Lilja und die Liebe - Karin Lindberg - E-Book

Lilja und die Liebe E-Book

Karin Lindberg

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Beschreibung

Sexy, erfolgreich und überzeugter Single. Lilja Ósk Stefánsdóttir ist Inhaberin eines isländischen Multikonzerns, sie ist privat und beruflich erfolgreich, nimmt sich, was sie braucht – und kriegt, was sie will. Zufrieden mit einem Standby-Liebhaber in Frankreich, fehlt in ihrem Leben nichts. Doch als die attraktive Powerfrau des Insiderhandels beschuldigt wird, beginnt ihr Lebenskonzept zu bröckeln, denn nur eine Person kann ihr helfen. Jemand, dessen Nähe ihr Weltbild zum Wanken bringt und dessen Hilfe ganz andere Gefahren mit sich bringt …

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Lilja und die Liebe

Liebesroman

Karin Lindberg

Karin Lindberg

Inhalt

Prolog

1. Reykjavík

2. Reykjavík

3. Reykjavík

4. Reykjavík

5. Reykjavik

6. Reykjavík-Paris

7. Paris-Reykjavík

8. Reykjavík

9. Reykjavík

10. Nordisland

11. Nordisland

12. Nordisland - Reykjavík

13. Reykjavík - Nordisland

14. Nordisland – Reykjavík

15. Reykjavík

16. Reykjavík

17. Reykjavík

18. Reykjavík

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© Copyright 2015 by Karin Lindberg

www.karinlindberg.info

Lektorat: Katrin Engstfeld www.kalliope-lektorat.de

Covergestaltung: Vivien Stennulat

K. Baldvinsson

Am Petersberg 6a

21407 Deutsch Evern

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Alle Rechte vorbehalten.

Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet. Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Erstellt mit Vellum

Prolog

„fünf … vier … drei …zwei … eins … fertig!“

Gott sei Dank.

Ich stieg schwer atmend vom Crosstrainer und wischte mir den Schweiß mit einem Handtuch aus dem Gesicht.

„Und jetzt machen wir noch hundert Situps, Süße!“

Süße? Wie kam der Idiot dazu, mich mit Koseworten zu betiteln.

Nicht aufregen Lilja, bleib ruhig, nahm ich mir vor.

Ich bemühte mich, meinen Unmut vor meinem Fitnesstrainer zu verbergen, und atmete noch einmal tief durch. Er konnte ja nichts dafür, dass ich Sport hasste. Aber es musste sein, ich tat es für mich und meine Gesundheit, für niemanden sonst.

Der kleine Mann im Trainingsanzug hüpfte unterdessen aufgeregt neben mir auf und ab: „Nun mach schon, Süße! Du schaffst das!“

Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Ich warf das Handtuch auf den blankpolierten Fußboden meines Fitnessraumes und schrie ihn an: „Nenn mich noch einmal Süße und du fliegst hier in hohem Bogen raus! Haben wir uns verstanden?“

Pétur starrte mich ungläubig an: „… aber …!“

„Halt die Klappe! Oder bezahle ich dich dafür, dass du große Reden schwingst?“

Ich setzte mich auf die pinkfarbene Yogamatte und begann mit meinen Bauchmuskelübungen, während Pétur im Kreis um mich herumlief.

„Jaaaa, gut so. Genau so, Baby!“

Baby? Es reichte. Ich hielt es keine Sekunde länger aus.

Ich blieb nach dem zehnten Situp reglos auf dem Rücken liegen und starrte schwer atmend an die Decke. Die eingebauten Strahler blendeten mich und ich musste blinzeln.

„Was ist los? Mach weiter, B…“

Mit einem Satz war ich auf den Beinen und baute mich vor Pétur auf. Ich war fast einen Kopf größer als er, was mich wahrscheinlich noch bedrohlicher wirken ließ.

„Ich habe dich gewarnt – das war’s. Du bist gefeuert. Ich wünsche dir alles Gute für den weiteren Lebensweg und so weiter. Auf Wiedersehen!“

Sein Kinn klappte nach unten und er trat einen Schritt zurück, als wartete er darauf, dass ich lachen würde, als wäre es nur ein Witz.

Mitnichten! Es war mein bitterer Ernst. Ich konnte den Kerl keine Minute länger ertragen.

