf: Vermeintlicher Saubermann hat Leiche im Keller ...«

Doros Blick fiel auf das Plakat, das Conny aufgehängt hatte. »Dein Valentin Seidel scheint ja wirklich ein Saubermann zu sein. Der begehrteste Junggeselle im deutschen Fernsehen. Oder wie unser Konkurrenzblatt neulich schrieb: der George Clooney der deutschen Kochzunft. Wobei er ja eher wie dieser eine Schnulzensänger aussieht, dieser …, na egal, du weißt schon, wen ich meine. Aber über deinen Valentin gibt es wahrlich nichts Aufregendes zu berichten. Keine Affären, keine heimliche Geliebte, rein gar nichts. Die Weste dieses Typen ist angeblich so weiß wie seine Kochschürze. Obwohl, so ganz nehme ich ihm das mit dem Junggesellen dann doch nicht ab, wenn er es auch noch so sehr betont. Oder er ist auch andersrum gepolt wie mein Friseur in Hamburg.«

»Das glaube ich nun wirklich nicht«, beeilte sich Conny zu sagen. »Vielleicht hat er ja einfach nur keine Zeit für eine Frau. Er ist schließlich mit seinen Fernsehauftritten viel unterwegs. Und dann hat er ja auch noch sein Schlosshotel am Bodensee, um das er sich kümmern muss. Womöglich hat er aber auch eine große Enttäuschung hinter sich und lebt deshalb alleine. Oder ...«

Doro hatte es sich inzwischen in einem Sessel in der kleinen Leseecke der Buchhandlung gemütlich gemacht, die Beine übereinandergeschlagen und blickte Conny schmunzelnd an.

»Was grinst du denn so?«

»Nichts, nichts«, meinte Doro, »ich amüsiere mich nur darüber, wie du deinen Valentin verteidigst.«

»Er ist nicht mein Valentin!«

»Gib es zu, du bist in ihn verknallt, wenigstens ein klein bisschen.«

»Bin ich nicht!«, entrüstete sich Conny und holte tief Luft. »Ich gebe ja zu, ich bewundere ihn ...«

Doros Grinsen wurde immer breiter.

»... als Koch natürlich. Nicht, was du denkst!«, rief Conny. »Er ist einer der besten Köche überhaupt, und ich konnte mir schon so viel von ihm abschauen. Erst neulich habe ich wieder eine Saucenkreation aus einem seiner Bücher nachgekocht: Zimt-Calvadossauce süßsauer mit einem Hauch Rosmarin und Ceylon-Pfeffer. Und dazu rosa gebratene Steaks vom Angus-Rind. Göttlich, sage ich dir! Der Mann ist einfach genial!«

»Und waren Alina und Philipp auch so begeistert von der Sauce wie du?«

Conny zuckte die Schultern und winkte ab. »Na ja, du kennst doch die beiden. Philipp würde sogar das Essen in der Mensa als Sterneküche bezeichnen. Und Alina ist im Moment mal wieder auf dem Salattrip, weil ihr anscheinend die neuen Jeans, die sie sich erst letzte Woche gekauft hat, zu eng sind.« Sie ließ sich in den zweiten Sessel neben Doro fallen. »Da bettelt sie mir schon die dritte Hose innerhalb kurzer Zeit ab, und dann passt sie nicht mal. Nun braucht sie anscheinend auch noch neue Sneakers. Und Philipp möchte unbedingt mit seinem Ökologieseminar auf die Studienfahrt nach Schweden. Gerade jetzt, wo von Jürgen überhaupt nichts kommt.«

»Treibt der sich immer noch im Himalaya rum?«

Conny nickte. »Er hat ja noch seine Auszeit, bis im Herbst das neue Schuljahr anfängt.«

»Das sollte ihn eigentlich nicht daran hindern, seinen Pflichten nachzukommen. Er hätte dir ja vor seiner Reise Unterhalt für ein paar Monate dalassen können.«

Jürgen war Connys geschiedener Mann und der Vater ihrer beiden Kinder Alina und Philipp. Normalerweise unterrichtete er Deutsch und Geschichte an einem Stuttgarter Gymnasium, aber zurzeit hatte er sich für ein Schuljahr beurlauben lassen und sich auf Weltreise begeben. Irgendwann war er dann in einem tibetanischen Kloster hängengeblieben, wo er auf die große Erleuchtung über den Sinn seines Lebens wartete, wie er Philipp in einer kurzen E-Mail mitgeteilt hatte. Conny hatte sich zwar gewundert, dass es in einem abgelegenen Kloster im Himalaya überhaupt eine Internetverbindung gab, aber nicht weiter darüber nachgedacht. Sie war froh, dass sich Jürgen am anderen Ende der Welt befand und sie ihm somit nicht dauernd über den Weg laufen musste – ihm und seinem dümmlichen Blondchen mit dem noch dümmlicheren Namen Lola.

