Like a Lion in the Storm - Jennifer Böhm - E-Book

Like a Lion in the Storm E-Book

Jennifer Böhm

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Beschreibung

Gedankenverloren starrt die Studentin Leona in die Nacht hinaus, wo der schlimmste Schneesturm tobt, den es in Deutschkreutz seit Jahren gegeben hat. Als sie im Schein der Laterne eine Gestalt entdeckt, die scheinbar ziellos über den Gehweg stapft, bricht sie ohne zu zögern zu einer Rettungsaktion auf. Erst zu Hause erkennt sie, wen sie da vor sich hat: Den britischen Musiker Nick Baxter, der durch eine Verkettung unglücklicher Zufälle hier gelandet ist. Sie bietet ihm einen Platz zum Schlafen an und für eine Nacht lang können sie einfach sie selbst sein. Als Dank lädt der Musiker seine Gastgeberin zu einem seiner Konzerte ein und beide hoffen auf ein baldiges Wiedersehen, da sie einander nicht aus dem Kopf bekommen. Doch das Schicksal hat seine eigenen Pläne.

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Jen­ni­fer Böhm 

Like a lion in the storm

Ro­man

Jen­ni­fer Böhm, gebo­ren 1998, lebt mit ihrem Part­ner und ihrer Auto­ren­hün­din in Wep­pers­dorf im Bur­gen­land. Sie ist im Bereich der Buch­hal­tung und Lohn­ver­rech­nung in einer Steu­er­be­ra­tungs­kanz­lei tätig. Das Schrei­ben stellt für sie einen Aus­gleich zu Welt der Zah­len dar. Die Liebe zu Büchern wurde ihr in die Wiege gelegt. Inspi­ra­ti­o­nen holt sie sich bei lan­gen Spa­zier­gän­gen in der Natur. 

LIKE A LION IN THE STORM

© 2023 Jen­ni­fer Böhm

Taschen­buch © 2023 BRINKLEY Ver­lag

Ohne schrift­li­che Geneh­mi­gung des Her­aus­ge­bers darf kein Teil die­ser Publi­ka­tion in irgend­ei­ner Form ver­viel­fäl­tigt, ­über­tra­gen oder ­gespei­chert wer­den.

Sowohl die im Buch vor­kom­men­den Per­so­nen als auch die Hand­lun­gen sind vom Autor frei erfun­den. Namen und ­Ähn­lich­kei­ten mit Per­so­nen oder tat­säch­li­chen Hand­lun­gen sind zufäl­lig und nicht gewollt.

Satz: Con­stan­ze Kra­mer, co­ver­bou­ti­que.de

Lek­to­rat / Kor­rek­to­rat: Dr. Nora Preuß

©Umschlag­ge­stal­tung: Steph Bun­cherwww.steph­bun­cher­de­sign.co.uk

ISBN 978-3-903392-13-7

www.brinkley-ver­lag.at

Für meine Oma 

Ohne dich hätte ich wohl nie zu schrei­ben begon­nen. Du warst von Anfang an meine größte Stütze auf mei­nem Weg und dafür werde ich dir auf ewig dank­bar sein.

Hof­fent­lich ver­brei­ten sich meine Geschich­ten bis in den Him­mel zu dir.

Ich hab dich lieb und ver­misse dich!

Nick

»End­s­ta­tion! Bitte beach­ten Sie beim Ausstei­gen den Niveau­un­ter­schied zwi­schen Zug und Bahn­steig!« Die Stimme aus den knacken­den Laut­spre­chern des Regi­o­nal­ex­press ließ mich hoch­schre­cken. Meine Augen fühl­ten sich so ver­klebt an, dass es einige Sekun­den dau­erte, bis ich die Lider voll­stän­dig auf­schla­gen konnte. In mei­nem Kopf dröhnte es, wie nach drei Tagen Dau­er­rausch, doch ich war stock­nüch­tern. Ver­wirrt rieb ich mir meine pochen­den Schlä­fen. Ver­dammt! Ich hätte nicht ein­schla­fen dür­fen. Jetzt kam mir mein Kör­per noch schwe­rer und erschöpf­ter vor als ohne­hin schon.

Gut, dass dies die letzte Rei­se­stre­cke für heute war. Ein paar Stra­ßen wei­ter war­tete, abge­schot­tet von der Öffent­lich­keit, immer­hin schon ein ruhi­ges Hotel­zim­mer mit einem gemüt­li­chen King-Size-Bett auf mich. Ganz ehr­lich? Ich konnte es kaum noch erwar­ten, mich end­lich in das Bett rein­fal­len zu las­sen, um mir ein paar Stun­den Schlaf zu gön­nen. Das war sowieso schon längst über­fäl­lig. Seit fast vier­und­zwan­zig Stun­den hatte ich kein Auge zuge­tan. Und mit jeder Sekunde sehnte ich mein Hotel, mit Aus­blick auf die Wie­ner Innen­stadt, ein klei­nes Biss­chen mehr her­bei.

Wenigs­tens hatte ich meine Sachen im Ruck­sack ver­staut gelas­sen. So blieb es mir erspart, erst noch alles zusam­men­pa­cken zu müs­sen, bevor ich den Zug ver­las­sen konnte. Meine Beine wogen schwer wie Blei. Als ich mich end­lich dazu auf­raf­fen konnte, mich von mei­nem Sitz zu erhe­ben, wurde mir klar, wie mein Groß­va­ter sich gefühlt haben musste, wenn er uns voll­jam­merte, dass all seine Glie­der schmerz­ten.

Der Gurt mei­nes Gitar­ren­kof­fers drückte trotz Jacke auf mei­ner Schul­ter. Wieso hatte ich mich über­haupt für die­ses sper­rige Teil ent­schie­den? Ein Knopf­druck und die Türen des Wag­ons öff­ne­ten sich. Kaum trat ich einen Schritt ins Freie, peitschte mir ein eisi­ger Wind um die Ohren. Schnee­flo­cken wir­bel­ten um mein Gesicht, wäh­rend ich den Zipp mei­ner Jacke bis ganz nach oben zuzog. So ein Sau­wet­ter! Hätte ich doch bloß eine Mütze ein­ge­packt. Aber nein, ich Idiot war ja gar nicht auf die Idee gekom­men, dass es in Wien schneien könnte. Das hatte ich jetzt davon. Die Strafe für meine eigene Dumm­heit.

Meine Hände zit­ter­ten. Mit stei­fen Fin­gern zupfte ich an mei­ner Kapuze rum, bis ich sie so weit ent­wirrt hatte, dass ich sie mir über den Kopf strei­fen konnte. Die kurze Zeit im Freien reichte schon aus, um mei­nem gan­zen Kör­per eine Gän­se­haut zu besche­ren. Die Kopf­be­de­ckung schützte meine Ohren und ging mir fast bis über die Augen. Puh, gleich ein wenig bes­ser. Jetzt konnte ich mich end­lich auf den Weg zum Hotel machen. Viel­leicht sollte ich zunächst mal drei, vier Gläs­chen Schnaps an der Bar kip­pen, um mich inner­lich auf­zu­wär­men, bevor ich mich aufs Zim­mer ver­zog.

Aber Stopp! Moment mal! Ich hielt mit­ten in der Bewe­gung inne und ließ mei­nen Blick über die Umge­bung schwei­fen. Scheiße! Der plötz­li­che Wech­sel vom war­men Inne­ren des Zuges in die kalte Luft, die hier drau­ßen auf mich gewar­tet hatte, musste sich auf mei­nen Ver­stand geschla­gen haben. Sollte ich nicht auf einem weit­läu­fi­gen Bahn­steig des Wie­ner Haupt­bahn­ho­fes ste­hen? Mit Über­da­chung als Wet­ter­schutz und einer Roll­treppe in unmit­tel­ba­rer Nähe, die mich in das Herz des Bahn­ho­fes füh­ren würde, wo ein Restau­rant oder Café das nächste zu über­trump­fen ver­suchte?

An die­sem Ort, konnte ich nichts der­glei­chen ent­de­cken. So weit ich sehen konnte, gab es hier nur einen ein­zi­gen Bahn­steig und drei neben­ein­an­der­lie­gende Gleise, die nur durch einen klei­nen Geh­weg getrennt waren. Ich stand auf dem äußers­ten, was bedeu­tete, dass ich auch die ande­ren bei­den über­que­ren musste, um die Platt­form über­haupt zu errei­chen. Schnel­len Schrit­tes machte ich mich auf den Weg und suchte an der nächst­ge­le­ge­nen Wand nach Hin­weis­ta­feln, die mir sag­ten, wo ich lang­ge­hen musste. Fehl­an­zeige. Da gab es keine.

Es konnte doch nicht so schwer sein, die rich­tige Rich­tung zu fin­den. Mir schien, als würde der Bahn­steig sowieso nach weni­gen Metern enden, egal, ob ich nach links oder rechts gehen würde. Hier gab es weder Trep­pen, noch Roll­trep­pen, die mich irgendwo hin­brin­gen konn­ten. Nichts, als ein paar Later­nen, deren Schein ver­suchte, gegen das Schnee­flo­cken Gewirr anzu­kämp­fen, und ein klei­nes Gebäude, neben dem ein paar Bänke stan­den. Schein­bar der War­te­be­reich. Viel­leicht sollte ich ja mal ver­su­chen, ins Gebäude zu gelan­gen?

Mich trenn­ten nur wenige Schritte von der Ein­gangs­tür. Doch ehe ich meine Hand auf den Griff legen konnte, hef­tete sich mein Blick auf ein ande­res Detail: Ein Orts­schild des Bahn­ho­fes. Deutsch­kreutz stach mir in über­gro­ßen Buch­sta­ben ent­ge­gen. Mir klappte die Kinn­lade run­ter, was ich schnell bereute, als mir Schnee­flo­cken in den Mund weh­ten. Ich war gar nicht in Wien?! Wie war das mög­lich? Wo zum Teu­fel war ich gelan­det? Shit! Das konnte doch alles echt nicht wahr sein!

Der Haupt­bahn­hof war doch als End­s­ta­tion ange­ge­ben gewe­sen. Schlaf hin oder her, ich hätte dort lan­den müs­sen! Um mich herum schien es immer käl­ter zu wer­den, die Tem­pe­ra­tur lag weit unter dem Gefrier­punkt. Mitt­ler­weile zit­terte ich am gan­zen Kör­per. Ohne mir jetzt noch große Hoff­nun­gen zu machen, drückte ich die Klinke der Tür. Ha! »Bingo! Wenigs­tens etwas, das funk­tio­niert!« Bei­nahe fiel ich mit der Tür ins Haus, als mich ein Wind­s­toß ins Innere kata­pul­tie­ren wollte. Es erfor­derte eine Menge Kraft, sie hin­ter mir zuzu­drü­cken.

