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Lola Laguna ist Gebäudereinigerin. Doch sie träumt davon, DJane zu sein - und von ihrem attraktiven Hausarzt Dr. Witt. Über die Autorin: Nadine Christiane wurde am 18. März 1977 in Flensburg geboren. Seit früher Jugend, damals noch auf der ollen Reiseschreibmaschine ihrer Oma, schreibt sie Geschichten – und wirft sie nach Fertigstellung wieder weg. Beruflich viel ausprobiert, ist sie seit acht Jahren Logopädin mit dem Schwerpunkt Stimmtherapien und Stimmtransitionen. Doch ihre große Liebe ist das Schreiben. Schreiben ist ihr Yoga. Die Vegetarierin lebt mit ihrer Frau und der resozialisierten Straßenhündin Tilda in Hannover – und so oft als möglich im Allgäu, wo sie ihren Zweitwohnsitz hat und begeistert Berge besteigt. Sie ist keine Literaturpreis-, aber Brillen- und rechtsseitig Prothesenträgerin. Neuerdings wirft die Autorin ihre Texte nicht mehr weg.
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Love Beats
Impressum
Love Beats
Die Autorin
Nadine Christiane
RomanceNovelle
Ashera Verlag
Impressum
Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.
Erste Auflage im Mai 2024
Copyright © 2024 dieser Ausgabe by
Ashera Verlag
Hochwaldstr. 38
51580 Reichshof
www.ashera-verlag.net
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder andere Verwertungen – auch auszugsweise – nur mit Genehmigung des Verlags.
Covergrafik: pixabay
Innengrafik: pixabay
Szenentrenner: pixabay
Coverlayout: Atelier Bonzai
Redaktion: Alisha Bionda
Lektorat & Satz: TTT
Vermittelt über die Agentur Ashera
(www.agentur-ashera.net)
Bass. Ich brauche mehr Bass. Zwischen Daumen und Zeigefinger drehe ich mir die kleinen Regler zurecht. Beinahe zeitgleich spüre ich den Effekt, ein aufdringliches Grollen in meinem Oberbauch. Ein Gefühl wie Verliebtsein. Ich nicke und lege neben einem neuen Track ein zufriedenes Lächeln auf. Mit dem nächsten Song beschenke ich mich selbst. Ich habe drei Minuten sechsundzwanzig. Rechts neben dem Mischpult lege ich die Ultraleichtkopfhörer ab und trete dann zwei Schritte zurück. Um mich herum schummrige Dunkelheit und der künstliche Smog, der sich öffentlichkeitswirksam aus der Nebelmaschine quetscht. Ich fühle mich beweihräuchert. Ab und zu wandern bunte Lichtstrahlen über meinen Körper, und die Ausläufer des hektischen Stroboskoplichts stupsen mich hin und wieder an. Arme in die Höhe, die Augen schließen. Ich lasse mich treiben und ergebe mich dem grollenden Getöse. Der donnernde Bass befiehlt meinen Füßen, fest aufzustampfen, und die elektronisch getragene Melodie sorgt für den entsprechenden Hüftschwung. Freiheit. Ich fühle mich losgelöst. So fühlt sich Fliegen an, behaupte ich. Als ich meine Augen wieder öffne, begegne ich den Blicken dieses gut gekleideten Mannes. Er bewegt sich auf der Tanzfläche selbstsicher wie ein Chefarzt und macht mir mit seinen Augen Komplimente – den ganzen Abend schon. Später, mein Lieber, später, denke ich.
Noch weniger als eine Minute bis zum nächsten Track, zum Weiterfliegen ist es nun zu spät. Also krieche ich wieder unter meine Kopfhörer und bereite einen gekonnten Übergang vor. Ich lasse meinen Chefarzt nicht aus dem Blick. Ich habe eine Schwäche für Ärzte. Dieser hier fährt sich schon zum wiederholten Mal mit der Hand durch die geföhnte Frisur. Wie mit Sahnesteif aufmontiert, hält sein volles Haar den Strapazen stand. Und ich stelle mir vor, mein Gesicht darin zu versenken. Als könne er meine Gedanken lesen, grinst er mir verführerisch zu. Ich griene kurz zurück und gebe vor, beschäftigt zu sein. Ich drehe, justiere und schiebe, Regler, Knöpfe und Hebel. Und ich werde alle Hebel, Knöpfe und Regler in Bewegung setzen, um ihn später mit nach Hause zu nehmen.
