Lottofieber - Klaus Dornath - E-Book

Lottofieber E-Book

Klaus Dornath

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Beschreibung

Jede Woche gibt es Lottogewinne. Ist das nur Glück oder kann man Fortuna beeinflussen? Auf diese Frage findet Janine Schmidt eine unverhoffte Antwort. Sie träumt die Lottozahlen. Aber es ist nicht einfach, die Träume in die Realität zu holen. Das versetzt sie in Lottofieber, von dem auch Freunde profitieren wollen. Als sie endlich Erfolg hat, fangen die Probleme erst an. Wird Janine die Herausforderungen meistern?

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Inhalt

Lottofieber

Handelnde Personen

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Lottofieber

Handelnde Personen

Janine Schmidt, Verkäuferin im Supermarkt, kann Lottozahlen träumen

Margitta Jäger, Janines Freundin und ebenfalls Verkäuferin im Supermarkt

Hilde Waldheim, Rentnerin, Nachbarin von Janine

Renate Dombrowski, Chefin des Supermarktes

Tom Schreiber, Janines erste Flamme und passionierter Motorradfahrer

Uschi Winzer, geringfügig Beschäftigte im Supermarkt

Mario Senkblei, angeblicher Immobilienhändler und Janines Urlaubsbekanntschaft auf Mallorca

Sabine Marquart, seine Geschäftspartnerin

Dr. Frank Schmieding, Hypnotiseur, Hobby Roulette Spiel

Mark Schneider, Bekanntschaft von Janine aus dem Ramble Damble

Adam, Wolfgang, Anna, Bert, Michaela, Janines flüchtige Bekanntschaft auf Mallorca

Prolog

Möchten Sie gern im Lotto gewinnen? Haben Sie schon mal Lotto gespielt? Oder wollen Sie sich nur abschrecken, weil man im Lotto sowieso nichts gewinnt? Was wäre denn Ihr Traum? Oder träumen Sie gar nicht? Das wäre schade. Träumen reinigt die Seele. Ich meine das Träumen im Schlaf. Träumen am Tag ist eher gefährlich.

Also, wann träumen Sie? Lieber am Tag oder lieber in der Nacht? Am Tag muss man sich zurückziehen, gewissermaßen in sich selbst eindringen, die Umwelt rundum ausschalten können. Das gelingt nicht jedem, zu viel Stress, zu viel Ablenkung. Wenn man oft für die Welt versinkt, gilt man schnell als Spinner. Haben Sie deshalb Angst, zu träumen?

Angenommen, Sie schaffen es, zehn Minuten mit sich allein zu sein, wovon würden Sie träumen: Von einer neuen Wohnung, einem schnellen Auto, Boot, Grundstück, Haus? Oder träumen Sie nur von Dingen, die auch ohne Geld zu erreichen sind? Liebe? Zufriedenheit? Glück?

Stellen Sie sich vor, Sie würden im Lotto gewinnen. Ich meine einen richtig großen Gewinn. Was würden Sie mit dem Geld anfangen? Was würden Sie mit Ihrem Leben anfangen? Viel Geld gibt plötzlich neue Perspektiven. Sie müssten nicht mehr arbeiten. Aber, würde Sie das glücklich machen? Schließlich sind Sie anerkannt in Ihrem Beruf, von den Kollegen und Freunden. Wenn Sie das aufgeben, sagt niemand mehr: Das hast Du großartig gemacht. Ergibt Geld allein also eine große Leere, die man nicht ausfüllen kann?

Oder Sie arbeiten einfach weiter. Halten alles geheim und tun so, als ob Sie nur so viel Geld haben, dass es zum Leben reicht. Niemand soll etwas merken. Vielleicht würden Kollegen, Freunde, Verwandte Sie anpumpen, wenn Ihr Reichtum bekannt würde.

Aber ein bisschen möchte man haben, von seinem Glück. Wenn Geld keine Rolle mehr spielt, kann man alles kaufen, ohne auf den Preis zu achten. Das wird Sie früher oder später von allen anderen unterscheiden. Man würde es merken.

Was würden Sie also tun? Vielleicht sollten Sie freigiebig sein. Wem könnten Sie etwas abgeben, von Ihrem Reichtum, Ihrem Glück, den Kindern, den Eltern, einigen Kollegen? Aber was würde mit denen, die leer ausgehen? Ganz klar, die wären neidisch und würden Ihnen das Leben schwer machen.

Gäbe es einen Mittelweg? Wie könnte der aussehen? Aber selbst, wenn Sie den berühmten goldenen Mittelweg fänden, Sie müssten Kompromisse machen. Wäre es vielleicht besser, nicht im Lotto zu gewinnen?

Ach was, das sind sowieso nur Tagträume, werden Sie jetzt sagen und alles vom Tisch wischen. Klar, Tagträume kann man abstellen. Man kann sich ihnen verweigern, sich von den täglichen Pflichten übermannen lassen.

Was aber ist mit den Träumen nachts? Da hat man es nicht in der Hand. Unser vielgepriesenes Denkorgan macht nachts mit uns, was es will. Oder vielleicht doch nicht?

Haben Sie schon einmal versucht, in der Nacht etwas ganz Bestimmtes zu träumen? Das funktioniert meistens nicht, denn irgendwie sind wir nachts nicht Herr über unseren eigenen Körper. Wenn man aber ganz fest an etwas glaubt und es sich wünscht, dann kann man manchmal und ganz selten auch davon träumen.

Ihre nächtlichen Träume verraten Ihre geheimen Wünsche, zum Glück nur Ihnen. Anderen bleiben sie verborgen, falls Sie nicht die Angewohnheit haben, im Schlaf zu sprechen. Mancher nächtliche Traum könnte kompromittierend wirken.

Wovon träumen Sie nachts? Sind es Dinge, die mit Ihrem Leben nichts zu tun haben? Oder spiegelt Ihnen Ihr Gehirn einen Film vor, wie er sich tatsächlich zutragen könnte? Wachen Sie schweißgebadet auf? Und wenn ja, können Sie sich an Ihren Traum noch erinnern?

Vielleicht schlafen Sie völlig traumlos. Dann verpassen Sie etwas, denn – siehe oben: Träumen reinigt die Seele.

Was Sie auch träumen, egal ob Sie es hinterher noch wissen. Ihre nächtlichen Träume spiegeln Ihre geheimsten Wünsche und Gedanken wider. Wenn Sie nach einem Traum aufwachen und sich erinnern können, was Sie geträumt haben, dann behalten Sie es in Ihren Gedanken. Speichern Sie es in Ihrem Gedächtnis ab. Es ist ein wichtiger Teil von Ihnen. Auch wenn die Erkenntnis des eigenen Ichs manchmal Mut erfordert. Sie müssen es ja niemandem erzählen.

Kann man im Traum in die Zukunft sehen? Im Prinzip nicht, aber wenn bestimmte Zutaten zusammenkommen, dann könnte es vielleicht doch gehen. Es ist eben noch nicht alles erforscht und auch das Glauben hat schon Wunder gewirkt.

