Lost in You: Ich bin dein - Leah Docks - E-Book

Lost in You: Ich bin dein E-Book

Leah Docks

5,0

Beschreibung

Nach der Trennung von Lucy fällt Nick in ein tiefes Loch, zieht sich von allen Menschen zurück und konzentriert sich nur noch auf seine Eishockeykarriere. Als Spieler der Detroit Hunters verwirklicht er seinen Wunschtraum vom Leben als gefeierter Eishockeyprofi. Bei einem Poloturnier trifft er auf Megan Johnson, eine Bekannte aus der Uni. Mit ihrer fröhlichen und offenen Art schafft sie es, ihn für sich zu gewinnen. Doch seine Erinnerungen an Lucy lassen Nick nicht los. Immer wieder drängt sie sich in seine Gedanken und bringt seine Gefühlswelt durcheinander. Als Lucy und Nick zufällig wieder aufeinandertreffen, kochen alle Empfindungen und beider Sehnsucht wieder hoch, auch wenn Lucy aus Angst vor neuem Herzschmerz eine erneute Annäherung fürchtet. Nick muss sich zwischen Megan und Lucy entscheiden, aber dann hat das Schicksal erneut andere Pläne mit Lucy und Nick ... Abschlussband der Dilogie um Lucy und Nick.

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Leah Docks

Lost in You: Ich bin dein

© 2024 Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamour.de

[email protected]

Covergestaltung: © Sabrina Dahlenburg

(www.art-for-your-book.de)

ISBN Print: 978-3-86495-694-2

ISBN eBook: 978-3-86495-695-9

Alle Rechte vorbehalten. Dies ist ein Werk der Fiktion. Namen, Darsteller, Orte und Handlung entspringen entweder der Fantasie der Autorin oder werden fiktiv eingesetzt. Jegliche Ähnlichkeit mit tatsächlichen Vorkommnissen, Schauplätzen oder Personen, lebend oder verstorben, ist rein zufällig.

Dieses Buch darf ohne die ausdrückliche schriftliche Genehmigung der Autorin weder in seiner Gesamtheit noch in Auszügen auf keinerlei Art mithilfe elektronischer oder mechanischer Mittel vervielfältigt oder weitergegeben werden. Ausgenommen hiervon sind kurze Zitate in Buchrezensionen.

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Autorin

Kapitel 1

Drei Monate später ...

Die Eishockeymannschaft Detroit Hunters feierte nicht nur den Tabellenaufstieg und die vielen Siege der Saison, sondern auch einen neuen Shooting-Star: Nick Harvey. Einige Wochen vor Saisonende gab Nick besonders viel Gas, lieferte ein Tor nach dem anderen und belegte mit der Anzahl seiner Punkte binnen weniger Spiele einen der oberen Plätze in der Topscorerliste, in der die besten Torschützen der Saison geführt wurden. Er war zwar schon vorher ein herausragender Spieler gewesen, doch als sein Spielstil an Aggressivität zunahm, konnte ihn keiner mehr aufhalten. Seine stürmische Art, alle Gegner unnachgiebig vom Eis zu fegen, verschaffte ihm in der Presse und unter den Fans schnell den Spitznamen „Storm“.

Auch wenn die Eishockeywelt ihn feierte, machten sich seine Familie und seine engsten Freunde große Sorgen um ihn. Nick verschloss sich von einem Tag auf den anderen vor ihnen, hatte aufgehört zu lächeln und verausgabte sich neuerdings nicht nur auf dem Eis, sondern auch im Fitnessstudio bis zur totalen Erschöpfung. Die Vermutung lag nahe, dass sein Verhalten auf das Beziehungsaus mit seiner großen Liebe Lucy zurückzuführen war. Was genau der Auslöser für die Trennung war, wusste keiner. Nick blockte jede Frage ab und hatte seit dem Moment, als sein bester Freund Nate ihn vor drei Monaten sturzbetrunken und völlig apathisch in einer Bar aufsammeln musste, auch mit niemandem ein Wort über dieses Thema gewechselt.

„Hey, da ist ja unser neuer Kapitän!“, jubelte und grölte die Mannschaft, als Nick mit seinem Teamkollegen Cameron Parker das Stammlokal der DetroitHunters betreten hatte. Eigentlich hatte Nick absolut keine Lust, seine Vertragsverlängerung bei Detroit sowie die Ernennung zum Kapitän zu feiern, aber Cameron ließ nicht locker und hatte sogar seine besten Freunde Nate und Harper um Verstärkung gebeten, Nick zu überreden, mit in die Bar zu kommen. Cameron war nämlich ebenfalls nicht entgangen, dass Nick zum Einzelgänger geworden war und kaum noch soziale Kontakte pflegte. Auf dem Eis hatte er sich auch sehr verändert. Cameron spielte seit dem College mit ihm, aber so aggressiv und verbissen wie jetzt hatte Nick bisher immer nur gespielt, wenn er Stress mit Lucy hatte. Früher reagierte Nick mit einem Augenrollen oder einem Kopfschütteln, wenn er auf einen Streit mit seiner Freundin angesprochen wurde. Als Cameron dieses Mal wissen wollte, was zwischen ihm und Lucy vorgefallen war, zeigte Nick keine Reaktion.

Cameron befürchtete, dass Nick sich immer weiter zurückziehen würde, und machte es sich zur Aufgabe, ihn unter Leute zu bringen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit Händeschütteln, Schulterklopfen, Umarmungen und Unmengen an Glückwünschen konnte Nick sich endlich zu seinen Freunden an den Tisch setzen und durchatmen. Kurz darauf reichte Nate ihm eine Flasche Bier, die er dankend annahm und direkt einen großen Schluck daraus trank.

„Was habe ich gehört, du bist nächste Woche wieder in Ann Arbor? Was führt den verlorenen Sohn in die gute alte Heimat?“, fragte Nate ihn neckend, nachdem sie einige Sätze über Nicks Megaleistung beim Eishockey gesprochen hatten.

„Meine Eltern verreisen für mehrere Wochen und ich soll für Mia solange den Babysitter spielen“, klärte er seinen Freund auf.

„Wird sie nicht sowieso die meiste Zeit auf dem Campus verbringen?“, warf Nate ein.

„Und genau das ist der Punkt. Bei den ganzen Schwachmaten, mit denen sie sich abgibt, kann es nicht schaden, wenn ich ein Auge auf sie habe. Es ist sogar ganz gut, dass ich für ein paar Wochen den Komfort meines Elternhauses genießen kann. Meine Bude besteht gerade nur aus Umzugskartons, denn die Möbel werden erst in ein paar Wochen geliefert.“

„Ich bin so gespannt auf deine neue Wohnung“, quietschte Harper neben ihnen.

Auch wenn Nick den überstürzten Auszug aus seiner alten Wohnung in Detroit damit erklärte, dass er jetzt mehr verdiene und sich somit etwas Größeres leisten könne, vermuteten Nate und Harper, dass die Trennung von Lucy der wahre Grund war. Immerhin haben sie dort viel Zeit miteinander verbracht und sie sollte sogar bei ihm einziehen. Mit diesen Erinnerungen wollte er bestimmt nicht mehr konfrontiert werden.

Einige Zeit später verzogen Nate und Harper sich auf die Tanzfläche und Cameron sowie weitere Teamkollegen gesellten sich zu Nick an den Tisch, sodass die Gesprächsthemen sich um das Training, die kommende Saison und – oh, wie konnte es auch anders sein – um die Puckbunnys zu drehen begannen. Die Bunnys waren die Art von weiblichen Eishockeyfans, die weniger am Sport, sondern eher am Sex mit den Spielern interessiert waren. Und Nicks rasanter Erfolg bescherte ihm ein besonders großes Interesse dieser Häschen.

Ihm selbst war dieses Interesse sogar sehr willkommen, denn mit den vielen Affären konnte er sich die lästigen Fragen über sein Liebesleben vom Leib halten, musste mit niemandem seine Gefühlswelt analysieren und ihm gelang es damit sogar, den unerträglichen Schmerz in seiner Brust, den er seit drei Monaten nicht los wurde, mit den unverbindlichen One-Night-Stands zu betäuben.

