Luisa in Antonsbrunn - Kirsten Hübner - E-Book

Luisa in Antonsbrunn E-Book

Kirsten Hübner

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Beschreibung

Luisa hat die Nase voll von ihrem Job und den Männern. Sie packt ihren alten Transporter und zieht in den Süden. Unterstützt von dem charmanten Polizisten Bernhard Koslowski und ihren neuen Freunden wird die alte Bächerei in Antonsbrunn schnell ihr neues Zuhause. Doch wird ihr der Neuanfang gelingen, so ganz ohne Plan?

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Wahr sind nur die Erinnerungen, die wir mit uns tragen, die Träume. die wir spinnen und die Sehnsüchte, die uns treiben, damit wollen wir uns bescheiden.

(Heinrich Spoerl)

Inhaltsverzeichnis

Textbeginn

KAPITEL 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kein schöner Land

Guter Mond

Always look on the bright side of life

Ding-Dong. Beim Öffnen der Tür erklang jedes Mal eine kleine Glocke, die an der der Decke oberhalb der Tür befestigt war. Ein melodisches Scheppern eines Holzes an einem Messingkorpus baumelnd. Das Holz wurde durch eine Schnur und einen weiteren Holzklöppel verlängert, der so lang war, dass er in den Türbereich hing. Wann immer man die Tür der alten Bäckerei öffnete, erklang der melodisch scheppernde Ton. Ding-Dong.

So, das war vorerst der letzte Karton den Luisa durch die Tür trug. Hätte sie gewusst, wo der Schlüssel für die Hintertür war, hätte sie es auch einfacher haben können. Dann wäre sie mit ihrem alten Transporter rückwärts an die Backstube gefahren und hätte ihre ganzen Kisten entspannt ausladen können.. Hätte, hätte.. Luisa hatte sich inzwischen abgewöhnt „hätte“ weiterzudenken.

Die alte Bäckerei Bruckner war nun ihr neues Zuhause. Es roch noch nach Brot, Laugenstangen und Brezeln, nach Bärentatzen und Schokoguss. Jedenfalls bildete sie sich das ein. Viel zu lang stand die Bäckerei schon leer. In Wahrheit hatte hier seit über 20 Jahre niemand mehr gebacken. Aber Luisa Lange war auch keine Bäckerin, auch keine Konditorin. Bei „Berufsbezeichnung“ gab sie auf Anfragen stets Bibliothekarin an. Das klang wichtig und auch ein wenig einschüchternd. Niemand kam auf die Idee, weiter nachzufragen. Eigentlich war Luisa Lange eine Bürokraft. So eine Art Sekretärin. Ein Mädchen für alles ist sie gewesen. Viele Jahre lang hatte sie ihrem Chef allen Scheiß hinterher geräumt. Ihrem Mann auch, aber das steht auf einem anderen Blatt. Herr Michelsen, ihr Chef, war einst Kapitän, so sagte er jedenfalls immer. Von großen Pötten und dem Duft der großen weiten Welt war die Rede, vom Geschmack von Freiheit. Erzählt hatte er viel. Von den starken Männern, die er in der Gefahr rettete, weil er ja so viel stärker war, und von den Abenteuern, die er bunt ausgeschmückt jedes Mal ein wenig anders erzählte. Längst hatte Luisa herausgefunden, dass Ernst Michelsen nicht einmal eine Barkasse durch die Hamburger Speicherstadt hätte steuern dürfen und der Duft der Freiheit war ein Gemisch aus Kaffee der Kaffeerösterei im Gebäude nebenan und den Abgasen der Kreuzfahrtschiffe, die in der Hafencity anlegten. Michelsen hatte viele Jahrzehnte einem Büro in der Buchhaltung gearbeitet. In Billwerder bei Boots - und Schiffsbedarf Volker Hanssen. „Nix von wegen Kapitän und große Pötte“, dachte Luisa damals als sie herausfand, wie Michelsen tickte. Ernst Michelsen liebte es, Luisa zu schikanieren, doch er tat ihr irgendwie leid. Wenn sie ihn ansah, stellte sie sich vor, wie er oben auf der Kapitänsbrücke stand. Das graue Haar ordentlich gescheitelt, das weiße Kurzarmhemd mit goldenem Logo der Reederei auf der Brusttasche und die braungebrannten Arme am Steuerrad. Volle Fahrt voraus, rief er und schaute glücklich zum Horizont. Dabei blitzte das tätowierte Herz auf seinem muskulösen Arm hervor…nur so konnte sie ihn ertragen, wenn sie sich ihn vorstellte. Ernst Michelsen war ein echter Kotzbrocken, so nannte Luisas Mutter immer Menschen, die mit Frust und schlechter Laune ihre Umwelt drangsalierten.

Vor gut einem Jahr hatte Luisa gekündigt. Michelsen hatte den Kaffee den Luisa ihn morgens immer brachte, versehentlich über seine Tastatur gekippt. Den kompletten Becher. Mit zwei Kapseln Kaffeesahne mit 10% Fettgehalt drin. Der Kaffee lief durch die Tastatur, weiter durch die ausgedruckten Papiere der aktuellen Monatsabrechnung, die er dem Vorstand vorlegen sollte. Und auf seine Hose, und zwar genau dort, wo es so richtig peinlich aussah. Michelsen sprang auf, der heiße Kaffee brannte ihm im Schritt und ein Schwall aus Flüchen und Beschimpfungen ergoss sich aus seinem Mund. Luisa konnte nicht an sich halten. Sie musste schallend lachen. „Ernstl, hast du schon wieder in die Hose gepiescht?“, schimpfte Mutter Michelsen mit ihrem Sohn. Luisa sah, wie Mutter Michelsen ihren Sohn am Ohr zupfte und der kleine Ernst mit Eimerchen und Schaufel auf seine nasse Büx schaute.

Ernst Michelsen kochte vor Wut. „Der Vorstand“, „wichtig“, „dusselige Kuh“, „Küchenpapier“, entnahm Luisa aus seinem Gebrüll. Ihr liefen Tränen über die Wangen. Lang schon hatte sie nicht mehr so gelacht wie in diesem Moment. Sie drehte sich um und steuerte auf ihr Büro zu, das sie mit ihrem Kollegen Andreas teilte, „Was ist passiert?“ fragte er irritiert. „Der Chef hat sich eingepisst“, lachte sie. Das knarrende Radio hinter Andreas spielte gerade das Lied von den Höhnern Wenn nicht jetzt, wann dann?. Luisa hatte immer auf ein Zeichen gehofft. Den richtigen Augenblick. Und hier war er nun.

Die Höhner sangen „. komm bleib dir selber treu, es gibt nichts zu bereuen... nur die Dinge, die du versäumst.“ Luisa strahlte und schob ihren Kopf kurz um die Ecke und brüllte über den Flur „Ich kündige, du Armleuchter, schriftlich kommt morgen mit der Post!“. In diesem Moment sah Andreas ein Glühen in ihrem Gesicht. „Ich räume deinen Schreibtisch für dich aus“, sagte er etwas melancholisch und nahm Luisa ein letztes Mal in die Arme. „Tschüss mien Seuten, mach es gut“. „Tschüss Andreas“ kam es Luisa fast schrill über die Lippen. Das Adrenalin in ihrem Körper ließ sie schier 20 cm vom Boden abheben.

„Und auch die nächsten Tage wird uns Petrus gut gesonnen sein und schickt uns heitere 20 bis 22 Grad in die schönste Stadt der Welt!“, hörte Luisa Carlo von Tiedemann noch sagen, als sie zum letzten Mal ihre Jacke vom Haken nahm und das Büro verließ.

