Love - Time - Death - Maja Jane Voss - E-Book

Love - Time - Death E-Book

Maja Jane Voss

0,0

Beschreibung

Maja blickt aus ihrer kleinen Wohnung auf die verschneite Winterlandschaft und lässt ihre Gedanken in die Vergangenheit schweifen. Erinnerungen an ihre Jugendjahre und an ihre große Liebe, die tragisch endete, kommen zurück. Durch Tagebucheinträge und melancholische Reflexionen entfaltet sich die Geschichte eines Mädchens, das in einer Welt voller Veränderungen und Verluste ihren Weg finden muss. Auch als Erwachsene droht Maja noch daran zu zerbrechen, während sie verzweifelt versucht, die Geister der Vergangenheit zu bewältigen. Dieser Roman zeigt auf berührende Weise, wie die Liebe und der Schmerz über den Verlust eines geliebten Menschen das Leben prägen können. Eine Geschichte über die Vergänglichkeit des Lebens, die Macht der Erinnerungen und die unaufhörliche Suche nach einem Sinn, der die Leser jeden Alters bewegt. Trigger Warnung: Dieser Roman behandelt Themen wie Selbstmord und Verlust.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 392

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Dieses Buch widme ich Frank P.

-

Meiner großen Liebe.

Ich wollte, dass die Welt erfährt, was

für ein toller Mensch du warst.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

I. Teil

erstes Kapitel

Samstag, 16. April 1983

zweites Kapitel

Freitag, 27. Juni 1986

Mittwoch, 27. August 1986

Donnerstag, 28. August 1986

Dienstag, 16. September 1986

Freitag, 19. September 1986

Montag, 29. September 1986

Mittwoch, 12. November 1986

Montag, 01. Dezember 1986

Freitag, 29. Mai 1987

drittes Kapitel

Samstag, 4. Juli 1987

Montag, 13. Juli 1987

Dienstag, 14. Juli 1987

Donnerstag, 30. Juli 1987

Montag, 10. August 1987

Samstag, 15. August 1987

Freitag, 20. August 1987

Donnerstag, 10. September 1987

viertes Kapitel

11. September 1987

Samstag, 12. September 1987

fünftes Kapitel

sechstes Kapitel

siebtes Kapitel

achtes Kapitel

neuntes Kapitel

zehntes Kapitel

Freitag, 25. März 1988

elftes Kapitel

II. Teil

zwölftes Kapitel

Dienstag, 13. November 1990

Donnerstag, 27. Dezember 1990

Samstag, 12. Januar 1991

dreizehntes Kapitel

vierzehntes Kapitel

fünfzehntes Kapitel

III. Teil

sechzehntes Kapitel

siebzehntes Kapitel

achtzehntes Kapitel

neunzehntes Kapitel

zwanzigstes Kapitel

Vorwort

Wenn ich aus dem Fenster auf das trübe, graue Wetter blicke und beobachte, wie die bunten Blätter von den Bäumen fallen, fällt mir unsere Vergänglichkeit wieder ein.

Und wie sehr diese Vorstellung unsere Gesellschaft und insbesondere die Kirche uns beeinflusst hat. Warum fürchten wir uns vor dem Ende unseres Lebens? Ist es die Angst vor dem unbekannten Danach? Oder eher die Sorge, all das zu verlieren, was uns lieb und teuer ist – unsere materiellen Güter, Gedanken, Gefühle und Überzeugungen?

Ich frage mich weiter: Warum werden wir so erzogen, dass der Tod etwas Schlimmes sein soll? Ist er nicht eher ein natürlicher und untrennbarer Teil unseres Lebens?

Aber wenn ich auf unsere Geschichte zurückblicke, wird die Tatsache, dass wir vergänglich sind, oft benutzt, um uns Menschen zu manipulieren. Hätte die Kirche die Macht dazu gehabt, in der Inquisition, die Menschen so zu beeinflussen, wenn wir keine Angst vor dem Tod hätten?

Deswegen schleicht sich in meine Gedanken, dass es gewollt ist, Angst vor unserer Sterblichkeit zu haben. Denn diese dient dazu, den Menschen besser manipulieren zu können!

Diese Manipulation war nicht nur auf die Kirche beschränkt. Über die Jahrhunderte hinweg, sogar bis in die heutige Zeit, wurde die menschliche Vergänglichkeit immer wieder ausgenutzt, um Menschen zu unterwerfen und gefügig zu machen.

Wenn wir den Tod akzeptieren würden, würde das die Strukturen der Macht, die auf Angst basieren, erschüttern?

Und was kommt nach dem Tod? Wer bestimmt über die Darstellung des Jenseits – des Paradieses, des Himmels, des Nirwanas?

Vor allem ist der Tod nicht eine Reise, in ein »Land«, was uns neugierig darauf machen sollte? Was geschieht, wenn unsere Zeit gekommen ist.

Doch inmitten dieser Zweifel und philosophischen Betrachtungen über den Tod fand ich stets ein beständiges Leuchtfeuer – die Liebe. Sie schien mir das einzige zu sein, das stark genug war, um der Endlichkeit des Lebens entgegenzuwirken. Die Liebe, in all ihren Formen, ist eine Kraft, die uns während unseres Lebens vorantreibt und unserem Dasein einen Sinn verleiht. Sie ist es, die uns die Furcht vor dem Ende nehmen und die Stürme des Unbekannten ertragen lässt. Die Liebe ist es, die in unseren Herzen fortlebt, auch wenn der Körper längst zu Staub zerfallen ist.

In meinem eigenen Leben gab es Momente, die mich an mehr als nur dieses eine Leben glauben ließen. Doch wie viele andere, zweifelte auch ich und fragte mich, ob meine Erlebnisse real waren oder nur Zufälle, vielleicht sogar Täuschungen meines Verstandes.

I. Teil

erstes Kapitel

Die Zeit verging und nun war es ein kalter Wintertag und draußen tobte der Schnee. Gedankenverloren sah ich zu, wie die Schneeflocken im Wind tanzten. Das war etwas Mystisches für mich. Jede Schneeflocke sah anders aus und es gab nie dieselbe. Mir das vorzustellen, gab mir ein Gefühl der Einzigartigkeit. So wie die Schneeflocken waren auch alle anderen Lebewesen auf dieser Erde. Nämlich unverwechselbar. Niemand ähnelte dem Anderen. Diese individuelle Artenvielfalt versetzt mich in eine Melancholie, die ich früher schon einmal fühlte. Damals lernte ich einen besonderen Menschen kennen. Einen großartigen jungen Mann, dem keiner das Wasser reichen konnte. Jemanden, den ich in meinem Leben nicht mehr missen wollte.

Diese Begegnung lag nun dreißig Jahre zurück. Es war genau zu der Zeit, nämlich in den Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr. In dieser Zeit steigerte ich mich in die Angst hinein, ihn verlieren zu können.

Wieder fiel mein Blick auf den Schnee. Die Straßen waren schon in das tiefe Weiß getaucht und durch dieses Weiß schimmerte die Straße in einem neuen Glanz. Die Welt schien anders, verzauberter.

Schwache Erinnerungen kamen hoch. Damals war ich erst 16 Jahre und da glaubte ich, mein Leben würde enden, wenn er nicht mehr mit mir zusammen wäre.

