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Die LYX-Leser:innen lieben die KINGS OF LONDON!
Der britische CEO Nathan Cove ist attraktiv, erfolgreich und extrem ehrgeizig. Deshalb stört es ihn gewaltig, dass er in den Medien nur als Player bekannt ist. Um allen zu beweisen, dass sein Privatleben sich nicht auf seinen Job auswirkt, erklärt er sich zu einem Interview bereit, das seinen guten Ruf wiederherstellen soll. Womit er allerdings nicht gerechnet hat: Bei der Reporterin handelt es sich um Madison Shore, mit der er vor Kurzem einen heißen One-Night-Stand hatte - und die er seitdem einfach nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Aber auf keinen Fall dürfen sie diese Nacht wiederholen, denn das könnte das Ende ihrer Karrieren bedeuten ...
"Eine fesselnde sowie mitreißende Geschichte. Ich empfehle alle Teile der KINGS OF LONDON-Reihe." BOOK_HEART_LOVE über LONDON HEARTBREAKER
Fünfter Band der KINGS-OF-LONDON-Reihe
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Seitenzahl: 386
Titel
Zu diesem Buch
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
Epilog
Die Autorin
Die Romane von Louise Bay bei LYX
Leseprobe
Impressum
Louise Bay
Lord of London
Roman
Ins Deutsche übertragen von Wanda Martin
Nathan Cove traut seinen Augen nicht, als plötzlich Madison Shore in seinem Büro steht. Madison, mit der er auf der Hochzeit eines Freundes eine leidenschaftliche Nacht verbracht hat – und die sich jetzt als die Reporterin herausstellt, die in einem Artikel seinen guten Ruf wiederherstellen soll. Denn der erfolgreiche CEO hat aufgrund seiner zahlreichen Frauenbekanntschaften in den Medien das Image eines Players. Deshalb muss er dem Vorstand seines Unternehmens unbedingt zeigen, dass sein Privatleben keinerlei Auswirkungen auf seinen Job hat. Niemand darf daher etwas von dem One-Night-Stand mit Madison erfahren. Und auch Madison, die sich endlich als seriöse Journalistin beweisen will, würde die heiße Nacht mit Londons begehrtestem Junggesellen am liebsten vergessen. Doch das wird mit jedem glühenden Blick, den sie teilen, mit jeder prickelnden Berührung unmöglicher. Nathan und Madison bekommen die gemeinsame Nacht einfach nicht aus dem Kopf und wünschen sich nichts sehnlicher, als sie zu wiederholen. Aber wenn die beiden der Versuchung nachgeben, könnte dies das Ende ihrer Karrieren bedeuten …
Ich schaute vom Rand des Rasens aus zu, auf dem sich die Gäste versammelt hatten. Der Bräutigam, einer meiner ältesten Freunde, grinste, als hätte seine Mannschaft gerade den FA Cup gewonnen. Der Fotograf hastete hinter ihm und seiner Braut her, während das glückliche Paar zwischen Grüppchen von Gästen umherschwirrte, die Kanapees und Champagner genossen.
Alle waren voller Lächeln, Luftküsse und Glückwünsche.
Alle außer mir. Ich hasste Hochzeiten.
Im Grunde ging es um Small Talk. Manche waren gut darin, übers Wetter zu quatschen, über Wimbledon oder worüber beim Small Talk auch sonst so geredet wurde.
Ich gehörte nicht dazu.
Nahm man noch den schlechten Wein, kaltes Essen und die langen Reden hinzu, wurden Hochzeiten für mich persönlich zu einer höllischen Mischung. Und das hatte schon gegolten, bevor gestern Abend die kurz vorm Explodieren stehende Bombe in meinem Schoß gelandet war.
Ich sollte in London sein. Arbeiten. Planen. Strategien entwickeln. Entschärfen. Stattdessen lauschte ich dem Tick, Tick, Tick – ohnmächtig, die Explosion aufzuhalten, die, das wusste ich, kommen würde. Ich schaute auf mein Handy. Gretel sollte sich um vier mit Einzelheiten über eine Last-Minute-Story bei mir melden, die der Sunday Mercury morgen über mich zu bringen vorhatte – so etwas beunruhigte mich normalerweise nicht, aber angesichts meines aktuellen Verhältnisses zum Aufsichtsrat konnte ich es mir nicht leisten, auch nur irgendetwas zu ignorieren. Fünfzehn Uhr achtundfünfzig. Ihr blieben noch zwei Minuten.
Tick, tick, tick.
Das Smartphone brummte in meiner Hand. Na, zumindest war sie pünktlich. Ich ging in Richtung Bäume und drückte auf Annehmen. »Schießen Sie los.«
»Die haben Fotos von Ihnen mit Audrey Alpern. Ist das Mark Alperns Frau?«, fragte sie.
Die Nachricht blieb mir im Hals stecken, als hätte ich einen Mundvoll Sägespäne geschluckt. Scheiße, Scheiße, Scheiße.
Seit ich Astro Holdings an die Börse gebracht hatte, wurde getuschelt, ob mein Hauptaugenmerk auf der Firma lag … oder anderswo. Jetzt verwandelte sich das Getuschel in Geschrei. Die Branche glaubte nicht, dass ich ordentlich arbeiten und mich ordentlich austoben konnte. Aber so war ich schon immer gewesen. Meine zwei Leidenschaften im Leben waren Arbeit und Eroberungen – Geschäft und Vergnügen. Damit war ich immer gut gefahren.
Bis jetzt.
Bis zum Börsengang von Astro.
Nun musste ich nicht mehr nur mir selbst Rede und Antwort stehen, jetzt nahmen Rentenfonds, Investoren und die Wirtschaftspresse – mal ganz zu schweigen vom Aufsichtsrat – alles, was ich tat, genauestens unter die Lupe.
Offenbar glaubte der Rest der Welt nicht, dass man gleichzeitig ein FTSE-100-Unternehmen leiten und seinen Spaß haben konnte.
»Ja«, erwiderte ich und räusperte mich. »Ich war schon mit den beiden befreundet, bevor sie geheiratet haben. Wir haben uns an der Uni kennengelernt.«
»War Mark gestern Abend mit dabei?«, fragte sie.
»Nein.« Natürlich nicht. Audrey war zu mir gekommen, weil sie Hilfe brauchte. Rat. Unterstützung. Bombenentschärfungsexpertise. Ihr Ehemann hatte sie betrogen – alle betrogen. Mark war der allerletzte Mensch, der gestern Abend mit dabei gewesen sein könnte.
»Tja, der Mercury schießt mit Wörtern wie Playboy und Verräter und …«
»Und keins dieser Wörter trifft als Beschreibung auf mich zu, wie sieht also Ihr Plan aus?« Der Aufsichtsrat hatte mich gezwungen, eine PR-Managerin einzustellen, um meinen Ruf als Playboy, der sich mehr für Frauen interessierte als fürs Geschäft, geradezurücken, also musste sie jetzt ihren Job machen.
»Mein Plan ist, dass Sie mir erzählen, warum Sie um drei Uhr morgens mit der Frau eines anderen Manns bei Annabel’s waren. Meistens ist es besser, bei der Wahrheit anzufangen.«
»Sie ist eine Freundin. Wir waren zusammen was trinken.«
Gretel stöhnte am anderen Ende der Leitung. Sie nahm an, dass ich log. Hätte ich etwas Pikantes zu verbergen, würde ich das vielleicht auch. Doch ich sagte die Wahrheit. Es war nur nicht die ganze Wahrheit.