Noch etwas möchte ich Ihnen mit auf den Weg geben: Von Reichtum zu träumen ist nicht ehrenrührig. Für den Fall, dass Sie gern reich werden möchten, träumen Sie doch die Lottozahlen. Aber vergessen Sie nicht, Zettel und Stift auf den Nachtschrank zu legen, nur so für den Fall der Fälle.

Übrigens: Die in dieser Geschichte vorkommenden Lottozahlen habe ich geträumt, aber nicht ausprobiert. Das überlasse ich meinen Lesern. Falls Sie wider Erwarten den Jackpot damit knacken, würde ich mich über eine kleine Spende freuen.

Kapitel 1

Wieder sitzt Janine seit Stunden an der Kasse des Supermarktes.

„Guten Tag“, tut, tut, tut ... „Macht vierzehn, sechsundsiebzig, haben Sie die Amexo Karte?“ Ein paar Scheine wechseln den Besitzer. „Auf Wiedersehen, vielen Dank, dass Sie bei uns eingekauft haben.“

„Guten Tag“, tut, tut, tut ... ewig die gleiche Leier. Es ist Freitagabend. Da wird die Schlange an der Kasse immer länger und die Kunden ungeduldiger. Von hinten ruft schon wieder einer: „Können Sie nicht eine zweite Kasse aufmachen?“ Klar, kann ich, denkt Janine und drückt nachlässig den Rufknopf für ihre Kollegin Margitta.

Die Scheine fliegen in die Kasse. Sie fliegen an ihr vorbei, denn von ihrem mageren Gehalt bleibt am Monatsende nichts übrig. Was sie auch anstellt in ihrem Leben. Irgendwie geht es nicht vorwärts. Ist es ihr denn wirklich vorherbestimmt, die kleine Verkäuferin zu sein? Muss sie sich ihr ganzes Leben von Leuten wie ihrer Chefin Renate herumkommandieren lassen?

Der nächste Kunde erinnert sie an ihren Ex. Der hatte auch so eine ausladende Geste am Leib und nichts drin, im Portemonnaie. Ein Glück, dass sie sich vor einem halben Jahr getrennt hat: „Macht siebenunddreißig, einundzwanzig. Vergiss nicht wieder, die Geldkarte einzustecken.“ Der Kunde schaut irritiert: „Ich meine Sie ... also Ihre Geldkarte, Entschuldigung. Haben Sie die Scheidungs- ... ich meine die Amexo Karte?“ Jetzt grinst der auch noch amüsiert. Heute reicht‘s mal wieder.

Seit ihrer Trennung läuft in Punkto Liebe aber auch gar nichts mehr. Ein paar Mal hat sie es mit Blicke schmeißen bei Kunden probiert, aber ohne Ergebnis. Da hinten steht wieder Mr. Lederjacke. Der könnte ihr gefallen. Vorsichtshalber hat sie ihrer Freundin und Kollegin Margitta nichts von ihm erzählt. Die geht wesentlich forscher ran. Womöglich hätte sie sich den schon geangelt. Seit Anfang des Frühlings kommt er stets in Motorradkluft. Sieht verdammt gut aus. Hat wie immer sein Handy am Ohr. Das könnte das neueste I Phone sein. Aber leider hat er wieder keinen Blick für sie.

„Guten Tag“, säuselt sie und blickt ihn an. Tut, tut, tut, typischer Junggesellen Einkauf. Zwei Bier und einmal Bratkartoffeln. Eigentlich müsste der doch noch frei sein. Sein abwesender Blick auf das Handy spricht jedoch Bände.

Jetzt spricht er sie doch noch an: „Kann man hier Lotto spielen?“

„Nein konnte man noch nie.“

„Wissen Sie, wo hier ein Lottoladen ist?“

„Um die Ecke, glaube ich. Ich spiele kein Lotto, man gewinnt sowieso nichts.“

„Versuchen Sie es doch mal. Ich hatte schon ein paar Mal Glück mit einem Dreier.“

„Na dann viel Glück auch heute. Schönen Tag noch.“ Wenigstens hat er sie schon mal angesprochen. Vielleicht entwickelt sich was.

Ach ja, im Lotto müsste man gewinnen. Und dann ab in die Südsee mit Mr. Lederjacke. Aber Lotto geht gar nicht. Es reicht so schon hinten und vorne nicht. Mit Schrecken denkt sie an ihre letzte Telefonrechnung, die sie wieder tiefrot in den Dispo katapultiert hat.

„Kommst Du heute Abend mit in die Disco?“ fragt Margitta nach der Schicht in der Umkleide.

„Nee, keine Zeit.“ Janine reibt vielsagend Daumen und Zeigefinger aneinander. Margitta grinst wissend. Die hat‘s gut. Sie hat reiche Eltern und wenn es knapp wird. springen die ein. Außerdem muss Janine morgen wieder zeitig im Markt antreten. Die ihr eigentlich zustehenden freien Sonnabende werden auch immer weniger. Um jeden einzelnen Tag muss sie bei ihrer schrecklichen Chefin betteln und kämpfen.

Zu Hause kommt sie im Flur am Spiegel vorbei. Kritisch blickt sie hinein. Haare? Naja, die könnten auch mal wieder einen Friseur vertragen. Jacke? Nicht mehr neu, aber geht grade noch so. Hose? Die üblichen Jeans eben, hinten knapp und vorne bauchfrei. Die Figur? War auch schon mal straffer, aber das merkt hoffentlich noch keiner, auch Mr. Lederjacke nicht. Sie zuckt die Schultern und räumt ihren Einkauf für das Wochenende in den Kühlschrank.

Danach das öde Freitagabendprogramm. Das Fernsehen wird auch nicht mehr besser. Aber wenigstens kostet es nichts.

Es ist tiefe Nacht, die Nacht zum Montag. Janine hat schwere Träume. Sie wälzt sich auf ihrem Lager. Mr. Lederjacke erscheint: „Komm in die Südsee!“, lockt er sie. Seine Worte hallen im Raum wider.

„Ich kann nicht, muss an die Kasse.“, stöhnt Janine.

„Das brauchst Du nicht mehr. Du bist doch reich.“, tönt es hallend aus Mr. Lederjacke‘s Mund.

„Nein, ich kann nicht, bin im Dispo.“, verzweifelt formt sie die Worte im Traum.

„Dann spiel doch Lotto. Ich sag dir die Zahlen. Komm, ich sag sie dir. Dann bist du reich: 3, 7, 18, 23, 27.“

Janine atmet schwer. „Und die letzte Zahl?“, fragt Janine gequält. „Sag mir die letzte Zahl. Ich brauche die letzte Zahl.“, schreit sie.

