LOST LOVER - Veronica Fields - E-Book

LOST LOVER E-Book

Veronica Fields

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Beschreibung

Joyce' Leben braucht dringend einen neuen Anstrich. Ihr Arbeitsalltag - trist und farblos. Ihr Liebesleben - nahezu katastrophal. Ihr Kontostand - lasst uns nicht darüber sprechen. Doch als der smarte Amerikaner Peter es schafft, die Flugzeuge in ihrem Bauch abheben zu lassen, gibt sie der Liebe eine letzte Chance. Sie beginnt wieder zu träumen, jedoch wird sie, schneller als gedacht, auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Turbulente Zeiten brechen an, die nicht nur Joyce unerwartet in Gefahr bringen.  Wird ihr Mut sie endlich mit einem Happy End belohnen?  Eine Lovestory mit Herz und Humor ♥

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Veronica Fields

LOST LOVER

Dem Traummann auf der Spur

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Für Valentin

 

 

Mein kleiner

Sonnenschein

Kapitel 1 Verkehrte Welt

 

Erfolgreich, erwachsen, das Leben fest im Griff. So wollte ich in meinem Alter dastehen. Die Realität sah allerdings ganz anders aus: Zweiunddreißig Jahre, ledig und Chaosqueen – ja, so konnte man mich am ehesten beschreiben. Um den gesellschaftlichen Erwartungen zu entsprechen, hätte ich bereits verheiratet sein und mindestens ein Kind haben müssen, doch die Männerwelt und ich – diese Kombination war einfach zu explosiv, um zu funktionieren. Daher rückte das Mamasein für mich vorerst in weite Ferne. Joyce Miller – Single für alle Zeit.

Denn es war schon wieder passiert: Ein Mann hatte die Flucht ergriffen, nachdem er bemerkt hatte, dass es zwischen uns beiden ernst werden könnte. Oft fragte ich mich, ob ich ein so anstrengender Mensch war, dass es die Kerle bei mir so schnell mit der Angst zu tun bekamen. Solche Gedanken galt es zu ignorieren, da man sich als Individuum sehen und selbst lieben sollte. Jeder hatte doch etwas an sich auszusetzen, niemand empfand sich rundherum als perfekt. Die Frauenwelt erst recht nicht. Wir beschwerten uns gern über zu füllige Schenkel, zu dickes oder zu dünnes Haar, eine schiefe und zu große Nase, oder auch über die Beschaffenheit unseres Busens. Permanent verglichen wir uns mit anderen – wie sollte dabei Zufriedenheit aufkommen?

Ganz anders Männer. Mit ihrer oft protzigen Selbstdarstellung – straffere Muckis, dickere Autos, mehrere Frauen gleichzeitig – hatten sie meist gewaltig einen an der Waffel. Und wehe, das geliebte Fußballteam verlor, da war der Abend dahin.

Bisher kannte ich niemanden auf dieser Welt, der vollkommen zufrieden mit sich war. Missgunst, Neid und die Show nach außen spielten eine immer größere Rolle. Keiner gönnte dem anderen sein Glück, aber selbstverständlich würde das niemals jemand zugeben. Was war so schwer daran, einen Millionär zu beglückwünschen, anstatt ihn zu beneiden oder gar ausrauben zu wollen? Man selbst freute sich ja auch, wenn man im Lotto gewann. Wie gerne würde ich beim Glücksspiel absahnen – wer nicht? Mein Konto würde es genießen, mal wieder in den schwarzen Zahlen mitzuspielen. Das Negativ-Zeichen tauchte in letzter Zeit häufiger vor dem Finanzstatus auf. Aber das Sparkonto für den Notfall, welches ich mir mühsam aufgebaut hatte, wollte ich nicht angreifen. Daher blieb mir nichts anderes übrig, als optimistisch zu bleiben. Für meine finanziellen Probleme würde sich eine Lösung finden.

Ich lebte in einer kleinen Zweizimmerwohnung in Frankfurt am Main und fühlte mich in meiner Unordnung außerordentlich wohl. Trotzdem wäre ein rentables Ereignis durchaus willkommen.

Zum Beispiel könnte ein neues Job-Angebot winken, bei dem ein fünfstelliges Monatsgehalt den Saldo ins Plus katapultierte, ohne, dass ich viel dafür tun müsste. Ein Autohändler könnte einen Neuwagen verschenken und mich als Sieger küren, oder ein Scheich überreichte mir auf der Straße einen Koffer voll Geld. Einfach so, weil er´s konnte. Gegen einen kostenlosen Urlaub bei fünfunddreißig Grad in der Karibik hätte ich auch nichts einzuwenden.

Genug geträumt, zurück zur Realität. Tatsächlich war ich als Sachbearbeiterin bei einer großen, deutschen Firma beschäftigt, sortierte Rechnungen, hatte telefonischen Kontakt mit unseren Lieferanten und klärte Unregelmäßigkeiten ab. Mehr nicht. Diese Tätigkeit erfüllte mich in keiner Weise – ebenso wenig wie die Zusammenarbeit mit meinen unfähigen Kollegen. Allerdings deckte das Gehalt die monatlichen Kosten. Außer natürlich, wenn ich an meinem Lieblingsschuhladen vorbeilief. Sobald ich in die Nähe von Shoe&Shine kam, musste ich meiner Lieblingsverkäuferin Lucy einen Besuch abstatten. Egal, wie sehr ich mich bemühte, nichts zu kaufen, ich fand immer ein ausgefallenes Accessoire oder einen hübschen Schuh, bei dem es mir glatt die Sprache verschlug. Da musste Frau einfach zugreifen. Gründe wie der passt wunderbar zu meinem grünen Oberteil oder der Schal betont meine Augen so stark reichten aus, damit ich mit einer vollen Tüte den Laden verließ.

Frauen, deren tägliches Beauty-Programm länger als fünf Minuten dauerte, wollten sich ja schließlich in die Öffentlichkeit trauen, um mit ihrem Antlitz zu strahlen. Doch das war vor allem eines: kostspielig! Meine Kreditkarte hatte in den letzten Monaten ein wenig zu oft geglüht. Shoppen war für uns weibliche Wesen aber oft ein natürlicher Prozess. Genauso wie Männer ihren Beschützerinstinkt hatten, so hatten wir Frauen den Shopping-Instinkt. Immer diese materiellen Bedürfnisse ...

Meine beste Freundin Soph zeigte mir dennoch, wie man das Leben genießen konnte, denn sie war in unserer Clique das Partygirl – ohne Rücksicht auf Verluste! Gleichzeitig war sie eine treue Wegbegleiterin, die immer an meiner Seite stand.