»Tja, Houston, wir haben ein Problem«, sagte sie.
»Ich schlafe nicht mit Audrey Alpern.« Wenigstens hatte der Mercury nicht den wahren Grund aufgedeckt, warum wir uns gestern Abend getroffen hatten.
»Es kümmert mich nicht, ob Sie mit ihr schlafen oder nicht«, erwiderte Gretel. »Was mich kümmert, ist, dass es so aussieht, als würden Sie mit ihr schlafen.«
»Und mich kümmert nicht, wie es aussieht«, sagte ich. »Mich kümmert nur die Wahrheit. Und die Wahrheit lautet, dass sie nur eine Freundin ist. Wir waren was trinken. Da gibt es keine Story.« Wieder eine Lüge. Es gab sehr wohl eine Story, aber die war viel größer als die Geschichte, dass ich mich mit einer verheirateten Frau getroffen hatte. Nur war es nicht an mir, sie zu erzählen.
»Leider lassen sich mit solcherlei Wahrheiten keine Zeitungen verkaufen. Wir müssen denen irgendeine Erklärung liefern.«
»Soll ich etwa was erfinden?«, fragte ich.
Gretel seufzte. Seit ihrem Jobantritt machte ich ihr das Leben nicht gerade leicht, doch es ärgerte mich, dass der Aufsichtsrat mein berufliches Engagement infrage stellte, obwohl sie mit am Tisch saßen und erlebten, wie das Unternehmen florierte. Astro übertraf in jeder Hinsicht sämtliche Zielvorgaben.
»Wir müssen eine alternative Sichtweise auf Ihr öffentliches Image anbieten.«
Trotz Astros Erfolg stand ich gefährlich kurz davor, von ebenjenem Führungsgremium entlassen zu werden, das ich selbst geschaffen hatte. Sollten sie annehmen, dass ich mit der Ehefrau eines anderen schlief, vor allem eines Mannes, der zufälligerweise einer der größten Vermögensverwalter Londons war, und dass ich auch noch die PR-Managerin ignoriert hatte, dann würde die Guillotine meinem Hals noch näher rücken.
»Man hält Sie für nichts weiter als einen launischen Playboy«, fuhr Gretel fort. »Einen, der die Presse nicht mag. Menschen fühlen sich aber gern gemocht.«
»Es ist mir scheißegal, ob man mich mag.« Beliebtheit wurde überschätzt. Mir waren Ergebnisse wichtig. Loyalität. Dinge erledigen und vorankommen. Nicht, es auf anderer Leute Weihnachtskartenliste zu schaffen.
»Tja, Sie sind in vielerlei Hinsicht besonders«, sagte sie mit einer Singsangstimme, als ob sie einem Kind verkündete, sein Bild hätte es verdient, in der National Gallery ausgestellt zu werden. »Ich versuche, Ihnen zu helfen. Und wenn Sie meine Hilfe wollen, müssen Sie mit mir kooperieren und sich der Welt von Ihrer besten Seite präsentieren. Zeigen Sie allen, warum Sie der jüngste CEO eines FTSE-100-Unternehmens sind, den es je gab. Zeigen Sie, dass Sie klug sind, fokussiert, entschlussfreudig – und vor allen Dingen offen.«
Ich wollte Gretel nicht brauchen, doch so war es. Astro Holdings war mein Lebenswerk, meine Passion, und ich würde alles tun, was nötig war, um sicherzustellen, dass ich meinen Posten behielt. Andererseits war die Aussicht, von dem Aufsichtsrat entlassen zu werden, den ich selbst eingesetzt hatte, nicht mal die schlimmste, die mir für die kommenden Wochen bevorstand.
Wenn auch nur die Hälfte von dem stimmte, was Audrey mir gestern Abend erzählt hatte, würde es wohl mein geringstes Problem sein, für einen launischen Frauenhelden gehalten zu werden. Dass ich mit Mark Alpern befreundet war, würde mich und die Menschen, die mir etwas bedeuteten, wahrscheinlich zum zweiten Mal im Leben teuer zu stehen kommen. Diesmal musste ich mich schützen. Audrey schützen.
»Denken Sie da an etwas Bestimmtes?« Mit diesen Fotos des Mercury war es, als würde ich mir in die Hand schneiden und dann blutend surfen gehen. Wenn ich sie ignorierte, beschwor ich den Ärger geradezu herauf. Wenn die Mark-Alpern-Bombe irgendwann platzte, würden die Haie mich einkreisen und verschlingen.
»Wir müssen eine regelrechte Kampagne starten, um Sie in ein neues Licht zu rücken. Das Herzstück wäre ein ausführliches Porträt von Ihnen in einer großen überregionalen Zeitung wie der Post. Sie geben denen vollständigen Einblick – keine Fragen, Lebensbereiche oder Geschäftsangelegenheiten sind tabu.«
Das klang nach meinem schlimmsten Albtraum. Ich war weit davon entfernt, zurückgezogen zu leben, doch ich hatte gern meine Privatsphäre. Obwohl ich mich selbst nicht für einen Playboy hielt, gehörte zu meinem Privatleben dazu, dass ich ziemlich regelmäßig mit Frauen ins Bett ging. »Ich bin nicht sicher, ob das funktionieren wird.«
»Es ist der einzige Weg – völlige Transparenz«, blieb sie beharrlich. »Dann bauen wir ein bisschen Wohltätigkeitsarbeit ein, wie das Unternehmen soziale Verantwortung übernimmt. Sie werden mit einflussreichen Persönlichkeiten der Londoner Geschäftswelt schick essen gehen müssen, aber wenn Ihnen Ihre Position als CEO von Astro wichtig ist, dann sage ich Ihnen, muss das sein.«
Verfluchter Mark Alpern. Wäre er nicht im Fokus laufender polizeilicher Ermittlungen, hätte ich mich gestern Abend nicht mit Audrey getroffen und müsste jetzt nicht dieses Gespräch führen. An all dem war er schuld.
Die Schuldzuweisungen mal beiseite, mein Unternehmen stand auf dem Spiel. Ich war nicht bereit, alles zu opfern, wofür ich so hart gearbeitet hatte. Das hatte ich schon einmal für Mark getan, und es würde kein zweites Mal geben.
»Leiten Sie alles in die Wege«, sagte ich.
»Betrachten Sie es als schon erledigt«, erwiderte sie. »Ich habe da eine Journalistin im Kopf, die wahrscheinlich etwas milder mit Ihnen sein wird. Sie …«
»Ich bin hier gerade auf einer Hochzeit. Ich rechne für Montag mit einem entsprechenden Termin.« Einzelheiten brauchte ich nicht zu wissen. Dies war die Gelegenheit für Gretel zu beweisen, dass sie so gut war, wie alle behaupteten. Und wenn sie recht hatte, war es auch für mich die Bewährungsprobe, um zu beweisen, dass ich so gut war, wie ich immer dachte.
Mit einem vollen Champagnerglas in der Hand stand ich in der Sonne, schaute Braut und Bräutigam zu und hatte eigentlich keinen Grund zur Beschwerde.
Nur dass ich Hochzeiten hasste.
