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Beschreibung

Entdecken Sie die schönsten Liebesgeschichten des Jahres 2018 – mit den gratis Leseproben zur lit.Love 2018!

Gratis Leseproben der neuen Liebesromane von Kate Morton, Sophie Kinsella, Rosie Walsh und Estelle Maskame, sowie Petra Durst-Benning, Amelie Fried, Frieda Bergmann, Tanja Voosen, Frauke Scheunemann, Adriana Popescu, Stefanie Lasthaus, Anika Landsteiner, Anna Paulsen, Micaela Jary, Anne Sanders, Catherine Aurel, Maria Nikolai, Sylvia Lott, Bettina Storks und Michel Birbaek.

Sie lieben Liebesgeschichten? Dann treffen Sie Ihre Lieblingsautoren live auf der lit.Love in München.

Am 10. & 11. November 2018 verwandeln sich die Räume der Verlagsgruppe Random House in München in einen Treffpunkt für Menschen, die Bücher und das Lesen lieben. Treffen Sie Ihre liebsten deutschen und internationalen Autoren persönlich und werfen sie einen Blick hinter die Kulissen eines Verlagshauses!

Die Besonderheit? Statt eines starren Ablaufs bietet die lit.Love verschiedene Programmpunkte, die sich die Teilnehmer selbst zusammenstellen können – zwei Tage lang haben sie die Möglichkeit, bei Lesungen Bücher und deren Autorinnen zu entdecken, in Workshops praktische Tipps und Tricks zu sammeln, bei Podiumsdiskussionen spannende Einblicke zu gewinnen, und in Meet & Greets die Geschichten hinter den Geschichten zu erfahren.

Um Ihnen die Vorfreude noch zu versüßen, haben wir Ihnen in diesem E-Book Leseproben aller teilnehmenden Autorinnen und Autoren zusammengestellt. Tauchen Sie ein in die Welt der Liebesromane und lernen Sie Ihre neuen Lieblingsautoren kennen – vielleicht sogar persönlich auf der lit.Love!

Viel Freude beim Lesen,

Ihr lit.Love-Team

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 3

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VERLAGSGRUPPE RANDOM HOUSE (HG.) LIT.LOVE.STORYS

20 ROMANTISCHE LESEPROBENVON KATE MORTON, SOPHIE KINSELLA, ROSIE WALSH, ESTELLE MASKAME UND VIELEN WEITEREN AUTOREN DES LIT.LOVE-LESEFESTIVALS 2018

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalt keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

1. Auflage

Copyright © 2018 Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: © Daniela Ebner unter Verwendung eines Motivs von © iStock.com/Rohappy

ISBN 978-3-641-24514-6V002

Besuchen Sie uns auch auf www.litlove.dewww.randomhouse.de

Treffen Sie Ihre Lieblingsautoren live auf der lit.Love – das Lesefestival für alle, die sich für Liebesromane begeistern

Am 10. & 11. November 2018 verwandeln sich die Räume der Verlagsgruppe Random House in München in einen Treffpunkt für Menschen, die Bücher und das Lesen lieben. Treffen Sie Ihre liebsten deutschen und internationalen Autoren persönlich und werfen Sie einen Blick hinter die Kulissen eines Verlagshauses!

Die Besonderheit? Statt eines starren Ablaufs bietet die lit.Love verschiedene Programmpunkte, die sich die Teilnehmer selbst zusammenstellen können – zwei Tage lang haben sie die Möglichkeit, bei Lesungen Bücher und deren Autoren zu entdecken, in Workshops praktische Tipps und Tricks zu sammeln, bei Podiumsdiskussionen spannende Einblicke zu gewinnen, und in Meet & Greets die Geschichten hinter den Geschichten zu erfahren.

Freuen Sie sich mit uns auf Kate Morton, Sophie Kinsella, Rosie Walsh und Estelle Maskame, sowie Petra Durst-Benning, Amelie Fried, Frieda Bergmann, Tanja Voosen, Frauke Scheunemann, Adriana Popescu, Stefanie Lasthaus, Anika Landsteiner, Anna Paulsen, Micaela Jary, Anne Sanders, Catherine Aurel, Maria Nikolai, Sylvia Lott, Bettina Storks und Michel Birbaek.

Alle Informationen finden Sie unter: www.litlove.de

Um Ihnen die Vorfreude noch zu versüßen, haben wir Ihnen in diesem E-Book Leseproben aller teilnehmenden Autorinnen und Autoren zusammengestellt. Tauchen Sie ein in die Welt der Liebesromane und lernen Sie Ihre neuen Lieblingsautoren kennen – vielleicht sogar persönlich auf der lit.Love!

Viel Freude beim Lesen,

Ihr lit.Love-Team

Entdecken Sie unsere Autoren auf der lit.Love 2018:

LeseprobeFrieda BergmannEinmal Liebe zum MitnehmenRomanBlanvalet Taschenbuch VerlagHier geht’s zum Shop

Das Buch

Lily hatte sich das alles so schön vorgestellt: Endlich eine richtige Beziehung mit ihrem leider noch verheirateten Freund Torsten, endlich der erste Stern, auf den die Köchin in einem Münchner Nobelhotel nun schon so lange hingearbeitet hatte. Aber von einem Tag auf den anderen ist alles futsch, und Lily muss ihr ganzes Leben neu organisieren. Da kommt ihr das Angebot ihres irischen Vaters, das Haus seiner verstorbenen Schwester an der Westküste der grünen Insel herzurichten, gerade recht. Hier kann sie sich nicht nur ihrer großen Leidenschaft, dem Surfen, widmen, sondern findet auch eine neue Aufgabe, scheinbar weit weg von ihrer bisherigen Existenz als Spitzenköchin: Sie eröffnet einen Foodtruck. Das großartige Essen, das Lily dort anbietet, spricht sich schnell herum – doch es gibt einen Kunden, der nicht nur wegen dem Essen öfter bei Lily vorbeischaut …

Die Autorin

Frieda Bergmann hat Englisch, Geschichte und Deutsch in Regensburg und Dublin studiert. Ihren Debütroman veröffentlichte sie bei Twentysix im Selfpublishing, bevor sie für Blanvalet entdeckt wurde. Mit ihrer ersten Verlagsveröffentlichung geht für Frieda Bergmann ein lang gehegter Traum in Erfüllung. Mit ihren Geschichten, die auch immer in ihrer zweiten Heimat Irland spielen, will sie ihren Lesern Urlaub für den Kopf bescheren.

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www.twitter.com/BlanvaletVerlag.

Frieda Bergmann

ROMAN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

1. Auflage

Deutsche Erstveröffentlichung 2018 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Copyright © 2018 by Blanvalet Verlag, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung und -abbildung: www.buerosued.de

JB · Herstellung: sam

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-22097-6V001

www.blanvalet.de

To the ones I love

Eins

Forellen-Ceviche, Spargel, Wildkräuter

Ravioli, Kohlrabi-Paprika-Cashew-Füllung

Confierte Ente, Pilz-Risotto

Schmorgurke, Röstkartoffel

Kualua-Pork, Süßkartoffel-Walnussschaum

Hirsepraline, geröstete Äpfel, Zwiebeln

Vanille-Rhabarber, Gewürzcrumble, Cidre vom Boskopapfel

Schokoladenkuchen, geschäumte Beere, geeiste Minze

Apfelsorbet, Baiser, Himbeergel

Hunderte Lichter funkelten in den Bäumen am Ufer des Kleinhesseloher Sees. Lampions säumten den Weg zu diesem flachen Gewässer inmitten des Englischen Gartens in München. Callablüten schmückten die festlich eingedeckten Tische. Der Wind spielte mit den bodenlangen Tischdecken und trug den Blütenduft hinüber zu den Technikern.

»Achtung! Alles auf Anfang!«

Die Lichter gingen aus und die zwei Künstlerinnen betraten die Bühne. Sie begannen, ihre Körper im Takt der Musik zu verbiegen, ließen Fackeln an ihren Armen und Beinen entlangwandern und durch die Luft tanzen. Die Flammen spiegelten sich im Wasser und ließen die Darbietung magisch wirken. Schließlich schwirrten an langen Ketten befestigte Feuerkugeln durch die Luft und um die trainierten Körper, bis diese in einer grazilen Verbeugung zusammensanken. Das Feuer erlosch. Für einen Moment war es dunkel. Applaus! Nur fünf Menschen – drei Techniker und zwei Servicekräfte – bekundeten, dass ihnen die Darbietung gefallen hatte. Später würden es Hunderte sein. Hoffentlich!

»Okay! So weit, so gut.« Kilian Wohlleben, der Chef von Light and Sound Unlimited, schob Elemente auf dem Display seines Notebooks hin und her. »Alex, die rechte Seite muss besser ausgeleuchtet werden. Zum Schluss – kurz bevor sie die Kugeln wegwirft – war sie nur im Schatten! Am Anfang muss der Übergang von Blau zu Rot flüssiger sein. Das ist zu sehr Club und zu wenig Gala.«

Der Techniker hatte bereits eine Leiter unter die Scheinwerfer gestellt und begann, die Lichtkegel neu auszurichten.

»Kann ich noch mal? Ich brauche noch einen Durchlauf!«

Die Akrobatin, die für die Darstellung des Elementes Luft engagiert war, lief zurück zu der Brückenkonstruktion, mit der sie trockenen Fußes ihr Seil erreichen konnte. Die Kristalle, die an ihr eng anliegendes weißes Trikot genäht waren, glitzerten, als sie begann, am Gerüst hochzuklettern. Kaum hatte sie die Schlaufen um ihre Hände gewunden, begann die Musik.