End­lich im War­men, sah ich, wohin es mich ver­schla­gen hatte. Es war ein ein­zel­ner klei­ner Raum mit Fens­ter in Rich­tung der Gleise. An den Wän­den ent­lang befan­den sich ein paar Bänke, die schein­bar zum War­ten bei exakt sol­chem Scheiß-Wet­ter plat­ziert wor­den waren. Aller­dings stan­den sie nur für begrenzte Zeit zur Ver­fü­gung, wie mir ein Schild ver­deut­lichte. »Ach­tung! Das War­te­zim­mer ist zwi­schen 22 und 5 Uhr geschlos­sen!« Schnell warf ich einen Blick auf die Uhr an mei­nem Hand­ge­lenk, die 21:36 anzeigte. Groß­ar­tig. Da blieb mir ja nicht viel Zeit, um mich auf­zu­wär­men.

In einer Ecke des Rau­mes stand ein Ticke­t­au­to­mat. Mal sehen, ob ich damit her­aus­fin­den konnte, wie weit ich von mei­nem Ziel ent­fernt war. Zum Glück konnte man die Bedie­nung auf Eng­lisch umstel­len. Mein Deutsch war nicht so das Gelbe vom Ei. Aber aus­rei­chend. Na schön … plan­los klickte ich mich durch sämt­li­che Funk­ti­o­nen und poten­zi­elle Zug­ver­bin­dung, nur um fest­zu­stel­len, dass der Wie­ner Haupt­bahn­hof fast andert­halb Stun­den Zug­fahrt ent­fernt lag! Wie hatte ich nur so lange schla­fen kön­nen, ohne irgen­d­et­was mit­zu­be­kom­men?!

Inner­lich ver­fluchte ich mich und meine Fähig­keit, an jedem noch so lau­ten Ort und in Bewe­gung schla­fen zu kön­nen. Aber das half mir auch nicht wei­ter. Statt­des­sen arbei­tete ich mich wei­ter durch den Auto­ma­ten, um her­aus­zu­fin­den, wann der nächste Zug zurück in die Haupt­stadt ging. Das Ergeb­nis fiel ernüch­ternd aus. 5:10 Uhr. Frü­her fuhr kein Zug von hier weg. Dem elek­tro­ni­schen Stre­cken­plan nach zu urtei­len, befand ich mich irgendwo nahe der unga­ri­schen Grenze. Ein Direkt­zug war von Wien hier­her­ge­fah­ren. Schein­bar ein Anschluss­zug von dem, mit dem ich ursprüng­lich ange­reist war.

Ganz offen­sicht­lich hatte beim Halt in Wien nie­mand mit­be­kom­men, dass ich mich noch im Inne­ren befand. Oder die nächste Fahrt folgte so rasch, dass es ein­fach nicht auf­fiel und gedacht wurde, ich gehörte sowieso in die­sen Zug. Und zu einer Fahr­schein­kon­trolle hat­ten sie wohl keine Lust mehr gehabt? Wie man es auch drehte und wen­dete, es endete immer gleich: Beschis­sen. Hätte ich doch bloß auf Dan gehört. Als mein Mana­ger und einer mei­ner bes­ten Freunde, ver­suchte er schon lange, mir ein­zu­trich­tern, dass es eine idi­o­ti­sche Idee wäre, per Zug von Ter­min zu Ter­min zu rei­sen.

Tja, offen­bar musste er irgend­wann mal recht behal­ten. Ich hätte auf ihn hören sol­len. Aber nein! Mir war es ja viel zu wich­tig gewe­sen, Zeit nur für mich zu haben und durch die Fens­ter des Zuges mög­lichst viel von der Umge­bung und den Städ­ten, die ich besuchte, auf­zu­neh­men. Vom Flug­zeug aus würde ich nichts als Wol­ken oder win­zige Punkte auf der Erd­ober­flä­che sehen, das war mir schlicht­weg zu unspek­ta­ku­lär. So hatte ich es bevor­zugt, Deut­sch­land die letz­ten bei­den Tage im Zug zu erkun­den und anschlie­ßend zum Stu­dio-Ter­min nach Wien zu fah­ren.

Jetzt kam ich mir so unfass­bar dumm vor. Wer nicht hören will, muss füh­len. Das hatte man mir als Kind schon immer gesagt und in die­sem Moment durfte ich es am eige­nen Leib erle­ben. »Toll gemacht, Nick!«, ver­fluchte ich mich selbst. Ein frem­der Ort mit unbe­kann­ten Bege­ben­hei­ten und ich mit­ten­drin. Und offen­bar würde ich vor mor­gen Früh nicht weg­kom­men. Ich musste drin­gend einen Ort fin­den, an dem ich die Nacht ver­brin­gen konnte. Ein Hotel oder eine Pen­sion viel­leicht. Im Grunde würde mir schon eine schä­bige Abstell­kam­mer rei­chen, Haupt­sa­che warm.

Solange mir ein paar Minu­ten in die­sem War­te­zim­mer blie­ben, konnte ich die Zeit nut­zen, um Unter­künfte in der Nähe aus­fin­dig zu machen. Also fischte ich das Handy aus der Hosen­ta­sche und drückte den Ent­sperr-Knopf. Nichts tat sich. Kein Mucks, auch nach meh­re­ren Ver­su­chen nicht. Nein, nein, nein! Mist! Das konnte doch ein­fach nicht wahr sein. Nicht auch das noch! Wieso machte mein Akku immer zum ungüns­tigs­ten Zeit­punkt schlapp?! Sollte das ein ver­damm­ter Scherz sein?

Lang­sam ärgerte ich mich nicht nur über mich selbst, in mir stieg Wut auf. Ein Hass auf mich selbst und meine Blöd­heit. So schnell ich das Handy raus­ge­zo­gen hatte, schob ich es jetzt wie­der zurück in die Tie­fen der Tasche. Dort konnte es gerne ver­rot­ten. Mie­ser Ver­rä­ter! Es gab jetzt eigent­lich nur eine ein­zige Mög­lich­keit für mich: Auf­bre­chen und mich auf gut Glück auf die Suche nach einer Unter­kunft machen. Und das bei die­sem grot­ten­schlech­ten Wet­ter.

Das Shirt steckte ich mir in die Hose, damit mir der Wind nicht den Stoff vom Leib rei­ßen konnte, wenn ich raus­ge­hen würde. Die Jacke zog ich so weit zu, wie es nur irgend­wie mög­lich war, und die Kapuze schnürte ich fest, damit sie mir nicht vom Kopf flie­gen würde. Brachte im End­ef­fekt alles nichts. Denn kaum hatte ich einen Schritt ins Freie gesetzt, grif­fen die kal­ten Arme des Win­des schon nach mir. Obwohl Wind echt eine Unter­trei­bung war. In den ver­gan­ge­nen Minu­ten schien er noch mehr an Stärke gewon­nen zu haben. Ein Sturm, das traf es bes­ser.

Er wehte mir direkt ins Gesicht, ich musste gegen die Wucht ankämp­fen, um über­haupt vor­an­zu­kom­men. Mitt­ler­weile hat­ten sich unter die Schnee­flo­cken auch noch kleine Grau­pel­kör­ner gemischt, die nun gegen meine Haut pras­sel­ten, als würde jemand Mini-Schnee­bälle mit vol­ler Wucht auf mich wer­fen. So musste ich die Augen zusam­men­knei­fen, um nicht ernst­haft der Gefahr aus­ge­setzt zu sein, zu erblin­den. Nach eini­gen Metern fand ich mich auf einer asphal­tier­ten Flä­che wie­der. Ein Park­platz, nahm ich mal an. Da! Dort eilte jemand auf ein Auto zu! Viel­leicht konnte mir die Per­son ja wei­ter­hel­fen!

Ich schrie mir die Seele halb aus dem Leib, ver­suchte, so schnell wie mög­lich wei­ter­zu­kom­men. Ver­geb­lich. Der Sturm ver­schluckte meine Worte, trug sie mit sich in die Nacht hin­aus. Die Per­son saß schon längst im Auto und brauste davon, als ich gerade mal die halbe Flä­che hin­ter mich gebracht hatte. Und wie­der stand ich ganz alleine da. Wenn es bloß nicht so ver­dammt eisig wäre! Ich dachte ja bis­her immer, meine gute alte Hei­mat, Eng­land, hätte das mie­seste Wet­ter über­haupt. Aber die­ser Sturm über­traf alles. Irgend­wie machte ich mir Sor­gen, von einem Ast der umste­hen­den Bäume getrof­fen und erschla­gen zu wer­den.

Wohin jetzt? Auf jeden Fall nichts wie weg, denn auf der offe­nen Flä­che des Park­plat­zes gab es nichts, was die Kraft des Win­des auch nur ein wenig abdämp­fen konnte. Den Gurt des Gitar­ren­kof­fers hielt ich fest umklam­mert, sonst würde es ihn mir ver­mut­lich vom Rücken rei­ßen. Meter für Meter quälte ich mich wei­ter durch das Meer aus Schnee­flo­cken und Grau­pel­kör­nern, bis ich den Platz hin­ter mich gelas­sen hatte und die nahe­ge­le­ge­nen Häu­ser etwas Schutz boten. Aber nicht genug, um die Mini-Schnee­bälle davon abzu­hal­ten, wie Kie­sel­steine in mein Gesicht zu knal­len. Die pure Fol­ter.

Stan­den da drü­ben etwa Hin­weis­ta­feln? Ange­strengt ver­suchte ich, mehr zu erken­nen, was mir aber kläg­lich miss­lang. Erst als ich näher her­an­ging, erkannte ich, was drauf­stand. Orts­zen­trum! Da konnte ich ja nicht so schief­lie­gen, wenn ich in besagte Rich­tung gehen würde. Das Zen­trum klang viel­ver­spre­chend, dort gab es nor­ma­le­r­weise die bes­ten Mög­lich­kei­ten, eine Unter­kunft zu fin­den. Also los!

Ein Fun­ken Hoff­nung keimte in mir auf. So schwer konnte es doch nicht sein, einen Schlaf­platz zu fin­den, oder? Ich bog in die Gasse ein, in die mich die Tafel gewie­sen hatte. Aller­dings kam ich viel lang­sa­mer voran, als mir lieb war. Egal, bes­ser lang­sam als gar nicht. Meine Sicht­weite betrug kaum drei Meter, was es mir erschwerte, die Gebäude zu erken­nen. Von einer Stra­ßen­seite auf die andere zu bli­cken, stellte sich als unmög­lich her­aus. Wenn es also blöd lief, musste ich den Weg auf der gegen­über­lie­gen­den Seite noch­mal gehen, um ja nichts zu über­se­hen.

Eine Kreu­zung, bei der ich in alle vier Rich­tun­gen abbie­gen konnte, lag auf mei­nem Weg. Da auf der Hin­weis­ta­fel keine wei­te­ren Aus­künfte gestan­den hat­ten, ent­schied ich mich dafür, gera­deaus zu gehen. Ging so lange gut, bis mir Häu­ser den Weg ver­sperr­ten und es kein Wei­ter­kom­men gab. Eine Brü­cke führte über einen Bach, dahin­ter lag das nächste Gebäude. Doch kein Weg, keine Straße. Ich ging auf die andere Stra­ßen­seite, um dort nach­zu­se­hen. Nichts. Haus, Gar­ten, Bach, Stra­ße­n­ende. Mehr war da nicht.

