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Dieser Band bietet fünf biografische Essays zu folgenden Personen:
Novalis
Carlyle
Lord Macauley
Emerson
Peter Altenberg
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Seitenzahl: 185
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Literarische Porträts
Egon Friedell
Inhalt:
Egon Friedell – Biografie und Bibliografie
Novalis
Die politischen und religiösen Zustände
Die gesellschaftlichen Zustände
Das geistige Leben
Die Zeitphilosophie
Leben und Persönlichkeit
Jena
Sophie von Kühn
Der romantische Kreis
Bergbau
Lebensverhältnisse
Persönlichkeit
Die Schriften philosophischen Inhalts
Der Charakter der philosophischen Darstellung
Die Kunst als Zentralbegriff
Die Religion als Zentralbegriff
Universalidealismus
Evolutionismus
Panmagismus
Eklektizismus
Darstellung und Sprache
Literarische Persönlichkeit
Carlyle
Lord Macauley
Emerson
Peter Altenberg
Der Wille zur Chiffre
Der protokollierte Schriftsteller
Der berufene Dilettant
Der Seher
Gedankenflucht und Gedankenschnelligkeit
Das Zeitalter der Extrakte
Die Fünfminutenszenen
Der Wert des Fragments
Guy de Maupassant
Les riens visibles
Die Netzhautbilder Ibsens
Porträttechnik
Die Sprache des elektrischen Stroms
Grammophondeutsch
Maschinenpathos und Plakatstil
Frauenlob
Die vergeßlichen Dichter
Literarische Porträts, Egon Friedell
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849614560
www.jazzybee-verlag.de
Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com
Österreichischer Schriftsteller, Kulturphilosoph, Religionswissenschaftler, Historiker, Dramatiker, Theaterkritiker, Journalist, Schauspieler, Kabarettist und Conférencier, geboren am 21. Januar 1878 in Wien, verstorben am 16. März 1938 ebenda. Eigentlicher Name Egon Friedmann. Friedell war das dritte Kind des jüdischen Seidentuchfabrikanten Moriz Friedmann und seiner Ehefrau Karoline, geborene Eisenberger. Die Mutter verließ die Familie, als Friedell ein Jahr alt war, und ließ mit ihrem Mann auch die drei Kinder zurück. Die Ehe der Eltern wurde 1887 geschieden. (Am 50. Geburtstag Friedells tauchte die Mutter bei dem nun wohlhabenden und renommierten Sohn auf und verlangte Alimentezahlungen, die dann per Gerichtsurteil erzwungen wurden.) Nach dem Tod seines Vaters 1891 lebte Egon bei einer Tante in Frankfurt am Main. Dort ging er zur Schule, wurde aber wegen ungebührlichen Benehmens nach zwei Jahren vom Unterricht ausgeschlossen. Schon in Frankfurt galt Friedell als Störenfried und Querdenker. Es folgten diverse Schulen in Österreich und Deutschland, bis er im September 1899 im vierten Anlauf in Bad Hersfeld das Abitur bestand. 1897 hatte er sich als Gasthörer an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin für Germanistik, Naturwissenschaften und Philosophie eingeschrieben. Nach dem Abitur wechselte er an die Universität Heidelberg, um bei dem Hegelianer und Philosophiehistoriker Kuno Fischer zu studieren. 1897 konvertierte er zum evangelisch-lutherischen Glauben. 1899 erhielt er das Erbe seines Vaters zugesprochen, so dass er nun in Wien in finanzieller Unabhängigkeit seinen Interessen leben konnte, die in alle Bezirke des Wissens hineinreichten. Von 1900 bis 1904 studierte Friedell in Wien neun Semester Philosophie. Er stieß während dieser Zeit zum Literatenkreis im Café Central und zählte bald zum engsten Bekanntenkreis von Peter Altenberg. 