Besonders solche, auf denen ich nur das Brautpaar kannte. Ich lächelte, als Noah Truly zum Lachen brachte, indem er ihr etwas ins Ohr flüsterte. Der Fotograf blieb stets in der Nähe der beiden, um mit jedem Klick ihr Glück und ihre Liebe festzuhalten. Wenn jemand das verdiente, dann Truly. Ich freute mich ehrlich, hier zu sein und mitzuerleben, wie sie ihren märchenhaften Bund fürs Leben schloss. Nur wünschte ich, ich käme mir nicht so … sonderbar vor. Nichts gab einem Single dermaßen das Gefühl, einsam zu sein, wie eine Hochzeit.
Wäre ich noch beim Rallegra-Magazin, könnte ich mich damit beschäftigen, mir zu überlegen, wie sich aus dem Wochenende ein Beitrag stricken ließe: Wie man eine Hochzeit ohne Begleitung überlebt oder One-Night-Stands auf Hochzeiten: Ja, ich will? Doch mittlerweile versuchte ich, mir meinen Traum zu erfüllen und eine richtige, seriöse Journalistin zu werden. Hochzeiten würden einfach keine Inhalte liefern, auf die mein Chefredakteur aus war – es sei denn, ich schaffte es, einen Coup zu landen. Menschenunwürdige Arbeitsbedingungen in der Glitterfabrik vielleicht oder die dunklen Schattenseiten der Floristik. Alles weit hergeholt.
Nachdem ich den Sprung gewagt hatte, als Freelancerin zu arbeiten, damit ich ernsthaften, knallharten Journalismus betreiben konnte, war es mir gelungen, eine Elternzeitvertretung bei der Post zu ergattern. Der Post – ich konnte es kaum fassen. Ein paarmal war ich schon versucht gewesen, ein Kissen mit zur Arbeit zu nehmen und unter meinem Schreibtisch zu schlafen, so entschlossen war ich, möglichst viel aus dieser Chance zu machen.
Selbstverständlich war es etwas ganz anderes, für die Post zu schreiben als für die Rallegra. Ich war es gewohnt, peppige Artikel übers Stricken zu verfassen oder wie man sein Sexleben aufpeppte oder darüber, wie man mit Stricken sein Sexleben aufpeppte. Von heute auf morgen musste ich umschalten und nun über führende Politiker recherchieren oder zu Rechtsverstößen in der Aluminiumindustrie. Das war aufregender, als es sich anhörte. Ich liebte es, mich in ein Thema zu vertiefen und wochenlang über nichts anderes nachzudenken, statt von Schminktipps zu den schönsten neuen Ponchos zu springen.
Das Problem war nur, dass ich es aufgrund fehlender Kontakte und meiner Vergangenheit bei Frauenmagazinen noch nicht geschafft hatte, eine gewichtige Story aufzutun. Ich hatte nur hier und da kleinere Berichte geliefert oder anderen, erfahreneren Journalisten bei der Recherche geholfen. Aber dies war meine Chance, Furore zu machen. Zu beweisen, dass ich nicht nach meiner Mutter kam und dazu vorbestimmt war, Klatschkolumnistin zu werden. Würde ich es in den nächsten drei Monaten schaffen, Eindruck zu hinterlassen, stünde ich ganz oben auf der Liste, wenn mal eine feste Stelle frei würde.
Die Uhr tickte.
Ich leerte gerade mein Champagnerglas, als wir nach drinnen gebeten wurden. Wenigstens gab es eine Sitzordnung, und ich würde während des Empfangs jemanden zum Unterhalten haben. Ich lernte für mein Leben gern neue Leute kennen. Ich stellte für mein Leben gern Fragen, fühlte ihnen auf den Zahn, fand heraus, wie sie tickten. Egal, wer während des Empfangs neben mir sitzen würde, wenn die ersten Reden gehalten werden würden, wäre ich schon in der Lage, ein Buch über denjenigen zu schreiben.
Vor dem lichtdurchfluteten Wintergarten hing der Sitzplan aus, und ich entdeckte meinen Namen in der Auflistung der Gäste von Tisch acht. Als ich hineinging, fiel mein Blick auf Unmengen grüner und weißer Blumen, die vom Glasdach hingen und sich über förmlich jeden Tisch und jede Oberfläche ergossen.
Es war umwerfend. Wenn ich heiraten würde, sähe meine Hochzeit ganz genauso aus.
Ich begab mich zu Tisch acht, setzte mich und schaute mich um, ob sich irgendwer näherte. Ich las die Tischkärtchen zu beiden Seiten von mir. Auf dem linken stand »Nathan Cove« – der arme Kerl hatte wahrscheinlich noch nie was von diesem bekloppten Banker gehört, der sich quer durch London vergnügte, seit er letztes Jahr durch den Verkauf seines Unternehmens zehn Billionen Pfund oder so gemacht hatte. Über den Nathan Cove wusste ich alles, denn meine Mutter schrieb gern über ihn – was hieß, dass ich abends beim Essen von seinen Taten hörte. Der Nathan Cove hier stand wahrscheinlich auf Tabellen und wohnte bei seiner Mum. Zu meiner Rechten wiederum saß Tom Miller. Das war ein Thomas-Hardy-mäßiger Name, der die Vorstellung von einem durch und durch integren Mann mit Mumm heraufbeschwor – einem Mann mit einer Geschichte. So langsam fühlte ich mich etwas wohler. Zwei Leute, die gezwungen sein würden, sich mit mir zu unterhalten. Ich konnte sie ausfragen, bis ich in der Lage wäre, ihre Biografien zu schreiben.
Perfekt.
Ein älteres Paar näherte sich dem Tisch und sah nach den Platzkärtchen. »Das sind unsere, Marjorie«, sagte ein Gentleman mit grauem Bart und ebensolchen Haaren, die hochstanden, als hätte er gerade einen elektrischen Schlag abbekommen.
Er wandte sich mir zu. »Ich bin Tom Miller«, sagte er.
Nicht ganz der grüblerische Held, den ich mir vorgestellt hatte, aber er sah ganz nett aus. Außerdem besaß er möglicherweise eine lange dunkle Vergangenheit, der ich auf den Grund gehen konnte.
»Ich bin Madison«, erwiderte ich.
»Sie heißen Medicine?«
»Madison«, sagte ich etwas lauter.
»Ahh, Mary. Verzeihung. Sie müssen entschuldigen, meine Liebe, ich bin ein wenig taub auf dem linken Ohr.«
Meine Zuversicht sank. So viel dazu, Mr Tom Miller tausend Fragen nach seiner Vergangenheit zu stellen. Ich war mir nicht mal sicher, ob er mich hören würde, wenn ich ihn bat, mir die Butter zu reichen. Er war damit beschäftigt, seiner Frau den Stuhl zurechtzurücken und allen am Tisch Wasser einzuschenken, als jemand den Stuhl zu meiner Linken hervorzog.
Ich spürte einen Ruck an meinem Kleid, gefolgt vom Ratschen zerreißenden Stoffs. Als ich den Kopf drehte, stellte ich fest, dass der Ärmel meines rosa Kleids an der Lehne von Nathan Coves Stuhl festhing. Das Loch wurde immer größer, und ich schob meinen Stuhl zurück, um zu verhindern, dass der ganze Ärmel abgerissen wurde.
»Halt!«, rief ich aus. »Sie zerreißen mein Kleid.«
Ich verrenkte den anderen Arm, um mich loszumachen, kam jedoch nicht an die Stelle, also drehte ich mich und streckte ein Bein über Nathan Coves Stuhl, um das Gleichgewicht zu halten, während ich zu verhindern versuchte, dass der Riss noch größer wurde. Es brachte nichts – ich kam immer noch nicht dran –, das einzige Resultat war, dass ich mich nach meinen überhasteten Manövern breitbeinig über dem Stuhl hockend wiederfand.