Diese beschis­sene Tafel hatte mich in eine Sack­gasse gelockt! Leb­ten in die­sem Ort nur ein paar Scherz­kekse, die sich dar­über tot­lach­ten, wenn sie Fremde in die falsche Rich­tung lots­ten?! Das war ver­dammt noch mal nicht wit­zig! Wenn nicht hier, wie sollte ich sonst ins Orts­zen­trum kom­men?! Ich konnte und wollte nicht die ganze Nacht lang durch die Gegend irren, um am Ende trotz­dem ohne Unter­kunft dazu­ste­hen.

Meine Beine konnte ich mitt­ler­weile schon gar nicht mehr spü­ren. Ein Wun­der, dass sie den Anwei­sun­gen mei­nes Kop­fes noch gehorch­ten. Und dann die­ses klo­bige Teil auf mei­nem Rücken. Es machte mich rasend, die Gitar­ren die ganze Zeit über mit mir rum­zu­schlep­pen. Am liebs­ten hätte ich sie im Bach ver­senkt! Doch das hätte ich im Nach­hin­ein bestimmt bereut.

Ich über­legte schon ernst­haft, ein­fach an allen Türen zu klin­geln und um Hilfe zu bit­ten, als von Wei­tem ein Geräusch zu mir durch­drang. Was war das? Klang fast, wie ein Rufen …

Leona

Wie ich den Win­ter hasste! Die Kälte an sich war Jahr für Jahr schon ein Graus. Aber jetzt auch noch die­ser Schnee­sturm dazu? Seit Jah­ren hatte es hier kein sol­ches Sau­wet­ter mehr gege­ben. Das war das Tüp­fel­chen auf dem I allen Übels. Da wollte man doch kei­nen Fuß mehr vor die Tür set­zen. Nor­ma­le­r­weise gab es in die­ser Gegend kaum Schnee, er glich eher einer Rari­tät und sollte wert­ge­schätzt wer­den. Nicht von mir aller­dings, ich ver­ab­scheute das kalte Zeug. Konnte nicht schon wie­der Som­mer sein? Oder das ganze Jahr über? Das wäre doch mal schön.

In meine Decke gewi­ckelt bib­berte ich in mei­nem Bett vor mich hin. Trotz dickem Kapu­zen­s­hirt und Ther­mo­legg­ins fühlte ich mich immer noch wie ein Eis­zap­fen. Eigent­lich ver­suchte ich, mich auf das Buch in mei­nen Hän­den zu kon­zen­trie­ren, doch das stän­dige Klap­pern der Roll­lä­den regte mich zu sehr auf. Jedes Mal, wenn eine Wind­böe ange­rauscht kam, klang es, als würde sie sämt­li­che Teile aus der Ver­an­ke­rung rei­ßen. Genervt kroch ich aus dem woh­li­gen Schutz mei­ner Decke her­aus. Na gut, dann würde ich sie heute Nacht wohl hoch­ge­zo­gen las­sen. Bei die­sem Lärm könnte ich sonst kein Auge zutun.

Drau­ßen herrschte Welt­un­ter­gangs­stim­mung, die Grau­pel­kör­ner peitsch­ten unnach­gie­big auf alles ein, was ihnen in die Quere kam. Im Licht­ke­gel der Laterne sah das Ganze noch viel spek­ta­ku­lä­rer aus, wie ein Kampf zwi­schen glit­zern­den Eis­kris­tal­len. Gerade, als ich mich abwen­den wollte, erregte eine Bewe­gung meine Auf­merk­sam­keit. Da ging jemand durch den Sturm! Hatte diese Per­son einen Knall? Aus mei­ner Per­spek­tive wirkte es so, als hätte der- oder die­je­nige nicht ein­mal son­der­lich warme Klei­dung an.

Ich beob­ach­tete, wie sich die Gestalt Schritt um Schritt wei­ter­mühte, immer näher auf das Ende der Gasse zu. Ob das wohl Besuch für die Nach­barn war? Wie gebannt starrte ich hin­aus und fokus­sierte mich auf die Bewe­gun­gen in der Kälte. Erst jetzt fiel mir auf, dass die Per­son einen Ruck­sack und noch dazu einen Gitar­ren­kof­fer mit sich rum­schleppte. Das war bestimmt kein Besuch für das alte Ehe­paar, das im letz­ten Haus wohnte. Und kaum hatte ich den Gedan­ken zu Ende gedacht, hielt der Mensch im Schnee­ge­stö­ber an, ließ den Kopf in jede Rich­tung wan­dern und wirkte hoff­nungs­los ver­lo­ren.

Ein Opfer des Sturms, ver­irrt im Schneechaos. Wo das eigent­li­che Ziel wohl gewe­sen wäre? Mir lief es kalt den Rücken run­ter, wäh­rend ich daran dachte, dass die­ser jemand noch län­ger ori­en­tie­rungs­los durch die Nacht wan­dern musste. Was, wenn es noch wei­ter abküh­len würde? Das könnte zu schwe­ren Erfrie­run­gen füh­ren! Oder eine Lun­gen­ent­zün­dung zur Folge haben!

Immer noch stand die Sil­hou­ette regungs­los inmit­ten des toben­den Sturms. Ob die Panik, sich ver­irrt zu haben, wohl eine Schock­starre aus­ge­löst hatte? Ich konnte doch nicht ein­fach taten­los zuse­hen, wie die­ser Kör­per dem Käl­te­tod lang­sam aber sicher einen Schritt näher­kam. So fasste ich den Beschluss, hin­aus­zu­ge­hen und zu fra­gen, ob ich wei­ter­hel­fen könnte. Viel­leicht könnte ich die Per­son ja mit dem Auto zum eigent­li­chen Ziel fah­ren.

Inner­halb von weni­gen Sekun­den hetzte ich die Stu­fen hin­un­ter und steu­erte auf die Gar­de­robe zu. Fast wäre ich mit mei­ner Mut­ter zusam­men­ge­sto­ßen, die mir gerade noch recht­zei­tig aus­wich.

»Wo willst du denn so schnell hin?« Ihre Stimme klang über­rascht.

»Da drau­ßen scheint sich jemand im Sturm ver­irrt zu haben. Ich werde mal nach­fra­gen, ob ich hel­fen kann. Bin gleich wie­der da.« Schon hatte ich die Jacke zuge­zo­gen und ließ die Ein­gangs­tür hin­ter mir ins Schloss fal­len.

Mit ein­ge­zo­ge­nem Nacken und mög­lichst tief in der Jacke ver­steckt stapfte ich über den ver­schnei­ten Weg zum Gar­ten­tor. Fast hätte ich es nicht auf­be­kom­men, weil die Klinke ver­eist war. Aber ein biss­chen Gewalt half dann doch. Mein Blick schweifte zu dem Punkt, an dem die Per­son zuletzt gestan­den hatte. Dort war nie­mand mehr zu sehen. Weit konnte sie jedoch noch nicht gekom­men sein. Damit behielt ich recht. Keine zwei Häu­ser wei­ter, in der Rich­tung, aus der sie gekom­men war, stapfte sie geduckt auf der ande­ren Stra­ßen­seite wie­der zurück.

»Hey, warte!« Meine Rufe wur­den vom Sturm ver­schluckt, kaum dass sie mei­nen Mund ver­las­sen hat­ten. Sie konn­ten gar nicht gehört wor­den sein. Die Gestalt stapfte unbe­irrt wei­ter, aber bei die­sem Tempo wäre es für mich ein Leich­tes, sie ein­zu­ho­len. Die dicken Win­ters­tie­fel boten mir guten Halt, wodurch die Gefahr gerin­ger war, auf den Pflas­ter­stei­nen aus­zu­rut­schen. Die­sen Vor­teil hatte die Per­son vor mir nicht, wes­halb sie jeden Schritt mit Bedacht vor den nächs­ten set­zen musste. Mein Beschluss, den Weg über den Gras­strei­fen fort­zu­set­zen, anstatt den Geh­steig zu wäh­len, stellte sich als Voll­tref­fer her­aus. So konnte ich noch mehr Boden­haf­tung bekom­men und schaffte es fast schon zu lau­fen, ohne dabei aus­zu­rut­schen und mir mög­li­cher­weise noch den Fuß zu bre­chen, bevor ich Hilfe geleis­tet hatte.

Der Abstand ver­klei­nerte sich, ich wagte erneut einen Ver­such zu rufen. »Hallo! Warte mal!« Hm… ganz sicher war ich mir nicht, ob ich mein Ziel erreicht hatte. Zwar ver­lang­sam­ten sich die Schritte mei­nes Vor­der­man­nes kurz­fris­tig, aber wahr­schein­lich wurde mein Rufen für Ein­bil­dung gehal­ten. Daher setzte ich noch eine Schippe drauf und rannte so schnell, dass ich fast schon über das schnee­be­deckte Gras flog. Nur noch knapp zwei Meter und ich wäre dort.

»Hey!«, rief ich noch­mal, so laut ich konnte. Im sel­ben Moment schaffte ich es auch, meine Hand weit genug aus­zu­stre­cken, um die Per­son am Arm zu berüh­ren. Ein Zucken folgte als Reflex, ich hatte ihr einen gewal­ti­gen Schre­cken ein­ge­jagt. Oh je, das wollte ich damit nicht bezwe­cken. Fast hätte ich mich selbst über die Hef­tig­keit die­ser Reak­tion erschro­cken. Nach einem kur­zen Augen­blick der Starre drehte sich die Per­son zu mir um.