Dieser Effekt hielt leider nur kurzzeitig an, denn sobald die Frauen sein Bett wieder verließen, kehrte der Schmerz unaufhaltsam zurück und holte mühsam verdrängte Erinnerungen wieder an die Oberfläche. Erinnerungen an den Moment, als er seine Mailbox abhörte und Lucys tränenerstickte Stimme vernahm. Erinnerungen an das Entsetzen und die lähmende Sorge um sie, die ihre Nachrichten bei ihm ausgelöst hatten. Erinnerungen, wie er sich in ein Auto gestürzt und in einer Nacht mehrere Bundesstaaten durchquert hatte, um so schnell wie möglich bei ihr sein und sie trösten zu können, weil ihr Vater sie geschlagen hatte. Nur, um sie dann in den Armen eines anderen vorzufinden, um zu hören, dass seine Liebe für den Arsch sei, nur, weil er seine Gefühle viel lieber zeigte, als dass er sie in Worte verpackte.

„Wenn man vom Teufel spricht“, durchbrach Camerons belustigte Stimme Nicks trübe Gedanken. Er sah sich irritiert um und folgte mit seinem Blick der Richtung, in die Parker mit einem Kopfnicken gedeutet hatte. Vom anderen Ende der Bar aus hatte ihn eine sehr sexy gekleidete Blondine ganz offensichtlich ins Visier genommen.

„Harvey, du bist heute aber auch ein Glückspilz“, drang die Stimme des Hunters Torwarts an seine Ohren, bevor lautes Lachen und einige anzügliche Sprüche den Tisch erfüllten.

„Ich glaube eher, sie hat einen von euch angestarrt. Ich hol mir noch ein Bier“, verkündete Nick und stand auf. Als er sich jedoch umdrehte, stieß er direkt mit der sexy Blondine zusammen, die gerade noch am anderen Ende der Bar gestanden hatte.

„Hey, Storm“, hauchte sie in einem sehr lasziven Ton und klimperte mit ihren Wimpern.

„Wie passend, Storm. Du wolltest ja eh an die Bar. So kannst du der netten Lady auch gleich einen Drink spendieren“, rief jemand vom Tisch und Nick wusste genau, auch ohne hinzusehen, dass alle gerade dreckig grinsten.

Ehe er etwas sagen konnte, sprach die Blondine weiter: „Ich hätte einen viel besseren Vorschlag.“

Nick hob fragend eine Augenbraue. „Und der wäre?“

Sie lehnte sich vor, sodass ihre üppige Oberweite seine Brust berührte. „Ich habe gehört, dass du im Bett genauso stürmisch bist wie auf dem Eis. Wie wäre es, wenn du mir dein Können zeigst?“, sagte sie in einem gedämpften Ton, damit nur er ihre Worte hören konnte, und fuhr sich mit der Zunge über die vollen Lippen.

Nick stand nicht auf solche plumpen und direkten Anmachsprüche. Nur weil er neuerdings das Leben eines Playboys führte, musste er doch nicht sofort jede ins Bett zerren. Eigentlich wollte er der Blondine gerade eine freundliche Absage erteilen, auch mit dem Risiko, dass ihn seine Teamkollegen damit wochenlang aufziehen würden, als sich plötzlich der Schmerz in seiner Brust wieder meldete. Nick hasste diese ständigen Schübe, bei denen sich sein Inneres jedes Mal krampfhaft zusammenzog und unangenehme Erinnerungen seinen Kopf zu fluten begannen. Das Risiko, vor allen anderen heulend zusammenzubrechen oder nachts diesem Schmerz alleine ausgeliefert zu sein, wollte er jedoch auf gar keinen Fall eingehen. Also legte er seinen Arm um die Schultern der Blondine und raunte ihr ins Ohr: „Dann mal los, Süße.“

Ihre Augen begannen zu strahlen und die leuchtendroten Lippen verzogen sich zu einem siegessicheren Lächeln.

„Zeig’s ihr, Storm“, rief ihm jemand aus der Mannschaft zu, als sie auf den Ausgang der Bar zusteuerten.

Während sie die Tanzfläche passierten, tippte Nick Nate zum Abschied auf die Schulter. An seinem und Harpers Gesichtsausdruck konnte er deutlich ablesen, dass sie nicht begeistert waren, ihn mit der Blondine abziehen zu sehen.

„Ähm, Nick?“, versuchte Nate, ihn noch aufzuhalten, doch Nick sah ihn lediglich über die Schulter hinweg an und schüttelte den Kopf.

Kapitel 2

Nick öffnete schwerfällig die Augen. Er war entsetzlich müde, weil er vorherige Nacht bis in die frühen Morgenstunden mit seinen Teamkollegen um die Häuser gezogen war, um sich abzulenken und nicht die ganze Nacht in seinem Herzschmerz zu ertrinken. Doch der köstliche Duft vom frischen Kaffee, der plötzlich in seine Nase drang, vertrieb jegliche Müdigkeit.

Er blinzelte, sein verschlafener Blick klärte sich und er sah seine Schwester Mia mit einem dämlichen Grinsen vor sich sitzen, während sie den Dampf aus der Kaffeetasse in ihrer Hand immer wieder in seine Richtung fächerte.

„Mia, Mom und Dad sind erst seit vierundzwanzig Stunden weg, bitte sag mir nicht, dass du es in der Zeit schon geschafft hast, irgendeine Scheiße anzustellen“, brummte Nick und bereitete sich auf das Schlimmste vor, denn wenn seine Schwester bereits am frühen Morgen so freundlich war, ihn mit einer Tasse Kaffee zu wecken, war definitiv etwas im Busch.

„Bruderherz, was denkst du denn von mir? Ich wollte einfach nur nett sein“, schnurrte sie.

Bruderherz war auch ein ganz klares Indiz dafür, dass sie irgendetwas im Schilde führte. Und bei diesem schmeichlerischen Ton in ihrer Stimme richteten sich seine Nackenhaare automatisch auf. An Schlaf war deswegen auch nicht mehr zu denken. Nick setzte sich im Bett auf und bedachte Mia mit seinem Was-ist-es-diesmal-Blick.

Anstatt irgendetwas zu sagen, streckte sie grinsend ihre Arme aus und reichte Nick die heiße Tasse Kaffee. Ihr Kulleraugen-Blick entging ihm dabei nicht. Mit einem tiefen Seufzer ergriff er die Tasse und machte sich erneut auf das Schlimmste gefasst.

„Ich bin ganz Ohr“, sagte er mürrisch.

„Möchtest du vielleicht erst einen Schluck trinken?“, fragte sie mit melodischer Stimme.

„Großer Gott, so schlimm?“

„Oah, Nick!“ Sie verdrehte die Augen. „Du weißt doch selbst, dass du ohne Kaffee ganz unausstehlich bist.“

Seinen misstrauischen Blick auf sie gerichtet, nahm er schließlich einen tiefen Schluck aus der Tasse. Das aromatische Getränk verteilte sich wärmend in seinem Inneren und Nick verspürte deutlich, wie die ersten Lebensgeister in ihm erwachten.

„Würdest du mich zum Poloturnier begleiten?“, platzte es plötzlich aus Mia heraus und Nick verschluckte sich beinahe an dem restlichen Kaffee in seinem Mund.

„Bitte, was?“ Er riss beide Augenbrauen hoch.

„Heute ist das Finale und wir gehen doch immer dorthin.“

„Du gehst immer dorthin. Ich verzichte gerne.“

„Ach, komm schon, Nick. Bitte“, flehte sie. „Alleine ist es öde. Und wir haben schon sooo lange nichts mehr zusammen unternommen.“ Mia schob schmollend ihre Unterlippe vor.

Sie war so erpicht auf seine Begleitung, dass sie sogar über die Mitleidsschiene versuchte, ihn zu überreden. Nick verstand nicht, warum, denn sie brauchte ihn ganz gewiss nicht für ihre Freizeitaktivitäten. Sie hatte reichlich Freunde.

„Du weißt, bei diesem Turnier gibt es auch eine Wohltätigkeitsveranstaltung, die Mom und Dad so am Herzen liegt. Es wäre doch eine schöne Sache, wenn wir die beiden in ihrer Abwesenheit vertreten würden, hm?“, schob sie hinterher.

Nick spitzte die Ohren. Seine Eltern waren immer bei irgendwelchen Charityprojekten aktiv und hatten auch ihn und Mia von Anfang an mit einbezogen, um ihre Sozialkompetenz zu fördern. Doch dass Mia ausgerechnet das als Argument anbrachte, um ihn als Begleitung für das Turnier zu gewinnen, fand er äußerst verdächtig.

„Sag mal, kann es sein, dass Mom dich dazu verdonnert hat, mich in deren Abwesenheit mit irgendwelchen Aktivitäten zu unterhalten?“, wagte er einen Schuss ins Blaue. Okay, so ganz ins Blaue geschossen war seine Vermutung nicht, denn auch seine Eltern schienen sich zu sorgen, da er sich nach der Trennung von Lucy so drastisch verhielt.