KAPITEL 1

Ding-Dong. Zum letzten Mal für heute erklang nun die Türglocke. Der Transporter war geparkt und sämtliche Kartons stapelten sich nun im Verkaufsraum der alten Bäckerei Bruckner. Vielleicht wäre es geschickter gewesen, wenn ich die Kartons gleich nach hinten in die Backstube gebracht und von dort alle ordentlich sortiert ausgepackt hätte, dachte Luisa und betrachtete das heillose Durch und Übereinander der gestapelten Kartons. Völlig planlos war alles im Raum verteilt. „Hätte, hätte, habe ich aber nicht!“ jubelte Luisa laut und lachte. Die ersten Kartons hatte Luisa völlig unmotiviert im Raum gestapelt und die nachfolgenden drumherum platziert und sich so selbst den Weg verbaut. Nun stand sie vor einer Wand und Türmen aus 43 Umzugskartons und 4 durchsichtigen Kunststoffboxen eines schwedischen Möbelhauses. In den vier durchsichtigen Boxen war ihr Hausstand und ihre Kleidung aufbewahrt. Luisa war sehr stolz auf sich. Sie hatte ausgemistet. Minimizing war der Trend, den sie nun für sich umgesetzt hatte. In den vier Boxen war ihr ganzes Leben. Und ihr neues. Das war alles, was ihr blieb. Kiste eins und zwei Kleidung, Kiste drei Hausstand. Kiste vier Erinnerungen. Um Kiste vier würde Luisa erstmal einen großen Bogen machen. Interessant war aktuell Kiste drei. Hier würde sie die Gläser finden, die sie eigens für diesen Abend eingepackt hatte. Das schöne antike Rotweinglas mit hohem Stil und das Wasserglas. Beide hatte sie auf einem Antik Markt in den Colonnaden in Hamburg gekauft. Unbewusst musste Luisa lächeln. Der Römer hatte einen schönen Schliff. Der Händler sagte, das Glas wäre aus Italien, aus Murano. „Niemals!“, dachte Luisa damals. „Das Glas ist aus der Lausitz“, schmunzelte Luisa, „das Glas hat den typischen Döberner Schleuderstern“. Es war aus wunderschönem Kristallglas und das Muster funkelte in der Sonne. Aber sie kaufte das Glas und auch das alte Wasserglas aus Pressglas gefiel ihr gut und sie handelte für beide einen akzeptablen Preis aus. Nun öffnete sie die Kunststoffbox und wickelte beide Schätze aus den Geschirrtüchern aus. „So“, dachte Luisa „die hab ich schon mal“. Sie ging damit nach hinten in die Backstube und löschte von dort das Ladenlicht. Es war nun spät genug. Luisa war erschöpft, aber glücklich. Ein erfolgreicher Tag, 600 km Fahrt in dem alten Transporter und der Abschied aus Hamburg lagen hinter ihr. Aus ihrer Sporttasche zog sie ihren molligen Schlafsack, in den sie eine Flasche Chianti gewickelt hatte. „Jetzt Antipasti und Brot“ seufzte Luisa, nein, Antonsbrunn war nicht Italien und Antipasti gibt es heute nicht. Aber wer sagt denn, dass der Nudelsalat vom Discounter, der sich seit heute Morgen in der Sporttasche befand, nicht auch köstlich schmecken würde?! Und bei den Unmengen von Konservierungsmitteln hat er sicher auch die letzten acht Stunden im Auto gut überstanden. Vorsichtig öffnete Luisa die Schutzfolie. Die Mayonnaise schlug noch keine Blasen, und es zischte nicht. „Lebt noch nicht“, dachte Luisa,“ es kann so schlimm nicht sein“. Es müssen Stunden vergangen sein, dass Luisa was gegessen hatte. Die zwei Franzbrötchen, die sie sich für den Weg beim Bäcker in Hamburg gekauft hatte, waren schon kurz nach den Elbbrücken verputzt und so blieb ihr nur unterwegs das Restaurant „Zur goldenen Möwe“ an der Autobahn, wo sie sich eine Apfeltasche und eine große Pommes gegönnt hatte. Das war inzwischen aber auch schon über fünf Stunden her und so fiel sie gierig über den Nudelsalat her. „Geht so. Und britzelt nicht auf der Zunge!“, dachte Luisa und verputzte in minutenschnelle das Discounter Dinner. Das Wasserglas hat sie mit eben diesem gefüllt. Allerdings nicht aus dem Hahn, sondern aus der Flasche. Sie wollte erst einmal das Wasser prüfen lassen, bevor sie es aus der Leitung trinken würde. Viel zu viele Jahre lief kein Wasser durch die Rohre und Luisa war da etwas skeptisch. Den Chianti würde sie nach dem Essen öffnen. „Entkorken“ hätte Rüdiger ihr Exmann an dieser Stelle kluggeschissen. „Die Pfeife“, dachte Luisa, während sie die Flasche in der Hand drehte und betrachtete, „der hat einen Schraubverschluss!“ „Elsa, die Schöne - Qualitätswein aus der Toskana, 14% Vol. „naja, der wird schon passen“ dachte sich Luisa. Sie warf die Plastikpackung des Nudelsalates in die Mülltüte, die sie über den Griff des alten Backofens gehängt hatte. „Scheiß Plastikverpackungen“, schimpfte Luisa über sich selbst und runzelte die Stirn, „das ändere ich auch in Zukunft!“

Sie schlüpfte noch mal kurz ins kleine Bad. Sogar eine Dusche gab es hier. Die Klobrille war kalt und feucht von dem Desinfektionsmittel, mit dem sie notdürftig das Örtchen geputzt hatte. Die Fliesen an der Wand waren alt, aber heil und das Waschbecken verfügte zumindest schon über eine Mischbatterie. Ob dies tatsächlich Sinn machte, wusste Luisa allerdings nicht, denn das Wasser kam nur eiskalt aus dem Hahn. Als Luisa die Klospülung betätigte, riss die morsche Kette vom Wasserkasten, der sich, wie in den fünfziger Jahren üblich, in zwei Meter Höhe über ihr befand „Mist“, dachte Luisa und stellte sich auf die Klobrille, um manuell den Haken am Wasserkasten zu betätigen. Das würde sie morgen reparieren. Sie ging rüber zu der alten Bank in der Backstube, in der sie ihr Nachtlager aufgeschlagen hatte. Die langen, massiven Holzplanken waren über die Jahre abgestoßen und zerkratzt. Jahrzehnte lang saßen hier die Bäcker, machten vielleicht auch mal ein Nickerchen. Hier haben sie ihr Pausenbrot gegessen, Kaffee getrunken, oder vielleicht auch mal eine Runde Doppelkopf gespielt. Auf dem alten Tisch davor postierte Luisa ihren Römer und die schöne Elsa. Das Pressglas war mit Wasser gefüllt und stand daneben. Der Schlafsack war ausgerollt und lag auf der Bank. Das Mobiltelefon lag vor ihr. Und die Taschenlampe für den Notfall. Jetzt fehlte ihr nur noch Bernardo. „Ach Bernardo“, seufzte Luisa und holte ihren Roman hervor. Mord im Ghetto – Commissario Bernardo Zanchetta ermittelt. Der fünfte Roman von Leonardo Donato. Luisa schenkte sich ein Glas von der schönen Elsa ein und schaltete alle Lichter, bis auf das über dem alten Küchentisch aus. Ihre Jeans zog sie aus und hing sie über die Stuhlkante. Für heute war es gut so, dachte Luisa und krabbelte in ihren Schlafsack, um zwanzig Sekunden später zu merken, welch ein Unsinn der Daunenschlafsack war. In Norwegen beim Zelten hatte er ihr gute Dienste geleistet, doch hier und jetzt waren noch 20 Grad Celsius und sie drohte in dem Sack zu zerschmelzen wie Eiscreme in der Sonne. Sie öffnete den Reißverschluss komplett und legte den Schlafsack nur leicht um sich. Aus ihrer Strickjacke formte sie ein kleines Kissen, dass sie sich in den Nacken legte. So halb liegend und irgendwie total gemütlich lag sie nun auf der Bank. Endlich. Endlich nahm sie einen großen, glücklichen Schluck des mundigen, italienischen Rotweins und dachte an Commissario Zanchetta. Der Duft seines Eau de Toilette war ihr so vertraut wie die kleinen Fältchen um seine Augen die wie Sterne funkelten, wenn er sie anlächelte. Das Buch in ihrer Hand sank in ihren Schoß. Die Sonne Venedigs wärmte ihre Haut, als sie auf den Wasserbus an der Station Madonna dell‘Orto in Cannaregio wartete.