Mr. Lederjacke lacht teuflisch. Unvermittelt verschwindet das Traumbild. Janine schlägt die Augen auf. Im Zimmer ist es dunkel. Von der Decke blinkt die Radio Uhr. Wie waren die Zahlen? Ach egal, denkt sie, ich gewinne sowieso nichts. Aber wie waren die Zahlen nochmal? 3, 7, 18, 23, 27. Aufschreiben kann man sie ja mal. Janine greift zur Nachttischlampe. Mist, kein Zettel da. Hoffentlich kann ich mir das bis ins Wohnzimmer merken, denkt sie. Sie stürzt ins Wohnzimmer und sucht mit fahrigen Fingern nach einem Zettel. Jetzt möchte sie doch die Glückszahlen aufschreiben. Da ist ein Zettel: 3, 7, 18, 23, 27. Aber wie war die letzte Zahl? Die hat Mr. Lederjacke nicht genannt. Verdammt, welche könnte es gewesen sein, 30 vielleicht? An einem dreißigsten ist ihre Mutter geboren. Ja, die 30 könnte es sein.

Sie schaut sich die Zahlen an. 27 und 7 kommen vor. Der 27.07. ist ihr Geburtstag. Das ist schon ein gutes Omen. Wenn das kein Glück bringt. Man könnte es versuchen. Als sie wieder ins Bett kriecht, ist es kalt geworden. Es fehlt eben jemand, der es warmhält. Und die Zahlen gehen ihr auch nicht mehr aus dem Kopf. Sie wälzt sich hin und her. An der Zimmerdecke nähern sich die roten Ziffern der Uhrzeit erbarmungslos dem Morgen. Nur noch zwei Stunden, bis zum Wecken um fünf. Verdammter Mist, blöde Lottozahlen, denkt Janine.

Plötzlich geht das Radio an. Janine schreckt hoch. Im ersten Moment weiß sie gar nicht, ob sie nochmal eingeschlafen ist, oder nicht. Mühsam erhebt sie sich von ihrem Lager. Da fällt ihr Blick auf den Zettel mit den Lottozahlen auf ihrem Nachtschrank. Oh Mann, dieser blöde Traum beschert ihr einen typischen, verschlafenen Montagmorgen. Und Lottospielen geht sowieso nicht. Es ist rausgeschmissenes Geld, man gewinnt nichts und außerdem ist sie im Dispo. Punkt, Aus, Ende. Aber den Zettel könnte man ja trotzdem einstecken, nur so zur Sicherheit.

Kapitel 2

Gierig saugt Janine die frische Morgenluft ein, als sie aus der Tür ihres Wohnhauses tritt. Die Vögel sind schon kräftig am Singen. Es verspricht, ein schöner Frühlingstag zu werden. Auf ihrem Weg zum Supermarkt kommt sie am Lottoladen vorbei. Der hat zwar eine ungeahnte Anziehungskraft, ist aber zum Glück noch geschlossen. Im Schaufenster hängt ein Plakat. Der Mann darauf grinst sie verführerisch an. Fünfzehn Millionen liegen angeblich im Jackpot. Fünfzehn Millionen, das wäre das Ende aller Sorgen, denkt Janine. So viel Geld bekommt man im Leben nicht alle. Bye, bye Supermarkt, bye, bye Chefin Renate. Kein Betteln mehr um freie Sonnabende, keine unbezahlten Überstunden mehr. Endlich frei sein.

Während ihrer Frühschicht muss sie die ganze Zeit an ihr Lottoglück denken. Der Zettel mit den von ihr notierten Zahlen steckt in der Hosentasche und brennt auf ihrem Oberschenkel. Schon zweimal hat sie sich deshalb beim Geld herausgeben geirrt. Das verärgert die Kunden und hinterlässt lästige Schlangen an der Kasse. Jedes Mal muss Chefin Renate mit dem Schlüssel kommen. Die wirft ihr bei der Korrektur einen missbilligenden Blick zu. Dabei schweigt sie, was nichts Gutes bedeutet. Aber was soll‘s. Leute, die im Supermarkt arbeiten wollen, stehen auch nicht mehr Schlange, anders als früher.

„Können Sie nicht eine zweite Kasse aufmachen?“, nervt eine ältere Kundin am Ende der Wartenden und reißt Janine damit aus ihrem Multitasking von Gedanken an Lottoglück und mechanischem Durchziehen der Waren. Kann ich, denkt sie und drückt den Rufknopf. „Die Kasse zwei wird in Kürze geöffnet. Bitte stellen Sie Ihren Einkauf bereits auf das Kassenband.“, säuselt die Sprecherstimme. Da wird Margitta sauer sein, denkt Janine. Eigentlich hätte die jetzt Pause. Nun muss sie meine Blödheit ausbaden, alles nur wegen der Lottozahlen.

Nach dem Ende ihrer Schicht kommt sie am Lottoladen vorbei. Soll ich oder soll ich nicht? Vor der Tür steht das übliche Werbeschild. „Glücksspiel kann süchtig machen.“, steht darauf und „Ihre Chance eins zu hundertvierzig Millionen.“

Das gibt den Ausschlag. Eins zu hundertvierzig Millionen ist viel zu gering. Da kann man nichts gewinnen. Es ist nur schade um das Geld. Aber schön wäre es doch, denkt sie im weiter gehen.

Ihr Pech ist, dass der Lottoladen auf dem Weg zur Arbeit liegt. Jeden Tag muss sie zweimal daran vorbei gehen. Natürlich befinden sich die geträumten Zahlen immer noch in der Hosentasche. Den Zettel wegzuwerfen hat sie sich nicht getraut. So kreisen ihre Gedanken immer wieder um diesen einen wunden Punkt. Eins zu hundertvierzig Millionen ist ein elend mieses Verhältnis, denkt sie immer wieder. Andererseits gewinnen jede Woche irgendwelche Leute etwas. Ob die auch alle ihre Glückszahlen geträumt haben? Bestimmt nicht, denkt sie und das ist genau das Problem. Wenn man schon mal Zahlen träumt, die das große Glück verheißen, dann muss es doch eine gottgewollte Bewandtnis haben, oder nicht?

Am Mittwoch und Donnerstag schafft sie es noch einmal, am Lottoladen vorbeizugehen. Am Freitag ist ihr Widerstand fast gebrochen. Das Schild mit dem grinsenden Lottomann steht jetzt vor dem Geschäft und wirbt um Spieler. Lotto Jackpot fünfzehn Millionen steht groß darauf. Das gibt den Ausschlag. Die geringe Gewinnchance von eins zu hundertvierzig Millionen blendet sie einfach aus.

Kurz entschlossen tritt sie ein und zieht den Zettel mit den geträumten Zahlen aus der Tasche: 3, 7, 18, 23, 27 kreuzt sie an. Am Ende setzt sie ihr Kreuz kraftvoll auf die Zahl 30.