Und damit lag er offensichtlich goldrichtig, denn Mia senkte verlegen den Blick und begann am Saum ihres Tops zu nesteln.

„Sie hat doch recht, Nick“, murmelte sie plötzlich leise. „Wir sehen, dass es dir nicht gut geht, und machen uns alle Sorgen, weil du dich so merkwürdig benimmst. Entweder trainierst du bis zum Umfallen oder du schlägst dir die Nächte um die Ohren. So extrem warst du noch nie.“ Mia hob ihren Blick und sah ihn unverwandt an. „Und ... du redest mit niemandem“, fügte sie kaum hörbar hinzu.

Nick musste hart schlucken, denn die Rede seiner kleinen Schwester rührte ihn. Er wollte nicht, dass seine Familie sich seinetwegen Sorgen machte. Es reichte schon, dass er selbst ein wandelndes Wrack war. Das sollte nicht auf seine Liebsten abfärben.

„Ich will doch nur meinen nervigen Helikopter-Bruder wiederhaben“, hörte er sie jammern und musste tatsächlich grinsen, denn er wusste ganz genau, wie sehr sie es hasste, wenn er den großen Bruder raushängen ließ und mit Argusaugen auf sie aufpasste. Ja, okay, manchmal übertrieb er es mit seiner Fürsorge. Aber Mia war so chaotisch, dass man bei ihr einfach nicht vorsichtig genug sein konnte.

„Okay, ich komm mit“, gab er sich schließlich geschlagen und bereute es sofort, denn Mia sprang plötzlich auf, klatschte freudig in die Hände und kreischte dabei so laut, dass seine Ohren klingelten.

„Dann aber jetzt, hopp, hopp! Ab mit dir unter die Dusche, zieh dir ein hübsches Hemd an und lass uns losfahren.“

Sie war gerade dabei, aus seinem Zimmer zu laufen, als er irritiert fragte: „Jetzt sofort? Ist das Turnier nicht erst am Nachmittag?“

Mias Kopf tauchte wieder in der Tür auf.

„Bruderherz, es ist bereits Nachmittag. Du hast den halben Tag verpennt.“

Fluchend sprang Nick aus dem Bett. Okay, seine Disziplin fing an, unter seinem ausschweifenden Verhalten zu leiden. Normalerweise hätte er längst seine übliche Joggingrunde und eine ordentliche Trainingseinheit hinter sich gebracht. Faul im Bett rumliegen, passte nicht zu ihm. Jetzt verstand sogar er, warum sich seine Familie um ihn sorgte.

***

Mehrere weiße Zelte sowie schicke Essens- und Getränkestände reihten sich entlang eines großen Spielfelds. Einige Besucher hatten Picknickdecken auf einer Wiese ausgebreitet und genossen das traumhafte Wetter. Das Poloturnier lief bereits seit zwei Tagen. Das spannende Finale am letzten Spieltag lockte viele Gäste in den Golf & Country Club, in dem die Veranstaltung stattfand.

Nick stand etwas abseits des ganzen Geschehens, weil er absolut keine Lust auf den Trubel und die vielen Menschen hatte. Bereits bei der Ankunft wurde er von mehreren Leuten erkannt und musste Autogramme schreiben oder sich mit kichernden Fans ablichten lassen. Tja, so ist das Leben, wenn man ein bekannter Eishockeyspieler ist.

Aber nicht nur Eishockey war der Grund für seine Bekanntheit. Jedes Jahr versammelte sich die Crème de la Crème von ganz Michigan bei dem Poloturnier. Jeder, der Rang und Namen hatte, alle möglichen Geschäftsleute, die etwas von sich hielten, ließen sich dieses Event nicht entgehen. Und seine Eltern gehörten nun mal zu diesem Kreis dazu. Ihre angesehene Innenarchitektenagentur und die vielen Wohltätigkeitsorganisationen, die sie ins Leben gerufen hatten oder an denen sie sich beteiligten, verschafften ihnen einen hohen Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad.

Wie erwartet war Mia ganz schnell mit ihren Freunden im VIP-Zelt verschwunden. So viel zum Thema „Wir haben lange nichts mehr gemeinsam unternommen“. Nick dachte sich seinen Teil und warf einen Blick auf die Terrasse vor dem VIP-Eingang, wo er seine Schwester mit ihrer besten Freundin Jayla Davis und dem Obersnob ihrer Clique, Kyle Remington, sehen konnte. Er hätte sich ebenfalls unter die Gäste mischen können, aber er hatte keine Lust auf die Gesellschaft anderer.

Nick lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf das Polospiel, lehnte sich mit den Unterarmen an den Holzzaun, der das Spielfeld umgab, und nippte an seiner Wasserflasche. Er wollte sich die erste Halbzeit geben und danach abhauen, um die verpennte Trainingseinheit von heute Morgen nachzuholen.

„Hi, Nick“, hörte er plötzlich eine weibliche und ihm irgendwie bekannte Stimme hinter sich. Verwundert richtete er sich auf und drehte sich um.

Neben ihm stand Megan Johnson, die älteste Tochter der wohl angesehensten Familie in Ann Arbor. Ihre Eltern waren Professoren an der University of Michigan, wo ihr Vater letztes Jahr sogar zum Dekan aufgestiegen war.

Nick kannte Megan von der Uni und von ähnlichen Events wie diesem Poloturnier. Bei den Veranstaltungen seiner Eltern standen die Johnsons immer ganz weit oben auf der Gästeliste. Er wusste, dass Megan noch eine jüngere Schwester hatte, konnte sich aber an den Namen nicht erinnern.

„Megan, hi.“

Nick reichte ihr grüßend die Hand, und während sie seine schüttelte, ließ er seinen Blick über sie gleiten. Ihre langen blonden Haare fielen lockig über ihre Schultern und umrandeten ihr herzförmiges Gesicht. Sie hatte perfekt geschwungene Augenbrauen und unheimlich lange Wimpern, die ihren leuchtend blauen Augen einen schönen Rahmen gaben. Genau wie bei Lucy, schoss direkt ein Gedanke durch seinen Kopf, den er allerdings mit einem inneren Schnaufen sofort verdrängte.

Megan trug ein hellblaues, knielanges Wickelkleid und darüber eine feine, weiße Strickjacke, die mit glitzernden Fäden durchzogen war. Sie hatte flache Schuhe an und reichte Nick gerade mal bis zur Schulter. Alles in allem war sie unheimlich hübsch. Kein Wunder, dass sie vor einigen Jahren das Krönchen als Miss Michigan Junior überreicht bekam.

„Ich wusste gar nicht, dass du auch hier sein würdest“, sprach sie in dem Moment, und die Bewegung ihrer Lippen lenkte Nicks Aufmerksamkeit auf ihren Mund. Wow!Wie ein saftiger, praller Pfirsich, der gerade seine perfekte Reife in der Sonne erreicht hat, dachte er sich.

„Ähm, ja. Meine Schwester hat mich genötigt, herzukommen“, seufzte er und versuchte die aufkeimende Frage nach dem Geschmack ihrer Lippen zu ignorieren.

„Sag bloß, du wolltest das Finale nicht sehen“, wunderte sie sich stirnrunzelnd.

„Nicht wirklich. Hier ist es viel zu voll“, sagte er.

Megan sah sich demonstrativ an der Stelle um, wo sie beiden standen. Sie befanden sich am äußeren Rand des Spielfeldes, ziemlich weit weg von den Zelten und den vielen Turniergästen. Um sie herum war eigentlich nichts.

„O ja. Hier wird man regelrecht umgerannt“, scherzte sie kichernd und brachte Nick damit tatsächlich zum Grinsen.

Ganz schön frech die Kleine, dachte er sich, doch ihm gefielen ihre ungezwungene Art und ihr süßes Lächeln.

Sie unterhielten sich dann noch eine Weile über völlig belanglose Dinge. Megan stellte sich als recht witzig und schlagfertig heraus und Nick genoss ihre Gesellschaft.

„Lass uns etwas trinken gehen“, sagte er plötzlich und stockte bei seinem Vorschlag. Eigentlich wollte er abhauen und irgendwo alleine sein, doch Megan hatte es irgendwie geschafft, dass er seine Meinung änderte. Lag es an ihrer angenehmen Stimme, ihrem lockeren Wesen oder diesen Pfirsichlippen? Er war sich nicht sicher, doch eins wusste er genau: Er wollte unbedingt noch etwas mehr Zeit mit ihr verbringen.