»Zufrieden?« Der Techniker blickte die junge Frau an, die während des Auftritts an seiner Seite erschienen war. Sie nickte. Mit der schmalen Figur hätte man sie für eine der Artistinnen halten können. Bei genauem Hinsehen konnte man aber auf dem Gepäckträger des Mountainbikes, dessen Lenker sie umfasst hielt, eine sorgsam zusammengerollte Kochjacke erkennen. Ihre blauen Augen wanderten über die Seebühne und das Seil hin zu den Leinwänden, die den hinteren Teil des Gewässers vor den Blicken der Zuschauer verbargen. »Sieht gut aus«, sagte sie. »Gehen wir alles noch einmal durch?«

»Wie Sie wünschen.«

Wer Light and Sound Unlimited engagierte, legte Wert auf eine professionelle Umsetzung. Die meisten Kunden ließen die Techniker gewähren. Diese Frau überließ nichts dem Zufall.

Er zeigte ihr den Ablaufplan. »Ankunft der Gäste 21.55 Uhr bis 22.05 Uhr – Einnehmen der Plätze – Champagner – Musik – Start Magier 22.15 Uhr – Übergang brasilianische Trommler 22.23 Uhr – 22.26 Artistik »Luft« – 22.34 Uhr Trommler – 22.39 Uhr Artistik »Feuer« – 22.46 Uhr Trommler – Leinwand auf – und dann seid ihr dran.«

»Dann sind wir dran!«, sagte sie.

»Achten Sie darauf, dass die Dessert-Boote eineinhalb Meter vom Rand der Leinwände entfernt sind. Dann können wir sie mit den Scheinwerfern am besten einfangen.«

»Meine Leute sind Profis!«

»Sie haben …«

»Dreißig, vielleicht einunddreißig Minuten ab Beginn der Darbietung.«

Er nickte. »Haben Sie möglicherweise drei Portionen Erdschwein für uns? Meine Leute reden den ganzen Abend von nichts anderem.«

Sie lächelte und nahm ihr Handy aus der Tasche. »Johannes! Lily hier! Schick bitte drei Portionen Kualua-Pork zur Technik am See. Lass es mit einem der Golfcarts liefern. Vielen Dank.« Sie wischte über das Display. »Das Essen kommt! Sobald er jemanden entbehren kann, kriegen Sie Ihr Erdschwein.«

»Wie haben Sie es eigentlich geschafft, eine Genehmigung für die Grillgruben zu bekommen?«

»Berufsgeheimnis«, grinste Lily.

»Sie können sich nicht vorstellen, was wir anstellen mussten, dass wir die Lichterketten in den Bäumen anbringen durften. ›Schützenswerter Baumbestand‹ – so etwas habe ich noch nie zuvor gehört!«

Ihr Lächeln signalisierte Verständnis. »Wenn Sie Nachspeise wollen, kommen Sie später einfach ins Zelt.«

Lily stieg auf ihr Mountainbike und trat kräftig in die Pedale. Sie nahm Kurs auf Küchenzelt Nummer vier, das ein paar Hundert Meter entfernt aufgestellt war. Der Hauptgang lief. Sie hatte überwacht, wie ihre Köche unter dem Staunen der knapp dreihundert Gäste den gegrillten Braten aus der Erdgrube gehievt und die ersten Stücke herausgegeben hatten. Dann hatte sie sich auf das Rad geschwungen. Zum Glück hatten die Techniker hier oben alles im Griff, und es gab keine Probleme mit den Künstlerinnen. Jetzt fehlte nur noch das Dessert – der Höhepunkt ihres Vier-Elemente-Menüs! Ein Vibrieren an ihrem Oberschenkel riss sie aus ihren Gedanken. Sie bremste so stark ab, dass das Hinterrad ins Schlingern geriet und sprang auf die Füße.

»Hi Louise, warte mal kurz!«, rief Lily in ihr Mobiltelefon und zerrte ihr Rad auf die Seite.

»Na, wie läuft’s? Störe ich? Wir können auch später telefonieren, wenn es dir gerade nicht passt.«

»Nein! Ich freue mich doch, dass ich dich höre.« Lily schielte in Richtung Dessertzelt. »Ich musste nur kurz hinter dem Gebüsch parken, damit mich keiner sieht. Es läuft gut, fast zu gut! Schon die ersten zwei Gänge waren der Knaller.«

»Das wusste ich!«, jubelte Louise. »Das ist auch zu genial! Wenn ich einmal heirate, will ich von dir auch so ein Menü.«

»Wenn du einmal heiratest, lassen wir die Vorspeise an Minifallschirmen aus den Bäumen regnen«, sagte Lily. »Das ist mir heute eingefallen. Aber das hebe ich mir für dich auf.« Sie atmete tief durch. »Hoffentlich klappt das mit dem Dessert. Ich bin so nervös.«

»Das wird der Hammer. Glaub mir! Ich habe das im Gespür. Gibt’s eigentlich Neuigkeiten vom Rosenkavalier?«

»Er schickt mir nach wie vor jede Stunde ein Foto von einer Rose – eine für jeden Monat.« Lily strahlte. »Acht habe ich schon.«

»Erst acht? Hat er erst mittags angefangen?« Louise pfiff missbilligend durch die Zähne. »Echte Rosen wären romantischer gewesen. Sind es wenigstens seine Fotos? Oder hat er sie aus dem Netz heruntergeladen?«

»Selbstverständlich sind es seine Fotos«, sagte Lily. Erkann ja schlecht jede Stunde eine Rose hier anschleppen. Wie sieht das denn aus? Eine Überraschung gibt es heute Abend auch noch.«

»Das will ich wohl hoffen. Hast du eine Vermutung?«

»Eventuell. Neben der letzten Rose lag ein Schlüsselbund, mit einem goldenen Herzanhänger. Süße, ich kann es hören, wenn du Würgegeräusche machst! Jedenfalls sieht der Schlüssel zu seiner Stadtwohnung anders aus, und ich denke, es ist endlich soweit.«

»Ach Lily, ich würde es dir so gönnen, aber glaubst du wirklich …«

»Ja, ja, ja. Ich glaube das ganz fest. Ich weiß es vielmehr! Du bist eine Desillusionistin.«

»Das kann ich nicht sein«, sagte Louise. »Das ist noch nicht einmal ein Wort.«

»Mir egal.« Lily raffte ihr Mountainbike wieder hoch. »Sag ganz schnell: Was macht New York? Ist deine Wohnung endlich bezugsfertig?«

»Gestern Abend war sie das bestimmt. Aber dann hat die Kuh zwei Stockwerke über mir den Hahn aufgedreht und ist in Urlaub gefahren. Momentan ist meine Wohnung also in erster Linie nass, aber das erzähle ich dir später. Du musst dir jetzt Sterne erarbeiten.«

»Das mache ich. Ich vermisse dich.« Lily schwang ihr Bein über den Sattel.

»Ich dich auch«, sagte Louise. »Toi toi toi. Schick ein Foto von den Booten!«

Lily hatte kaum das Handy eingesteckt, da vibrierte es erneut. Nachricht von Torsten. Aufgeregt öffnete sie den Messenger und tippte das Foto an, das soeben gesendet worden war. Die neunte Rose!

Die Familiengruppe zeigte sieben Nachrichten an. Das hatte Zeit bis später. Sie schloss kurz die Augen. Torsten und sie! Endlich!

Ohne sich noch einmal auf den Sattel zu setzen, fuhr sie zum Dessertzelt. Sie stellte ihr Mountainbike zwischen den weißen Lieferwagen mit dem »Miller Grand«- Aufdruck ab. Über dem Beifahrersitz hingen drei Kochjacken auf Bügeln bereit. Sie warf die alte Jacke hinter den Sitz und streifte sich eine frische über. »Chef de Cuisine Amelia T. Lindner« war auf Herzhöhe aufgestickt. Wenn die Leute fragten, was das T. bedeutete, antwortete sie stets »Das ist eine lange Geschichte«, verzichtete aber darauf, diese zu erzählen. Mit der Bürste fuhr sie sich durch die Haare und steckte mit geübten Griffen ihren Haarknoten fest. Letzter Gang! Die Kür!

»Chef kommt!«, rief einer der Köche, der ein Tablett mit kleinen Einweckgläsern aus dem Kühlcontainer geholt hatte. Die Gespräche verstummten. Lily betrat das Zelt und ließ ihren Blick über die lange Reihe weiß gekleideter Mitarbeiter schweifen. Man konnte die Konzentration spüren, mit der sie Beeren drapierten und Schaumtupfer auf die süßen Kunstwerke setzten.

»Alles klar?«, fragte sie Kai, ihren Patissier, der umgehend an ihrer Seite erschien.

»Alles klar, Chef! Und bei den anderen? Vorspeise kam gut an, habe ich gehört!«

»Ja. Das Schwein war auch genial« sagte Lily, ohne die Augen von ihrem Dessert-Team zu nehmen. »Beim zweiten Gang wollten alle die Ente. Sie haben sich fast darum geprügelt. Die Kollegen haben es aber gerettet. Und hier?«

»Der Kuchen ist fertig, Rhabarber steht.«

»Was ist mit den Booten?« Sie ging an dem langen Tisch vorbei, über den die Köche gebeugt standen. »Die Jungs machen die ersten fertig«, sagte der Patissier. Lilys Argusaugen machten eine Beere aus, die um einen Millimeter verrutscht war. Sie fischte das Glas aus der langen Nachtischreihe heraus und stellte es beiseite. »Achten Sie auf eine exakte Ausführung! Die Kollegen an den anderen Stationen haben die Latte hochgelegt! Wir dürfen am Schluss nicht nachlassen! Konzentration! Keine Unachtsamkeit!«

Sie trat nach draußen. Auf Regalen warteten die Holzboote darauf, dass Mitarbeiter die Desserts auf die kleinen Decks stellten. »Positionieren Sie die Gläser genau auf der Markierung! Eine winzige Abweichung und die Teile kentern!«

»Wird gemacht, Chef!«

Gleich vor dem Zelt blieb Lily stehen. Stefan, einer der Auszubildenden, hob ein Boot vom Regal, setzte es auf die Wasseroberfläche und gab ihm einen vorsichtigen Schubs. Es glitt ein paar Meter über den See. Zwei, drei, vier weitere verteilten sich auf dem Wasser.