1904 wurde er mit einer Dissertation über das Thema Novalis als Philosoph promoviert, um anschließend Kabarettist zu werden. Daneben schrieb er Essays für Zeitschriften wie die „Schaubühne“ oder „März". Gemeinsam mit Alfred Polgar veröffentlichte er ab 1908 Parodien wie Der Petroleumkönig, Goethe, Die Musteroperette und Goethe im Examen, die ihn bald im deutschsprachigen Raum bekannt machten. In der Folge wurde er künstlerischer Leiter des Cabaret Fledermaus. Mit Polgar brachte er 1910 als zensurgerechtes Militärstück („in das jede Offizierstochter ihren Vater ohne Bedenken führen kann“) die Komödie Soldatenleben im Frieden heraus. Im selben Jahr beauftragte ihn der Verleger Samuel Fischer damit, eine Biografie über Peter Altenberg zu schreiben. Mit dem kulturanalytischen und -kritischen Buch, das 1912 unter dem Titel Ecce poeta erschien, war Fischer, der leichte Kost erwartet hatte, höchst unzufrieden. Es wurde deswegen nicht weiter beworben und blieb ohne Erfolg; aber es markierte den Beginn von Friedells kulturgeschichtlichem Interesse. Mit dem Journalisten Felix Fischer gründete er 1910 das „Intime Theater“ in der Praterstraße. Hier wurden Werke von Strindberg, Wedekind und Maeterlinck erstmals in Wien auf die Bühne gebracht, die Unzulänglichkeiten bei den Aufführungen verhinderten aber den Erfolg dieses Theaters; Friedell war zugleich Regisseur, Bearbeiter, Beleuchter und Darsteller. 1912 gastierte der Schriftsteller in Berlin; 1913 war er kurzzeitig bei Max Reinhardt als Schauspieler beschäftigt. Ab 1914 machten sich immer größere Alkohol- und Gewichtsprobleme bemerkbar, so dass er sich in ein Sanatorium in der Nähe von München zu einer Entziehungskur begeben musste. Von dem beginnenden Ersten Weltkrieg war Friedell ebenso begeistert wie die meisten seiner Zeitgenossen. Er veröffentlichte chauvinistische Schriften gegen die Kriegsgegner und meldete sich als Kriegsfreiwilliger, wurde aber als untauglich abgelehnt. 1916 ließ er seinen Familiennamen „Friedmann“ amtlich in „Friedell“ ändern, nachdem er zuvor des öfteren schon den Künstlernamen „Friedländer“ benutzt hatte. 1916 schrieb Friedell die Judastragödie, 1922 erschien Steinbruch – Vermischte Meinungen und Sprüche. Von 1919 bis 1924 arbeitete Friedell als Journalist und Theaterkritiker bei verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen, darunter auch beim „Neuen Wiener Journal“. Daneben nahm er ein Angebot von Max Reinhardt an und arbeitete bis 1927 als Dramaturg, Regisseur und Schauspieler am Deutschen Theater in Berlin und am Theater in der Josefstadt in Wien, wo er 1924 etwa in der Wiener Erstaufführung von Hofmannsthals „Der Schwierige“ mitwirkte. Ab 1927 nahm er wegen gesundheitlicher Probleme keine festen Stellen mehr an; stattdessen arbeitete er in Wien als Essayist, freier Schriftsteller und Übersetzer. In einem genau geregelten Tagesablauf widmete sich Friedell seinem Lebenswerk, der Kulturgeschichte der Neuzeit, deren drei Bände 1927 bis 1931 veröffentlicht wurden. Nachdem 1933 die Nationalsozialisten in Deutschland an die Macht gekommen waren, wurde von allen deutschen und österreichischen Verlagen die Veröffentlichung von Friedells Werken abgelehnt. Im Februar 1938 wurde Friedells Kulturgeschichte schließlich in Deutschland verboten. Nach dem „Anschluss“ an das „Dritte Reich“ schrieb Friedell am 11. März 1938 an Ödön von Horvath: „Jedenfalls bin ich immer in jedem Sinne reisefertig“. Friedell dachte nun häufiger über die Anschaffung von Gift oder einer Pistole nach. Am 16. März 1938 erschienen gegen 22 Uhr zwei Männer der SA vor dem Haus von Egon Friedell, Wien 18, Gentzgasse 7, um, wie jedenfalls er meinte, den „Jud Friedell“ abzuholen (einigen Quellen zufolge war das - noch - nicht Grund für das Auftauchen, sondern ein „Besuch“). Während sie mit seiner Haushälterin diskutierten, nahm sich Friedell das Leben, indem er aus einem Fenster der im 3. Stock gelegenen Wohnung sprang. Verbrieft ist, dass er dabei nicht verabsäumte, die Passanten umsichtig mit dem Ausruf „Treten Sie zur Seite!“ zu warnen. Friedell, von dem Hilde Spiel sagte: „In ihm stand noch einmal die berauschende Fiktion vom universalen Menschen vor uns auf“, wurde auf dem Wiener Zentralfriedhof, evangelischer Teil, Tor 3, beigesetzt. Anlässlich seines Todestages 2005 wurde es zum ehrenhalber gewidmeten Grab.