Da ich mir schon ein Leben lang ein Haustier gewünscht hatte, überraschte mich Soph im Dezember und fuhr zusammen mit mir ins Tierheim, wo ich mir meinen flauschigen Russian-Blue-Kater Jerry aussuchte. Das war ihr Weihnachtsgeschenk an mich, da sie merkte, wie allein ich mich manchmal fühlte. Bei diesen großen grünen Augen konnte ich nicht anders, als mich innerhalb von Sekunden in ihn zu verlieben! Bei den Männern würde mir das erst einmal nicht mehr passieren. Bei meinen altmodischen Vorstellungen von einem potentiellen Traummann rückten reale Liebesgeschichten in weite Ferne. Es stimmte mich traurig, dass ich bisher nie eine lange Beziehung gehabt hatte, da ich innerlich eine große Romantikerin war und auf diesen ganzen übertriebenen Kitsch total stand.

Die Liebe – war sie nur eine Illusion?

Jerry war von nun an der neue Mann an meiner Seite. Einer, der mich nicht enttäuschte, keine großen Anforderungen stellte und vor allem – mich bedingungslos liebte.

So kam der 24. Dezember – Heiligabend. Wenn ich an die bevorstehenden Feiertage dachte, drehte sich mir der Magen um. Familientag – Freude pur! Ich stand in einem nagelneuen Designer-Kleid, jedoch mit nahezu leerem Bankkonto vor der Tür meiner Eltern – bereit, oder eben auch nicht, für das alljährliche Weihnachtsessen. Neben unzähligen Geschenken hatte ich Jerry mit im Gepäck. Die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel, doch meine Laune war jetzt schon im Keller. Denn mein Bruder Justin – ja, Papa hatte durch seine Wurzeln ein Faible für amerikanische Vornamen – samt Ehefrau und seinen beiden kleinen, äußerst anstrengenden Kindern feierte auch mit uns. Seine Kids waren zwei und fünf Jahre alt, aber so etwas von schlecht erzogen! Ihnen waren noch nie Grenzen aufgezeigt worden, geschweige denn, Manieren beigebracht. Damit war jeder Versuch, eine angenehme Zeit mit der Familie zu verbringen, zum Scheitern verurteilt.

Nur eine Stunde später bestätigten sich meine schlimmsten Befürchtungen. Die Lautstärke beim Abendessen hatte das Niveau eines Rockkonzertes erreicht. Ständig schrie einer von den Nervtötern, während deren Opa zwischendurch einen neuen Schwank von seinem Stammtisch erzählte. Die Vorweihnachtszeit war so entspannt und ruhig gewesen, doch jetzt platzte mir fast der Kragen. Als ein angefressener Rosenkohl mitten auf meinem Kleid landete und dabei einen hässlichen Fettfleck hinterließ, konnte ich mich nicht mehr beherrschen.

Genervt forderte ich meinen Bruder auf: »Möchtest du deinen Kindern nicht einmal erklären, wie man sich bei Tisch benimmt?« Ich hatte einfach keine Geduld übrig an diesem Abend. Er sah mich daraufhin nur verachtend an, schnaubte leise und nahm seinem Großen schließlich den Teller weg. Der zweijährige Quälgeist bekam den Schnuller in den Mund geschoben und endlich kehrte wieder Ruhe ein. War das denn so schwer gewesen?

Nach dem Essen gab es dann im Wohnzimmer die Bescherung. Meine Eltern schenkten mir einen Gutschein für das Best Western Hotel Bad Rappenau, welches unweit von der Thermen & Badwelt in Sinsheim lag. Den konnte ich sicherlich gut gebrauchen. Außerdem steckten sie mir ein bisschen Geld mit in den Umschlag, da sie wussten, dass ich öfter etwas knapp bei Kasse war. Nachdem wir im Anschluss den alljährlichen, langweiligen Spieleabend begonnen hatten, ertönte aus dem Flur eine lautstarke Melodie. Es war der Klingelton meines Handys. Sofort sprang ich auf, um nachzusehen, wer mich um diese Uhrzeit noch anrief. Bitte lieber Gott, mach, dass ich hier ganz schnell verschwinden kann!

Es war meine Herzensfreundin Soph, die offensichtlich etwas angeheitert war und mir ins zarte Öhrchen kreischte: »Frohe Weihnachten, Mäuschen. Wir sind im 22nd. Beweg deinen knackigen Hintern zu uns, du fehlst hier. Ohne dich ist es nur halb so lustig!«

»Ich kann hier leider nicht weg. Bei dieser ach so tollen Weihnachtsstimmung kann ich nicht mit meiner Abwesenheit glänzen. Es tut mir leid, Süße.«

»Dann komm, sobald du dich abseilen kannst, Joyce. Ich warte auf dich und der Rest unserer Freunde auch!« Sie legte auf. Soph war so putzig, wenn sie getrunken hatte. Ich überlegte, ob ich nicht doch verschwinden könnte. Meine Mutter kam in den Flur und sah erst mich an, danach das Telefon in meiner rechten Hand, und schließlich wieder mich. Ein Lächeln kam über ihre Lippen.

»Kind, wenn du dich hier nicht mehr wohlfühlst, bitte geh. Ich lass mir schon etwas einfallen, warum du plötzlich wegmusstest. Jerry kann diese Nacht hierbleiben, ich bringe ihn dir morgen zusammen mit deinem Geschenk vorbei. Na los, ab mit dir!« Sie zwinkerte mir verschmitzt zu. Ich kannte meine Mutter und wusste, dass sie nicht böse auf mich war. Schnell zog ich meine Jacke an und küsste sie auf die rechte Wange, die voller Rouge war.

»Du bist die Beste!«

War ich erleichtert, als ich endlich wieder im Auto saß. Raus aus dem vermeintlich harmonischen Familienleben und rein ins Party-Getümmel. Ich wusste ganz genau, wo sich Soph und unsere Clique befanden – an unserem Stammplatz. Während ich mit dem Wagen durch die Stadt fuhr, fielen ein paar Schneeflocken vom Himmel. Leise und sanft kamen sie herunter – fast wie bei einem kleinen Weihnachtswunder.

 

Das 22nd war proppenvoll. Anscheinend waren noch mehr Leute von zu Hause geflüchtet. Jeder Tisch war besetzt, und auch auf der Tanzfläche in der Mitte der Bar steppte der Bär. Alle lachten, tranken, sangen und tanzten. Einen Moment genoss ich die ausgelassene Atmosphäre, dann ließ ich meinen Blick suchend über die Menge wandern. Am Ende der Bar blitzte ein neongelbes Kleid hervor. Das war eindeutig meine Freundin in ihrem Lieblings-Party-Dress. Sie sah trotz der grellen Farbe hübsch und sexy darin aus. Und offensichtlich hatte sich Soph schon einen Liebhaber für die Nacht geangelt, denn sie tanzte eng umschlungen mit einem Kerl, den ich nicht kannte. Sie hing buchstäblich an seinen Lippen. Zwar wollte ich sie bei ihrem heißen Flirt nicht stören, doch ich freute mich einfach zu sehr, sie zu sehen.