Die Person, die Nathans Stuhl bewegt hatte, trat näher, etwa zehn Zentimeter vor mich. »Gehen Sie mir wohl aus dem Licht?«, blaffte ich. »Ich kann nicht sehen, wo ich festhänge.«
»Das würde ich ja, dann bekäme aber der ganze Saal etwas zu sehen, von dem ich mir nicht sicher bin, ob Sie vorhatten, es allen schon in einem so frühen Stadium der Feier zu präsentieren.«
Beim Klang der tiefen, sonoren Stimme schaute ich hoch, und mir blieb kurz die Luft weg, als ich die langen Wimpern und funkelnden Augen des Mannes erblickte. Es dauerte ganze drei Sekunden, bis mir wieder einfiel, dass ich an einer Stuhllehne festhing und gerade darauf hingewiesen worden war, dass ich allen meinen Schlüpfer präsentierte.
»Shit«, sagte ich und stieg dabei von Nathans Stuhl, sodass ich zwischen den beiden Stühlen kauerte – die Beine fest zusammengepresst –, während ich am Stoff meines Ärmels herumzuppelte.
»Darf ich behilflich sein?«, fragte Mr Wimpern genau in dem Moment, als ich mich von seinem Stuhl losmachte. Ich versuchte, mich aufzurichten, damit ich ihm antworten konnte, ohne das Gesicht dabei auf Höhe seines Schritts zu haben, doch meine Haare ließen mich wieder hinunterschnellen. Verfluchter Mist. Jetzt hingen meine Haare fest. Diese Stühle sollten mit einem Warnhinweis versehen sein. Ich probierte, sanft den Kopf wegzuziehen, kam jedoch nicht frei. Krampfhaft versuchte ich herauszufinden, wo ich festhing, doch meine Haare waren scheinbar überall. Je mehr ich mich bemühte, desto doller verhedderte ich mich. Vorgebeugt stehend, die Haare über Kopf, konnte ich nichts sehen.
Ich gab mich geschlagen.
»Jemand wird mich losschneiden müssen«, verkündete ich dramatisch.
Und mich dann töten, bevor ich vor Scham umkam.
»Halten Sie still«, sagte Mr Stimme-tiefer-als-die-Cheddar-Schlucht und ging neben mir in die Hocke. Er teilte mein Haar wie einen Vorhang. Kopfüber betrachtet sah er aus, als wäre er ungefähr in Noahs Alter. Doch seine Haare waren dunkler – kurz und praktisch geschnitten –, und dann diese Wimpern. Meine Güte, was für eine Verschwendung. Ich würde massig Geld für solche Wimpern hinblättern. »Sie müssen aufhören, so zu zappeln, Sie machen es nur noch schlimmer«, sagte er.
»Hey«, erwiderte ich, »das hier ist nicht meine Schuld.« Aber ich hielt so still ich nur konnte. Damit ich nicht doch unabsichtlich zuckte, stützte ich die Hände auf die Oberschenkel, als würde gleich jemand einen Bocksprung über mich machen. So, wie der Tag bisher lief, konnte das durchaus passieren.
Ich blieb gefühlte Stunden so stehen. Endlich trat Mr Bestimmerton zurück. War es das? War ich frei?
»Es hat keinen Zweck«, sagte er. »Ihr Haar hat sich heillos im Stuhl verheddert. Ich gehe eine Schere holen und schneide es ab.«
»Verheddert?« Es war zu geschmeidigen, glamourösen Wellen gestylt gewesen, nicht eine Klette in Sicht. »Bitte sagen Sie mir, dass Sie es nicht abschneiden müssen.« Ich betastete meinen Oberkopf, um den Schaden abzuschätzen.
Der Mann lachte in sich hinein und tätschelte mir dann den Kopf, als wäre ich ein Hund. »War nur Spaß. Alles gut. Ich habe Sie befreit.«
Ruckartig richtete ich mich auf und sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an. »Ein Mann sollte niemals Witze darüber reißen, dass er einer Frau die Haare abschneiden muss«, gab ich zurück. »Ich hätte vor Schock sterben können, was Noah und Truly den Tag verdorben hätte.« Ich schaute mich um, um festzustellen, ob irgendjemand dieses Theater – und meinen Schlüpferblitzer – mitbekommen hatte.
Seine Mundwinkel zuckten, und seine Wimpern flatterten wie Schmetterlingsflügel. »Tut mir wirklich leid. Nächstes Mal weiß ich Bescheid.« Wie er mit den Augenbrauen wackelte, ließ vermuten, dass es ihm ganz und gar nicht leidtat.
Als ich mich verdrehte und den Ärmel meines Kleids zu mir zog, sah ich das klaffende Loch, das entstanden war. »Ich bin für dieses Kleid an mein Mietkautions-Sparkonto gegangen«, sagte ich und zeigte ihm dabei das Loch. Ich hatte leichte Übelkeit verspürt, als ich dem Verkäufer meine Bankkarte aushändigte. Mir war klar gewesen, dass ich das Kleid nicht oft tragen können würde, aber es war eines von der Sorte, die sich von »ganz hübsch« auf dem Bügel zu absolut magisch verwandelten, wenn man es anzog. Ich hatte augenblicklich fünf Kilo schlanker ausgesehen, die Farbe brachte meine Haut zum Strahlen, und mein Hintern sah darin aus, als hätte ich ihn Jennifer Lopez geklaut. Und jetzt war ich mir ziemlich sicher, dass das magische Kleid nicht mehr zu retten war.
»Niemand schaut auf das Kleid«, erwiderte er, zog den bösen Stuhl hervor und setzte sich.
Wahrscheinlich hatte er recht. Alle würden nur Augen für die wunderschöne Truly haben. So sollte es auch sein – nicht nur weil sie die Braut war, sondern weil sie noch dazu so umwerfend aussah wie ein Filmstar.
»Sie schauen die schöne Frau an, die es trägt«, sagte er, während er auf mein Tischkärtchen schaute.
Mit einem Mal war ich etwas sprachlos. Dass er das sagen würde, hatte ich nicht erwartet, und ich wusste nicht recht, ob ich hingerissen sein oder würgen sollte.
»Madison, ich bin Nathan. Schön, Sie kennenzulernen.«
»Tja, ich hoffe, es ist nett, Ihre Bekanntschaft zu machen. Sie versuchen doch nicht etwa, mich umzubringen, oder?«, fragte ich.
Er blinzelte und zog dann leicht die Stirn kraus – ein Politiker, der sich in einer Polit-Talkshow harten Fragen stellte. »Oh doch, allerdings. Ich bin auf der Hochzeit der beiden nettesten Menschen Englands, um zu morden. Bisher läuft es nicht besonders gut, aber ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Ich habe das Hühnchen mit Gift präpariert.«
Ich verdrehte die Augen, um das Lächeln zu überspielen, das sich auf mein Gesicht schlich.
Die Hochzeitsgesellschaft nahm Platz, und die Kellner und Kellnerinnen fingen an, die Vorspeise zu servieren. Wenigstens konnte ich mich aufs Essen freuen, auch wenn ich gerade dem ganzen Saal meine Unterwäsche präsentiert hatte.