Nun blickte ich in das Gesicht eines jun­gen Man­nes, der die Kapuze fast bis über die Augen gezo­gen hatte. Er schob sie ein win­zi­ges Stück nach oben, um mich anzu­se­hen. Erleich­te­rung spie­gelte sich in sei­nen Zügen wider. Ich hatte ihn mit mei­nem klei­nen Über­fall also nicht ver­är­gert. Gut. Trotz­dem schien er zu baff zu sein, um irgen­d­et­was zu sagen. Des­we­gen ergriff ich die Initia­tive. »Es scheint, als hät­test du dich ver­lau­fen. Ich hab dich vom Fens­ter aus gese­hen. Kann ich dir irgend­wie wei­ter­hel­fen?«

Ich beob­ach­tete sein Ver­hal­ten. Er seufzte kurz auf, doch etwas änderte sich an sei­nem Gesichts­aus­druck. Ein klei­ner Fun­ken Hoff­nung schien sich breit zu machen. Er bat mich, Eng­lisch zu spre­chen und ich wie­der­holte, was ich gesagt hatte. Schließ­lich ant­wor­tete er:

»Viel­leicht könn­test du das wirk­lich. Ich bin auf der Suche nach einem Hotel oder ähn­li­chem, in dem ich die Nacht ver­brin­gen kann. Eigent­lich sollte ich jetzt in Wien sein, aber ich bin ein­ge­schla­fen und schlus­s­end­lich hier gelan­det. Mein Akku hat den Geist auf­ge­ge­ben und ich hab keine Ahnung, wohin ich gehen soll.«

Die Ver­zweif­lung in sei­ner Stimme war nicht zu über­hö­ren, seine Augen schim­mer­ten, ob vom Schnee oder vor Hilf­lo­sig­keit, sei dahin­ge­stellt. Er wirkte wie ein ver­lo­re­ner Hun­de­welpe, der nicht wusste, wohin. So konnte ich gar nicht anders, als ihm meine Hilfe anzu­bie­ten. »Komm mit. Wir gehen zu mir ins Haus, dort kannst du dein Handy auf­la­den und in der Zwi­schen­zeit kann ich dir gerne dabei hel­fen, einen Schlaf­platz zu fin­den. Es gibt hier ein Hotel, sowie ein paar Gast­häu­ser und Wein­gü­ter, die Gäs­te­zim­mer haben. Viel­leicht errei­chen wir noch jeman­den.«

Ein klei­nes Lächeln zeich­nete sich auf sei­nen Lip­pen ab. »Danke, das wäre sehr lieb von dir.« Der Akzent in sei­ner Stimme klang lus­tig. Viel­leicht bri­tisch? Schwer zu sagen. Ich nickte ihm ermu­ti­gend zu.

»Ist doch selbst­ver­ständ­lich, ich kann dich doch nicht hier drau­ßen erfrie­ren las­sen.« Schon ging ich vor­aus und wies ihm den Weg. Mich umzu­dre­hen, konnte ich mir spa­ren. Ich wusste, dass er mir auf Schritt und Tritt fol­gen würde. Am Gar­ten­tor hielt ich inne, um es hin­ter ihm zu schlie­ßen. Er war­tete, bis ich ihn bat, wei­ter­zu­ge­hen.

»Da wären wir.« Ich öff­nete die Ein­gangs­tür und er hielt noch­mals an, so als würde er eine wei­tere Bestä­ti­gung erwar­ten, dass er auch wirk­lich hin­ein­ge­hen durfte. Mit einer ein­la­den­den Geste winkte ich ihn hin­ein. »Die Schuhe kannst du gleich hier aus­zie­hen. Dann stelle ich sie neben die Hei­zung und deine Jacke hänge ich dar­über, damit sie trock­net.« Er tat, wie befoh­len. Wäh­rend er sich schüch­tern im Raum umsah, wagte ich es, ihn genauer anzu­se­hen.

Chao­ti­sche braune Haare, deren Spit­zen nass vom Schnee waren, stan­den von sei­nem Kopf ab. Er war groß, bestimmt knapp 1,90 m und hatte breite, mus­ku­löse Schul­tern. Wenn ich ihn so im Pro­fil betrach­tete, wirkte er, als wäre er nur ein wenig älter als ich. Ehr­lich gesagt gefiel mir, was ich bis­her so sehen konnte. Plötz­lich schien er bemerkt zu haben, dass ich ihn ansah, denn er wandte sich mir zu und unsere Augen tra­fen sich. Sein Kara­mell­braun ver­mischte sich mit mei­nem Grau.

Und von jetzt auf gleich ver­schlug es mir die Spra­che. Schnell wandte ich den Blick ab, als mein Kopf rea­li­sierte, wen ich da vor mir hatte. Aber nein, das konnte doch gar nicht mög­lich sein. Ich musste mich irren. Ver­stoh­len wagte ich einen wei­te­ren Blick, nur um fest­zu­stel­len, dass er mich beob­ach­tete und rasch weg­sah, als ich mich ihm wie­der zuge­wandt hatte. Aber für mich bestand kein Zwei­fel mehr. Das war Nick Bax­ter! Ein bri­ti­scher New­co­mer im inter­na­ti­o­na­len Musik­busi­ness. Seine Songs lie­fen hier neu­er­dings bei den Radi­o­sta­ti­o­nen auf und ab und im ver­ei­nig­ten König­reich wurde er sowieso schon längst als Star gefei­ert.

Aber was machte er hier? Ein erfolg­rei­cher Sän­ger, der aus­ge­rech­net vor mei­ner Hau­s­türe lan­dete. So etwas erlebte man auch nicht alle Tage. Ich ver­suchte, mir nicht anmer­ken zu las­sen, wie auf­ge­regt mich die Tat­sa­che wer­den ließ, ihn hier­zu­ha­ben. Zwar würde ich mich nicht als rich­ti­ges Fan­girl bezeich­nen, aber ich konnte nicht leug­nen, dass ich seine Musik mochte. Seine Stimme hatte etwas Beru­hi­gen­des und war genau das, was mir half, nach einem anstren­gen­den Tag run­ter­zu­kom­men.

Um die Situa­tion nicht komisch wer­den zu las­sen, nahm ich all mei­nen Mut und meine Selbst­be­herr­schung zusam­men. »Folge mir. Ich mache dir ein war­mes Getränk, damit dir nicht mehr ganz so kalt ist. Wäre Kakao okay oder lie­ber Kaf­fee oder Tee?«

Er lächelte. »Kakao wäre groß­ar­tig, danke.« Ich führte ihn in die Küche und er setzte sich hin, wäh­rend ich ihm das Getränk zube­rei­tete und sein Handy zum Laden zur Steck­dose brachte.

»Hier bitte.« Ich reichte ihm die Tasse. »Dan­ke­s­chön. Für alles.« Das Strah­len in sei­nem Gesicht blen­det mich bei­nahe. Wäre ich tief im Inne­ren nicht so auf­ge­regt gewe­sen, hätte ich glatt dahin­schmel­zen kön­nen. Ich musste drin­gend etwas sagen, bevor mein Mund aus­trock­nen konnte. Also sprach ich das Erste aus, was mir in den Sinn kam. Viel­leicht nicht die klügste Ent­schei­dung, aber mehr brachte mein Hirn nicht zustande.

»Du bist Nick Bax­ter.« Die Fest­stel­lung hätte ich mir spa­ren kön­nen, es lag offen­sicht­lich auf der Hand. Den­noch run­zelte er über­rascht die Stirn.

»In Fleisch und Blut. Aber ich hätte nicht gedacht, dass man mich hier­zu­lande auch gleich erken­nen würde. Eigent­lich habe ich ange­nom­men, dass sich meine Musik noch nicht so weit ver­brei­tet hat.« Er lachte und auf sei­nen Wan­gen zeich­ne­ten sich Grüb­chen ab, die sein Strah­len nur noch ver­stärk­ten.

»Wow, da muss ich mich ja fast schon geehrt füh­len, dich als Gast hier zu haben. Doch, doch, ein paar dei­ner Songs lau­fen stän­dig im Radio auf und ab.« Ich fühlte mich tat­säch­lich ein wenig stolz, ihn als Gast zu haben. Okay, ein wenig war die Unter­trei­bung des Tages.

»Ehr­lich? Hast du noch nie einen Sän­ger beher­bergt? Ich dachte, uns gibt es wie Sand am Meer. Da müss­test du doch wenigs­tens alle paar Wochen mal einen vor dei­ner Tür ste­hen haben.«

Nun war ich es, die laut auf­lachte, und er stimmte mit ein. »Wie heißt du denn, werte Gast­ge­be­rin?«

»Leona. Aber meine Freunde nen­nen mich Leo.«

»Dann darf ich dich also auch Leo nen­nen.«

Gespielt scho­ckiert zog ich eine Augen­braue nach oben.

»Ich wusste gar nicht, dass wir Freunde sind.« Er warf mir einen Blick zu, als hätte ich ihm gerade gesagt, ich wollte mit ihm Schluss machen.

»Ach nicht? Leo, wie kannst du nur unsere Freund­schaft ver­ges­sen? Bedeu­tet sie dir denn gar nichts?«

Es fiel mir schwer, ernst zu blei­ben. »Tja, bis vor ein paar Minu­ten dachte ich noch, du wärst ein­fach ein Obda­ch­lo­ser, der vom Schnee­sturm über­rascht wurde und des­we­gen Hilfe braucht. Aber so kann man sich täu­schen.«

Nun schaffte er es nicht mehr, sein Poker­face auf­recht zu erhal­ten. Statt­des­sen blick­ten mir Augen vol­ler Erstau­nen ent­ge­gen. »Du hät­test also auch einen Obda­ch­lo­sen her­ein­ge­be­ten?«

Ich zuckte nur die Schul­tern. »Na klar. Wenn ich ihn dadurch vor dem siche­ren Tod durch Erfrie­ren bewah­ren könnte, wäre es mir weit­aus lie­ber, wenn er mit mir ins Haus kom­men würde.«

Meine Ant­wort ent­lockte ihm ein Lächeln, das pro­blem­los Ker­zen zum Schmel­zen brin­gen konnte. Einige quä­lend lange Sekun­den erwi­derte er nichts, bis er schließ­lich sagte: »Leo …, das bedeu­tet doch auch Löwe, nicht? Das scheinst du auch echt zu sein. Eine Löwin, die sich mit aller Kraft dafür ein­setzt, ande­ren zu hel­fen. Diese Cha­rak­ter­ei­gen­schaft ist Gold wert. Ver­lier sie bitte nie.«

Rasch wollte ich mein Gesicht weg­dre­hen, damit er nicht sah, wie ich errö­tete. Aber zu spät, er hatte es schon längst bemerkt. »Für ein Fan­girl hältst du dich echt gut in mei­ner Gegen­wart. Andere wären schon längst umge­kippt, wenn sie gemerkt hät­ten, wen sie vor sich haben. Respekt.«

Ich ver­drehte die Augen. »Ers­tens: Wer sagt, dass ich ein Fan­girl bin? Zwei­tens: Ich wusste erst hier im Haus, wer du bist. Und des­we­gen umkip­pen? Ach bitte, du bist doch auch nur ein Mensch.«

»Dann bist du also kein Fan? Jetzt bin ich aber trau­rig … Aller­dings beein­druckt es mich, wie locker du die Sache siehst. Andere wür­den ver­su­chen, sich bei mir ein­zu­schlei­men. Du bist ein­fach nur eine her­vor­ra­gende Gast­ge­be­rin.«

Ich zuckte die Schul­tern. »So bin ich eben. Tja, wer weiß. Viel­leicht bin ich ein Fan, viel­leicht auch nicht. Du wirst es nie erfah­ren.« Ich zwin­kerte ihm zu und er zog eine Schnute.

Schließ­lich ver­kün­dete ich, dass ich mei­nen Lap­top holen würde, um nach mög­li­chen Unter­künf­ten für ihn zu suchen. Gemein­sam setz­ten wir uns hin und er war mir so nahe, dass sich unsere Arme bei­nahe berühr­ten. Ich spürte förm­lich die Wärme sei­nes Kör­pers, was mich noch einen Ticken ner­vö­ser machte. Doch ich igno­rierte die­ses Gefühl und scrollte durch die Home­page des ein­zi­gen Hotels im Ort. »Ich ruf gleich mal an.« Es klin­gelte und klin­gelte, doch nie­mand nahm ab. Auch beim zwei­ten Ver­such nicht.

