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Das magische Kinderbuchdebüt der Bestseller-Illustratorin Stefanie Dahle. Skurril, liebenswert und einfach bezaubernd! Luna ist ein ganz normales Menschenmädchen … na ja, fast. Immerhin lebt sie bei einer Vampirfamilie in einem alten Schloss mitten in Liebengrün. Klar, dass davon niemand etwas wissen darf! Vor lauter Geheimniskrämerei fühlt Luna sich richtig einsam. Doch dann zieht die gleichaltrige Annemie ins Haus gegenüber. Und die beiden Mädchen schließen sofort Freundschaft. Aber wie verheimlicht man seiner besten Freundin einen vorlauten Hausgeist, einen wuseligen Skeletthund und Eltern, die sich in Fledermäuse verwandeln? Eine ganz besondere Freundschaftsgeschichte - mit zauberhaften, zweifarbigen Illustrationen auf jeder Seite. Opulent und liebevoll gestaltet von Stefanie Dahle. Zum Vorlesen und Selberlesen.
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Seitenzahl: 150
Stefanie Dahle studierte an der HAW Hamburg Illustration und arbeitet seit 2007 exklusiv für den Arena Verlag. Erfolgreich schreibt und gestaltet sie fantasievolle Kinderbuchwelten, in die man sich stundenlang hineinträumen kann. Stefanie Dahle ist Mutter von zwei Kindern und lebt mit ihrer Familie in der Lüneburger Heide.
Ein Verlag in der Westermann Gruppe
1. Auflage 2023
© 2023 Arena Verlag GmbH,
Rottendorfer Straße 16, D-97074 Würzburg
Alle Rechte vorbehalten
Text und Illustrationen: Stefanie Dahle
Lektorat: Christine Denk
E-Book ISBN 978-3-401-81032-4
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www.arena-verlag.de
Kapitel 1: Zwischen Tag und Nacht
Kapitel 2: Freundinnen
Kapitel 3: Im Schloss
Kapitel 4: In den Spröckel
Kapitel 5: Familie Süßmann
Kapitel 6: Sprottes Ausflug
Kapitel 7: Annemies Geheimnisse
Kapitel 8: Das Apfelbaum-Drama
Kapitel 9: Pyjamaparty
Kapitel 10: Wer bin ich?
Kapitel 11: H.F.
Kapitel 12: Nach Lüneburg
Kapitel 13: Hanna Fricke
Kapitel 14: Hausarrest
Kapitel 15: Der abscheuliche Brief
Kapitel 16: Das Ende
Kapitel 17: Die Süßmanns brauchen Hilfe
Kapitel 18: Das Abendessen
Kapitel 19: Halloween
Die Dämmerung legte sich sanft wie ein Schleier über den Schlosspark und erinnerte Luna daran, dass sie nicht dazugehörte.
Letzte Sonnenstrahlen berührten den Deich. Die Sumpf biber raschelten am Teichufer und erste Fledermäuse flatterten zwischen den Buchen umher. Luna streifte durch das hüfthohe Gras, das nie gemäht wurde. Sie konnte nicht anders, als die Häuser der Tagwelt zu beobachten, deren Fenster draußen vor der Schlossmauer so heimelig leuchteten.
Im Kastanienweg Nummer 4 hob Frau Kröse gerade ihren Kater vom Küchentisch, Ehepaar Dittmer aus Nummer 6 hatte es sich vor dem Fernseher gemütlich gemacht, Nummer 8 stand leer und in Nummer 10 aß Familie Meyer zu Abend.
Luna seufzte. Wie gerne würde auch sie jetzt mit ihrer Familie zusammensitzen. Sogar ein gemeinsamer Abwasch würde ihr Spaß machen. Aber es ging eben nicht.
Wie auch, wenn alle in ihrer Familie Vampire waren. Alle, bis auf Luna. Während Mama, Papa und ihr Bruder Ruben schliefen, durchlebte sie ihre Tage allein. Sie ging zur Schule, aß normale Menschensachen wie Spaghetti oder Kekse und liebte Sonnenlicht wie ein normales Menschenkind. Am Abend ging sie meist allein zu Bett, während ihre Eltern und Ruben sich für eine neue aufregende Vampirnacht bereit machten.