»Das sieht doch gut aus?«, wandte ich mich an den schwerhörigen Tom rechts von mir, in der Hoffnung, dass er bei der Beschreibung seines Zustands übertrieben hatte.
»Du lieber Gott, nein. Ich glaube, das ist Hühnchen«, erwiderte er.
Ich seufzte. Ich würde peinlich berührt hier sitzen und mich mit Mr Er-hat-meinen-Schlüpfer-gesehen unterhalten müssen. Und danach so schnell wie nur menschenmöglich aus der beschämenden Situation nach oben in mein Hotelzimmer fliehen. Während ich das Hühnchenconfit probierte, hob Nathan Cove sein Glas, trank einen Schluck Wein und zuckte zusammen.
»Mögen Sie keinen Wein?«
Vielleicht war er doch kein tabellenliebender Nerd, der bei seiner Mutter wohnte. Vielleicht war er einer dieser Algorithmus-Experten, die für eine Investmentbank arbeiteten und Wein kauften, der mehr kostete als meine Jahreskarte für die U-Bahn. Mit Männermode kannte ich mich nicht gut aus, aber sein Anzug sah maßgeschneidert aus, und ich war mir sicher, dass der Stoff sich butterweich unter meinen Fingern anfühlen würde. Nie im Leben würden seine breiten Schultern oder die starken gewölbten Muskeln seiner Oberarme in einen Anzug von der Stange passen. Ein Anzug wie dieser musste maßgeschneidert sein und genauso akkurat wie der Mann, der ihn trug.
»Nein, den Wein mag ich überhaupt nicht«, antwortete er. »Ich trinke nicht viel, aber wenn, dann habe ich … besondere Vorlieben.« Er betonte die letzten beiden Worte, als würde er etwas anderes meinen als Alkohol.
»›Besondere Vorlieben?‹ Trinken Sie Lama-Milch oder Cherry-Cola oder was?«
Er rümpfte die Nase. »Cherry-Cola? Im Ernst? Natürlich nicht.«
Lama-Milch war anscheinend absolut annehmbar. »Also, was genau sind Ihre besonderen Vorlieben?« Hab keine Angst, geradeheraus zu fragen, sagte meine Mutter immer. Wenn man es nicht schafft, etwas aus jemandem herauszukitzeln, kann man denjenigen manchmal mit Direktheit überrumpeln.
»Wir machen Small Talk.« Als er auf meinen Mund schaute, fasste ich mir unwillkürlich an die Lippe, um zu fühlen, ob dort womöglich ein Brotkrümelchen klebte. Nein, nichts, zum Glück.
Da er meiner Frage auswich, wollte ich seine Antwort noch umso mehr hören. »Wir sind auf einer Hochzeit«, erwiderte ich. »Da macht man das so. Wir sind Fremde, die abgesehen von der Tatsache, dass sie für einige Stunden nebeneinander hocken, keinen Grund haben, sich zu unterhalten. Also, erzählen Sie mir von Ihren besonderen Vorlieben.« Und dann kam mir schlagartig ein Gedanke – sprach er etwa von Drogen? Womöglich saß ich neben jemandem, der zwar keine Coke mochte, aber …
»Tja, ich mache das nicht«, erwiderte er. »Small Talk betreiben, meine ich. Darin war ich noch nie gut. Ich mache es nur, wenn ich dazu gezwungen bin.«
»Dann betrachten Sie sich als dazu gezwungen.«
Leise lachend lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück. Selbst im Sitzen überragte er mich.
»Ich trinke gern mal einen Shot guten Tequila«, sagte er, und sein Blick huschte zu mir, als wappnete er sich für meine Reaktion.
»Oh«, erwiderte ich. »Ich dachte, es käme ein bisschen was Interessanteres als das. Ich dachte, Sie würden mir irgendein schmutziges Laster gestehen.«
Er beugte sich näher und flüsterte: »Der Abend ist noch viel zu jung, um Ihnen von meinen schmutzigen Lastern zu erzählen.« Grinsend wich er wieder zurück, seine Wimpern drohten fast, Feuer zu fangen, so sehr blitzte es in seinen Augen. »Mögen Sie keinen Tequila?«, fragte er.
Ich zuckte mit den Schultern. »Ist ganz okay. Ich glaube, ich habe seit der Uni keinen mehr getrunken.«
Er lachte, als hätte ich gerade etwas total Idiotisches gesagt.
»Was denn?«, fragte ich. »Ich darf Tequila nicht mögen, wenn ich will.«
»Dann haben Sie nur noch nicht den richtigen getrunken. Warten Sie kurz.«
Auf der Stelle stand er auf und ging zur Bar in der Ecke. Er war groß, bewegte sich aber geschmeidig auf eine selbstbewusste Art zwischen den Tischen und Stühlen hindurch, die verriet, dass er für einige Unruhe sorgen konnte.
Er kehrte mit einer teuren Flasche zurück und stellte sie zusammen mit einem Tablett Schnapsgläser auf den Tisch. »Tequila«, verkündete er in die Runde. »Wer möchte einen?«
Die anderen murmelten »Nein danke« und deuteten auf ihre Weingläser, also goss Nathan zwei Shots ein und reichte mir einen.
»Ich denke, ich werde auch beim Wein bleiben«, sagte ich.
»Oh nein. Wenn ich Small Talk machen muss, dann müssen Sie den trinken.«
»Sie sind nicht besonders charmant«, entgegnete ich. »Ich bin eine tolle Tischnachbarin. Ich bin lustig – manchmal jedenfalls – und kann auf jeden Fall gut zuhören. Sie brauchen sich nicht zu betrinken, um sich mit mir zu unterhalten.«
Er lachte leise. »Das habe ich nicht gesagt.«
»Doch, genau das haben Sie gesagt. Es hieß: ›Wenn ich Small Talk mit Ihnen machen muss, dann müssen Sie den trinken‹, wenn ich mich recht erinnere.« Was ich tat. Denn Zitate zu behalten war mein Job. Oder gehörte zumindest dazu.
Er zuckte mit den Schultern. »Ich will Sie nicht betrunken machen. So einer bin ich nicht. Ich habe bloß versucht, Ihnen guten Tequila nahezubringen, mehr nicht.«
Ich lag falsch. Er war ziemlich charmant. Womöglich hatten mich seine Wimpern aber auch hypnotisiert.
Demonstrativ ließ ich den Shot stehen, den er mir eingeschenkt hatte, und griff nach meinem Weinglas. »Also, Nathan Cove, keinerlei Verwandtschaft mit dem Typen, über den ich in den Klatschspalten gelesen habe, dass er gerade sein Unternehmen verkauft hat und seinen Penis nicht in der Hose behalten kann?«
»Nope«, antwortete er.
»Da bin ich erleichtert«, erwiderte ich. »Dem Kerl hätte ich ungern meinen Slip präsentiert.«
»Halten Sie sich bloß niemals zurück, wenn Sie das Bedürfnis überkommt, Ihren Slip blitzen zu lassen. Das Rosa schmeichelt Ihrem Teint. Ach, und ich bin nicht mit dem Nathan Cove verwandt, von dem Sie gerade sprachen, ich bin er. Und ich habe zwar tatsächlich vor Kurzem meine Firma an die Börse gebracht, aber ich bin nicht so ein Playboy, wie die Presse es Sie glauben machen will.«
Erschieß. Mich. Einer. Würde diese Kette von Peinlichkeiten gegenüber diesem Mann denn niemals enden?