Heute, 30 Jahre später, stand ich allein in meiner Zweizimmerwohnung. Das Licht war gedimmt, weil ich die Dunkelheit liebe. Nicht wirklich sehen zu können, einzig und allein Schatten wahrzunehmen, gab mir ein Gefühl der Geborgenheit. Im Dunkeln schien jedes Lebewesen gleich zu sein, was seine Silhouette betraf. Der einzige Unterschied war die Körperform. Der Schattenumriss konnte nun nicht mehr mit seinem Aussehen beeindrucken, sondern musste mit seinem Wesen überzeugen.

Meine Gedanken spielten mir einen Streich. Eigentlich wollte ich mich an die Vergangenheit erinnern. An die Zeit, in der ich hätte glücklich sein müssen. Doch es fiel mir schwer, den Schmerz noch einmal zu ertragen. Mein Blick wanderte hoch und da, wo das Mondlicht es zuließ, sah ich, wie die Schneeflocken durch die Luft wirbelten.

In dieser Atmosphäre beschloss ich, mir eine heiße Tasse Pfirsich-Tee zu machen. Ich verließ mein Wohnzimmer, welches nicht besonders groß war. Es bot gerade einmal Platz für meine rote Retro-Couch, ein paar Bücherregale und einen Esstisch, der ständig voll mit Papierkram lag. Ich ging direkt in die Küche, die mit nicht einheitlichen Küchenschränken zusammengewürfelt war. Ich lehnte an der Arbeitsplatte, während der Wasserkocher das Teewasser erhitzte. Meine Wohnung glich einem harmonischen Chaos.

Von allem ein bisschen. Ähnlich wie mein Leben. Mit dem heißen Tee ging ich zurück in das dämmrige Wohnzimmer, setzte mich auf die Couch und kuschelte mich in meine Decke. Ich genoss die absolute Stille, wie sie nur in den Wintermonaten zu finden war. Mit geschlossenen Augen versuchte ich die Ruhe in mir einzufangen. Doch die Erinnerungen an die vergangene Zeit ließen mich nicht mehr los. Deshalb beschloss ich, meine alten Tagebücher hervorzuholen.

Als ich die ersten Seiten aufschlug, um nostalgisch in der Vergangenheit zu schwelgen, musste ich schmunzeln.

Da beschrieb ich meinen Umzug in das verhasste Oberflockenbach. Als ich dies in mein Tagebuch schrieb, wusste ich noch nicht, dass ich mit meiner Wut und Trauer so falsch lag.

Samstag, 16. April 1983

Ich hasse es!!! Das ist der vierte Umzug in 12 Jahren. Und. Ich. Bin. Zwölf!

Glaubst du das? Dass ich wieder alles hinter mir lassen muss. Ich fasse es nicht! Schon wieder neu anfangen und keine Beständigkeit im Leben aufbauen zu können. Ich fühlte mich in Friesheim wohl und schon wieder sind wir weggezogen.

Heute haben wir die Kisten in Oberflockenbach ausgepackt. Ich möchte betonen, mit gaaaannz viel Widerwillen. Ich fühle mich in dem neuen Zimmer nicht zu Hause.

In der Schule werde ich wieder die Neue sein und die Angst vor der Schule ist zurück. Weißt du noch, wie ich dir von meinem alten Lehrer erzählt habe, der so streng war? Von Anfang an, als ich eingeschult worden bin, habe ich Schulangst gehabt. Wegen des einen Lehrers. Und dann, beim nächsten Umzug nach Friesheim, kam ich in die dritte Klasse. Da wurde alles besser mit Herrn Otto. Er war so nett und lustig, und die Schule hat mir zum ersten Mal, seitdem ich dort hinging sogar Spaß gemacht! Aber jetzt … jetzt kommt alles wieder hoch.

***

Ich sah von der ersten Seite auf und schaute wieder auf die Schneeflocken. Es war nicht so einfach, die Zeilen, im schwachen Licht der Straßenlaterne zu lesen, deshalb schaltete ich meine Leselampe ein.

Neben mir lagen die anderen Tagebücher, teilweise sogar nur lose Zettel, die aus einigen Büchern ragten. Ich habe mit dem Tagebuchschreiben angefangen, als ich neun Jahre alt war. Als Teenie schämte ich mich für die Belanglosigkeiten eines kleines Mädchen und die krakelige Schrift. Jedoch schon damals schwang viel Traurigkeit mit.

Ich blätterte durch die alten Seiten zurück, vorbei an den Erinnerungen an Lübeck, Liblar und Köln-Eil. Jeder Umzug hinterließ eine Narbe, ein Stück meiner Kindheit, das ich zurücklassen musste. Gut, die ersten beiden Umzüge bekam ich nicht wirklich mit. Als wir von Lübeck, meiner Geburtsstadt, nach Liblar zogen, war ich erst ein Jahr. In Liblar trennten sich meine Eltern und die Wohnung konnte meine Mutter allein mit uns drei Kindern nicht mehr finanzieren.

Also zogen wir nach Köln-Eil. Ich war 9 Jahre, als wir wieder umzogen. Gottfried, der Freund meiner Mutter wollte, dass wir zu ihm nach Friesheim ziehen. Einerseits war ich traurig, weil ich meine Freundinnen zurücklassen musste, andererseits freute ich mich, weil wir in ein Haus zogen und ich ein eigenes Zimmer bekam.

Meine ältere Schwester Angela und unser älterer Bruder Achim schlugen, genauso wie ich, in Friesheim Wurzeln.

Mit dem neuen Umzug nach Oberflockenbach waren auch meine Geschwister nicht einverstanden. Angela beschwerte sich lauthals und Achim, der älteste von uns Dreien, hielt sich da raus.

Er machte es wie ich; es stillschweigend ertragen. Wir konnten ohnehin nichts ändern. Der Umzug stand fest und wie immer, bekamen wir Kinder dies als Letztes mit. Wir durften diesbezüglich nicht mitentscheiden. Nicht lange nach dem Umzug heiratete Gottfried meine Mutter, und wir bekamen noch zwei kleine Stiefbrüder: Daniel und Stephan.

Daniel kam direkt ein Jahr nach unserem Umzug ins neue Haus und Stephan dann fast zwei Jahre später.

Ich schlug mein Tagebuch dort auf, wo ich noch in Friesheim lebte. In der Zeit wusste ich bereits, dass wir wieder wegziehen würden und ich las mittendrin weiter:

***

Das Einzige, was mir in Friesheim wirklich fehlt, ist ein eigener Hund. Wie schon so oft, schrieb ich dir, dass ich Hunde über alles liebe. Nur Mama mag sie nicht. Um aber trotzdem das Gefühl zu haben, einen eigenen Hund zu besitzen, suchte ich mir eine Familie, die einen hatten. Mit dem konnte ich dann Gassi gehen. Wenigstens beim Gassigehen konnte ich so tun, als ob der Hund mir gehörte.

Lassie war eine Colliedame und sah aus, wie der Hund aus der Fernsehserie; nur in einer breiteren Ausführung.

Hach, sie fehlt mir jetzt schon so sehr.

Das Dorf ist klein und überschaubar, außerdem finde ich es richtig schön hier.

In der Nachbarschaft kennen und mögen mich die Leute.

Nein, ich will hier nicht weg. Nicht schon wieder alles aufgeben und von vorne anfangen.