»Sophiiiiiie!«, schrie ich spontan. Die ganze Bar, inklusive Soph, drehte sich trotz der dröhnenden Musik in meine Richtung um.

»Hallööööchen, Süße«, rief sie mir zu, und meine Stimmung schlug augenblicklich von furchtbar genervt in absolut glücklich um. Wir umarmten uns fest und bestellten an der Bar unser Lieblingsgetränk. Himbeer-Hugo, kurz HiHo. Es klang fast wie das Ho-ho-ho an Weihnachten.

Die Gäste feierten ausgelassen und schienen entspannt. Das hier war viel besser, als mit seiner Familie auf heile Welt zu machen und gelangweilt herumzusitzen. Und vor allem befanden sich hier keine lästigen Sprösslinge. Nur Erwachsene, die Spaß hatten und den Stress des Alltags vergessen wollten. Neben Soph waren auch einige unserer Freunde da. Anni, Kathi, Florian und sogar Andreas waren mit an Bord. Ich war begeistert, dass sich doch so viele am Weihnachtsabend Zeit genommen hatten, um die Nacht gemeinsam zu feiern. Wir waren schon fast wie eine kleine Familie, hatten uns ausgesprochen gern und jeder würde für den anderen alles tun. Wie hieß es so schön: Freunde kann man sich aussuchen – Familie nicht! Wer diesen Spruch erfunden hatte, war ein Genie. Denn genau so spielte es sich im echten Leben ab.

 

Wir tanzten stundenlang miteinander und feierten ausgiebig – wie es sich bei uns, wenn wir unterwegs waren, gehörte. Jeder tauschte einmal den Tanzpartner, und keiner sah mehr auf die Uhr. Als dann aber der DJ eine kurze Pause einlegte, wurden einige von uns ruhiger. Auch Soph und ihre heutige Eroberung machten den Anschein, als wollten sie bald zur privaten Feier übergehen – bei ihr zu Hause.

»Ist es in Ordnung, wenn ich verschwinde und dich hier allein lasse?«, flüsterte sie mir ins Ohr.

»Klar«, meinte ich und nickte, obwohl ich mir den Abend anders vorgestellt hatte. Aber ich wollte ihr das Abenteuer nicht versauen. Nach einer ausgiebigen Umarmung verließen beide die Bar. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon drei HiHos getrunken und traute mich nicht mehr, mit dem Auto zu fahren. Ich tanzte noch ein bisschen mit den Jungs, aber irgendwann holte auch mich die Müdigkeit ein. Es war spät und das gemütliche und kuschelige Bett wartete bereits auf meine Ankunft.

Nach der Verabschiedung zog ich mir die mit falschem Pelz gefütterte beige Winterjacke an. Ein weißer Schal und eine farblich passende Mütze rundeten das Outfit ab. Accessoires waren einfach meine Welt. Als ich nach draußen an die frische Luft trat, konnte ich es nicht fassen. Es hatte geschneit. Und zwar heftig. Überall auf der Straße, den Autos und den Häusern lag zentimeterdick der Schnee. Eine eiskalte Decke hatte sich innerhalb der letzten Stunden über die Natur gelegt. Die Luft roch so frisch und klar, sodass ich mich richtig auf den Spaziergang freute. Ich war froh, mir warme Overknee-Stiefel angezogen zu haben, sonst hätte ich mir bei diesem plötzlichen Wetterumschwung eine fette Erkältung geholt.

Vergnügt schlenderte ich durch den nahegelegenen Rebstock-Park und beobachtete die Flocken, die im Licht der Laternen schimmerten. Jeder meiner Schritte verursachte knarzende Geräusche im Schnee. Den Winter mochte ich schon immer besonders gerne – meine liebste Jahreszeit. Als ich frohlockend durch die glitzernde Landschaft stolzierte, entdeckte ich plötzlich einen Schatten vor mir am Boden und stoppte. Vorsichtig duckte ich mich ein wenig und sah nach oben. Neben dem Weg saß ein Mann mit nachdenklichem Blick auf einer Parkbank. Er starrte ins Leere und wirkte verkrampft. Sein schwarzer Mantel ließ ihn düster erscheinen. Ob er das wohl auch war? Er war in Gedanken versunken, denn es schien so, als würde er von seiner Umwelt überhaupt nichts mitbekommen.

Ich zögerte. Nein – meine eigenen Gedanken hielten mich ein wenig zurück – als Frau nachts mutterseelenallein im Park sollte ich keinen Wildfremden ansprechen. Aber irgendwie sah er so verloren und unzufrieden aus. Er tat mir leid. Und schließlich war Weihnachten.

Ich nahm all meinen Mut zusammen und machte ein paar Schritte in seine Richtung.

»Ist alles in Ordnung bei Ihnen?«, fragte ich vorsichtig.

Zuerst kam nicht die geringste Reaktion. Er bewegte sich keinen Millimeter.

Dann, nach ein paar Sekunden, hob er seinen Kopf und sah mich an. Er schaute mir tief in die Augen. Auf einmal fing er an, über das ganze Gesicht zu grinsen. Es war kein schreckenerregendes Grinsen, eher ein vertrauensvolles Lächeln.

»Ich bin okay. Vielen Dank, dass Sie gefragt haben.«

 

Kapitel 2 Time to relax

 

Anscheinend hatte dieser Kerl gemerkt, dass ich mir Sorgen um ihn gemacht hatte. Man hörte es wohl an meinem Tonfall, wenn mich etwas beschäftigte. Ich hatte gehofft, dass er mir ein wenig mehr darüber verraten würde, was ihm durch den Kopf ging, aber das tat er nicht.

Also gab ich mir einen Ruck.

»Sie sehen traurig aus. Was machen Sie in dieser frostigen Nacht hier so ganz allein?«

Er lächelte freundlich. Offensichtlich freute er sich, dass sich jemand für ihn interessierte. »Ich komme von einem Geschäftsmeeting hier um die Ecke, das lange gedauert hat. Leider wollten die Kunden ausschließlich mit mir sprechen, sodass ich persönlich anwesend sein musste. Jetzt wollte ich an der frischen Luft noch etwas abschalten.«

Ah! Deswegen war er unaufmerksam gewesen, als ich näher an ihn herangetreten war.