Während die Polospieler über das Spielfeld galoppierten und immer wieder versuchten, den Ball mit dem Schläger ins gegnerische Tor zu bringen, was das Spiel für die Zuschauer besonders spannend machte, unterhielt sich Nick mit Megan am Stehtisch einer mobilen Cocktailbar. Megan rührte mit dem Strohhalm in ihrem Lillet Wild Berry-Cocktail und erzählte von ihrem Studium, während Nick ihr mit einer Flasche Bier in der Hand aufmerksam zuhörte und zwischendurch Fragen stellte.

Ihm fiel auf, dass sie jedes Mal verlegen schmunzelte und ihre Wangen einen zarten Rosé-Ton annahmen, sobald er ihr ein Kompliment machte oder sie aufforderte, etwas über sich preiszugeben. War sie vielleicht doch schüchterner, als er zunächst angenommen hatte, oder hatten bisher nur wenige Männer eindeutiges Interesse an ihr gezeigt? Obwohl er sich das Letztere kaum vorstellen konnte, denn bei ihrem Aussehen müssten ihr die Kerle scharenweise hinterherlaufen.

Und schoss ihm gerade tatsächlich eindeutiges Interesse an ihr durch den Kopf? Sie war zwar überaus hübsch, hatte ordentlich was im Kopf und man konnte sich wunderbar mit ihr unterhalten, aber wollte er mehr? Wollte er etwas, was über diese primitive Frage nach dem Geschmack ihrer Lippen hinausging?

Fuck! Eindeutig zu viele Fragen! Und Fragen hatte er in den letzten drei Monaten einfach zu Genüge in seinem Kopf gehabt. Er wollte nicht mehr. Er wollte einfach nur abschalten und an nichts mehr denken.

„Und was genau macht man als Ernährungswissenschaftlerin?“, wollte er wissen, nachdem sie ihm von ihrem Studienfach erzählt hatte.

„Die Hauptaufgabe ist, die Wirkung von Nahrungsmitteln zum Beispiel auf den menschlichen Körper und deren Einfluss auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu erforschen. Mit einem Abschluss kann ich dann in allen Bereichen arbeiten, die mit Ernährung zu tun haben. Wobei meine Eltern möchten, dass ich noch einen Doktortitel dranhänge und vielleicht sogar an der Uni als Professorin bleibe.“

Nick stieß einen anerkennenden Pfiff aus und bedachte sie mit einem nachdenklichen Blick. Dann nahm er einen Schluck aus seiner Bierflasche. „Und was möchtest du nach dem Abschluss machen?“

Mit einem unterdrückten Schmunzeln registrierte er ein erneutes Erröten ihrer Wangen.

„Ähm ...“ Sie räusperte sich. „Ich glaube, Ernährungsberatung würde mir großen Spaß machen. Das Essverhalten von unterschiedlichen Personen zu analysieren und passende Ernährungspläne zu erstellen, macht mir schon in der Theorie großen Spaß“, antwortete sie schulterzuckend.

„Vielleicht könntest du ja mal mein Essverhalten analysieren und mir einen Ernährungsplan erstellen“, schlug Nick grinsend vor.

Daraufhin fiel ihr Blick sofort auf seinen Oberkörper und wanderte dann langsam an ihm entlang. Nick horchte irritiert in sich hinein, denn dieser Blick löste ein Kribbeln in seiner Magengegend aus.

„Also, man muss nicht unbedingt Ernährungswissenschaft studiert haben, um an deinem wahnsinnig tollen Körperbau zu erkennen, dass du offensichtlich keine Probleme mit deiner Ernährung hast“, stieß sie hervor und stockte, als ihr anscheinend bewusst wurde, was sie soeben gesagt hatte. Mit hochrotem Kopf klappte sie ihren Mund zu und wendete ihren Blick ganz schnell von ihm ab.

Huch, was war denn das? Hatte sein wahnsinnig toller Körperbau sie etwa heiß gemacht? Er hatte es genau gesehen: Ihre Pupillen hatten sich geweitet und ihre Zähne schabten über ihre Unterlippe, während sie ihn – was? – mit ihrem Blick regelrecht verschlang? Uff! Er konnte nicht leugnen, dass ihn der Gedanke gerade selbst heiß machte.

Plötzlich versteifte sie sich, sah kurz zum VIP-Zelt rüber und dann mit einem entschuldigenden Lächeln zu ihm.

„Ich muss leider los.“

Erst jetzt bemerkte Nick, dass sowohl das Turnier als auch die Siegerehrung schon vorbei waren und die vielen Zelte sowie Essensstände sich zu leeren begannen.

„Danke für den Cocktail. Es war schön, dich wiedergesehen zu haben, Nick,“ sagte sie mit einem – wie er fand – niedlichen Lächeln und winkte ihm zu.

Kapitel 3

In den nächsten Tagen fiel Nick eine wesentliche Veränderung an seinem Gemütszustand auf. Der Drang nach durchzechten Nächten oder selbstzerstörerischem Fitnesstraining hatte deutlich nachgelassen. Er vermutete, dass diese kurze Ablenkung auf dem Poloturnier, die Begegnung mit Megan, irgendetwas in ihm ausgelöst hatte. Was genau, wusste er nicht. Aber die Düsterheit, die ihn die letzten Monate umgeben hatte, hellte sich etwas auf. Für ihn war es, als konnte er für einen kurzen Moment aus dem Sog der Vorwürfe, Selbstzweifel und Wut ausbrechen und einen tiefen Atemzug frischer, klarer Luft nehmen. Es schien genau das zu sein, was er gebraucht hatte, um wieder zu sich zu kommen: frische Luft.

Der Schmerz in seiner Brust war zwar immer noch da und er spürte deutlich, dass die Wunde, die Lucy an seinem Herzen hinterlassen hatte, weiterhin blutete, doch er hatte auf einmal die Kraft, den Schmerz auszuhalten, die Erinnerungen an den Moment, in dem seine Welt zusammengebrochen war, auszublenden und nach vorne zu schauen. 

„Morgen wieder hier um die gleiche Zeit?“, fragte ihn Cameron, als sie gerade aus dem Fitnessstudio herauskamen.

Nick nickte und verabschiedete sich mit einem Faustschlag von seinem Teamkameraden.

Da die Eishockeysaison nun vorbei war, wurde die freie Zeit neben dem regulären Eishockeytraining für intensives Krafttraining genutzt. Seit einigen Tagen hatte Nick auch wieder Spaß daran und nicht mehr dieses erdrückende Gefühl, er müsse sich mit mehr Gewichten an den Trainingsgeräten zerreißen, zur Strafe dafür, dass er Lucy im Stich gelassen hatte, als sie ihn am meisten brauchte, weil er ein egoistisches, selbstsüchtiges und rücksichtsloses Arschloch war, das nur seine eigenen Ziele verfolgte.

Mit der Sporttasche über der Schulter und tief durchatmend machte er sich auf den Weg zu seinem Auto. Als er dabei eine Einkaufsstraße passierte, bemerkte er zufällig eine Person vor dem Fanshop der Detroit Hunters.

Diese blonden Locken kenne ich doch, schoss es ihm durch den Kopf, während er näherkam. Nick registrierte eine angenehme Wärme, die sich in seinem Inneren ausbreitete und seinen Puls um einige Takte beschleunigte, als er Megan eindeutig erkannt hatte. Er blieb hinter ihr stehen und betrachtete ihr Spiegelbild in der Verglasung des Schaufensters.

Sie war ganz offensichtlich tief in ihren Gedanken versunken, denn ihre Stirn war gekräuselt, sie kaute auf ihrer Unterlippe herum und, obwohl Nicks Spiegelbild sich zu ihrem gesellt hatte und klar zu sehen war, schien sie ihn überhaupt nicht zu bemerken.

„Willst du dir ein Detroit-Trikot zulegen?“, fragte Nick, nachdem er sie einige Augenblicke lang dabei beobachtet hatte, wie sie ein Langarmshirt mit dem Emblem seiner Eishockeymannschaft anstarrte.

Ihm entging nicht, dass sie daraufhin leicht zusammenzuckte, ihre Augen sich vor Erstaunen weiteten, als ihre Blicke sich in der Spiegelung des Schaufensters begegneten und sie dann herumfuhr.

„Nick!“, rief sie überrascht aus. „Was? ... Ähm ... Oh, hi.“

Mit ihm hatte sie wohl nicht gerechnet.

„Ich hoffe, ich habe dich gerade nicht bei einer wichtigen Entscheidung oder Ähnlichem gestört“, sagte er grinsend, und bei ihrem irritiert fragenden Blick vertiefte sich sein Lächeln. O Mann, sie war wohl gedanklich Millionen von Meilen weit weg gewesen, dachte er amüsiert und fand die Ratlosigkeit in ihrem Gesicht zum Anbeißen.