Es geht auch nicht nur um Lassie, die ich hier zurücklassen muss. Es geht auch darum, dass ich hier eine meiner schönsten Erinnerungen verknüpfe. Maunzi wurde zum Familienmitglied und zog bei mir ein. Maunzi, meine wunderschöne Katze, die ich von Baby an bekam. Zwar mochte meine Mutter keine Hunde, dafür aber Katzen. In der Nachbarschaft gab es eine Katze, die schwanger war, von ihr bekamen wir dann Maunzi. Maunzi zieht zwar mit um, aber was ist, wenn ihr es dort auch nicht gefällt?

Ich frage mich sowieso, wie viele Umzüge ich noch ertragen kann, bevor von mir nichts mehr übrig bleibt.

***

Ich beugte mich nach hinten und lehnte mich an meinen alten Stoffhund. Als ich mich umschaute und ihn sah, nahm ich ihn an mich. Mein treuer Begleiter bewachte mich seit Jahren und erst vor kurzem kramte ich ihn aus der Kiste hervor. Seitdem saß er auf meiner Sofalehne. Wie oft hat er mich schon getröstet? Ihn nun in meinen Händen zu halten, wühlten alte Erinnerungen auf. Am Ohr besaß er eine Brandstelle, Glut war auf ihm gefallen, als mein Vater eine Zigarette geraucht hat. Ich fühlte den Schmerz und wie ich aufschrie, weil meinem Hund weh getan wurde. Für mich lebte er und konnte genauso fühlen wie ich.

Mit dem Finger streichelte ich über die Brandstelle, mein Tagebuch lag geöffnet auf meinen Schoß und ich versank in meinen Gedanken über die Vergangenheit.

***

Neue Freunde zu finden, fühlte sich fremd und beängstigend an. Wie kann jemand anderes jemals den Platz derer einnehmen, die ich zurücklassen musste? Es fühlte sich an, als würde ein Stück meines Herzens mit jedem Umzug kleiner. Schon damals fragte ich mich, wie viele Umzüge ich noch ertragen konnte, bevor nichts mehr von mir übrig blieb.

Doch Trennungsschmerzen waren mir von klein auf bekannt.

Meine Eltern trennten sich, als ich fünf Jahre war, sie verstanden sich nicht mehr. Immer häufiger gab es Streit.

Beim letzten Streit, den die beiden austrugen verließ mein Vater die Wohnung und kam nie wieder zurück. Außer, er holte uns für ein Wochenende ab. Da ich ein Papa-Kind war, bekam ich zum ersten Mal in meinem Leben Liebeskummer. Nahm abends meinen großen Stoffhund mit ins Bett, der ein Weihnachtsgeschenk von meinem Vater war und weinte in sein Plüschfell. Das Plüschtier tröstete mich in meinem Kummer. Er war am Brustkorb ganz eingedrückt und abgenutzt, weil ich ihn so sehr an mich drückte, wenn ich weinte. Ihm konnte ich alles anvertrauen.

Mein Plüschhund war nicht nur ein Stofftier, er war mein größter Halt zu dieser Zeit.

Wenn wir bei meinem Vater zu Besuch waren, hing ich an ihm wie eine Klette. Ich ließ ihn kaum von meiner Seite.

Wenn wir dann wieder bei meiner Mutter waren, fing der Liebeskummer von vorne an. Wieder weinte ich tagelang abends in meinen Stoffhund. Bis ich meinen Schmerz tief ins Unterbewusstsein verdrängte.

zweites Kapitel

Ich legte das Tagebuch zur Seite und trank meinen bereits kalt gewordenen Tee. Lächelnd schüttelte ich den Kopf, weil ich wusste, wie sich mein Leben in Weinheim verändern würde.

Der Schnee fiel leise außerhalb meines Fensters, aber meine Gedanken waren weit weg, verloren in einem Meer von Erinnerungen. Ich dachte an Margarethe, meine treue Freundin, deren Weg sich auf so unerwartete Weise mit meinem eigenen kreuzte.

Es war Herr Förster, Margarethes Vater, der ohne es zu wissen, den Grundstein für unsere tiefe Verbindung legte.

Seine Gespräche mit mir, einem damals zwölfjähriges Mädchen, das sich in der neuen Umgebung von Oberflockenbach fremd und unwohl fühlte, waren die ersten tröstenden Schritte in eine neue Welt. Vom Balkon meines Zimmer aus blickte ich auf den Hang hinunter, wo die Försters wohnten. In diesen zufälligen Begegnungen fand ich einen Funken Hoffnung.

Die Erinnerung an die Radtour mit Margarethe ist mir besonders lebhaft im Gedächtnis geblieben. Wie ich widerwillig zustimmte, geleitet von einer Mischung aus Neugier und dem eigentlichen Wunsch, dem Drängen ihres Vaters nicht nachzugeben. Die Fahrt selbst, eine Mischung aus Aufregung und Angst, endete in einer unerwarteten Begebenheit. Das rauschende Vergnügen der Abfahrt, gefolgt von dem mühsamen Schieben der Fahrräder bergauf, wurde zu einem Wendepunkt in meinem Leben. In diesem Moment, als wir unsere Räder die 2,5 Kilometer mehr schoben, als bergauf fuhren, fand unsere wahre Freundschaft ihren Anfang.

Diese Beziehung zu Margarethe wurde zu einem Anker in meinem Leben. Besonders während meiner ersten Jahre in Oberflockenbach. Sie bot nicht nur eine Flucht aus der Einsamkeit, sondern auch eine Quelle der Freude und des gegenseitigen Verständnisses.

Jetzt, Jahre später, führte uns das Leben in unterschiedliche Richtungen. Margarethes Ausbildung und meine eigenen Verpflichtungen haben unsere Treffen seltener gemacht, doch die Erinnerung an unsere gemeinsame Zeit erwärmt mein Herz.

In der Stille meines Zuhauses, umgeben von der Dunkelheit des Winters und dem sanften Licht der Leselampe, fühle ich eine tiefe Dankbarkeit für die unerwarteten Wege des Lebens, die Margarethe und mich zusammengeführt haben.

Dankbar blätterte ich weiter und schlug mein Tagebuch erneut auf einer unwillkürlichen Seite auf.

***

Freitag, 27. Juni 1986

Wow, es ist echt krass, dass ich jetzt schon drei Jahre hier in Oberflockenbach wohne. Es kommt mir vor wie ´ne Ewigkeit und gleichzeitig wie gestern. In der Zeit hat sich voll viel getan.

Letztens noch, hat mir Margarethe erzählt, dass sie keine Lust hatte, mich kennenzulernen. Ich musste so lachen, denn auch in dem Punkt waren wir uns einig, das wollte ich auch nicht. Und jetzt wüsste ich nicht, was ich machen würde, wenn sie nicht bei mir wäre. Sie ist meine beste Freundin.

Jetzt sind wir wie Bonnie und Clyde, nur ohne dieses Ganoven-Ding.

Am Anfang war Oberflockenbach für mich ein totaler Horrorplatz. Aber Margarethe hat alles verändert. Ohne sie… ich will’s mir gar nicht vorstellen.