»Mist!«

Das letzte Boot hatte sich zur Seite geneigt. Die Gläser rutschten und platschten eins nach dem anderen in das flache Gewässer. Das Kuchenglas sank direkt auf den Grund, das Sorbet schaukelte kurz hin und her, der Vanille-Rhabarber hingegen kullerte ein Stück und blieb dann liegen.

Leon, der andere Lehrling, fluchte.

»Alter, was machen wir denn jetzt?« Stefan legte den Kopf schief und starrte auf die Desserthavarie.

Leon trat zu ihm ans Ufer. »Sollen wir den Kahn rausholen?«

»Weiß nicht«, sagte Stefan. »Meinst du, die anderen Teile bleiben hängen?«

»Wenn die auch kippen, ist es echt blöd.« Leon betrachtete das Boot in seinen Händen. »Vielleicht fahren sie ja auch daran vorbei!«

Lily stöhnte auf, trat aus der Dunkelheit, streifte ihre Schuhe ab und krempelte ihre Hosen hoch. Sie watete durch das schienbeinhohe Wasser, fischte die Dessertgläser heraus und sah die Azubis auffordernd an. Keiner der beiden bewegte sich. Sie drückte dem immer noch verdutzt dreinblickenden Leon die Gläser in die Hand und stapfte zurück, um auch noch das Boot zu bergen.

Ein Fotoapparat klickte hinter Lily.

»Das wird einmal ein ganz anderes Bild für unsere Zeitschrift. Immer vorausgesetzt Sie gestatten mir die Verwendung, Frau Lindner.«

Lily nahm das Boot unter den Arm, legte den Kopf schief und lächelte kurz in die Kamera. Daniel Grohmann vom Fine Food Magazine konnte sie in jeder erdenklichen Situation fotografieren, solange er eine wohlwollende Kritik über das heutige Event verfasste. Sie ging ans Ufer, warf einen Blick auf ihre Uhr und wandte sich kurz an die beiden Azubis. »Meine Herren, weitermachen! Und zwar zack zack! Die Darbietung fängt in einer Viertelstunde an! Wenn die Leinwände hochgehen und nicht alle Boote im Wasser sind, habe ich ein geplatztes Event und Sie ab morgen keinen Ausbildungsplatz mehr.«

Stefan und Leon tauschten einen entsetzten Blick aus.

»Darf die das überhaupt?«, flüsterte Stefan.

»In dem Laden gibt es nichts, was die Lindner nicht darf!«, sagte Leon und ging zum Regal, um das nächste Boot zu holen.

Immer noch barfuß lief Lily zu Daniel Grohmann hinüber. Er hielt ihr das Display seiner Kamera entgegen und präsentierte ihr seine letzten Fotos.

»Die dürfen Sie gerne verwenden. Hat Ihnen mein Essen bisher zugesagt?«

»Spätestens mit der Ente hatten Sie mich. Ein Stern scheint greifbar nahe zu sein!«

Lily überlegte, ob sie etwas entgegnen sollte, ging aber nicht darauf ein.

»Verraten Sie mir, was Sie als Nachtisch kredenzen?«, fragte er.

»Schreiben Sie mir eine tolle Kritik?« Sie lächelte verschmitzt.

Er zwinkerte ihr zu.

»Mich würde außerdem interessieren, wie Sie es geschafft haben, drei Löcher in den Park zu buddeln, um Ihr Schwein dort zu grillen.«

»Mehrere Leute mit Schaufeln können da Wunder bewirken.« »Auf den Mund gefallen sind Sie nicht.« Er schmunzelte. »Ich werde dann mal wieder nach vorne gehen. Mögen die Küchengötter mit Ihnen sein! Und passen Sie auf, dass Sie nicht untergehen!«

»Keine Angst«, sagte sie. »Ich habe mein Seepferdchen.«

Lily sah dem Journalisten hinterher, wie er hinter den großen Leinwänden verschwand.

»Die Boote stauen sich!«

»Wie bitte?« Lily lief zurück zum Ufer.

»Sehen Sie selbst!« Leon deutete auf die Nachspeisenboote, die gemütlich Seite an Seite am Uferrand schaukelten. Keines hatte sich auch nur annähernd in die Mitte des Gewässers bewegt. Beim Testlauf nachts im Hotelswimmingpool hatten sich die Boote kooperativ verhalten.

»Verdammt! Nicht schubsen! Sonst kentern sie wieder!« Lily überlegte kurz. »Leon, laufen Sie zu Kai. Er soll alle verfügbaren Leute nach draußen schicken.« Sie zog ihr Handy aus der Tasche. »Johannes, lass bitte alles stehen und liegen. Wir haben einen Notfall am See. Wir brauchen alle Leute hier!«

Die Dessertmitarbeiter strömten bereits aus dem Zelt. Die Küchenchefin schilderte die Notfallsituation, das Team reagierte professionell. Ungesehen von den Gästen watete die Küchencrew durch das Wasser und verteilte die Boote gleichmäßig über die Fläche. Lily tropfte der Schweiß in die Augen. Seewasser hatte ihre Kochjacke an mehreren Stellen durchnässt. Um sie herum wogten die Nachspeisen nun anmutig in der Dunkelheit.

Plötzlich gestikulierte ihr Patissier wild vom Ufer aus. »Lily! Der Assistent von der Breuninger war eben bei mir, du sollst zu ihr an den Tisch!«

»Verdammt!«, fluchte Lily. Vorsichtig bahnte sie sich den Weg zum Ufer. Wenn die Chefin des Auftraggebers, der Sportswear-Firma 4Ellements, rief, musste sogar Lily springen.

»Carina, schnell, ich brauche Ihre Jacke!«

»Soll ich Ihnen keine aus dem Van holen?«

»Keine Zeit!« Lily riss sich die Kochjacke herunter. Eine der Beiköchinnen nestelte an Lilys Hosenbeinen und krempelte diese herunter. »Die sind nass, Chef.«

»Das muss jetzt so gehen!« Im Laufen knöpfte sich Lily die Jacke zu.

Die Trommeln setzten ein. Immer noch barfuß nahm sie auf dem freien Stuhl neben Linda Breuninger Platz. Ein Kellner stellte ein Glas Champagner vor sie hin.

Inzwischen blickten alle Gäste fasziniert auf die athletischen Frauenkörper und die Fackeln, die sie um ihre Körper wirbeln ließen. Lily atmete tief durch und hoffte, dass die Küchenmannschaft die Nachtischkatastrophe abgewendet hatte. Die Kugeln erloschen, und die Artistinnen sanken graziös zusammen. Das Publikum spendete Applaus. Die Leinwände glitten zur Seite. Die winzigen Lichter in den hohen Laubbäumen um den See funkelten. Wieder begannen die Trommeln, diesmal sanfter, ruhiger. Lilys Herz hielt sich noch an den wilden Rhythmus von vorhin. Die ersten Gäste deuteten in Richtung der Dessertflotte. Junge Frauen und Männer, ähnlich gekleidet wie die Feuerkünstlerinnen, mit hautenger Kleidung aus der 4Ellements-Kollektion und farbig geschminkten Gesichtern, liefen von der Seite auf den See zu. Sie wirkten wie Fabelwesen. Lily hielt die Luft an, während sie ins Wasser stiegen, um die Nachspeisenboote an die Gästetische zu bringen. Sie entspannte sich, als sie sah, wie vorsichtig sie sich bewegten. Kai musste sie gut instruiert haben. Sie musterte Linda Breuninger, versuchte einzuschätzen, ob es ihr gefiel. Ihre Auftraggeberin drehte sich um und lächelte. »Ich danke Ihnen von Herzen. Das war großartig!« Sie wandte sich an den Nebentisch. »Darf ich vorstellen? Das ist die Küchenchefin, nein, was sage ich, die Künstlerin, die uns diesen Abend beschert hat. Amelia Lindner.«

Lily stand auf, schüttelte Hände, hörte Namen, die sie gleich wieder vergaß.

Eine Frau in einem eleganten weißen Hosenanzug kam auf sie zu. »Frau Lindner, ich bin Felicitas Vereda von S&G Solutions. Haben Sie kurz Zeit für mich?« Lily nahm ihr Champagnerglas und setzte sich. »Ich habe noch nie so etwas Gutes gegessen wie dieses Süßkartoffelpüree. Das war sensationell.«

»Dankeschön. Das freut mich.«

»Wir entwickeln Software für Unternehmen und möchten auch in den Hotel- und Restaurantbereich vorstoßen«, sagte Frau Vereda, »deswegen suchen wir einen Experten aus dieser Branche. Hätten Sie Lust, uns bei der Entwicklung eines solchen Programmes zu unterstützen?«

»Warum nicht?« Lily schätzte, dass Felicitas Vereda wenig älter als sie selbst war. »Was müsste ich da tun?«

Aus einem Kinderwagen hinter der Dame waren plötzlich Protestlaute zu hören. »Entschuldigung«, sagte sie, holte ein Baby von etwa fünf Monaten aus dem Wagen und legte es an ihre Schulter, wo es sich augenblicklich beruhigte. »Mein Mann ist geschäftlich in Finnland, der Babysitter ist krank und die Omas wohnen beide weit weg.« Sie schaukelte ihr Kind ein bisschen. Dann lächelte sie. »Bis jetzt macht er sich ganz gut als Begleitung. Er hat nämlich seit der Vorspeise geschlafen.« Sie bettete ihren Sohn in ihren Arm. »Ich schweife ab! Was Sie für uns tun müssten, ist ganz einfach: Sie erklären uns Ihre Abläufe. Wir hören uns an, was Sie brauchen, und versuchen, das dann umzusetzen. Idealerweise starten wir dann Probeläufe in Ihrem Betrieb und optimieren. Könnten Sie sich so etwas vorstellen?«

»Bestimmt«, sagte Lily. »Natürlich müsste ich das erst mit der Geschäftsleitung besprechen.« Sie dachte an den Hotelmanager Jan Terstegen, der eine Vielzahl an Vorbehalten äußern würde, und an Torsten, der ihre Vorschläge fast immer guthieß.