„Wie … was …?“, stammelte er.

„Hast du vielleicht was auf den Ohren? Den Weg nach draußen wirst du ja wohl noch finden.“

Damit war das Thema für mich erledigt. Ich schlüpfte aus meinen Turnschuhen und nahm einen Schluck aus der Trinkflasche, die sich noch in der Halterung am Crosstrainer befand. Pétur drehte sich wortlos um und verschwand. Solche Leute kosteten Nerven und ich verspürte das dringende Bedürfnis, ein Glas Nussnougatcreme auszulöffeln.

Ich seufzte und fuhr mir durch die schweißnassen Haare. Nach Péturs Abgang war es jetzt merkwürdig still im Raum. Wenn ich allein trainierte, lief sonst nebenbei immer eine DVD oder die Nachrichten versorgten mich mit Input. Aber um ehrlich zu sein, kam es selten vor, dass ich den Weg allein und freiwillig in mein kleines Fitnessreich fand.

Ein Blick auf die Uhr unter dem toten Flatscreen sagte mir, dass es höchste Zeit war. In einer halben Stunde hatte ich ein wichtiges Meeting.

Reykjavík

Der Wecker riss mich aus dem Schlaf. Ich hätte mich gerne noch einmal umgedreht, aber das wäre eine unverzeihliche Schwäche gewesen, und wenn ich eines hasste, dann Schwächlinge. Obwohl es erst kurz vor sechs war, strahlte die Sonne und der Himmel war tiefblau. Ich mochte den isländischen Sommer. Ausländer hatten hier öfter Probleme mit dem Schlafen, aber wenn man damit aufwuchs, war das permanente Tageslicht so normal wie die Dunkelheit im Winter.

Mit einer Tasse Kaffee ging ich ins Wohnzimmer und setzte mich aufs Sofa, um ihn dort zu genießen. Meine Penthousewohnung lag zentral in 101 Reykjavik. Von dort hatte ich einen atemberaubenden Blick auf die Reykjanesbucht und den Berg Esja, dem manche Isländer magische Fähigkeiten zusprachen. Ich selbst hielt davon nichts – mir lagen Fakten näher. Ich checkte als erstes auf dem iPad meine Mails. Nichts Wichtiges, also las ich kurz online die News im Morgunblaðid und auf M5. Wenn ich zuhause war, begann ich in der Regel so den Tag, denn im Büro hatte ich zum Zeitunglesen selten Zeit. Außerdem genoss ich die Ruhe am frühen Morgen. Ich war vierunddreißig, überzeugter Single, stolze Eigentümerin und CEO des Megakonzerns Fiskvíshf. Meine Eltern waren vor einigen Jahren kurz nacheinander gestorben und mir waren alle Anteile als Alleinerbin des Imperiums zugefallen.

Seit vier Jahren leitete ich den Konzern bereits, und das ziemlich erfolgreich. Ja, ich war stolz auf mich und meine Eltern wären es sicherlich auch gewesen. Erfolg kam nicht vom Nichtstun. Es war harte Arbeit und gerade nach der Finanzkrise lagen Isländer in der Businesswelt nicht gerade weit oben auf der Popularitätsliste. Ich hatte Glück, dass wir unser Geld mit Fisch verdienten – Essen mussten die Menschen immer. Eine mehr oder weniger krisensichere Branche, obwohl es anfänglich schwierig gewesen war, die Geschäfte nach dem Zusammenbruch 2008 weiterzufinanzieren. Aber mittlerweile bewegten wir uns wieder in ruhigerem Fahrwasser.

Nach einer heißen Dusche schlüpfte ich in ein graues Chanel-Kostüm und wählte schwarze Louboutin-Pumps dazu. Da ich keine Lust hatte, meine Kleidung in Schränken verstauben zu lassen, hatte ich eines der sieben Zimmer als Ankleidezimmer eingerichtet. Nicht weniger als zweihundert Paar Schuhe, unendlich viele Taschen und Businessoutfits waren dort penibel aufgereiht. Die Freizeitkleidung hatte eine eigene Ecke, Privates und Job trennte ich grundsätzlich strikt. Viel Freizeit hatte ich sowieso nicht, aber in jedem Fall musste ich mich auch ohne Kostüm und Pumps fortbewegen können. Als eine der reichsten Frauen einer Nation, die nur dreihundertzwanzigtausend Einwohner zählte, musste ich aufpassen, wie ich wo erschien.