Der Text ist unter der Lizenz „Creative Commons Attribution/Share Alike“ verfügbar; zusätzliche Bedingungen können anwendbar sein. Im Original ist dieser Text zu finden unter http://de.wikipedia.org/wiki/Egon_Friedell.
Friedrich von Hardenberg, der als Künstler Novalis hieß, darf als einer der allercharakteristischsten Repräsentanten seiner Zeit gelten. Seine Philosophie tritt erst in ihre volle Beleuchtung, wenn sie als Extrakt und Type ihres Zeitalters verstanden wird. Wir müssen daher zunächst versuchen, uns diese Periode in ihren allgemeinsten historischen Zügen kurz zu vergegenwärtigen.
Hardenbergs Leben umfaßt die drei letzten Jahrzehnte des achtzehnten Jahrhunderts: die Zeit der großen Revolutionen. Auf den nordamerikanischen Freiheitskrieg und die Gründung der Vereinigten Staaten war die Französische Revolution gefolgt, die durch die imposante Ferozität der Instinkte, die hier frei wurden, Europa ein blendendes Schauspiel bot. Indessen hat die Französische Revolution auf Deutschland im ganzen nicht günstig gewirkt: ihre Haupterzeugnisse auf deutschem Boden waren Schwärmerei und Reaktion.
Auch in Preußen, dem Vaterlande und vorwiegenden Aufenthalte Hardenbergs, lagen die politischen Zustände nicht günstiger als anderswo. Kein Land ruhte mehr auf der Persönlichkeit seines Monarchen als Preußen. Auf die glänzende friderizianische Ära war die Regierung Friedrich Wilhelms II. gefolgt, der in allem das Gegenbild seines großen Oheims war. Er war kein böser Mensch, auch nicht unbegabt, aber überaus leichtfertig und genußsüchtig, energielos und bequem, jeder momentanen Impression bereitwillig zugänglich, der richtige Gefühlsmensch am Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Seine persönlichen Verhältnisse waren ungeordnet, das Hofleben frivol und ausschweifend, er selbst dem schönen Geschlecht mehr zugetan, als es sich mit seinen strenggläubigen Tendenzen vertrug. Nichts glückte ihm: notwendige militärische und administrative Reformen unterblieben entweder ganz oder gelangten nur sehr unvollkommen zur Ausführung; um der überhandnehmenden Freigeisterei zu steuern, erließ er eine Reihe von Religions- und Zensuredikten, die aber nur einen unverständigen Glaubenszwang einführten und die Sache vollends verdarben. Sein Hang zur Romantik und zum Mystizismus führte ihn dem Obskurantismus und dem Schwindel in die Arme, er fand bald in dem gewissenlosen Wöllner seinen Tartüff und in dem geriebenen Bischofswerder seinen Cagliostro. Dieser gewann ihn für den berühmten Rosenkreuzerorden, der damals in voller Blüte stand und Zauberei, Alchimie und Geisterbeschwörung mit großer Geschicklichkeit betrieb. Der magische Humbug, der in der damaligen Zeit ein wirksames Mittel des Seelenfangs war, hat in Schillers "Geisterseher" eine meisterhafte Darstellung gefunden, die heute noch die Leser auch lebhafteste zu spannen vermag.
Friedrich Wilhelm III., der 1798 in der Regierung folgte, war kaum besser als sein Vorgänger. War dieser oberflächlich gewesen, so war jener seicht; wußte dieser nie recht, was er wollte, so wollte jener überhaupt nichts Rechtes. Sympathisch an ihm war nichts als eine gewisse bourgeoise Anständigkeit und Jovialität und seine schöne und liebenswürdige junge Gattin: im übrigen war er trocken, ohne Schwung, ohne Eigenart, ein durch und durch halber Mensch, der in nichts Persönlichkeit zu legen verstand.