Kapitel 2

Ob es nun die ungemütliche Haltung war, oder doch das beständige Klopfen an der Tür, irgendwann wurde Luisa doch aus dem Schlaf gerissen. War sie doch noch vor wenigen Minuten im schönen Venedig, so fand sie sich nun auf einer Bank auf ihrem Schlafsack wieder. Vor ihr stand eine fast volle Flasche Rotwein und auf dem Boden lag das Buch, das sie gestern Abend noch gelesen hatte. Es dauerte einen Augenblick, doch nun begriff Luisa, dass sie in der Backstube, in ihrem neuen Zuhause, war und nicht auf dem Canal Grande oder einer Bar an der Rialto Brücke. Das Klopfen der Ladentür wurde lauter und Luisa schlurfte in den Laden. Alles tat ihr weh, der Umzug war doch anstrengender als erwartet und die Nachtruhe vielleicht auch nicht die erholsamste. An der Ladentür stand ein Mann in Uniform, wahrscheinlich der ortsansässige Polizist. Sie schloss die Tür auf. Zum Glück hatte sie den Schlüssel von innen stecken gelassen und musste sich in dem Chaos nicht auf die Suche machen. „Moin“, grüßte Luisa verschlafen, begleitet durch das Ding-Dong der scheppernden Türglocke. „Grüß Gott“, entgegnete der Uniformierte mit einem Grinsen, das er sich nicht verkneifen konnte, „Ist das Ihr Transporter?“ und zeigte auf Luisas Wagen. „Und wenn?“, gähnte Luisa schlaftrunken. „Und, wenn es Ihr Transporter ist, dann sollten Sie ihn schon umparken. Auch für Transporter gilt die Straßenverkehrsordnung, die besagt, dass Fahrzeuge nicht auf öffentlichen Fußwegen und oder Straßen über Nacht geparkt werden dürfen. Da dies dem entspricht, bitte ich sie, das Fahrzeug umzuparken“, grinste er noch immer. „Wie spät?“, fragte Luisa leicht genervt. „Acht Uhr Siebzehn. Achtzehn“, erwiderte der Polizist noch immer gut gelaunt mit Blick auf seine Uhr. Ihm schien der Dialog am Sonntagmorgen recht viel Freude zu machen, „in zehn Minuten werden sich die ersten Gemeindemitglieder auf den Weg zur Kirche machen. Und ich glaube, Sie wollen sich doch nicht gleich an Ihrem ersten Tag unbeliebt machen, weil die netten älteren Herrschaften hier nicht durchkommen.“ Erst jetzt realisierte Luisa, dass sie tatsächlich mitten auf der Straße geparkt hatte. Und da die Straße kaum breiter war als der Transporter, war der Durchgang komplett versperrt. Sie wollte doch gestern den Wagen noch umparken, aber dann war sie so müde und hatte es dann komplett vergessen. „Ach herrje, das sehe ich jetzt erst. Ich Schussel. Natürlich park ich den sofort um!“ sagte Luisa und nahm den Autoschlüssel, der neben ihr auf der Fensterbank lag. „So?“, fragte der Polizist mit großen Augen. Erst jetzt realisierte Luisa, dass sie die ganze Zeit nur mit T-Shirt und Slip vor dem Gesetzeshüter stand. Kein Wunder, dass er das Grinsen nicht aus dem Gesicht bekam. „Ich zieh mir mal schnell ne Jeans über“, sagte Luisa und verschwand im Hinterzimmer, um Sekunden später mit Jeans und Sneaker bekleidet in den alten Transporter zu steigen. Geschickt fuhr sie im Rückwärtsgang gut zehn Meter weit, um dann vor ihrem neuen Zuhause in die kleine Gasse zu biegen. Direkt hinter ihrem Haus war ihr eigener Parkplatz, auf dem früher auch die Lieferfahrzeuge der Bäckerei beladen wurde. Wenn sie gewusst hätte, wo sich der Schlüssel zur Hintertür befand, hätte sie auch ganz entspannt von dort ihren Wagen entladen können. Und; als ob der nette Polizist ihre Gedanken erraten hätte, fragte er sie, noch immer in der Tür stehend „Warum haben Sie denn die Hintertür nicht aufgeschlossen? Wäre doch etwas einfacher gewesen!“ „Ich finde den verdammten Schlüssel nicht. Ich hab alles abgesucht!“, jammerte Luisa. „Der hängt doch oben rechts an der Tür über dem Lichtschalter!“, sagte der Polizist, und auf den fragenden Blick von Luisa fuhr er fort „Ich habe als kleiner Junge Semmeln ausgetragen, ich kenne mich hier bestens aus!“ In diesem Moment kam auch die Freude zurück in Luisas Gesicht „Dann wissen Sie eventuell auch, wo man den Heißwasserboiler anstellt?“ Der Gedanke an eine heiße Dusche ließ ihr Herz vor Freude höherschlagen. „Nein leider nicht“, entgegnete er, „aber das kann doch kein Hexenwerk sein. Aber vielleicht darf ich mich zuerst einmal vorstellen. Mein Name ist Bernhard Koslowski. Ich bin hier im Ort verantwortlich für Recht und Ordnung. Also auch das Umparken verkehrswidrig abgestellter Fahrzeuge. Und Sie sind sicher die neue Besitzerin der alten Bäckerei.“ „Ja, das bin ich“, entgegnete Luisa und reichte Koslowski die Hand, die dieser herzlich schüttelte. „Ich bin Luisa Lange. Dann mal rein, in die gute Stube! Aber Obacht, nicht über die Kisten stolpern! Ich bin hier noch nicht komplett eingerichtet!“ Koslowski schlängelte sich um die diversen Kartons herum und staunte als Luisa ihm erzählte, dass diese alle in ihrem Transporter waren. „Und die haben Sie tatsächlich alle allein hier rein getragen? Gibt es keinen Helfer an ihrer Seite?“ „Ne, das wäre super gewesen. In den meisten Kartons sind Bücher, ich dachte abends; mir fallen die Arme ab. Die Kartons waren so schwer!“, lachte Luisa. „Wir haben hier Gemeindehelfer. Ehrenamtliche, die immer gern für den Lohn eines Stück Kuchens mit anfassen“, zwinkerte der Polizist ihr zu, nicht ahnend, dass Luisa vieles konnte, nur definitiv nicht backen. Ihm war offenbar auch nicht klar, dass dies hier keine Bäckerei mehr sein würde. „Kommen Sie“, winkte Luisa ihn in den Hinterraum, wo auch die Dusche war, „hier müsste der Heißwasserboiler irgendwo sein, oder? Macht doch Sinn!“ Koslowski öffnete einen Verschlag, den Luisa bislang für eine Besenkammer gehalten und ignoriert hatte. „Sehen Sie Frau Lange, dieses Monster hier ist der Heißwasserboiler. Und, wenn man auf den roten Knopf drückt, dann wird das Wasser heiß“, sagte er, und drückte eben diesen. Doch statt eines Lichtes, das eventuell irgendwo hätte aufleuchten können, gab das Boilermonster nur ein leises Ächzen und Stöhnen von sich. Wie eine müde Lokomotive, die schon bessere Zeiten gesehen hatte. Sofort dachte Luisa an Emma, die kleine Lokomotive, aus den Büchern von Michael Ende und erinnerte sich daran, dass es Emma in der Wüste auch an Wasser gefehlt hatte „Muss man das Wasser nachfüllen?