»Darf ich Du sagen? Setz dich doch gerne zu mir, wenn du möchtest«, meinte er salopp, mit einem leicht amerikanischen Akzent. Sollte ich mich wirklich zu ihm hocken? Eine schüchterne Frau war ich zwar nie gewesen, doch er war immer noch ein Fremder. Da ich eine gute Menschenkenntnis besaß, verließ ich mich auf mein Bauchgefühl und nahm neben ihm auf der mit Schnee bedeckten, leicht vereisten Parkbank Platz.

Ich sah ihn an.

»Darf ich erfahren, um welches Meeting es sich gehandelt hat?«, fragte ich und zog dabei wissbegierig meine Augenbrauen nach oben.

»Ich habe ein paar wichtige, deutsche Kunden getroffen und bin danach in mein Hotel gegangen. Eine Sternschnuppe flog vorbei, als ich aus dem Fenster gesehen habe, und da habe ich beschlossen, noch einen Spaziergang zu machen. An diesem wichtigen Abend allein und ohne die Familie zu sein, ist auch für mich nicht üblich. Mein Flug nach Hause geht allerdings in wenigen Stunden. Ich lebe in Orlando in den USA.«

Er lebte in Orlando. Die Welt war einfach zu klein!

»Mein Vater ist auch im Sonnenschein-Staat Florida aufgewachsen«, erklärte ich ihm. »Genauer gesagt, in Vero Beach.« Zwischen Orlando und Vero Beach lagen ungefähr hundert Meilen. »Mein Vater ist, nachdem er nach Deutschland gezogen war, früher oft dort gewesen, um Freunde zu besuchen. Auch heute bestehen diese Freundschaften noch. Meine Mutter hat er hier in Frankfurt bei einem Trip kennen und lieben gelernt. Deshalb sind wir zweisprachig aufgewachsen.«

Als ich diese Story dem Unbekannten neben mir erzählt hatte, schmunzelte er sofort. Man sah ihm an, dass er sich freute, sich mit jemandem, der nicht zu seinen Kunden gehörte, zu unterhalten. Endlich entlockte ich ihm durch diese Gemeinsamkeit ein Lachen.

»So siehst du gleich viel freundlicher aus«, merkte ich heiter an.

»Gelacht habe ich schon seit einiger Zeit nicht mehr«, gab er zu.

»Das ist schade. Ich finde, es steht dir wirklich gut!«

Seine Mundwinkel hoben sich erneut, und ich wurde rot. Warum musste ich auch immer so vorlaut sein? Verstohlen beobachtete ich ihn genauer. Ein attraktiver und gutaussehender Mann. Schätzungsweise in meinem Alter, aber das konnte ich gerade noch nicht genau beurteilen. Er hatte volle Lippen, gepflegte Zähne, kurze dunkle Haare, und soweit ich das erkennen konnte, große rehbraune Augen. So etwas von anziehend! Ich liebte braune Augen. Sie wirkten immer sehr vertraut und gleichzeitig so unschuldig. Ich selbst hatte sie ebenfalls, allerdings mit einem Stich Grün darin. Sein ansprechendes Aussehen hatte mich überrascht und zugegebenermaßen, auch ein wenig geflasht. Er riss mich plötzlich aus meinen Gedanken, indem er seine Jacke nahm und sie mir gentlemanlike über die Schultern legte. »Hier, für dich!«

Ich brauchte nichts zu sagen, da ich bibberte und fror wie Espenlaub. Immerhin hatte ich ja nur das Designerkleidchen unter meiner Jacke an. Warum setzte ich mich auch auf eine eiskalte Parkbank, mitten in der Nacht? Beide Hände waren bereits leicht blau angelaufen und zitterten so sehr, dass es wohl jedem aufgefallen wäre. Kurz legte er seine Hände über meine, um sie zu erwärmen. Seine sanfte Haut ließ mich nicht einmal zucken, als er mich berührte. Ich fühlte mich seltsamerweise nicht unwohl, und es gefiel mir, seine Körperwärme zu spüren. Erneut sah er neckisch zu mir hinüber, und ich merkte direkt, wie die Flocken um uns herum zerschmolzen. Flirteten wir gerade? Doch dann ließ er wieder los, machte es sich auf der Bank bequem und starrte hinauf in den Himmel. Etwas verstört sah ich ebenfalls nach oben. Es war eine sternenklare Nacht.

»Die Augen der Verstorbenen blicken gerade auf uns herunter.«

Ich runzelte die Stirn. »Wie genau meinst du das?«

»Meine Granny hat früher immer so über die Menschen im Himmel gesprochen. Sie versuchen, uns zu beschützen. Tag für Tag. Jeder Stern ist einer von ihnen und alle geben sie auf uns acht! So war zumindest die Theorie meiner Großmutter.«

Während er sprach, trübte sich sein Blick. Wahrscheinlich war seine Oma bereits verstorben, und deshalb hatte er beim Betrachten der Sterne an sie gedacht. Er wirkte melancholisch. Ich wollte nicht nachfragen, um nicht unhöflich zu erscheinen und ihn damit vielleicht noch in Verlegenheit zu bringen. Wir schwiegen einen Moment und genossen die Ruhe und das angenehme Flair, das er durch seine herzliche Geschichte verbreitet hatte. Er tippte mit einem Mal mit einem Finger auf der Bank auf und ab und schien ein wenig hibbelig. Was dachte er wohl gerade? Dann wandte er sich zu mir und sah in meine weit geöffneten Augen, die gespannt darauf waren, was er mir zu sagen hatte.

»Hast du ein Handy?«, fragte er unerwartet. Ich nickte. Natürlich hatte ich es dabei, ohne das Ding ging ich nie aus dem Haus. Vertrauensvoll gab ich es ihm, obwohl meine Mutter mir das anders beigebracht hatte. Doch dieser Unbekannte hatte etwas an sich, das ich nicht erklären konnte. Seine Ausstrahlung sprach mich so an, dass ich ihm, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, blindes Vertrauen schenkte. Er kannte sich anscheinend mit meinem neu erworbenen Smartphone aus und wusste, wie er es bedienen musste. Er hob es vor uns in die Luft.

»Cheeeese«, sagte er und strahlte dabei wie ein Honigkuchenpferd.

Ich erkannte, dass er die Handykamera eingeschaltet hatte. Klick. Er drückte den Auslöser, und so entstand spontan ein Bild von uns. Ein Selfie. Wir sahen es uns gemeinsam an. Verschmitzt blickte er mir in die Augen und schluckte plötzlich kurz hinunter. War er nervös? Er wirkte, als wollte er etwas sagen. Er atmete noch einmal schwer auf, fasste sich ein Herz und sprach dann folgende Worte in meine Richtung: »Danke, dass du diesen Moment mit mir geteilt hast. Du bist ein ganz besonderer Mensch!«

So etwas Schönes hatte ich schon lange nicht mehr gehört. Ich wurde leicht verlegen und höchstwahrscheinlich auch ein bisschen rot um meine Wangen herum. Sein amerikanischer Akzent ließ die deutschen Worte noch geschmeidiger wirken.