Sonnabendabend. Die Tagesschau läuft. Mit Spannung wartet Janine auf die Verkündung der Glückszahlen. Da sind sie: vier, SIEBEN, ACHTZEHN – oh Gott – DREIUNDZWANZIG – „Neien!“, 26, 35. Na ja, immerhin ein Dreier. Das ist nicht das große Glück, aber ein klitzekleines. Und sie hat es vorher geträumt! Na, so ein Zufall.

Am Montag früh kommt sie auf dem Weg zur Schicht wieder am Lottoladen vorbei. In der Tasche ihrer Jeans steckt der Lottoschein. Vorsichtig fühlt sie, ob er noch dort ist. Die Anziehungskraft des Lottoladens ist ungebrochen. Aber der verdammte Mistladen hat natürlich so früh noch geschlossen. Wann kommen eigentlich die Quoten raus? Und wieviel bekommt man für einen Dreier? Vielleicht so 300 bis 400 Euro, schätzt sie großzügig. Das könnte ihr immerhin bei ihrem astronomischen Dispo ein bisschen helfen. Ach ja, seufzt sie beim Weitergehen. Reich und schön, das wäre es doch.

Margitta ist schon wieder im Laden. Die wird auch nochmal das goldene Chefbienchen bekommen. „Na, wie war dein Wochenende?“, fragt die Freundin. „Ach, wie immer“, antwortet Janine. Auf keinen Fall soll Margitta etwas von ihrem Traum erfahren. Die denkt sonst, ich habe sie nicht mehr alle in der Kasse.

Montags früh ist im Laden zum Glück nicht viel los. So kann Janine gemütlich an der Kasse sitzen und sich ausmalen, was sie mit dem unverhofften Reichtum anfangen könnte.

„Janine, wenn Du nichts zu tun hast, kannst Du mal das Sonderangebote Regal aufräumen.“ Ihre Chefin guckt wie immer strafend auf sie. Was die bloß gegen sie hat? Arbeit verteilen kann sie jedenfalls. „Ja, ich mach schon.“, sagt Janine nicht gerade erfreut und stemmt sich von ihrer Kasse hoch. Diese blöde Wühltheke sieht nach dem Wochenende aber auch immer verheerend aus, alles aus den Verpackungen gerissen und gleichmäßig über alle Fächer verteilt. Da können Socken schon mal im Fleischregal landen.

Die Vorfreude auf die Quote lässt ihre Laune wieder steigen. Mechanisch räumt sie die herumliegenden Sachen in die lädierten Verpackungen. Die Schicht quält sich so zu Ende. Im Bauch fühlt sie die Spannung auf ihren Gewinn langsam steigen. Die Schmetterlinge kreisen. Wieviel wird es sein? Ganz viel ist es bestimmt nicht, aber ein kleiner Lichtblick. Vielleicht reicht es sogar für eine neue Jeans.

Als sie aus dem Supermarkt tritt, entwickelt der Lottoladen wieder seine unwiderstehliche Anziehungskraft. Ihr Gang wird immer schneller. Um die Ecke biegend, sieht sie schon von weitem, dass der Laden krachend voll ist. Was wollen denn die vielen Leute da drin, denkt sie. Haben die etwa alle im Lotto gewonnen? Sie stellt sich an der Schlange an. Hinter dem Tresen steht ein älterer Herr mit graumeliertem Haar und Schnauzbart. Ganz vorne diskutiert ein älterer Mann aufgeregt mit dem Verkäufer über die Flecken auf seinem Sakko, die bei der letzten Reinigung nicht rausgegangen sind. Klagend hält er das Sakko hoch. Es geht nicht vorwärts. Sie fühlt nach, ob der Lottoschein noch in der Tasche steckt. Da ist er, denkt sie beruhigt.

Endlich ist sie an der Reihe. „Bitte sehr“, sagt der Verkäufer lächelnd. „Ich habe im Lotto gewonnen.“, entfährt es ihr ungewollt. Der Verkäufer grinst süffisant: „So, so, dann zeigen Sie mal her.“ Sie hält ihm den Schein hin. Er schaut ihn prüfend an: „Aha, ein Dreier.“ sagt er herablassend. „Wie viel ist es denn?“, fragt Janine ungeduldig. Der Verkäufer blickt in seine Liste. „Zwölf Euro zwanzig“, sagt er. „Was? So wenig?“, Janine ist enttäuscht. „Was haben sie denn gedacht?“, fragt der Verkäufer. „Das ist schon eine hohe Quote. Da haben Sie Glück gehabt. Normalerweise liegt ein Dreier bei unter zehn Euro.“

Janine steckt das Geld ein und geht enttäuscht aus dem Laden. Sprüche kommen ihr in den Sinn: Wie gewonnen, so zerronnen oder Pech im Spiel, Glück in der Liebe. Das tröstet sie ein wenig und ihr fällt gleich wieder Mr. Lederjacke ein.

„Hast du Lust auf einen Kaffee nach der Schicht? Ich gebe einen aus.“, fragt Janine am Tag darauf ihre Freundin Margitta.

Die hebt erstaunt die Brauen: „Du hast wohl im Lotto gewonnen?“

„Habe ich auch, aber leider nur einen Dreier, macht zwölf, zwanzig. Ich habe‘ doch sonst keinen, der sich mit mir freut.“

Beide sitzen im Café und schnattern. Margitta fragt erstaunt: „Du spielst doch sonst nie Lotto. Wie kam es denn so plötzlich?“

„Du wirst es nicht glauben, aber die Zahlen habe ich geträumt.“

„Quatsch, du willst mich verkohlen!“

„Nein wirklich, du kannst es glauben, die Zahlen habe ich geträumt und bin von dem kommenden Geldregen plötzlich aufgewacht. Vorsichtshalber habe ich die Zahlen notiert und am Freitag gespielt.“

Ungläubig schaut Margitta ihre Freundin an. Ist die verrückt geworden oder hat sie einfach nur Glück gehabt? Bestimmt war alles nur Zufall. Die zwölf, zwanzig sind schnell alle. Das Café ist nicht gerade billig. Naja, wie gewonnen, so zerronnen.

Es ist Donnerstagnacht. Janine hat schwere Träume. Und da sind sie wieder, die Lottozahlen für das Wochenende: 13, 15, 17, 33, 41. Im Traum regnet es Geld. Schweißgebadet wacht sie auf. Mit zitternden Fingern notiert sie: 13, 15, 17, 33, 41. Oder war es einundzwanzig? Ach was, es war einundvierzig. Und die letzte Zahl? Die war wieder nicht dabei.

An Schlaf ist nicht mehr zu denken. Wie war die fünfte Zahl: einundzwanzig oder einundvierzig? Wie hypnotisiert blickt sie auf ihren Zettel. Was war nur die fünfte Zahl? Ach egal, denkt sie. Es wird sowieso nicht funktionieren. Und wenn es wieder nur ein Dreier wird, ist es auch egal.

