Literally Love 2. Papercut Feeling - Tarah Keys - E-Book

Literally Love 2. Papercut Feeling E-Book

Tarah Keys

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Beschreibung

Ein unerwartetes Wiedersehen … Ausgerechnet der Typ, den Melodea abschleppen wollte und aus dessen Wohnung sie geflüchtet ist, stellt sich als ihr neuer Kollege heraus. Sie meidet ihn – so gut es eben geht, wenn man im selben Verlag arbeitet. Aber das ist leichter, als ihm zu erklären, dass sie ihn mag, sich jedoch nicht zu ihm hingezogen fühlt. Nicht so. Genauer gesagt, zu niemandem. Lorne versteht die Welt nicht mehr. Melodea schien sich an diesem Abend damals wirklich für ihn zu interessieren, hat ihn dann aber fallen lassen, ohne ein Wort der Erklärung. Er würde sie gerne vergessen, aber als sie zusammen auf Lesereise für das Buch der Erfolgsinfluencerin Amanda Darling geschickt werden, wird das Vermeiden immer schwieriger und die Gefühle werden intensiver … Papercut Feeling: Wie kommt man sich näher, ohne sich näherzukommen? - Liebe, Freundschaft und Selbstakzeptanz: Eine gefühlvolle Slow-Burn-Romance für New-Adult-Fans ab 16 Jahren. - Verlag und Liebe: Die Workplace Romance mit den beliebten Tropes "Slow Burn" und "Stuck together" entführt die Leser*innen in die Buchbranche. - Lebensnah: Die Story wird abwechselnd aus der Sicht von Melodea und Lorne erzählt und durch fiktive Social-Media-Posts und -Kommentare ergänzt. - Humorvoll und ernsthaft zugleich: Band 2 der "Literally Love"-Reihe von Tarah Keys beleuchtet einfühlsam das Thema Asexualität in einer Welt voller Erwartungen.Die New-Adult-Romance erzählt von Selbstfindung, Missverständnissen und romantischer Liebe. Eine tiefgründige Story über eine junge Frau auf der Suche nach persönlicher Identität und sexueller Orientierung für Leser*innen ab 16 Jahren.  

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Über dieses Buch

DIE LIEBE ZU BÜCHERN IST EINFACH –

DIE ZWISCHEN ZWEI MENSCHEN WENIGER …

Ausgerechnet der Typ, den Melodea abschleppen wollte und aus dessen Wohnung sie geflüchtet ist, stellt sich als ihr neuer Kollege heraus. Sie meidet ihn – so gut es eben geht, wenn man im selben Verlag arbeitet. Aber das ist leichter, als ihm zu erklären, dass sie ihn mag, sehr sogar, sich jedoch nicht zu ihm hingezogen fühlt. Nicht so. Genauer gesagt, zu niemandem.

Lorne versteht die Welt nicht mehr. Melodea schien sich an diesem Abend damals wirklich für ihn zu interessieren, hat ihn dann aber fallen lassen, ohne ein Wort der Erklärung. Er würde sie gerne vergessen, aber als sie zusammen auf Lesereise für das Buch der Erfolgsinfluencerin Amanda Darling geschickt werden, wird das Vermeiden immer schwieriger, und die Gefühle werden intensiver …

 

 

 

Disclaimer

In diesem Buch werden in Bezug auf Social-Media-Plattformen Icons und Bildelemente wie diese verwendet:

Wo nicht anderslautend ausgewiesen, stammen Bildmaterial und die entsprechenden Nutzungsrechte von freepik.com.

Keine tatsächlichen Personen; handlungsrelevante Social-Media-Posts auf allen genannten Plattformen sind fingiert.

 

 

 

»A book is a garden, an orchard, a storehouse, a party,

a company by the way, a counselor, a multitude of counselors.«

 

– Charles Baudelaire

Playlist

Saint clara – S.O.S.

Phil Good, RAC – Do You Ever? (RAC Mix)

Adna – Overthinking

VILLFORTH – Shouldn’t This Feel Easy?

Mozambo, Dionne Bromfield – Papercut

Missy – Blank Page

Adna – Darkness Born in Youth

Black Red Gold, Freddie Dickson – Sceptic Heart

Zaho – Tourner la page

Wolf Alice – Don’t Delete The Kisses

Jackson Guthy – Stories

Jaira Burns – Burn Slow

SAARLOOS – Fire is Love

Kaskade, Two Nations – Papercuts

GRANT – Words

Auli’i Cravalho – Live Your Story

Clara Mae – Us

Jeremy Camp – The Story’s Not Over

2 Jahre zuvor

Melodea

»Du kommst spät, wir schließen gleich um zwei.« Der Typ, der in der kleinen Bar die Nachtschicht schob, lächelte mich an – erst unverbindlich und dann, als er mich genauer in Augenschein genommen hatte, sehr viel intensiver. »Wenn du magst, kannst du mir so lang gern noch hier vorn Gesellschaft leisten.«

»Danke, nein, ich bin …« Mein Blick huschte durch den Raum, während ich mich selbst fragte, was eigentlich die Antwort auf die Frage war, was ich hier zu suchen hatte.

»Ah, mit ihm verabredet, was?«, fragte der Barmann, weil ich gerade in die Richtung des einzigen Gasts schaute, der allein da war. Außer ihm saß nur noch ein Grüppchen junger Frauen ganz hinten an der Wand und trank auf den Start ins Wochenende. »Hab mich schon gefragt, ob er vergeblich wartet. Oder überhaupt wartet.«

Ich nickte. Weil es ein willkommener Vorwand war, um dieses Gespräch zu beenden. »Kann ich einen Daiquiri bekommen, wenn ich ihn schnell trinke?«

»Sicher. Bringe ich dir sofort.«

Er machte sich ans Mixen, und ich sah wieder zu dem dunkelhaarigen Typen, den ich plötzlich angeblich datete.