Die kostbarste Zeit des Tages waren für Luna deshalb die wenigen Stunden zwischen Dämmerung und Schlafenszeit, wenn sie mit ihnen zusammen sein konnte.
In Liebengrün wusste natürlich niemand, dass fast alle in der Familie Süßmann aus dem Elbschloss in Wahrheit Vampire waren. Damit es so blieb, war Luna seit Jahren Mamas oberstes Geheimhaltungsgebot eingeschärft worden: »Keine Freunde im Schloss, hörst du, Schatz?«
Luna ließ sich auf einen Baumstumpf plumpsen. Ständig aufpassen. Nichts erzählen. Andere Kinder machten um Luna sowieso lieber einen Bogen. Jeder wusste, dass Sofia Hartmeier die komische Luna mit den kürbisfarbenen Locken nicht ausstehen konnte. Luna, die ständig in ihr Skizzenbuch kritzelte und deswegen oft ganz verschmierte Finger hatte. Die niemals zum Geburtstag einlud und irgendwie immer nach angekokelten Streichhölzern roch. Und Sofia kam man besser nicht in die Quere. Immerhin war ihr Vater der Bürgermeister von Liebengrün.
Die Glocke der Kirchturmuhr riss Luna aus ihren Gedanken. Endlich!, dachte Luna. Aufstehzeit.
Gerade als sie sich auf den Heimweg machen wollte, wieselte ein Schatten durch die Böschung auf sie zu. Es war ein recht merkwürdiger Schatten.
»Sprotte!«, begrüßte Luna ihren Hund und kraulte ihm die Knochen. Denn Sprotte war ein Skelett.
»Wo hast du dein Tarnfell gelassen, du Räuber? Was, wenn dich jemand sieht?«
Sprotte wedelte aufgeregt mit den Schwanzknochen, schlug einen Haken und schoss voraus zum Schloss, sodass einige Sumpf biber vor Schreck zurück in ihre Löcher sprangen.
Voller Vorfreude auf ihre Familie, lief Luna über die Brücke am Teich und rannte die Schlosstreppe hinauf. Als sich das schwere Eichenportal hinter ihr schloss, entflammten die Wandlüster in der Eingangshalle.
»Sieh an, das junge Fräulein!«, sagte eine Stimme.
Sie gehörte zu dem Gemälde des alten Totengräbers. Der Abgebildete, ein Mann mit Schlapphut und Schaufel, deutete eine Verbeugung an. Luna wollte ihm eben einen guten Abend wünschen, als ein ohrenbetäubendes Scheppern die Wände erzittern ließ. Eine perlweiße Gestalt schwebte durch die Wand direkt über ihrem Kopf. Es war Schnittchen, das Schlossgespenst. Es war kaum größer als Sprotte und vollführte in der Luft einen Purzelbaum.
»Da kommt sie, die kleine Luni Puni«, gackerte Schnittchen. »Kunststück gefällig?«
»Nein danke«, erwiderte Luna, die seine Scherze zur Genüge kannte.
»Was denn jetzt? Nein oder danke?«, johlte Schnittchen.
Ohne zu antworten, warf Luna einen Blick in die Gewölbeküche. Edith, die Haushälterin, hatte längst Feierabend gemacht, doch auf der Anrichte blubberte noch immer der Blux. Der Blux war eine Küchenmaschine und Erfindung der Süßmanns. Lunas Familie betrieb nämlich einen Feinkosthandel. Die köstlichen Pralinen stellten sie mithilfe des Blux selbst in ihrer Küche her. Nur er konnte die geheime Zutat, die in allen ihren Leckereien enthalten war, auf wundersame Weise vermehren. Luna schüttelte sich.
Dank des Blux wurde für jede Praline nur ein einziger Tropfen benötigt, doch auch daran wollte Luna gar nicht denken. Denn die geheime Zutat war Menschenblut. Ihre Familie ernährte sich sozusagen von den Stadtbewohnern Liebengrüns. Doch zum Glück zapften sie ihren Mitmenschen in Gestalt von Fledermäusen nur winzige Mengen Blut ab und verarbeiteten dieses dann zu Hause zu harmlos aussehendem Konfekt. Die Pralinen verkauften die Süßmanns an Vampire im ganzen Land.