“, fragte sie sich laut und bewegte einen Hebel, der an einem Rohr befestigt war, dass unmittelbar mit dem Heißwasserboiler verbunden war. „Los Emma, zeig mal was du kannst!“ „Emma?“ fragte staunend der Polizist. „Michael Ende. Jim Knopf. Emma die Lokomotive! Na? Klickt da was?“, stichelte Luisa amüsiert. Koslowski musste Lachen, „ich glaube, Sie haben das ganz gut hier im Griff. Hat mich gefreut Sie kennenzulernen“. „Mich auch, vielen Dank für ihre Unterstützung“, erwiderte Luisa als sie aus dem Blickwinkel einen kleinen Jungen sah, der mit seinen Fingern über die Schaufensterscheiben wischte, während er an ihrem Laden vorbei ging und dabei eine saubere Linie zog. Koslowski bemerkte ihren Blick „das ist der kleine Heiner, der ist sicher auf dem Weg zur Kinderkirche. So, es wird Zeit. Ich muss jetzt auch mal los, der Gottesdienst fängt um 9 Uhr 15 an. Die Kinderkirche immer fünfzehn Minuten früher. Also dann! Tschüss Frau Lange“, lachte er winkend und verschwand durch die Ladentür. „Kommen Sie mal wieder vorbei“, rief ihm Luisa noch einmal nach, doch war sich nicht sicher, ob der nette und durchaus attraktive Polizist die Worte noch gehört hatte. Sie sollte sich vielleicht zuerst einmal einen Plan machen, bevor sie in den Tag starten würde, dachte Luisa, als sie ein mittellautes Knurren hörte, dass aus ihrer Magengegend kam. Sie schloss die Ladentür und bemerkte das Gebimmel über der Tür nur noch am Rande. Es würde Sinn machen, zuerst das Wasser aus dem Heißwasserboiler aufkochen zu lassen und auszutauschen. Und einen Kaffee bräuchte sie auch. Und hoffentlich, hoffentlich hat irgendwo ein Bäcker auf, um diesem Knurren in ihrem Magen ein Ende zu setzen. Emma, wie sie den Heißwasserboiler taufte, gab ein zufriedenes Gurgeln von sich. Offenbar war Emma zwar mindestens so alt wie ihre Namensgeberin aus den sechziger Jahren, doch noch immer in Takt. Luisa öffnete den Wasserhahn am Waschbecken und freute sich, dass aus der roten Seite der Mischbatterie nun tatsächlich warmes Wasser kam. Sie würde erst einmal das Wasser komplett auslaufen lassen, um Emma dann noch ein zweites Mal zu füllen und aufzukochen. Apropos kochen, es war nun ganz sicher an der Zeit, sich einen Kaffee zu kochen. Sie hatte doch in einer der Plastikboxen ihren kleinen Wasserkocher verstaut. Hausstand, Kiste drei, erinnerte sie sich. Sofort wurde sie fündig und freute sich, dass sie die Kaffeesahne und die Kaffeefilter in den Wasserkocher gestopft hatte und so alles gleich wiederfand. Auch der kleine Porzellanfilter von Melitta, Größe 1x2 wurde ausgekramt. Sie kochte einen halben Liter Mineralwasser ohne Kohlensäure auf, den sie aus ihrem Depot kramte. Das Wasser begann schon zu köcheln, als Luisa registrierte, dass sie sich auch auf die Suche nach einem Becher oder einer Tasse machen müsste. In Kiste drei wurde sie fündig und hielt ihren Lieblingsbecher in der Hand. Er war schlicht weiß, mit einem kleinen Spruch darauf, der aussah, als wäre er mit einer alten Schreibmaschine geschrieben worden You have to believe in yourself. That‘s the secret. Oft hattet sie mit ihrem Schicksal gehadert. Viel zu häufig Dinge getan, auf die sie gar keine Lust hatte, aber anderen so gefiel und in den Kram passte. Ausgehalten, durchgehalten, wo es doch längst Zeit war, einen anderen Weg zu gehen. Schon so lang wollte sie ihrer alten Firma den Rücken kehren. Sie hatte den Kopf voller Ideen und Träume. Und jetzt war es der richtige Moment, sie umzusetzen. Eigentlich war es doch ganz einfach. Sie musste nur an sich glauben. Der Wasserkocher sprudelte und sie füllte zwei Teelöffel Kaffeepulver in ihren Filter, setzte diesen auf die Tasse und übergoss ihn mit sprudelndem Wasser. Der Kaffee verbreitete sein wunderbares Aroma, ein kleines bisschen Kaffeesahne dazu und schon war der erste Kaffee in ihrem neuen Leben fertig. Gar nicht so übel, dachte sie bei sich, und schaute in ihren Laden. Er hatte die richtige Größe und durch die beiden Schaufensterscheiben schien die Sonne durch das schmutzige Glas. Sie würde ihn streichen und Regale einbauen, vielleicht ein kleines Sofa oder vielleicht doch lieber nur einen Sessel zum Sitzen, damit man in den Büchern schmökern könnte? Oder Vielleicht eine alte Holzbank. In Pastelltönen. Davor einen Tisch, um einen Kaffeebecher abzustellen? Oder für eine Tea Time? Ja, warum nicht eine Tea Time, mit Scones und Clotted Cream und dazu ein paar Sandwiches. Emma puffte fröhlich im Hintergrund. Zuallererst würde sie jetzt aber duschen. Sie nahm ihren Kaffeebecher und griff nach einem frischen T-Shirt und Shorts und Unterwäsche aus Kiste eins und entschied sich beim Duschen die Flipflops anzubehalten. Hier war zuerst einmal eine Putzaktion angesagt. Das Wasser war wunderbar warm und ihre Seife duftete. Nach ein paar Minuten war Luisa geduscht und hatte ihre Haare gewaschen. Trotz des ausgiebigen Duschbades war ihr Wasser fast bis zum Schluss angenehm warm. Leider hatte Luisa zwar an Duschgel und Shampoo gedacht. Auch hatte sie ihre frische Kleidung an einen Haken an der Wand gehängt, vergessen hatte sie allerdings, sich ein Handtuch aus Kiste eins oder zwei zu suchen. Sie schielte um die Ecke und wog ab, ob es wohl möglich sei, kurz unbekleidet zu den Kisten zu huschen, besann sich doch sofort eines Besseren, als sie die ersten Menschen nach dem Gottesdienst an ihrem Laden vorbei gehen sah und schlüpfte, nass wie sie war in ihre Sachen. Nun konnte sie zumindest entspannt zu den Kisten gehen und schauen, ob sie ein Handtuch finden würde, um wenigstens ihre Haare etwas trocknen zu können. Sie fand auch ihre Haarbürste in einer der Kisten und nun konnte sie, wenn sie ihre Haare zu einem Zopf binden würde, kurz irgendwo ein Frühstück auftreiben. Das dürfte doch wohl nicht so schwierig sein. Irgendwo in diesem Ort, den sie nicht kannte und in dem sie nur einmal vorher ganz kurz war, müsste doch ein Bäcker versteckt sein. Sie schaute auf ihr Handy und googelte Antonsbrunn Bäckerei und zu ihrer großen Freude, war tatsächlich nur einen Katzensprung von ihr entfernt, eine zu finden. Sie griff nach ihrem Ladenschlüssel und ging durch die Vordertür hinaus. Sie fing an das Ding-Dong zu mögen. Sie lächelte und schloss die Tür hinter sich.