Unter solchen Herrschern geschah nichts, um Preußen auf seiner mühsam errungenen Höhe zu halten: die inneren Mißstände wuchsen, während der Staat nach außen immer mehr das Ansehen einer Großmacht verlor; im religiösen Leben hielten blinde Dunkelmännerei und zügellose Freigeisterei sich die Waage, Staat und Kirche waren zum toten Mechanismus herabgesunken, um den man sich nur noch pflichtmäßig kümmerte.
Das öffentliche Leben war ein Spiegelbild des Hofs: die Frivolität nahm allerorten zu, mit dem übermäßigen und übernatürlichen Bildungstrieb ging eine allgemeine Verflachung und Veräußerlichung der geistigen Bedürfnisse Hand in Hand. Vielleserei und gedankenlose Beherrschung der Modeschlagworte schien bald wichtiger als Durchdringung des geistigen Gehalts der Zeit. Über die innere Leere mußte witzelndes Geschwätz hinweghelfen: Affektation und Selbstgefälligkeit wurden die Triebfedern der öffentlichen Bildung, und als der Geistreichste galt der, welcher über die meisten Dinge spöttisch und verächtlich zu reden wußte. Diesen Geist der Zersetzung und der Oberflächlichkeit hat Fichte in seinen "Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters" in harter, aber wohlverdienter Weise gekennzeichnet, der religiösen Aufklärerei und dem Demokratismus ist Novalis in seinen Schriften "Die Christenheit oder Europa" und "Glaube und Liebe" entgegengetreten.
Aus der Unerquicklichkeit und Trostlosigkeit der politischen, religiösen und gesellschaftlichen Zustände erklärt sich der merkwürdige Charakter des damaligen Geisteslebens. Das öffentliche Leben konnte den geistigen Potenzen der Zeit keine Nahrung und kein Arbeitsfeld bieten. Die Folge war daher bei den hervorragenden geistigen Kapazitäten eine lebhafte und bewußte Abkehr von der Außenwelt und eine liebevolle und tiefe Versenkung in das Innenleben: dies wird die Parole des Zeitalters. Hier finden so ausgezeichnete und singuläre Erscheinungen wie Schleiermacher und Hölderlin ihre Erklärung; von hier nahm das Denken Goethes und Fichtes seine merkwürdige Richtung; hier wurzelt auch die Dichtung und Philosophie der Romantiker, an deren Spitze Novalis steht.
So kommt es, daß in dieser Zeit Deutschland einen außerordentlichen politischen Tiefstand und zugleich den Höhepunkt seines geistigen Lebens erreicht hat, einen Höhepunkt, wie man ihn bisher nicht erlebt hatte und der auch seitdem nicht mehr wiedergekommen ist. Damals konzipierten Kant und Fichte ihre tiefsinnigen Philosopheme, dichteten Goethe und Schiller ihre vollendetsten Dramen und machten die Brüder Humboldt ihre folgenschweren wissenschaftlichen Entdeckungen. Um diese Männer bildete sich ein fast unübersehbarer Kreis von originellen und fruchtbaren Begabungen, die auf allen Gebieten, in Dichtung und Philosophie, in Medizin und Naturwissenschaft, in Geschichtschreibung und Philologie das Fundament zu den nachhaltigsten geistigen Bewegungen gelegt haben.
Die eindrucksvollsten Figuren, die Goethe in jener Zeit geschaffen hat, sind der Faust und der Werther. Vergegenwärtigen wir uns den Faust, wie er uns im ersten Teil entgegentritt, voll Welt- und Tatendurst und dabei doch stets den Blick nach innen gerichtet, von einem tiefen Drange beseelt, das Rätsel von Ich und Welt zu lösen, und von einem gleich heftigen Triebe ergriffen, in dieser Welt zu wirken und zu leben: so erscheint vor uns das Bild Fichtes. Lesen wir die Geschichte Werthers und sehen wir, wie sein Geist, bald feurig überwallend, bald in tiefe Schwermut versinkend, ziel- und bodenlos umherirrt, dabei stets erfüllt und bewegt von einer Liebe, die sein Schicksal wird: so erinnern wir uns unwillkürlich an Novalis.
Die Periode von 1770–1800 hat sich in Novalis ein doppeltes Denkmal errichtet: seine politischen und religiösen Gedanken sind gleichsam der Negativabdruck, seine philosophischen Ideen der Positivabdruck des Zeitalters; dort hat er gezeigt, was seine Zeit nicht war, hier, was sie war. Die Philosophie Hardenbergs ist der Fokus der zeitgenössischen Philosophie, in dem alle Richtungen sich treffen und vereinigen.