Luna schwang sich um den steinernen Otter am Fuße der Treppe und lief nach oben.
Zwei Nachtfalter lösten sich aus einem Landschaftsgemälde und flatterten um ihren Kopf.
Im zweiten Stock blieb sie vor dem Schlafzimmer ihres Bruders stehen und lauschte. Dumpfe Schnarchgeräusche drangen durch die Tür und das Schlüsselloch fletschte die Zähne. Auch die Särge ihrer Eltern waren fest verschlossen. Lunas Vorfreude wich einer Welle der Enttäuschung. Alle schliefen noch.
»War ja klar«, seufzte sie und trottete in ihr Zimmer. Niedergeschlagen ließ sie sich auf ihre Bettdecke aus Werwolffell fallen. Sie gehörte eben nicht dazu. Eine Weile kritzelte sie in ihrem Skizzenbuch, dann drehte sie sich auf den Rücken und musterte die verblichene Deckenmalerei. Sie gähnte. Von draußen drangen die letzten Geräusche der Tagwelt herein. Ich muss wach bleiben, dachte Luna und begann, die goldenen Spinnen auf dem Wandteppich zu zählen. Bald stehen sie auf.
Am nächsten Morgen war der Himmel trüb und grau. Luna streckte sich und stieß gegen das silberne Frühstückstablett auf ihrem Nachttisch. Kalter Tee schwappte über einen Klebezettel, der am Tassenrand befestigt war.
»Guten Morgen, kleiner Mond. Viel Spaß in der Schule! Bis später! Kuss, Mama.«
Luna stöhnte. Na großartig! Wieder hatte sie ihre Familie verpennt.
Sie schloss einen Moment die Augen und spürte Mamas Kuss wie ein Versprechen. Ihre Zeichensachen lagen nicht mehr am Fußende des Himmelbetts, sondern waren ordentlich auf den Schreibtisch gelegt. War sie noch mal aufgestanden? Komisch. Daran erinnerte sie sich gar nicht. War sie etwa wieder …?
Im Treppenhaus roch es nach Äpfeln, Schokolade und dem metallischen Geruch, der stets aus dem Blux waberte. Luna packte ihre Brotdose ein, auf der ein weiterer Klebezettel pappte. »Bis später, Papa!«, stand darauf, darunter ein Smiley.
Auf dem Weg zur Schule kämpfte Luna immer noch mit ihrer Enttäuschung. Das einzig Gute an der Schule war, dass Luna dem einsamen Schloss für ein paar Stunden entkommen konnte. Wäre da nur nicht Sofia Hartmeier gewesen.
Sofia hatte es auf Luna abgesehen. Jede noch so winzige Kleinigkeit nutzte sie, um Luna vor der gesamten Klasse bloßzustellen – am liebsten natürlich in den Pausen, wenn kein Lehrer dabei war. Luna hatte eben ihre Brotdose geöffnet und der Geruch von Bratfisch verteilte sich im Klassenraum. Eine einzelne Himbeere fiel heraus und kullerte – wie konnte es anders sein – direkt vor Sofias Füße. Sofia baute sich vor Luna auf. Ihre Nase war spitz und jedes Haar auf ihrem Kopf war in einen frostblonden Pferdeschwanz gezwungen. Begleitet wurde sie wie immer von Antonia und Jule.
»Igitt, was hast du denn wieder dabei?«, schnarrte sie verächtlich und feixte über das ganze Gesicht. Antonia und Jule kicherten dümmlich.
Eine weitere Himbeere rutschte aus der Brotdose und der Rest der Klasse lachte. Luna konnte ihnen kaum einen Vorwurf machen – Fischstäbchen und Himbeeren hatten einfach nichts auf demselben Brot verloren.
Auf dem Heimweg zerrte Luna ihre Brotdose aus der Tasche. Ob Edith ihr etwas zum Abendessen kochen würde?, dachte sie frustriert und wollte das Pausenbrot über die Schlossmauer verschwinden lassen. Da bemerkte sie einen Umzugswagen vor dem leer stehenden Haus mit der Nummer 8. Eine Gruppe von Leuten wuselte um die offene Ladefläche und lud Sachen aus. Luna war inzwischen nah genug, um Fetzen ihrer Unterhaltung aufzuschnappen.