Jürgen hatte Lola in einer Bar in der Innenstadt kennengelernt, wo sie als Animierdame arbeitete. Sie hatte ihn und sein Bankkonto so intensiv mit Beschlag belegt, dass Conny eines Tages die Nase voll hatte und die Scheidung einreichte. Das war vor drei Jahren gewesen, und wie ihr Alina und Philipp, die einen recht losen Kontakt zu ihrem Vater pflegten, berichtet hatten, war Lola immer noch ein Teil seines Lebens. Conny hatte eigentlich erwartet, dass er schnell genug von ihr haben würde, denn Jürgen brauchte von einer Frau nur fünf Dinge: ein Essen auf dem Tisch, saubere Wäsche, eine geputzte Wohnung, tagsüber Gespräche über Literatur und nachts Spaß im Bett. So wie sie diese Lola einschätzte, konnte die bei Jürgen nur mit dem Letzten punkten – doch das wahrscheinlich umso heftiger. Conny fragte sich, ob sich Lola wohl auch in diesem tibetanischen Kloster aufhielt oder ob sie in der Zwischenzeit schon auf der Suche nach einem neuen Lover war, von dem sie sich aushalten lassen konnte.

Da drang Doros Stimme wieder in ihre Gedanken. »Aber um noch mal auf deinen Valentin zurückzukommen: Für jemanden zu schwärmen, ist ja ganz okay. Aber findest du nicht, dass du es damit etwas übertreibst? Du verrennst dich da in was, der Typ lebt doch in einer ganz anderen Welt als du. Abgesehen davon, dass du nicht mal in seine Nähe kommst. Glaub mir, ich weiß, wie schwer es ist, einem Promi auch nur die Hand schütteln zu dürfen. Gut, mit Ausnahme von denen, die ganz versessen darauf sind, in die Zeitung zu kommen. Aber zu dieser Sorte gehört unser Starkoch sicher nicht, so wenig wie der über sein Privatleben rauslässt.«

Conny war froh, darauf nicht antworten zu müssen, denn in diesem Augenblick piepste Doros Handy. Doro tippte kurz darauf herum, dann griff sie nach ihrer Designertasche und sprang auf. »Verdammt, ich muss los, Redaktionskonferenz. Hab nicht gedacht, dass es schon so spät ist.« Hastig hauchte sie Conny zwei Küsschen auf die Wangen und eilte, so schnell es ihre hohen Absätze zuließen, zur Ladentür. Dort drehte sie sich noch einmal um und winkte Conny zu. »Wir sehen uns, Süße.«

Erst hatte Conny Doro verdutzt hinterhergeblickt, doch dann fiel ihr ein, was sie Doro schon die ganze Zeit hatte fragen wollen. »Halt, warte mal! Hast du am Sonntag zum Mittagessen Zeit? Ich würde uns was Leckeres kochen.«

Doro zog die Stirn kraus. »Sonntags zum Mittagessen? Das ist ja für meine Verhältnisse am frühen Morgen.«

Conny wusste, dass ihre Freundin ein ausgesprochener Nachtmensch war, und schmunzelte. »Dann kannst du es ja auch als Frühstück bezeichnen.« Als sich Doros skeptischer Gesichtsausdruck noch immer nicht gelegt hatte, fügte Conny hinzu: »Und außerdem würden sich Alina und Philipp freuen, ihre Patentante mal wiederzusehen.«

Das letzte Argument zog. »Also gut, ich komme«, meinte Doro und warf Conny eine Kusshand zu, »aber nicht vor eins, früher kriegst du mich sonntags nicht aus dem Bett. Und koch uns was Leckeres von Mister Küchengott!«

Ohne eine Antwort von Conny abzuwarten, warf sie die Ladentür hinter sich zu und war verschwunden.

Ein Schwall milder Frühlingsluft schlug Conny entgegen, als sie nach Feierabend die Buchhandlung verließ. Sie hatte schon den Weg zur Stadtbahn eingeschlagen, doch dann machte sie kehrt und beschloss, zu Fuß zu gehen. Es waren ohnehin nur drei Haltestellen bis nach Hause, und die frische Luft und ein wenig Sonne würden ihr nach dem langen Arbeitstag guttun. Außerdem würde sie während des kleinen Fußmarsches wunderbar ihren Gedanken nachhängen und ein wenig vor sich hin träumen können. Das tat sie nämlich gar zu gerne.

Natürlich spukte das Mittagessen, zu dem sie Doro für Sonntag eingeladen hatte, noch in ihrem Kopf herum. Zu Hause würde sie gleich ihre nicht gerade kleine Kochbuchsammlung wälzen und ein besonders leckeres Menü zusammenstellen. Schließlich war Doro ihre beste Freundin und immer da, wenn Conny sie brauchte. Außerdem sollte Philipp wenigstens ab und zu mal etwas Ordentliches im Magen haben. Von dem Essen, das er in der Göttinger Uni-Mensa bekam, hielt Conny so gut wie nichts, doch ihrem Sohn schien es zu schmecken. Und für Alina würde sie einen großen Salatteller mit vielen frischen Zutaten zaubern – vielleicht auch mit etwas Lachs oder Putenbrust? Auf jeden Fall würden die drei Augen machen ...