»Überlegen Sie sich das in Ruhe. Haben Sie eine Karte für mich?«

»Natürlich.« Lily zog eine Visitenkarte aus ihrer Hosentasche und nahm die der Frau entgegen.

»Wie gesagt, machen Sie sich keinen Stress. Aber ich denke, mit uns könnte das gut funktionieren.«

Lily bekam noch weitere Visitenkarten zugesteckt. Am Ende des Händeschüttelns hatte sie die Ausrichtung von diversen Familienfeiern und Firmenjubiläen in Aussicht. Sie wartete den geeigneten Moment ab, um sich zurückzuziehen.

Auf ihrem Handy zeigte die Familiengruppe inzwischen dreiundzwanzig Nachrichten an. Sie überflog den Austausch über die bevorstehende Einweihungsfeier bei ihrer Schwester und ärgerte sich über einen blöden Beitrag ihres Bruders, der sich darüber mokierte, dass sie noch nichts geschrieben hatte. Da sich das Absenden von rüden Emojis verbot, wenn ihre Mutter mitlas, tippte sie »Macht einfach!« und fand, dass sie damit genug zur Diskussion beigetragen hatte.

Der Nachricht von Torsten schenkte Lily mehr Aufmerksamkeit. Sie lud das Foto herunter – die zehnte Rose. Ihr fiel der Zeitstempel auf. Komisch, danach hatte sie kein Bild mehr bekommen.

Zwei

München, Friedrichstraße, kurz nach Mitternacht.

Die Fenster von Torstens Wohnung blickten düster und leer auf die Straße. Als Lily die Tür aufsperrte, erstarb in ihr die Hoffnung, das Nichtmelden sei Teil seines Plans gewesen. Keine Teelichtspur in Richtung Schlafzimmer, keine Rosenblätter. Sonst lehnte sie jeglichen Kitsch ab, aber anlässlich eines Jubiläums sah sie diesen nicht nur als erlaubt, sondern sogar als erwünscht an. Nicht einmal aufgeräumt hatte er.

Sie zog ihr Handy aus der Tasche. Er hatte keine neue Nachricht geschickt und war auch nicht online gewesen. Nach der zehnten Rose hatte er nicht nur aufgehört, Fotos zu schicken, er hatte überhaupt aufgehört, irgendein Lebens- oder Liebeszeichen von sich zu geben. Eine Rose für jeden Monat. Acht fehlten. Ob er die gerade besorgte? Zuzutrauen wäre es ihm.

»Bin bei dir! Wo bist du?« Lily, 00.13 Uhr.

Sie streifte durch die Wohnung. Irgendwie kam ihr das komisch vor.

Nach einer heißen Dusche zog sie die lila-schwarz-gestreifte Unterwäsche an, die sie gestern noch erstanden hatte. Sie positionierte sich auf der Bettdecke und starrte in Erwartung einer Nachricht von Torsten auf das Display. Als die nicht eintraf, scrollte sie zurück auf die erste Mitteilung, die sie heute erhalten hatte.

»Du bist das Allerbeste, was mir je passiert ist. Ich habe eine Überraschung für dich. Heute Abend. Nach 4Ellements. Nur noch du und ich!« – Torsten, 11.57 Uhr.

Lily rechnete im Kopf sechs Stunden zurück. Kurz nach sieben Uhr abends in New York. Louise meldete sich sofort.

»Hey Süße, alles gut?«

»Ich bin in seiner Wohnung, und er taucht nicht auf.« Lily zog die Bettdecke hoch und wickelte sie sich mit der freien Hand um den Körper. »Erreichen kann ich ihn auch nicht. Jetzt weiß ich nicht, ob ich sauer sein soll oder ob ich mir Gedanken machen muss, weil ihm etwas passiert ist.«

»Wenn stimmt, was wir uns zusammengereimt haben, diskutiert er mit ihr, wer das Ferienhaus bekommt.«

»Das kann er doch bitte auch morgen machen.« Lily setzte sich auf. »Außerdem gibt es einen Ehevertrag. Da ist alles genau geregelt.«

»Meinst du, er kriegt kalte Füße?« Louise befand sich im Analysemodus. »Weißt du denn, was in dem Teil drinsteht? Wenn Claire Miller halbwegs Hirn hat – und das nehme ich stark an –, kriegt er nichts oder zumindest so wenig, dass er seinen Lebensstil bestimmt nicht halten kann.«

Lily schwieg.

»Süße, das muss nicht so sein«, sagte Louise. »Vielleicht fährt er gerade alle Spätblumenläden ab, damit er dir deine Rosen geben kann.«

»Spätblumenläden? In München?« Lily stand auf, wandelte mit ihrem Deckenumhang zum Fenster und starrte nach draußen. Dort fand sie alles unverändert vor. »Und wenn er sich von ihr belabern lässt? Wenn das so weitergeht? Dann bleibe ich ewig die Nummer zwei.«

»Das wird garantiert nicht geschehen«, erwiderte Louise heftig. »Weil Labersack Miller es nicht wert ist, dass sich eine Frau wie du für ihn aufspart. Wenn er in einer halben Stunde nicht aufgetaucht ist, gehst du heim. Hast du gehört?«

»Er wird kommen. Ich weiß es.« Auf dem Gang näherten sich Schritte. »Jetzt ist er da.« Lilys Herz klopfte wie verrückt.

Sie hörte, wie Louise laut ausatmete. »Na dann, viel Spaß. Ich wünsche dir so, dass du glücklich wirst. Selbst wenn es unbedingt mit Torsten sein muss. Meinen Segen hast du.«

»Das ist lieb.«

Lily legte auf, warf die Decke auf das Bett, zog sie notdürftig glatt und platzierte sich darauf.

Die Schritte im Flur verhallten, ohne dass sie einen Schlüssel in der Apartmenttür hörte. Sie stand auf, schaute auf die dunkle Straße hinunter, scannte die dort geparkten Wagen. Kein schwarzer BMW. Sie legte sich wieder auf das Bett, nahm eine Zeitschrift vom Nachttisch und zog die Decke wieder über sich. Das Display ihres Handys leuchtete auf. Sie fuhr hoch und seufzte, als sie sah, dass es nicht Torsten war, der sie kontaktiert hatte. Sie öffnete die Nachricht.

Von: [email protected]

An: [email protected]

Sehr geehrte Frau Lindner,

aufgrund unseres netten Gesprächs heute Abend, wollte ich mich bei Ihnen bezüglich des Software-Projektes melden

und fragen, ob Sie Lust hätten, uns gleich nächste Woche in unserer Münchner Zentrale zu besuchen. Wie würde es Ihnen am Mittwoch um 13:00 Uhr passen?

Wir werden Ihnen vorstellen, welche Entwicklungen wir bereits für andere Branchen verwirklicht haben und gemeinsam Ideen austauschen.

Auch unser CEO, Mr Collum Sullivan, freut sich bereits, Sie bei dieser Gelegenheit kennenzulernen.

Falls ich nichts Gegenteiliges von Ihnen höre, freue ich mich Sie am Mittwoch bei uns zu begrüßen.

Mit freundlichen Grüßen

Ihre

Felicitas Vereda

P.S. Noch einmal herzlichen Glückwunsch zu Ihrem tollen Erfolg heute Abend! (Es war mir ein Vergnügen, diesen mitzuerleben.)

Felicitas Vereda

S&G Solutions

Geschäftsführerin Deutschland

Die schien es ernst zu meinen. Aber dafür hatte Lily nun wirklich keinen Geist. Sie rief noch einmal die Nachrichten auf, die sie seit heute Morgen mit Torsten ausgetauscht hatte. Sollte sie ihn anrufen? Es war schon sehr spät. Hoffentlich war ihm nichts zugestoßen. Lily schob das Handy beiseite. Sie hatte sich diese Nacht anders vorgestellt.

Drei

München, am nächsten Tag.

Gegen Mittag betrat Lily die Personalräume des Miller Grand und blieb kurz vor dem Schwarzen Brett stehen.

Die Hotelleitung bedankt sich beim Küchenteam für die eindrucksvolle Durchführung des 4Ellements-Dinners. Sie haben die hohen Ansprüche unseres Hotels auf vorbildliche Weise umgesetzt und unseren Gästen einen unvergesslichen Abend beschert.

Jan-Malte Terstegen, Geschäftsführung

Sie hatte mit einem solchen Aushang gerechnet. Trotzdem las sie ihn dreimal und sog das Lob in sich auf. Irgendetwas Positives brauchte sie heute. Torsten hatte sich noch immer nicht gemeldet. Auf dem Weg ins Hotel hatte sie in der U-Bahn permanent auf ihr Mobiltelefon gestarrt, hatte versucht sich abzulenken, indem sie sich Belohnungen für ihre 4Ellements-Leistung ausdachte. Sie schwankte zwischen einer ausgiebigen Massagebehandlung und einem neuen Neoprenanzug. Aber der Gedanke daran vermochte sie nicht aufzumuntern. Dafür sorgte ihre Nervosität.