Die ande­ren Mög­lich­kei­ten, ein Gäs­te­zim­mer zu fin­den, boten ebenso wenig Erfolg. In den Wein­gü­tern gab es keine Rezep­tion, die rund um die Uhr besetzt war, in den Gast­häu­sern ebenso wenig. Es blieb also nur ein drit­ter und letz­ter Ver­such, das Hotel zu errei­chen, doch auch das brachte nichts. Kei­nes­falls würde ich Nick auf die Straße set­zen. »Weißt du was? Ich habe eine andere Idee, warte kurz hier.« Und ehe er mir ant­wor­ten konnte, war ich aus dem Raum ver­schwun­den.

Als hätte sie meine Gedan­ken gehört, kam mir meine Mut­ter ent­ge­gen. »Konn­test du dem Ver­irr­ten hel­fen?«

»Naja, teil­weise. Er sitzt gerade in unse­rer Küche und wir ver­su­chen, eine Unter­kunft für ihn zu fin­den. Aber nichts hat offen oder ist erreich­bar.« Etwas lei­ser, damit man uns in der Küche nicht hörte, flüs­terte ich ihr zu: »Mama, du glaubst nicht, wer da sitzt. Es ist Nick Bax­ter! Du weißt schon, der Sän­ger, des­sen Musik ich abends so gerne höre!«

»Was, ehr­lich? Oder ver­äp­pelst du mich? Das ist ja unglaub­lich! Aber wie das?«

Ich grinste. »Ich erzähl dir mor­gen mehr. Eigent­lich wollte ich dich fra­gen, ob er die Nacht bei uns im Wohn­zim­mer ver­brin­gen dürfte. Ich will ihn echt nicht auf die Straße set­zen und weiß nicht, wie ich ihm sonst wei­ter­hel­fen könnte.« Sie schien kurz zu grü­beln.

»Hm…, ich denke, das sollte kein Pro­blem sein. Zuerst möchte ich ihn aber begrü­ßen, um mir ein Bild von ihm zu machen.«

War klar. So nahm ich sie an der Hand und zog sie mit mir.

Nick hob den Kopf und lächelte uns freund­lich an, als wir in die Küche tra­ten.

»Nick, das ist meine Mut­ter Luise. Mama, das ist Nick.«

Er erhob sich vom Stuhl, um ihr die Hand zu schüt­teln. »Freut mich, Sie ken­nen­zu­ler­nen.«

»Mich ebenso. Leona hat eine Idee, die das Pro­blem bezüg­lich eines Hotel­zim­mers lösen könnte. Aber die frohe Bot­schaft darf sie gerne selbst ver­kün­den. Ich lass euch mal allein und lege mich schla­fen. Gute Nacht!«

»Gute Nacht!«, rie­fen wir wie aus einem Mund. Dann wandte er sich mir zu.

»So? Du hast also eine gute Nach­richt für mich? Da bin ich mal gespannt.« Über sei­nen erwar­tungs­vol­len Gesichts­aus­druck musste ich grin­sen.

»Du kannst die Nacht hier ver­brin­gen. Wir haben zwar kein Gäs­te­zim­mer, aber du könn­test im Wohn­zim­mer auf dem Sofa schla­fen, wenn du möch­test.«

Ihm stand der Mund offen. »Was, echt? Das wür­det ihr für mich tun?«

Süß, ihn so über­rascht zu sehen. »Aber klar doch! Ist doch kein Pro­blem und ich würde dich natür­lich kei­nes­falls ein­fach raus­wer­fen. Also was hältst du davon? Ist das okay für dich?«

»Abso­lut! Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, außer danke, danke, danke! Du bist meine Ret­te­rin in der Not!« Und ehe ich mich ver­sah, hatte er seine Arme um mich gelegt und mich in eine Umar­mung gezo­gen. Ganz kurz und flüch­tig nur, aber lange genug, um mich wahr­schein­lich ewig daran zu erin­nern. Ein tol­les Gefühl! Zusätz­lich erfüll­ten mich die Erleich­te­rung und die Eupho­rie, die er ausstrahlte, selbst mit Glück. Es tat gut, ihm hel­fen zu kön­nen. Und wenn es nur dadurch war, ihm ein Sofa zum Schla­fen anzu­bie­ten.

»Ist mir eine Freude, wenn ich hel­fen kann. Jetzt werde ich dich mal her­um­füh­ren und dir dein Quar­tier für die Nacht, sowie die Toi­lette und das Bade­zim­mer zei­gen. Du kannst gerne duschen gehen, um die Stra­pa­zen der ver­gan­ge­nen Stun­den von dir zu waschen. Ein Hand­tuch lege ich dir gleich ins Bad. In der Zwi­schen­zeit könnte ich eine Decke und ein Kis­sen holen, um das Sofa ein wenig gemüt­li­cher zu machen.« Meine Gast­freund­schaft schien ihn etwas zu über­rum­peln. Er folgte mir schweig­sam, aber doch vol­ler Dank­bar­keit.

Fast schüch­tern nahm er die Mög­lich­keit der Dusche an und ich ver­suchte, ihn mir nicht dabei vor­zu­stel­len, wäh­rend ich sei­nen Schlaf­platz vor­be­rei­tete. Seine Haare stan­den noch chao­ti­scher ab, als er sich zu mir ins Wohn­zim­mer gesellte. Er trug nur noch ein T-Shirt zu sei­ner Jeans, den Swea­ter hatte er sich unter den Arm geklemmt. Der Stoff schmiegte sich an die Mus­keln sei­ner Ober­arme. Er sah echt gut aus, was ich ihm natür­lich nie sagen würde.

»Fühlst du dich jetzt woh­ler?«

Seine Miene hellte sich auf. »Sehr sogar, danke!« Das freute mich zu hören. »Das Sofa ist vor­be­rei­tet, ich habe dir auch noch eine Fla­sche Was­ser und ein paar Snacks hin­ge­stellt, falls du dich stär­ken möch­test. Ich werde dich jetzt allein las­sen, damit du dich aus­ru­hen kannst.« Der erste Schritt in Rich­tung Tür war gemacht, als er mein Hand­ge­lenk umfasste.

»Nein, warte, wäre es okay, wenn du noch ein biss­chen bleibst und wir uns unter­hal­ten? Zum Schla­fen bin ich im Moment sowieso zu auf­ge­wühlt.«

Er wirkte so hoff­nungs­voll, dass ich ihm den Wunsch nicht abschla­gen konnte. Also setz­ten wir uns gemein­sam auf das Sofa, Seite an Seite. Genüss­lich schob er sich eine der Salz­stan­gen in den Mund, die ich bereit­ge­stellt hatte, und mus­terte mich dabei. Schließ­lich durch­brach er das Schwei­gen. »Also Leo, erzähl mir mal was von dir. Wie alt bist du? Hast du Geschwis­ter? Was machst du so beruf­lich und in dei­ner Frei­zeit? Irgend­wel­che coo­len Fak­ten über dich, die ich wis­sen sollte?«

»Du bist ja ganz schön neu­gie­rig. Es gibt kaum span­nende Dinge über mich zu berich­ten, ich bin eigent­lich ziem­lich lang­wei­lig.«

Ener­gisch schüt­telte er den Kopf. »Das denke ich nicht. In mei­nen Augen bist du echt span­nend und ein­zig­ar­tig. Also komm, erzähl mir was.«

Span­nend und ein­zig­ar­tig? Ich? Tja, wenn er mich näher ken­nen­ler­nen würde, sähe er die Sache nicht mehr so. »Na gut. Ich bin ein­und­zwan­zig und stu­diere Mar­ke­ting an der Uni Wien. In mei­ner Frei­zeit lese ich gerne, höre Musik, treffe mich mit Freun­den oder unter­nehme etwas mit mei­ner klei­nen Schwes­ter. Also das Übli­che eben. Coole Fak­ten habe ich nicht anzu­bie­ten, außer viel­leicht, dass ich manch­mal zeichne, um mei­nen Kopf frei­zu­krie­gen. Übri­gens würde meine Schwes­ter halb in Ohn­macht fal­len, wenn sie wüsste, dass du in unse­rem Wohn­zim­mer über­nach­test.«

»Du scheinst also vol­ler Kre­a­ti­vi­tät zu ste­cken, wenn dein Haupt­fach Mar­ke­ting ist und du zeich­nest. Das finde ich ver­dammt cool. Darf ich deine Zeich­nun­gen sehen? Deine Schwes­ter kann uns natür­lich gerne Gesell­schaft leis­ten.«

Für einen Augen­blick haderte ich mit mir. Sollte ich ihm wirk­lich meine Bil­der zei­gen? So gut waren sie ja auch wie­der nicht. Doch ich nahm mich selbst an der Nase und stand auf, um ein paar Blät­ter Papier aus einer Schub­lade zu holen. »Hier, das sind einige mei­ner aktu­el­len Krit­ze­leien. Nicht per­fekt, aber sie erfül­len ihren Zweck. Und nein, ich werde Lea nicht holen, sonst wirst du sie die ganze Nacht über nicht mehr los.«

Vol­ler Inter­esse betrach­tete er Bild um Bild. »Wow, die sind echt gut. Du zeich­nest so detail­reich und mit echt viel Gefühl. Das könnte ich mir stun­den­lang anse­hen.«

Ich wusste über­haupt nicht, was ich sagen sollte. »Ähm, danke.« Um das Gespräch von mir abzu­len­ken, drehte ich den Spieß um. »Was ist mit dir? Ich kenne zwar dei­nen Namen und weiß bruch­stück­haft über deine beruf­li­che Kar­riere Bescheid, aber was machst du so hob­by­mä­ßig? Und wie alt bist du? Und hast du Geschwis­ter? Coole Fak­ten, außer der Tat­sa­che, dass du Sän­ger bist?«

Seine Lip­pen ver­zo­gen sich zu einem fre­chen Grin­sen. »Mir scheint, als wäre ich nicht die ein­zige neu­gie­rige Per­son im Raum. Aber okay, du hast mir geant­wor­tet, also werde ich das auch tun. Ich bin vier­und­zwan­zig und arbeite seit gut drei Jah­ren an mei­nem Traum, Musi­ker zu wer­den. Aber ich bin auch gro­ßer Sport­fan und spiele gele­gent­lich Fuß­ball oder gehe jog­gen. Auf Tour muss Fuß­ball dann eben durch Fifa ersetzt wer­den, denn meine Play­sta­tion habe ich meis­tens dabei, außer ich reise mit dem Zug. Bio­lo­gisch gese­hen bin ich Ein­zel­kind, aber ich habe eine kleine Stief­schwes­ter, die der neue Mann mei­ner Mut­ter in die Fami­lie mit­ge­bracht hat. Und coole Fak­ten habe ich ehr­li­cher­weise nicht anzu­bie­ten. Da bin ich wohl der Lang­wei­ler.«