Mit einer Hand scrollte er eher ziellos auf seinem Handy herum, mit der anderen drehte er den Strohhalm zwischen den Eiswürfeln in seinem Glas. Neben ihm auf dem Tisch lag ein Buch, und die Tatsache, dass der Fremde ein Leser war, gab womöglich den letzten Anstoß dazu, dass ich mich tatsächlich zu seinem Tisch bewegte.

Er bemerkte mich gar nicht. Im Näherkommen sah ich sein Knie zur Musik wippen, die aus den Lautsprechern in den Ecken drang.

Normalerweise hätte ich mich niemals mitten in der Nacht allein in eine Bar begeben.

Normalerweise hätte ich mich unter keinen Umständen zu jemandem dazuzusetzen versucht, den ich nicht kannte.

Aber vielleicht brachte mich Normalität nirgendshin.

»Hey, ist hier noch frei?«

Meine Frage ließ ihn zusammenschrecken.

Ich spähte auf das Buchcover – A Torch Against the Night von Sabaa Tahir –, dann blickte ich eher versehentlich direkt in seine blauen Augen. Sie erzählten von einem Tag, der alles andere als gut gelaufen war, und sofort tat es mir leid, ihn angesprochen zu haben.

»Äh … klar.« Er schaute sich um und schien sich zu Recht darüber zu wundern, weshalb ich in einem Raum voller unbesetzter Tische an seinem gelandet war. Dann musterte er wieder mich, neugierig und auf eine Art, die mir sagte, dass er mochte, was er sah. Was ich wiederum nicht mochte – aber sein Ausdruck war nicht so unverhohlen wie bei dem Kerl an der Bar, das war schon mal was.

Natürlich konnte ich mich täuschen, aber meinem Eindruck nach strahlte er genau das aus, was ich heute Nacht fühlte: eine leichte Verwirrung darüber, was ihn überhaupt hierherverschlagen hatte, gepaart mit einer fast – aber nur fast – unauffälligen Spur von … ja, was? Melancholie? Wehmut? Dem Wunsch nach etwas, was man sich nicht wirklich wünscht?

Ich ließ mich auf den Stuhl ihm gegenüber sinken und platzierte meine Handtasche am Tischbein. »Ist das gut?« Mein Zeigefinger berührte den Buchdeckel.

Er legte sein Handy weg und lächelte. »Was für eine Frage! Eine meiner ungeschlagenen Lieblingsreihen. Lese sie gerade zum zweiten Mal.«

Ich erwischte mich dabei, wie ich zurücklächelte. Ein Fantasy-Fan war ich zwar noch nie gewesen – aber einer von Menschen, die mit dieser Begeisterung in der Stimme von Geschichten sprachen.

»Weit nach Mitternacht bei einem Drink?«, fragte ich.

Er hob eine Schulter. »Konnte nicht schlafen.« Ein kleines Seufzen folgte seinen Worten. »Und es war einfach kein besonders schöner Freitag.«

Ich verschränkte meine Arme auf dem Tisch. »Möchtest du drüber reden?«

Wenn man es ansprach, wollte man das, oder?

Er hatte wieder angefangen, seinen Strohhalm im Glas zu drehen. Gemeinsam lauschten wir dem Klackern der Eiswürfel.

»Zuerst würde ich gern deinen Namen erfahren«, sagte er. »Es fällt mir nämlich schwer, mich Unbekannten anzuvertrauen.«

Ich zögerte. Irgendetwas in mir wollte nicht, dass er mehr über mich herausfand. »Das würde mich dir nicht weniger unbekannt machen. Ich behalte ihn lieber erst mal für mich.«

»Nicht nur schön, sondern auch noch geheimnisvoll«, murmelte er.

Beides schmeichelte mir längst nicht so sehr, wie es das vielleicht hätte tun sollen.

»Du kannst mir deinen aber ruhig verraten.«

Er schüttelte leicht den Kopf. »Dann würde ich mich im Nachteil fühlen.«

Ich lächelte, schön und geheimnisvoll, nicht ganz ich oder irgendwo eben doch durch und durch ich, wer wusste das schon? »Traust du dich trotzdem? Erzähl mir von dir.«

***

Schon im Flur vor seiner Wohnung küssten wir uns.

Finde das aufregend!, befahl ich meinem Körper, aber er betrachtete es eher als beunruhigend. Praktischerweise zeigte er das mittels Gänsehaut, was der Mann, der mich da küsste, problemlos als gutes Zeichen werten konnte.

Er ist wirklich süß, sagte ich mir. Freundlich und sympathisch. Er liest. Er ist aufmerksam. Er hat Humor.

Warum musste ich mich überhaupt an die Gründe erinnern, aus denen ich Lucian vor der Bar mitten im nächtlichen Oxford in einem völlig ungewohnten, verführerischen Tonfall gefragt hatte, ob er mich mit zu sich nach Hause nehmen wolle?

Er hieß höchstwahrscheinlich nicht wirklich Lucian. So nannte ich ihn nur in Gedanken, weil es austauschbar und weich klang und ich Namen mit L schon immer gemocht hatte.

Er ist heiß, fügte ich probehalber meiner inneren Liste hinzu, aber das traf nirgendwo in mir auf echte Zustimmung, obwohl ich wusste, dass es wahr war. Ich kannte immerhin die Merkmale, die ein Mensch haben muss, damit eine Menge Leute ihn attraktiv finden.

