Lyrisches Vermächtnis - Elisabeth Stotzer-Schmucki - E-Book

Lyrisches Vermächtnis E-Book

Elisabeth Stotzer-Schmucki

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Beschreibung

Im Nachlass des Theologen, Kunsthistorikers und Kunstmalers Dr. Johann Schmucki fand sich - vor Kurzen erst und bisher unbekannt - eine aussergewöhnlich reichhaltige Sammlung an lyrischen Werken. Eine signifikante Auswahl aus den gegen eintausend Gedichten verschiedensten Inhalts wird hier erstmals vorgestellt.

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INHALT

Vorwort

Naturerleben

Vom Wesen der Bäume

Blütenzauber

Heimat und Ferne

Arm und reich

Die Grossmutter

Werden und vergehen

Schicksalsfragen, hoffen und bangen

Einsamkeit

Priestertum

Gebete

Weihnacht

Symbolisches, Mystisches

Der erwachende Dichter

Zuneigung

Scherz und Spass

Vermischtes

Gedicht in Original-Handschrift des Johann Schmucki

VORWORT

Es war keine geringe Überraschung, als sich beim Ordnen des schriftlichen Nachlasses unseres Vaters und Schwiegervaters in seinen zahlreichen, sorgfältig geführten Tagebüchern eingestreute lyrische Texte fanden. Es öffnete sich schliesslich eine unglaubliche Palette von sage und schreibe 956 Einzelgedichten, verfasst in den Jahren 1920 bis 1927 und gefolgt von einem abrupten Ende … ein immenses lyrisches Vermächtnis, für dessen Wiederauftauchen wir dankbar sein wollen.

Bei vertiefter Beschäftigung mit den formalen Gegebenheiten der Dichtungen wurde bald einmal ersichtlich, dass Johann Schmucki eine fortschreitende Befreiung vom herkömmlichen, festgefügten Reim- und Rhythmusschema anstrebte, ganz im Sinne der literarischen Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts, in deren Lyrik die äussere Form – Vers, Versmass und Strophenbau – zunehmend an Bedeutung einbüsste.

Die ausgewählten 126 Gedichte aus der 8-jährigen lyrischen Schaffensperiode des Johann Schmucki werden nachstehend einzelnen Sachgebieten zugeordnet; sie sind innerhalb derselben nicht in chronologischer Reihenfolge aufgeführt.

NATURERLEBEN

Die Sonne

Die Sonne kam.

Hoch und feierlich ging sie über das Land.

Voll Liebe

schaute sie zu den armen Erdengeschöpfen nieder,

die am kalten Boden kauerten

und ihre Tage in feuchtem Nebelgrau vertrauerten.

Mitleidig schaute die Sonne jedes an

und hauchte es an

und senkte ein paar Tropfen ihres eigenen Blutes überall hinein.

Da erholte sich alles neu zum Leben

und erhob sich bebend;

und ein Lächeln begann die alte, müde Welt zu durchwittern.

Abschied

Herbstsonnenschein

schimmert verloren durch Nebel herein

auf die Weiden der Berge.

Mit Schellenklang

und Jodelsang

zieht talwärts die Herde.

Wohin sie zieht? Wohin sie zieht?

Der Sonne nach, die den Bergen entflieht.

Herbstsonnenschein

rinnt verloren durch die Nebel herein

auf Wiesen und Dörfchen.

Es kreisen und fliegen

und stürzen sich, wiegen

Zugvögelschwärme im lichten Duft.

Sie üben sich, üben

in jauchzendem Strich und Zug

zum grossen herbstlichen Flug.

Wohin sie ziehen? Wohin sie ziehen?

Der Sonne nach, die dem Nordland entflieht!

Sphinx

Schau die hohe Felsenstirne,

vom Morgensonnenschein beschienen,

wie sie leuchtet,

wie sie thront in königlicher Grösse

und, ob lächelnd,

doch mit unbewegter starrer Miene

wegschaut über Tal und See und Berge,

unverwandt hinüber

nach den hohen, schimmernd hellen Firnen.