»Die Zeitungen sind schrecklich«, murmelte ich in meinen Wein, was so gar nicht dagegen half, dass mir die Hitze in die Wangen stieg. Ich ermahnte mich, ihm nicht zu erzählen, dass ich Journalistin war, und auf gar keinen Fall zu erwähnen, mit wem ich verwandt war. Wie hatte ich ihn nur nicht erkennen können? Wahrscheinlich, weil ich die Kolumne meiner Mutter selten las. Das brauchte ich nicht, denn ich musste mir eh alle pikanten Details anhören, bevor sie durch die Presse gingen – ob es mir gefiel oder nicht.
»Ich ignoriere sie«, sagte er.
Als er sich mit dem Handteller übers Kinn rieb, bemerkte ich leichte Augenschatten bei ihm. Obwohl er aussah, als müsste er mal richtig ausschlafen, besaß er ein attraktives Gesicht wie aus dem Lehrbuch: kräftige Nase, kantiges Kinn, Wangenknochen, wie ich sie mir tagtäglich mit Rouge hinzuschminken versuchte. Kein Wunder, dass er es gewohnt war, viel Beachtung von der Frauenwelt zu bekommen. Selbst ich stellte fest, wie ich bei seinem Anblick unwillkürlich die Brüste zusammendrückte, um so was wie ein Dekolleté zu erzeugen. Es war eine instinktive biologische Reaktion meines Körpers auf ein so hübsches Gesicht und einen so … großen Körper.
»Also, wenn der Tequila angeblich derart super ist, warum wirken Sie dann, als würden Sie an Gift nippen?«, fragte ich. »Wenn er tatsächlich so toll wäre, wären Sie inzwischen schon bei Ihrem zweiten Glas.«
Er drehte sich um und legte eine seiner großen Hände auf die Lehne meines Stuhls, sodass ich zwischen ihm und dem Tisch gefangen war. Mit gesenkter Stimme schien er wie eine übergroße Wildkatze zu schnurren: »Wenn Sie es für eine gute Idee halten, einen Tequila auf ex zu trinken, der zweitausend Pfund pro Flasche kostet, haben Sie eindeutig keine Ahnung, wie man die schönen Dinge des Lebens genießt. Die sollte man nämlich auskosten.« Als er den Blick ein zweites Mal auf meine Lippen senkte, stockte mir der Atem in der Brust. »Ganz gemächlich«, fuhr er fort. »Das Vergnügen sollte sich hinziehen und andauern.«
Es war, als hätte jemand bei meinem Herzschlag den Beschleunigungshebel umgelegt – und so nah, wie er mir war, konnte Nathan den rasenden Rhythmus sicherlich hören.
Ich schluckte, Hitze breitete sich von meinem Bauch aus und stieg meinen Hals hinauf. »Okay«, sagte ich leicht atemlos. »Ich probiere ihn.« Als ich nach meinem Glas griff, berührte mein Arm seinen, und entfachte Tausende kleine Funken auf meiner Haut.
Ich schaute zu ihm hoch, um herauszufinden, ob er das auch gespürt hatte. Seine geweiteten Augen und der leicht geöffnete Mund ließen vermuten, dass es so war – und das war noch bevor seine Zunge hervorschnellte, um seine vollen weichen Lippen zu befeuchten.
Du lieber Gott, er sah aus, als würde er mich gleich küssen. Und ich war kurz davor, es zuzulassen.
Auf gar keinen Fall, schalt ich mich selbst.
Zumindest nicht vor den Hochzeitsreden.
Auf den Typ eigenwillig stand ich normalerweise nicht, aber Madison Shore hatte etwas an sich, das meinen Appetit weckte und meine Finger darauf brennen ließ, sie zu berühren. Vielleicht würde diese Hochzeitsfeier doch gar nicht so schlecht werden. Nach dem Gespräch mit Gretel musste ich mich vom Ticken der Zeitbombe ablenken, solange ich in diesem Landhotel mitten im Nirgendwo feststeckte.
Sie wandte den Blick ab, nahm das Glas Tequila und hielt es sich an ihre sinnlichen, vollen roten Lippen.
»Langsam«, sagte ich und ließ den Blick hinunter zu ihrem Busen und wieder hinauf zum Mund wandern, der irgendwie eine magnetische Anziehungskraft zu besitzen schien. »Benetzen Sie zuerst nur Ihre Lippen, und kosten Sie mit der Zungenspitze.«
Ich wüsste noch einiges anderes, was sie mit ihrer Zunge anstellen könnte, wenn sie mit dem Tequila fertig war.
Mir gefielen Frauen, die eine Herausforderung darstellten und nicht etwa schon kicherten, sobald wir einander vorgestellt wurden. Ob ich eine Nacht oder eine Woche mit einer Frau schlief, ich zog es vor, wenn sie einem Paroli bieten konnte. Wie ich festgestellt hatte, ließ die Art, wie eine Frau in komplett angezogenem Zustand war, häufig darauf schließen, wie sie sich nackt verhielt – und ich schlief nicht gern mit passiven Frauen.
Das würde Madison nicht sein. Diese üppigen rotbraunen Locken würden wippen, wenn sie mich ritt. Diese roten Lippen würden sich perfekt um meinen Schwanz schmiegen, wenn sie mich tief in sich aufnahm, und ihre Brüste … Ich unterdrückte ein Stöhnen, das in meiner Brust rumorte.
Sie zog misstrauisch die Augenbrauen zusammen. Zögerlich trank sie einen winzigen Schluck aus dem Glas. Sie warf mir einen Blick zu, als wäre sie überzeugt, dass ich ihr einen Streich spielte und gleich Schlangen aus dem Glas kriechen würden.
Wenn wir ganz unter uns wären … würde ich sie gegen die Wand drücken und ihr das Misstrauen geradewegs mit einem Kuss austreiben.
Ihre Augen weiteten sich, als der Tequila ihre Lippen benetzte, und sie ließ das Glas sinken. »Er ist okay.«
Ich lachte in mich hinein. Er war mehr als okay.
»Den mögen Sie lieber als den Wein?«, fragte sie.
Der Wein war in Ordnung. Noah kannte sich aus und ließ sich heute nicht lumpen. Aber dieser Tequila … Asombroso Del Porto … Der war besser als das meiste andere, was ich in den Mund nahm.
Von Frauen mal abgesehen.
Als Madison noch einen Schluck trank, atmete ich aus, ließ die Schultern sinken und den Stress des Telefonats von vorhin von mir abfallen. Vor morgen konnte ich deswegen rein gar nichts unternehmen, also konnte ich den heutigen Nachmittag genauso gut genießen.
Und den heutigen Abend.
Mit Madison.
Die Hochzeit war privat – keine Paparazzi, die irgendetwas mitbekommen könnten. Ich war nicht bei der Arbeit. Madison war wunderschön, schlagfertig und saß hier direkt neben mir. Alle Zutaten für einen perfekten Abend.
»Okay«, sagte sie. »Er ist gut, ich geb’s zu. Aber wir essen Hühnchen. Ich glaube eher nicht, dass er dazu passt.«
»Der passt zu allem«, erwiderte ich.
»Müssen Sie immer das letzte Wort haben?«, fragte sie und aß dann eine Gabel voll Hühnchen.