Ich machte das mit dem Küssen einfach, wie ich es damals mit Travis gemacht hatte. Es war in Ordnung, schätzte ich, jedenfalls erwiderte Lucian es sehr hingebungsvoll. Weshalb mein Körper es umso aufregender finden sollte.

Vielleicht kam das noch, wenn ich mich etwas besser an die Situation gewöhnt hatte.

Lucians Lippen lösten sich von meinen, und er legte eine Hand an meine Wange, während er in seiner Jackentasche nach dem Schlüssel kramte. Diese Berührung gefiel mir zur Abwechslung wirklich, und ich schöpfte Hoffnung.

Lasst uns das durchziehen!, bestärkte ich Kopf und Herz. Das wird gut, ihr werdet sehen!

Lucian bekam den Schlüssel zu fassen, doch er entglitt ihm, bevor er ihn ins Schloss stecken konnte, und landete rasselnd auf dem Boden.

Er ist nervös. Deinetwegen. Liebenswert, oder?

Beim zweiten Versuch gelang es ihm, die Tür aufzusperren.

»Möchtest du was trinken oder so?«, fragte er fast schüchtern. »Wir könnten uns in die Küche setzen und … weiterreden.«

Er will dich nicht benutzen, flüsterte ich mir Mut zu. Vielleicht ist er jemand, der es lieber langsam angeht.

Seltsamerweise machte mich das trotz all meiner Unentschlossenheit nur noch entschlossener.

»Ich hatte an was anderes gedacht.« Schon wieder klang ich in meinen eigenen Ohren fremd.

Seine Augen weiteten sich.

»Aber ich möchte nicht aufdringlich sein«, fügte ich schnell hinzu und ärgerte mich über mich selbst, weil ich vermutlich im Wechsel leicht zu haben und extrem zögerlich-reserviert wirkte.

»Nein, nein, alles gut. Bist du dir … Ich meine … Wirklich? Du tauchst einfach auf, hörst mir zu, kommst mit mir nach Hause und willst …?«

Nein.

»Ja.«

Lucian atmete tief durch. »Äh … gut. Klar. Ich … Wow.«

Ich zog die Schuhe aus und die Jeans gleich hinterher, wie ein Roboter, aber mit viel geschmeidigeren Bewegungen.

Er starrte mich an, aber nicht peinlich berührt oder begehrlich. Eher, als hätte er den Hauptgewinn abgeräumt, ohne überhaupt ein Los gezogen zu haben.

»Bist du dir sicher?«, fragte er aus irgendeinem Grund noch mal.

Nein.

»Ja.«

Er forschte zu intensiv in meinem Gesicht. Ich wollte nicht, dass er etwas darin fand, was meiner Aussage widersprach, also winkte ich ihn wieder näher zu mir heran. Er legte die Hände an meine Taille und schob mich sanft durch die offene Tür ins Schlafzimmer.

Ruhig, beschwichtigte ich meine Haut unter seinen Fingern. Er darf das.

Ich konnte das hier genießen. Ich musste es doch genießen können.

Lucian küsste mich erneut und befreite mich von meinen übrigen Kleidungsstücken, seine Berührungen und Blicke immer wieder fragend – das brachte mich dazu, auch ihm beim Ausziehen zu helfen.

Lucian suchte so lange in seinem Nachtschränkchen und dann im Bad nebenan herum, dass klar war, wie wenig er auf Aktionen wie heute Nacht vorbereitet war. Was mir half, daran festzuhalten.

Mein Verstand war auf meiner Seite.

Wir wollen das, erinnerten wir gemeinsam den Rest von mir.

Überhaupt nicht – muss das wirklich sein?, protestierten sämtliche Empfindungen.

Ich legte mich aufs Bett und gab mich so entspannt, wie ich konnte.

Lucians Freitag war schlecht gewesen, weil seine ältere Halbschwester ihm zum ersten Mal ihren vierjährigen Sohn zum Babysitting anvertraut hatte und dieser dann unglücklicherweise von einem anderen Kind mit dem Fahrrad umgefahren worden war. Obwohl Lucian den Unfall nicht hätte verhindern können, war der Arme in der Notaufnahme ordentlich von seiner Halbschwester zusammengestaucht worden. Er sagte, sie habe ihn schon vorher nicht sonderlich gemocht, aber nun hasse sie ihn. Vor dem Hintergrund fand ich es bewundernswert, dass ihm die Beziehung zu ihr überhaupt so wichtig war.

Lucian kam zurück, und nur Momente später war er über mir. Die Bettdecke in meinem Rücken war angenehm kühl, und wieder fand seine Hand ihren Weg an meine Wange. »Du bist …«

Erinnerungen fluteten mein Hirn, lieferten Vorschläge, wie sein Satz enden könnte.

Du bist so schön.

Du bist echt sexy.

»Du bist so ungefähr die letzte Wendung der Nacht, die ich erwartet hätte.«

Ich brachte keinen Ton heraus.

Da war so viel Widerwillen, und es kostete mich alles, mich nicht davon überwältigen zu lassen. Mein Herz trommelte fast schon schmerzhaft schnell, meine Atemzüge waren hektisch, beides aus den falschen Gründen.

Meine Hände glitten über seinen Rücken, ohne dass ich richtig daran beteiligt war.

»Versprich mir, dass wir uns kennenlernen«, murmelte Lucian und sah mir in die Augen.

»Hm«, machte ich, was er offenbar als Zustimmung deutete, denn nur Momente später spürte ich, wie unsere Körper endgültig kollidierten. Es war die einzig treffende Beschreibung.

Ich schloss die Augen.

In meinem Kopf kreischten die Gedanken, und auch wenn ich nicht wusste, wie sich das hier eigentlich anfühlen sollte, wusste ich, so nicht.