Wie gerädert steht sie endlich auf. Zum Glück hat sie heute Spätschicht. Da kann sie gleich vor der Arbeit noch im Lottoladen ihren Tipp abgeben. Beim Ausfüllen des Lottoscheins kommen ihr wieder Zweifel. War es nun die einundvierzig oder die einundzwanzig? Der Stift geht hin und her. Kurz entschlossen kreuzt sie die einundzwanzig an. Die letzte Zahl muss sie sowieso raten. Sie kreuzt die siebenunddreißig an.

„Wie siehst du denn aus?“, fragt ihre Freundin Margitta erstaunt, als sie beide zusammen ein Regal einräumen: „Hast wohl wieder vom Lottoglück geträumt?“

„Stell dir vor, habe ich.“, antwortet Janine schnippisch, „Aber ich konnte mich nicht mehr an die letzte Zahl erinnern. Es war entweder die einundzwanzig oder die einundvierzig.“

„Man, man Janine“, seufzt ihre Freundin, „Du kriegst es noch im Kopp. Glaubst du wirklich, du kannst die Lottozahlen vorhersagen? Probiere es doch mal mit Ginseng. Hier, das stärkt das Gedächtnis.“ Sie hält ihr eine Packung Ginseng Tee unter die Nase und grinst dabei.

„Ach Margitta, ich weiß es doch auch nicht. Wenn das so weiter geht, werde ich noch verrückt.“

„Brauchst du nicht.“, sagt Margitta herablassend, „Erstens würde sich bei dir damit nichts ändern und zweitens stimmen die Zahlen sowieso nicht.“

Wieder ist es Sonnabendabend und die Tagesschau neigt sich dem Ende entgegen. Janine sitzt vor dem Fernseher und hält krampfhaft ihren Lottoschein fest. Die Nachrichten nehmen kein Ende. Merkel in China, wen interessiert das denn? „Und hier die Lottozahlen.“, sagt der Sprecher: „13, 15, 17, 33, 39, 42.“

Janine ist fassungslos. Neununddreißig und zweiundvierzig? Und ich Idiot habe die einundzwanzig und siebenunddreißig angekreuzt. Das darf doch nicht wahr sein. Aber immerhin ist es ein Vierer. Was gibt’s denn dafür? Vielleicht findet man was darüber im Internet. Sie schlägt den Laptop auf und beginnt zu recherchieren.

Na immerhin, je nach Quote so zwischen dreißig und sechzig Euro. Es ist nicht die Welt, aber bei ihrem Gehalt ein schönes Geschenk.

Kapitel 3

Montag, sechs Uhr dreißig im Umkleideraum. Margitta hat auf Janine gewartet. Die anderen sind schon im Markt. Belustigt fragt Margitta: „Na, was machen die Lottozahlen?“, aber man merkt ihr die Spannung an.

„Stell dir vor, ich habe einen Vierer.“, sagt Janine.

Margitta schluckt: „Du willst mich verarschen?“

„Nein, ich habe einen Vierer. Aber was besonders schlimm ist, ich Idiot habe als letztes die einundzwanzig und siebenunddreißig angekreuzt und neununddreißig und zweiundvierzig wurden gezogen.“

„Ach so?“, sagt Margitta, „Du musst eben beim Träumen besser aufpassen.“

„Verkohlen kann ich mich allein. Vielleicht wäre ich heute Millionärin.“

„Glaube ich nicht.“, sagt Margitta. „Es fehlt ja noch die Zusatzzahl. Da hat es keinen Sinn sie zu träumen. Aber komisch ist es schon. Bestimmt war alles nur ein großer Zufall und du hast eben mächtig Schwein gehabt.“

„Na Frau Schmidt, sie haben ja schon wieder gewonnen. Sie haben aber Glück.“, sagt der Verkäufer im Lottoladen freudestrahlend, als sie sich ihren Gewinn abholt. Unsicher blickt Janine nach unten. Auf keinen Fall möchte sie dem Verkäufer verraten, dass sie die Lottozahlen geträumt hat. Still steckt sie das Geld ein und geht grußlos aus dem Laden. Der Verkäufer blickt ihr Kopf schüttelnd hinterher. So eine seltsame Lottogewinnerin ist ihm noch nicht begegnet.

Es ist die Nacht von Dienstag zu Mittwoch. Bei Janine drehen sich im Traum die Lottoräder. Unruhig wälzt sie sich hin und her. Da sind sie wieder, die magischen Zahlen: 1, 8, 13, 19, 30, 35. Mit einem Ruck ist sie wach. Mist, wieder kein Zettel auf dem Nachttisch. Schnell steht sie auf und eilt ins Wohnzimmer. Nur nichts vergessen. Wie war das jetzt? 1, 8, 13, 19, 30, 35. Beschwörend liest sie die Zahlen mehrmals laut vor. So ein Mist, denkt sie. Heute habe ich Frühschicht. Da kann ich erst nachmittags zum Lottoladen gehen. Die Schmetterlinge im Bauch kreisen. An Frühstück ist nicht zu denken. Mit Mühe trinkt sie ein paar Schlucke Kaffee.

„Na, willst du nicht mal wieder Lotto spielen? Heute ist Mittwoch. Da gibt’s die nächste Chance.“, sagt Margitta spöttisch, als sie sich im Supermarkt treffen. Janine will lieber nichts erzählen und winkt ab. Aber die Schicht will einfach nicht enden. Ihre Gedanken kreisen um das Mittwochslotto. Schon mehrfach musste sie wegen einer falschen Eingabe die Chefin mit dem Korrekturschlüssel holen. Die Schlange der Kunden wird auch immer länger. Was ist heute nur los? Sonst ist es doch am Mittwochmorgen auch nicht so voll. Endlich ist es geschafft und die Ablösung erscheint im Markt.

„Ich habe heute Nachmittag nichts vor. Wollen wir nicht mal wieder einen Kaffee trinken gehen“, fragt Margitta ihre Freundin arglos. Die zerrt hastig an ihrem Kittel.

„Nein, keine Zeit. Ich muss noch dringend was erledigen.“, antwortet Janine.

„Was kann das schon sein?“, sagt Margitta, „Doch nicht schon wieder Lotto?“

„Nein, was Anderes.“ sagt Janine und geht grußlos aus dem Raum.

Janine hat tatsächlich noch etwas anderes vor. Sie muss aufs Amt, ihren Personalausweis erneuern. Der Warteraum ist brechend voll. Sie zieht eine Nummer und setzt sich hin. Unruhig blickt sie auf die Uhr. Anders als während der Schicht vergeht hier die Zeit rasend schnell. Nicht lange und die Zeiger stehen auf siebzehn Uhr. Endlich wird ihre Nummer aufgerufen. Die Beamtin am Schalter hat unendlich viel Zeit. Sie prüft gemächlich, ob alle Angaben auf dem Formular stimmen.

„Können Sie sich nicht ein bisschen beeilen?“, fragt sie genervt. Die Beamtin blickt sie nur prüfend an und macht wortlos weiter.

Endlich ist Janine erlöst. Mit fliegenden Schritten stürzt sie aus dem Amt, dem Lottoladen und ihrem Glück entgegen.