»Kommt drauf an«, gab ich zurück und überlegte, wann ich bei Astro Holdings zuletzt nicht das letzte Wort gehabt hatte. Wahrscheinlich, als ich den Aufsichtsrat gebeten hatte, das »Rumoren« in der Londoner City zu ignorieren und den Blick stattdessen auf die Geschäftszahlen zu richten. Zur Antwort wurde mir gesagt, es komme nur auf die Außenwahrnehmung an.
Das mochte stimmen, war aber nichtsdestotrotz komplett schwachsinnig.
»Woher kennen Sie Noah und Truly?«, fragte ich.
Auf ihrem Gesicht entfaltete sich ein so breites herzliches Grinsen, dass sich die Luft um uns herum zu erwärmen schien. Ich konnte nicht anders, als das Lächeln zu erwidern. »Sie betreiben ja Small Talk«, sagte sie. »Ich bin stolz auf Sie.«
»Wenn ich den ganzen Abend lang durchhalte, erwarte ich eine Urkunde.«
»Vielleicht haben wir den Small Talk bis dahin hinter uns gelassen. Man weiß nie – womöglich sind wir kurz davor, einander unsere dunkelsten Geheimnisse zu gestehen und eine gemeinsame tiefere Ebene zu finden.«
»Oder wir enden nackt und finden eine gemeinsame physische Ebene«, erwiderte ich beiläufig, als hätte ich ihr gerade gesagt, dass es morgen wahrscheinlich regnen werde.
Madison hörte mittendrin auf zu kauen, und ihr Blick glitt zu mir. Sie schluckte, setzte zu sprechen an und zögerte dann aber, bevor sie schließlich sagte: »Tja, meinen Slip haben Sie schon gesehen. Da ist das der nächste Schritt.« Sie trank einen Schluck Wein. »Ich hätte wissen müssen, dass Sie lieber Sex haben als ein tiefgründiges und bedeutsames Gespräch zu führen. Ich schätze, es stimmt, was über Sie geklatscht wird.«
»Sie sollten nicht alles glauben, was in der Zeitung steht.« Ich war Single und saß neben einer schönen Frau. Natürlich fing ich da an zu flirten. Ich war auch nur ein Mensch.
Sie warf mir ein wissendes Lächeln zu. »Ach ja, ist das so? Ich verstehe. Sie sind der arme, missverstandene Kerl, der nur auf die richtige Frau wartet. Die Höschen rutschen wahrscheinlich von ganz allein runter.«
Diese Frau hatte mehr über mich gelesen, als mir lieb war, und infolgedessen schätzte sie mich falsch ein. Ich spielte keine Spielchen – das brauchte ich nicht. »Ich glaube, Sie müssen schwer von Gehör sein«, erwiderte ich. »Wie Ihr Freund da.« Ich nickte zu dem älteren Mann neben ihr. »Es ist nicht so, als würde ich irgendeine Nummer abziehen. Ich hätte nicht deutlicher oder direkter sein können. Was meinten Sie, welche gemeinsame Ebene wir finden sollen – eine emotionale? Ich habe bloß mit einem Gegenvorschlag gekontert. Wenn Sie glauben, ich bekäme Frauen nur mit Tricks dazu, mit mir ins Bett zu gehen, dann bin ich beleidigt.«
»Sie sind keineswegs beleidigt«, spottete sie.
»Nein, bin ich nicht. Aber Frauen wollen mit mir schlafen, Madison. Ich brauche sie nicht in die Falle zu locken, sie anzulügen oder irgendeine Geschichte zu erfinden, wie sehr ich leide.«
»Ach«, sagte sie, als hätte sie gerade das erste Gesetz der Thermodynamik begriffen. »Weil Sie einfach so gut aussehen, dass die Frauen Ihnen zu Füßen liegen. Jetzt verstehe ich.«
»Ist es denn so schwer zu glauben, dass es Frauen gibt, die genauso gern Sex haben wie ich?«, fragte ich. »Sie mögen ja in irgendeiner Art Jane-Austen-Adaption leben, aber der Rest von uns befindet sich im einundzwanzigsten Jahrhundert. Frauen dürfen sexhungrig sein.«
»Okay«, gab sie zurück. »Ich habe unrecht.«
Das konnte doch nicht so leicht sein. »Das war’s? Sie haben unrecht, ich recht, Ende der Diskussion?«
Sie zuckte mit den Schultern, nahm einen Schluck Wein und stellte ihr Glas ab. »Yep«, sagte sie. »Sie haben recht. Ich war in altmodische Stereotype zurückverfallen.«
Ich lachte leise. »Sind Sie etwa ein perfekter Mensch?«, fragte ich. »Sie sind darauf gefasst, nicht recht zu haben und das auch noch zuzugeben?«
»Ich bin alles andere als perfekt«, sagte sie. »Ich bin ungeschickt – wie Sie ja mitbekommen haben –, ich hasse es, allein auf Hochzeiten zu gehen, und ich bin nie mit meiner Wimperntusche zufrieden. Aber eingestehen, dass jemand ein gutes Argument gebracht und gezeigt hat, dass ich falschliege? Das kriege ich hin.«
Da ich mit vier Brüdern aufgewachsen war, die lieber bis aufs Blut kämpften, als zuzugeben, dass sie sich irrten, machte mich Madisons Eingeständnis perplex.
»Ich halte das nicht für so außergewöhnlich«, fügte sie hinzu und spießte einen weiteren Bissen Hähnchen auf.
»Tja, ob außergewöhnlich oder nicht, es gefällt mir.« Es lag nicht an ihrer Nachgiebigkeit – ich war nicht so unsicher, dass ich bei jeder Interaktion mit anderen Menschen die Oberhand haben musste. Es lag einfach daran, dass sie mir zugehört und entschieden hatte, ihre Meinung zu ändern. Dazu brauchte es Selbstvertrauen. Dieses Selbstvertrauen war es, das mich umhaute.
Sie grinste ein breites, offenes unschuldiges Grinsen und zuckte mit den Schultern, woraufhin ich für einen Sekundenbruchteil wieder in die endlos langen Sommer zurückversetzt wurde, als ich mit meinen Brüdern durch den Rasensprenger hüpfte und Höhlen im Wald baute, Tomatensuppe trank und in Lagerfeuernächten Wunderkerzen als Lichtschwerter benutzte, zurück in eine Zeit, als das Leben einfach gewesen war. Unbeschwert. Spaßig.
»Also, was sind das für tiefe dunkle Geheimnisse, die Sie unbedingt mit mir teilen wollen?«, fragte ich.
Madison schob Messer und Gabel zusammen und tupfte sich den Mundwinkel mit ihrer Serviette ab. »Sobald ich ein tiefes dunkles Geheimnis habe, lasse ich es Sie als Allerersten wissen. Wie steht es mit Ihnen? Ich schätze, uns bleiben nur zwanzig Minuten, bis die ersten Reden gehalten werden, eventuell müssen Sie sich also auf reines Aufzählen beschränken.«
Ich musste mir ein Lachen verkneifen. Ich war es nicht gewohnt, auf einer Hochzeit solchen Spaß zu haben. »Oh, da wären Sie bitter enttäuscht. Ich habe wirklich nichts zu verbergen. Schließlich habe ich Ihnen schon verraten, dass ich mit Ihnen ins Bett will.«
Ihre Augen weiteten sich etwas, und eine zarte Röte überzog ihre Wangen, doch sie verbarg ihre Nervosität gut. »Ich gehe nicht mit fremden Männern ins Bett.«
»Was müssen Sie denn von mir wissen?«, fragte ich. »Ich beantworte Ihnen jede Frage.«
Wir wurden vom Servicepersonal unterbrochen, das unsere Teller abräumte. Sie tauschten das Hähnchen gegen irgendetwas Schokoladiges aus.