Aber die Schule war ein totaler Albtraum. In der neuen Schule kam ich überhaupt nicht mehr mit. Die waren mit dem Lernstoff schon so weit voraus, dass ich einfach aufgegeben hatte, zuzuhören. Die Schule war riesig und die Leute da? Einfach nur fies! Sie mobbten mich und ich fürchtete mich so vor den Pausen, dass ich mich immer auf dem Klo versteckte. Die Situation war für mich so schlimm, dass meine alte Schulangst wieder hochkam.

Diese Ganztagsschule hasste ich und jeden Tag habe ich meiner Mutter vor gejammert, wie schlecht es mir dort geht.

Zum Glück, durfte ich nach 'nem Jahr endlich wechseln.

Die neue Schule war okay, sie endete wenigstens um 13 Uhr. Also musste ich nicht mehr so lange das Gemobbe ertragen.

Mann, was für Zeiten. Aber ich schaff das, oder? Mit Margarethe an meiner Seite. Und Maunzi.

Das muss ich noch unbedingt aufschreiben. Eben war ich oben im Esszimmer und Angela hat wieder Tacheles geredet. Wenn ihr etwas nicht gefällt, dann spricht sie es sofort an. Das könnte ich nicht so wie sie. Und ich bewundere sie irgendwie dafür. Sie sagt immer direkt was Sache ist und ich finde dazu gehört sehr viel Mut. Sie ist auch echt ehrgeizig, ganz im Gegensatz zu mir.

Sie sieht immer toll aus mit ihren langen, braunen Haaren, die einfach perfekt fallen – ach hätte ich doch auch solche Haare. Ich mit meinem Straßenköterblond… manchmal wünsch ich mir, ich hätte dunkle Haare, so richtig schwarze.

Ich glaube, Angela ist bei allen beliebt. Sie hat dieses Selbstbewusstsein, das einfach anziehend ist. Ich dagegen?

Ich bin das komplette Gegenteil. Früher als kleines Mädel war mir egal, was andere über mich dachten. Aber jetzt?

Jetzt will ich bloß nicht auffallen.

Ich weiß, das ist ein Widerspruch, weil es mir total schnuppe ist, was ich trage. Ich zieh einfach das an, was ich zuerst in die Finger bekomme. Über Mode denk ich echt nicht lange nach. Aber die Sprüche der anderen Kids gehen mir schon nah. Trotzdem will ich mich nicht verbiegen, nur um denen zu gefallen.

***

An die Sommerferien dazwischen konnte ich mich komischerweise gar nicht mehr erinnern. Eigentlich war es mir auch egal, ich wollte endlich zu dem Abschnitt kommen, an den ich heute Abend die ganze Zeit dachte und der mich nicht mehr losließ.

Ich überflog einige Seiten, bis mich ein Kapitel packte und fesselte.

Ich war zwar eine kontinuierliche Schreiberin, aber nicht täglich oder wöchentlich. Auch wenn es Tagebuch hieß, schrieb ich nur hinein, wenn sich etwas Wichtiges in meinem Leben ereignete oder ich gefühlsmäßig nicht mehr weiterwusste. Meine Stimmung drängte mich zu der Geschichte hin, vor der ich mich so sehr fürchtete und die ich doch für mich und meine Seele brauchte. Der heutige Abend war wie extra geschaffen dafür.

***

Mittwoch, 27. August 1986

Heute, eine Woche nach den Sommerferien, fühlte ich mich wie ein Schatten auf dem Schulhof. Ich stand allein, abseits der lärmenden Gruppen, und versuchte mir einzureden, dass ihre Gesellschaft mir nichts bedeutete. Doch im tiefsten Innern sehnte ich mich danach, Teil ihrer Welt zu sein.

Die anderen Schüler standen in Gruppen zusammen, tauschten Geschichten aus, lachten. Ich beobachtete sie aus der Ferne.

Seit ich hier bin, fühle ich mich wie ein Geist, unsichtbar in den Hallen und auf dem Schulhof. Immer die Außenseiterin, eine Beobachterin.

Aber heute … heute ist etwas Ungewöhnliches passiert.

Francesca und Isabel, zwei Mädchen aus meiner Klasse, kamen auf mich zu. Mein Herz schlug bis zum Hals und ich erwartete schon den nächsten scharfen Kommentar. Aber nein, sie waren … freundlich?

Francesca, immer so stylisch und selbstbewusst, sagte plötzlich: »Maja, weißt du, du bist gar nicht so verkehrt.« Ich war völlig baff. Hatte ich das richtig verstanden? Wollte sie mich aufziehen?

Dann sagte sie etwas über mein Aussehen und dass ich mich cooler kleiden sollte, um nicht gehänselt zu werden. Ich war verwirrt, aber irgendwie fand ich den Mut zu antworten.

Ich erwiderte ihr, dass ich nicht mein äußeres verändern möchte, nur um dann gemocht zu werden. Zu meiner Überraschung lachte Francesca und schien mich sogar zu verstehen.

Das Unglaublichste ist, sie lud mich ein, nach der Schule mit ihnen abzuhängen. Morgen, hinterm Schloss im Park.

Ich konnte es kaum glauben, aber ich habe zugestimmt.

Und weißt du was? In der restlichen Pause stand ich nicht mehr allein da. Mit ihnen zu reden und zu lachen, war eine ganz neue Erfahrung. Ich fühlte mich zum ersten Mal richtig dazugehörig.

Und jetzt, wo ich alles aufschreibe, frage ich mich, ob das wirklich passiert ist. Meinte Francesca es ernst? Ich musste es herausfinden, auch wenn es mir Angst macht, wieder ein Mobbingopfer zu werden. Entweder es wird gut, oder ich bin wieder da, wo ich jetzt bin. Aber ich muss es versuchen.

Morgen ist ein neuer Tag, vielleicht der Beginn von etwas Neuem?

Donnerstag, 28. August 1986

Der Tag heute war super. Ich bin zum Treffpunkt hinter dem Schloss gegangen, wo die Steintreppe zur Terrasse hoch führt. Dort saßen auch Francesca, Isabel und einige andere Spanier, die ich noch nicht kannte, auf der Mauer. Ich bin so froh, dass ich mich getraut habe, dort hinzugehen. Wenn ich es nicht gewagt hätte, hätte ich nicht so einen coolen Tag gehabt.

Seitdem möchte ich regelmäßig zur Clique gehen.

Vorhin, als Francesca mich kommen sah, sprang sie von der Mauer und kam auf mich zu. »Schön, dass du gekommen bist«, begrüßte sie mich mit einem warmen Lächeln. Sie stellte mich den anderen vor. Das war so nett von ihr, ich habe mich wirklich willkommen gefühlt.

In unserer Clique sind die meisten Spanier, und ich liebe ihre Wärme und das Temperament.

Aber ab und zu stoßen auch ein paar deutsche Jugendliche dazu. Einer von ihnen ist Tom, den ich heute auch kennenlernen durfte. Er ist wirklich lustig, und mit ihm habe ich jeden Unsinn machen können. Ich fühle mich irgendwie glücklicher. Er bringt eine Art Leichtigkeit mit, die alles besser macht. Leider ist er nicht so oft da, bekam ich dann mit.

Ich versuche aber, so oft wie möglich zum Treffpunkt zu gehen, solange Mama mich nicht braucht, um auf Daniel und Stephan aufzupassen.

Dienstag, 16. September 1986

Du errätst nie, was ich heute gemacht habe.