Die Bäckerei bot eine gute Auswahl an Brot und Brötchen, oder besser Semmeln. An dieses Wort musste sie sich erst noch gewöhnen. Semmeln klang irgendwie fast schöner als Brötchen. Außerdem gab es eine gute Auswahl an Torten und Kleingebäck. In einem gläsernen Kühlschrank standen Getränke zur Auswahl und man konnte Heißgetränke für unterwegs bekommen. Das Ambiente war schlicht und modern, der Laden nicht besonders kreativ und liebevoll eingerichtet. Trotz der zwei kleinen Tische mit dem künstlichen Blumenschmuck empfand Luisa das Geschäft nicht als besonders gemütlich, aber es duftete nach Kaffee und frischem Brot und sie wurde mit einem herzlichen „Grüß Gott“ von der korpulenten Bäckereifachverkäuferin empfangen. „Moin“, strahlte Luisa zurück, „haben Sie auch belegte Brötchen, äh Semmeln?“ „Was hätten’s denn gern drauf?“ „Ach, da bin ich flexibel. Irgendwas Leckeres. Vielleicht einen Bratenaufschnitt?!“ „Aber ja gern, das mach ich Ihnen gleich fertig. Mit Butter oder Margarine?“ „Butter bitte! Und bitte auf eine Roggensemmel.“ Die Bäckereifachverkäuferin nickte Luisa freundlich zu und verschwand aus Luisas Sichtfeld. Außer ihr war gerade kein Kunde in dem kleinen Laden. Es war ja auch schon recht spät, um Brötchen für das Frühstück zu kaufen und vielleicht etwas zu früh für den Kuchen am Nachmittag. Die Auswahl war noch recht groß. Der kleine Käsekuchen hatte es Luisa besonders angetan und da sie ja noch nichts im Kühlschrank hatte, konnte sie ruhigen Gewissens etwas mehr als üblich kaufen. Wobei ihr siedend heiß einfiel, sie hatte auch noch keinen Kühlschrank. „So, haben sie noch einen Wunsch?“, strahlte die nette Verkäuferin und präsentierte das belegte Brötchen, Verzeihung, die Semmel, wie eine Trophäe. „Ja“, entgegnete Luisa mit einem zufriedenen Lächeln, „ich hätte gern noch den kleinen Käsekuchen und 2 Laugenbrezeln. Und einen großen Kaffee zum Mitnehmen!“ In diesem Moment ging die Ladentür auf und ein fröhlich schauender Herr kam herein und grüßte „Grüß Gott, Frau Meißner!“ und nickte Luisa freundlich zu. Luisa nickte zurück und grüßte ihrerseits mit einem „Moin“. „Der Herr Sander“, jubelte die Verkäuferin die nun als Frau Meißner identifiziert war, „Grüß Sie Gott“ Ach, war das wieder ein schöner Abend am Mittwoch im Gemeindehaus. So schön haben sie wieder gesungen mit ihrem Chor. Mir wurde ganz warm ums Herz! Auch, dass wir am Ende dann gemeinsam Geh aus mein Herz und suche Freud gesungen haben, ach das war schön“, plapperte Frau Meißner fast überschwänglich und an Luisa gewandt „wenn dann nichts mehr dazu kommt, sind es bei Ihnen zwölfachtzig, Bittschön“. Luisa legte dreizehn Euro in die kleine Schale auf dem Verkaufstresen und sagte „Stimmt so“. Luisa gab ein wenig Milch in ihren großen Kaffee und verabschiedete sich grüßend. Sie war nicht sicher, ob die beiden sie überhaupt noch wahrnahmen, denn Frau Meißner und Herr Sander schwärmten von dem Abend im Gemeindehaus und eigentlich fehlte nur, dass die beiden in den Gesang einstimmten. Frau Meißner ihrerseits summte zumindest schon mal zufrieden den Refrain.. Geh aus mein Herz und suche Freud klang es ihr in den Ohren als sie das Geschäft verließ und vielleicht war das ja auch ihr persönliches Wort zum Sonntag. Sie nahm einen anderen Weg zurück als den, den sie hin zur Bäckerei gegangen war. Am Marktplatz machte sie halt und setzte sich an den Rand des alten Brunnens. Das Wasser blubberte gemütlich vor sich hin, als würde der alte Brunnen Geh aus mein Herz beim Zähneputzen gurgeln. Der Marktplatz war wie leergefegt. Das Kopfsteinpflaster war uneben, nur direkt vor der Kirche war ein richtiger Gehweg verlegt. „Macht Sinn“ dachte Luisa, „für Rollatoren ansonsten doch nicht so praktisch, dies Kopfsteinpflaster“. Die alten Häuser um den Marktplatz herum waren wunderschön erhalten. Einige hatten Kästen vor den Fenstern, aus denen prächtige Lobelien und Pelargonien wuchsen. Auf einer Bank unter einem Baum saß eine dicke, getigerte Katze, die nur einen halben Schwanz hatte. Sie schien sich durch nichts stören zu lassen und blinzelte nur einmal, als Luisa ihre Semmel aus ihrem Papier wickelte. Luisa biss in ihren Snack und blinzelte kauend in die Sonne. In der Ferne sah sie einen Mann, der einen schwarzen Umhang trug, mit einem kleinen, dicken Pferd, dass er an einem Zügel führte und musste an Don Quijote denken. Der Mann mit dem schwarzen Umhang war dünn, wirkte aber nicht so zerbrechlich wie Don Quijote. Und im Gegensatz zu seinem spanischen Vorbild war dieser Mann hier nur unwesentlich größer als sein Pferd. Die Freiheit, Sancho, ist eine der köstlichsten Gaben, die der Himmel dem Menschen verliehen; mit ihr können sich nicht die Schätze vergleichen, welche die Erde in sich schließt, noch die das Meer bedeckt. Cervantes Worte klangen Luisa in den Ohren. Sie nahm einen Schluck Kaffee und beobachtete den Mann und das Pferd. Beide schienen sich gut zu verstehen und bildeten ein harmonisches Bild. Wüsste sie es nicht besser, so schienen das Pferd und der Mann eine lebendige Unterhaltung zu führen, bei denen abwechselnd mit dem Kopf genickt und gelacht und gewiehert wurde. Die beiden verschwanden und die kurzschwänzige Katze reckte sich in der Sonne, um sich augenblicklich wieder zusammen zu rollen und die Augen zu schließen. „Die Freiheit ist eine der köstlichsten Gaben, wie recht er hatte“, dachte Luisa und aß ihr Frühstück auf dem wie ausgestorbenen Marktplatz. Sie genoss noch ein paar Minuten die Idylle, um sich dann auf den Heimweg zu machen. Es waren nur wenige Minuten bis zu ihrem neuen Zuhause. Luisa balancierte in einer Hand ihren Käsekuchen, in der anderen hielt sie die Papiertüte mit den Laugenbrezeln. Den leeren Kaffeebecher und das Papier, in das die Semmel gewickelt war, hatte sie ordnungsmäßig entsorgt. Sie stand vor ihrem Laden und überlegte, ob vielleicht ein paar Blumenkübel rechts und links vor dem Eingang dekorativ wären. Der Gehsteig war schmal, vielleicht 60 cm breit, und die zwei Stufen zum Laden ein Teil davon. Wer auf dem Gehsteig ging, musste unwillkürlich die Stufen steigen. Rechts und links der Ladentür waren fast bodennahe Schaufenster, die großzügig das Licht in den Laden ließen. Sie würde noch eine Beschriftung für die Schaufenster brauchen. Und ein Ladenschild. Vielleicht so etwas wie ein altes Zunftschild. Doch zuerst einmal müsste sie die ganzen Kartons ausräumen, zum Glück würden morgen die Regale kommen! Doch bevor sie die Regale aufbauen könnte, müsste sie den Laden streichen. Sie wollte sich doch eigentlich erst einmal einen Plan machen, fiel ihr ein. „Eins nach dem anderen“, dachte sie laut und öffnete ihre Ladentür und erschrak sich fast, als es über ihr bimmelte. Sie trug den Käsekuchen in die Backstube. Ein Kühlschrank wäre praktisch, aber es müsste für ein paar Tage so gehen. Die Brezeln ließ sie gleich vorn im Laden, sicher würde sie die zwischendurch essen. Mit einem Schreibblock und Kugelschreiber aus der Plastikbox Nummer eins ausgerüstet, ging sie in den Laden. Ein heilloses Chaos versperrte ihr die Sicht und nahm ihr den Platz. Die Kartons mussten sortiert und aus dem Weg geräumt werden, sonst könnte sie nicht den Laden streichen. Sie notierte auf ihrem Schreibblock 1. Kartons aus dem Weg räumen. Dann legte sie den Schreibblock auf die Fensterbank und fing an; sich einen Überblick über die Kartons zu machen. Vielleicht würde es Sinn machen, sie nach Thema zu sortieren. Das würde das Aus- und Einräumen erleichtern. Da sie genau wusste, wieviel Kinderbücher, Romane, Krimis und so weiter sie hatte und da sie die Kartons bestens beschriftet hatte, war sie sicher, dass das die leichteste Übung wäre. Die Backstube war groß genug und bot ausreichend Platz für alle Kartons. Gut sortiert wäre es von dort aus am geschicktesten die Regale zu bestücken. Sie beschloss sofort damit zu beginnen. Schon beim ersten Karton meldeten sich ihre Muskeln. Die Schlepperei gestern war doch sehr anstrengend gewesen, merkte sie heute noch einmal. Doch sie hatte wohl kaum eine Wahl und trug einen Karton nach dem anderen in die Backstube um sie dort, nach Themen sortiert, zu stapeln. Es ging dann doch alles schneller als gedacht und nach knapp einer Stunde war der Laden leer. Sie nahm ihren Schreibblock zur Hand und hakte Punkt 1 auf ihrem Plan ab. 1. Kartons aus dem Weg räumen. Erledigt. Also ein richtiger Plan war das nun wirklich nicht. Ein Plan war, wenn mehrere Punkte geordnet auf einer Liste stünden, um eine zeitliche Abfolge zum Erreichen eines Zieles zu gewährleisten. Vielleicht würde ein Schluck Wasser und ein Biss in die Laugenbrezel helfen. Gut ausgestattet setzte sich Luisa in eine Ecke und betrachtete den nun leeren Raum. Tatsächlich war es nun viel einfacher die Gedanken zu ordnen. Putzen. Streichen. Regale aufbauen. Regale einräumen. Lampen montieren. Lampen