»Essen Sie das?«, fragte ich, aß einen Bissen und hoffte, dass sie Nein sagen würde und ich ihre Portion haben konnte.
»Äh, ja. Das ist Schokolade, natürlich esse ich die. Nur ein Monster würde Nein zu Schokolade sagen.« Als sie eine Gabel voll von dem Kuchen oder gebackenen Dessert probierte oder worum genau es sich auch immer handelte, blieb eine Spur Schokolade an ihrem Mundwinkel zurück.
»Madison«, sagte ich, während sie einen weiteren Bissen aß. »Lassen Sie mir da etwa was übrig?« Ich tippte mir an den Mundwinkel. Sie wischte sich auf der falschen Seite mit der Zeigefingerspitze über den Mund.
»Nein«, sagte ich und drehte mich zur Seite, sodass ich in einem günstigeren Winkel saß. »Hier.« Ich beugte mich zu ihr, legte eine Hand an ihre Wange und drückte die Lippen auf den Schokofleck, um ihn wegzuküssen.
Ich hielt sie einen Sekundenbruchteil länger als nötig fest, denn ich wollte ihre Wärme auskosten und den Orangenblütenduft ihrer Haut einsaugen, bevor ich sie losließ und mich wieder zurücklehnte, um mich meinem Dessert zuzuwenden.
»Du schmeckst lecker.« Meine Stimme war tiefer und leiser als zuvor. »Ich wusste es.«
Die Röte, die sich zuerst auf ihren Wangen gezeigt hatte, zog sich nun bis über ihr Dekolleté. Trotzdem schwieg sie, während sie noch einen Bissen nahm – diesmal ohne eine Kostprobe für mich zurückzulassen.
»Sie haben mich geküsst«, sagte sie schließlich.
»Nein«, erwiderte ich. »Ich habe dich abgeleckt.«
Sie konzentrierte sich auf das Schokoladendessert vor sich. »Sie sind verrückt«, flüsterte sie kopfschüttelnd in Richtung ihrer Gabel. »Sie können doch nicht rumlaufen und wildfremde Menschen ablecken.«
»Hat es dir gefallen?«, fragte ich mit einem Seitenblick zu ihr.
»Nathan Cove, Sie sind unverbesserlich.«
Nathan Cove war krass.
Ich konnte nicht glauben, dass der Mann mich tatsächlich abgeleckt hatte. Einfach so. In einem Saal voller Leute. Und obwohl ich es nicht recht zugeben wollte, hatte es mir gefallen. Seine große Hand an meinem Gesicht, seine Bartstoppeln auf meiner Haut. Seine Zunge, heiß und fest. Wenn ich nur daran dachte, ging mein Atem schneller, so als befände ich mich in der Jane-Austen-Adaption, die er mir unterstellt hatte.
Ich kannte es nicht, dass ein Mann so … direkt war. Eindringlich. Nur ein Ziel hatte … mich. Es war verwirrend.
Die Hochzeitsreden begannen und Nathan rückte seinen Stuhl, sodass sein Bein an meinem lag. Ich schaute genau in dem Moment zu ihm, als er sich vorbeugte, und ehe ich begriff, was er da machte, bewegte sich mein ganzer Stuhl auf ihn zu.
»So«, flüsterte er. »Schon besser.«
Wir saßen immer noch einige Zentimeter auseinander, doch die gesteigerte Nähe entfachte etwas in mir. Einmal streifte sein Bein meines, und obwohl er mich kaum berührt hatte, war es, als hätte er mich splitternackt ausgezogen, quer über den Tisch gelegt und würde mich von Kopf bis Fuß ablecken. Meine Haut kribbelte, und ich schnappte nach Luft, um das Flattern in meinem Bauch im Zaum zu halten, das Stocken in meiner Brust. Es war dasselbe Gefühl wie in jenem einen Sommer, als ich in Schottland segeln gewesen war – dieses packende Gefühl, wenn meine Haare im Wind wehten, während das Tosen des Winds und das Rauschen des Wassers alle anderen Geräusche übertönten. Es war aufregend, aber auch ein wenig beängstigend, und vielleicht machte genau diese Kombination es so verlockend. Diese Erinnerung hatte mich nie losgelassen, und mein Gefühl sagte mir, dass auch der jetzige Augenblick lange Zeit nicht verblassen würde.
Ich wusste, was ein Abend mit Nathan Cove bedeuten würde. Feuer. Wasser. Etwas, wonach man sich sehnte und wovor man weglief. Langweilig würde es nicht werden, das stand fest.
Ich schaute in die Runde, aber die Aufmerksamkeit aller am Tisch galt den Rednern. Niemand sah zu Nathan und mir.
Von der ersten Rede bekam ich nicht viel mit, und als Noah sich erhob, um seine zu halten, wusste ich, dass ich mich nicht darauf konzentrieren können würde, wenn Nathan mich berührte. Ich legte meine Hand auf seine und flüsterte ihm ins Ohr: »Du musst mir eine Pause gönnen, solange Noah und Truly ihre Reden halten.«
Er runzelte die Stirn und kniff die Augen zusammen. »Ich weiß nicht genau, ob ich verstehe, was das hier«, er schaute hinunter auf unsere Hände, »mit … den Reden zu tun hat.«
»Ich kann mich auf nichts anderes konzentrieren, wenn du mich berührst.«
Er schaute mir viel zu lange in die Augen und sagte dann mit rauer Stimme: »Ich möchte mich auf gar nichts anderes konzentrieren, wenn ich dich berühre.«
Er zog seine Hand weg und fing an zu klatschen, als Noah angekündigt wurde, woraufhin ich mir verzweifelt einen Fächer wünschte, ein Getränk, frische Luft. Dieser Mann sollte einer sein, mit dem man auf einer Hochzeit die Zeit herumbrachte, und keiner, der mich atemlos machte und überlegen ließ, ob ich mein Zimmer in einem chaotischen Zustand hinterlassen hatte oder nicht.
Während Noahs gesamter Rede und anschließend Trulys tat Nathan, worum ich ihn gebeten hatte, und behielt seine Hände bei sich. Obwohl er einfach nur meiner Bitte nachkam, fragte sich ein Teil von mir, ob er mich erneut berühren würde – und falls ja, würde es sich dann tatsächlich genauso intensiv anfühlen wie beim ersten Mal?
Bis zum Ende der Reden war ich vor Verlangen ein einziges Nervenbündel. Ich hatte angefangen mir auszumalen, was ein Mann wie Nathan wohl alles anzustellen vermochte, wenn wir nackt waren. Wenn er mich schon komplett aus der Fassung brachte, indem er nur mein Bein streifte, was erwartete mich dann erst, wenn wir unter uns waren, allein und ungestört?
»Es freut mich, dass Truly gesprochen hat«, sagte er, als diese sich setzte. »Ich fand es schon immer ziemlich albern, dass bei solchen Anlässen nur der Bräutigam zu Wort kommt.« Er griff nach dem Tequila und füllte unsere beiden Gläser auf, nachdem die Frau zu seiner Linken abgelehnt hatte.
»Das ist aber emanzipiert von dir«, gab ich zurück, da ich nicht damit gerechnet hatte, dass er sich über so etwas Gedanken machte.