Kochen war Connys liebste Freizeitbeschäftigung. Ihr machte es nichts aus, in der Küche zu stehen und sich eine Menge Arbeit aufzuladen – im Gegenteil, gar zu gerne probierte sie neue Rezepte aus ihren Kochbüchern aus. Gut, dass sie das neue Buch von Valentin Seidel schon zu Hause hatte, denn darin würde sie garantiert etwas Raffiniertes für Sonntag finden.

Conny grinste. Nun war sie auf ihrer Gedankenreise schon wieder bei ihm gelandet – wie so oft! Doro würde sich darüber jetzt natürlich köstlich amüsieren. Aber Conny hatte sich diesbezüglich mit der Zeit ein dickes Fell zugelegt. Denn in ihren Augen war Valentin Seidel durchaus ein Mann, von dem es sich zu träumen lohnte. Außerdem war Doro nicht die Frau, die sich in Träumen oder Visionen verlor, sondern lebte in ihrer realen Welt hier und jetzt. Sie ließ sich ausschließlich von ihrem Verstand leiten, etwas anderes hätte auch gar nicht zu ihr gepasst.

Was hatte Doro noch mal gesagt? »Findest du nicht, dass du es damit etwas übertreibst?« Na ja, vielleicht war es etwas ungewöhnlich, für einen Koch zu schwärmen. Und außerdem war sie ja kein Teenager mehr, sondern hatte immerhin schon die Vierzig überschritten. Aber mal ehrlich: Andere Frauen – auch die in ihrem Alter, jawohl – schmachteten im Kino gutaussehende Schauspieler an oder fielen beim Konzert ihres Lieblings-Schmusesängers reihenweise in Ohnmacht. Und sie war eben Fan eines berühmten Kochs, warum nicht? Zugegeben, vielleicht war sie ja auch ein wenig in Valentin verliebt, ein klein bisschen zumindest. Das war ja auch kein Wunder, denn dieser Mann konnte nicht nur wundervoll kochen, sondern hatte auch sonst allerhand zu bieten. Allein sein Blick, wenn er mit seinen leuchtenden grüngrauen Augen in die Fernsehkamera lächelte und auf seinen Wangen zwei kleine, neckische Grübchen hervorblitzten, ließ ihre Knie ganz weich werden und ihr Herz ein wenig schneller schlagen. Dann sein vollendeter Körper – zumindest das, was man davon unter der Kochjacke erahnen konnte. Und erst seine Stimme, so sanft und sexy zugleich ...

Ein lautes Hupen riss sie aus ihren Gedanken. Rasch blickte sie sich um. Sie hatte in ihren Träumereien doch tatsächlich eine rote Fußgängerampel übersehen! Mit einer entschuldigenden Geste in Richtung des Autofahrers, der sie beinahe über den Haufen gefahren hätte, trat sie zurück auf den Bürgersteig und wartete, bis die Ampel auf Grün sprang.

Ob Valentin ahnte, dass sich Frauen seinetwegen in höchste Lebensgefahr begaben? Na ja, schimpfte sie mit sich selbst, zumindest wenn sie solch leichtsinnige Hühner waren wie sie. Doro hätte diese Szene jetzt wohl mit einem Kopfschütteln und einem flotten Spruch kommentiert. Doch das ließ Conny ziemlich kalt. Schließlich konnte ja nicht jeder so selbstbeherrscht und verstandesgetrieben sein wie ihre Freundin.

Oft malte Conny sich aus, wie es wäre, wenn sie Valentin tatsächlich einmal begegnete. Ob sie sich wohl sympathisch finden würden? An mehr wollte sie noch nicht einmal denken. Ganz bestimmt würden sie miteinander über das Kochen reden. Und Valentin würde wohl schnell merken, dass er in Conny eine Frau vor sich hatte, die wusste, wovon sie sprach. Schließlich hatte sie sich über die Jahre schon so vieles angeeignet, ohne jemals das Kochen richtig gelernt zu haben. Und sie kochte wirklich ziemlich gut, zumindest glaubte sie das. Gut, Alina und Philipp waren in dieser Hinsicht kein Maßstab. Die beiden würden sich notfalls auch von Fertiggerichten ernähren, Alina dazu noch von Salat und Philipp natürlich vom Mensaessen. Und wenn sie auch immer meckerten, wenn Conny etwas Ausgefalleneres auf den Tisch brachte, waren doch am Ende die Teller immer leer. Jürgen hatte ihr Essen stets gelobt, das musste man ihm lassen, aber konnte er das überhaupt beurteilen? Er selbst hatte so viel Ahnung vom Kochen wie ein Südseeinsulaner vom Cannstatter Volksfest und konnte gerade mal eine Dose Fertigsuppe öffnen, in einen Topf gießen und aufwärmen. Und Doro, die ja schließlich allein schon aufgrund ihres Berufs ein wenig Ahnung von der gehobenen Gastronomie haben dürfte, schmeckte es bei ihr immer ganz vorzüglich, wenn sie auch Connys Schwärmerei für Valentin ganz und gar nicht nachvollziehen konnte.