»Danke! Das kann ich nur zurückgeben«, erwiderte ich mit positiv klingender Stimme. Sie piepste fast ein wenig dabei. Gerade als ich anfing, mich mit ihm wohlzufühlen und nicht wollte, dass unsere Unterhaltung endete, erhob er sich mit einem Mal. Er stand vor mir in seinem Businessanzug, aus dem sein hellblaues Hemd hervorblitzte. Vorsichtig nahm er seine Jacke wieder von meinen Schultern und warf sie locker über seine. Er machte einen kleinen, betrübten Schmollmund und ich ahnte bereits, dass nun etwas passieren würde, das mich nicht fröhlich stimmen würde.

»Ich muss dich jetzt leider verlassen. Mein Flug geht bald!«

Warum musste er denn genau in diesem Augenblick zum Flughafen? Es kam so überraschend. Auf der anderen Seite war es schon sehr früh und die meisten Flieger starteten bereits in den Morgenstunden.

»Es war schön, dich kennengelernt zu haben!«

Das war sein Schlusssatz. Er strahlte mich noch einmal mit seinen schneeweißen Zähnen an, strich mir mit seinem rechten Daumen über meine linke Wange und ging. Ohne, dass ich etwas hätte sagen können. So wie alle Männer wieder aus meinem Leben verschwunden waren. Schnell und ohne große Worte. Ich war total neben der Spur. Das waren ein paar sehr besondere Minuten mit einem völlig Fremden gewesen, und ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Komplette Überforderung. Außerdem Sprachlosigkeit. Es fiel mir schwer zu atmen und ich rang nach Luft. War dieser filmreife Moment nun wahrhaftig vorbei?

Er war es.

Verwirrt ging ich durch die Kälte nach Hause. Ich fror am ganzen Körper, trotz meiner warmen, aber recht konfusen Gedanken. Mittlerweile war die Sonne fast wieder aufgegangen und ich beschloss, noch eine heiße Dusche zu nehmen. Ansonsten würde ich mit meinem abgekühlten Körper vermutlich nie einschlafen können. Auch Jerry vermisste ich in diesem Moment sehr, da er über Nacht bei meinen Eltern geblieben war. Als ich unter der Brause stand, kehrten die Gedanken wieder zu dem Mann und der Parkbank zurück. Der Fremde war nur einen kurzen Augenblick auf der Bildfläche erschienen, und trotzdem fühlte ich so etwas wie Zuneigung zu ihm. Wahrscheinlich weil er sehr vertraut mit mir gesprochen und irgendwie einen besonderen Zugang zu mir gefunden hatte.

Aber vermutlich bildete ich mir das nur wieder ein. Männer konnte ich nach den unzähligen Misserfolgen bisher wirklich nicht mehr einschätzen. Außerdem lebte der Unbekannte auf der anderen Seite der Welt, warum sollte man sich da noch weiter den Kopf über ihn zerbrechen? Ein Händchen für das männliche Geschlecht hatte ich einfach nicht, also war es das Beste, nach vorne zu blicken und alles Testosterongesteuerte auszublenden. Mit diesen Gedanken schlief ich endlich ein, zwar ein wenig einsam, aber doch recht schnell.

 

Vier Tage später war mein Urlaub vorbei und ich wollte partout nicht wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren. Ich wusste nämlich genau, was mich dort erwarten würde. Zwei durch und durch überforderte Kollegen, die überhaupt nichts kapierten und mir Löcher in den Bauch fragten. Es wunderte mich sowieso, dass ich im Urlaub nicht von ihnen angerufen und mit Hilfeschreien bombardiert worden war. Ich hatte schon befürchtet, dass ich zwischendurch Schadensbegrenzung hätte betreiben müssen. Aber das durfte ich dann sicherlich, sobald ich wieder an meinem geliebten Schreibtisch saß.

Und genauso kam es auch. Kaum war ich im normalen Alltag angekommen, wollte ich am liebsten sofort zurück auf die Couch. Auf meinem Sekretär türmten sich die Rechnungen und Stapel für Stapel waren dort aufgeschichtet. Ich konnte es nicht fassen. Ein so riesiges Chaos hatte mich noch nie auf der Arbeit empfangen. Die Wut kochte in mir hoch! Mein Kopf sah bestimmt so rot wie eine überreife Tomate aus und ich verspürte den Drang, jemanden anzuschreien. Egal, wen, Hauptsache, ich konnte den aufgestiegenen Zorn hinauslassen. Ich atmete einmal tief durch und versuchte, mich zu beruhigen. Mit netter Stimme fragte ich meinen neuen Kollegen Robert: »Was habt ihr mir denn da Schönes hinterlassen?«

»Du, die haben einfach alles auf deinen Tisch gelegt. Wir haben inzwischen das Tagesgeschäft gewissenhaft erledigt«, sagte er mit spitzer Zunge zu mir. Dass ich nicht lachte – und ich lachte wahrhaftig – und zwar richtig laut. Tatsächlich war mir vor lauter Wut zum Heulen zumute, aber an dieser Stelle konnte ich nur noch verärgert losprusten.

»Seid ihr eigentlich von allen guten Geistern verlassen? Glaubt ihr wirklich, dass ihr ohne vernünftigen Grund alles bei mir abladen könnt? Ganz im Sinne von Joyce wird das Kind schon schaukeln, oder wie? Soll ich jetzt etwa die ganze Arbeit allein machen, nur weil ihr Unfähigen nichts auf die Reihe bekommt?«, strömte es aus mir heraus. Wütend schnaubte ich. Alle Mitarbeiter meiner Firma, die sich im Radius von zehn Metern befanden, starrten mich fragend an.

Kaum hatte ich dem Ärger in mir Luft gemacht, saß ich drei Minuten später auch schon beim Chef im Büro. Das war abzusehen gewesen, nach so einer Aktion in einem Großraumbüro. Irgendwie schämte ich mich ein bisschen für den Ausbruch. Ich war so schnell auf hundertachtzig gewesen, dass ich meine Wut nicht hatte im Zaum halten können. Ich erhielt eine Verwarnung. Das war fast wie früher mit meinem Bruderherz. Die andere Seite baute Mist, und ich musste dafür geradestehen. O Mann, hatte ich schon am ersten Tag nach dem Urlaub die Schnauze wieder gehörig voll!