kaufen. Stopp, andersrum. Lampen kaufen. Lampen montieren. Fenster putzen. Fenster beschriften. Die Brezel schmeckte gut und die Gedanken sprudelte wie das Mineralwasser in ihrer Hand. Sie würde zuerst den Laden fertig machen und sich danach in der Backstube gemütlich einrichten. So könnte sie zumindest erst einmal Geld verdienen. Jetzt hatte sie einen Plan und war zufrieden. Punkt für Punkt könnte sie abarbeiten. Der aktuelle Punkt 1 auf ihrer Liste war Putzen. Damit könnte sie zumindest schon einmal beginnen. Besen, Schrubber, Eimer und alles, was man sonst so braucht, hatte sie dabei. Sie öffnete die Ladentür weit und lies frische Luft herein. Es war ein herrlicher Tag und Luisa strotzte vor guter Laune, als sie den Besen in ihrem kleinen Laden schwang. Nach einer Weile waren alle Spinnenweben und Staubberge zusammengefegt und in Mülltüten beseitigt. Allerdings hatte Luisa das Gefühl, die Hälfte davon hing noch in der Luft, oder in ihren Nasenlöchern. Ihre Haare fühlten sich an, als hätte sie in Gips gebadet. Luisa war trotzdem sehr mit sich zufrieden. Staubig wie sie war, nahm sie sich das Wasserglas von gestern und schenkte sich von ihrem Rotwein ein. Haben Sie den Wein auch atmen lassen? Ja, ich habe ihn persönlich Mund zu Mund beatmet. Ist dieser Wein schon einmal zurück gegangen, Herr Ober? Nein der Herr, der Hauswein noch nie, fiel Luisa ein Dialog aus ihrem Lieblingsfilm ein. Sie musste Lächeln. Sie nahm einen Schluck Wein und schenkte das Glas im Anschluss wieder voll und setzte sich auf die Stufen vor ihrem Laden. Es hätte wahrscheinlich einen besseren Eindruck gemacht, wenn sie frisch geduscht im hübschen Kleid und einer Tasse Tee vor ihrem Laden gesessen hatte. Aber in ihren Augen machte das nicht wirklich Sinn. Für einen guten Eindruck war noch Zeit genug. Sie genoss den Moment und schmeckte den Wein auf ihren Lippen. Müde war sie. Und glücklich. Es war noch viel zu tun, aber sie freute sich darauf. Die kleine Straße war leergefegt. Genau wie der Marktplatz vor ein paar Stunden. Manchmal bellte ein Hund und auch einen Hahn hörte sie krähen. Am Ende der Straße fuhr manchmal ein Auto und alle halbe Stunde läutet die Kirchturmuhr. Antonsbrunn schien ein verschlafener Ort zu sein. Die Ruhe tat ihr gut. Sie trank einen Schluck und über den Rand des Glases hinweg sah sie den Berg hinauf jemanden auf sich zu joggen. Eine Frau, vielleicht ihres Alters, quälte sich mit Tempo den Berg hinauf. Ganz offensichtlich war sie entweder bei schlechter Kondition oder schon länger unterwegs und die Farbe ihres Kopfes war im ähnlich leuchtenden Rot wie ihr Haar. So ein Hügel kann ganz schön zäh und kräfteraubend sein, dachte Luisa und erinnerte sich an ihre Wandertour. Sie beobachtete die Rothaarige und grüßte mit einem freundlichen „Moin“ als die Läuferin unvermittelt vor ihr stoppte und ein perplexes „Hallo“ japste. „Hallo. Ich bin Luisa. Und ich wohne jetzt hier“, strahlte Luisa und lud mit einer Handbewegung auf den Platz neben ihr ein, „Hier ist noch Platz, falls du kurz verschnaufen möchtest“. „Warum nicht?“ dankte die Läuferin und lies sich neben ihr nieder. „Ich bin Katrin“. „Moin Katrin. Möchtest du was trinken?“ prostete Luisa ihr zu, „Ich kann dir auch ein Wasser holen!“ „Danke, ich habe selbst“ und zog dabei eine Trinkflasche aus ihrem Gürtel, um diese dann in einem Zug zu leeren. „Soll ich dir noch ein Wasser holen?“ „Nein schon gut“, um nach einer kurzen Pause fortzufahren „du bist also die Neue. Die Verrückte aus Hamburg, die hier in diesem verschlafenen Nest einen Laden aufmachen will“. „Ja, so war der Plan!“ „Ja gut, warum nicht?! Was soll es denn werden?!“ „Ich dachte an eine Art Antiquariat. Ein Buchladen mit alten und neuen Büchern. Und eventuell etwas Deko oder so“, antwortete Luisa und nahm einen Schluck aus ihrem Glas. Ein finales Konzept hatte sie eigentlich noch gar nicht. „Ich muss mich hier erstmal umsehen. Was würde dir denn persönlich gefallen? Was fehlt hier im Ort?“ Luisa war noch offen für Ideen. „Das mit den neuen Büchern, das würde ich mir noch mal überlegen“, antwortete Katrin nach einer Verschnaufpause, um dann weiter fortzufahren „hier gibt es das Schreib - und Spielwaren Geschäft Adam. Die Frau Adam wäre sicher nicht sehr happy, wenn du die gleiche Ware verkaufen würdest wie sie. Es gibt ja auch sowas wie Gebietsschutz. Wäre ja auch irgendwie blöd.“ Luisa überlegte. Darüber hatte sie sich noch gar keine Gedanken gemacht und fragte Katrin weiter „Was gibt es denn hier noch nicht?“ Katrin sah sie an „Einen Angelladen!“ Luisa staunte „Wird denn hier viel geangelt?“ fragte sie mit großen Augen. Katrin lachte laut „Nein. Deshalb gibt es wohl auch keinen Angelladen! Ich glaube, du kennst dich hier noch nicht so gut aus. Ich schlage vor, ich hol dich morgen Abend um neunzehn Uhr ab und wir gehen eine Runde mit dem Hund. Dann zeig ich dir den Ort und vielleicht hast du dann eine gute Idee. Ich muss weiter!“ Katrin erhob sich und Luisa stimmte nickend zu „Ok, dann bis morgen. Hat mich gefreut, dich kennenzulernen Katrin.“ Katrin lief schon die ersten Schritte und rief noch „Ebenso.“ „Ich habe gar keinen Hund“, brüllte ihr Luisa noch hinterher und Katrin drehte sich kurz um und rief „dann wird’s aber Zeit!“ und verschwand winkend am Ende der Straße. Luisa ging zurück in den Laden. Vielleicht könnte sie den Boden noch kurz feudeln. Luisa musste Grinsen. Wahrscheinlich wusste niemand hier in diesem Ort, was Feudeln ist. Wenn in Hamburg von dem Wort feudeln die Rede ist, wusste man, dass von dem feuchten Aufwischen mit einem Tuch die Rede war. Ihr Laden war gefegt und sah ganz manierlich aus, aber, wenn Luisa jetzt noch aufwischen würde, könnte sie als nächstes mit Punkt zwei auf ihrer Liste fortfahren und den Laden streichen. Die Farben standen noch im Transporter und bei dem Gedanken daran, schlug Luisas Herz höher. Sie freute sich darauf ihren kleinen Laden zu streichen und einzurichten. In der Backstube stand der Eimer, den sie mit warmem Wasser füllte. Ein Spritzer Grüne Seife dazu und schon schäumte es und duftete angenehm frisch. Sie wischte den Boden und wechselte zweimal das Wasser. Jetzt wo der Staub weg war und der Boden blitzeblank geputzt war, kamen die schönen alten Fliesen zur Geltung. Sie waren in einem gebrochenen Weiß und einem hellen Grau in abwechselnder Reihenfolge verlegt und in einem passablen Zustand. Dort, wo wohl einst der Tresen stand, waren die Fliesen leicht beschädigt doch zumindest komplett verlegt. Mit etwas Geschick und den richtigen Möbeln würde das kaum noch auffallen. Für heute war nun Feierabend. Auch wenn die Tage im Sommer länger waren, irgendwann würde es trotzdem Nacht werden und Luisa wollte lieber morgen ausgeruht an die Arbeit gehen und den Raum streichen damit sie am Nachmittag Zeit hatte, schon ein paar Regale aufzubauen, die morgen um dreizehn Uhr geliefert werden würden. Sie sprang heute zum zweiten Mal unter die Dusche, diesmal aber mit einem Handtuch ausgerüstet und duschte sich den Staub vom Körper. Die Haare bekamen noch ein wenig Extrapflege und 10 Minuten später fühlte sich Luisa wieder pudelwohl. Die Ladentür war längst verschlossen und das Licht gelöscht und Luisa machte es sich in der Backstube gemütlich. Sie hatte noch etwas Wein, den Käsekuchen und 2 Liter Wasser und beschloss sich einen großen Becher Tee zu kochen. Sie hatte eine Ansammlung von Tees in einer Schachtel dabei und entschloss sich für einen leckeren Kräutertee und machte es sich auf ihrer alten Bank gemütlich. Das Buch von Leonardo Donato lag neben ihr, doch blieb zumindest für heute unbeachtet. Sie wollte lieber noch ein wenig an ihrem Plan arbeiten. Sie konnte ja auch schon wieder einen Punkt abhaken. Geputzt war der Laden zumindest schon mal. Morgen wollte sie die Decke und die Wände streichen. Dass die Decke weiß werden sollte, da war sie sich sicher, doch in welcher Farbe die Wände? Wenn sie noch nicht wüsste, was sie überhaupt verkaufen wollte, konnte sie sich da überhaupt entscheiden? „Klar, warum nicht!?“, dachte Luisa laut und schob sich ein großes Stück von dem leckeren Käsekuchen in den Mund. Alle Farben die sie ausgewählt und im Transporter hatte, waren ihre Lieblingsfarben. Sie würde sich doch so oder so für einen dieser Farbtöne entscheiden. Also würde ein Teil des Ladens in Mint gestrichen werden und ein Teil in dem fahlen Lila. Das ist hübsch, passt zusammen und man könnte es gut mit den Regalen im frischen Beige kombinieren. Vor ihren Augen entstand mehr und mehr ein Bild und abgesehen von Angelrouten, Mehlwürmern und anderen Ködern, würde sich sicher alles sehr gut verkaufen lassen. Luisa vertilgte noch den halben Kuchen und ging sich dann die Zähne putzen. Es war spät genug, und auch, wenn sie die Schläge der Kirchturmuhr nicht gezählt hatte, so waren es doch recht viele.