Sie machte einen Umweg über den Hotelparkplatz und fand Torstens Stellplatz leer. An ihrem Spind klebte eine Nachricht. Es war einer dieser vorgefertigten Notizzettel, mit denen der General Manager Jan-Malte Terstegen – der schöne Jan, wie er insgeheim genannt wurde – die Kommunikation vereinfacht hatte, als er vor einem halben Jahr seinen Posten im Miller Grand München angetreten hatte. Die häufigsten Anlässe – wie Rücksprache, Meeting, Anruf – konnte man ankreuzen.

»Chef Lindner – Rücksprache – JMT«, war da zu lesen.

Lily sperrte ihre Tasche in den Spind und lief über die Hintertreppe ins Erdgeschoss, in dem sich die Verwaltungsräume des Hotels befanden. Dort bedeutete ihr die Sekretärin, sich auf einen der Stühle vor dem Büro des General Managers niederzulassen, und fuhr fort zu telefonieren.

Lily versuchte, an den Erfolg des gestrigen Abends zu denken. Der Aushang am Schwarzen Brett war ein gutes Zeichen. Aber ein Gespräch mit der Chefetage, das verhieß nicht nur Massage und Neoprenanzug. Ein Gespräch mit dem schönen Jan bedeutete: Neoprenanzug, Board undHotel direkt am Strand. Ob eine Gratifikation für das Team vorgesehen war? Sie war während der 4Ellements-Vorbereitungen mehr als einmal aus der Haut gefahren. Tobende Chefs gehörten zu den großen Küchen wie das Glockenspiel auf den Marienplatz. In der Angespanntheit der letzten Woche hatte Lily aber eine eigene Kategorie des Mitarbeiteranbrüllens erschaffen. Sie musste dringend etwas für den Teamgeist tun. Vielleicht ein Bootsausflug? Ein Besuch im Kletterpark? Wieder blickte sie auf ihr Handy. Immer noch keine Nachricht von Torsten.

»Frau Lindner? Sie können jetzt hineingehen.«

Lily verstaute ihr Mobiltelefon in der Hosentasche und wollte schon an die Bürotüre klopfen, als die Sekretärin auf den gegenüberliegenden Konferenzraum deutete.

Lily war lange nicht hier gewesen. Die Klimaanlage lief auf höchster Stufe. Sichtblenden am Fenster sperrten das Sonnenlicht weitgehend aus. Jan-Malte Terstegen befand sich im Gespräch mit einem Mann, den sie noch nie gesehen hatte. Sie stand etwas unschlüssig vor dem ellipsenförmigen Tisch herum, während sich die beiden über Belanglosigkeiten austauschten.

»Einen Moment bitte«, sagte der schöne Jan und wandte sich sofort wieder seinem Gesprächspartner zu. In diesem Moment meldete Lilys Mobiltelefon lautlos einen Anruf. War das Torsten? Sie konnte das Telefonat jetzt unmöglich annehmen, auch wenn die zwei Männer sie nicht wirklich wahrnahmen. Sie überlegte, ob sie sich hinsetzen sollte. Einen Platz hatte man ihr nicht angeboten.Sollte sie doch kurz nachsehen? Sie versuchte sich abzulenken. Die anthrazitfarbenen Tapeten waren auf das Schwarz der Möbel abgestimmt, der Teppichboden nahm beide Farben auf. Das Muster der Auslegware sah genauso aus wie die mit Ziegenkäse gefüllten Cappelletti, die Torsten so gerne aß. Andererseits gingen gewundene schwarze Striche von den Halbkreisen weg, sodass die grauen Teppichteile doch eher an die fleischfressenden Pflanzen erinnerten, die ihr Bruder Ludwig vor Jahren gesammelt hatte. Endlich schien die Privatkonferenz beendet zu sein. Der andere Mann stellte sich als Julian Freudenberg, Anwalt der Miller Unternehmensgruppe, vor.

»War die Forelle schlecht und wir werden verklagt?«

Die eigene Nervosität mit einem Witz zu überspielen erwies sich selten als gute Idee. Das zeigte auch die Reaktion Terstegens, der keine Miene verzog und kommentarlos auf einen Stuhl deutete. Ob Torsten noch einmal anrief? Wieso übernahm der schöne Jan die Lobeshymne eigentlich nicht alleine? Sollte sie vielleicht befördert werden und war deswegen gleich der Unternehmensanwalt bestellt worden? Die Miller-Gruppe hatte Hotels überall auf dem Kontinent. Was würde das für Torsten und sie bedeuten?

Das Stahlrohrgestänge des grau bezogenen Lederstuhls wippte, als auch der Anwalt Platz nahm. Er musterte Lily, während der Hotelchef noch einen Blick auf die Papiere vor sich warf, die zahlreiche handschriftliche Notizen am Rand zierten. Schließlich sah er auf. »Wie beurteilen Sie Ihre Leistung hier im Hotel?«

»Gerade wenn ich an das 4Ellements-Event denke, haben wir eine beachtliche Leistung erbracht«, sagte Lily. »Wir – also mein Team und ich – haben lange und intensiv an der Umsetzung des Kundenwunsches gearbeitet, und das war auch von Erfolg gekrönt.«

»Es ist interessant, dass Sie von Ihrem Team sprechen«, sagte Terstegen. »Wie glauben Sie denn, dass Ihr Team diesen Abend beurteilt?«

Lily fand die Frage seltsam. »Ich denke, genauso.«

»Aha!«, sagte er und machte sich einen Vermerk. »Glauben Sie, die Gäste waren zufrieden?«

»Absolut. Ich habe nur positives Feedback bekommen.« Lily war verwirrt von der seltsamen Richtung, die das Gespräch nahm. Was sollten die Gäste an dem Abend auszusetzen haben? War jemand im See ausgerutscht und das Hotel musste tatsächlich mit einem Rechtsstreit rechnen? Nein, das hätte sie mitbekommen. Vielleicht doch das Essen? Im Kopf ging sie fieberhaft die Zutaten, deren Aufbewahrung und Zubereitung durch. Es konnte nicht sein, dass ihnen ein Fehler unterlaufen war. Bitte keine Lebensmittelvergiftung. Bitte, bitte nicht!

»Was glauben Sie, was das hier ist?« Der Anwalt zeigte auf Umschläge, die links von ihm auf dem Konferenztisch lagen. Vor wenigen Minuten hätte Lily noch auf eine finanzielle Zuwendung getippt, nun war sie sich dessen nicht mehr so sicher. »Ich weiß es nicht«, sagte sie und versuchte selbstsicher zu klingen.

»Haben Sie eine Vermutung?«

»Ich würde mir wünschen, dass es eine Anerkennung für die Leistungen am vergangenen Wochenende ist.«

Herrn Freudenbergs Augen ruhten auf den Umschlägen. »Haben Sie noch einen Tipp?«

Lily schüttelte den Kopf. Sie fragte sich, was diese Fragerei sollte. Er ließ ihr keine Zeit, sich zu sortieren.

»Frau Lindner, wie schätzen Sie Ihre Kommunikationsfähigkeit ein?«

»Normal?«

»Normal, also.« Freudenberg bewegte seinen Kiefer, als kaue er auf Lilys Antwort herum.

Terstegen studierte die Notizen vor sich mit einem gequälten Gesichtsausdruck, schaltete sich aber nicht ein.

»Genau das ist der Kern des Problems«, sagte Freudenberg. »Mir liegen hier Unterlagen vor, aus denen hervorgeht, dass Sie nach einem Vorfall bei der Besprechung mit der …« Er sah in seine Papiere. »… der Hessner-Gruppe zu mehr Achtsamkeit im Kundenkontakt aufgefordert wurden. Genauer gesagt wurden Sie angewiesen, Ihren Ton zu mäßigen.«

Wieso kam er mit dieser alten Geschichte? Torsten hatte doch gemeint, sie solle sich diesbezüglich keine Gedanken machen. Und überhaupt, wieso sagte Terstegen nichts dazu? Der musste das doch wissen. Sie musste das richtigstellen. »Wenn ich kurz dazu Stellung nehmen darf: Die Hessner-Gruppe hätte sich mit ihrer Menüvorstellung vor ihren Geschäftspartnern nicht vorteilhaft präsentiert. Das konnte ich nicht verantworten. Man kann heutzutage auf einer Weihnachtsfeier kein Cordon bleu mehr servieren. Da habe ich eben versucht, ihnen ein zeitgemäßes Menü zusammenzustellen. Und …«

»Frau Lindner, ich bin über den Verlauf dieses Gesprächs durchaus im Bilde. Ihr Einsatz für die zeitgemäße Küche hat die Miller-Gruppe einen langjährigen Kunden gekostet. Soweit ich das hier ersehen kann, ist dies nicht der einzige Vorfall dieser Art gewesen.«

Ein Vibrieren an Lilys Oberschenkel vermeldete einen weiteren Anruf. Ohne ihre Augen von Terstegen und Freudenberg abzuwenden, zog sie das Gerät einen Zentimeter aus der Tasche und wies das Gespräch ab.

»Diese Kunden sind aber nicht abgesprungen«, sagte sie. »Außerdem waren letztes Wochenende viele hochkarätige Gäste anwesend, die uns mit der Ausrichtung privater oder geschäftlicher Feiern betrauen werden. Auch das Dinner der Wirtschaftskommission letzten Monat und die Hochzeiten bringen uns definitiv neue Aufträge.«

»Nach den Gesprächen mit Herrn Terstegen, in denen es um Ihren Umgangston ging, haben Sie versichert, dass solche Entgleisungen nicht wieder vorkommen werden.« Der Anwalt deutete mit dem Kugelschreiber auf eine Textstelle, als wolle er diese markieren.