Was wohl Valentin von ihren Kochkünsten halten würde? Ihr allergrößter Wunsch war es ja, einmal mit Valentin zusammen zu kochen. Er würde neben ihr stehen, ganz nah, ihr tief in die Augen blicken und ihr dabei eines seiner Küchengeheimnisse verraten. Dann würde er probieren, was sie gekocht hatte, den Arm um sie legen und flüstern: »Ich bin ganz hin und weg, nicht nur von deinem Essen.« Und dann ...

Wieder bohrte sich Doros Stimme in ihren Kopf. Du kommst ja nicht mal in seine Nähe. Conny seufzte. Doro hatte das wohl ganz richtig erkannt. Aber wie sollte sie es anstellen, Valentin zu treffen? Sich als Zuschauerin für eine seiner Fernsehsendungen bewerben? Da würde er bestimmt von einer ganzen Horde Verehrerinnen umschwärmt sein. Und sie müsste mit ansehen, wie er von anderen Frauen angehimmelt wird. Nein, das musste sie sich nun wirklich nicht antun. Aber wie sonst? Einen Brief schreiben – womöglich noch mit rosa Herzchen verziert? So nach dem Motto: Lieber Valentin, ich finde dich wirklich ganz toll. Ich bin dein größter Fan auf diesem Planeten. Willst du mich kennenlernen? …

Bei dieser Vorstellung lachte sie so laut auf, dass sich ein paar Passanten verwundert nach ihr umdrehten. Rasch senkte sie den Kopf und eilte weiter. Gott, wie peinlich! Doro hätte das jetzt überhaupt nichts ausgemacht, sie liebte es aufzufallen und scherte sich einen feuchten Dreck darum, was die anderen von ihr dachten.

Conny seufzte. Wenn sie nur ein klein wenig von Doros Selbstsicherheit für sich abknabbern könnte, dann würde ihr im Leben so vieles leichter fallen. Der Umgang mit ihrem Chef zum Beispiel. Doro hätte bestimmt kein Problem, bei Erich Wieland neue Ideen durchzusetzen. Sie würde ihn eine Weile bezirzen, garniert mit ein paar lockeren Sprüchen – und schon würde er ganz von alleine einsehen, dass das neue Kochbuch von Valentin Seidel der Renner schlechthin war, den es gegenüber den Kunden besonders hervorzuheben galt.

Valentin, immer wieder Valentin! Sie konnte wirklich kaum einen Gedanken mehr fassen, ohne dass er sich darin einschlich. Langsam wurde das auch ihr fast unheimlich. Aber was sollte sie dagegen tun, wenn er immerzu in ihrem Kopf herumgeisterte?

Vor dem Schaufenster eines Reisebüros blieb sie stehen, weil eines der ausgestellten Plakate ihren Blick auf sich gezogen hatte. Es zeigte eine blühende Obstbaumlandschaft, im Hintergrund einen tiefblauen See, auf dem sich weiße Segelboote tummelten, und ganz hinten am Horizont leuchteten schneebedeckte Berge in der Sonne. Frühling am Bodensee stand in großen gelben Buchstaben auf dem wolkenlosen Himmel, der sich über der Landschaft erstreckte. Ausgerechnet der Bodensee, welch ein Zufall!

Gedankenverloren betrachtete Conny ein paar Minuten lang das Bild. Es sah so friedlich aus, so still, ganz anders als die laute Großstadt mit ihrem Gewusel und dem Straßenlärm, der sie sogar noch nachts bis in ihre Wohnung verfolgte. Man müsste einfach ...

Ohne lange nachzudenken, betrat sie das Reisebüro.

2

Die drei Augenpaare am Tisch starrten Conny an, als gehörte sie einer Invasion von Marsmännchen an, die sich gerade daran machten, Stuttgart zu erobern.

Alina war die Erste, die ihre Sprache wiederfand. »Sag das noch mal. Wohin willst du?«, fragte sie ungläubig.

»Mama, jetzt spinnst du total!« Philipp ließ sich auf seinem Stuhl zurückfallen und griff sich an den Kopf.

Einzig Doro ließ keinen Kommentar verlauten, sondern widmete sich mit einem breiten Grinsen weiter dem Roastbeef auf ihrem Teller.

Conny hatte ohnehin nicht damit gerechnet, dass die drei am Tisch nach ihrer Ankündigung in Jubelstürme ausbrechen würden, doch ein wenig hätten sie sich ja nun doch mit ihr freuen können. Aber Alina und Philipp teilten Connys Begeisterung für das Kochen überhaupt nicht, das hatten sie eindeutig von ihrem Vater. Und was Doro von ihrer Bewunderung für Valentin hielt, wusste sie ja auch zur Genüge.