Soweit die Theorie, in der Praxis nur Fahrpraxis. In der Realität sitze ich auf meiner Aufsitzscheuersaugmaschine und bringe Herrn Kunze das Fahren bei. Es ist sein zweiter Fahrversuch, und es ist fünf Uhr drei. Das „Halligalli“ ist leergefegt – zumindest arbeiten Herr Kunze und ich daran. Denn in Wirklichkeit bin ich diplomierte Gebäudereinigerin.
Alles fing damals mit den Autos an. Während meine Klassenkameraden neben der Schule Zeitungen austrugen oder in Eisdielen aushalfen, reinigte ich die Autos in der Nachbarschaft. Zehn Mark pro Auto. Ich war klein und zierlich und für die beengte Kulisse von Kleinwagen wie geschaffen. Eines Tages stand Otto Solms von Gegenüber da. Gebrechlich stützte er sich auf seinem schwarzen Gehstock ab.
„Sech mi mol, mien Lütten. Mochst du uck Treppenhäuser?“
„Vielleicht“, gab ich schüchtern an und arbeitete mich aus dem Fußraum eines Zweitürers heraus. Ich hätte sicher auch Schlangenfrau werden können.
„Dann komm mal bei mich bei.“ Otto Solms lotste mich hinter sich her und führte mich in den Eingangsbereich seines Mehrfamilienhauses. Dort, auf einer krümeligen Fußmatte in Schlammbraun, wartete seine Frau Erna. Sie steckte sogleich die Rahmenbedingungen ab: „Treppenhaus. Einmal pro Woche. Fegen und wischen. Mit Geländer. Und Handlauf. Handlauf mit einem extra Lappen. Alles schön gründlich. Ich will hier keine runden Ecken sehen.“
„Mache ich.“ Ich nickte und zwang mich zu einem Lächeln – die Solms machten mir irgendwie Angst.
„Zwanzig Mark.“ Erna Solms streckte mir ihre fleischige Hand entgegen.
Ich hatte noch versucht zu verhandeln und meinen Sold um fünf Mark in die Höhe zu treiben, doch nachdem Otto Solms einmal kräftig mit seinem Gehstock aufgestoßen hatte, gab ich mich auch mit zwanzig zufrieden. Meine Kompetenz sprach sich herum, und es kamen weitere Anfragen hinzu. Ich hörte mit dem Klavierunterricht auf, mit dem Jazzdance und auch mit dem Frisieren meiner Barbies und verbrachte den Großteil meiner Jugend entweder in Klassenzimmern oder Treppenhäusern.
Ich setzte mir Kopfhörer auf, startete gutgelaunt meinen Discman und fegte und wischte und wienerte – auch in den Ecken und auch auf den Handläufen.
„Ich habe das tollste Hobby der Welt“, schwärmte ich meinen Eltern vor. Erst Jahre später kam mir der Gedanke, dass die Musik der Grund war, dieses Gefühl der vibrierenden Kopfhörer auf meinen Ohren, weshalb mir diese Autos und Treppenhäuser so viel Freude bereiteten. Da war es längst zu spät, und ich hatte mich als diplomierte Gebäudereinigerin selbstständig gemacht. Meine Mutter wusste immer, dass meine Berufung im Musikalischen liegt. Doch als typische Ich-mach-mein-eigenes-Ding-Jugendliche konnte ich über die „Empfehlung“ meiner Mutter nur beratungsresistent lächeln. Ich begann nach dem Abitur meine Ausbildung und hatte drei Jahre später mein Diplom in der Tasche.
„Das Diplom ist der Doktortitel der kleinen Frau“, versuchte ich meine Mutter von meiner Berufswahl zu überzeugen.
„Lola, überleg doch mal“, sprach sie sanft auf mich ein. „Allein dein Name klingt wie Musik, wie eine Melodie. Das ist doch ein Vorzeichen.“
Stattdessen ist der Name Lola Laguna ein Begriff für die gewissenhafte Innen- und Außenreinigung von Gebäuden, Einrichtungen und Transportmitteln geworden. Und meine Firma heißt „putzmunter.de“, was gar nicht mehr so musikalisch klingt. Tja. Doch spätestens, seit ich Woche für Woche die Clubs meiner Stadt durchschrubbe und gründlich von den Spuren der Nacht befreie, weiß ich, was ich hätte werden sollen: DJane!