Dennoch kämpfte ich dagegen an, mich völlig zu verspannen, denn Lucian sollte nichts merken. Alles, nur das nicht.

Ich krallte meine Finger ins Laken und konzentrierte mich darauf, wie der Stoff sich anfühlte.

Dauert nicht mehr lang. – Er will dich kennenlernen. – Schalt endlich dein Hirn ab! – Du könntest mit ihm frühstücken gehen. – Oder das hier stoppen. JETZT.

»Aufhören!« Obwohl ich meine Gedanken und den Streit in meinem Inneren gemeint hatte, war es natürlich Lucian, der sich angesprochen fühlte. Der sich auf die Lippe biss, wie um sich zu besinnen, und dann aus und vor mir zurückwich, die tiefe Besorgnis in den Augen, etwas falsch gemacht zu haben.

Ich setzte mich auf und schaffte es nicht länger, seinen Blick zu erwidern. »Entschuldige … Kann ich … Kann ich doch ein Glas Wasser haben?«

Scham ließ mir Brust und Kehle eng werden.

»Hey.« Er streckte die Hand nach mir aus und wagte es dann doch nicht, mich zu berühren. »Klar, hol ich dir. Du, wenn ich …« Er schluckte hörbar.

»Ist nicht deine Schuld.« Meine Stimme klang derart kratzig, dass er sich beeilte, zum gewünschten Wasser zu kommen.

Ich aber schlüpfte so schnell wie nie zuvor in meine Unterwäsche, raffte Shirt und im Flur Jeans samt Schuhen zusammen und rannte barfuß aus der Wohnung, in die Kälte der Nacht hinaus.

Als ob ich den Verstand, mit dem ich das Ganze eingefädelt hatte, schon lange vorher verloren hätte.

Als ob ich es nicht gewollt hätte.

Dabei hatte ich das, zu sehr sogar. Ein Abenteuer, nach dem ich hätte sagen können: Siehst du, Kieron hatte unrecht, alles gut. Deine ganzen Hemmungen lagen bloß an Travis, weil ihr nicht zusammengepasst habt, du einfach noch nicht so weit warst und dich zu oft für ihn verbogen hast. Mit dir ist alles normal – du kannst jemanden mehr als nur mögen und ihm auch außerhalb deiner Vorstellung ganz nah sein wollen.

Aber stattdessen hatte ich jetzt eine völlig andere Gewissheit: Ich konnte und wollte es nicht.

Egal, wie sehr ich mir etwas anderes einzureden versuchte.

Hätte ich, um das herauszufinden, doch bloß nicht einem anderen Menschen nach einem furchtbaren Tag nun auch noch die Nacht ruiniert.

Einige Monate später

Lorne

»Du solltest es machen, wirklich. Das steht dir als ihrer besten Freundin zu.« Ich versuchte, nicht verzweifelt zu klingen, schließlich wollte ich es Clio als besondere Ehre verkaufen, die Hausführung unserer neuen Kollegin zu übernehmen. In Wahrheit war ich kurz davor, auf Knien darum zu betteln.

»Ich würd’s nicht so unterhaltsam machen wie du.« Clio hatte sich schon wieder halb in das zu lektorierende Manuskript auf ihrem Bildschirm vertieft, meine Chancen sanken. »Außerdem freut sie sich bestimmt, vom attraktivsten Gesicht im Verlag begrüßt zu werden.«

Mit Sicherheit.

»Du solltest dir nicht wünschen, dass sie mich attraktiv findet.« Und ich hätte es mir in der Vergangenheit auch keine Sekunde lang wünschen sollen.

Mein Sitzplatz auf der Ecke des Schreibtischs wurde langsam unbequem. Aber aufzustehen, würde bedeuten, mich einer unmöglichen Aufgabe zu stellen.

Clio tippte etwas und machte es dann mit einem unwilligen Geräusch Buchstabe für Buchstabe wieder rückgängig. »Wie geht noch mal diese Redewendung, wenn man ’ne Pechsträhne hat – aber eben ohne Strähne?«

»Hä?« Mein Hirn arbeitete noch ein paar Momente an ihrer Frage weiter. »Meinst du, vom Pech verfolgt sein?«

»Yes! Danke, du bist mein Held.«

Sie wäre meine Heldin, wenn sie die verfluchte Hausführung übernehmen würde. Warum musste die Frau aus der Bar von allen Menschen auf der Welt ausgerechnet mit Clio befreundet sein und sich von den Tausenden möglicher Berufe gerade einen im Verlag – in unserem Verlag – aussuchen?

Ich war nur froh, vorgewarnt zu sein. Auch wenn ich in dem Moment, als Clio mir das Foto von ihnen beiden auf dem Handy unter die Nase gehalten hatte, fast gestorben wäre.

»Weißt du, was Krasses passiert ist?«, hatte sie mich gefragt und geklungen, als hätte sie einen Millionengutschein für Bücher geschenkt bekommen. »Melly fängt bei Eastmore an!«

Im ersten Moment hatte ich gedacht, ich wäre das Opfer irgendeiner absurden Verschwörung geworden. Dass die schwarzhaarige Schönheit auf dem Bild sich Clios Vertrauen erschlichen hätte, um mich fertigzumachen, oder etwas in der Art. Für einen Zufall war es einfach zu bitter.

Ob sie auch vorgewarnt war? Wahrscheinlich schon. Im Gegensatz zu Clio hätte ich mich selbst zwar nicht als das attraktivste Gesicht des Verlags betitelt – aber auf jeden Fall als das bekannteste. Wenn man in unserer Branche einen neuen Job antrat, schaute man sich vorher die Social-Media-Accounts des Unternehmens an, oder? Und im Fall von Eastmore Publishing waren die voll von … mir.