„Ich? Oh, ... ähm, nein.“ Megan drückte sich ihre Finger an die Stirn und räusperte sich, um sich offenbar zu sammeln. „Entschuldige, ich war gerade etwas in Gedanken“, gab sie mit einem zerknirschten Lächeln zu.

„Das habe ich gemerkt“, erwiderte Nick grinsend und ließ seinen Blick zwischen Megan und dem Fanshop hin- und herwandern, da er neugierig geworden war, worüber sie so intensiv nachgedacht hatte.

Megan bemerkte wohl seinen fragenden Gesichtsausdruck und räusperte sich erneut. „Ich wollte mich nur inspirieren lassen“, sagte sie und deutete mit dem Daumen auf das Schaufenster des Fanshops.

Nun war es an Nick, verwirrt zu schauen. „Wofür denn inspirieren lassen?“

„Für ein Geschenk.“

Nick verstand nur Bahnhof und neigte fragend den Kopf.

„Meine Schwester ist ein riesiger Fan von euch und da sie bald Geburtstag hat, wollte ich mich für ein besonderes Geschenk inspirieren lassen“, klärte sie ihn schließlich auf.

„Ach so. Dann bist du in einem Fanshop natürlich genau richtig. Allerdings würdest du im Shop vielleicht eher fündig werden als vor dem Schaufenster“, bemerkte er.

„Du scheinst nicht ganz zu verstehen, Nick“, erwiderte sie plötzlich und er stutzte. „Wenn ich sage, dass sie ein riesiger Fan von euch ist, dann meine ich auch riesig, sprich extrem, übertrieben, schon fast krankhaft. Glaub mir, dieser Shop“, sie deutete mit dem Finger auf das Schaufenster, „hat garantiert nichts, was sie nicht schon hat.“

„Ernsthaft?“

„Ja“, seufzte Megan. „Es wird immer schwieriger, sie auf diesem Gebiet noch zu überraschen.“ Sie drehte sich zum Schaufenster und ihr Gesicht nahm wieder einen grübelnden Ausdruck an. „Ich würde ihr so gerne etwas Besonderes, Einzigartiges schenken“, murmelte sie und stockte plötzlich. Langsam, wie in Zeitlupe, drehte sie ihren Kopf zu Nick.

Bei ihrem Blick musste er schlucken. Fuck! Er kannte diesen Blick allzu gut. Seine Schwester Mia hatte ständig diesen Ich-führe-eindeutig-etwas-im-Schilde-Blick. Fast automatisch wich er einen halben Schritt zurück.

„Ich glaube, mir kommt gerade die Geschenkidee“, sagte sie voller Begeisterung und drehte sich nun vollständig zu ihm um. „Allerdings könnte ich dabei deine Hilfe gebrauchen.“ Sie sah voller Hoffnung zu ihm auf.

Ernsthaft? Jetzt auch noch der Kulleraugen-Blick? Nick seufzte innerlich.

„Warum werde ich gerade das Gefühl nicht los, dass ich mich lieber setzen sollte“, brummte er hilflos und zeigte auf ein kleines Café neben dem Fanshop. Mit einem Kopfnicken deutete er Megan an, ihm zu folgen, doch sie zuckte nur fragend mit den Augenbrauen.

„Weißt du, Megan, ich habe eine Schwester. Ich weiß also ganz genau, was dieser Blick zu bedeuten hat“, verriet er ihr und wedelte mit dem Zeigefinger vor ihrem Gesicht herum. „Du führst eindeutig etwas Schmutziges im Schilde.“

Megan fiel die Kinnlade herunter. Hatte Nick sie vielleicht missverstanden? Sie hatte doch nichts Schlimmes mit ihm vor. „Oh, Nick, nein. Ich wollte nicht ... Also, ich meine nicht ...“, stammelte sie, bemerkte dann jedoch sein breites Grinsen und verstand, dass er sie nur aufzog. Schmunzelnd unterdrückte sie ein Augenrollen und folgte ihm zum Café.

Nachdem sie sich auf der Außenterrasse an einen Tisch hingesetzt und ihre Bestellungen aufgegeben hatten, lehnte Nick sich zu ihr vor.

„Egal, was du dir als Geschenkidee überlegt hast, eins sage ich dir, weder ich noch irgendeiner aus der Mannschaft wird nackt aus der Torte springen“, kündigte er mit ernster Miene an.

Erneut fiel ihr die Kinnlade herunter, doch bevor sie sich rechtfertigen konnte, verrieten ihn sein freches Grinsen und die tanzenden Funken in den Augen. Dieses Mal rollte sie demonstrativ die Augen.

„Hör auf, mich zu veraschen, Nick“, lachte sie und boxte ihm auf die Schulter. „Im Vergleich zu deinen komischen Vorstellungen ist meine Geschenkidee recht harmlos“, gestand sie und lehnte sich leicht zurück, damit der Kellner, der gerade an den Tisch herantrat, die Kaffeetassen vor ihnen abstellen konnte.

„Du hast gesagt, dass deine Schwester extrem ist. Mir blieb also nichts anderes übrig, als vom Schlimmsten auszugehen“, verteidigte er sich grinsend, schnappte sich einen Zuckerstick, riss ihn auf und kippte sich den weißen Süßmacher in den Kaffee.

Sie kicherte und Nick forderte sie auf, ihm ihre Geschenkidee zu verraten.

„Falls es aber nicht möglich ist, dann wäre es auch nicht so schlimm. Dann muss ich mir halt etwas anderes überlegen“, ruderte sie plötzlich zurück.

„Sag mir doch erst, worum es geht, bevor sich wieder irgendwelche merkwürdigen Vorstellungen in meinem Kopf stauen“, schlug er ihr vor und entlockte ihr damit ein Lächeln, bei dem sich ihre Wangen zart Rosa färbten. Einfach hinreißend, musste Nick bei ihrem Anblick gedanklich zugeben.

„Okay.“ Megan räusperte sich und teilte ihm ihre Idee mit, wobei sie mit ihren Händen gestikulierte. „Ich stelle mir ein Poster von eurer Mannschaft vor, auf dem jeder aus dem Team unterschreibt. Ich weiß nämlich zufällig, dass Kylie, so heißt meine Schwester, noch nicht alle Autogramme hat. Und sie ist total verrückt nach, ähm ...“ Megan runzelte die Stirn und versuchte sich an den Namen des Spielers zu erinnern. „Gott, wie heißt er noch mal? ... Die Nummer neunzehn.“

„Parker“, warf Nick ein.

„Ja, genau! Cameron Parker.“ Megan hüpfte vor Erleichterung über den eingefallenen Namen beinahe vom Stuhl. „Wenn Cameron zu seinem Autogramm vielleicht einen persönlichen Gruß wie Happy Birthday, Kylie oder so dazu schreiben könnte, wäre das richtig toll.“

Megan beendete ihre Ideenbeschreibung und wartete mit atemloser Spannung auf Nicks Kommentar, während dieser nachdenklich einen Schluck aus seiner Tasse nahm.

„Deine Schwester steht also auf Parker?“ Nick hob fragend die Augenbraue.

„Oh, ich hoffe, du bist nicht allzu sehr enttäuscht, dass nicht du ihr Favorit bist“, antwortete sie mit gespieltem Mitleid.

„Das bricht mir zwar das Herz, aber ich glaube, das kann ich gerade noch überleben“, scherzte er mit ebenso gespielter Traurigkeit und sie mussten beide lachen.

„Meinst du, das wäre machbar?“, erkundigte sich Megan vorsichtig.

„Ich frag mal nach, wüsste aber nicht, was dagegensprechen sollte“, erwiderte er und genoss das fröhliche Strahlen in ihren Augen, das direkt in sein Inneres schoss und sich dort wärmend ausbreitete.

Plötzlich gluckste sie und senkte ihren Blick.

„Was ist?“, wunderte sich Nick.

„Ach, ich habe mir gerade nur die Reaktion meiner Schwester vorgestellt. Wenn sie wüsste, dass ich gerade mit dem Kapitän der DetroitHunters einen Kaffee trinke, würde sie ausflippen.“ Wieder kam dieser glucksende Laut von ihr und brachte Nick zum Schmunzeln.

„Wäre das etwa so abwegig?“, erkundigte er sich, während er einen weiteren Schluck aus seiner Tasse nahm.