Der Stapel Rechnungen wurde im Laufe der Arbeitswoche gefühlt kein bisschen kleiner, und Silvester ging ebenfalls ziemlich spurlos an mir vorbei. Da dieses Jahr in der Clique nichts geplant war, verbrachte ich den Jahreswechsel zu Hause mit dem liebsten Mann, meinem Katerchen, zusammen mit einem unterhaltsamen TV-Programm. In der zweiten Woche legte ich ein paar Überstunden ein, da ich sonst keinen Ausweg mehr aus dem auferlegten Chaos sah. Langsam verschwanden die To-Dos und ich konnte wieder ein wenig durchatmen. Endlich waren die Kollegen bereit, mir etwas von den Aufgaben abzunehmen und ich hoffte, dass die Urlaubsvertretung in Zukunft ordentlicher ablief. Für mich, aber auch für deren Gesundheit, würde das besser sein. Ich wollte nicht erneut so ausflippen. Nein, danke!

In puncto Arbeit lief es also weiter, jetzt musste ich nur noch mein Privatleben ein wenig mehr in Schwung bringen und etwas Neues erleben. Ich überlegte, womit ich mich ein bisschen aufheitern und mal wieder so richtig wohlfühlen könnte. Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen – ein Wellnesswochenende!

Das wär´s jetzt. Einfach mal die Seele baumeln lassen und abschalten. Diese Spontanidee gefiel mir gleich so gut, dass ich sofort Soph anrief, und versuchte, sie zu überreden, mit mir auf einen Kurztrip zu verschwinden.

Viel Überredungskunst brauchte ich allerdings nicht. Sie hörte sich meine Idee flugs an und unterbrach mich gleich bei dem Satz »Wie sieht es dieses Wochenende …«

Sie schrie vergnügt: »Du hattest mich doch schon bei dem Wort Wellnessurlaub! Auf geht´s!«

Aufgeregt schmiss ich mich in meine warmen Klamotten und fuhr zu Soph. Wir trafen uns auf einen Kaffee bei ihr. Einfach mal entspannen – das würde hammermäßig werden! Nachdem ich ihr das Hotel von meinem geschenkten Gutschein vorgeschlagen hatte, sahen wir uns dieses noch einmal genauer an.

»Ohne den Gutschein werde ich mir gerade keinen ausgiebigen Wellnessurlaub leisten können«, eröffnete ich Soph leicht zögerlich. Also musste es diese Unterkunft für mich sein. Sie stimmte zu, denn deren Internetauftritt gefiel ihr ebenfalls. Best Western Hotel – das war unser Ziel, um zu relaxen. In vollen Zügen.

Wir buchten schnell das beste Angebot auf der Webseite, und zwei Tage später ging es bereits los. Beide waren wir aufgeregt und freuten uns auf die Zeit, die vor uns lag. Wir hatten gute neunzig Minuten Autofahrt vor uns – ein Katzensprung sozusagen. Apropos Katze: Jerry verbrachte die Zeit, wie so oft, wenn ich länger unterwegs war, bei meinen Eltern.

Wir beobachteten während der Fahrt die Landschaft, die uns mit ihrer Schneebedeckung anfunkelte. Wir freuten uns wie verrückt und waren absolut Feuer und Flamme für diesen Ausflug. Mit niemandem würde ich lieber zum Wellnessen fahren, als mit meiner herzallerliebsten Maus! Ich liebte ihre quirlige und unkomplizierte Art. Bei ihr konnte ich einfach so sein, wie ich eben war, und musste mich kein Stückchen verbiegen. Wir hatten uns bisher auch noch nie gestritten, weil wir uns in so vielen Lebenslagen total ähnelten. Ich kannte sie nun schon über zehn Jahre und würde sie gegen nichts und niemanden auf der Welt eintauschen wollen! Sie war meine Retterin in der Not. Immer und überall.

Im Hotel angekommen, buchten wir beim Check-In gleich eine Ganzkörper-Paarmassage, da diese gerade im Angebot war. Schließlich wollten wir das Wochenende nutzen. Die Rezeptionistin guckte uns ein wenig fragend an und schmunzelte dabei verschmitzt. Wir sahen uns beide in die Augen und verstanden nicht, was an dieser Situation komisch gewesen sein sollte. Wir zuckten mit den Schultern und widmeten uns wieder der Dame. Einen Moment später wurden wir aufgeklärt. Die bunt gekleidete und mit Tunnels in den Ohren versehene Empfangsdame meinte zu uns: »Ich freue mich für Sie beide. Sie sind ein ganz reizendes Paar, und ich hoffe, ich finde auch bald eine so liebe Partnerin!«

Diese Aussage kam so unerwartet, dass wir uns das Lachen nicht mehr verkneifen konnten. Sie sah uns etwas verwundert an.

»Wir wissen, dass wir sehr harmonisch miteinander umgehen, aber das liegt daran, dass wir so gute Freundinnen sind. Danke für das Kompliment an unser gemeinsames Band, aber wir sind kein Paar«, witzelte ich und zwinkerte ihr dabei verständnisvoll zu.

»Ach, das tut mir jetzt aber leid. Ihr seid einfach zuckersüß zueinander. Behaltet das bei und pflegt eure Freundschaft weiterhin.« Sie übergab uns noch die Zimmerkarten und verabschiedete sich bei uns. »Habt einen angenehmen Aufenthalt!«

In unserem hübschen Zimmer angekommen, packten wir das wichtigste Hab und Gut aus und machten uns danach auf den Weg zur Massage. Wohlgemerkt zur Paarmassage. Was für ein angenehmer Start in unsere wohlverdiente Pause.

Ein attraktiver junger Mann knetete mich durch, und Soph bekam einen etwas reiferen Herrn. Die Masseure waren absolut sanft mit ihren Händen, und wir beide mussten uns mit unseren Wohlfühl-Seufzern sehr zurückhalten. Schließlich wollten wir keinen falschen Eindruck erwecken, doch wir genossen die Handbewegungen der Männer sehr.

Nach der wirklich entspannenden und wirkungsvollen Massage verbrachten wir noch ein paar Stunden in der Thermenwelt und ließen uns das Abendessen danach so richtig schmecken. Wir fielen später in einen wohltuenden, tiefen Erholungsschlaf.

 

Am nächsten Tag war ein Ausflug in die Berge geplant. Wir fuhren mit einer Gondelbahn hinauf, aßen dort auf einer Hütte eine reichhaltige Brotzeit und gingen dann langsam und gemütlich wieder den Hügel hinunter. Wir stießen auf einen verlassenen Pfad und kamen unverhofft an einem mächtigen Wasserfall vorbei. Moos bedeckte die Steine rundherum, und mit der bereits sinkenden Sonne ergab dies ein malerisches Naturbild, bei dem man alles andere vergaß und den Moment genoss.