Die „Dorfpost“, wie ich es nannte, funktionierte fantastisch, jeder noch so kleine Fauxpas sprach sich schneller herum, als sich eine Grippe ausbreiten konnte. Doch damit war ich aufgewachsen, und ich bewegte mich sowieso nur in den besseren Kreisen. Obwohl Island nur ein kleines Land war, gab es kleine elitäre Grüppchen, und in diesen fühlte ich mich wohl. Innerhalb dieser war es normal, reich zu sein und die dazugehörenden Profilneurosen traten überall auf, damit kam ich klar. Mit Armut und Gewöhnlichkeit hingegen hatte ich so meine Probleme.

Ein Leben in der Durchschnittlichkeit, eine von vielen zu sein, war für mich nicht nur undenkbar, es wäre garantiert mein Ende gewesen. Dazu war ich einfach nicht geschaffen. Ich liebte meine Sonderstellung in der Gesellschaft und schätzte den Reichtum und die damit verbundenen Annehmlichkeiten. Und wenn die Menschen ehrlicher gewesen wären, würden meiner Meinung nach alle zugeben, dass sie lieber Champagner als billigen Jahrgangssekt tranken.

Ich war bereits spät dran und trippelte nervös im Lift hin und her, während ich das Aluminiumpapier meines Schokoriegels in der Manteltasche verschwinden ließ. Meine einzige Schwäche. Kalorienbomben. Deswegen auch die lästige Sache mit dem Sport. Für ein schlechtes Gewissen wegen des ungesunden Frühstücks blieb mir allerdings keine weitere Zeit, ich hatte es eilig.

Konnte der Lift nicht schneller vom vierzehnten Stock nach unten fahren? Ich würde mit dem Porsche ganz schön heizen müssen. Die Strecke zum Büro betrug zwar nur etwa einen Kilometer, aber der schwarze Cayenne war selbst dann fraglos die für mich bessere Wahl, wenn ich die Zeit gehabt hätte, in Turnschuhen zu Fuß zu gehen. Endlich öffnete sich die Aufzugtür. Ich spurtete zum Auto und trat in die Pedale.

Nachdem ich den Wagen auf meinem Parkplatz in der firmeneigenen Tiefgarage abgestellt hatte, fuhr ich direkt in die oberste Etage, in der mein Büro lag. Das komplette Stockwerk war mit hellem Stäbchenparkett ausgelegt und an den Wänden hingen unzählige Kunstwerke. Jedes Gemälde ein Unikat. Wenn man allein deren Kaufwert zusammenzählte, hatte man wahrscheinlich den Gegenwert einer mittelgroßen Villa vor Augen.

Aber entweder man hatte Stil – oder nicht.

Ich legte Jacke und Tasche ab und fuhr mein Notebook hoch. Meine Assistentin Kristín brachte mir zeitgleich eine Tasse grünen Tee und wir gingen die Termine des Tages miteinander durch.

„Um fünfzehn Uhr hast du den Termin mit dem neuen Personal Trainer. Du hast das doch nicht vergessen?“

Fuck.

„Nein. Natürlich nicht. Hoffentlich ist er nicht so ein Vollidiot wie der letzte.“

„Ich will dir ja nicht zu viel versprechen, Lilja, aber er ist ein echter Geheimtipp.“

„Ich verstehe sowieso nicht, warum ich mich damit abquälen muss!“

Leider verstand ich ganz genau, warum ich mich mit einem Personal Trainer abgeben musste. Obwohl ich erst vierunddreißig war und eine ganz ansehnliche Figur hatte, war das alleine in meiner Familie kein Zeichen für gute Gesundheit. Neben meinem Vater waren etliche enge Verwandte an Herzinfarkten oder anderen Krankheiten verstorben, die mit dem Herz-Kreislauf-System zusammenhingen.