Nach der Schule bin ich mit Francesca zu ihr nach Hause gegangen, zum ersten Mal. Ihr Zimmer ist genauso stylisch wie ihre Klamotten. Ich fühlte mich dort sofort wohl.

Francesca ist mir in der letzten Zeit wirklich ans Herz gewachsen. Wer hätte das gedacht, ich und die Spanierinnen. Früher hätte ich darüber nur gelacht, wenn mir einer gesagt hätte, dass sie mich mögen würden, aber jetzt? Jetzt bin ich mit ihnen befreundet und wir treffen uns nach der Schule fast regelmäßig.

Wir saßen in ihrem Zimmer auf dem Boden und unterhielten uns, wie wir noch vor ein paar Wochen zueinander standen.

Dann, ganz plötzlich und ohne Zusammenhang, sprang Francesca auf und fragte mich: »Hast du schon einmal Alkohol getrunken?«

Ich war total verblüfft über diese Frage und schüttelte den Kopf.

Ich dachte noch: »Sie wird doch jetzt nicht …«, aber genau das tat sie! Stürmt in die Küche und kommt mit einem Bier zurück. Ihre Eltern sind nicht da, sie waren bei Freunden, also waren wir allein.

»Wir müssen uns aber ein Bier teilen, sonst fällt es auf«, meinte sie und hielt mir das Bier vor die Nase.

Mit zittrigen Händen nahm ich die Flasche, ich konnte meine Aufregung nicht verbergen. Francesca erzählte mir dann, dass sie irgendwo gelesen hatte, wenn man Bier mit einem Löffel trinkt oder durch einen Strohhalm, wirkt der Alkohol schneller. Wir haben nur dieses eine Bier, also probieren wir beides! Und es wirkt, es wirkt wirklich.

Plötzlich fühlte ich mich so unbeschwert, so leicht und sorgenfrei. Francesca und ich alberten herum, wir lachten und kicherten über fast alles. In dieser Stimmung machten wir uns auf zur Clique.

Nun ermahnte sie mich, ich sollte nicht so auffällig sein, schließlich müssten wir noch bei ihren Eltern vorbeischauen, um ihnen Bescheid zu sagen.

Sie schimpfte mit mir, dass ich richtig Angst bekam, ihre Eltern könnten etwas bemerken. Darum hielt ich Abstand zu ihnen und bin ganz ernst geblieben. Am Ende war es gar nicht so dramatisch, wie ich es mir ausmalte.

Während wir zum Treffpunkt liefen, merkte ich, wie mir das Bier weiter zu Kopf stieg. Die frische Luft und die Bewegung fördern den Alkohol noch zusätzlich. In Redelaune erzählte ich ihr, dass ich einen Jungen aus der Clique ganz süß finde.

Natürlich wollte Francesca wissen, wer es ist, und ehe ich mich versah, schwärme ich von Tom.

Wir näherten uns dem Treffpunkt und ich hoffte insgeheim, dass er da sein wird. Aber nein, Tom war heute nicht da.

Trotzdem war der Tag super lustig, wir alberten herum und lachten viel. Vielleicht kam es mir auch nur so vor, aber ich glaube, das war einer dieser Tage, den ich nicht so schnell vergessen werde!

Freitag, 19. September 1986

Heute muss ich dir unbedingt erzählen, was passiert ist! Als ich morgens ins Klassenzimmer kam, kam Francesca sofort auf mich zu und fragte, ob ich heute auch zur Clique komme. In ihre Stimme lag eine Begeisterung, die ich mir nicht erklären konnte. Aber ich wunderte mich eher, dass sie mich fragte. Denn normalerweise fragt sie mich das nie.

Wir verabreden uns nie richtig fest, ich bin einfach meistens da.

Im Park fand ich dann meine Clique, und mein heimlicher Schwarm kam auch dazu, nur fünf Minuten später. Das hat mich total gefreut! Francesca, Isabel, Carmen, Andreas, Tom und ich – wir fanden einen super Platz im Park, dort waren wir ganz ungestört. Wir setzten uns auf die Sitzlehnen der Parkbänke, die wir zuvor gegenüberstellten.

Isabel schlug vor, Wahrheit oder Pflicht zu spielen. Ich hatte das noch nie gespielt und war total neugierig. Die Regeln waren einfach und schnell erklärt. Irgendwie empfand ich, dass ich ziemlich oft dran kam. Ich wunderte mich zwar, aber es war auch ein tolles Gefühl, so im Mittelpunkt zu stehen.

Ich nahm Tom aber nie dran. Ich wusste einfach nicht, was ich ihn fragen sollte. Aber dann kam Francesca dran und fragte mich: »Wahrheit oder Pflicht?« Ich habe wie immer »Wahrheit« genommen.

Ärgerlich fragte sie mich, warum ich immer Wahrheit nehme, ich sollte auch mal Pflicht nehmen. Was soll ich sagen, beschämt lachte ich und gab ihr zu verstehen, dass ich nichts Peinliches machen möchte.

Vor Tom etwas Peinliches zu tun, wäre mir unangenehm, also blieb ich lieber bei der Wahrheit.

Ich konnte doch auch nicht ahnen, dass sie mir dann diese Frage stellte.

Sie wollte wissen, ob ich einen Jungen aus der Clique toll finde. Ich wurde so was von rot und gab kleinlaut »Ja« zu.

Alle waren neugierig, aber ich weigerte mich, mehr zu verraten.

Montag, 29. September 1986

Jetzt kommt der Hammer! Ich habe später erfahren, dass das ganze Wahrheit-oder-Pflicht-Spiel nur meinetwegen inszeniert wurde. Die Clique wollte mich mit Tom verkuppeln! Francesca weihte Isabel ein und beide organisierten dann alles für das Treffen.

Und das Unglaubliche ist, es hat funktioniert! Tom und ich, wir sind jetzt ein Paar.

Er fragte mich neulich, ob wir allein reden könnten. Ich war so aufgeregt, dass er sich mit mir allein unterhalten wollte, dass ich mein Herz in der Brust schlagen spürte. Wir gingen zum Schlosstor und da gestand er mir, dass er mich mag und gerne mit mir zusammen sein möchte. Ich konnte mein Glück kaum fassen und sagte ihm, dass ich ihn auch mag.

Gespannt, was jetzt passieren würde, nahm er meine Hand und gemeinsam gingen wir zurück zur Clique. Seine Hand zu halten, fühlt sich ungewohnt an, aber auch richtig gut.

Isabel und Francesca waren die ersten, die mich umarmten, als sie uns Hand in Hand zurückkommen sahen. Es war so ein unglaubliches Gefühl, im Mittelpunkt zu stehen und zu wissen, dass ich jetzt nicht mehr allein bin.

Tom ist jetzt mein erster fester Freund und ich bin so glücklich!

Mittwoch, 12. November 1986

Es ist eine Weile her, seit ich das letzte Mal geschrieben habe, aber ich war nach der Schule regelmäßig bei der Clique um Tom zu sehen. Danach war ich zu müde, um hier reinzuschreiben, aber heute muss ich dir unbedingt von meinem Tag erzählen. Tom und ich, wir haben uns bisher immer nur mit der Clique getroffen, nie allein. Das war okay für mich, ich weiß ja sowieso nicht, wie man sich verhält, wenn man einen Freund hat.