Der Mann im Lottoladen freut sich über die neue Umsatzbringerin: „Na, Frau Schmidt, sie gehen aber ran. Heute wird es bestimmt ein Sechser mit Zusatzzahl.“

„Klar“, sagt Janine siegesgewiss und kramt in ihrer Handtasche. Wo ist nur der verdammte Zettel mit den Zahlen? Er ist nicht drin. Vielleicht hat sie ihn aus Versehen in eine der Hosentaschen gesteckt. Da ist er auch nicht. Die Jacke? Da ist er auch nicht. Also nochmal die Tasche durchsucht. Der Zettel ist verschwunden. Krampfhaft überlegt sie. Hat sie ihn heute früh zuhause liegen gelassen? Oder liegt er vielleicht im Supermarkt? Nein, da bestimmt nicht. Den Zettel hat sie niemandem gezeigt, schon aus Sicherheitsgründen, damit keiner ihre Zahlen tippt. Also ist der Zettel zuhause.

„Ich muss nochmal weg.“, murmelt sie, „Wie lange haben Sie denn geöffnet?“

„Bis achtzehn Uhr“, sagt der Verkäufer. Janine blickt auf die Uhr. Oh weh, es ist schon kurz nach siebzehn Uhr dreißig. Zehn Minuten bis nach Hause und zehn Minuten zurück. Das könnte gerade noch so funktionieren. Mit großen Schritten verlässt sie den Laden. Der Verkäufer blickt ihr irritiert hinterher.

Hinter der Haustür begegnet ihr Oma Hilde, ihre Nachbarin: „Tag Frau Schmidt, was ich Ihnen mal sagen muss, sie waren vorige Woche mit der Hausreinigung dran. Davon habe ich nichts gesehen. Das geht aber so nicht. Sind sie denn durch Ihre Arbeit so belastet?“

„Nein Frau Waldheim, seien Sie mir bitte nicht böse, ich habe im Moment überhaupt keine Zeit.“

Oma Hilde hält sie am Ärmel fest: „Aber sehen Sie mal, wie es hier aussieht. Es ist doch keine Entschuldigung, wenn Sie keine Zeit haben.“

„Nein, ist es nicht. Ich muss weiter.“, genervt macht sich Janine los.

„Das war nicht das erste Mal.“, ruft ihr Oma Hilde hinterher, „Wenn das so weiter geht, melde ich das mal der Verwaltung.“

„Tun Sie das.“, murmelt Janine und blickt auf ihre Armbanduhr. Schon siebzehn Uhr fünfundvierzig, hoffentlich liegt der Zettel auf dem Nachtschrank. Nervös schließt sie die Wohnungstür auf und stürzt ins Schlafzimmer. Der Nachtschrank ist leer. Der Kugelschreiber liegt noch da. Janine heult auf. Wo ist der Zettel? Vielleicht in der Küche? Das Frühstücksgeschirr steht noch auf dem Tisch. Unter dem Teller ist er nicht, auf der Anrichte auch nicht. Wieder durchsucht sie ihre Taschen. Der Zettel ist verschwunden. Egal, sie muss den Tipp heute noch abgeben, sonst ist die Chance weg. Wie waren nur die Zahlen? Eine dreizehn war dabei und die fünfunddreißig. Das weiß sie genau. Sie stürzt wieder los. Im Treppenhaus begegnet ihr erneut Oma Hilde, die den Besen schwingt.

„Sehen Sie...“, fängt Oma Hilde wieder an.

Janine winkt nervös ab und eilt vorbei. Vielleicht fallen ihr die Zahlen auf dem Weg zum Lottoladen wieder ein. Hastig eilt sie voran.

Es waren einstellige Zahlen dabei und die dreizehn. Da ist sie sich sicher. Über vierzig war wahrscheinlich auch keine. Und die letzte Zahl war die... Bööhhh, schreit sie eine Auto Hupe an, als sie die Straße überqueren will. Erschrocken bleibt sie stehen. Das hätte beinahe gerumst. Wie spät ist es? Fünf vor sechs zeigt ihre Uhr. Zum Glück ist der Laden auf der anderen Straßenseite.

„Na Frau Schmidt, nun aber schnell.“, sagt der Lottomann, „Nach achtzehn Uhr darf ich Ihren Tipp nicht mehr annehmen.“

Schwer atmend geht Janine zum Regal und greift sich einen Schein. Also erst mal das Nächstliegende angekreuzt: dreizehn und fünfunddreißig. Aber wie ging es weiter? Es waren zwei einstellige Zahlen, vielleicht zwei und sieben? Was ist noch übrig? Zwanziger waren auch nicht dabei. Also vielleicht neunzehn und vierunddreißig? Entschlossen kreuzt sie die letzte Zahl an.

Janine atmet tief aus, als sie den Zettel abgibt. Zumindest hat sie ihre Chance genutzt, oder vielleicht doch nicht? Erneut kommen ihr Zweifel, als sie aus dem Laden tritt. Hinter ihr rasselt das Rollo herunter. Da hilft nur feste Daumen drücken. Ihre Hände ballen sich in den Hosentaschen und sie blickt zum Himmel. Kleine Schäfchenwolken schweben dort oben. Die Bäume werden langsam grün. Die Vögel singen. Der Frühling kommt. Wenn es schon kein Glück in der Liebe gibt, dann muss es doch wenigstens im Spiel gehen, denkt sie. Die laue Abendluft lässt ihre innere Verspannung abklingen. Ihre Schritte werden langsamer. Tief atmet sie ein und aus. Eigentlich wäre es nicht schlimm, wenn ich die falschen Zahlen getippt hätte, denkt sie entspannt. Schließlich gibt es jede Woche zwei neue Chancen. Ganz kurz meldet sich ihr Gewissen und lässt sie an ihren Dispo denken. Wenn sie erst gewonnen hat, kann ihr der Dispo auch den Buckel herunterrutschen.

Zuhause angekommen geht sie erst einmal in die Küche und bereitet sich das Abendbrot. Das erste Mal werden die Lottozahlen heute Abend in den ZDF-Nachrichten angesagt. Also ist noch ein bisschen Zeit. Mit ihrer Stulle, einer gemütlichen Tasse Tee und dem Tippschein geht sie ins Wohnzimmer. Sie stellt Teller und Tasse auf den Tisch, legt den Tippschein sorgfältig daneben und lässt sich in den Sessel fallen. Mann, war das ein Tag, denkt sie und dabei fällt ihr Blick auf den Fernsehtisch. Vor dem Fernseher liegt ein Zettel. Sie schnellt aus dem Sessel hoch. Da stehen die Zahlen von heute Nacht: 1, 8, 13, 19, 30, 35. hastig greift sie nach dem Lottoschein. Dort steht wie zum Hohn 2, 7, 13, 19, 31, 34.