Unzähl’ge Menschlein steh’n ihr tief zu Füssen,

schau’n empor zu ihrer Stirn,

erschauernd;

schau’n nach ihrem lichten Lächeln,

jauchzend,

und in ihrem Schatten bauen

Haus und Hütte sie,

der Fürstin Schutz vertrauend.

Ist es nicht, als ob sie winke:

Klimmt empor an meinem Busen.

Ist es nicht, als ob sie locke:

Kommt und holt euch himmlisch schöne Blumen

aus meinem Felsgelocke.

Ist es nicht, als ob sie rufe:

Jäger, klimm‘ herauf die Felsenstufen,

herauf, herauf zu mir;

ich habe für dich manches schöne Tier.

Herauf, herauf, ihr armen Leute;

ich berge in des Mantels dunklen Falten

für euch alle lockend schöne Beute.

Seht die Menschlein emsig klimmen;

hört sie von den Felsenzinnen singen!

Seht die Burschen, seht die Mannen

die Arme um die Riffe spannen!

Hört vom höchsten Stirnenriff den Schuss

des Jägers knallen!

Hört des frohen Jauchzers Gruss

aus sonnenvoller, hochbeglückter Brust

ins Tal hernieder hallen!

Doch sieh!

Das Sonnenschimmern flieht.

Schaut, schaut,

wie ob der Felsenstirne

das Wolkendüster graut!

Bebt ihr Herzen, bebt!

Ein grabesdunkler Schatten legt

sich um die Felsenfürstin her.

Es droht die Not.

Das Felsenantlitz lächelt,

lächelt immerfort,

lächelt starr und regungslos und kalt.

Sahst lächeln du den Tod?

Seht!

Schwarze Grabesschleier legt

die Fürstin um ihr Haupt.

Horcht, horcht,

wie aus dem Düster

die Donnerstimmen droh’n!

Weh, weh,

wie aus der schwarzen Wolkennacht

die Blitze nach dem Frasse züngelnd loh’n!

Dem Armen weh,

der dem Felsensturz

sein Haus vertraut zu Schirm und Schutz!

Dem in Nebelnacht Verirrten,

den das Lichterlächeln lockte

in das Felsgebirge!

Den Jägern, die in Todesbangen

an den Klippen hangen!

Wehe, weh,

wie finster ist die Nacht.

Wehe, weh,

wie’s Felsgebein erkracht.

Wehe, weh,

wie’s tost in den Schründen.

Wehe, Menschen, weh,

bereuet eure Sünden!

Wer weiss, wie lange

sich diese Schreckensstunde trug?

Wer weiss, wie bange

das Herz den Todgeweihten schlug?

Schliesst euch, ihr Augen,

seht nicht der Verzweiflung Grausen!

Die Nacht entflieht;

die Donnerstimmen sich verzieh’n.

Die Felsenfürstin schlägt den schwarzen Schleier

von ihrem Angesicht zurück.

Es lächelt,

lächelt starr und regungslos und kalt,

blickt stolz hinweg,

ob See und Tal und Trümmerfall,

hinüber zu den fernen

leuchtend kalten Firnen.

Das Mysterium

Es steht im violetten Düster

Stamm an Stamm im Waldesrund.

Wie still! Kein Lüftchen flüstert

aus dem geheimnisdunklen Grund.

Ein Sonnenstrahl! Wie Gold

es flammt von Ort zu Ort.

Mag’s schimmern noch so hold,

mich schauert ob dem Dunkel dort.

Der Sturm

Was sind das für Schatten, die sich werfen

in die siedende Luft,

aufs glühende Pflaster?

Dunkle Wolken rennend und hastend

am Himmel hin stürmen.

Wer treibt sie an, wer peitscht sie fort?

Sie türmen

sich in die Sonnenbahn.

Finster der Himmel.

Das Volk auf den Strassen läuft und wimmelt

ameisengleich von seinen Geschäften

um Ecken, durch Gassen und Gänge,

sich schiebend und drängend,

das heimische Nest zu erreichen.