Heute aber war alles anders: Ich kam etwas früher als üblich am Treffpunkt an.

Normalerweise waren schon ein oder zwei aus der Clique da, aber heute war ich die Erste. Es war komisch, niemanden vorzufinden. Kurz nach 16 Uhr kam Tom. Er war genauso überrascht wie ich, dass sonst keiner da war.

Wir setzten uns und eine peinliche Stille breitete sich aus.

Ich überlegte krampfhaft, was ich sagen könnte, doch mir fiel nichts ein.

Um das Schweigen zu brechen, schlug ich vor, auf die Terrasse hochzugehen. Tom stimmte zu und wir gingen hinauf ohne ein Wort zu wechseln. Oben stellte ich mich ans Geländer und Tom kam ganz nah hinter mich. Seine Nähe ließ mein Herz schneller schlagen. Ich spürte seinen Atem auf meinem Hals, als er mir: »Darf ich dich küssen?«, ins Ohr flüsterte. Oh Mann, war ich verlegen. Sofort ging mir durch den Kopf, dass ich noch nie einen Jungen so richtig geküsst habe und gestand ihm das auch. Ich bekam Angst, etwas falsch zu machen und dass er mich dann nicht mehr mögen könnte.

Aber Tom beruhigte mich mit den Worten: »Dann probieren wir es halt aus und wenn du wirklich etwas falsch machen solltest, dann müssen wir halt so lange üben, bis es klappt.«

Er lächelte und das beruhigte mich irgendwie. Er näherte sich und mein Herz pochte wie wild gegen meine Brust und ich atmete schneller vor Aufregung. Die Angst stieg wieder, diesmal war sie aber nicht beängstigend, sondern ein wohliges und kribbelndes Gefühl.

Als unsere Lippen und Zungen sich berührten, war ich nur noch auf den Kuss fokussiert, ließ keine anderen Gedanken oder Gefühle zu. Nach dem Kuss schaute ich ihn erwartungsvoll an. Tom lächelte mich verschmitzt an, sagte aber keinen Ton.

»Und?«, fragte ich also neugierig.

Er meinte darauf, dass wir uns wohl öfter küssen müssen.

Nun war ich geschockt. War ich so schlecht?

Dann lachte er und sagte, dass er mich einfach nur öfter küssen möchte. Ist das nicht süß?

Darauf musste ich auch lachen, vor allem vor Erleichterung.

Nachdem wir uns noch einmal küssten, konzentrierte ich mich wieder auf den Kuss. Danach beschlossen wir zusammen zur Burgruine Windeckhochzugehen. Ich mag es, in seiner Nähe zu sein. Finde es schön, wenn wir Hand in Hand durch die Straßen laufen. So muss sich Verliebtheit anfühlen, oder?

Was mich wundert ist, dass wir auf dem ganzen Weg kein Wort sprachen. Uns fiel einfach nichts ein, worüber wir reden könnten. Darum gewöhnte ich mich an unsere Stille.

Für mich wurde sie zur Normalität.

Montag, 01. Dezember 1986

Ist das normal? Fühlt sich so Verliebtheit an? Ich hatte mir eine Beziehung ganz anders vorgestellt. Wenn ich einen Liebesfilm sehe, schmachte ich doch auch dahin, warum kommt beim Tom kein Bauchkribbeln? Beim Morten Harket (dem Sänger von a-ha) fühlte ich es doch auch. Oder Jon Bon Jovi, der Morten ablöste.

***

Ich senkte mein Tagebuch und erinnerte mich, wie ich ein Treffen mit Morten Harket gewann. In einer Jugend-Zeitschrift war ein Preisausschreiben angekündigt: Wer a-ha den schönsten Liebesbrief schreibt, bekommt ein Treffen mit seinem Star.

Ich spürte wieder die Euphorie von damals und in meinen Gedanken spielten sich die Szenen wie in einem Film noch einmal ab.

***

Ich lag auf meinem Bett und las die Jugendzeitschrift, als ich vor Freude aufschrie, weil ich den Artikel, über das Preisausschreiben las.

Ich rannte nach oben zu meiner Mutter und zeigte ihr ganz aufgeregt die Seite. Ich wollte so gerne mitmachen und gewinnen. Am selben Abend machten wir uns daran, einen Liebesbrief zu gestalten. Als ich müde wurde ging ich ins Bett. Am nächsten Morgen saß meine Mutter immer noch am Tisch und hatte gerade den Brief fertig gebastelt. Es war ein auf Englisch geschriebener Liebesbrief als Schriftrolle.

Meine Mutter übertraf sich selbst. Sie saß die ganze Nacht daran, um mir das Treffen zu ermöglichen.

Nachdem wir die Liebesschriftrolle verschickt hatten, verging eine lange Zeit. Ich glaubte nicht mehr daran, dass noch eine Nachricht käme.

Meine Mutter, meinen beiden Brüdern und ich machten Urlaub auf Spiekeroog. Gottfried fuhr uns zur Fähre und half uns die Sachen in das Ferienhaus zu tragen. In einer Woche wollte er dann dazukommen. Er betreute gerade einen wichtigen Kunden, weswegen er nicht bleiben konnte.

Nach der Woche, als er kam, hielt er einen Brief in der Hand und war sichtlich erfreut. Der Brief war für mich von der Jugendzeitschrift, die das Preisausschreiben ausgeschrieben hatte. Meine Liebesschriftrolle wurde als die schönste ausgewählt und ich durfte meinen Schwarm treffen. Meinen Freudenschrei hat man auf ganz Spiekeroog gehört.

Zuhause musste ich natürlich sofort zu Margarethe runter rennen und ihr den Brief zeigen. Sie freute sich mit mir.

Und in der Klasse erzählte ich meinen neuen Freundinnen auch von meinem Glück, dass ich den Sänger von a-ha sehen würde. Francesca ging deshalb mit mir einkaufen, um mich neu einzukleiden.

Endlich war es soweit. Am 20. November 1985 flog ich zum ersten Mal, zwar nicht weit, betrat aber zum ersten Mal ein Flugzeug. Das allein fand ich schon ganz aufregend!

In Hamburg fand das Treffen statt, der Flug und die Unterkunft wurden von der Jugendzeitschrift bezahlt.

Ich dachte, dass ich den Sänger direkt sehen und den ganzen Tag mit ihm verbringen würde, doch so war dem nicht. Wir gingen erst einmal Chinesisch essen, danach wurden wir ins Hotel gebracht, damit wir uns frisch machen konnten. Wir, das waren ein Journalist von der Jugendzeitschrift, ein Mädchen, die Pål - dem Gitarristen - den schönsten Liebesbrief schrieb und ein anders Mädchen, die Magne - dem Keyboarder - einen Liebesbrief zukommen ließ.

Danach ging es aufs Konzert.

Unsere Sitzplätze waren seitlich der Bühne. Ich vermute, damit der Journalist uns besser im Auge behalten konnte.

Ich freundete mich mit einem Mädchen an, die den Gitarristen anhimmelte. Wir schwärmten verliebt von unseren Stars und blieben natürlich nicht auf unseren zugeteilten Plätzen. Der Journalist hatte mit uns alle Hände voll zu tun, damit wir nicht verloren gingen.