»… den Stuhl bitte ins Esszimmer, den Wurmfarn auf die Terrasse«, wies eine gertenschlanke Frau die Umzugshelfer an. Sie stand inmitten dreier Kinder, die allesamt sommersprossig und braunhaarig waren.
»Mama, ich wollte doch das Zimmer mit dem Balkon«, beschwerte sich das älteste, ein Mädchen.
»Jetzt nicht, Marie. Wessen Kiste ist das noch mal?«
»Meine«, piepste ein etwa fünfjähriger Junge. Plötzlich fing er an zu weinen: »Mami, du hast vergessen, meinen Hai einzupacken!«
»Dein Hai ist hier drin, Mo. Den hat Papa gestern eingepackt.«
Der kleine Junge schnappte sich seinen riesenhaften Plüschhai und ging mit seiner Mutter ins Haus. Das dritte Kind, ein Mädchen ungefähr in Lunas Alter, hatte einen Schuhkarton vom Beifahrersitz gehoben und wollte seiner Familie folgen. Doch es blieb mit der Sandale an einer Kante des Kopfsteinpflasters hängen und fiel der Länge nach hin. Der Karton schlitterte davon. Luna, die genau wusste, wie weh die Steine an den Knien taten, lief hinüber und half ihr auf.
»Hast du dir wehgetan?«
Das Mädchen schniefte und besah sich eine Schürfwunde am rechten Knie. »Nein, ist nur ein Kratzer. Aber danke. Oh nein, Pickel, bist du verletzt?«, rief es und hob den Karton hoch. Eine fette Kröte schaute aus dem Durcheinander aus Stroh und Futter vorwurfsvoll zu ihnen auf.
»So ein Glück!«, stieß das Mädchen erleichtert aus. »Das ist Pickel, meine Kröte. Meine Schwester Marie hat ihn in einer Wassertonne gefunden und wir haben ihn aufgepäppelt. Cool, oder? Willst du ihn mal halten? Wir ziehen heute ein. Wohnst du hier? Ich bin übrigens Annemie, Annemie Blum.«
Luna starrte sie verdutzt an. Welche Frage sollte sie zuerst beantworten? »Ja, im Schloss«, sagte sie zögernd.
»Cool. Ich kenne niemanden sonst, der in einem Schloss wohnt.« Doch dann verdüsterte sich Annemies Miene.
»Eigentlich kenne ich sowieso niemanden richtig. Meine Familie zieht ständig um, musst du wissen. Zuletzt haben wir im Schwarzwald gewohnt, davor im Sauerland und davor in der Rhön. Oder war das der Harz? Mama ist jedenfalls Botanikerin und sucht immer nach neuen Pflanzen. Dieses Jahr ist Heidekraut das Nonplusultra. Sie meint, es sei eins der ältesten Kräuter der Welt. Jetzt sind wir also in der Heide. Prima. Mal sehen, wo sie uns als Nächstes hinschleppt.«
Luna schwieg, als ihr bewusst wurde, warum auch sie niemanden kannte. Sie machte einen Schritt zurück.
»Wie heißt du eigentlich?«, wollte Annemie wissen.
»Luna.«
Annemie las Pickels Behausung auf. »Ich muss jetzt rein. Vielleicht sehen wir uns ja morgen? Ciao, Luna!«
Lunas Magen machte einen unangenehmen Hüpfer. Ihr schwindelte von dem warmen Gefühl, das sich plötzlich bis in ihre Zehenspitzen ausbreiten wollte. Luna würgte es ab. Sie durfte nicht einmal daran denken, dass dieses Mädchen ihre Freundin werden konnte. Ihre Eltern würden das niemals dulden. Keine Freunde im Schloss, NICHTS erzählen. Das war die oberste Regel. Ganz einfach.
Am darauffolgenden Montag wurde Lunas Vorsatz auf eine harte Probe gestellt. Gleich zu Beginn der ersten Unterrichtsstunde nahmen die Dinge eine unvorhergesehene Wendung. Luna spitzte an ihrem Fensterplatz Stifte nach, als der Klassenlehrer Herr Bückling eintrat. Er war ein rundlicher kleiner Herr mit Spitzbart. Hinter ihm kam ein Mädchen mit langen Zöpfen zum Vorschein.
Luna ließ ihren Spitzer fallen. Es war Annemie.