Clios Telefon klingelte, sie nahm ab, und nach einem »Ja … ja« und einem Seitenblick zu mir beendete sie das Gespräch auch schon wieder. »Chelsea kann dich an deinem Platz nicht erreichen. Du sollst Melly jetzt zur Verlagstour abholen.«

Hoffentlich merkte man mir den Katastrophenmodus nicht an.

Na gut, los geht’s.

Clios Freundin mochte also wissen, dass ich hier arbeitete – aber was die Willkommenstour anging, war das Überraschungsmoment vielleicht auf meiner Seite. Warum auch immer ich sie überraschen wollte.

»Okay, dann kommen wir ja gleich hier vorbei«, sagte ich überflüssigerweise und machte mich auf den Weg zum Büro unserer Plots&Pieces-Programmleitung.

Ein letztes Luftholen, dann klopfte ich an und betrat den Raum. Als Erstes fiel mein Blick auf Chelseas neuestes farbenfrohes Blumenarrangement direkt auf dem niedrigen Regal neben ihrem Schreibtisch, dann auf Chelsea selbst und schließlich auf ihre frischgebackene Assistentin.

Das Vorgewarntsein hatte rein gar nichts genutzt. Ich bekam bei ihrem Anblick trotzdem keine Luft mehr.

»Darf ich vorstellen?« Chelsea deutete auf mich. »Lorne Silver, unser Social-Media-Manager. Lorne – das ist Melodea Jacobson.«

»Melodea«, sagte ich. »Das ist der schönste Name, den ich je gehört habe.« Plötzlich fehlte mir nicht mehr die Luft – dafür hatte jedoch ein Großteil meiner Gehirnzellen spontan die Arbeit eingestellt.

Ihre tiefbraunen Augen wurden noch ein weniger größer. »Das … Oh … Danke schön.«

Manchmal hatte ich an sie gedacht. Anfangs sehr oft. Mich gefragt, was passiert war und was stattdessen hätte passieren sollen. Und ob ihre Stimme wirklich so schön geklungen hatte wie in meiner Erinnerung – die Antwort darauf war definitiv ein Ja.

»Gut, Lorne zeigt Ihnen nun alles, und dann ruft auch schon die Arbeit.«

Chelsea und Melodea wechselten ein Chefin-und-neue-Assistentin-Lächeln, dann folgte Letztere mir zögerlich aus dem Zimmer.

Das kleine Büro direkt nebenan würde ihres sein, und als wir es passierten, entdeckte ich bereits ihre Jacke und Tasche auf dem Drehstuhl.

»Ich hatte nicht gedacht, dass wir uns je wiedersehen«, sagte ich, ohne mich zu ihr umzudrehen.

»Wäre auch besser gewesen.«

Ich schnaubte. »Freut mich, wollte ich gerade sagen.«

Darauf erwiderte sie nichts.

»Nur, damit bei dir kein falscher Eindruck entsteht: Ich mach die Führung immer«, stellte ich klar. »Es ist nicht so, dass ich mich deinetwegen dafür gemeldet hätte.«

Ich schaute über die Schulter, aber sie blickte zu Boden.

»Okay«, sagte sie leise.

Ich hatte nicht das Gefühl, dass hier auch nur irgendetwas okay war. Doch ich würde kein Drama auf dem Flur eröffnen. Also schlüpfte ich in die Rolle, die ich vor der Handykamera einnahm, und zeigte ihr mit unverwüstlichem Lächeln und dem einen oder anderen Witz das ganze Haus, so wie ich es bei jedem anderen Neuzugang getan hätte.

Es gab so vieles, was ich sie fragen und ihr sagen wollte – aber sie hatte diesen »Mach es mir bitte nicht so schwer«-Blick.

»Okay«, war auch ihre Reaktion auf fast alles, was ich ihr erklärte.

Nur ihre Augen erzählten mehr. Sie strahlten, wenn sich ihr andere aus dem Plots&Pieces- oder Eastmore-Team vorstellten. Waren voller Staunen, als ich ihr das Herzstück des Verlags – unseren Wintergarten mit der dahinterliegenden, von mannshohen Hecken umgebenen Rasenfläche – zeigte. Es funkelte in ihnen, während ihr Zeigefinger die Buchrücken in den Regalen, an denen wir vorbeikamen, entlangfuhr.

Am Ende unserer Tour bedankte sie sich bei mir und zupfte dabei an ihrer weiten weißen Bluse, die in einem Streifen mit Lochspitzenmuster über der blauen Hose endete.

Ich wollte mich zum Gehen wenden, und dann konnte ich es doch nicht auf sich beruhen lassen. »Werden wir darüber reden?«

Ihr Ausdruck wechselte binnen Sekunden von Erschrecken zu … Entrüstung?

»Nein«, fauchte sie und verschwand in ihrem neuen Büro, als wäre es ihre dringend benötigte Lorne-freie Zone.

»Melodea«, sagte ich und wollte es noch einmal versuchen, ihr nachgehen. Doch da schlug sie mir im wahrsten Sinne des Wortes die Tür vor der Nase zu.

Heute …

Kapitel 1

»Um ehrlich zu sein, habe ich in diesem Moment gedacht: Wow, was dein Liebesleben angeht, hast du es echt im großen Stil vermasselt.«

Amanda Darling, Who I Am and Aim to Be

Melodea

»Warte mal!« Rhonda kommt mir die Auffahrt hinterhergelaufen, eine Dose in der Hand. »Ich hab gestern Abend noch gekocht. Pasta. Magst du was für die Lunchpause mitnehmen?«

»Oh, gern. Danke!«

Sie überreicht mir die Dose und umarmt mich auf ihre gewohnt schnelle, kräftige Art. »Hab einen schönen Tag, Mel.«

»Du auch, Lieblingstante.« Ich verstaue die Dose in meiner Tasche und mache mich auf den Weg zur Arbeit.