„Also in ihren Augen schon. Immerhin seid ihr für sie so etwas wie Gottheiten, deren Wege sich nicht einfach so mit denen der Normalsterblichen kreuzen. Schon gar nicht mit solchen wie mir.“

„Mit solchen wie dir? Wie bist du denn?“

Megan verharrte, als sein hypnotisierender Blick plötzlich auf ihren traf und eine kribbelnde Gänsehaut auf ihrem Körper auslöste. Er sah sie interessiert an, nicht einfach oberflächlich oder höflich interessiert, sondern so, als wollte er ihre tiefsten Geheimnisse erfahren. Genauso hatte er sie auf dem Poloturnier angesehen und ihr damit das Gefühl gegeben, etwas Besonderes zu sein, obwohl sie doch nichts weiter als ein stinknormales Mädchen war.

Sie verspürte, wie das Kribbeln auf ihrem Körper sich mit jeder Sekunde, in der sein intensiver Blick auf ihr verweilte, verstärkte und in Wellen zu einer Stelle in ihrem Schoß zusammenlief. Gott, ihr Herz raste regelrecht.

„Na ja, so wie ... also, halt ... weniger Eishockey interessiert“, stammelte sie und biss sich auf die soeben mit der Zunge befeuchtete Unterlippe. Wie schafft er es, mich jedes Mal innerhalb kurzer Zeit so nervös zu machen, fragte sie sich, und versuchte ihr flatterndes Inneres irgendwie zu beruhigen, was ihr allerdings nicht gelang, weil seine tiefe, sexy Stimme wieder ertönte.

„Weniger Eishockey interessiert, hm?“

O Gott! Sie musste unbedingt etwas unternehmen, um nicht vollends neben ihm dahinzuschmelzen.

„Na ja, im Vergleich zu meiner Schwester“, gab sie schulterzuckend von sich. „Deswegen würde sie mir das alles hier auch nie und nimmer glauben.“ Sie deutete mit ihrer Hand auf Nick, sich und die Tassen Kaffee auf dem Tisch.

Das freche Lächeln, das er die ganze Zeit im Gesicht hatte, vertiefte sich und brachte ihren Herzschlag zum Stolpern, und als er plötzlich mit seinem Stuhl an sie heranrückte und seinen Arm hinter ihr auf ihre Stuhllehne legte, sogar für einen kurzen Moment zum Stillstand.

„Na, dann wollen wir doch für einen Beweis sorgen“, sagte er amüsiert, neigte sich zu ihr und zückte sein Smartphone, um ganz offensichtlich ein Selfie von ihnen beiden zu machen. „Bitte lächeln!“, forderte er sie auf.

Gott, sie hoffte, dass ihr Lächeln nicht zu aufgesetzt wirkte, und vor allem, dass Nick nicht merkte, was er gerade mit ihr anstellte. Ihr Atem kam nur noch stoßweise über ihre Lippen, ihr Herz raste im schwindelerregenden Galopp und hallte klar und deutlich in ihrem Schoß wider.

Von Nick ging ein herrlich frischer Duft aus: eine Mischung aus einer sternenklaren Nacht und weißem, fluffigem Neuschnee. Sie wusste gar nicht, dass Nächte und Schnee einen eigenen Geruch hatten, doch genau diese Bilder rief sein Duft in ihrem Kopf hervor. Sie wollte genüsslich seufzen und neigte sich näher zu ihm, in der Hoffnung, es würde lediglich danach aussehen, dass sie ins Bild passen möchte. Aus ihrem Augenwinkel sah sie seine Kinnpartie mit den kurzen Bartstoppeln und konnte sich gerade noch zurückhalten, ihren Kopf zu drehen und mit ihren Lippen daran entlangzustreifen.

„Sieht doch gut aus“, hörte sie seine tiefe Stimme so dicht an ihrem Ohr, dass deren Klang direkt in ihr Höschen schoss.

Wie ferngesteuert drehte sich ihr Gesicht zu ihm hin und ihr Blick fiel auf seine Lippen, die genau auf ihrer Augenhöhe waren. Sein Gesicht war ihr ebenfalls zugewandt und sein warmer Atem streifte ihre Wangen, erreichte ihre Lippen. Oh. Mein. Gott. Was wäre, wenn er sie jetzt küssen würde?

Ein stetiges Summen durchbrach plötzlich diesen zauberhaften Moment.

„Entschuldige, da muss ich rangehen“, hörte sie Nick sagen und konnte das Wörtchen Trainer auf dem Display seines Handys erhaschen, kurz bevor er den Anruf entgegennahm.

Sie räusperte sich kaum hörbar und rückte leicht von ihm ab, als ihr bewusst wurde, wie nah sie bei ihm gesessen hatte. Während er sein Telefonat führte, bekam sie die Möglichkeit, ihre Gedanken zu sortieren. Was war das gerade? Wollte er sie küssen? Wollte sie, dass er sie küsste? O mein Gott.

Megan hob ihre Tasse und trank einen Schluck Kaffee. Verstohlen beobachtete sie Nick beim Telefonieren. Ihr fiel auf, dass er kaum von ihr abgerückt war, sein Arm lag nach wie vor an ihrer Stuhllehne, und sie konnte die Wärme, die von ihm ausging, an ihrem Rücken spüren. Seine Stimme hatte einen sehr angenehmen Klang: tief, leicht heiser und ... unglaublich sexy. Megan zwang sich, ihre Gedanken im jugendfreien Bereich zu lassen, obwohl sie bereits gemerkt hatte, dass das in Nicks Nähe beinahe unmöglich war.

Dann begann ihr Blick über seinen Körper zu wandern und ihr Puls, der kurzzeitig wieder im Normbereich gewesen war, nahm erneut an Geschwindigkeit zu. Heute war Nick sportlich gekleidet: weißes T-Shirt, Trainingsjacke und Jogginghose. Die weitgeschnittenen und locker sitzenden Klamotten verdeckten seinen muskelbepackten Körper. Doch sie erinnerte sich noch sehr gut an den Anblick, den er am Poloturnier geboten hatte. Seine dunkle Jeans saß tief auf seinen Hüften und zauberte einen atemberaubenden Knackarsch. Viel auffälliger war allerdings sein schmalgeschnittenes, weißes Hemd, das sehr eng an seinen breiten Schultern, den kräftigen Oberarmen und der muskulösen Brust lag. In dem einen Moment, als sie über das Thema Ernährung gesprochen hatten, fielen die Sonnenstrahlen in einem günstigen Winkel auf seinen Körper und ließen die Umrisse seiner Muskeln durch den dünnen Stoff des Hemdes schimmern. Sie wusste noch ganz genau, wie es ihr in den Fingern gejuckt hatte, diesen Umrissen nachzufahren, wusste, wie sie sich gefragt hatte, wie sich seine Muskeln wohl unter ihren Fingerspitzen anfühlen würden. Doch vor allem erinnerte sie sich genau daran, wie schön es zwischen ihren Beinen geprickelt hatte, als sein überaus heißer Anblick nicht jugendfreie Bilder in ihrem Kopf schuf. 

„Gefällt dir, was du siehst?“, riss Nicks Stimme sie aus ihren Gedanken. Ihr Blick schoss zu ihm hoch und sie stellte fest, dass er sie grinsend musterte. Sie hatte gar nicht mitbekommen, dass er sein Telefonat beendet hatte, und lief in Sekundenschnelle rot an, als ihr bewusst wurde, dass er offenbar mitbekommen hatte, wie sie ihn angestarrt hatte.

„Ich habe mich gerade gefragt, wie ein Training außerhalb der Saison wohl bei euch aussieht“, gab sie räuspernd von sich.

Nicks Grinsen wurde breiter. „Hast du das, ja?“

„Klar“, entgegnete sie, so locker wie möglich. „Ich wollte schon immer wissen, was Eishockeyspieler im Sommer machen.“

Der kleine Ablenkungsversuch schien zu funktionieren, denn Nick begann tatsächlich aus dem Nähkästchen zu plaudern.

Während sie sich unterhielten, schien jedoch keiner von den beiden zu bemerken, dass jemand sie von der gegenüberliegenden Straßenseite beobachtete.

Kapitel 4

Lucy kannte diese schmerzhaften Stiche, die sie jedes Mal verspürt hatte, wenn sie mitbekam, wie andere Frauen mit Nick flirteten. Doch nie im Leben hätte sie gedacht, wie sehr es sie in Stücke reißen würde, Nick mit einer anderen so eng an einem kleinen Tisch sitzen und gemeinsam lachen zu sehen. Er hatte seinen Arm um sie gelegt, war ihr nicht nur mit seinem Gesicht, sondern auch mit seinem ganzen Körper zugewandt, und als sie sich beinahe geküsst hatten, war sie einem Zusammenbruch nahe gewesen.