Ich piekte ihn in die Seite und war von mir selbst über­rascht. Nor­ma­le­r­weise war ich nicht so mutig. »Als ob du lang­wei­lig sein könn­test. Es muss völ­lig irre sein, so wie du auf einer rie­si­gen Bühne vor hun­der­ten oder gar tau­sen­den Men­schen zu ste­hen. Das würde ich mich wohl nie trauen. Das macht dich defi­ni­tiv zu kei­nem Lang­wei­ler, eher zum span­nends­ten Men­schen, den ich je ken­nen­ler­nen durfte.«

Er legte eine Hand auf sein Herz und zog ein däm­li­ches Grin­sen auf. »Ich bin also span­nen­der als dein Freund? Dann muss ich mich ja echt geschmei­chelt füh­len.«

Was? Wieso ging er davon aus, ich hätte einen Freund? So ein Quatsch. »Ja defi­ni­tiv bist du das, denn damit er span­nen­der sein könnte, müsste ich ja einen Freund haben. Aber dem ist nicht so.«

Jetzt schien er ehr­lich scho­ckiert zu sein. »Was echt? Wie kann ein solch groß­ar­ti­ger Mensch, wie du einer bist, Sin­gle sein? Um dich müss­ten sich die Män­ner ja rei­ßen. Du wärst eine Berei­che­rung für ihr aller Leben.«

Mein Herz raste, als würde ich kurz vor einem Herz­in­farkt ste­hen. Nick machte mir Kom­pli­mente, wie sie mir noch nie ein Mann gemacht hatte. Das nahm mir die Fähig­keit, einen kla­ren Gedan­ken zu fas­sen.

Als er merkte, dass von mir keine Reak­tion kom­men würde, fügte er hinzu: »Stimmst du mir zu?«

Ich schüt­telte mich inner­lich kurz, um meine Stimme wie­der­zu­fin­den. »Ähm, keine Ahnung. Viel­leicht. So habe ich es noch nie betrach­tet.«

Nun war er es, der die Augen ver­drehte. »Eine starke Löwin, die noch viel ler­nen muss. Ver­kauf dich nie­mals unter dei­nem Wert, Leo. Du bist zu gut­her­zig, um dich mit dem Mit­tel­maß begnü­gen zu müs­sen. Merk dir meine Worte gut.«

Das würde ich tun. Jedes sei­ner Worte brannte sich tief in mei­ner Erin­ne­rung ein. »Okay, danke für den Rat.«

»Ist mir ein Ver­gnü­gen. Und jetzt lass uns über deine Zukunfts­pläne und Ziele spre­chen. Ich brenne dar­auf, mehr zu erfah­ren.« Wir saßen bestimmt andert­halb Stun­den so auf dem Sofa und unter­hiel­ten uns über die­ses und jenes. Es fas­zi­nierte mich, neue Fak­ten über ihn zu erfah­ren. Er schien gro­ßes Ver­trauen in mich zu haben, denn viele die­ser Infos kannte nicht mal die Presse. Für mich war es etwas ganz Beson­de­res, dass er es aus­ge­rech­net mit mir teilte.

Nach Mit­ter­nacht fass­ten wir noch den Beschluss, uns einen Film anzu­se­hen, um den Abend aus­klin­gen zu las­sen. Keine fünf­zehn Minu­ten, nach­dem ich ihn gest­ar­tet hatte, bemerkte ich, wie Nick gegen die Müdig­keit ankämpfte. Seine Lider wur­den schwe­rer. Er konnte seine Augen kaum noch offen­hal­ten. Ich lächelte stumm und beob­ach­tete ihn, bis er schließ­lich ein­ge­schla­fen war. Fried­lich lag er da, sein Brust­korb hob und senkte sich gleich­mä­ßig. Wenn er schlief, wirkte er viel unbe­schwer­ter. Ein süßer Anblick, von dem ich mich am liebs­ten gar nicht tren­nen wollte.

Aber ich wusste, er brauchte seine Ruhe und Erho­lung. Mor­gen würde er schon ziem­lich früh nach Wien fah­ren müs­sen, um ein Inter­view zu füh­ren und ins Stu­dio zu kom­men. Bevor ich den Raum ver­ließ, nahm ich noch die Decke und streifte sie ihm über, damit ihm nicht kalt wer­den würde. Auf Zehen­spit­zen schlich ich mich raus und schloss die Tür hin­ter mir. Ebenso leise bewegte ich mich über die Stu­fen nach oben in mein Zim­mer, wo ich mich grin­send, aber auch erschöpft, in mein Bett fal­len ließ.

Nick

Mein Magen grum­melte, was dazu führte, dass ich unfrei­wil­lig aus dem Schlaf geris­sen wurde. Wie konnte es mög­lich sein, dass man sogar im Schlaf Hun­ger bekam? Das war doch voll­kom­men bescheu­ert. Genervt öff­nete ich ein Auge, riss aber gleich dar­auf auch das zweite auf, als ich rea­li­sierte, dass ich nicht in mei­nem Hotel­zim­mer lag. Schnell hatte ich mich aller­dings wie­der gefan­gen und erin­nerte mich an die Gescheh­nisse der letz­ten Nacht. 5:45 zeigte mir ein Blick auf das Handy. Okay, in fünf­zehn Minu­ten würde sowieso mein Wecker klin­geln.

Kurz sah ich mich im Raum um, doch ich war allein. Wann Leona wohl gegan­gen war? Ich hatte nichts davon mit­be­kom­men. Aber ganz ehr­lich: Mehr Glück, als nach die­sem Scheiß-Erleb­nis im Schnee­sturm hier zu lan­den, hätte ich gar nicht haben kön­nen. Sol­che gut­her­zi­gen Men­schen gab es nur sel­ten und aus­ge­rech­net sie hatte mich gefun­den und geret­tet. Wenn sie nur wüsste, wie dank­bar ich ihr für all das war. Irgend­wie musste ich mich doch für ihre Gast­freund­schaft und Hilfe erkennt­lich zei­gen kön­nen. Nur wie?

Ich schlug die Decke zurück und augen­blick­lich über­kam mich eine Gän­se­haut. Gut, dass ich den Pull­over bei mir hatte und über­strei­fen konnte. Zöger­lich drückte ich die Klinke und ver­ließ das Zim­mer. Ob sie wohl auch schon wach war? Es wäre schön, beim Früh­stück Gesell­schaft zu haben. Außer­dem würde es sich dann nicht ganz so komisch anfüh­len, wenn ich mich an ihrem Kühl­schrank bediente. Aber warte, genau! Das konnte ich machen! Viel­leicht würde sie sich über ein von mir zube­rei­te­tes Früh­stück freuen. Mal sehen, was ich so fin­den würde …

Eier, Speck, Brot … Na bitte, damit konnte ich arbei­ten. Hof­fent­lich war sie keine Vege­ta­ri­e­rin oder lebte vegan. Gerade, als ich in einem der Schränke eine Pfanne gefun­den hatte, mit der ich Eier­speis und gebra­te­nen Speck zau­bern konnte, hörte ich, wie hin­ter mir die Küchen­tür auf­ging. Ich drehte mich um und schaute in Leos erstaun­tes Gesicht. »Guten Mor­gen!« Meine Worte ris­sen sie aus ihrer Starre.

»Hey, guten Mor­gen. Was machst du denn da?«

»Früh­stück. Für dich und mich. Ich hoffe, du magst Speck und Eier.«

Sie schien immer noch etwas baff zu sein. »Früh­stück für mich? Das wäre doch gar nicht nötig gewe­sen. Aber ja, ich stehe auf Speck und Eier. Danke!« Ihre Ant­wort schaffte all meine Sor­gen bei­seite.

»Und ob es nötig ist. Nach allem, was du letzte Nacht für mich getan hast, ist es das Min­deste, mich mit einem Früh­stück zu bedan­ken. Setz dich schon mal, ich bin gleich fer­tig.« Ich konnte füh­len, wie sie mich beob­ach­tete. Aber das machte mir nichts aus. Schließ­lich war ich es gewohnt, dass mich quasi stän­dig jemand anstarrte.

»Fer­tig!«, ver­kün­dete ich, wäh­rend ich zwei Tel­ler aus dem Schrank nahm. Dar­auf plat­zierte ich das Essen, so schön ich nur konnte. Was den­noch nicht son­der­lich ein­la­dend aus­sah, aber bes­ser bekam ich es lei­der nicht hin. Hof­fent­lich würde sie es trotz­dem gut fin­den und außer­dem betete ich dafür, dass es auch wirk­lich geni­eß­bar wäre. Meine Koch­künste hiel­ten sich lei­der in Gren­zen. Durch die vie­len Näch­ti­gun­gen in Hotels musste ich kaum selbst irgen­d­et­was zube­rei­ten. Die­ses Wis­sen fehlte mir jetzt.

Mit leicht ver­schwitz­ten Hän­den stellte ich den Tel­ler vor Leo ab. »Bit­te­schön. Bon Appe­tit! Ich bete dafür, dass es geni­eß­bar ist. Lach mich bitte nicht für mein grau­en­vol­les Koch­ta­lent aus.« Sie lächelte mich freund­lich an.

»Dafür würde ich dich nie­mals aus­la­chen. Du hast dir so viel Mühe gege­ben und ganz viel Herz rein­ge­steckt. Das allein schon macht es zu etwas Beson­de­rem.« Lang­sam führte sie sich eine Gabel voll mit Ei in den Mund und kaute kurz dar­auf herum, bevor sie mich wie­der ansah.

»Du hast gelo­gen, was deine Koch­künste betrifft.« In ihrer Stimme schwang Ernst­haf­tig­keit mit. Mir gefro­ren die Gesichts­züge.

»Was meinst du?« Plötz­lich lachte sie auf.

»Das schmeckt echt gut! Ich könnte dich also gar nicht aus­la­chen. Aller­dings hät­test du dei­nen Gesichts­aus­druck sehen sol­len, der war ein­fach zu komisch!«

Erleich­tert stieß ich einen Seuf­zer aus. »Man, du hast mich echt geschockt. Ich dachte schon, es wäre voll­kom­men scheuß­lich und nicht ess­bar!«

Ihr Kichern ver­suchte sie mit aller Kraft zu unter­drü­cken, schei­terte aber kläg­lich daran. »Nö, keine Sorge. Du kannst dich beru­higt zu mir set­zen und dir selbst ein Bild machen.«

So ließ ich mich auf dem Stuhl neben ihr nie­der und nahm zöger­lich einen Bis­sen vom Ei. Sie hatte Recht, es schmeckte echt nicht übel. Dar­auf konnte ich schon ein klein wenig stolz sein, nicht? Jeden­falls war ich mehr als froh. So hatte ich ihr wenigs­tens ein gutes Früh­stück machen kön­nen.