Papierwische rascheln,

gleich Kobolden springend und zappelnd

die Strassen dahin

und kehren um,

im tollen Tanz sich zu drehen und zu schwingen

in närrischer Lust, als gingen

irre Geister in ihnen um.

Lauf, lauf, lauf!

Schau dich nicht um.

Dort hinter den Türmen steht

eine düstere, graue, unheimliche Wand;

sie geht, sie weht

und kommt heran!

Nur schnell nach Haus,

es bleibt nichts aus.

Schon wirbelt Staub;

das Windross tobt und schnaubt.

Hörst du es klatschen?

Grosse, schwere Tropfen platzen

auf dem Pflaster.

Dann alsbald eins, zwei, drei:

Ein Trommeln und Prasseln auf dem Hut.

Ja, ja! Das wäscht den Staub dir gut

von dem versengten Nacken!

Herbststurm

Sieh!

Am Horizont stehen

blutende Alpenspitzen;

entschleiert im Lichte sie blitzen.

Ihr Hohen,

wer hat euch den hüllenden Schleier geraubt?

Weh, weh!

Es drohen

finst’re Gestalten, eh man es geglaubt!

Flieht!

Es leuchtet zwischen den Wolken das Blau

wie ein Schimmern im angsterregten Aug‘.

Schau, sie weh’n.

Schon stürmen heran

verheerender Mächte finstere Knechte

auf Wolkenrossen!

Fühlst, wie die Erde zittert?

Hörst du das ferne Tosen?

Es fällt über uns, wie Nacht,

des Sturmes Macht

mit zermalmendem Stosse.

Schon hat sie in rasender Hast

die entlaubten Wipfel erfasst

und zerrt sie hin und her.

Wer will sich setzen zur Wehr?

Ast und Wipfel knackt

und fliegt zur Erde und kracht,

was das Leben morsch und krank gemacht.

Staubwolken fliegen.

Blätter in irrer Wucht zerstieben.

Am Fenster klatscht’s.

Wild rüttelt’s an Toren und Gittern

und kommt herein.

Die Menschen schlüpfen zitternd

in die Ecken hinein

und horchen, wie’s tobt und kracht,

und fühlen des Todes Macht,

die naht in den Wettern

furchtbar zerschmetternd

was alt und krank und siech.

Einst trifft sie auch dich!

Es stillt,

es lichtet

Des Sturmes Werk ist verrichtet.

Noch zittern die Bäume, wimmern.

Sieh im fahlen Schimmern

die unholde Macht dort zieh’n,

von dannen flieh’n!

Gefegt

ist Garten und Flur und Weg.

Komm, Winter, und decke mit deinem Tuch

jetzt alles zur Ruh‘.

Bedroht

Wasser wirbeln und quirlen und wallen

wie Schlangenleiber, die sich umschlingen, ringeln und ballen

und fauchen und stöhnen in Wut und Angst und zischen,

wenn ihre Ungestalten mit weissem Schaum

an einem Stein verspritzen.

Geheuer ist’s nicht an diesem Ort;

ich will fleih’n!

Felsen stellen sich vor,

wie ein feindliches Knie

am Weg, wo im Abgrund die Wasser toben.

Felsen bäumen sich beiderseits zu steilen Wänden.

Vom Himmel seh’ ich hoch oben nur

ein schmales, graues Gelände.

Felsen dräuen droben,

von unsichtbaren Händen gehalten,

um sich daran zu letzen,

wenn sie die Wasser voll Entsetzen

auseinander spritzen

oder sie loszulassen auf mich,

mich zermalmend zu einem elenden Brei?

Es klettert die halbe Wand empor mein Schrei

und kollert wieder

mir vor die Füsse nieder.

Die Quelle

Ein Wässerlein entquoll dem Grunde

in eines Haselstrauches Dunkel.

Man hörte in der stillen Runde

sein geheimnisvoll Gemunkel.

So hört‘ auch einst ich es verwundert

bei meinem knabenhaften Streifen

und staunte zu dem Grund hinunter,

das dunkle Rätsel zu begreifen.