»Was ist denn daran so schlimm? Ich will doch nur ein paar Tage Urlaub machen«, meinte sie schließlich etwas kleinlaut und stupste Philipp mit dem Ellbogen an. »Und überhaupt, wie redest du eigentlich mit deiner Mutter?«

»Du kannst ja gerne Urlaub machen«, entgegnete dieser, »aber muss es denn ausgerechnet in diesem Schicki-Micki-Bunker sein? Ich möchte nicht wissen, wie viel Energie dieser Möchtegern-Charmebolzen verschleudert, nur um diesen alten Kasten zu heizen.«

»Also, ich finde das Ambiente grundsätzlich schick.« Alina pickte eine Gurkenscheibe aus ihrem Salat und betrachtete sie von allen Seiten. »Ich weiß nur nicht, ob du dafür die richtige Garderobe hast, Mama.«

Das war ja mal wieder typisch! Ihr Sohn sorgte sich um Valentins Energieverbrauch – dabei gab es doch an Valentin so viele andere Dinge, über die es sich nachzudenken lohnte. Und ihre Tochter hatte nichts anderes im Sinn als Klamotten. Entweder sie würde tatsächlich Modedesignerin, was im Moment an erster Stelle ihrer Berufswünsche stand, oder einen Ölscheich heiraten müssen, um ihre Vorstellungen eines angemessenen Kleidungsstils befriedigen zu können. Doch zugegeben, mit ihrer Bemerkung hatte Alina nicht ganz Unrecht. Der Inhalt von Connys Kleiderschrank eignete sich wohl kaum dazu, in einem Nobelhotel Eindruck zu schinden.

Conny warf den beiden einen säuerlichen Blick zu, dann wandte sie sich an Doro, und in ihrer Stimme schwang eine ungewohnte Schärfe mit. »Der Herr Ökologiestudent und das Fräulein Modedesignerin in spe haben schon ihren Senf zu meinen Urlaubsplänen abgegeben, jetzt bist du dran. Aber überlege dir gut, was du sagst.«

»Na ja«, meinte Doro und kaute ganz undamenhaft weiter, »wenn du glaubst, dass dir das guttut, dann fahr hin. Es gibt Schlimmeres, als eine Woche in einem Nobelhotel am Bodensee zu verbringen, zumal wenn der Besitzer auch noch ein Schnuckelchen wie Valentin Seidel ist.«

Während Alina ein Kichern unterdrückte und Philipp die Augen verdrehte, antwortete Conny spöttisch: »Na, wenigstens eine, die mich halbwegs zu verstehen scheint.« Sie blickte Alina und Philipp über den Tisch hinweg an. »Aber glaubt bloß nicht, dass ihr mich von meinen Plänen abbringen könnt. Diesmal ist es eurer alten Mutter ernst.« Wie zur Bestätigung schnitt sie energisch eine Rosmarinkartoffel durch.

»Und die Kohle?«, fragte Doro. »Eine Woche in einem Hotel dieser Preisklasse kann man nicht gerade als billig bezeichnen.«

»Das lass mal meine Sorge sein«, antwortete Conny rasch, was ihr einen kritischen Blick von Doro einbrachte. Schnell versuchte sie, das Thema zu wechseln. »Sag mal, du könntest doch eigentlich mitkommen. Dafür, dass du meine beste Freundin bist, haben wir in letzter Zeit recht wenig zusammen unternommen.«

»Hm, ich weiß auch nicht«, überlegte Doro. »Reizen würde es mich schon, vielleicht tummeln sich ja dort irgendwelche Promis, über die ich berichten könnte. Aber ich habe um diese Zeit ein paar Termine auswärts: Prominentengolfturnier in Baden-Baden, Saisoneröffnung in Salzburg und so weiter.«

»Ach komm, überlege es dir doch noch. Wenigstens für zwei, drei Tage. Das Wellnessangebot im Hotel soll vom Feinsten sein. Und die Küche sowieso, darauf bin ich ja besonders gespannt.«

»Aber am allermeisten bist du auf diesen Küchencasanova gespannt, gib’s zu«, warf Philipp ein.

Doch Conny ließ sich davon nicht beirren und fuhr begeistert fort: »Vielleicht können wir ja an einer Führung durch die Küche teilnehmen. Und womöglich ist sogar Valentin da und zeigt uns ein paar seiner Tricks. Das wäre natürlich der Hammer schlechthin!«

Philipp grinste. »Und zum Zeichen deiner Bewunderung darfst du ihm dann den Ring küssen – ach nein, das ist ja der Falsche. Der ist zwar auch weiß angezogen, aber einen Tick älter und wohnt in Rom. Allerdings hat er weitaus weniger Frauen, genauer gesagt gar keine. Dein Superkoch hat ja bestimmt an jedem Finger zehn. Aber ich frage mich, was der an sich hat, dass ihm die Frauen derart nachrennen.«

Conny schnappte nach Luft. Valentin und ein Frauenheld! Dabei wusste doch jeder, dass dem ganz und gar nicht so war. »Davon verstehst du überhaupt nichts, mein Sohn«, beeilte sie sich zu sagen. »Und außerdem hat Valentin auch keine Frau.«