Wie jeden Morgen wird mir an der zweiten Straßenecke bewusst, dass es von hier aus keine fünfhundert Meter zu der Bar sind, in der ich Lorne zum ersten Mal begegnet bin. Seine Stammbar vermutlich, ganz nah am Verlag. Ob er immer noch hingeht? Ich weiß nicht, warum diese Frage mich auch noch nach Monaten, die wir im selben Team arbeiten, beschäftigen muss. Sie scheint mit dem Anblick dieser Ecke verknüpft zu sein. Solche Dinge macht mein Gedächtnis gern.

Dieselben Leute wie immer gehen mir entgegen und an mir vorbei: die beiden Mädels mit den winzigen Rucksäcken, der ältere Herr mit dem großen, wuscheligen Mischling, Mr Comb – Rhondas Steuerberater – auf dem Weg in sein Büro.

Schließlich kommt der Verlag in Sicht.

Um diese Zeit ist noch nicht viel los. Im Erdgeschoss begegnet mir niemand, in der ersten Etage ertönen auch nur aus einem Büro schon Stimmen. Chelseas Tür steht offen, und ich lade kurz meine Sachen drüben bei mir ab, bevor ich zu unserem morgendlichen Update bei ihr erscheine.

Als Erstes fällt mir auf, dass sie aussieht, als hätte sie heute Nacht kein Auge zugetan.

Ich verkneife mir mein »Alles in Ordnung?« gerade so. Diese Art von Gesprächen führen wir beide nicht, obwohl sie einer der Menschen ist, mit denen ich die meiste Lebenszeit verbringe – und die ich am meisten bewundere.

»Also, es sieht fast so aus, als könnte es eine verhältnismäßig entspannte Woche werden«, sage ich stattdessen, weil das vielleicht ein Trost ist, den sie brauchen kann. »Heute …« Ich rufe ihren Kalender auf meinem Tablet auf und erstarre. Das hatte ich verdrängt.

»Gleich ist erst mal das Mitarbeitergespräch mit Lorne«, zwinge ich heraus.

»Ah, genau! Hat er Ihnen gesagt, worum es geht? Die Lesereise mit Amanda Darling?«

»Das kann sein.«

Ich mache sie lieber nicht darauf aufmerksam, dass Lorne und ich nicht mehr als notwendig miteinander reden. Bei ihrer Beobachtungsgabe müsste sie das eigentlich schon lange wissen. Genauso wenig erkläre ich ihr, wieso ich mich vom Thema »Lesereise mit Amanda Darling« fernhalte, soweit es geht. Immerhin hat Chelsea dieses in wenigen Tagen erscheinende Influencerin-Selbsterkenntnis-Superbuch nur an Land ziehen können, weil Clio mit Amandas Ex-Freund zusammen ist. Ich weiß, Clio selbst sieht das Ganze mit sehr gemischten Gefühlen, und ich will dazu keine Stellung beziehen müssen. Noch dazu, wo ich der Meinung bin, Plots&Pieces ist kein Verlagslabel für ein Buch wie Amandas. Die Frau hat es ja nicht mal selbst geschrieben, sondern das einer Ghostwriterin überlassen, die garantiert sehr viel weniger daran verdient als sie.

Lorne aber wird die ganze Tour begleiten. Eine Zeit lang ohne ihn im Verlag – beruhigende und gleichzeitig deprimierende Aussichten. Ich weiß nicht, wie er es macht, aber seine Anwesenheit lässt das gesamte Team besser gelaunt sein. Na gut, ich weiß es doch: mit seinem Dauerlächeln, das zu allem Überfluss auch noch völlig echt sein muss, und seinem ewigen Optimismus, und weil einfach alle ihn mögen. Alle außer mir. Ich kann nicht sagen, was das ist, was er in mir auslöst.

»Gut, dann lassen Sie uns kurz durchgehen, was sonst noch ansteht.«

Das machen wir, auch wenn ich mich seltsam unkonzentriert fühle.

Fünf Minuten, bevor Lornes Termin bei Chelsea beginnt, eise ich mich aus unserem Gespräch los, damit ich ihm nicht unnötig über den Weg laufe. Doch höflich, wie er ist, steht er längst vor der Tür, als ich auf den Flur hinaushusche. Ich halte inne und öffne den Mund, aber es kommt nichts raus, weil ich im selben Moment etwas zuvor Unvorstellbares bemerke: Sein Lächeln fehlt. Nicht nur, wie es manchmal für ein paar Sekunden verschwindet, wenn er mich sieht, sondern gänzlich. Sein Blick wirkt leer.

»Hi«, atme ich das Einzige aus, was ich gerade formulieren kann.

»Melodea«, erwidert er, als wüsste er genau, dass mich das aus dieser viel zu geringen Entfernung noch tiefer trifft als sonst.

Neben Chelsea ist er der Einzige, der mich bei meinem vollen Namen nennt, und er betont ihn ganz anders als sie. Bei ihr schwingt ein Ausrufezeichen mit – Mellodia! –, bei ihm klingt es mehr wie eine Frage, die man sich nicht recht zu stellen traut: Mello-dia?

»Chelsea erwartet dich«, murmele ich.

Er nickt langsam, und ich rette mich im Rückwärtsgang hinüber in mein Büro, ausnahmsweise nicht, weil die Wärme in seinen Augen mich überfordert, sondern die Kälte.

Lorne

Melodea schließt hastig die Tür hinter sich. Ein passendes Sinnbild, das sich zwischen uns endlos zu wiederholen scheint. Es bestätigt mich in dem, was ich vorhabe, aber gleichzeitig … Ich kann das nicht.