Meine letzte Untersuchung lag noch nicht lange zurück und der behandelnde Arzt hatte mir dringend geraten, mich an eine gesunde Ernährung und regelmäßige sportliche Betätigungen zu halten. Sonst wäre meine Lebenserwartung deutlich niedriger als die des Durchschnitts-Couchpotatos. Meine Cholesterinwerte waren mehr als nur leicht erhöht. Dazu kam noch der Darmkrebs, den meine Mutter dahingerafft hatte. Keine guten Voraussetzungen für ein langes Leben. Also musste ich, obwohl ich Sport hasste, meinen Körper quälen. Ich hatte zwar viel Disziplin, was gewisse Dinge anging, aber beim Sport mangelte es mir daran völlig.

Mein eigenes Fitnessstudio bedeutete nicht, dass ich die Geräte dort auch benutzte. Es gab kaum etwas Langweiligeres, als auf einem Laufband quasi auf der Stelle zu treten. Rein emotional gesehen also pure Zeitverschwendung, realistischerweise musste ich gestehen: lebensnotwendig. Also musste ich da durch. Ursprünglich hatte ich mir die Sache erleichtern wollen, indem ich einen Fitnessraum nach meinem Gusto ausstatten ließ. Warum sollte ich mich in einem Fitnessstudio zwischen den ganzen Proleten abrackern, wenn ich mir einen schnuckeligen Personal Trainer leisten konnte? Der Nachteil dabei war nur, dass ich die Personal Trainer meist genauso schnell feuerte, wie Kristín sie auftrieb.

Mein vollständiger Name: Lilja Ósk Stefánsdóttir. Mein Vater hieß also Stefán. In Island kennen wir kein „Sie“ in der Anrede und auch der Nachname ist eigentlich kein echter Nachname. Vielmehr ist er – in der Regel – der Vorname des Vaters mit einem Zusatz „son“ für Sohn oder „dóttir“ bei einer Tochter. Wie vielen Ausländern ich das schon erklärt hatte, wusste ich nicht mehr, aber manchmal war ich es leid. Manchmal wünschte ich mir sogar, dass wir in Island das „Sie“ nicht in Urzeiten abgeschafft hätten. Ich fand es tatsächlich viel besser, in gewissen Situationen, zum Beispiel wenn ich mal wieder einen Mitarbeiter in seine Schranken weisen musste, eine Distanz zwischen mir und wildfremden Menschen oder Angestellten zu haben. So musste ich sie anders schaffen.

Mein Ruf als knallharte Businessfrau eilte mir voraus. Es kam durchaus vor, dass ich viele Menschen entlassen musste, um beispielsweise eine Tochterfirma erfolgreich restrukturieren zu können. Für Außenstehende mochte dies unter Umständen herzlos aussehen.

Aber um in der heutigen Welt überleben zu können, musste man eine gewisse Härte haben, damit Firmen konkurrenzfähig wurden und blieben. Ich hatte den besten Lehrer gehabt, der nur viel zu früh gestorben war. Und ich besaß diese Härte, ein entscheidender Vorteil. Leider verstanden viele Menschen nicht, was tatsächlich alles dazu gehörte, ein Unternehmen erfolgreich zu leiten.

An diesem Vormittag hatte ich mehrere Sitzungen und Telefonkonferenzen mit unseren Tochterfirmen im europäischen Ausland. Dass ich bei diesen hirnverbrannten Vollidioten immer erst auf den Tisch hauen musste, bis meine Anweisungen endlich umgesetzt wurden, ging mir gehörig auf die Nerven. Die durfte man nicht zu lange alleine vor sich hin tüfteln lassen. Es wurde bald Zeit für mich, die Lage in Frankreich und Belgien vor Ort zu bewerten. Wenn die Katze aus dem Haus war, tanzten die Mäuse auf dem Tisch; ganz genauso waren Mitarbeiter. Vertrauen war gut, Kontrolle nicht nur besser, sondern notwendig, damit ein Laden funktionierte. Den perfekten Mitarbeiter gab es leider nur in der Theorie, mit irgendeiner Macke musste man sich immer abfinden.

Zum Lunch brachte mir Kristín Sushi und eisgekühltes Wasser mit Zitronenscheiben. Kantinenessen konnte ich nicht ausstehen, und auf die Blicke meiner Angestellten beim Essen hatte ich auch nur selten Lust. Erfolg macht einsam; da war was dran. Aber ich konnte damit gut umgehen und ich brauchte auch niemanden, weder beruflich noch privat. Meine letzte Beziehung lag schon einige Jahre zurück und ich vermisste diese Klette überhaupt nicht.