Schweig­sam schau­fel­ten wir den Rest der Speise in uns hin­ein. Sie holte schließ­lich Oran­gen­saft aus der Vor­rats­kam­mer, damit wir etwas zum Run­ter­spü­len hat­ten.

»Danke Nick, das war echt köst­lich und ich hab mich sehr dar­über gefreut.«

Oh, gut! Genau das hatte ich damit errei­chen wol­len. »Puh, na dann bin ich ja beru­higt. Freut mich, dass ich dir den Start in den Tag ver­sü­ßen konnte.«

»Apro­pos Start in den Tag, wann musst du denn am Bahn­hof sein?«

Kurz blickte ich auf die Arm­band­uhr an mei­nem Hand­ge­lenk. »Der nächste Zug fährt in knapp einer drei­vier­tel Stunde. Wenn ich den erwi­sche, schaffe ich es wahr­schein­lich noch recht­zei­tig zu mei­nem Inter­view.«

Sie nickte mir zu. »Okay, das klingt nach einem Plan, der zu schaf­fen ist. Der Bahn­hof liegt schließ­lich nur fünf Geh­mi­nu­ten ent­fernt.«

»Ehr­lich?« Auf mei­nem Weg durch den Schnee­sturm ist es mir viel län­ger vor­ge­kom­men. Ver­mut­lich lag das aber daran, dass ich die ganze Zeit gegen die Wind­böen ankämp­fen musste. Krass, wie leicht man das Ver­ständ­nis für Raum und Zeit ver­lie­ren kann. Heute wäre das nicht so. Vor­hin, beim Auf­ste­hen, hatte ich einen Blick aus dem Fens­ter gewor­fen und fest­ge­stellt, dass nicht eine Flo­cke vom Him­mel fiel. Der Sturm hatte sich gelegt und es schien nicht ein­mal mehr ein Lüft­chen zu wehen. Im Gegen­teil, laut Pro­gno­sen würde heute ein son­ni­ger Tag wer­den.

»Das heißt, uns bleibt noch gut eine halbe Stunde, bevor ich los­muss. Das Ticket habe ich bereits online reser­viert, die­sen Punkt kann ich mir also getrost spa­ren. Würde es dir was aus­ma­chen, wenn ich mich noch kurz frisch­ma­chen gehe?« Sie lächelte mich an, ihre Wan­gen strahl­ten in einem zar­ten Rot. »Nur zu. Du weißt ja, wo das Bad ist. Ich werde in der Zwi­schen­zeit hier blei­ben.«

Eigent­lich wollte ich eine macho­hafte Aus­sage machen, in Rich­tung, sie könne ja mit­kom­men. Aber ich biss mir auf die Zunge und ließ es blei­ben. Es wäre völ­lig unan­ge­bracht, sowas zu sagen, denn so war ich nicht.

Eilig machte ich mich auf den Weg ins Bade­zim­mer, um mög­li­che doofe Aus­sa­gen zu ver­mei­den. Ich wusch mir das Gesicht, spülte mir den Mund aus und benutzte etwas von dem Deo, das auf einer Ablage stand. Ich kam mir wie ein Ein­dring­ling vor, der hier nichts ver­lo­ren hatte und sich trotz­dem an den Sachen ande­rer bediente. Auch wenn ich wusste, dass es kei­nen Grund gab, mich so zu füh­len. Schließ­lich hat­ten sie und ihre Mut­ter mir ja ange­bo­ten, dass ich über Nacht blei­ben durfte.

Für einen Moment mus­terte ich mich selbst im Spie­gel. Keine Augen­ringe, keine Spur von Erschöp­fung. Diese Nacht hatte ich so gut geschla­fen, wie schon lange nicht mehr. Dafür musste ich Leo und ihrem gro­ßen Her­zen dank­bar sein. Unvor­stell­bar, wie die Sache aus­ge­gan­gen wäre, wenn sie mich nicht zufäl­lig vom Fens­ter aus gese­hen hätte. Mir gru­selte es bei die­sem Gedan­ken.

»Na, fühlst du dich jetzt wie­der tages­licht­taug­lich und bereit, der Öffent­lich­keit gegen­über­zu­tre­ten?« Ihre Frage brachte mich zum Schmun­zeln, obwohl ich eigent­lich eine empörte Miene auf­set­zen wollte. »Willst du behaup­ten, dass ich es davor nicht gewe­sen war? Ich könnte einen Kar­tof­fel­sack anzie­hen oder mir einen Müll­ei­mer über­stül­pen und wäre immer noch pas­send beklei­det, um mich unter das Volk zu mischen!« Nun war sie es, die gegen das Lachen ankämp­fen musste.

»Das kann ich mir beim bes­ten Wil­len nicht vor­stel­len, aber wenn du so über­zeugt davon bist, freut es mich natür­lich für dich und dein Ego. Doch um mir selbst ein Bild von dir machen zu kön­nen, würde ich diese außer­ge­wöhn­li­chen Klei­dungs­stü­cke nur zu gerne live an dir sehen. Erst dann kann ich beur­tei­len, ob ich deine Mei­nung teile. Nur eines schon mal vor­weg: Ver­mut­lich würde ich vom vie­len Lachen Bauch­schmer­zen bekom­men.«

»Du Frech­dachs!« Für sie völ­lig uner­war­tet, stupste ich sie in die Seite. Mit einem Quiet­schen wand sie sich und hüpfte einen Schritt zur Seite. Na, sieh mal einer an, da hatte ich wohl eine ihrer Schwach­stel­len ent­deckt. Die starke Löwin war extrem kit­ze­lig. Das musste ich für mich aus­nut­zen. Mit einem gro­ßen Schritt stand ich wie­der direkt vor ihr. Sie wollte wei­ter zurück­wei­chen, stieß dabei aber gegen die Kante der Küchen­in­sel. Von hier aus konnte sie mir nicht ent­kom­men, sie saß in der Falle.

Mit einem fle­hen­den Blick bat sie mich, es nicht zu tun, aber ich konnte gar nicht anders. Sekun­den spä­ter quiekte sie lachend, wäh­rend meine Fin­ger sie an der Taille und unter den Armen kit­zel­ten. Auch wenn sie sich wehrte, wusste ich, dass es ihr Spaß machte. Mir ebenso, wie ihr. Es war eine völ­lig unbe­schwerte Situa­tion, in der wir ein­fach zwei Men­schen sein konn­ten, die sich gegen­sei­tig zum Lachen brach­ten. Von die­sen Momen­ten gab es lei­der viel zu wenige in mei­nem All­tag.

»Was ist denn hier los?« Die Stimme ließ mich zusam­men­zu­cken, ertappt fuhr ich herum und blickte in das Gesicht eines Mäd­chens, das Leo zum Ver­wech­seln ähn­lich sah. Nur ein wenig jün­ger. Das musste Lea sein, ihre Schwes­ter.

“Leo … Was … Oh mein Gott!! Was ist das denn für ein ver­rück­ter Traum? Nick Bax­ter ist in mei­ner Küche! Wie cool!« Begeis­tert klatschte sie in die Hände. Ihr Grin­sen war wie fest­ge­fro­ren. Das würde ihr so schnell nie­mand aus dem Gesicht wischen kön­nen.

»Gut erkannt, Schwes­ter­chen. Nur eine Sache stimmt nicht. Du träumst nicht, Nick ist wirk­lich hier. Er hat die Nacht bei uns im Wohn­zim­mer ver­bracht.«

Lea hielt mit­ten in der Bewe­gung inne. »Was? Ver­arscht du mich?« Leo schüt­telte den Kopf. »Nö, tue ich nicht. Frag ihn doch selbst mal. Wenn du näher­kommst und auf­hörst, wie eine Bekloppte zu klat­schen und zu quiet­schen, dann stell ich euch ein­an­der vor.«

Plötz­lich wirkte sie nicht mehr so taff, wie bei ihrem klei­nen Fan­girl-Anfall. Von einem Fuß trat sie auf den ande­ren und kratzte mit dem Haus­schuh auf den Flie­sen herum. Es machte sie ner­vös, dass ich hier war. Doch das musste sie nicht sein. So beschloss ich, ihr den Weg zu erspa­ren, und ging auf sie zu. »Hallo, du musst wohl Lea sein. Deine Schwes­ter hat mir schon von dir erzählt. Freut mich, dich ken­nen­zu­ler­nen.« Zöger­lich ergriff sie die Hand, die ich ihr ent­ge­gen­streckte. Doch als unsere Hand­flä­chen ein­an­der berühr­ten, schüt­telte sie sie eupho­risch.

»Unfass­bar, du fühlst dich ja wirk­lich real an. Es stimmt also! Ich fasse es ein­fach nicht, dass das kein Traum ist!«

Meine neu­trale Miene bei­zu­be­hal­ten, fiel mir schwer, doch ich wollte nicht allzu belus­tigt wir­ken. Sie sollte nicht den­ken, ich würde sie aus­la­chen. Ich fand ihre Reak­tion ein­fach wit­zig. Ihrer Schwes­ter schien es ebenso zu gehen, sie hatte sich mitt­ler­weile zu uns gesellt und einen Arm um Leas Schul­tern gelegt.

»Lea, ich darf dir jetzt offi­zi­ell Nick Bax­ter vor­stel­len. Nick, dass ich meine ver­rückte kleine Schwes­ter Lea.«

»Hey! So klein bin ich nun auch wie­der nicht! Du stellst mich wie eine Vier­jäh­rige dar und nicht wie eine Sech­zehn­jäh­rige!« Sie streckte Leo die Zunge raus. Ich genoss es, die Szene zwi­schen den Schwes­tern zu beob­ach­ten.

»Aber jetzt zur aller­wich­tigs­ten Frage von allen! Wie kommt es, dass ein Star bei uns über­nach­tet? Hab ich was ver­passt?«

Ich zwin­kerte Leona zu und sie legte neu­gie­rig den Kopf schief. »Naja weißt du, Lea, deine Schwes­ter und ich, hm, wie soll ich es sagen, wir sind schon eine ganze Weile ein Paar. Es war an der Zeit, mir mal anzu­se­hen, wie sie so lebt, und ihre Fami­lie ken­nen­zu­ler­nen.« Lea wusste nicht, wie ihr geschah. Sie starrte uns ver­dat­tert an, wäh­rend sich Leo auf die Lip­pen biss, um nicht los­zu­prus­ten.