»Das sind sie auch nicht.« Warum musste sie das noch einmal erörtern?

»Wenden wir uns Ihrem Führungsstil zu.« Er sah in seine Unterlagen. Dem ist es völlig egal, was ich sage, dachte Lily. »Ihre Mitarbeiter beklagen allesamt den harschen, ja teilweise verletzenden Umgangston, den Sie pflegen. Frau Lindner, Sie arbeiten jetzt seit drei Jahren hier und während Sie kulinarisch ordentliche Leistungen gebracht haben, haben wir feststellen müssen, dass Ihre Art der Personalführung, aber auch Ihr Umgang mit Kunden sich nicht mit dem Stil der Miller-Gruppe vereinbaren lassen.« In Lilys Ohren rauschte es. Wie hatte er ihre Leistungen soeben bezeichnet? Ordentlich? »Dementsprechend haben in Ihrer Zeit als Küchenchef sieben Mitarbeiter gekündigt.«

»Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche, aber wer soll denn das sein?« Sie sah Terstegen hilfesuchend an, schien von diesem aber keinerlei Unterstützung erwarten zu können. »Herrn Maler haben wir gekündigt, weil er gestohlen hat, und Mattias, also Herr Lechner, ist gegangen, weil er im Four Seasons eine Stelle als Souschef gefunden hat. Und eine Mitarbeiterin hatte bereits ihre Kündigung eingereicht, bevor ich hier anfing. Sie hat nur noch ihre zwei Wochen hier erfüllt. Wie kommen Sie denn bitte auf sieben?«

Freudenberg deutete auf die Umschläge.

»Das sind die Schreiben von vier Mitarbeitern: Eines ist von Donnerstag, zwei erhielten wir letzten Freitag und eines ist vorhin eingetroffen. Eine solche Fluktuation gab es bis dato noch in keinem unserer Häuser.«

Lily schluckte. »Weshalb wollen uns diese Mitarbeiter verlassen?«

»Können Sie sich das nicht denken?«

Sie merkte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Sie blinzelte und versuchte zu verhindern, dass sie ihre Hand zu den Augenwinkeln führen musste.

»Ich habe schon in genug Küchen gearbeitet, um zu wissen, dass es unter mir bestimmt nicht strenger oder lauter zugeht als anderswo.«

Der Anwalt lehnte sich zurück und nahm einen Schluck Wasser. »Wir sind hier aber nicht anderswo, sondern im Miller Grand. Sie bringen Unruhe in unseren Betrieb. Der Geschäftsleitung liegen Beschwerden über Sie vor, und das nicht erst seit letzter Woche. Neben den Mitarbeitern, die uns Ihretwegen verlassen wollen, sind noch weitere Mitglieder Ihres Teams an die Unternehmensführung herangetreten, die unter Ihrem Führungsstil massiv leiden.«

»Weshalb hat man mich nicht früher informiert? Man kann doch mit mir reden.«

Der Anwalt richtete sich auf und faltete seine Hände über den Papieren. »Diesen Eindruck vermitteln Sie – laut Aussage der Betroffenen – eben nicht. Die Leute wollten sich sogar erst dann äußern, als Ihnen zugesagt wurde, dass das Management sie nicht zu einem gemeinsamen Gespräch bittet. So groß ist die Angst vor Repressalien.«

»Ja, aber … Das kann doch gar nicht sein. In meiner Küche gibt es so etwas nicht. Es handelt sich um Missverständnisse. Wieso hat man mich nicht darauf hingewiesen und mir die Gelegenheit gegeben, das aus der Welt zu schaffen?«

»Sie mögen eine ganz gute Köchin sein, aber Ihnen mangelt es an Team- und Kommunikationsfähigkeit.«

»Weiß Herr Miller von dieser Unterredung? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das hier in seinem Sinn ist.«

»Die Familie Miller hat uns beauftragt, dieses Gespräch zu führen.« Er schob ein Papier über den Tisch.

Lily versuchte, die Gedanken einzufangen, die durch ihren Kopf rasten. Hatte er wirklich gerade Familie Miller gesagt? Der Anwalt sprach weiter, sie zwang ihren Verstand an den Konferenztisch zurück.

»Frau Lindner, wir bieten Ihnen per Aufhebungsvertrag eine Regelung an, die beide Seiten zufriedenstellen müsste.«

Lily starrte auf das Dokument, ohne wirklich etwas zu sehen. Sie hörte auch nicht, was er über die Abfindungssumme sagte.

»Denken Sie kurz drüber nach. Ich schlage vor, dass wir uns in einer Stunde wieder hier treffen, sollten Sie sich für den Aufhebungsvertrag entscheiden.«

Terstegen und Freudenberg hatten den Raum verlassen. Sie brauchte Luft. Lily entriegelte die Glastür und stürzte auf die Dachterrasse. Zwischen Sichtschutzbambus und Designerstühlen versuchte sie, Torsten anzurufen, aber immer wieder erreichte sie nur die Mailbox. Sie hinterließ ihm panische Sprachnachrichten. Das Gleiche tat sie bei Louise. Wo waren denn alle? Sie hatte noch nicht einmal annähernd verstanden, was in diesem Konferenzraum geschehen war, und jetzt sollte sie Zukunftsentscheidungen treffen. Sollte sie nun versuchen, ihr Leben wieder zusammenzubauen oder das Geld nehmen und neu anfangen? So musste es sich anfühlen, von einer Klippe ins Meer gestoßen und langsam vom Wasser verschluckt zu werden. Lily zwang sich, lösungsorientiert zu denken. Sie begann, im Internet nach einem Anwalt zu suchen, als eine Nachricht von Torsten eintraf.

»Gott sei Dank!«, seufzte sie.

»Nach reiflicher Überlegung ist mir klar geworden, dass ich zu meiner Familie gehöre. Es war schön mit dir. Leb wohl.« – Torsten, 14.33 Uhr.

Es war, als hätte jemand die Reset-Taste gedrückt. Alles war still, dann begann es um sie herum zu rauschen.

Vier

Sankt Peter-Ording, Donnerstag.

Um 16.39 Uhr wuchtete Lily ihr Gepäck aus der Regionalbahn. Ihre Zeitschriften steckten ungelesen in ihrer Handtasche. Auf der langen Fahrt hatte sie sich von Louise trösten und aufbauen lassen und sich dann, von Musik betäubt, in ihre Gedankenwelt zurückgezogen.

Nun stand sie auf dem schmalen Bahnsteig und musste warten, bis der Pulk aus Rollkoffer ziehenden Schülerinnen an ihr vorbeigepilgert war. Das dauerte eine Weile, da die Teenager wie gebannt auf ihre Handydisplays starrten und nicht auf ihren Lehrer achteten, der am Ende des Bahnsteigs mit einem Umschlag gestikulierte. Auf der anderen Seite der Klassenfahrtskarawane stand eine hochaufgeschossene Frau im beigen Allwettermantel – das Mobiltelefon am Ohr. Sie winkte Lily kurz zu, konzentrierte sich dann wieder auf ihr Telefonat. Lily überquerte die schmale Plattform. Katharina nahm ihre große Schwester flüchtig in den Arm, während sie sich weiterhin telefonisch Untersuchungswerte durchgeben ließ und Anweisungen diktierte. Sie deutete in Richtung des Supermarktparkplatzes, der direkt an den Bahnhof anschloss, und hievte sich Lilys Reisetasche auf die Schulter. Lily folgte ihr und balancierte ihre Surfboardtasche über den Asphalt. Wenn Katharina lief, wirkte es, als müsse sie ein Boot durch hüfthohes Wasser ziehen. Mit ihren breiten Schultern erinnerte sie jetzt noch an eine Leistungsschwimmerin, selbst wenn sie nie den Ehrgeiz gehabt hatte, dieses Talent zu nutzen. Sie hatte all ihren Fleiß darauf verwandt, im Alter von 27 Jahren ein Medizinstudium mit Bestnoten absolviert und mit Hendrik Lorenzen, dem Leiter der Nordseeklinik, zwei Kinder bekommen zu haben. Hätte man in »Ehe und Familie« promovieren können, Katharina hätte mit summa cum laude abgeschlossen. Ohne Frage würde sie auch ihre Facharztausbildung mit Bravour beenden. Louise betonte immer, dass die Unterstützung durch eine Haushälterin und eine Kinderfrau diese Leistung machbarer erscheinen ließ, wenn sie nicht gerade darüber Witze machte, dass die Lindner-Schwestern ein Faible für ältere Männer hatten.

»Sollte das Fieber plötzlich ansteigen oder sollten Bauchschmerzen auftreten, soll sie sich sofort in die Notaufnahme begeben. Alles klar! … Das wünsche ich Ihnen auch. Tschüss.« Katharina drehte sich um. »Schön, dass du früher kommen konntest. Frau Claaßen hat einen Infekt. Es wäre gut, wenn du mir die Lütten morgen von der Kita abholen und zum Reiten bringen könntest. Wie siehst du denn aus? War die Fahrt so anstrengend?«

»Es war viel los.«

»Dabei sind die Züge donnerstags gar nicht so voll. Nun gut. Ich dachte mir, dass wir gleich in den Supermarkt gehen. Dann können wir einkaufen, was wir für den Brunch brauchen. Machst du mir die Salate?«

»Hab ich doch gesagt.«

Katharina drückte auf den Schlüssel, der Kofferraum ihres Audis öffnete sich. Mit gezielten Handgriffen legte sie den Sitz um, sodass auch Lilys Sportgepäck verstaut werden konnte. Dann holte sie einen Einkaufswagen und schob ihn in Richtung Supermarkt. Lily hatte Mühe, Schritt zu halten.