Die meisten isländischen Frauen in meinem Alter hatten mindestens zwei Kinder und waren entweder schon einmal geschieden oder zumindest beim Ehetherapeuten in Behandlung. Darauf verzichtete ich gerne.

Meine Bedürfnisse konnte ich, wenn ich Lust hatte, auf diversen Wegen befriedigen. Heutzutage doch alles kein Problem mehr, zumal mit den Möglichkeiten einer finanziell unabhängigen Businessfrau. Aber ich verhielt mich immer sehr diskret. Besagte Dorfpost in diesem kleinen Land sorgte schnell mal dafür, dass man zum gefundenen Fressen für Klatschmäuler wurde.

An einer Beziehung war ich nicht interessiert. Ohne Ketten war der Spaß ohnehin viel größer. Warum sollte ich daran etwas ändern? Nur über meine Leiche.

Eine männliche Person gab es jedoch in meinem Leben – meinen Stylisten Gabríel. Wir kannten uns seit ewigen Zeiten und er war gleichzeitig meine „beste Freundin“. Außer ihm durfte mich keiner ungeschminkt und in Gammelklamotten sehen.

Mist, es wurde spät. Langsam musste ich mich in mein Sportoutfit schmeißen. Lust hatte ich keine, aber die Alternative, früh zu sterben, war nicht besonders verlockend.

Reykjavík

Er kam zu spät. Nicht gut.

Ich hasste Unpünktlichkeit. Eine Eigenschaft, die leider viele Isländer ihr Eigen nennen. Meistens entschuldigen sie sich damit, dass das aus der Historie des Landes gewachsen sei. Wenn das Wetter mal schlecht war, konnte man tagelang nicht aus dem Haus, oder so ähnlich. Ich dagegen fand es nur unprofessionell und der Sportheini hatte schon mal einen dicken, fetten Minuspunkt auf seinem Konto. Wenn es noch lange dauerte, bis er ankam, würde er einen neuen Rekord aufstellen und gefeuert werden, bevor ich ihn überhaupt zu Gesicht bekommen hatte.

Vielleicht war ich auch einfach nur unterzuckert und deswegen so schlecht gelaunt. Ich zog eine Tafel Schokolade aus meinem Schreibtisch und brach mir eine Rippe ab. Würde ich ja gleich wieder abtrainieren, also zählte es quasi gar nicht.

Endlich ging die Tür auf und Kristín brachte einen jungen Mann in mein Büro. Ich trank einen Schluck Wasser und musterte den vermeintlichen Sportguru von oben bis unten, bevor ich aus meinem Ledersessel aufstand, um ihn zu begrüßen. Er war schlank, nicht sonderlich muskulös, hatte dunkelblonde Haare, einen kurz geschnittenen Vollbart und grüne Augen. Anabolika schien er nicht zu benutzen, ihm fehlten die künstlichen Bodybuildermuskeln.

Immerhin etwas Positives, sofern ich das in Verbindung mit Sport sagen konnte. Wenn er mir auf der Straße begegnet wäre, wäre meine letzte Vermutung gewesen, dass er Geld damit verdiente, unwillige Menschen zum Sport anzutreiben. Ich runzelte die Stirn und ging auf die beiden zu, während Kristín ihn mir vorstellte.

„Lilja, das ist Tristan. Er arbeitet selbstständig und hat die besten Referenzen. Ich sage nur Bryndís und Dagur.“ Sie zog eine Augenbraue nach oben, um ihrer Aussage mehr Ausdruck zu verleihen.

Jetzt war ich doch überrascht. Bryndís war Islands bekannteste Sängerin und Dagur der Sohn des mächtigsten Mannes im Land. Ich kannte beide und wusste, dass keiner von ihnen sich mit etwas Mittelmäßigem abgegeben hätte. Dann konnte dieser Tristan so schlecht nicht sein. Wir würden sehen. Letzten Endes bildete ich mir meine Meinung am liebsten selbst.

„Na, wunderbar. Sæll [Saitl], Tristan. Ich freue mich, dich zu sehen.“

Okay, das war gelogen. Aber höflich konnte ich ja sein.