Es sind drei Probleme, von denen die Philosophie der Zeit bewegt wird: das Problem der Welt, das Problem Gottes und das Problem des Menschen. Die Welt ist eine Tatsache der Erkenntnis, Gott ist eine Tatsache des Glaubens, der Mensch ist eine Tatsache der Geschichte. Die Philosophie gliedert sich daher in Erkenntnisphilosophie, Glaubensphilosophie und Geschichtsphilosophie.
Die epochemachende erkenntnisphilosophische Entdeckung der Zeit ist die Kantische: das gesamte Weltbild ist nichts anderes als ein Produkt der menschlichen Organisation. Wenn wir unsere Erkenntnis erkannt haben, haben wir die Welt erkannt. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Erkenntnistheorie gleich der Metaphysik.
Es liegt in der Natur jedes kritischen Verfahrens, daß es sein Objekt analysiert, d.h. auflöst. Es ist aber im Wesen des menschlichen Geistes tief begründet, daß er einen unwiderstehlichen Hang zum Positiven besitzt. Für die negativen Ergebnisse, die eine kritisch gerichtete Philosophie zutage fördert, gibt es nur ein Äquivalent: den Glauben. In dieser Richtung greift die Gruppe der Glaubensphilosophen ergänzend ein: sie führt ihre Untersuchung aus dem grellen Lichte der Vernunftkritik in die geheimnisvolle Dunkelkammer des Gemüts und gründet darauf eine Gefühlsphilosophie, welche Sittlichkeit und Religiosität auf die gemeinsame Wurzel des ursprünglichen moralischen Bewußtseins zurückleitet und daher mit der Ethik zusammenfällt.
Es liegt endlich drittens fast immer im Wesen der Kunst, daß sie Beziehungen zur Vergangenheit sucht, geschichtliche Verwandtschaften und Gegensätze aufgreift und an diesen ihre Schöpfungen entwickelt. So besteht schon eine natürliche Verwandtschaft zwischen Kunst und Historie, zwischen Ästhetik und Geschichtswissenschaft. Diese Einsicht ist niemals vollständiger ergriffen und lebendiger gestaltet worden als am Ende des achtzehnten Jahrhunderts: die Kunst will im historischen Geiste erfaßt sein und die Geschichte muß wie ein Kunstwerk betrachtet werden. Im Bewußtsein dieser Zeit bildet daher die Geschichtsphilosophie mit der Ästhetik einen Begriff.
Für den allgemeinen Überblick gliedert sich daher das Gesamtgebäude der Zeitphilosophie in drei Haupttrakte:
Erkenntnisphilosophie (Metaphysik),Glaubensphilosophie (Ethik),Geschichtsphilosophie (Ästhetik).Jede dieser drei Grundrichtungen durchmißt in den drei letzten Jahrzehnten des achtzehnten Jahrhunderts drei Etappen. Die drei Stufen, in denen sich die Erkenntnisphilosophie entwickelt, sind Kants Vernunftkritik, Fichtes Wissenschaftslehre und Schellings Naturphilosophie; die drei Stationen der Glaubensphilosophie sind verkörpert durch Hamann, Jacobi und Schleiermacher; die drei Männer, in denen sich die Geschichtsphilosophie schrittweise ausprägt, sind die Klassiker Lessing, Herder und Schiller.
In derselben Zeit sind die drei berühmtesten deutschen Dramen entstanden: Lessings "Nathan", Goethes "Faust" und Schillers "Wallenstein". Sie offenbaren zugleich den philosophischen Extrakt des Zeitalters: der "Nathan" umfaßt die Summe der Lessingschen Glaubensphilosophie, der "Faust" führt uns in die Tiefen der metaphysischen Spekulation, und der "Wallenstein" enthält den Kern der Schillerschen Geschichtsphilosophie.
Hardenbergs Wort: "Was bildet den Menschen, als seine Lebensgeschichte?" findet auf ihn selbst die vollste Anwendung. Jedes Erlebnis wurde bei ihm Charakter, und seine Philosophie ist nichts als die tiefsinnige und poetische Form, in die er seine Schicksale gebracht hat. Sein Leben floß äußerlich ziemlich ruhig dahin: etwas "Besonderes" ist ihm nie widerfahren, aber dennoch kann man sagen, daß vielleicht wenig Menschen in einem kurzen Dasein mehr erlebt haben als Novalis. Etwas erleben ist eben auch Sache einer eigenen Kunst, und Novalis hat diese Kunst verstanden wie nicht viele.