»Wie wunderschön es hier ist.« Soph kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Auch ich wollte am liebsten für immer an diesem Ort Wurzeln schlagen. »Allein dafür hat sich unser Urlaub bereits mehr als gelohnt!«

Wir verweilten dort eine Zeit lang und ließen die Seelen ausführlich baumeln.

Abends kehrten wir in eine ortsansässige Bar ein, in der wir uns aber absolut nicht wohlfühlten. Die Einheimischen starrten unsere Party-Outfits an, als ob wir Aliens wären. Dies war offensichtlich kein geeigneter Platz für Touristen. Schnell tranken wir die bestellten Cocktails aus und machten uns schleunigst auf den Weg zurück ins Hotel. So fix hatte ich noch nie einen Drink geleert, nur um wieder aus einer Bar verschwinden zu können. Danach saßen wir noch ein paar Stunden auf dem Balkon und redeten über Alltägliches, das uns beschäftigte. Die Arbeit, die Liebe oder Sophs verflossene Bekanntschaften. Wie immer konnte ich mit ihr stundenlang quatschen. Sie war so unkompliziert, und ich musste nie darauf achten, worüber ich mit ihr sprach.

 

Am nächsten Morgen war unser kleiner Wellnessurlaub bereits fast wieder vorbei. Wir hüpften nach dem breitgefächerten Frühstück noch einmal in das Thermalbecken und genossen dort die Ruhe, denn so früh morgens war nicht alles schon voll mit Besuchern. Wir entspannten ausgedehnt im warmen Nass und nach der Dusche im Hotelzimmer ging es bereits wieder ans Auschecken. Wir bezahlten die offenen Rechnungen der Massagen und Getränke. Sie waren natürlich total überteuert, aber was tat man nicht alles, um sich einmal etwas zu gönnen und sich zu erholen.

Auf dem Heimweg gerieten wir in einen großen Stau auf der Autobahn. Wir brauchten über eine Stunde länger als bei der Hinfahrt. Beide waren wir genervt, und kurz vor der Ankunft entschieden wir, noch auf einen schnellen Absacker in unsere Lieblingsbar einzukehren. Nach dem Dilemma von gestern Abend fühlten wir uns hier wieder mehr als willkommen. Wir waren einfach zu Hause.

 

Kapitel 3 Zeichen und Wunder

 

Unser Lieblingsdrink HiHo schmeckte wie immer absolut köstlich und wir fischten die leckeren Himbeeren mit dem Strohhalm heraus und aßen sie genüsslich auf. Das war der perfekte Abschluss für unser wohltuendes Wellnesswochenende!

Zu Hause war es zwar immer am schönsten, aber ab und zu die Welt zu bereisen und den Kopf dabei auszuschalten – das hatte schon was. Man sah Neues und lernte so viele andere Dinge und Menschen kennen, denen man daheim beim Extrem-Couching bestimmt nicht begegnet wäre. Ganz nach dem Motto: Der Traummann wird sicher nicht an deine Haustür klopfen. Ich war zwar nicht auf der Suche nach Mister Right, aber im normalen Alltag würde er mir gewiss nicht begegnen. Nur zu gut kannte ich die Leute in meinem Umfeld, und eines konnte ich mit Sicherheit sagen: Kein Schwarm weit und breit in Sicht! Wollte ich Fremde treffen, müsste ich raus aus der Komfortzone und rein ins Ungewisse. Draußen in der Welt gab es neuen Input, und man konnte seinen Horizont immens erweitern.

In der Stadt Frankfurt lag ein angenehmes Flair in der Luft und alle schienen zufrieden. Ich ebenso. Das Wochenende hatte so gutgetan. Einfach einmal nur für sich zu sein, aber gleichzeitig mit der besten Freundin über Sämtliches zu reden und ein wenig zu lästern. Das gehörte schließlich auch zu Frauengesprächen dazu. Ohne den Klatsch wäre manches wirklich nur halb so lustig im Leben. Ich wusste, Frauen waren oftmals ganz schön anmaßend und konnten sehr fies sein, doch die anderen Ladys waren es umgekehrt genauso. Es war also schwierig zu ändern – das lag quasi in unserer Natur. Die Männer bezeichneten sich ja auch seit jeher als Jäger und Sammler. Wir im Gegenzug waren halt die plappernden Lästermäuler. Aber wir liebten es. Ich fand es schon immer großartig, eine Frau zu sein!

Na ja, die allseits unbeliebten Erdbeertage und die damit verbundenen Schmerzen, oder eine Geburt auszuhalten – das alles gehörte zu den Kleinigkeiten, die Frau sich gerne angenehmer wünschte. Doch ebenso hatten wir einige Vorteile. Wir konnten uns schminken, falls einmal ein Pickelchen oder tiefe, dunkle Augenringe auftauchten. Danke Concealer! Wenn Männer sich pflegten und zu viel auf sich achteten, hieß es gleich, sie wären metrosexuell. Versteh das einer. Wir Frauen wurden oft auf einen Drink eingeladen – Kerle dagegen mussten immer alles selbst bezahlen. Andererseits wurden Männer im gleichen Job besser bezahlt als wir – was auch unfair war. Daher konnten sie schon ab und zu ein Getränk für uns springen lassen. Auf jeden Fall gab es beidseitig vieles, das optimaler laufen könnte. Manchmal war ich zwar zu sensibel und fing gerne bei einem schnulzigen Film an zu weinen, aber das gehörte eben zu mir. Oft kullerten die Tränen auch, wenn ich extrem wütend war, wie zum Beispiel bei Gesprächen mit dem Chef und mit Kollegen, bei denen ich mich absolut unverstanden fühlte. Dann steigerte ich mich in die Situation so richtig hinein, sodass alles hochkam und ich mich nicht mehr im Zaum halten konnte. Leider. In diesen Momenten hätte ich oft gerne mehr Eier in der Hose gehabt, aber ich konnte ja nichts für meine Natur. So war ich nun mal. Dieses sogenannte Wutweinen wurde ich einfach nicht los. Da konnte man machen, was man wollte – was hinausmusste, musste eben hinaus.

An diesem Tag in der Bar war mir aber alles andere als zum Heulen zumute. Es stimmte mich fröhlich, an meinem Lieblingsplatz in meiner Lieblingsbar zu sitzen und unseren Lieblingsdrink mit meiner Lieblingsfreundin zu genießen. So viele Lieblinge auf einen Haufen – wie sollte es mir da auch schlecht gehen? Soph und ich redeten wieder über alte Zeiten und schwelgten in Erinnerungen an unsere traumhaften Urlaube. In Ägypten waren wir im offenen Meer mit Delphinen geschwommen. Ein unglaubliches Erlebnis! Wir waren auch in vielen Ländern gemeinsam unterwegs gewesen, wie Italien, Spanien und in Griechenland. Beide waren wir meist Single, daher war es schon zur Tradition geworden, dass wir einmal im Jahr zusammen wegfuhren oder flogen. Soph holte ihr Handy heraus und fand ein Foto aus unserer Zeit in Ägypten in ihrer Galerie. Mensch, sahen wir da hübsch aus. Ich braungebrannt und noch blonder, da ich von der Sonne geküsst worden war und dann immer hellere, lockigere Haare bekam. Und Soph, die optisch genau so entspannt und glücklich aussah, wie eh und je.