Sie fällt in den Sessel zurück. Nochmals vergleicht sie die Zahlen. Dreizehn und neunzehn stimmen überein. Der Rest ist falsch. Warum hat sie vorhin nicht im Wohnzimmer nachgesehen? Warum lag der Zettel noch vor dem Fernseher, anstatt in ihrer Handtasche zu stecken? Die Fragen bleiben unbeantwortet. Sie stiert auf ihren Zettel und den Lottoschein. Da kommt ihr eine Idee. Vielleicht hat sie durch Zufall die richtigen Zahlen getippt und die falschen in der Nacht geträumt. Das könnte doch sein, oder nicht? Das Problem ist im Moment nicht lösbar. Nur durch den Fernseher wird das Urteil gefällt. Das Urteil heute lautet: Arm oder reich!

Verzweifelt beißt sie in ihre Stulle: Leberwurst statt Kaviar, denkt sie angewidert. Und dazu Tee statt Sekt. So ist das Los der kleinen Leute.

Träge kriechen die Zeiger der Uhr auf die sieben zu. Endlich steht sie auf und schaltet den Fernseher ein: Werbung. Und wieder Werbung und Nachrichten. Frau Merkel ist immer noch in China. Das hat sie schon am Sonntag nicht interessiert. Da, jetzt kommen die Lottozahlen: „1, 8, 13, 19, 30, 35, Zusatzzahl 4“, liest der Sprecher vor. Ihre Augen werden größer. Die Mundwinkel gehen nach unten. Sie hat den Sechser geträumt, aber auf ihrem Tippschein steht nur ein Zweier. Das kann nicht sein. Das darf nicht sein. Das ist bestimmt falsch. Ihre Augen gehen zum Fernseher. Im letzten Moment sieht sie die Worte: „Angaben ohne Gewähr“. Genau denkt sie. Das ist es. Das ZDF hat die falschen Zahlen angesagt. Das hat es alles schon gegeben. Schließlich hat sie schon bewiesen, dass sie die richtigen Zahlen träumen kann.

Aber wie lauten jetzt die richtigen Zahlen? Da fällt ihr die Tagesschau ein. In einer knappen Stunde werden dort die Zahlen vom Mittwochslotto verkündet. Im Bauch meldet sich ein flaues Gefühl. Das wäre eine Sensation, wenn die eben die falschen Zahlen angesagt hätten. Die Zeitungen würden sich morgen überschlagen. Sie stellt sich die Überschriften vor: „Lottoschlamperei beim ZDF“, oder, „Wieder Fake News beim ZDF - Lottospieler wütend“.

Unruhig geht Janine in der Wohnung hin und her. Sie denkt an ihr verpatztes Lottoglück. Was ist bloß los mit ihr? So etwas darf nicht passieren. Ein wenig keimt Hoffnung auf. Vielleicht haben die bei der Tagesschau die richtigen Zahlen, nämlich die von ihr getippten und nicht die geträumten. Mit dem Wandern der Zeiger gegen zwanzig Uhr stellt sich wieder das flaue Gefühl im Magen ein. Unwillkürlich presst sie ihre Daumen mit den Fäusten. Das hat ihr schon öfter geholfen. Vielleicht hilft es auch heute.

Endlich ist es zwanzig Uhr. Sie schaltet den Fernseher ein. Nun muss sie nur noch diese endlosen, langweiligen Nachrichten überstehen. Frau Merkel ist immer noch in China. Das hat sie noch nie interessiert, heute schon gar nicht.

Nach unendlich langer Zeit werden die Zahlen angesagt. Mit angehaltenem Atem vergleicht sie ihren Lottoschein und den Zettel mit den geträumten Zahlen während der Ansage: „1, 8, 13, 19, 30, 35, Zusatzzahl 4.“

Die Knie werden weich. Sie muss sich setzen. Nun ist es amtlich. Sie hat tatsächlich die richtigen Zahlen geträumt und die falschen getippt. Sie stiert auf die beiden Zettel, den Tippschein mit den falschen Zahlen, das weiße Blatt Papier mit den richtigen, den geträumten Zahlen. Im Hintergrund läuft unbemerkt noch der Fernseher. Langsam verschwimmt ihr der Blick. Als die ersten Tropfen auf das Papier fallen, richtet sie sich auf. Ein tiefer Seufzer entfährt ihr. Es ist aus. Der Traum vom Reichtum ist dahin. So eine Chance hat man nur einmal im Leben. Und sie hat sie versaut, so wie ihr in der letzten Zeit vieles daneben geht. Das ist wahrscheinlich ihr Schicksal. Während draußen das Leben tobt, versauert sie als Mauerblümchen im Supermarkt und in ihrer Wohnung im vierten Stock. Gute Laune gibt es nur im Fernsehen, wie die im Hintergrund tobende Schlagershow beweist.

Mit einem Ruck springt sie auf, greift zur Fernbedienung und drückt entschlossen die Aus Taste. Stille breitet sich aus. Man hört die Uhr über der Anrichte ticken. Was nun? Wie soll es nach so einer Pleite weiter gehen? Was wird aus ihrem Dispo? Kann sie so etwas eigentlich Margitta erzählen? Kann man so etwas irgendjemandem erzählen? Niemals denkt Janine. Das muss ich fest in mir drin verschließen. Was sollen meine Freundin oder die Kollegen von mir denken, wenn sie das Erfahren?

Lust hat sie nun auf gar nichts mehr. Zwar ist es erst halb neun, aber als Trauerkloß ganz allein irgendwo hinzugehen, das traut sie sich nicht. Also beschließt sie, sich ins Bett zu legen. Ein heißer Tee wird ihr die Seele wärmen. Auf dem Nachttisch liegt der angefangene Kitschroman. Der tröstet sie.

Kapitel 4

„Es ist fünf Uhr vierzig, hier ist ihr guten Morgen, gute Laune Sender neunundachtzig Punkt neun.“

Janine wird langsam wach. Sie blickt zur Decke, sieht die Uhr und erschrickt. Eigentlich hätte sie bereits vor mehr als einer halben Stunde aufstehen müssen, aber das Weckradio hat es bisher nicht vermocht, sie aus dem Schlaf zu holen. Jetzt aber schnell, um sechs Uhr dreißig muss sie im Supermarkt sein. Diese Woche ruft die Frühschicht.

Ihr Spiegelbild im Bad blickt sie mit dunkel geränderten Augen an. Jetzt fällt ihr alles wieder ein. Die Stimmung geht auf null. Da hilft auch keine Dusche. Hastig zieht sie sich an, schlingt eine Scheibe Toastbrot hinunter und trinkt den kalten Tee von gestern Abend.

Kurz nach sechs Uhr dreißig erscheint sie im Umkleideraum des Marktes. Chefin Renate blickt missbilligend auf die Uhr. Margitta ist schon da und fertig umgezogen. Die kommt nie zu spät. Wie macht sie das bloß?