Nach dem Konzert durften wir hinter die Bühne und warteten im Flur, bis die Band so weit war, um uns zu empfangen. Als wir den Raum betraten, liefen die beiden Mädchen direkt zu ihren Liebesbriefempfängern, jedoch fehlte von meinem Schwarm Morten jede Spur.

Mir wurde erklärt, dass er beim Arzt wäre und eine Spritze bekam. Er hatte sich während des Konzerts am Rücken verletzt und deshalb furchtbare Schmerzen.

Ich sah, wie meine neugewonnene Freundin Martha bei ihrem Gitarristen stand und beide sich recht angeregt unterhielten.

Ich stand alleine. Von uns wurden recht viele Fotos gemacht. Das Mädchen und der Keyboarder hatten sich offensichtlich nichts zu sagen. Der Keyboarder Magne kam zu mir und versuchte, sich mit mir zu unterhalten. Der Journalist übersetzte für mich, was Magne erzählte. Ich war aber einfach nur enttäuscht, dass der Sänger nicht da war, sodass ich Magne zurückwies. Obwohl er einfach liebevoll und verständnisvoll zu mir war.

Ich sollte für ein Foto Magne und Pål in mein Buch reinschreiben lassen, welches ich für Morten zu Hause vorbereitet hatte.

Ich drückte das Buch an meinen Körper und sagte: »Nein, ich möchte, dass nur Morten in das Buch schreibt.«

»Dann nimm doch eine andere Seite, das Buch hat doch viele Seiten!«, gab mir der Journalist zu verstehen und ich ließ mich widerwillig darauf ein.

Magne war weiterhin echt lieb zu mir, immer wieder suchte er das Gespräch und bemühte sich darum, mich aufzuheitern, weil noch nicht abzusehen war, wann Morten auftauchen würde.

Nach langer Zeit erschien dann auch Morten.

Es wurde ihm erzählt, dass ich die schönste Liebesschriftrolle für ihn verfasst hatte und der Sänger bekam die Rolle überreicht. Es war nicht mehr so viel Zeit, deswegen schrieb der Sänger auch nur ganz kurz in mein Buch.

Danach wurde ein Gruppenbild geschossen, auf dem Morten seinen Arm um mich legte.

Diese Bilder sind alle nichts geworden. Von Morten und mir gab es nur ein Bild, auf dem ich neben ihm stand, während er in mein Buch schrieb. Sogar dieses Bild war überbelichtet.

Trotz aller Pannen, war ich voller Glücksgefühle, so dicht bei meinem Schwarm zu sein, aber ich war auch enttäuscht, dass es nur so kurz war.

Das Einzelzimmer, welches ich zugeteilt bekam, nutze ich nicht, weil meine neue Freundin Martha und ich in ihrem Zimmer übernachteten. Bis in die Morgenstunden unterhielten wir uns verliebt über unsere beiden Stars. Am nächsten Morgen ging es recht früh zurück nach Hause.

Meine Eltern holten mich vom Flughafen ab. Sie waren schon ganz gespannt von meinen Erlebnissen zu hören.

***

Sich daran zurückzuerinnern, lies mich kurz wieder über Morten schwärmen. Er sah heute noch sehr gut aus. Ich brauchte eine Weile, um wieder mit meinen Gedanken zu Tom zurückzukehren. Als ich so weit war und meine Gedanken sich sortierten, las ich weiter auf der Seite, die ich angefangen hatte.

***

Beim Morten Harket (dem Sänger von a-ha) fühlte ich es doch auch. Oder Jon Bon Jovi, der Morten ablöste.

Ich mag Tom, aber irgendwie ist es auch langweilig mit ihm. Wir haben uns einfach nichts zu sagen. Ist das normal in einer Beziehung? Erwarte ich zu viel? Als wir noch nicht zusammen waren, war es immer so lustig mit ihm. Muss eine Beziehung ernster sein?

Außerdem, wenn wir uns trennen, vermisste ich ihn nicht und wenn wir uns wiedersehen, war es auch ok. Aber die Leidenschaft fehlt mir!

Freitag, 29. Mai 1987

Tom und ich sind jetzt genau 8 Monate zusammen! Er wollte diesen besonderen Tag feiern, indem er mich in der großen Pause an meiner Schule überraschen wollte. So etwas macht er sonst nie und ich war total aufgeregt und happy zugleich.

Ich glaube, er hat heute eigentlich schulfrei … aber bei Tom weiß man das nie so genau. Jedenfalls konnte ich es kaum erwarten, dass es endlich zur Pause klingelt. Ich fand es total cool, dass ich den anderen in meiner Schule zeigen konnte, dass ich auch einen Freund habe.

Als die Pausenglocke endlich läutete, überflog ich oben am Fenster, das gegenüber unserer Klasse lag, den Schulhof.

Ich hielt Ausschau, ob ich ihn auf dem Schulhof entdeckte.

Bald entdeckte ich ihn, er stand außerhalb, mit zwei Freunden vor dem Schulgebäude. Ich rannte die Treppen herunter und ging zügig auf ihn zu. Er bemerkte mich erst gar nicht, weil er mit den anderen im Gespräch vertieft war.

Unsere Begrüßung fiel kurz und enttäuschend aus. Da war meine Vorfreude ihn zu sehen intensiver gewesen als das eigentliche Treffen.

Also stand ich einfach nur dabei und habe ihnen zugehört.

Sie redeten über einen Typen, der einen Ausbildungsplatz bekam, aber dafür müsste er seine langen Haare abschneiden. In dem Moment dachte ich, wie schön ich lange Haare bei Jungs finde. Tom hat einen Kurzhaarschnitt, alles andere würde ihm auch nicht stehen.

Und dann hab ich mich gefragt, warum manche Leute so ein Problem mit langhaarigen Jungs haben.

Plötzlich wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als ich einen Jungen wahr nahm, der von der anderen Straßenseite direkt auf uns zusteuerte. Seine langen dunkelbraunen Haare fielen ihm wie eine Löwenmähne über seine Schultern – ein Traum, genau so, stellte ich mir meinen Traummann vor. Er stellte sich neben uns und alle, auch Tom, begrüßten ihn herzlich.

Nur ich starrte ihn bloß an. Geblendet von seiner Schönheit.

Alle unterhielten sich nun über seinen Ausbildungsplatz.

Also war er der Typ, über den sich die drei unterhielten.

Um mich herum wurde alles schwarz. Ich nahm nur noch diesen Menschen wahr, konnte auch der Unterhaltung nicht mehr folgen.

Ich dachte nur: Das ist er, der Junge aus meinen Träumen.

Leider ist er dann ziemlich schnell wieder gegangen und ich bin irgendwie wieder in die Realität zurückgekehrt. Das war so ein komisches Gefühl, ich war traurig und mein Herz tat weh.

Auf dem Rückweg zum Klassenzimmer hab ich mich gefragt, ob das gerade wirklich passiert ist. Der Rest des Schultags ist nur so an mir vorbeigezogen. Ich konnte mich auf nichts anderes konzentrieren, weil ich nur noch an ihn denken konnte.

Und jetzt in meinem Zimmer, denke ich auch an ihn, an sein perfektes Gesicht. Wie ist er so? Würde er mich auch mögen? Wie wäre es, ihn richtig kennenzulernen? Ja, vielleicht sogar seine Freundin zu sein …

drittes Kapitel

Ein Lächeln huschte mir über die Lippen, als ich von dem langhaarigen Jungen las. Ich bekam ein warmes und wohliges Gefühl, als ich an ihn dachte.