»Hast du nicht auch noch ein paar Schnappschüsse auf deinem Handy?«, fragte sie mich.

Ich hatte tatsächlich die alten Fotos mit auf mein neues übernommen, da ich sie nicht hatte verlieren wollen. Ich musste erst einmal nachsehen, ob ich das Smartphone überhaupt eingesteckt oder es doch im Auto liegen gelassen hatte. Es befand sich in der hinteren Hosentasche. »Gefunden!«

Also entsperrte ich es, klickte auf das Fotoalbum und scrollte mit dem Finger nach oben. Auf einmal erblickte ich etwas Unbekanntes. Neugierig schaute ich zurück und tippte das Bild an, das mich kurz meine Stirn runzeln ließ. Es erschien in voller Pracht auf dem Bildschirm. Als ich es erkannte, traf es mich wie ein Blitz. Es lief mir sofort kalt den Rücken hinunter, allerdings im positiven Sinne. Es war das Foto aus dem Park!

Das Foto mit dem fremden Kerl, den ich bis dato völlig vergessen oder wohl eher gekonnt verdrängt hatte. Warum war es mir nicht bereits früher auf meinem Handy aufgefallen? In diesem Moment sah ich sicherlich aus wie eine Leiche – kreidebleich und starr vor lauter Schock.

Soph blickte mich besorgt an und bekam Angst. »Mausi, was ist los? Geht es dir nicht gut?«

Ich konnte erst einmal nichts sagen. Ich war wie versteinert und fühlte mich kurzzeitig überfordert. Ich zeigte ihr das Bild. Es wirkte so harmonisch. Man konnte mich zwar nicht sonderlich gut darauf erkennen, aber der fremde Mann war, dank der Laterne neben ihm, gut zu sehen.

»WOW! Das ist aber ein Sahneschnittchen! Woher kennst du ihn, Joyce? Und wann hast du ihn aufgegabelt?«

Nach und nach bekam ich wieder Luft. Das kalte Kribbeln legte sich allmählich, und ich konnte wieder einigermaßen klar denken. Dann hatte ich die Muße, Soph zu antworten.

»Ich weiß auch nicht, wer er ist«, erwiderte ich. »Ich habe ihn in der Weihnachtsnacht kennengelernt, aber ich weiß leider nicht viel von ihm. Nur, dass er ein Geschäftsmann aus Orlando ist.«

Soph sah mich ganz verdutzt an. »Wie? Du kennst ihn nicht wirklich? Ihr habt doch zusammen ein Foto geschossen, so etwas passiert doch nicht einfach im Affekt, oder?«

Sie hatte schon recht, das war wirklich sehr skurril, aber es war genau so geschehen. Ich erzählte ihr, wie der Abend, nachdem sie mit diesem Typen aus der Bar verschwunden war, für mich weitergegangen war. Anschließend nahmen wir das Bild noch einmal ganz genau unter die Lupe und fanden den Unbekannten beide sehr attraktiv und durchaus interessant. Am Tag unseres Kennenlernens auf der eisigen Parkbank war mir das bereits aufgefallen.

»Ich kenne nicht einmal seinen Namen. Die Unterhaltung dauerte nicht allzu lange. Was ich im Nachhinein, wenn ich uns so nebeneinandersitzen sehe, ein wenig bereue.«

Der Barkeeper Mike schoss mit einem Mal im schnellen Arbeitsgang um die Ecke. Er war ein lieber Kerl und hatte immer prächtige Laune. »Hello Ladys«, sagte er überschwänglich und lächelte uns mit seinem breitesten Grinsen an. »Schön, euch zu sehen!«

Wir freuten uns ebenfalls und begrüßten ihn mit Bussi Bussi auf die Wangen – wie man das eben heutzutage so machte. Er unterhielt sich kurz mit uns über seinen bisherigen Tagesablauf, doch dann starrte er geschockt und mit fragendem Blick auf mein Handy. Ganz schön neugierig, wie ich fand. »Woher kennst du denn Peter?«

Er zeigte mit dem Finger auf das Foto. Ich fiel fast in Ohnmacht und konnte es nicht fassen. Er erkannte den Mann, der mich wegen seines Fluges auf einer frostigen Bank sitzen gelassen hatte. Konnte das denn wahr sein? Ich verstand die Welt nicht mehr und war schon wieder wie erstarrt. Mein Atem setzte kurz aus. Peter. Also englisch ausgesprochen, nicht der deutsche, langweilige Name Peter. Nun erfuhr ich mehr über den fremden, attraktiven Kerl.

»Woher kennst du ihn denn? Joyce ist ihm zufällig begegnet, und dann war er einfach weg«, fragte Soph aufgeregt für mich, da ich immer noch nichts herausbrachte. Mike setzte sich, begeistert von der Situation, zu uns und fing an zu erzählen.

»Peter ist in der Woche vor Weihnachten jeden Abend hier gewesen, hat an der Bar etwas getrunken und sich oft und ausgiebig mit mir unterhalten. Er war ein angenehmer Zeitgenosse und hat mir meine Schichten mit seinem positiven Gemüt erleichtert. Ein toller Mann. Habt ihr ihn nicht hier kennengelernt?« Wir erzählten ihm die ganze Story, wie und wo ich diesen Peter getroffen hatte. Er schmunzelte. »Das ist aber eine süße Geschichte, die müsst ihr später unbedingt euren Kindern erzählen«, witzelte er ein wenig sarkastisch. Nach einem etwas mürrischen Blick von mir fing er sich wieder und fragte daraufhin mit vorsichtiger Stimme: »Und du wusstest bisher nicht einmal seinen richtigen Namen?«

»Nein, wusste ich nicht. Bis heute. Er ist ja damals sowieso zurück nach Hause geflogen, also warum hätte ich mir weiterhin den Kopf über ihn zerbrechen sollen?«, erklärte ich mich.

»Sei doch nicht so abgebrüht, mein Schatz. Das ist vielleicht ein Zeichen«, wandte sich Soph zu mir. Ein Zeichen? An so etwas glaubte ich in diesem Zusammenhang schon ein Weilchen nicht mehr. Zeichen und Wunder geschahen nur im Märchen – und mein Leben spielte sich nun mal nicht in der Fantasie, sondern in der Realität ab.