„Sæl [Sail], Lilja. Gleichfalls. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit.“

Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen. Aber es nützte ja nichts. Ich musste Sport treiben, wenn ich nicht in fünfzehn Jahren an einem Herzinfarkt hops gehen wollte.

„Ja. Wir werden sehen. Womit fangen wir an?“

„Also, wenn es dir recht ist, möchte ich zunächst eine Bestandsaufnahme machen, bevor wir loslegen.“

Meine Güte. Hätte ich eine Stunde reden wollen, wäre ich zu einem Therapeuten gegangen. Wahrscheinlich war es doch nur Zeitverschwendung.

„Na, dann fang an. Was musst du wissen?“

Tristan stellte seinen abgenutzten, dunkelblauen Nike-Rucksack ab und Kristín verließ wortlos das Büro. Er packte eine Waage aus und stellte sie vor der Wand auf den Boden.

Ich dachte, ich sah nicht recht. Wie bitte? Eine Waage? Der hatte sie ja nicht mehr alle! Ging es noch demütigender?

Ja. Es ging.

„Das hier ist eine Körperfettwaage. Kannst du bitte die Schuhe ausziehen und die Socken auch?“

Es geschah nicht oft, dass ich sprachlos war.

Dies war eines der wenigen Male.

Hatte Kristín ihn die Vertraulichkeitsvereinbarung unterschreiben lassen? Ich hoffte es, musste mich aber vergewissern. Was konnte es Peinlicheres geben als mein Gewicht in der Seð og heyrt am kommenden Donnerstag? DEM Klatschmagazin Islands!

„Einen Moment bitte. Ich habe noch etwas vergessen.“

Nachdem mir Kristín versichert hatte, dass Tristans Unterschrift vorlag, ging ich noch einmal zur Toilette.

Das brachte ein paar Gramm weniger, alles zählte!

„So, kann losgehen“, forderte ich Tristan auf. Ich war ungeduldig. Meine Zeit war kostbar und ich hatte keine Lust, den ganzen Nachmittag mit einem Fitnesstrainer zu verbringen, auch wenn er eigentlich ganz schnuckelig aussah. Tristan drückte einen Knopf auf der Waage und nickte mir nach einem Piepton auffordernd zu: „Wunderbar. Dann kannst du dich jetzt draufstellen.“

Ich hatte nur noch Sporthose und T-Shirt an, aber diese Kleidungsstücke mussten ziemlich schwer sein.

Wie konnte es sonst sein, dass die Waage dreiundsechzig Kilo anzeigte? Das bei einer Größe von eins zweiundsiebzig. Es war doch gut, dass der Sportsmann hier war. Das ging ja mal gar nicht. Das letzte Mal, als ich eine Waage bestiegen hatte, zeigte sie mir noch einundsechzig an.

Wo kamen die zwei Kilo her?

Viel demütigender war allerdings der Körperfettanteil.

Fünfundzwanzig Prozent.

Ein Viertel Fett. Holy Shit!

„Wie sieht es denn mit deiner Kondition aus, Lilja? Machst du regelmäßig Sport?“

Ja, klar, regelmäßig.

Alle vier Wochen, so ungefähr, das war eh fast zu oft!

„Ich würde sagen, meine Kondition ist eher mittelmäßig. Gehen wir mal davon aus, dass wir ganz von vorne anfangen.“

So. Jetzt war es raus.

Die Konzernchefin war sportlich gesehen ganz weit unten.

Und schokosüchtig, aber das würde er niemals erfahren.

Irgendein Laster musste man haben. Ich rauchte nicht, trank nicht, oder nur selten, und hielt mich meistens an die goldene Regel Fünf am Tag. Fünfmal Obst oder Gemüse, war das nicht schon ganz gut? Ich seufzte, als Tristan sich die Werte in einem kleinen schwarzen Büchlein notierte. Das Buch war leer. Es war offensichtlich nur für meine Daten gedacht.

„Bin ich deine einzige Kundin?“

„Um ehrlich zu sein: im Moment ja.“

„Wieso das denn?“

„Deine Sekretärin hat mir versichert, dass du unter der Woche meine volle Aufmerksamkeit benötigen würdest.“

„Aha. Und machst du noch etwas außer Sport?“

Ich würde ihr gleich nachher den Hals umdrehen.