»Wir erwarten insgesamt 39 Gäste. Ludwig kommt übrigens in Begleitung. Hendrik will sich an den Grill stellen, das konnte ich ihm nicht ausreden. Fleisch, Platten mit Fisch, Wurst und Käse bekommen wir vom Stadtschlachter, das wird übermorgen Früh geliefert. Wir sind die Ersten, die den neuen Deichkäse auf den Tisch bringen. Du musst also wirklich nur die Salate zubereiten und – wenn es geht – die eine oder andere Nachspeise. Die Kinder fragen schon die ganze Woche nach deinem Kartoffelsalat. Ich bin dir so dankbar, dass du das machst.« Sie stellte den Wagen vor Lily hin. »Pack ein, was du brauchst. Ich hole ein paar Sachen für das Frühstück, bevor alles ausgeräumt ist.«

Katharina steuerte auf die Bäckerei im Eingangsbereich des Supermarktes zu. Lily legte ihre Hände an den kühlen Plastikgriff und trat in die im Wochenmarktstil inszenierte Obst- und Gemüseabteilung ein. Unschlüssig stand sie vor den Holzkisten und den mit Stroh ausgelegten Körben.

»Passt was nicht? Dieser Markt hat die beste Auswahl im ganzen Ort!« Katharina legte drei blauweiße Tüten in den Wagen.

»Doch, doch. Ich habe mir nur erst einen Überblick verschafft.«

»Es ist Gemüse, Lily. Das sieht hier auch nicht anders aus. Ich hole mal eben das Müsli für die Kinder.«

Katharina verschwand im nächsten Gang und Lily begann, ihre Zutaten auszuwählen. Während sie Tomaten, Zwiebeln und Kartoffeln einlud, beobachtete sie die urlaubsgelaunten Paare um sich herum und versuchte, nicht in Tränen auszubrechen.

»Wir speisen nicht die Fünftausend in der Wüste.«

»Was?«

»Die Kartoffeln! Außerdem ist das nicht unser Wagen.«

Lily sah ihrer Schwester zu, wie sie der Frau mit dem bunten Hanfkleid ein entschuldigendes Lächeln schenkte und zwei Säcke Erdäpfel aus deren Einkaufswagen entfernte. Einer wanderte zurück ins Regal, einen stemmte sie in den eigenen Wagen.

»Das gehört auch nicht uns. Wir kaufen nur Bio«, rief die Frau und hielt zwei Koriandertöpfe hoch, die Katharina ebenfalls umsortierte. Sie entschuldigte sich ein weiteres Mal, dann packte sie Lily an beiden Armen und zog sie in eine Ecke.

»Was ist denn los mit dir?«

Lily schniefte. »Ich habe keinen Job mehr.«

 

 

 

ENDE DER LESEPROBE

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LeseprobeCatherine AurelGRIMALDI Der Fluch des FelsensHistorischer RomanPenguin VerlagHier geht’s zum Shop

Catherine Aurel

Grimaldi

Der Fluch des Felsens

Historischer Roman

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in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

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Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.

Umschlaggestaltung: bürosüd

unter Verwendung einer Illustration von bürosüd

Redaktion: Lisa Wolf

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-21325-1 V002

www.penguin-verlag.de

Prolog

1357

Der kleine Raniero hatte Angst vor Geistern, seine Mutter hatte Angst vor Menschen. Nicht vor allen, aber vor den Feinden, die Monaco belagerten. Auf dem Meer kreuzten Genueser Galeeren, weitere Truppen hatten alle Wege ins Landesinnere besetzt. Raniero fürchtete diese natürlich auch, aber er wollte die heimatliche Burg trotzdem nicht verlassen, schon gar nicht nachts, wenn der Himmel schwarz, das Feuer der Fackel schwach und die Geister der Toten stark waren.

Isabella Grimaldi nahm darauf keine Rücksicht. Sie packte ihren Sohn so fest am Oberarm, dass er ihre spitzen Fingernägel spürte, und zerrte ihn aus dem schwülen Gemach seines Vaters, wo sie seit Wochen auf dessen Tod warteten. Alles dort war schwer – die heiße Luft, das dunkle Brennholz neben dem Kamin, die roten Vorhänge des Himmelbetts –, nur Carlo Grimaldi, einst ein stattlicher Mann, schien geschrumpft zu sein und kaum mehr als eine Feder zu wiegen.

»Dein Vater wird sterben, das ist Gottes Wille, wir aber, wir werden leben, denn das ist mein Wille«, erklärte Isabella. »Wenn wir jetzt nicht fliehen, fallen wir in die Hände unserer Widersacher.«

Sie sagte nicht, was dann geschehen würde, aber Raniero konnte es sich denken. Die feindlichen Genuesen würden sie als Sklaven im Morgenland verkaufen, in einen ihrer finsteren Kerker werfen oder auf grausame Weise töten. Was davon am schlimmsten war, das wusste er nicht, er wusste ja nicht einmal, wohin er seinen Blick richten sollte – ob ein letztes Mal zu seinem Vater, der seit Monaten im Bett lag, seit Wochen nicht mehr selber essen konnte und seit Tagen vor sich hin dämmerte, oder lieber in den dunklen, kalten Gang. Denn dort lauerten gewiss die Gespenster jener Sarazenen, die einst die hiesige Küste überfallen, die Menschen verschleppt oder sie gemeinsam mit Schweinen über die Klippen gestoßen hatten, weil sie die Menschen für gottlos, die Schweine für unrein hielten.

Nun ja, die Gestalt, die ihnen entgegentrat, hatte wenig mit einem Geist gemein. Bruder Filippos Leib war rundlich, seine Wangen rosig, und seine eigentliche Aufgabe lag darin, für die Seele des Vaters zu beten. Offenbar hielt er deren Weg ins Jenseits jedoch für nicht so bedrohlich wie den von Isabella und Raniero in die Freiheit.

»Ich werde euch zum Hafen bringen und so lange bei euch bleiben, bis ihr in Sicherheit seid!«, rief er.

Raniero erschauderte. Um den Hafen zu erreichen, mussten sie eine schmale Treppe nach unten nehmen. Ein falscher Schritt würde genügen, um von jenem steilen, fast senkrechten Felsen zu stürzen, auf dessen lang gestrecktem Plateau die Burg von Monaco errichtet worden war. Und nicht nur davor hatte Raniero Angst. Die kreisförmige Steilwand des Mont Agel, der gleich hinter der Burg emporragte und wegen ihrer Form auch Tête de Chien genannt wurde – Hundekopf –, war fast so gefährlich wie ein Geist. Zumindest hatte Ranieros einstige Amme erst kürzlich behauptet, dass jener Hund dann und wann erwachen, sein riesiges Maul aufreißen und alle Menschen in der Nähe verschlingen würde, auf dass auch sie versteinerten.

Als sie ins Freie traten und die kühle Nachtluft sie traf, hielt Raniero unwillkürlich den Atem an und lauschte, ob ein bedrohliches Knurren zu hören war. Doch der Berg blieb stumm, und das Einzige, was zu Stein zu werden schien, war Ranieros Herz, das schmerzhaft gegen seinen Brustkorb schlug.

»Beeil dich«, rief Isabella Grimaldi und hieb ihre Nägel noch tiefer in den Oberarm ihres Sohns, als sie ihn von der Burg weg und an einen Olivenhain entlang geradewegs zum dunklen Abgrund führte. Bald spürte er keinen Schmerz mehr. Seine Arme schienen so taub zu werden wie die Lippen, nur die Füße konnte er noch fühlen, und mit denen nahm er beharrlich Stufe für Stufe, die man einst an geheimer Stelle in den Felsen gehauen hatte. Bruder Filippo ging als Erstes, beleuchtete den Weg mit einer Fackel. Feucht vom Seewind war dieser und von einer Schicht grünlicher, stinkender Algen überzogen – ein Zeichen dafür, wie oft die Gischt die schiefen, mancherorts rissigen Stufen küsste. Obwohl seine Mutter es eilig hatte, verlangsamte sie ihren Schritt, um nicht auszurutschen. Bruder Filippo verließ sich unterdessen nicht nur auf eigene Vorsicht und Trittsicherheit, er begann zu beten.

»Heilige Devota, sei uns gnädig, heiliger Nazarius, weise uns den Weg, heiliger Celsus, lass uns nicht in die Hände der Feinde fallen!«, stieß er mit gepresster Stimme aus.

Raniero betete nicht. Devota, Nazarius und Celsus waren einen grausamen Märtyrertod gestorben, was bedeutete, dass ihre Geister noch grässlicher aussehen mussten als der sieche Leib seines sterbenden Vaters.

Die letzten zwölf Stufen waren besonders steil, deswegen legte Filippo zuvor eine kurze Pause ein.

»Warum betest du nicht auch zu Herkules?«, fragte Raniero.

Filippos Schnaufen klang so gequält wie das Zischen der Fackeln. Er hob sie etwas höher, doch obwohl in der Ferne das Knattern ihrer Segel zu hören war, konnte man von hier aus die feindlichen Galeeren nicht sehen.

»Herkules ist doch kein Heiliger, der diesen Felsen schützt.«

»Immerhin heißt der Felsen Monaco, so ähnlich wie Monoikos – der Beiname, den die Phönizier und Griechen einst dem Halbgott Herkules gaben.« Auch das hatte Raniero von seiner Amme gelernt.