»Guten Morgen. Das ist Annemie Blum. Sie besucht ab heute unseren Unterricht. Annemie, such dir doch einen freien Platz, ja?«
Luna, der plötzlich klar wurde, dass der einzige freie Platz neben ihr war, rutschte vor Schreck schlaff unter den Tisch.
»Eine Anmerkung noch, bevor wir uns unserem heutigen Stoff widmen!«, verkündete Herr Bückling und schlug seinen Taschenkalender auf. »Einige von euch haben mir noch immer nicht ihr Thema zur Projektwoche ›Einheimische Tiere‹ mitgeteilt. Luna, hast du etwas verloren?«
Luna glitt mit ihrem Anspitzer zurück auf ihren Stuhl.
Annemie strahlte sie an. »Hi, Luna!«
Lunas Ohren glühten. Sie nuschelte ein »Hallo« und versuchte für den Rest der Stunde, unsichtbar zu bleiben. Im Gegensatz zu ihr hatte Annemie offenbar keine Probleme, Anschluss zu finden. Luna überlegte, ob sie am Ende des Tages zu Sofia Hartmeiers Bande gehören würde.
Herr Bückling fuhr fort. »Jonas und Malte? Habt ihr euch entschieden? Wolltet ihr Füchse oder Reiher?«
»Wir nehmen die Reiher!«, sagte Jonas.
»Gut. Luna, du hast als Einzige noch immer keinen Partner. Annemie, möchtet ihr euch als Team zusammenschließen? Wunderbar! Luna, erkläre Annemie doch bitte, worum es geht. Bis Ende der Woche möchte ich wissen, welches Tier ihr behandelt. Wo ist denn nur meine Brille? Hattest du dazu noch eine Frage? Nein? Gut.«
Er hüpfte durch die Reihen und verteilte Arbeitsblätter.
»In der letzten Stunde haben wir über das weiße Gold gesprochen. Wer kann noch einmal kurz erklären, was damit gemeint ist. Ja, Max?«
»Das ist Salz. Es brachte der Stadt Lüneburg Reichtum und Macht. Deshalb nannte man es ›weißes Gold‹«, antwortete Max.
»Korrekt!«, lobte Herr Bückling. »Kann sich jemand vorstellen, wo man Salz fand? Luna, hast du eine Idee?«
»Unter der Erde. Es wurde … ähm … geschürft?«
»Richtig, es war eine sehr schwere Arbeit. Woran lag das?« Herr Bückling sah sie immer noch an. Luna überlegte. »Es wurde im Dunkeln geschürft?«
»Sehr richtig. Das war einer der Gründe. Bis morgen möchte ich einen zweiseitigen Aufsatz darüber, wofür unser Körper Salz benötigt.«
Es läutete.
Luna lief nach vorne zum Pult des Lehrers. »Herr Bückling, könnte ich bitte allein an dem Tier-Projekt arbeiten?«
Herr Bückling blickte sie erstaunt an. »Ich denke nicht, Luna. Das sind ganz klar Team-Aufgaben.«
»Aber, Herr Bückling …«, protestierte Luna.
»Es wird dir guttun, mit jemandem zusammenzuarbeiten. Außerdem kannst du Annemie dann gleich alles zeigen. Sie ist schließlich neu hier«, erklärte er knapp und fuhr mit dem Finger über eine Liste in seinem Taschenkalender. »Wo wir gerade dabei sind: Deine Eltern haben sich bisher nicht zum Elterngespräch angemeldet. Es wäre schön, wenn wir vor den Herbstferien noch einen Termin hinbekommen. Sag mir Bescheid, wann sie Zeit haben!« Mit diesen Worten nahm er seine Tasche und eilte aus dem Klassenraum.
Sofia Hartmeier grinste spöttisch. »Du kennst dich gut aus mit Dunkelheit, was? Kennst du von eurem muffigen Schloss. Du schläfst bestimmt im Kerker, oder?«
Luna drehte sich weg.