„Stimmt etwas nicht? Ich bin eigentlich Musiker, aber wer kann davon heutzutage schon leben ...“

„Nein. Alles bestens. Das ist ja interessant.“

Tristan Troubadour.

Ein Künstler oder einer, der es mal werden wollte. Das wurde ja immer besser. Kristín war sowas von einen Kopf kürzer. Ich hatte ihr gesagt, zweimal pro Woche, nicht jeden Tag!

Wenn ich ganz ehrlich war, hatte Kristín natürlich recht, dass zweimal nicht ausreichen würde. Deswegen war sie ja meine Assistentin, verschwiegen, schlau und zuverlässig. Dennoch gewagt, sie wusste, wie ich zum Sport stand. Gleichzeitig wünschte ich mir, ich könnte von all meinen Managern sagen, dass sie vergleichbare Eigenschaften hatten. Leider war es schwer, gute Mitarbeiter zu finden, die nicht unter irgendwelchen Minderwertigkeitskomplexen oder Größenwahn litten und gleichzeitig ihr Geschäftsfeld im Griff hatten.

„Ich würde dir gerne einen Vorschlag für den Sportplan machen. Kannst du dir viermal die Woche vorstellen? Gibt es etwas, das du partout nicht machen möchtest?“

Schwitzen? Laufen? Gymnastik?

„Viermal wäre in Ordnung. Allerdings bin ich sehr viel auf Reisen, das könnte in der Realität manchmal zu viel werden. Und Fallschirmspringen und Tiefseetauchen kommen nicht ins Programm.“

„Das mit dem Reisen ist kein Problem. Für diese Tage stelle ich Dir ein Cardioworkout mit leichten Übungen zusammen. Das kannst du praktisch überall durchführen.“

Ich hatte es geahnt.

„Super. Dann schieß los!“, antwortete ich so begeistert, wie es geboten schien.

Während Tristan den Trainingsplan ans Whiteboard malte, musterte ich ihn ausgiebig. Er trug eine schwarze, ausgewaschene Jogginghose und ein graues Langarmshirt. Seine Turnschuhe sahen ziemlich mitgenommen aus und hatten ihre besten Tage lange hinter sich. Dennoch strahlte er eine gewisse Stärke und Selbstsicherheit aus. Ich fragte mich, wo zum Teufel Kristín ihn aufgegabelt hatte.

„So, Lilja. Ich würde sagen, nachdem ich deinen Blutdruck gemessen habe, legst du deinen Brustgurt, der zum Pulsmesser gehört, an und wir legen los.“

Blutdruck? War ich eine Oma?

Meine widerspenstigen, dunkelbraunen Locken hatte ich mir zu einem Zopf zurückgebunden und schob meinen Ärmel zurück, sodass Tristan das Messgerät anlegen konnte. Er roch nach Duschgel und strahlte eine Wärme aus, die meinen Puls beschleunigte. Mein Blutdruck war noch nicht besorgniserregend hoch, trotzdem blieb ich fürs Erste mit der Hightech-Pulsuhr ausgerüstet. Dann ging es los.

Ich betete, dass es keine ganze Stunde dauern würde.

Da wir uns im zehnten Stock befanden, ersparte mir Tristan die Treppen, ließ das aber nicht unkommentiert: „Wenn wir acht Wochen zusammen gearbeitet haben, wirst du den Lift nicht mehr benutzen wollen.“

Ja, klar. Und außerdem war ich dann die Kaiserin von China.

Ich versuchte ein Grinsen zu unterdrücken: „Wir werden sehen.“

Das Sportprogramm gestaltete sich angenehm locker und ich musste keine tausend Tode sterben, wie sonst üblich. Er versuchte nicht einmal, mich zum Joggen zu bewegen, sondern wir marschierten in einem angenehmen Tempo am Ufer entlang. Dabei begegneten wir unzähligen Touristen und anderen Sportwütigen. Diese Strecke war die Flaniermeile Reykjaviks. Hier ging man spazieren und joggen oder genoss einfach den einzigartigen Blick auf die Reykjanesbucht. Besonders schön war es natürlich, wenn das Wetter, so wie heute, mitspielte. Die Sonne spiegelte sich im Wasser und kein Wölkchen trübte den isländischen Sommerhimmel.