Unbegreiflich schüttelte ich den Kopf, weil ich ihn als 16-Jährige nach einiger Zeit wieder vergaß.

Die Beziehung zu Tom lief nicht so gut, also vermied ich ihn zu treffen. Ich empfand damals, dass ihm das auch nichts auszumachen schien, denn er meldete sich auch nicht bei mir. Die Beziehung war zu Ende, das war mir klar.

Ich blätterte weiter und als ich die Zeilen las, spielte sich das Erlebte wie ein Film von früher wieder in meinem Kopf ab. Es wurde eine Mischung aus Lesen und meinen eigenen Erinnerungen.

***

Samstag, 4. Juli 1987

Es ist schon komisch, wie schnell die Zeit vergeht. Schon wieder sind 1 1⁄2 Wochen verflogen, ohne dass ich es richtig gemerkt habe. Deshalb habe ich mich heute mit Tom verabredet. Ich konnte ihm ja nicht ewig aus dem Weg gehen. Schließlich mied ich auch die Clique, um ihm dort nicht zu begegnen. Vielleicht fand ich heute die Kraft, ihm zu sagen, dass unsere Beziehung keinen Sinn macht? Doch als ich dann vor ihm stand verlor ich den Mut.

Die Begrüßung war kühl, aber ich glaube, das lag auch an mir. »Kommst du mit zu meinem Kumpel? Der hat mir einige Platten ausgeliehen, die ich ihm zurückbringen wollte«, schlug Tom plötzlich vor.

Wir saßen so da, jeder für sich, in seinem Wohnzimmer. Mit ihm die Platten wegzubringen, dazu verspürte ich, ehrlich gestanden keine Lust. Aber es war immer noch besser, als einfach nur bei ihm herumzusitzen.

Also sind wir losgezogen, in eine Ecke von Weinheim, die mir völlig unbekannt war. Alles kam mir so verwinkelt vor und ich war mir sicher, alleine würde ich nie wieder zurückfinden. Dann standen wir plötzlich vor einem grünen Zaun, der einen Garten und ein ziemlich unscheinbares Haus umgab. Das Haus mit seinem braunen Dach und den zwei Dachfenstern sah nicht gerade einladend aus. Je länger ich es betrachtete, desto hässlicher wirkte es auf mich.

Während ich in Gedanken versunken war, fing Tom plötzlich an, »Frank … Fraaaannnk!«, zu schreien.

Ich bin total zusammengezuckt. Wer rechnet denn auch damit, dass er einfach so losbrüllt? Auch wenn das Haus hässlich ist, besitzt es eine ansehnliche Klingel.

Kurz darauf öffnete sich eines der Dachfenster, und Frank schaute heraus. Als ich sein Gesicht sah, war es, als würde ein Blitz durch mich hindurchfahren. Das war nicht irgendein Junge – das war der Junge, der mir in der Schule aufgefallen war als Tom mich mal dort besuchte. Der Junge aus meinen Träumen. Wie konnte ich ihn nur vergessen?

Mein Herz machte einen Salto, und am liebsten würde ich vor Freude aufschreien. Aber ich riss mich zusammen und stattdessen starrte ich einfach nur nach oben.

»Moment, ich komme runter!«, rief Frank uns zu und war auch schon wieder verschwunden.

Ich konnte es nicht glauben, hier also wohnte er, mein wunderschöner Traumprinz.

Er heißt Frank, schoss es mir durch den Kopf. Er wohnt in diesem wunderschönen Haus. Dort oben, in der Dachschräge. Frank wohnt hier. Hier in Weinheim und ich weiß jetzt sogar, wo genau. Nun ja, falls ich hier irgendwann wieder hinfinden würde.

Es dauerte ein bisschen, bis er schließlich mit nur einem blauen Turnschuh an der Tür erschien. Tom und ich warteten immer noch am Gartenzaun und Frank hüpfte mit einem Bein auf uns zu.

»Ich habe meinen anderen Schuh nicht gefunden«, meinte er verlegen.

Während die beiden über Musik und die zurückgebrachten Platten sprachen, konnte ich meinen Blick nicht von Frank abwenden. Er schien noch hübscher geworden zu sein als in meiner Erinnerung.

Aber leider wollte Tom schon wieder weiter. Auch wenn es mir vorkam, als stünden wir nur kurz dort. Es hätte nie genug Zeit sein können, um mich von Frank loszureißen. Ich wollte nicht, dass irgendjemand merkte, wie sehr mich dieser wunderschöne Junge verwirrte. Denn schließlich bin ich ja noch mit Tom zusammen. Aber ich nahm mir fest vor, dass ich ihn diesmal nicht vergessen werde.

Tom beschloss zur Clique zu gehen, das erleichterte mich irgendwie, so musste ich nicht allein mit ihm sein.

Francesca und Isabel haben mich total herzlich begrüßt.

»Mensch Maja, du warst aber lange nicht mehr hier«, sagte Isabel.

»Wir sehen uns doch immer in der Schule«, war mein Versuch, mich zu entschuldigen.

»Ja, da ziehst du dich auch immer mehr zurück«, warf Francesca ein. »Was ist denn los?«

An ihrem Tonfall konnte ich hören, dass sie sich wirklich Sorgen machte. Also packte ich Francesca am Arm und zog sie ein Stück von den anderen weg.

»Kommst du auch mit, Isabel?«, fragte ich sie.

Als wir sicher waren, dass Tom uns nicht hören konnte, erzählte ich ihnen endlich, was Sache ist.

»Ich möchte mich von Tom trennen. Deshalb war ich auch nicht mehr so oft in der Clique. Ich wollte ihm einfach nicht über den Weg laufen. Eigentlich wollte ich heute Schluss machen, aber ich habe mich nicht getraut.«

»Das tut mir leid, ist bestimmt eine schwere Entscheidung«, meinte Francesca. »Aber Tom kommt auch nicht mehr so oft zur Clique.«

»Trotzdem«, erwiderte ich darauf, »erst wenn ich mit ihm Schluss gemacht habe, komme ich wieder regelmäßig.«

Montag, 13. Juli 1987

Heute war es so weit. Ich dachte mir: Entweder jetzt oder nie! Ich konnte es einfach nicht länger vor mir herschieben.

Schon seit Wochen, nein, Monaten, fühlte es sich so an, als ob unsere Beziehung, wenn wir es überhaupt noch so nennen konnten, langsam aber sicher im Sande verlief.

Irgendwie waren wir in dieser seltsamen Schwebe gefangen, gefühlt noch zusammen, weil keiner den Mut fand, den ersten Schritt zu machen und es offiziell zu beenden. Ich meine, wer bricht schon gerne jemandem das Herz? Mir fiel das jedenfalls schwer, und ich glaubte, Tom ging es ähnlich.

Aber ich war nicht mehr glücklich und tief in meinem Herzen spürte ich, dass es ihm genauso ging. Offensichtlich war die Beziehung vorbei, jedoch wollte ich einen konkreten Schlussstrich. Also raffte ich all meinen Mut zusammen und fuhr zu ihm, in der Hoffnung, dass ich ihn zu Hause antreffen würde.