Es ist hier nicht der Ort, um auf die schöne Biographie des Dichters näher einzugehen: wir heben daher nur jene Momente aus seiner Lebensgeschichte hervor, die für die Entwicklung seiner Weltanschauung und die Bildung seines Gemüts von besonderer Bedeutung waren.
Wir übergehen Hardenbergs Jugendgeschichte, die ihm keine nennenswerten Geisteseindrücke gebracht hat. Das erste große innere Erlebnis war seine Übersiedlung nach Jena und die Bekanntschaft mit Schiller, der dort als bereits gefeierter Dichter und Lehrer der Hochschule wirkte. Die zündende Persönlichkeit des genialen und temperamentvollen Mannes eroberte den jungen Studiosus, der damals schon dichterische Anlagen in sich fühlte. Wir besitzen einen Brief Hardenbergs an Reinhold, der uns den jugendlichen Überschwang, mit dem Novalis sich für Schiller begeisterte, sehr lebendig schildert: "Ach! wenn ich nur Schillern nenne, welches Heer von Empfindungen lebt in mir auf; wie mannigfaltig und reiche Züge versammeln sich zu dem einzigen, entzückenden Bilde Schillers... der mehr ist als Millionen Alltagsmenschen, der den begierdelosen Wesen, die wir Geister nennen, den Wunsch abnöthigen könnte, Sterbliche zu werden, dessen Seele die Natur con amore gebildet zu haben scheint, dessen sittliche Größe und Schönheit allein eine Welt, deren Bewohner er wäre, vom verdienten Untergange retten könnte,..." Und am Schlusse des Dithyrambus setzt Novalis hinzu: "Stolzer schlägt mir mein Herz, denn dieser Mann ist ein Deutscher; ich kannte ihn und er war mein Freund." – Indes war Schiller nicht der Mann, um seine Schüler bloß zu phantastischem Schönreden zu begeistern, er hatte es am eigenen Leibe erfahren, daß nur strenge geistige Selbstzucht und ernste Charakterbildung den Dichter machen können: Schillers Einfluß hatte es Novalis hauptsächlich zu danken, daß er sich einer geordneten wissenschaftlichen Tätigkeit und einem geregelten Geistesleben zuwandte.
Durch den liebenswürdigen Reinhold wurde Novalis in die Kantische Philosophie eingeführt, und von da aus fand er den Eingang zu Fichte, der sein Denken aufs nachhaltigste bestimmt hat.
Das Zentralereignis in Hardenbergs Leben ist seine Liebe zu Sophie von Kühn. Als er Sophie kennenlernte, war sie ein halbes Kind (nach Tieck und Just dreizehn, nach Haym zwölf Jahre alt), zweieinhalb Jahre später starb sie. Über keinen Punkt der Novalisbiographie ist mehr geschrieben worden als über die Geschichte dieser Liebe. Tieck hat das Ganze wie ein lyrisches Gedicht behandelt, Heilborn hat alle Illusionen durch strenge historische Forschungen zerstören wollen, Bölsche hat die Poesie der Sache auf dem Wege vernünftiger psychologischer Erwägung wiederherzustellen versucht.
Indes dürfte es von nicht allzu großer Wichtigkeit sein, ob Sophie der Engel war, als den Tieck sie schildert, oder die unbedeutende Landpomeranze, die Heilborn aus ihr machen will. Denn zu dem, was sie Novalis war, konnten Sophie niemals ihre eigenen äußeren und inneren Vorzüge machen, sondern nur die Liebe eines Dichters. In Sophie liebte Novalis sich selbst, seine eigene Gefühlswelt, seinen poetischen Geist. Die Größe und Schönheit der Empfindung, die er, ein Dichter, in diese Liebe zu legen vermochte, gab ihm Sophiens Bild getreulich zurück. Auf solche Dichterliebe paßt wahrlich der Fichtesche Satz vom Nicht-Ich, das von unserer bewußtlosen Einbildungskraft erzeugt wird und das uns, wenn wir es gewahr werden, wie ein losgelöstes Objekt, wie eine selbständige Erscheinung gegenüberzustehen scheint. Für Novalis war seine Sophie ein solches Nicht-Ich: diese Sophie, die er liebte, war er selbst, war sein Produkt, nur wußte er es nicht.