»Waaaaas?! Ist das euer Ernst?! Leo, warum hast du mir das nicht erzählt?! Es ist immer­hin Nick Bax­ter!«

Wir konn­ten uns nicht län­ger zurück­hal­ten und lach­ten schal­lend dar­auf los. »Das war doch nur ein Scherz, Schwes­ter­herz. Dach­test du echt, Nick und ich wären zusam­men? Ich hab ihm nur aus der Pat­sche gehol­fen, als er ges­tern Nacht unge­wollt im Schnee­sturm her­um­ge­irrt ist. Aber du hät­test dein Gesicht sehen müs­sen. Man, wieso habe ich kein Foto gemacht?«

Die Jün­gere der bei­den ver­drehte die Augen. »Ha, ha. Ganz wit­zig. Ich hätte euch das abge­kauft, so ver­traut, wie ihr eben gewirkt habt. Aber Foto war ein gutes Stich­wort.« Sie drehte sich zu mir und flüs­terte leise: »Darf ich ein Sel­fie mit dir machen, als Erin­ne­rung, dass du bei uns warst?«

Ich zuckte mit den Schul­tern. »Klar doch, warum nicht?« Erneut klatschte sie in die Hände.

»Was hal­tet ihr davon, wenn wir meine Pola­roid Kamera ver­wen­den? Das wären bestimmt coole Erin­ne­rungs­fo­tos.« Leos Idee gefiel mir. »Nur, wenn du mir erlaubst, auch mit dir ein Foto auf­zu­neh­men.«

Meine Bitte ver­wun­derte sie, aber sie wil­ligte ein und holte die Kamera. Zunächst schoss Leona ein Bild von mir und ihrer Schwes­ter, die den Abzug glü­ck­lich an sich drückte. Dann mach­ten wir per Selbst­aus­lö­ser eines zu dritt. Zu guter Letzt kam das Foto, auf das ich gewar­tet hatte. Leona und ich. Unsere Gesich­ter waren ganz nah bei­ein­an­der, mein Atem berührte ihre Haut. Ich nahm wahr, dass ihre Haare nach Pfir­sich rochen, was mich fast um den Ver­stand brachte. Am liebs­ten hätte ich meine Nase darin ver­gra­ben.

Lea drückte den Aus­lö­ser und der Moment endete viel zu schnell. Wenn es nach mir gegan­gen wäre, hätte ich noch wesent­lich län­ger so dicht bei ihr aus­ge­harrt. Zu schade, dass sol­che Momente nicht für immer andau­ern konn­ten. »Wäre es mög­lich, das Foto bitte zwei­mal aus­zu­dru­cken? Ich würde mir gerne einen Abzug davon als Anden­ken mit­neh­men. Viel­leicht bringt es mir ja Glück, eine gut­her­zige Löwin mit auf Tour zu neh­men.« Ein ech­ter Schnapp­schuss, den sie mir da in die Hände drück­ten. Wir wirk­ten so ver­traut, als wür­den wir uns schon seit einer Ewig­keit ken­nen.

»Oh shit!« Meine Augen haf­te­ten auf der Arm­band­uhr, als ich merkte, wie sich Leo besorgt zu mir umdrehte. »Wie spät ist es?« Schuld klang in ihren Wor­ten mit. Sie befürch­tete, ich hätte wegen der Fotos mei­nen Zug ver­passt.

»Nur noch 20 Minu­ten bis zur Abfahrt des Zuges. Bist du dir sicher, dass wir nur fünf Minu­ten bis zum Bahn­hof brau­chen? Ges­tern kam es mir viel län­ger vor.« Leona stieß einen Seuf­zer der Erleich­te­rung aus, ihre Züge ent­spann­ten sich.

»Ja, ich bin mir zu hun­dert Pro­zent sicher.« Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lip­pen.

»Ich kann das bestä­ti­gen.«, pflich­tete ihre Schwes­ter ihr bei. Die bei­den sahen ein­an­der an und ich schaute zwi­schen den bei­den hin und her. Sie waren sich so ähn­lich und trotz­dem völ­lig unter­schied­lich. Zwei Indi­vi­duen, die die glei­chen Gene teil­ten. Es fas­zi­nierte mich, sie zu beob­ach­ten. Aber nichts­des­to­trotz muss­ten wir los.

»Du ahnst gar nicht, wie sehr es mich gefreut hat, dich ken­nen­zu­ler­nen, Nick!« Die Umar­mung, mit der Lea mich über­rum­pelte, kam aus dem Nichts. Den­noch erwi­derte ich sie, was sie sehr glü­ck­lich zu machen schien.

»Mich auch, Lea! Viel­leicht sieht man sich ja irgend­wann wie­der.« Noch wäh­rend ich das sagte, schnappte ich Leo am Arm und zog sie mit mir in Rich­tung der Gar­de­robe. »Kommst du mit mir zum Bahn­hof? Damit wür­dest du mir eine Rie­sen-Freude machen.« So über­zeu­gend, wie nur mög­lich, warf ich ihr einen Hun­de­blick zu.

»Naja, ich weiß nicht. Bei dem Wet­ter?«

»Bitte, bitte, bitte!« Ich schlug die Hände zusam­men, so als würde ich sie anbe­ten.

»Klar komme ich mit! Das war von Anfang an mein Plan. Ich kann doch nicht zulas­sen, dass du dich noch­mal ver­irrst und womög­lich wie­der vor mei­ner Tür her­um­streunst.«

Da konnte ich mir echt Schlim­me­res vor­stel­len. Bei so viel Herz­lich­keit fiel es einem nicht schwer, sich wohl­zu­füh­len. Kaum hatte ich meine Jacke an, öff­nete sie auch schon die Ein­gangs­tür und deu­tete nach drau­ßen. »Alter vor Schön­heit.« Damit for­derte sie mich auf, vor­zu­ge­hen. So ein Frech­dachs. Aber genau das war die Art von Humor, die mir gefiel.

Drau­ßen kit­zel­ten ein paar Son­nen­strah­len meine Nase, was mich fast zum Nie­sen brachte. Ich rümpfte sie und kniff die Augen zusam­men, als Leo neben mir laut zu kichern begann. »Du siehst total lus­tig aus, wenn du nie­sen musst. Wie ein Schwein­chen!« Na warte, jetzt würde ich es ihr zei­gen! Mein Plan, sie noch ein­mal zu kit­zeln, schei­terte. Als hätte sie geahnt, was gleich kom­men würde, war sie vor­ge­rannt und schien unein­hol­bar, bis sie ein paar Meter wei­ter ste­hen blieb und mir bedeu­tete, das Tempo zu beschleu­ni­gen.

Das letzte Stück hakte ich mich bei ihr unter und wir mar­schier­ten den Weg ent­lang wie zwei beste Freunde. Schnell musste ich fest­stel­len, dass Leo und ihre Schwes­ter Recht gehabt hat­ten. In nur weni­gen Minu­ten erreich­ten wir den Bahn­hof. Am Bahn­steig schien nur eine wei­tere Per­son zu war­ten, was aber immer­hin schon eine mehr war als am Vor­tag. Abrupt drehte ich mich zu Leona um. »Danke, Leo! Für alles! Das werde ich dir nie­mals ver­ges­sen, für mich bist du eine Hel­din– nicht nur eine Löwin.«

»Keine Ursa­che. Es war mir eine Ehre, dir zu hel­fen.«

Noch bevor sie mehr sagen konnte, schlang ich meine Arme um sie und drückte sie fest an meine Brust. »Du bist ein groß­ar­ti­ger Mensch und des­we­gen werde ich dich nie­mals ver­ges­sen. Wäre schön, wenn wir uns mal wie­der­se­hen wür­den. Viel­leicht auf einem mei­ner Kon­zerte?«

Das Rot ihrer Wan­gen ver­dun­kelte sich. »Das wäre bestimmt schön. Hof­fent­lich ist es bald schon mög­lich.«

Mein Lachen wurde brei­ter. »Davon bin ich über­zeugt. Jetzt muss ich lei­der los, okay? Auf Wie­der­se­hen, Leo!« Ein klei­ner Fun­ken Weh­mut machte sich in mei­nem Kör­per breit. »Mach’s gut, Nick, und pass auf dich auf!«

Ein letz­tes Mal drückte ich sie, bevor ich mich fast schon zwang­haft von ihr los­rei­ßen musste, um mich in den Zug zu bege­ben. Gerade noch recht­zei­tig, denn per Durch­sage wurde bereits die Abfahrt ange­kün­digt. Eine Minute spä­ter setzte er sich in Bewe­gung und ich winkte Leo vom Fens­ter aus so lange zu, bis von ihr nicht mehr als eine ver­schwom­mene Sil­hou­ette übrig­b­lieb. Aller­dings sah ich sie vor mei­nem inne­ren Auge immer noch deut­lich vor mir und konnte ihren Anblick nicht mehr ver­ges­sen.

Mir waren schon viele Men­schen unter­ge­kom­men, aber jeman­den wie sie durfte ich bis­her noch nicht tref­fen. Diese Begeg­nung würde ich bestimmt auf ewig im Gedächt­nis behal­ten. Sie hatte mir gezeigt, dass es doch noch Leute gab, die ein­fach von Her­zen gut waren, ohne dafür Gegen­leis­tung zu erwar­ten. Eine durch und durch groß­ar­tige Per­sön­lich­keit.

Leona

Auch, wenn der Zug schon längst abge­fah­ren war, stand ich wei­ter­hin am Bahn­steig, den Blick in die Ferne gerich­tet. Ich sah Nick immer noch vor mir, wie er dicht an der Scheibe des Abteils stand, um mir zuzu­win­ken, bis wir uns schließ­lich aus den Augen ver­lo­ren. Ihn aus mei­nem Kopf zu krie­gen, schien mir völ­lig unmög­lich. Im Gedan­ken fuhr ich mit ihm und ver­gaß alles um mich herum. Letzt­end­lich war es ein kal­ter Wind­s­toß, der mich erfasste und in die Rea­li­tät zurück­holte.

Erst jetzt bemerkte ich, dass mein Kör­per zit­terte. Mir frös­telte es vom regungs­lo­sen Daste­hen. Wenn ich mich nicht bald bewegte, würde ich wahr­schein­lich noch fest­frie­ren. Ich schüt­telte meine Beine aus, die sich schon total steif anfühl­ten. Scheiß Kälte! Ohne Eile machte ich auf dem Bahn­steig kehrt, schlen­derte den Weg ent­lang und über­querte den Park­platz. Er war fast leer, aber das war am Wochen­ende typisch. An Arbeits­ta­gen tum­mel­ten sich hier Pend­ler, die mit dem Zug in die Haupt­stadt fuh­ren.

Die Wochen­en­druhe kam mir gerade recht. Nur ich, alleine mit mei­nen Gedan­ken. Schritt für Schritt bewegte ich mich vor­wärts. Bei dem Tempo würde mich selbst eine Schne­cke über­ho­len. Doch das machte mir nichts aus. Je lang­sa­mer ich ging, desto mehr Zeit blieb mir, mich in mei­nen Gedan­ken zu ver­krie­chen. Zuhause wäre es mit Ruhe und Ent­span­nung vor­bei. Mama und Lea wür­den mich mit Sicher­heit mit Fra­gen über Nick bom­bar­die­ren, kaum dass ich einen Fuß durch die Tür setzte. Zum Glück hat­ten sich die bei­den nicht wie zwei Ver­rückte auf­ge­führt, als er noch im Haus gewe­sen war.