Dreimal schon habe ich nach der Klinke von Chelseas Bürotür gegriffen, um sie gleich wieder loszulassen. Alles in mir schreit, dass es ein Fehler ist. Aber ich habe mich entschieden, und wie schwer es werden würde, war mir klar.

Ich klopfe an, obwohl diese Tür nur angelehnt ist.

»Ja?«, ertönt es von drinnen.

Ich betrete den Raum, und diese Ruhe, die ich aus Prüfungssituationen kenne, überkommt mich. Sie sorgt dafür, dass ich meine Gesichtszüge unter Kontrolle behalte und sogar ein Lächeln zustande bringe. »Guten Morgen.«

»Den würden Sie mir nicht wünschen, wenn er nicht gut wäre, oder?« Chelsea deutet auf den Stuhl, der schon vor ihrem Schreibtisch für mich bereitsteht.

Ich bemühe mich, möglichst keine Regung zu zeigen, denn Chelsea ist die Art Chefin, die einem auf fast schon magische Weise ansehen kann, was in einem vorgeht – ob einem nicht passt, was im Meeting entschieden wurde, oder einen gedanklich etwas belastet, so wie mich gerade.

»Auch an einem guten Morgen kann es schlechte Nachrichten geben«, sage ich.

»Lorne, ich warne Sie.« Wie immer stehen nicht nur am Fenster, sondern auch neben ihr auf dem Tisch Blumen. Sie schiebt die Vase direkt unter meine Nase. »Schauen Sie die an, und überlegen Sie sich genau, was Sie jetzt sagen. Blumen helfen, sich zu besinnen – klappt jedenfalls bei mir.«

Die Blüten duften, und ich betrachte ihre zarten Blätter, doch an meinem Vorhaben ändern sie nicht das Geringste.

»Ich muss hier aufhören. Zum Ende des Jahres verlasse ich den Verlag.«

Ihr Schweigen hält so lange an, dass ich den Blick hebe. Genau darauf scheint sie gewartet zu haben.

»Aus familiären Gründen?«, fragt sie.

»Nein, das nicht.«

»Haben Sie ein Jobangebot bekommen?«

Ich schüttele den Kopf. Auf ein Verhör war ich gefasst, ich werde das durchstehen.

»Der Liebe wegen?«

Eigentlich wollte ich ihr erzählen, dass für mich einfach ein Neustart dran ist und ich mich weiterentwickeln will, blabla. Stattdessen höre ich mich ihre Frage bejahen.

Chelsea massiert sich die Schläfe. »Sie sollten so was nicht als romantische Geste in Betracht ziehen.«

Ein hohles Lachen bricht aus mir heraus. Denn ja, irgendwo habe ich meinen Entschluss in der Tat der Liebe wegen gefasst, und daran ist überhaupt nichts Romantisches. Ich tue das, damit es endet. Das Gefühl, mich immer auf dünnem Eis zu bewegen, wenn Melodea in der Nähe ist. Zu wissen, dass es ihr lieber wäre, mich nicht jeden Tag sehen zu müssen. Und dazu kommt noch ein ganz anderer, mich bei der Arbeit belastender Grund, den ich aber genauso wenig benennen möchte.

»Ich meine es ernst«, sage ich zum Ausgleich für meine unpassende Reaktion. »Natürlich werde ich alles daransetzen, die bestmögliche Übergabe zu gewährleisten. Das Kündigungsschreiben folgt noch, ich wollte es nur vorab schon mal … ankündigen.« Eine Kündigung ankündigen. Schräg.

Chelsea forscht ungeniert in meinem Gesicht, dann schiebt sie sich ihr hennarotes Haar hinter die Ohren und hebt das Kinn. »Das können Sie sich sparen.«

»Wie bitte? Das Schreiben?«

Ihr durchdringender Blick lässt immer noch nicht locker. »Die Kündigung.«

Dass sie nicht begeistert sein würde, war klar, aber muss sie mit mir darüber diskutieren?

»Ich habe das gut durchdacht«, beteuere ich.

»Dann hätten Sie besser nicht denken sollen.« Chelsea zieht die Blumenvase wieder an ihren vorherigen Platz. »Gut, also … Zu Ihrem eigenen Besten werde ich so tun, als hätte dieses Gespräch niemals stattgefunden. Sie horchen noch mal in sich hinein und finden heraus, was Sie wirklich denken. Und falls das nicht klappt: Ihre Kündigung wird nur über meine Leiche rechtskräftig.«

Direkt war sie schon immer, aber das … puh, damit hatte ich echt nicht gerechnet.

»Chelsea …«

»Wissen Sie auch, warum?«

Ich hebe die Schultern. »Weil ich einen guten Job mache?«

»Ihr Selbstbewusstsein in allen Ehren, aber das meinte ich nicht.«

Ich kann sie nur fragend anschauen, denn ich habe keinen Plan, worauf sie hinauswill.

»Sie sagten: ›Ich muss hier aufhören.‹ Kommen Sie erst wieder zu mir, wenn Sie es wollen.«

Das sitzt.

»Helfen würde es außerdem, wenn Sie dabei nicht die Fingernägel in Ihre Handflächen bohren würden.«

Ich blicke nach unten und öffne die Fäuste, um acht kleine rote Halbmonde vorzufinden.

»Konzentrieren Sie sich erst mal auf die Lesereise mit Amanda, und danach sieht die Welt schon ganz anders aus.«

Das bezweifle ich stark, doch ich wage es nicht, ihr zu widersprechen.