Meine Mutter hatte Recht. Sehnsuchtsvoll blicke ich auf die Bühnen, stelle mir vor, während ich die Tanzflächen gähnend mit meiner schlabbernden Aufsitzscheuersaugmaschine abfahre, wie ich dort oben, hinter dem Pult, unter meinen Kopfhörern und vor den Augen der Tanzenden, fette Beats produziere. Doch es ist zu spät. Ich habe die Verantwortung für zwanzig Arbeitende und in einen repräsentativen Fuhrpark investiert. Von Hochdruckreinigern und Kehrmaschinen bis hin zu Scheuersaug- und Aufsitzscheuersaugmaschinen biete ich meinen Beschäftigten jedweden Luxus. Außerdem bin ich dreiunddreißig Jahre alt. Damit scheide ich als akzeptiertes und aktives Mitglied einer Spaß- und Feiergesellschaft aus. Punkt. Die Frage nach einer Umschulung stellt sich also nicht. Ich nehme mein Schicksal an – ab und an. Meistens allerdings hadere ich schon sehr.
„Eine Lola Laguna sollte Musik machen“, schluchze ich, den Trost meiner Mutter voll auskostend, während ich mit meinem Kopf hypoton und hilflos auf ihren Oberschenkeln liege und aus Nasenloch und Mundwinkel kleckere.
Sie streichelt mein glattes Haar und macht ein beruhigendes: „Schhh. Es ist noch nicht zu spät“, flunkert sie.
Während ich weiß, dass sie flunkert, weiß sie nicht, dass ich ein DJ-Zimmer besitze. Einst als Fitnessraum eingerichtet, flogen, verschenkt über die Kleinanzeigen im Internet, Laufband, Rudermaschine und Hantelbank raus, während, gekauft über die Kleinanzeigen im Internet, Plattenspieler, Rechner und Mischpult einzogen. Inzwischen ist mein DJane-Equipment ähnlich umfassend wie mein Fuhrpark bei „putzmunter.de“. Jede freie Minute lege ich auf und mache Musik. Und ich verfüge über viele freie Minuten, ich bin Chefin und Single. Mein attraktiver Hausarzt Dr. Witt nimmt leider kaum Notiz von mir. Bin vermutlich nichts weiter für ihn, als NOCH EINE schniefende Heuschnupfenpatientin. Wenn ich vielleicht eine DJane wäre …
Das Auflegen habe ich mir selbst beigebracht. Ich suchte danach, doch kein mittelständischer Handwerksbetrieb in der Region hatte mich zur DJane ausbilden wollen. Es gibt Jobs, die kann dir selbst das Arbeitsamt nicht vermitteln. DJane, Influencerin, Trash-Kandidatin eines sexualisierten Dating-Formates, Jurorin einer Castingshow, um nur einige zu nennen. Zum Glück gibt es das Internet, nicht nur wegen der Kleinanzeigen. Nichts, was du heutzutage nicht über YouTube lernen kannst. Vermutlich sogar das Bedienen einer Aufsitzscheuersaugmaschine.
„Wissen Sie, Herr Kunze, das Diplom ist der Doktortitel des kleinen Mannes“, höre ich mich gerade zu meinem neuen Mitarbeiter sagen. Was heißt sagen, ich schreie ihn an, weil meine Aufsitzscheuersaugmaschine so schlabbert und röhrt.
„Mit dem Führerschein, dem Fahrdiplom, haben Sie was in der Hand“, mache ich Werbung in eigener Sache.
Herr Kunze grinst angestrengt, Salzwasser dringt ihm aus den Poren. Kurz vor Sturzbach steht es ihm auf Stirn und Nase. Ist die Partybeleuchtung erst ausgetauscht gegen Neonstrahler, die an der Decke des hallenähnlichen Gebäudes hängen, sieht man jedes noch so kleine Ach. Ach, dass der attraktive Chefarzt maximal ein Bankberater ist, habe ich in der Dunkelheit gar nicht gesehen.
Drei Personen, denen die durchzechte Nacht in den Blicken steht, räumen Gläser und Flaschen von dort nach da, darüber hinaus ist das „Halligalli“ ausgeräubert. Ich sitze schräg hinter Herrn Kunze auf dem unscheinbaren Sozius und fühle mich wie der Begleitenkel eines ernteeinfahrenden Landwirtes.
„Prima, Herr Kunze“, lobe ich und überlege, ob ich ihm für Stirn und Nase meinen Lederlappen anbieten soll. Ein Taschentuch habe ich leider nicht zur Hand.
„Kurz vor den Betonpfosten noch einmal eine enge Linkskurve, dass Sie mit den rechten Rädern knapp auf der vorherigen Spur zurückfahren. Dabei kein Wasser kommen lassen und die Sauglippen absenken, Herr Kunze.“
„In Ordnung“, antwortet dieser gepresst.
Mir fällt eine beunruhigende Kurzatmigkeit auf. Auweia, denke ich. Und dann lenkt er die Maschine nach der Linkskurve komplett in die Gegenspur, während das Wasser hinter uns eine beeindruckende Lache hinterlässt.