»Woher willst du denn das wissen, Mama?«

»Na, das steht doch in allen Illustrierten«, meinte Conny, »und im Fernsehen wird es auch andauernd gesagt. Erst neulich habe ich wieder davon gelesen.«

Und Doro fügte hinzu: »Der begehrteste Junggeselle des deutschen Fernsehens – das soll er zumindest sein.«

Philipp schlug sich mit der Hand an die Stirn. »Na wunderbar, und morgen ist im Himmel Jahrmarkt. Jeder weiß doch, was die Regenbogenpresse manchmal für einen Müll zusammenschreibt!«

»Pass nur auf, was du sagst, mein Junge!« Doro drohte ihm lächelnd mit dem Finger. »Immerhin gehört deine Lieblings-Patentante auch zu dieser Zunft.«

»Anwesende natürlich ausgeschlossen, verehrtestes Tantchen«, antwortete Philipp und deutete eine kleine Verbeugung in Doros Richtung an. »Aber eines ist sicher: Sollte der Typ tatsächlich keine Frau haben, ist er entweder vom anderen Ufer oder solch ein Ekel, dass es keine lange bei ihm aushält.«

»Also wenn ihr mich fragt«, mischte sich nun Alina in die Diskussion ein, und ihr Blick verriet, dass sie ganz und gar ernst meinte, was sie sagte, »wenn er keine Frau hat, ist er vielleicht noch auf der Suche nach einer. Dann soll Mama ruhig mal hinfahren. Wer weiß, vielleicht verguckt er sich ja in sie. So übel sieht Mama für ihr Alter auch noch nicht aus. Und dieser Valentin selbst ist ja mindestens schon fünfzig.«

Während Philipp laut losprustete und dabei Mühe hatte, den Orangensaft, den er soeben getrunken hatte, nicht wieder mit voller Kraft aus dem Mund zu befördern, zwinkerte Doro Conny belustigt zu.

Connys Gesicht wiederum hatte mittlerweile eine Farbe angenommen, die dem Rot der Tomatenscheibe, die sie sich gerade in den Mund stecken wollte, gefährlich nahekam. »Du bist doch ...«, begann sie, doch dann beschloss sie, lieber zu schweigen.

»Ich weiß gar nicht, was ihr habt«, fuhr Alina fort, »das wäre doch megacool. Wir würden in einem superschicken Schlosshotel wohnen, Mama müsste nicht mehr selber kochen, sondern wir könnten alles aus der Küche kommen lassen. Philipp bräuchte nicht mehr in diesem Studentenjob zu ackern, und ich könnte nach dem Abi auf diese tolle Modeschule in Paris gehen. Die Modehäuser auf der ganzen Welt reißen sich um die jungen Designer, die dort studiert haben.«

»Das stimmt«, pflichtete ihr Doro bei, »die Schule hat ein klasse Renommee. Wer dort hingehen kann, braucht sich um seine Zukunft keine Sorgen zu machen.«

»Doro, das weiß ich doch«, antwortete Conny ungehalten, »aber Alina weiß auch, dass sie sich diese Schule aus dem Kopf schlagen kann, ein für alle Mal! Es wird schon schwierig für mich, überhaupt irgendeine Schule zu bezahlen, die Geld kostet, es sei denn, ihr Vater mit seinem Beamtengehalt bequemt sich endlich einmal wieder hierher.«

Man sah Alina an, dass es nun in ihr arbeitete. »Aber, Mama, wenn du diesen Valentin heiraten würdest – der schwimmt doch sicher im Geld. Was der alleine beim Fernsehen einsackt! Und er wäre ja dann auch so etwas wie mein Vater, oder? Das heißt, er könnte doch auch ein wenig zu meiner Ausbildung beitragen.«

Philipp hielt es nun nicht mehr auf seinem Platz. Er legte sein Besteck beiseite, wischte sich den Mund ab und stand auf. »Entschuldigung, aber bei so viel dummem, naivem Geschwätz vergeht mir der Appetit. Und außerdem habe ich noch ein bisschen was für die Uni zu tun.« Im Vorbeigehen klopfte er Alina auf die Schulter. »Man könnte echt nicht glauben, dass du nächstes Jahr schon dein Abi in der Tasche hast. Das hört sich für mich eher nach Kindergarten an.« Zum Schluss hauchte er Doro noch einen Kuss auf die Wange. »Tschau, Tante Doro, vielleicht sehen wir uns ja später noch.«

Doro starrte Philipp verdattert nach, bis er in seinem Zimmer verschwunden war. »Wie oft habe ich ihm schon gesagt, dass er nicht Tante zu mir sagen soll, da fühle ich mich so alt«, seufzte sie. Dann blickte sie Alina an. »Deine Fantasie ist noch schlimmer als die deiner Mutter, und das will was heißen. Aber mal im Ernst, warum sollte ausgerechnet ein Mann wie Valentin Seidel sich Hals über Kopf in deine Mutter, eine ganz normale Frau, verlieben? Nur weil sie in seinem Hotel Urlaub macht? Er spielt doch in einer ganz anderen Liga als sie. Wenn der sich eine Frau sucht, dann ein Fotomodell, eine Schauspielerin oder meinetwegen auch eine Fernsehmoderatorin – eben eine Frau, die in der Öffentlichkeit steht und mit deren Bekanntheit er sich schmücken kann.«