»Ganz gleich, wie dieser Felsen heißt«, mischte sich seine Mutter nun ein, »mir würde es genügen, wenn der Name Grimaldi für Macht und Reichtum stünde, nicht für Tod und Niederlage …«

Bruder Filippo sah sie mitleidig an. »Solange du einen Sohn hast und dieser lebt, gibt es Hoffnung, dass aus dem nunmehr kleinen, schmutzigen Namen wieder ein angesehener, großer wird. Nun kommt!«

Mochten die tausend Augen der Nacht sie auch noch so bedrohlich anstarren – keines hatte die Macht, sie zum Stolpern zu bringen. Wenig später hatten sie es heil bis zum Hafen geschafft, und Raniero erinnerte sich an das letzte Mal, als er hier gestanden hatte – im Sonnenschein und an der Seite seines Vaters, dessen Haar noch kräftig, wenngleich bereits grau gewesen war. Damals hatte Carlo Grimaldi Richtung Westen zu Monacos Felsen gedeutet, Richtung Osten zum Cap Martin und Richtung Norden zum Fuß des Gebirgspasses von La Turbie. »Die Mauern unseres Reiches«, hatte er erklärt, »wurden nicht von Menschenhand erschaffen, sie wurden von Gott erbaut.« Und Raniero, der die ganzen sieben Jahre, die sein Leben bislang währte, ausschließlich hier verbracht hatte, hatte sich sicher gefühlt, nicht verloren wie jetzt, da aus der farbenprächtigen, glitzernden Welt ein schwarzes Loch geworden war, in dem Meer und Nachthimmel ebenso zu verschmelzen schienen wie Furcht und Hoffnung. Willenlos folgte er seiner Mutter, die auf ein Gebäude mit schiefen Wänden, löchrigem Dach und quietschender Tür zuging. Stickige, faule Luft erwartete sie dahinter. Isabella ließ ihn los, fuhr mit ihrer Hand zur Nase.

»Wird uns denn kein Schiff von hier fortbringen?«, fragte Raniero.

»Gewiss, aber hier werden wir auf dieses Schiff warten.«

Sie schloss die Tür hinter sich, deren Quietschen nunmehr wie das höhnische Lachen eines Geistes klang. Das rasselnde Atmen, das diesem Geräusch folgte, erweckte wiederum den Eindruck, als würde der Geist an diesem Lachen ersticken.

Unsinn … Geister können nicht ersticken … weder an einem Lachen noch an einer Fischgräte … sie sind ja schon tot …

Nicht tot, jedoch uralt war die Frau, die sie in der Hafenspelunke erwartete. Raniero sah sie erst, als seine Mutter ihn zu einem der Tische zog, deren Beine krumm und deren Platten verklebt waren. Während die anderen bereits erloschen waren, brannte auf ihrem Tisch noch eine letzte Kerze, und die flackernden Schatten, die sie warf, machten aus dem starren Gesicht der Alten eine zuckende Fratze. Raniero stand bereits unmittelbar vor ihr, als er erkannte, dass sie doch Augen hatte, nicht bloß schwarze Löcher, und eine kleine, wohlgeformte Nase, nicht den Rüssel eines Schweins. Nur die Wangen waren auch im weichen Licht noch zerklüfteter als die Küste rund um Monaco.

»Er … er wird doch kommen, um uns zu retten?«, rief Isabella grußlos.

Auch die Alte grüßte sie nicht. Sie atmete weiterhin rasselnd, verkündete schließlich heiser: »Aber natürlich.«

»Warum ist er dann noch nicht hier?«

»Er muss erst einen Weg finden, um an Boccanegras Galeeren vorbeizukommen.«

»Und wenn ihm das nicht gelingt?«

Die Alte zuckte die Schultern. »Ich fürchte, diese Angst kann ich dir nicht nehmen. Solange du lebst, wirst du Angst haben, desgleichen wie sich eine Kerze im kalten Wind windet, solange sie brennt. Nur der Rauchfaden, der emporsteigt, wenn sie erloschen ist, zittert nicht.«

An der Alten selbst zitterte lediglich die Stimme, ansonsten schien sie nicht einfach nur dazuhocken, sondern fest mit der Bank verwurzelt zu sein.

Ranieros Mutter ließ sich nicht weit von ihr entfernt ebenfalls auf eine Bank fallen, obwohl auf dieser keine Seidenkissen lagen wie auf der Burg, nur Staubflocken, Muschelschalen und abgenagte Knochen. Bruder Filippo setzte sich nicht, er ging auf und ab, betete wieder zu allen Heiligen Liguriens und verfluchte dann und wann Simone Boccanegra, den Dogen von Genua und Erzfeind von Carlo Grimaldi, der sie in diese schreckliche Lage gebracht hatte.

Raniero lugte scheu zur Alten.

»Komm näher, Junge«, sagte sie, und ihr Kichern klang rasselnd wie der Atem, »ich beiße doch nicht, ich habe viel zu wenig Zähne dafür. Schon die Schale eines Apfels wäre mir zu dick.«

Nun, ihre gelblichen, spitzen Fingernägel waren gewiss scharf genug, eine Apfelschale zu durchdringen, doch ihre Hände lagen ruhig auf der Tischplatte, und als sich ihre Augen weiteten, erkannte Raniero, dass sie von einem warmen Haselnussbraun waren. Der Blick, wach und neugierig, war das Einzige, was an dem Weib jung zu sein schien.

»Wer wird kommen, um uns zu retten?«, fragte er. »Und wer bist du?«

Wieder dieses Kichern. »Ich gebe dir einen guten Rat, Junge. Einem alten Menschen solltest du nie zwei Fragen auf einmal stellen, wenn du dir zumindest eine Antwort erhoffst.«

Raniero überlegte, welche Antwort ihm wichtiger war, und dabei fiel ihm eine noch dringlichere Frage ein: »Heute Morgen habe ich eine Magd belauscht. Sie sagte, dass die Grimaldi verflucht wären, dass nur deswegen die Feinde hier sind und meinem Vater alles zu nehmen drohen, was er erkämpft hat. Ist das wahr?«

In den braunen Augen blitzte es – jedoch zu kurz, um Spott oder Schmerz zu verraten. Danach beugte sich die Alte tief über die Flamme, als gelte es, eine Maske zum Schmelzen zu bringen.

»Einst hat ein Grimaldi – dein Großvater, dessen Namen du trägst – eine schreckliche Sünde begangen«, murmelte sie, »und es heißt, dass die Grimaldi seitdem kein Glück in der Liebe finden würden. Aber ist das Glück, das die Liebe schenkt, nicht für jedermann flüchtig? Und ist es womöglich kein Fluch, vielmehr Gnade, nicht lieben zu können? Ach herrje. Ich bin so alt – und verstehe so wenig von der Liebe wie du.«

»Er versteht auch nichts vom Tod«, mischte sich Isabella ein, »und dennoch fürchtet er ihn. Wann … wann kommt er denn endlich?«

»Wenn diese Kerze heruntergebrannt ist.«

Die Kerze war lang, aber dünn. Tränen aus Wachs perlten auf die Tischplatte, verschmolzen mit den Flecken, die andere hinterlassen hatten, und bezeugten, wie viele Nächte die Alte hier gesessen und einer Kerze beim Flackern zugesehen haben musste. Raniero war plötzlich so müde, dass er den Schmutz nicht länger scheute. Während sich seine Mutter erhob, unruhig wie der Mönch die Spelunke durchquerte und abwechselnd betete und fluchte, ließ er sich auf die Bank fallen.

»Du setzt dich, das ist gut«, sagte die Alte. »Du wolltest schließlich wissen, wer ich bin … auf wen wir warten … ob die Grimaldi verflucht sind … Nun, ich heiße Giuditta, aber um auf die anderen Fragen eine Antwort zu geben, muss ich eine lange Geschichte erzählen, eine sehr lange. Ob ich damit fertig bin, bis die Kerze heruntergebrannt ist, kann ich dir nicht sagen, aber wenn ich gar nicht erst zu erzählen beginne, werden wir das nie herausfinden.«

Raniero stützte seinen Kopf auf die Hände. Es war quälend, ihrer rauen Stimme zu lauschen, aber in gewisser Weise auch beruhigend, denn Giuditta lockte die Geister der Vergangenheit zwar herbei, zähmte sie aber zugleich. Um das milde Kerzenlicht versammelten sich keine furchterregenden Gestalten, die heulten und mit den Zähnen klapperten – nur stumme Seelen, die dankbar waren, dass ihnen jemand eine Stimme gab.

I. Kampf um Genua

1283–1296

Mein Vater war Lanfranco Grimaldi, meine Mutter jedoch nie mit ihm verheiratet. Sie hieß eigentlich Carlotta, aber Lanfranco Grimaldi nannte sie stets Angelotta. Er fand, dass sie mit ihren blonden Locken einem Engel glich, und er liebte es, wenn sie weiße Kleider trug.

Angelotta liebte diese Kleider nicht. Seit sie ein kleines Kind war, träumte sie davon, Purpurrot zu tragen. Leider war sie dafür in der falschen Stadt geboren worden – denn San Gimignano ist nicht nur für seine hohen Geschlechtertürme berühmt, auch für das leuchtende Safrangelb, das von einer seltenen, aber dort überreich wachsenden Krokusart gewonnen und zum Würzen, zum Heilen und zum Färben benutzt wird. Angelotta war zudem in die falsche Familie hineingeboren worden – sie war nicht die Tochter eines Tuchhändlers, der die safrangelben Stoffe bis nach Akko oder Aleppo verkaufte, sondern die eines Färbers, in dessen Werkstätten Alaun hergestellt wurde – ein Mittel, das notwendig ist, um das Safrangelb zu binden. Es ist ein mühsames Geschäft, muss man doch Alaunstein rösten und mit heißem Wasser auslaugen, bis nur mehr Tonerde und Kristalle zurückbleiben. In den Werkstätten ist es immer schwül und heiß, und die Frauen, die dort schuften, bekommen mit der Zeit fahle, eingefallene Gesichter und husten ständig. Nur Angelotta, die ebenfalls die meisten Jahre ihres kurzen Lebens dort arbeitete, bekam in der Hitze rote Backen und hörte nicht auf, von einem purpurroten Kleid zu träumen.