»Danke für Ihre Zeit«, sage ich stattdessen. »Ich werde auf das Thema zurückkommen.«

Kapitel 2

»Das mit der Kommunikation ist so eine Sache. Im Job ist sie vielleicht mein größtes Talent, aber privat … puh. Nennen wir es ein persönliches Lernfeld.«

Amanda Darling, Who I Am and Aim to Be

Melodea

Den ganzen Morgen über bin ich unruhig und muss aufpassen, in Chelseas Kalender kein völliges Chaos anzurichten. Ich maile die Agenda für unseren morgigen Jour fixe vom Plots&Pieces-Lektoratsteam herum, erledige anderen Kleinkram und telefoniere mit einer Übersetzerin, die erstmals für uns arbeitet und ein paar Rückfragen hat.

Kurz vor der Mittagspause klingelt mein Telefon.

»Eastmore Publishing, Jacobson, guten Tag?«

»Melodea, richtig? Hier Nolan, Eve Ross Literary Agency. Ist Chelsea nicht im Haus? Ich habe sie in den letzten vier Stunden mehrfach zu erreichen versucht.«

»Sie ist im Verlag, stand aber den Vormittag über nicht für Telefonate zur Verfügung.« Den Grund dafür kenne ich zwar nicht, aber wenn Chelsea sie nicht angenommen hat, muss sie schließlich anderweitig beschäftigt gewesen sein. »Ist es dringend? Sie können es gern mit mir besprechen, dann gebe ich die Infos an sie weiter.«

»Na ja«, sagt er gedehnt. »Ich wollte sie wissen lassen, dass Amanda Darling seit Kurzem durch mich vertreten wird und wir uns darüber unterhalten müssen, wie es mit dem zweiten geplanten Buch aussieht. Die Konditionen für das erste Projekt sind ja wohl ein Witz.«

Ich kenne den Vertrag zu Who I Am and Aim to Be nicht im Detail, aber gut genug, um mir sicher zu sein, dass er alles andere als ein Witz ist. Amanda ist streng genommen ja nicht mal Autorin und hat allein dank ihres Namens ein großzügiges Garantiehonorar erhalten. Außerdem wird die Tour mit ihr den Verlag ein kleines Vermögen kosten.

Es überrascht mich ehrlich gesagt, dass sie sich jetzt noch einen Agenten gesucht hat.

»Danke, dann wissen wir schon mal Bescheid, dass wir uns in Bezug auf Amanda in Zukunft bei Ihnen melden«, sage ich, ohne auf seine unverschämte Behauptung einzugehen. »Ich informiere Chelsea, dass Sie über das neue Projekt in den Austausch gehen wollen.«

»Geben Sie mir lieber gleich einen Termin bei ihr. Anders erwische ich Madame ja sowieso nicht.«

Ich hatte noch nicht so oft mit ihm zu tun, aber jedes Mal, wenn, habe ich das unbestimmte Gefühl, dass er unser Team und speziell Chelsea nicht besonders gut leiden kann. Was seltsam ist, denn dazu gibt es erstens keinen Grund und zweitens wäre das früher oder später geschäftsschädigend für seine Agentur.

Ich nenne ihm einen Telefontermin für übermorgen – so hat Chelsea genügend Zeit, sich darauf vorzubereiten.

Zusätzlich gehe ich, gleich nachdem ich aufgelegt habe, zu ihr hinüber, um sie vorzuwarnen.

Ihre Tür steht offen, und als ich hereinkomme, tippt Chelsea gerade mit einer Hand auf der Tastatur, während sie mit der anderen ihr Wasserglas an die Lippen hebt. In diesem Moment, in dem sie mich noch nicht bemerkt hat, fällt mir ein weiteres Mal auf, wie fertig sie heute wirkt. Ich wünschte, ich müsste ihr nicht auch noch eine schlechte Neuigkeit überbringen. Trotzdem räuspere ich mich leise, und sie schaut auf.

»Bitte nicht dieser Blick«, sagt sie, ehe sie einen Schluck trinkt.

»Es ist nichts Wildes«, beruhige ich sie, obwohl ich nicht sicher bin, ob das stimmt. »Ich wollte Ihnen nur kurz sagen, dass Amanda jetzt von Nolan Rowe vertreten wird und er …«

Ich fahre zusammen, als sie das Wasserglas mit deutlich zu viel Schwung auf ihren Tisch donnert. »Wie bitte?«

Ich hebe hilflos die Schultern. »Er sagte, er habe ein paarmal versucht, Sie zu erreichen.«

»Hat er. Sein Glück, dass ich nicht abgenommen habe. Heute hätte das fatal enden können!«

Ich zögere, denn ich will keine Grenze überschreiten. Aber vielleicht kann ich …?

»Lief das Gespräch mit Lorne nicht gut?«, frage ich, bevor ich mich bewusst dafür entscheiden konnte. »Entschuldigung, ich weiß, das ist nicht meine Angelegenheit«, schiebe ich schnell nach. Jedenfalls hoffe ich inständig, dass sie das nicht ist.

Chelsea seufzt tief. »Darf ich Ihnen ebenfalls eine indiskrete Frage stellen?«

Meine Brustwirbel zwängen mein Herz ein, vergittern es von einem Moment auf den anderen komplett. Ahnt sie also doch schon die ganze Zeit, dass zwischen ihm und mir etwas nicht stimmt? Sieht sie darin ein Problem fürs Team? Wird sie es hier und jetzt ansprechen?

Ich nicke, obwohl ich den Kopf schütteln will.

»Ist Lorne schon länger in dieser Beziehung?«

Das Gitter um mein Herz ändert seine Struktur – nun will es jedes Leben aus seinem Gefangenen pressen.

»Oder, viel wichtiger: Was halten Sie von seinen Plänen? Können Clio und Sie ihn nicht irgendwie überzeugen, zu bleiben?«