„Gleich kommt der Nachschub.“, sagt Renate und krempelt schon mal die Ärmel hoch. „Heute ist Donnerstag. Da müssen die Regale aufgefüllt werden. Die Leute brauchen was fürs Wochenende. Also Mädels, beeilt Euch. Für Janine habe ich eine Sonderaufgabe. Du kannst die überflüssigen Pappen aus den Regalen räumen und hinten in der Kompressionsmaschine zusammenpressen. Wenn du damit fertig bist, machst du noch den Raum vor dem Pfandflaschenautomaten sauber. Da haben die Kunden gestern wieder ihren ganzen Müll abgeladen.“ Geschäftig verschwindet die Chefin aus der Umkleide.

Margitta blickt Janine prüfend ins Gesicht: „Du siehst ja aus, als hättest du die ganze Nacht durchgesoffen.“, stellt sie vorwurfsvoll fest, „Hauch mich mal an!“ Janine zuckt müde und kommentarlos die Schultern.

„Was ist denn los mit dir? Mir kannst du es sagen.“

„Es ist nichts los.“, antwortet Janine, „Und ich werde es dir auch nicht sagen.“

„Aha“, sagt Margitta triumphierend, „Also ist doch was los.“

„Nein, es ist nichts. Lass mich einfach in Ruhe.“

Janine geht müde aus dem Umkleide Raum und begibt sich auf die Suche nach überflüssigen Verpackungen. Dieses sinnlose Elend endet nie, denkt sie. Volle Verpackungen rein, leere Pappen raus aus dem Regal. Gab es da nicht mal einen alten Griechen, der von den Göttern verdonnert wurde, einen Stein den Berg hoch rollen zu müssen? Kurz bevor der Stein oben war, rollte er wieder hinab und er musste von vorn anfangen. Sisyphos hieß der Knabe, erinnert sie sich dunkel. Genau so kommt sie sich auch vor. Wenn sie wenigstens an der Kasse sitzen könnte. Aber da macht sie zu viele Fehler, hat die Chefin gesagt. Also gibt es oft nur solche Strafarbeiten.

Der Vormittag vergeht viel zu langsam mit hinund herräumen und der Reinigung des Flaschenautomaten. Ab und zu begegnet sie Margitta, die nichts sagt und sie nur prüfend anschaut.

Endlich ist die Schicht vorbei. Janine und Margitta treffen sich wieder im Umkleideraum.

„Hast du heute noch Lust auf einen Kaffee?“, fragt Margitta, „Ich bezahle es auch.“

„Ich bezahle es auch.“, äfft Janine ihre Freundin nach, „Hast wohl wieder Kohle von deinen Eltern bekommen?“.

„Nein, ich möchte, dass es dir gut geht und du deine Sorgen loswirst.“

„Du kannst mir sowieso nicht helfen.“, erwidert Janine.

„Aber es hilft, wenn man darüber spricht. Also sei kein Frosch und komm mit“, drängt Margitta.

Widerwillig schließt sich Janine der Freundin an. Im Kaffee sitzen sich die beiden schweigend gegenüber. Margitta will nicht aufdringlich fragen und Janine will ihr Missgeschick nicht preisgeben. Endlich bricht Margitta das Schweigen.

„Nun sag schon, was ist los? Hat dir dein Ex die Hölle heiß gemacht?“

„Ach der“, winkt Janine ab, „Den habe ich seit über einem Monat nicht mehr gesehen. Nein, es ist viel schlimmer.“

„Was denn, zier dich nicht!“, drängt Margitta ungeduldig.

Janine weiß nicht, wo sie anfangen soll.

„Also …“, druckst sie herum, „Also, ich habe im Lotto gewonnen, also fast.“

Margittas Gesichtszüge wechseln von Freude zu Erstaunen und zurück: „Wie jetzt? Hast du, oder hast du nicht?“

„Ich hätte beinahe, aber dann habe ich es vergeigt.“

„Ach Janine“, Margitta kennt das schon, „Die Welt ist voll von Leuten, die beinahe schwanger wurden, beinahe tot oder beinahe reich wären. Das ist doch kein Grund mit so einer Trauermine herumzulaufen.“

„Doch, ist es. Weil, so eine Chance bekommt man nur einmal im Leben und ich habe sie vergeigt.“, sagt Janine.

Nun erzählt Janine ihrer Freundin doch das ganze Drama, angefangen von den geträumten Lottozahlen, bis hin zu dem vergessenen Zettel. Margitta hört aufmerksam zu. Ihre Gedanken lässt sie nicht erkennen. Am Ende schweigen beide.

Nach einiger Zeit sagt Margitta: „Also hast du doch gewonnen. Du hast zwei richtige mit Zusatzzahl. Gibt es denn dafür auch Geld?“

So hat Janine das noch nicht gesehen. Aber erstens ist es fraglich, ob es für zwei richtige mit Zusatzzahl auch Geld gibt, und zweitens liegen zwischen ein paar lumpigen Euro und einem satten Millionengewinn Welten.

„Sieh es doch mal positiv. Du hast etwas gewonnen. Also gehst du jetzt hin und holst deinen Gewinn ab. Du wirst dein Glück doch nicht mit Füßen treten.“, sagt Margitta.

Janine ist skeptisch. Aber schließlich hat sie nichts mehr zu verlieren. Warum sollte sie der Lottogesellschaft einen noch so kleinen Gewinn schenken?

„Also gut. Aber ich bezahle den Kaffee heute, damit du bei deinen Eltern nicht wieder betteln gehen musst.“

Zuerst protestiert Margitta, aber dann willigt sie ein. In etwas besserer Stimmung verabschiedet sich Janine von ihrer Freundin. Es war doch gut, dass ihr jemand zugehört hat.

Im Lottoladen ist sie zum Glück die einzige Kundin: „Ich habe einen Zweier mit Superzahl. Gibt es da etwas?“

„Frau Schmidt, sie haben aber ein Glück. Das ist der dritte Gewinn in Folge. Dafür gibt es sechs Euro. Ganz, ganz herzlichen Glückwunsch.“, der Lottomann freut sich und schüttelt ihr enthusiastisch die Hand. Janine blickt unsicher nach unten. Ihre Freude hält sich in Grenzen. Der Lottoverkäufer kann nicht wissen, was sich in den letzten vierundzwanzig Stunden abgespielt hat. Aber Janine weiß es und kann sich über die sechs Euro nicht freuen.

„Sie müssen unbedingt weiterspielen.“, sagt der Verkäufer, „Vielleicht hält ihre Glückssträhne an und sie gewinnen am Sonntag einen Sechser mit Superzahl.“

Janine zuckt nur mit den Schultern. Selbst, wenn sie es wollte. Sie hat keine neuen Gewinnzahlen geträumt und ohne funktioniert es garantiert nicht, wie gestern Abend schlagend bewiesen worden ist. Grußlos geht sie aus dem Laden. Wieder blickt der Verkäufer ratlos hinterher. Was hat die Frau nur? Jeder andere würde im Laden einen Freudentanz aufführen.

Kapitel 5