Lucy presste sich ihre Hand gegen den schmerzhaft verkrampften Magen, blinzelte die aufsteigenden Tränen weg und versuchte zu atmen, obwohl sie ganz genau wusste, dass ihr das nicht gelingen würde. Denn sie hatte seit Monaten das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Seit dem Moment, als Nick gegangen war. Seit dem Moment, als Stan ihr über seine Bösartigkeit die Augen geöffnet hatte. Seit dem Moment, in dem sie innerlich gestorben war. Sie war nur noch eine leere Hülle, die vor sich hinvegetierte. Nur ein einziges Gefühl nahm sie noch wahr: Einen unerträglichen, qualvollen Schmerz, der ihren ganzen Körper erfüllte und sie in diesem Albtraum gefangen hielt.

Nicks fröhliches Lachen drang wieder an ihre Ohren und der Schmerz verschlimmerte sich noch um einige Nuancen. Sie hatte kein Recht, ihn dafür zu verurteilen, dass er sein Leben weiterlebte, nur weil sie selbst es nicht mehr tat. Immerhin war sie diejenige gewesen, die sich in den Abgrund gestürzt und Nick aus ihrem Leben gestoßen hatte.

Warum stand sie dann noch hier und folterte sich mit diesem Anblick? Warum fiel es ihr so schwer, loszulassen? Warum wollte sie nichts anderes, als rüberzulaufen und sich ihm in die Arme zu werfen?

Geh! Geh einfach weg. Tu dir das nicht an, forderte eine Stimme in ihrem Kopf sie immer wieder auf. Doch ohne es zu wollen, ohne es wirklich zu realisieren, begann sie einen Fuß vor den anderen zu setzen.

***

„O nein, das habe ich total vergessen!“, rief Megan aus und starrte abwechselnd auf die Nachricht in ihrem Smartphone und auf die Uhr.

„Was ist denn los?“, wunderte sich Nick.

„Es tut mir leid, Nick, aber ich muss sofort los. Meine Eltern kommen gleich nach Hause und wir hatten vereinbart, dass ich da bin.“ Sie sah wieder panisch auf die Uhr und sprang von ihrem Stuhl auf. „Wenn ich mich beeile, kriege ich den Bus vielleicht noch.“

„Ich kann dich doch fahren“, bot Nick ihr an und sie stockte in ihrer Bewegung.

„Das würdest du tun?“

„Klar. Mein Auto steht hier direkt um die Ecke, und damit bist du deutlich schneller zu Hause als mit dem Bus.“ Er zwinkerte ihr zu und erhob sich ebenfalls von seinem Stuhl. „Ich gehe schnell rein und bezahle den Kaffee und du“, er legte ihr die Hand auf die Schulter und neigte lächelnd den Kopf, „solltest vielleicht ein paarmal tief durchatmen. Nicht, dass du noch zu hyperventilieren anfängst.“ Mit einem Glucksen verschwand er im Café.

Megan befolgte seinen Rat und atmete tief durch, um die Aufregung in ihrem Inneren zu lösen. Weshalb war sie eigentlich so aufgeregt? War es die drohende Verspätung oder die Tatsache, dass sie gleich mit Nick in seinem Auto mitfahren würde? Allein die Vorstellung, mit ihm ungestört auf engstem Raum zusammen zu sein, ließ ihren Puls in die Höhe schießen und das sehnsüchtige Ziehen in ihrem Unterleib zunehmen.

„Du konntest es kaum erwarten, nicht wahr?“, ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihr und sie drehte sich um.

„Wie bitte?“, fragte sie verwirrt.

„Du warst ja schon immer scharf auf ihn und konntest dein Glück bestimmt kaum fassen, als du erfahren hast, dass Nick wieder zu haben ist, nicht wahr? Ich weiß doch, wie du ihn auf dem College immer angeschmachtet hast und um ihn herumgeschlichen bist. Das war ja so klar, dass du dich sofort an ihn ranschmeißen würdest“, zischte Lucy ihr ins Gesicht.

„Sag mal, hast du sie noch alle?“

Sowohl Lucy als auch Megan drehten ihren Kopf gleichzeitig in die Richtung, aus der gerade die Frage kam. Nick stand neben ihnen und starrte Lucy entsetzt an.

Megan konnte sehen, wie jegliche Farbe aus Lucys Gesicht gewichen war und sie schwer schluckte. Die gleiche Reaktion fand auch bei ihr statt, denn abgesehen von den unglaublichen Unterstellungen, die Lucy ihr an den Kopf geworfen hatte, war es ihr auch schrecklich unangenehm, dass Nick offenbar alles mitbekommen hatte. Was, wenn er glaubt, was Lucy vorhin gesagt hatte? Sie spürte, wie Tränen der Scham hinter ihren Augenlidern zu brennen anfingen.

„Ich muss los“, flüsterte sie kaum hörbar und eilte, nein – floh – regelrecht davon.

„Megan, warte!“ Nick versuchte vergeblich, sie aufzuhalten. Dann drehte er sich ruckartig zu Lucy um und hielt sie mit seinem wütenden Blick gefangen. „Was zum Fuck sollte das eben?“

Lucy erschauderte unter seinem Blick und dem eiskalten Ton in seiner Stimme. „Nick, ich ... Es tut mir leid. Ich weiß auch nicht, was ...“, nuschelte sie, als er ihr ins Wort fiel.

„Vergiss nicht, dass du dich dafür entschieden hattest, einen anderen Weg einzuschlagen. Du wolltest mich nicht mehr. Also komm mit deiner verfickten Entscheidung auch klar und halte dich aus meinem Leben raus.“

Wütend ergriff er seine Sporttasche, die neben dem Tisch lag, an dem er gerade noch mit Megan gesessen hatte, lief zu seinem Wagen hinunter, stieg ein und fuhr los.

Wenig später hatte er Megan eingeholt. Durch die Windschutzscheibe sah er sie auf die Bushaltestelle zueilen. Er ließ die Fensterscheibe an der Beifahrerseite runter und rief ihr zu: „Megan, bleib bitte stehen. Warte doch. Bitte!“

Zunächst reagierte sie nicht, obwohl sie ihn ganz klar gehört haben musste, doch dann verlangsamte sie ihre Schritte und stoppte schließlich. Nick fuhr den Wagen rechts ran, stieg aus und kam auf sie zu. Als er vor ihr zum Stehen kam, hielt sie ihren Blick gesenkt. Ihm fiel auf, dass ihre Augenlider leicht gerötet waren und ihre langen Wimpern an einigen Stellen aneinanderklebten. Sie hat doch nicht etwa geweint, schoss es ihm durch den Kopf, und die Vorstellung, daran schuld zu sein, versetzte ihm einen Stich in der Magengrube. Er holte tief Luft und öffnete den Mund, um sich zu entschuldigen, als sie plötzlich ihre Schultern straffte und ihren Blick hob. Fuck, sie hat geweint!

„Nur damit das klar ist“, fuhr sie ihn aufgeregt an, „was Lucy gesagt hat, stimmt nicht! Ich habe dich nicht angeschmachtet und mich nicht an dich rangeschmissen. Du wolltest unbedingt einen Kaffee mit mir trinken! Und woher sollte ich wissen, dass ihr nicht mehr zusammen seid?“

Nicks Sorge um sie verpuffte in dem Moment, als sie den Mund aufgemacht hatte. Er musste sich ganz schön zusammenreißen, um nicht zu schmunzeln, denn selbst in so einem aufgebrachten Zustand sah sie unheimlich niedlich aus. Ihr temperamentvoller Auftritt und das wütende Funkeln in ihren Augen lösten ein heftiges Kribbeln in seinem Inneren aus, das bis in seinen Schwanz ausstrahlte. Sein Blick fiel auf ihre Pfirsichlippen, die sich während ihrer Ansage sehr schnell bewegten und sich auf ihrem vor Aufregung geröteten Gesicht leuchtend hervorhoben.

„Und ich bin auf dem College auch nicht um dich herumgeschlichen“, fuhr sie in gleicher Tonlage fort, doch als seine Lippen auf ihre trafen, verstummte sie.

Nick schob seine Hand in ihren Nacken und zog sie enger an sich. Weich und warm streiften seine Lippen über ihre und lösten ein heftiges Prickeln auf ihrer Haut aus. Beinahe automatisch schlossen sich ihre vor Überraschung geweiteten Augen und ihr entglitt ein leises Seufzen. Ein zärtliches Knabbern an ihrer Unterlippe setzte ihren ganzen Körper in Brand. Die Muskeln in ihrem Unterleib zogen sich so stark zusammen, dass ihre Knie weich wurden und nachzugeben drohten. Wie in Trance griff sie mit ihren Händen in seine Trainingsjacke, um Halt zu finden, als seine Zunge tief in ihren Mund eintauchte. Ein lustvoller Blitz schoss direkt in ihr Höschen. Oh. Mein. Gott.