Sie tippte auf dreiundzwanzig Uhr und für sie war es Zeit schlafen zu gehen.

Kapitel 3

Am nächsten Morgen und einer weiteren Nacht auf der Holzbank auf ihrem Schlafsack liegend, beschloss Luisa, dass sie unbedingt ein richtiges Bett bräuchte. Vielleicht wüsste Katrin einen Rat, wo sie das hier in der Nähe am günstigsten erstehen könnte und liefern lassen könnte. Luisa putzte als erstes ihre Zähne und entschied sich für eine Katzenwäsche. Dann stieg sie auf die Klobrille und knotete eine Schnur an den Hebel des Wasserkastens. Für den Moment war das eine passable Lösung, um die Wasserspülung zu betätigen. Dann schlupfte sie in Jeans und T-Shirt, und setzte sich einen Kaffee auf. Sie biss in ein Stück Kuchen und zog sich kauend die Turnschuhe an. Sie wollte keine Zeit verlieren. Es war erst kurz nach sieben Uhr und angenehm kühl. In ihrem Transporter standen die Farben und da sie nun wusste, wie die Hintertür zu öffnen war, entschied sie sich, die schweren Eimer in die Backstube zu stellen. Wo sie schon dabei war, konnte sie sich gleich noch einmal einen Überblick über die Farbtöne verschaffen. Sie hatte eine große Auswahl an Wandfarben und hoffte, dass sie mit maximal zwei Anstrichen auskommen würde. Sie hatte sich extra für hochwertige Farben entschieden, dass hatte sich bislang immer bezahlt gemacht. Sie hatte je einen 20 Liter Eimer Schmollraum Rosa, Pfefferminzbonbon Mint, ein etwas helleres Blau mit dem Namen Die Bucht in Wales, Welke Heideblüte, ein Grau mit einem Hauch von Lila, den Ton mochte sie besonders. Außerdem das Schulhaus Weiß, In den Tiefen des Meeres der Karibik Türkis, Leuchtender Enzian Blau, Dornröschen Rosa und Kohlenkeller Schwarz. Auch wenn sie die Namen der Farben etwas schräg fand, so trafen sie doch tatsächlich gut den Ton und waren untereinander harmonisch zu kombinieren. Was sie mit dem Kohlenkeller Schwarz anstreichen würde, war ihr allerdings noch schleierhaft. Aber sie mochte die Idee einer tiefschwarzen Wand und stellte sich ein weißes Möbelstück davor vor. Wenn sie gestern auch noch ihr Herz an den Mint Ton gehängt hatte, so war sie sich jetzt nicht mehr so sicher. Sie stellte sich eine Bucht in Wales vor, über der ein nebliger Schleier hing und wenn sie dies Blau nun mit der verwelkten Heideblüte kombinieren würde? Das wäre sicher auch sehr hübsch! Sie entschied sich zuerst einmal die Decke zu streichen. Sie war zum Glück nicht so hoch und sie konnte gut mit einer Teleskopstange arbeiten. Im nu war die Decke fertig. Dank der guten Qualität der Farbe kam sie mit einem Anstrich aus. Vor der Vermietung wurde der Raum sicher auch schon einmal vorgestrichen, so ging ihr alles gut von der Hand. Am Ende waren alle Wände, bis auf eine, in der Bucht in Wales Blau und nur eine Seitenwand in der welken Heideblüte. Luisa war begeistert. So hübsch sah es aus! Es war noch vor zwölf Uhr und sie hatte Zeit ihr Malerwerkzeug zu reinigen, bis die Regale kamen und noch etwas zu Essen. Pünktlich um dreizehn Uhr kam der Paketdienst und brachte ihr die Bestellung, die aus sieben Paketen bestand. Glücklicherweise war jedes Paket mit einer Abbildung des Regals bebildert und so konnte sie Luisa einfach zuordnen. Sie würde mit dem kleinsten Regal anfangen, so konnte sie schonmal üben. Sie packte den Karton aus und hielt die Bauanleitung in den Händen. Jedes Element war bebildert und sie breitete alle vor sich aus. Die dazugehörigen Schrauben legte sie an die Seite. Es dauerte nicht lang und das Regal stand vor ihr. Die Regalbretter waren breiter als die der anderen Regale, aber es war nicht so hoch. Sie könnte es als Raumteiler nutzen. Das matte beige passte großartig zu der Wandfarbe. Noch während sie in Gedanken das Regal hin und her schob, klopfte es hinter ihr an die Schaufensterscheibe und ein bekanntes Gesicht schaute sie an. Es war der Polizist von Vortag und sie öffnete ihm die Tür. Begleitet von dem Ding-Dong der Türglocke sagte der Polizist „Grüß Gott Frau Lange! Ich bin begeistert, Sie kommen ja gut voran!“. „Der Herr Koslowski“, lachte ihn Luisa an „ich hab ordnungsgemäß geparkt, wie sie sehen!“ „Das freut mich sehr Frau Lange. Da ich aber schon dienstfrei habe, dachte ich, ich schau mal vorbei. Sie hatten mir ja gestern noch hinterhergerufen, dass ich mich gern mal wieder sehen lassen dürfte!“ Tatsächlich, das hatte Luisa getan, aber nicht wirklich damit gerechnet, dass dies schon einen Tag später sein würde. „Das passt gerade ganz vortrefflich Herr Koslowski. Sie sprachen doch von ehrenamtlichen Helfern und wo Sie doch nun schon mal da sind …“, beendete Luisa ihren Satz nur mit einer ausschweifenden Handbewegung und zeigte auf die sechs übrigen Pakete mit den Regalen. Sie könnte tatsächlich eine helfende Hand gebrauchen, die übrigen Regale waren Manns hoch und allein doch recht kniffelig aufzubauen. Koslowski lächelte und machte eine übertriebene Verbeugung „Für die nächsten zwei Stunden gern zu Ihren Diensten!“ Luisa freute sich sehr über die spontane Unterstützung. Die Regale ließen sich viel einfacher aufbauen, wenn man noch zwei Extrahände hatte und außerdem war ein kleiner Schwatz mit einem Ortsansässigen eine gute Möglichkeit herauszufinden, was im Ort fehlt. Niemand kennt sich so gut aus, wie ein Ordnungshüter! „Sagen sie Herr Koslowski, was fehlt hier im Ort? Was würden Sie gern kaufen, und finden es hier nicht?“ „Ähm, Frau Lange, Sie haben noch nicht wirklich ein Konzept, oder?“ „Doch, doch schon“, verteidigte sich Luisa „Ich möchte gern Bücher verkaufen, aber, wenn ich alte und neue verkaufe, dann..“, „Dann machen Sie Frau Adam Konkurrenz“, beendete Koslowski Ihren Satz. „Genau. Und damit ist dem Ort auch nicht geholfen. Und mir natürlich auch nicht“. Koslowski überlegte und eine nicht unangenehme Stille herrschte zwischen den Beiden. Sie waren ein gutes Team und ein ums andere Regal entstand vor ihren Augen. Immer wieder warf Luisa Koslowski eine Idee entgegen, die er dann mit „Haben wir schon!