Als sie starb, wurde sie immer mehr ein bloßes Bild seines Dichtergeistes. Nun hemmte keine irdische Schranke mehr seine Phantasie. Sie wurde der Gegenstand seines Kults, seiner Frömmigkeit. "Ich habe zu Sophie Religion, nicht Liebe." Damals faßte er den Entschluß, ihr nachzusterben, sich durch freiwilligen Tod mit ihr zu vereinigen. Aber er dachte dabei an keinen gewöhnlichen Selbstmord, nur an die Kraft des Geistes: der innige Wunsch und die lebhafte Einbildung sollten dies bewirken. Diese höchst sonderbare Idee, an die er fest glaubte und über die uns seine Tagebuchblätter einen rührenden Aufschluß geben, hängt aufs engste mit seinen philosophischen Grundansichten, besonders mit seiner Lehre vom magischen Idealismus zusammen. Sein Tod sollte Beweis seines Gefühls für das Höchste, "ächte Aufopferung, nicht Flucht, nicht Nothmittel" sein. "Wie ein fröhlicher junger Dichter will ich sterben."
Indes war seine Stunde noch nicht gekommen. Die Idee der Abkehr vom Leben trat zurück, und bald hatte die Erde ihn wieder.
Novalis trat ziemlich früh in den romantischen Kreis. Hier hat er seine beiden vertrautesten Freunde gefunden: zuerst Friedrich Schlegel, später Ludwig Tieck.
Man kann sich kaum zwei größere Gegensätze denken als Novalis und Friedrich Schlegel: Novalis schwärmerisch und nach innen gekehrt, sanft und liebenswürdig, naiv und gesellig; Friedrich ein wetterwendischer Brausekopf, geistreich bis zur Paradoxie und Spitzfindigkeit, agil und agitatorisch, ungemein selbstbewußt und ein stets kampfbereiter Krakeeler. Diese Charakterverschiedenheit hat sich in nichts anschaulicher ausgeprägt als in den Liebesverhältnissen der beiden Männer: Schlegel, der sich mit selbstgefälligem Zynismus in eine sinnliche Leidenschaft stürzt, die er allsogleich literarisch ausbeutet, und Novalis, der seine Verehrung für ein anmutiges Kind in die höchste poetische und religiöse Anschauung verflüchtigt. Trotzdem aber haben beide doch viel voneinander gehabt, und es würde nicht schwerfallen, im einzelnen den Nachweis zu liefern, daß sie sich gegenseitig in der fruchtbarsten Weise angeregt und gefördert haben. Ein Streit darüber, wer von beiden etwa mehr der Gebende und welcher mehr der Nehmende war, ist müßig.
Ganz anders verhielt es sich, als Novalis den jungen Tieck kennenlernte. Hier fanden sich zwei ganz verwandte Naturen, die völlig ineinander aufgingen und sich einander rückhaltslos hingaben. Sie kamen sogleich am ersten Abend auf Du und Novalis schrieb: "Deine Freundschaft hebt ein neues Buch in meinem Leben an."
Zwischen geistig regsamen und empfänglichen Männern ist eine zweifache Art der Freundschaftsbeziehung möglich. Es kann eine Verbindung bestehen, die auf einer wirklichen und tiefgreifenden Übereinstimmung der Gesamtpersönlichkeiten beruht, eine geheime und dunkle Sympathie, die die Seelen gleichsam unterirdisch verbindet und die sich nicht völlig analysieren und begründen läßt, ein Band, das nicht nur die Geister, sondern viel mehr noch die Charaktere aneinanderzieht, und das weniger vom Verstand als vom Willen und vom Gemüt geknüpft wurde – mit einem Wort eine Herzensfreundschaft. Es kann sich aber auch bloß um eine Berührung der Intelligenz und Bildung handeln, es kann auch hier ein sehr freundschaftlicher und nutzbringender Verkehr entstehen, aber es ist klar, daß eine solche Freundschaft auf ganz andern Füßen stehen wird. Denn im Grunde sind es nur Aphorismen, die gewechselt, Kolloquien, die abgehalten werden, und der