»Und was ist mit Liebe?«, fragte Alina. »Ich meine, ein bisschen Gefühl muss doch auch mit dabei sein, nicht nur reine Berechnung. Mama und er schwimmen immerhin auf derselben Wellenlänge. Die beiden könnten sich tagelang über nichts anderes unterhalten als über das Kochen. Und ich finde, in einer Beziehung ist es wichtig, dass man etwas hat, über das man miteinander reden kann.«

Doro grinste. »Kind, deine naive, romantische Sicht der Dinge möchte ich haben. Da bist du wirklich die Tochter deiner Mutter. Aber glaube mir, die Realität sieht leider etwas anders aus. Und dann hoffst du auch noch, dass Valentin dir die teure Schule bezahlen würde? Glaub mir, reiche Leute sind oft sparsamer als wir Normalsterblichen. Die lassen nicht so einfach eine Menge Kohle springen, sondern drehen jeden Cent dreimal um.«

Nun wurde Conny das Thema doch zu heiß, und sie verspürte das dringende Bedürfnis, einzuschreiten. »Nun mach mal wirklich einen Punkt, Alina«, sagte sie und versuchte, möglichst gleichgültig zu klingen. »Das sind alles nur Hirngespinste, schöne Träume. Valentin ist eine bekannte Persönlichkeit, er wird sich wohl kaum mit einer kleinen Buchhändlerin wie mir abgeben. Ich möchte einfach ein paar Tage Urlaub machen, mehr nicht. Und da ich Valentin gut finde – als Koch natürlich, sonst nichts –, bietet es sich doch an, das in seinem Hotel zu tun. Wer weiß, vielleicht kann ich mir ja küchentechnisch das eine oder andere von ihm abschauen. Aber ich fahre ganz sicher nicht dorthin, um mir einen Mann zu suchen!«

Während Doro sich die Serviette vor den Mund hielt – wohl um zu verbergen, dass sie sich das Lachen kaum mehr verkneifen konnte –, schüttelte Alina den Kopf und meinte: »Also ich glaube, da steckt mehr dahinter. Ich bin mir fast sicher, dass du ganz schön in diesen Valentin verschossen bist, Mama. Wäre ja auch kein Wunder. Irgendwo sieht er ja schon nicht schlecht aus. Mir wäre er natürlich zu alt, aber für dich ... Außerdem ist er berühmt, nicht gerade ein armer Schlucker, hat ein tolles Hotel und kann super kochen. An deiner Stelle würde ich versuchen, ihn mir zu angeln, wenn du schon mal dort bist und die Chance hast, ihn kennenzulernen. Und weißt du, Mama, irgendwie würde dir ein Mann in deinem Leben schon mal wieder ganz guttun.«

Conny seufzte unmerklich. Wie Recht Alina doch hatte. Aber zugegeben hätte sie das niemals.

»Gar nicht so dumm, deine Tochter, was?«, meinte Doro, als sie und Conny später alleine in der Küche waren. Alina hatte sich zu ihrer Freundin Meike verzogen, Conny räumte die Spülmaschine ein, und Doro hatte es sich auf einem der weiß lackierten Holzstühle am Küchentisch bequem gemacht.

Schon wieder dieses Thema. Conny konnte es nicht mehr hören. »Was meinst du?«, fragte sie gespielt unschuldig.

»Jetzt tu doch nicht so, die Sache mit Valentin natürlich.«

Conny bereute es jetzt schon, die anderen in ihre Urlaubspläne eingeweiht zu haben. Aber was war denn schon dabei? Schließlich waren es ja ihre Kinder und ihre beste Freundin. Wenn man denen schon nichts mehr verraten durfte ... Rasch wiegelte sie ab: »Ach, das stimmt schon, was Philipp sagt, das ist nur dummes Geschwätz.«

»Na, ich weiß nicht. Wenn ich nur an deine Gesichtsfarbe von vorhin denke ... Nachtigall, ich hör dir trapsen.«

Doros letzter Satz war zu viel des Guten gewesen. »Was ihr alle nur immer habt! Dauernd muss ich mich vor euch verteidigen, weil ich Valentin Seidel gut finde. Andere schwärmen für George Clooney oder David Garrett – und ich eben für einen Koch! Ihr tut ja, als ob ich ein Schwerverbrechen beginge! Dabei will ich mich doch nur ein paar Tage erholen. Darf ich das etwa nicht?« Den letzten Satz brachte Conny nur noch mit einem beträchtlichen Zittern in der Stimme heraus. Sie schleuderte das Geschirrtuch, das sie gerade in der Hand hielt, auf den Küchentisch, machte auf dem Absatz kehrt und schickte sich an, die Küche zu verlassen.