»Verrate mir mal eins!«, stichelte Sofia weiter. »Warum fahren deine Eltern ihre Pralinen eigentlich nachts aus? Sind sie so hässlich, dass sie sich tagsüber nicht raustrauen?«
Antonia und Jule kicherten. »Obwohl waschen bestimmt auch schon helfen würde. Hier stinkt’s!«
»Ja«, gackerte Jule, »irgendwie verkohlt …«
»… nach Streichhölzern«, lachte Antonia spöttisch. »Stimmt’s, Sofia?«
Luna war dunkelrot angelaufen und hatte den Kopf eingezogen. Wurde es Sofia und ihren Freundinnen denn nie langweilig, sie zu verspotten? Wann hauten die endlich ab?
Da sprang Annemie auf, musterte abschätzig Sofias Kleid aus bananengelbem Glitzer und zischte Luna zu: »Lass sie reden!«
Bevor Sofia sich einen Reim darauf machen konnte, stolzierte Annemie an ihr vorbei und zog Luna hinter sich her.
Zum ersten Mal, seit Luna vor drei Jahren in die Schule gekommen war, saß sie beim Mittagessen in der Mensa nicht allein. Annemie saß neben ihr. Einfach so. Es schien sie nicht im Mindesten zu kümmern, dass jeder im Speisesaal ihnen neugierige Blicke zuwarf.
Annemie stöhnte beim Anblick ihrer Blumenkohltaler mit Sojasoße. »Mama steht auf Veggie-Gerichte. Ich muss echt aufpassen, was sie auf meinen Mensachip bucht.«
Luna versuchte angestrengt, nicht auf die Gesichter ihrer Mitschüler zu achten. »Willst du tauschen?«, fragte sie und schob ihre Spaghetti bolognese über den Tisch.
Annemie starrte sie ungläubig an. »Du isst freiwillig Blumenkohltaler?«
»Ist okay für mich. Ehrlich! Du kannst dir nicht vorstellen, was ich zu Hause alles essen muss. Meine Mutter kocht ziemlich schräg.«
»Okay«, meinte Annemie verblüfft. »Danke!«
»Gerne. Eigentlich müsste ich mich bei dir bedanken, wegen vorhin – du weißt schon.« Luna sah zu dem Ecktisch hinüber, von wo aus Sofia sie mit schmalen Augen beobachtete. Annemie folgte ihrem Blick.
»Lässt du dich etwa von so einer einschüchtern? Was denkt die denn, wer sie ist?«
»Die Tochter vom Bürgermeister.«
»Ach«, meinte Annemie nur und schaufelte eine große Gabel Spaghetti in ihren Mund. »Die sollte sich lieber Gedanken um ihr Kleid machen. Da ist ein Haufen Plastik drin. Total unökologisch und es schadet der Natur!«
Als sie heruntergeschluckt hatte, fragte sie: »Welches Thema sollen wir für die Projektwoche nehmen? Hasen, Fischreiher, Füchse …«
»Ist alles vergeben«, entgegnete Luna. »Übrig sind nur noch Möwen, Wildschweine, Lurche und … ach ja, Wölfe.«
»Wow, hier leben Wölfe?«, staunte Annemie.
»Klar, im Spröckel«, mampfte Luna, den Mund voller Blumenkohl. »Sogar ein ganzes Rudel.«
»Was ist der Spröckel?«
»Der Wald hier.«
»Echt? Wahnsinn! Ich würde gerne mal einen echten Wolf sehen. Ob die wirklich so groß sind?« Annemie wickelte ihre letzte Gabel Spaghetti auf und sah Luna erwartungsvoll an.
»Ich glaub schon«, erwiderte die. »Pia Dittmer aus der Parallelklasse sagt, sie hat mal einen am Deich gesehen. Groß wie ein Bär soll der gewesen sein.«
»Im Schwarzwald hatte ich eine Freundin, die einen Luchs gesehen hat.«
Da war es wieder, dieses Wort. Luna schob ihren Teller weg.
Keine Freunde im Schloss.
Zeigst du mir mal das Schloss?«, fragte Annemie auf dem Heimweg von der Schule.
Luna seufzte. Den ganzen Nachmittag schon hatte Annemie sie mit dieser Frage gelöchert. Die letzten Stunden waren Luna wie die schönsten ihres ganzen Lebens vorgekommen. Zum ersten Mal hatte sie eine richtige Freundin. Die allerdings ziemlich neugierig war. Die bloße Vorstellung, in einem Schloss zu leben, versetzte Annemie in helle Begeisterung.