“ abschmetterte. Also entweder gab es in diesem Ort schon alles, oder sie hatte die falschen Ideen. Plötzlich sagte sie zu Koslowski „Wie wäre es mit einem Angelladen?“. Koslowski sah sie entgeistert an „Des is net ihr ernscht!“ Luisa lachte schallend „Nein, natürlich nicht! Aber ich habe ja auch noch ein wenig Zeit mir etwas zu überlegen. Rom wurde auch nicht an einem Tag gebaut. Mir fällt schon noch etwas ein. Ich hab ja auch noch die alten Bücher!“ Koslowski stimmte fröhlich mit ein „Na, bei euch Leuten aus dem Norden weiß man ja nie. Ihr Fischköpfe, da könnte das mit dem Angelladen schon irgendwie klappen!“ Luisa lachte mit und noch eine Weile neckten sie sich. Koslowski war ihr sympathisch, und auch wenn seine Zähne ziemlich schief standen, so hatte er doch ein nettes Lächeln. Um kurz vor sechzehn Uhr verabschiedete er sich von Luisa. „Ich leg Ihnen mal meine Karte hier hin. Wenn was ist, Hilfe kommt sofort!“ Er legte seine Visitenkarte auf die Fensterbank und Luisa verabschiedete sich winkend. Alle Regale waren aufgebaut und ungefähr dort hingestellt, wo Luisa sich vorstellen könnte, dass sie Sinn machten. Bevor sie sich aber nicht final entschieden hatte, wollte sie keine unnötigen Bohrungen an der Wand machen, um die Regale zu verschrauben. Sie sortierte den Verpackungsmüll, schnürte die Pappen mit einem Band zusammen und verstaute sie im Transporter. Danach machte sie sich einen Tee und sprang schnell unter die Dusche. Um neunzehn Uhr würde Katrin kommen, bis dahin wollte sie fertig sein. Um kurz vor achtzehn Uhr flitzte sie noch schnell zum Metzger, in der Hoffnung dort noch etwas zu Essen zu bekommen. Der Magen hing ihr bis in die Kniekehle. Sie hatte außer dem Rest Kuchen noch nichts gegessen und hoffte auf einen Mittagstisch oder zumindest auf einen Braten oder Fleischkäse aus der Wärmetheke. Der Metzger Vögele hatte ein erstklassiges Angebot an Wurstaufschnitt und Geräuchertem. Es gab Fleisch und feine Salate und Marinaden. In einem Regal waren Dosenwurst und Hausgemachte Fertiggerichte gestapelt. Luisa sah sich das Angebot in der Theke an. Sie hatte solchen Kohldampf. „Was kann ich für Sie tun?“, fragte sie die Frau hinter der Theke. „Ich hab solchen Hunger“, flehte Luisa, „haben Sie noch Mittagstisch oder etwas Warmes?“ „Na, da sind Sie aber recht spät dran, aber warten Sie, ich schau grad mal hinten, was wir noch haben. Einen Moment bitte schön!“. Luisa war erleichtert. Es gab offenbar noch Hoffnung sie vor einem knurrenden Magen in der Nacht zu bewahren. Wartend sah sie sich im Laden um. An einem Stehtisch im Eck stand ein Mann und aß. Offenbar auch einer von denen die auf den letzten Drücker kommen. Als der Mann sich plötzlich umdreht, konnte ihn Luisa als den singenden Herrn Sander von gestern aus der Bäckerei identifizieren als ihre Gedanken jäh unterbrochen wurden. „Also wir hätten noch eine Fleischkässemmel oder wenn sie mögen, hätte ich noch eine Portion Gulasch mit Spätzle. Salat ist aber aus.“ Luisa strahlte „Ich hätte gern das Gulasch!“ Sie freute sich auf eine warme Mahlzeit „kann ich noch hier essen?“ „Selbstverständlich, wir haben bis achtzehndreißig geöffnet. Ich mach es Ihnen grad noch mal heiß“, sagte die nette Dame und verschwand. „Sie sind die aus Hamburg, oder?“, kam es hinten aus dem Eck. Und da sie die einzige Kundin war und wahrscheinlich auch die einzige Hamburgerin weit und breit, wusste Luisa, dass die Aufmerksamkeit ihr galt. Luisa nickte. Sander ließ es sich nicht nehmen sich fröhlich einen weiteren Bissen in den Mund zu schieben und mit vollem Mund das Gespräch weiterzuführen. „Da war ich auch schon mal. Ich bin Lehrer. Ich habe da unterrichtet!“ Die weiteren Worte klangen wie „Scheidung“, „Landleben“ und „Exfrau“ und gingen schmatzend irgendwie unter. „Sind Sie aus Hamburg?“ fragte Luisa und ernte nur ein Kopfschütteln „Meine Ex. Aber gefallen hat es mir da schon.“ „So, einmal das Gulasch mit Spätzle. Herr Sander, lassen Sie der Dame mal ein bisserl Platz“, sagte die nette Dame mit dem dampfenden Teller in der Hand. Luisa war es immer schleierhaft, wie jemand länger als eine halbe Minute heißes Porzellan anfassen konnte. Sie verbrannte sich schon fast die Finger beim Ausräumen des frischgespülten Geschirrs aus dem Geschirrspüler. Nun stand sie neben dem fröhlich schmatzenden Herrn Sander, der ihr viel von Hamburg und über sein neues Leben erzählte. Zum Abschluss lud er sie für den kommenden Mittwoch zum Singen im Gesangsverein ein „Wir treffen uns immer mittwochs um zwanzig Uhr im Lindenkrug. Es ist immer sehr nett und gesellig. Kommen Sie doch mal vorbei! Ich würde mich freuen!“ „Klar, warum nicht?! Ich kann aber nicht gut singen!“ „Dann sind wir ja schon zu zweit!“, lachte Sander und verabschiedete sich. Irgendwie schienen hier alle wirklich sehr nett zu sein, dachte Luisa. Als sie aufgegessen hatte, stellte sie ihren Teller auf den von Sander und brachte beide zur Theke. „Das ist nett von Ihnen! Der Herr Sander denkt da nie dran. Kann ich noch was für Sie tun? Wir schließen dann gleich“ „Ich hätte gern noch ein Stück von der geräucherten Salami. Ich hab noch keinen Kühlschrank. Die kann doch draußen liegen, oder?“ „Selbstverständlich! Wir haben da auch noch die Landjäger, die können Sie auch so liegenlassen. Wir machen aber auch morgen um sieben auf und belegte Semmeln haben wir dann auch!“ „Gut zu wissen, aber morgen bin ich zufrieden damit. Glaube ich. Was macht das dann?“

Nachdem sie den Laden verlassen hatte, machte sie sich auf den Weg nach Hause. Gleich würde ihre neue Bekanntschaft, die Katrin kommen. Sie freute sich schon auf das Treffen und den Erkundungsspaziergang.

Kapitel 4