Wie der Blitz sprang Doro von ihrem Stuhl auf und schaffte es gerade noch, Conny aufzuhalten. Sie legte den Arm um sie und zog sie an sich. »Jetzt lauf doch nicht gleich davon«, meinte sie mit einem auf einmal viel sanfteren Ton in der Stimme. »Ich habe eben manchmal eine etwas zynische Ader, aber das weißt du doch mittlerweile. Wie lange kennen wir uns jetzt?«

»Fast vierzig Jahre.«

»Eben, nach dieser langen Zeit wirft uns doch so eine blöde Lappalie nicht mehr aus der Bahn. Da haben wir schon Schlimmeres miteinander überstanden, oder?«

Conny nickte und lächelte. Es stimmte schon: Was auch in ihrem Leben passiert war, Doro war stets da gewesen und hatte sie aufgefangen. Und sie war auch immer diejenige, die Conny zurück ins reale Leben verfrachtete, wenn sie mal wieder in ihre Traumwelt abzuheben drohte. »Danke«, schniefte sie schließlich.

»Wofür?«

»Na ja, weil du mich immer aus meinen Träumen auf den Boden zurückholst. Und weil du so großzügig darüber hinwegsiehst, dass ich manchmal so empfindlich reagiere.«

Eine ganze Weile umarmten sie sich stumm, und es tat Conny einfach nur gut. Schließlich schob Doro sie zu dem Stuhl, auf dem sie selbst zuvor gesessen hatte, und meinte: »So, Süße, du setzt dich jetzt hin und lässt dich zur Abwechslung mal von mir bedienen. Wenn ich in der Küche überhaupt was zustande bringe, dann wohl noch einen stinknormalen Kaffee.«

Conny lehnte sich zurück und spürte, wie sich ein entspannteres Gefühl in ihr breitmachte. Währenddessen hantierte Doro in der Küche herum und setzte Kaffee auf. In Connys Küche fand sie sich beinahe blind zurecht – kein Wunder, sie hatte ja schließlich Conny nicht erst einmal beim Kochen zugesehen. In all den Jahren war Doro zu einem Stammgast, ja eigentlich schon zu einem Familienmitglied geworden.

Gemeinsam genossen sie den Kaffee, der heiß war und Conny so langsam wieder einen klaren Kopf verschaffte. Während sie mit den Fingern das Blumenmuster auf ihrer Tasse nachzeichnete, murmelte sie plötzlich: »Alina hatte es schon irgendwie richtig erkannt.«

»Was denn?« Ahnte Doro wirklich nicht, was Conny meinte? Und wenn doch, dann setzte sie wenigstens diesmal nicht sofort das obligatorische Grinsen auf, was sie sonst immer tat, wenn von Valentin Seidel die Rede war.

»Na, das mit Valentin eben. Du weißt schon, dass ich mich in ihn verguckt habe und so.«

Anders als sonst feuerte Doro diesmal auch keinen flotten Spruch ab, sondern ließ Conny weitererzählen.

»Ich gebe ja zu, irgendwie hatte ich das schon im Hinterkopf, als ich diesen Urlaub gebucht habe. Einfach hinfahren, ihn vielleicht endlich mal treffen und dann ...« Conny zuckte die Schultern und lachte kurz auf. »Dass meine kluge Tochter mich durchschaut, damit habe ich natürlich nicht gerechnet.«

»Aber eines muss man ihr lassen«, meinte Doro. »Das hat sie sich gut ausgedacht. Du lachst ihn dir an, was dir ja ohnehin ganz und gar nicht unrecht wäre, und sie kommt dadurch an die notwendige Kohle, um ihre Schule in Paris zu finanzieren.«

»Und alles andere, was sie für ihr Leben braucht, noch dazu: Klamotten, Handy, Partys ... Ja, ich habe eine sehr anspruchsvolle Tochter. Also von mir hat sie das sicher nicht. Und ihr Vater ist ja auch keiner, der auf großem Fuße lebt und sein Geld zum Fenster hinauswirft. Das erledigt jetzt höchstens seine Lola für ihn.«

Endlich bot sich Doro die Gelegenheit, wieder an das Thema anzuknüpfen, das Conny vorhin beim Essen so erfolgreich überspielt hatte. »Apropos Geld: Kannst du dir einen Urlaub in dieser Nobelherberge überhaupt leisten?«

»Eigentlich nicht, du kennst ja meine finanzielle Situation. Selbst diese eine Woche ramponiert mein Budget schon sehr.« Conny senkte den Blick und beschäftigte sich wieder mit den Blumen auf ihrer Kaffeetasse.

»Und wo nimmst du das Geld her? Ich meine, du wirst ja wohl kaum die Bank an der Ecke überfallen wollen, oder?«

Conny sah Doro mit ernstem Blick an. »Na ja, das nun nicht gerade, aber ...«

Doro konnte nach all den Jahren im Gesicht ihrer Freundin lesen wie in einem offenen Buch, und plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. »Conny, sag jetzt bitte, dass das nicht wahr ist.«

»Doch, es ist wahr«, flüsterte Conny.