„Es ist wichtig, dass wir deinen Körper am Anfang nicht überfordern. Du solltest dich bei deinen Aktivitäten immer noch gut unterhalten können. Sobald du außer Atem gerätst, bist du zu schnell. Das wird dir auch dein Pulsmesser anzeigen. Optimales Fettstoffwechseltraining findet bei 60 bis 70 Prozent der maximalen Herzfrequenz statt. Dein Puls sollte zwischen 110 und 130 Schlägen pro Minute liegen. Alles andere ist zu schnell und am Anfang unseres Trainings nicht erwünscht. Das kommt später, wenn wir deine Grundkondition im Griff haben.“

Irgendwie klang das ziemlich kompliziert in meinen Ohren. Aber ich war kein Fachmann auf diesem Gebiet und wollte es auch garantiert nicht werden.

„Gut. Du bist in diesem Fall der Boss.“

„Sehr gut. Dann hätten wir das ja schon mal geklärt“, lachte er und gab mir einen Klaps auf die Schulter. Ich fuhr leicht zusammen. Eine völlig ungewohnte Geste für mich, die meisten Menschen hatten doch eher zu großen Respekt vor mir, als dass sie mir zu nahe gekommen wären. Wusste er etwa nicht, wer ich war? Ich war leicht irritiert. Gut, dass die Sonnenbrille meine Augen verdeckte, sonst hätte er meine Verunsicherung eventuell bemerkt.

Diese erste Session dauerte fünfundvierzig Minuten. Das war die erste Sportstunde, nach der ich nicht völlig erschöpft und ausgepowert zurückkehrte. Konnte das überhaupt effektiv sein? Normalerweise ging ich grundsätzlich bis ans Limit. Bei allem. Wie sollte man sonst Erfolg haben? Aber ich gab dem Neuen eine Chance. Mein Verschleiß an Personal Trainern war wirklich zu groß. Irgendwann würde keiner mehr übrig sein und ich wäre auf mich allein gestellt. Und TT schien Ahnung zu haben, obwohl er auf den ersten Blick nicht so gewirkt hatte. Wie alt er wohl war … Er sah ziemlich jung aus. Aber mit dem Bart war das auch schwer zu schätzen. War auch egal.

Als ich ins Büro zurückkehrte, war Kristín etwas zu sehr vertieft in ihre Unterlagen. Offensichtlich war sie gespannt, was ich zu berichten hatte. Sie sagte zwar nichts, aber ich kannte sie gut genug, um zu wissen, dass ihre zusammengepressten Lippen nur mit Mühe die Frage, „Wie war’s?“, zurückhalten konnten.

Kristín arbeitete seit über zwanzig Jahren für unseren Konzern und hatte schon meinem Vater treue Dienste geleistet. Sie hatte kurzes, blondiertes Haar und ungefähr zwanzig Kilo Übergewicht, ein freundliches Gesicht und war immer gut gelaunt. In ziemlich vielen Punkten also genau das Gegenteil von mir, vor allem, was die gute Laune betraf. Ausgeglichenheit und Sanftmut waren nicht meine zweiten Vornamen. Aber das störte mich nicht sonderlich, wer nicht mit mir klarkam, hatte eben Pech.

Da ich einiges zu erledigen hatte, ging ich wortlos weiter, um mich schnell frisch zu machen. Zeit war in meinem Leben ein wirkliches Luxusgut, und deshalb hatte ich mir mein Büro so praktisch wie eben nur möglich eingerichtet. Dazu gehörte ein eigenes Badezimmer und ein privater Raum, in dem sich ein Sofa, eine kleine Küche und ein Fernseher befanden. Obwohl ich es nicht weit nach Hause hatte, schätzte ich diese Privatsphäre hin und wieder nach einem anstrengenden Meeting oder den Sportstunden, die zu meinem nicht geringen Verdruss in nächster Zeit öfter stattfinden würden. Es war jetzt siebzehn Uhr und ich hatte noch einen Stapel Berichte auf meinem Tisch liegen, die ich bis morgen lesen musste. Es würde mal wieder ein langer Tag werden.

Eine Stunde später verabschiedete sich Kristín und es wurde ruhig auf der Etage. Die meisten waren schon auf dem Nachhauseweg in den Feierabend.

---ENDE DER LESEPROBE---