Megan konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, ihr Kopf war absolut leer. All ihre Sinne waren so auf diesen Kuss fokussiert gewesen, dass sie erst einige Atemzüge später realisierte, dass Nick sich von ihr gelöst hatte. Langsam öffnete sie ihre Augen. Zunächst fiel ihr Blick auf seinen schmunzelnden Mund, dann sah sie auf und versank regelrecht in seinen tiefgründigen, schokobraunen Augen.

„Alles okay?“

Als seine leise, leicht heisere Stimme an ihre Ohren drang, begriff sie, dass sie ihn anstarrte, und kam blinzelnd zu sich. Mit einem Räuspern nahm sie ihre Hände von seiner Trainingsjacke und machte einen halben Schritt zurück.

„Ähm, ja“, flüsterte sie mit verlegen gesenktem Blick. Ihr ganzer Körper kribbelte immer noch von dem Kuss und in ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken.

„Soll ich dich jetzt nach Hause fahren?“, hörte sie ihn fragen und sah zu ihm auf. Sein Anblick ließ ihr Herz wieder schneller schlagen.

Ein gehauchtes „Okay“ war das Einzige, was ihr überfordertes Gehirn in dem Moment zustande brachte.

Nach einem kurzen Nicken führte er sie zu seinem Wagen.

„Wo soll es hingehen?“, erkundigte er sich, nachdem sie eingestiegen waren und sich angeschnallt hatten.

„Hm?“ Megan hob fragend die Augenbrauen und wirkte, als hätte er sie soeben aus einem Traum geweckt.

Nicks Mundwinkel zuckten amüsiert. „Hat der Kuss dich so durcheinandergebracht?“

Megan riss die Augen auf und fühlte sich ertappt. Verlegen rutschte sie auf ihrem Autositz hin und her.

„Nein, alles okay“, antwortete sie räuspernd, schob sich eine Haarlocke hinter das Ohr und nannte Nick ihre Adresse.

Mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht ließ er einen abschätzenden Blick über sie gleiten, startete dann den Motor und gab Gas.

Nick fuhr über die Hauptstraße in den westlichen Teil der Stadt. Er wusste ungefähr, wo die Westwood Avenue lag, die Megan ihm genannt hatte. Nicht weit davon entfernt befand sich eine Eishalle, in der er auf dem College bei den Michigan Wolves gespielt hatte.

Der Vorfall mit Lucy schob sich unangekündigt in seine Gedanken und dämpfte seine gute Laune. Er wusste noch, wie stark der Schmerz in seiner Brust wurde, als sie plötzlich vor dem Café stand. Ihm fiel sofort auf, wie blass sie war, wie glanzlos ihre Augen und wie eingefallen ihre Wangen waren, außerdem hatte sie stark abgenommen. Innerhalb von Sekunden wandelte sich der Schmerz in seiner Brust in tiefe Traurigkeit und dann in Mitleid, weil sie einfach nur schrecklich aussah. Er verspürte den Drang, sie in den Arm zu nehmen. Was zum ...? In den Arm? Völliges Durcheinander und absolute Verunsicherung schossen durch ihn hindurch. Wie konnte er nach allem, was sie ihm angetan hatte, daran denken, sie in den Arm nehmen zu wollen? Doch dann schlugen diese Gefühle in eine rasant ansteigende Wut um. Er konnte nicht glauben, dass Lucy es tatsächlich gewagt hatte, eifersüchtig zu sein. Sie hatte ihn aus ihrem Leben gekickt, weil er ihr nicht gut genug war, weil er ihr nicht ausgereicht hatte.

Die Erinnerungen an den schlimmsten Tag seines Lebens brachen wie eine Welle über ihm zusammen. Seine Fingerknöchel traten weiß hervor, als er die Hand um das Lenkrad zu einer Faust ballte. Seine Wut auf Lucy verstärkte sich zudem, weil sie Megan auch noch so angefahren hatte.

„Tut mir leid, dass Lucy dich vorhin so blöd angemacht hat“, sagte er betroffen und warf ihr einen kurzen Blick zu.

„Schon okay, war halb so wild“, gab sie schulterzuckend zurück.

Nick kräuselte die Augenbrauen. „Ach, ja? Du hast ausgesehen, als hätte dich das sehr aufgewühlt.“

„Mich hat eher deine Aktion sehr aufgewühlt“, konterte sie frech, erwiderte kurz seinen verdatterten Blick und wandte dann ihr Gesicht schmunzelnd und mit glühenden Wangen wieder der Straße zu.

Nick lachte, als ihm klar wurde, dass sie den Kuss gemeint haben musste. „War mir nicht entgangen“, murmelte er und musste umso breiter grinsen, als sich die Röte auf ihren Wangen vertiefte. So niedlich!

Über die Freisprechanlage kündigte sich ein Anruf an. Nick warf einen kurzen Blick auf das Display des Bordcomputers und nahm den Anruf mit einem genuschelten „Sorry“ an.

Megan kannte den Namen auf dem Display nicht, aber sie vermutete, dass es jemand aus Nicks Mannschaft sein musste, denn sie begannen direkt, über einen neuen Trainingsplan zu sprechen.

Während er telefonierte, sah sie sich unauffällig in seinem Wagen um. Sie hatte noch nie in einem Sportwagen gesessen. Klar wusste sie, dass Nick einen Chevrolet hatte. Sie hatte ihn ein paarmal mit dem schicken, schwarzen Camaro in der Uni gesehen. Doch nie im Leben hätte sie daran gedacht, jemals mitfahren zu dürfen. Das war ein aufregendes Gefühl. Der Sound des Motors vibrierte in den Sportsitzen, die ihr besonders gefielen. Sie mochte auch den Innenraumgeruch: eine Mischung aus Leder, Frische und Nick. Beim Gedanken an ihn stolperte ihr Herz und die Schmetterlinge in ihrem Bauch schlugen wild mit ihren Flügeln.

Verstohlen richtete sie ihren Blick auf ihn. Nick saß tief in den Sitz zurückgelehnt, der linke Ellbogen lag locker auf der unteren Kante des Fensters und seine Hand umschloss das Lenkrad. Sein rechter Arm lehnte an der Mittelkonsole, die Hand ruhte auf seinem Oberschenkel. Die Ärmel seiner Trainingsjacke waren bis zu den Ellbogen hochgerafft, sodass Megan freie Sicht auf seine tätowierten, muskulösen Unterarme hatte. Megan kribbelte es in den Fingern, ihre Hand auszustrecken und über die vielen Linien und Muster seiner Tattoos zu fahren, und um sich zu vergewissern, ob sich seine Haut tatsächlich so samtig anfühlte, wie sie den Anschein hatte.

Plötzlich hob er den Arm, legte ihn ebenfalls aufs Lenkrad und bog in eine Straße ein. Megan riss ihren Blick von dem beeindruckenden Muskelspiel seiner Arme los und richtete ihn nach vorne. Da bemerkte sie, dass Nick in die Westwood Avenue eingebogen war, in der sie wohnte, und hörte, wie er sein Telefonat beendete.

Wenig später streckte sie ihren Finger aus und zeigte zu einer freien Parkbucht auf der rechten Seite.

„Du kannst hier vorne halten“, wies sie ihn an.

Nick überprüfte den Verkehr, setzte den Blinker und fuhr rechts ran. Nachdem der Wagen zum Stillstand gekommen war, sah er sich zu beiden Seiten der Straße um.

„Irgendwie kommt mir das hier bekannt vor. Ich glaube, ich war hier schon mal.“

„Wirklich?“, wunderte sich Megan.

„Jepp.“ Er sah nun nach hinten durch die Heckscheibe. „Ja, genau. Dort drüben, ein paar Häuser weiter, wohnt Scott.“

„Wer?“

Nick drehte sich wieder Megan zu. „Ryder Scott. Unser Goalie.“

Ihre Augenbrauen schossen in die Höhe. „In unserer Straße wohnt ein Spieler der Detroit Hunters?“

Nick gab grinsend einen bejahenden Laut von sich.

„O mein Gott, meine Schwester darf das niemals erfahren.“

Er lachte auf, sah dann an ihr vorbei und deutete mit einem Kopfnicken auf das Haus hinter dem Beifahrerfenster. „Hier wohnst du also?“