Mädchen leisten Widerstand - Martins Anyanwu - E-Book

Mädchen leisten Widerstand E-Book

Martins Anyanwu

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Beschreibung

Girls Resist ist die herzzerreißende Geschichte eines jungen Mädchens, das sich leidenschaftlich für eine gute Ausbildung und ein Leben ohne männliche Belästigung und soziales Profiling einsetzt, und das mit außergewöhnlicher Leidenschaft erzählt wird. Ihr Widerstand gegen die frühe Heirat brachte sie in Konflikt mit ihrer Existenz. Ihre Beziehung zu Uche, einem jungen und ehrgeizigen Mann, der von einem leidenschaftlichen Hass auf gesellschaftliche Missstände erfüllt ist, wurde durch den berüchtigten tödlichen Angriff der Extremisten von Bokoharam zerrissen. Diese unerwartete, groteske Unterbrechung kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Es war eine schreckliche Katastrophe, eine Absurdität, die Zainab zu den schrecklichen Erfahrungen zurückbrachte, vor denen sie immer weggelaufen war. Uches Engagement in der Civilian Joint Task Force, einer freiwilligen Gruppe von Zivilisten, die aufgrund der Untätigkeit des Militärs im Kampf gegen die Terroristen die Sicherheitsüberwachung übernahmen, war der Wendepunkt in der Geschichte. Er zeigte eine Charakterstärke, die von unerschütterlichem Mut geprägt war. Seine innere Zähigkeit war auf untypische Weise liebenswert, eine Kraft, die die stammesbedingten, soziokulturellen und religiösen Verwicklungen, die ihr Leben prägten, unterlief. Er triumphierte nicht, weil er durchhielt, sondern weil er den Sumpf von Korruption, Vetternwirtschaft und Selbstverherrlichung aufdeckte, der das Militär im Koma hielt. Ob ihre Affäre Bestand hat, ist eine schwierige Frage, die der Leser zu lösen hat.

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Gewidmet Leah Sharibu, und den vielen anderen Chibok-Mädchen, die nie zurückgekehrt sind

Vorwort

In einer Gesellschaft, stolz auf ihre Geschichte, gesegnet mit einem fruchtbarem Land, einzigartiger Natur und natürlichen Ressourcen, wurden die Enkelgenerationen zu Almosenempfängern. Die Hälfte der Menschen lebt in der weltweit niedrigsten Lebenserwartung, ohne Zugang zu sauberem Wasser und unterhalb der Armutsgrenze von zwei US-Dollar am Tag. Und das, obwohl Nigeria einer der weltgrößten Ölexporteure ist, aber die Erträge kommen nicht bei seinen Menschen an. Der Terror schafft Zehntausende von Opfern und Millionen Binnenvertriebene. Nur die Hälfte der Kinder kann zur Schule gehen. Sie sind gezeichnet von Armut, Krankheit und Kinderarbeit, werden zu Kindersoldaten oder sind Opfer sexueller Gewalt. Nigeria, ein Land des Lächelns und des Leidens als Markenzeichen.

Wie viele andere träumen zwei junge Liebende vom Leben in Würde und in einer freien Gesellschaft über ihre Kultur und Religionen hinweg. Doch nach einem Terroranschlag sind sie und ihre Angehörigen, wie so viele in den doch einst so stolzen Familien und Städten, plötzlich in Verzweiflung und Angst. Und die Tritte ihrer terroristischen Peiniger holen sie aus ihren Träumen in die Realität zurück.

Selbst auch Familienmitglieder werden aus religiöskonventionellen Gründen missachtet oder zwangsverheiratet. Polizei und Kirchen versprechen nur gegen Geld Hilfe. Korruption bis in höchste Kreise im Militär und der Politik gehört für die Menschen zum Alltag. Das Land, eine Gesellschaft ohne Sozialkapital, ohne Werte und Würde, Vertrauen und Respekt, riecht nach Blut. Tausende Schulkinder werden von Terrorgruppen wie Boko-Haram entführt, versklavt und missbraucht. 2014 wurde die Welt auf die Chibok-Mädchen, 270 entführte Schülerinnen, aufmerksam. Noch heute werden über 100 von ihnen vermisst. Doch seit einigen Jahren bilden sich lokale Bürgerwehren, Civilian Joint Task Force (CJFT), gegen diesen alltäglichen Terror.

Dieser Roman steht repräsentativ für viele Länder und Gesellschaften in Afrika und der ganzen Welt, wo religiöse und politische Fanatiker ihr eigenes Volk kriminell unterdrücken. Der junge nigerianische Autor hat auch eigene Lebenserfahrungen in diese packende und emotionale Geschichte einfließen lassen. Ebenso wie Reflexionen seiner Masterarbeit über den Zugang zu Bildung von Mädchen in Nigeria.

Die durch ihre Bildung gewachsene starke Persönlichkeit der beiden Verliebten, die auch in der Gefangenschaft der Terroristen nicht zu brechen ist, hilft ihnen zu überleben und Widerstand zu leisten. So fragt sich Uche, der sich dem Widerstand anschließt, wie dieses Land wieder in seine Kultur zurückgebracht werden kann ... wenn das Land nach Blut riecht?

Ein ganz persönlicher Dank gilt dem jungen Autor, nachdem ich ihn schon in seinem Master-Studium in Deutschland begleiten durfte. Ich bin kein ausgebildeter Übersetzer, doch es ist mir eine Ehre, diesen zuerst in Englisch erschienenen Roman zu übersetzen.

Harald Meier, Bonn im August 2023

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapital 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Epilog

Danke

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Kapitel 1

Es war nur scheinbar ein nebeliger Freitagabend. Die untergehende Sonne polierte den Smog in der Stadt und vergoss ihr goldenes Licht weit über die umliegende Landschaft des Sahara-Beckens. Es war dieses Licht, das Uche immer wieder erinnerte, dass das Leben für ihn noch viele Möglichkeiten bereithielt. In seiner rechten Hand hielt er den Umschlag, Herzlichen Glückwunsch Herr Ukpabia ..., unterzeichnet Access Bank. Endlich, nach seinem Studium und langen Monaten der Arbeitssuche mit zahllosen Interviews, hatte er ein Angebot für einen angemessenen Job.

Während er wahrnahm, wie sich der Straßenverkehr zu dieser Tageszeit langsam immer mehr verdichtete, hielt er ein Keke-napep an. Dieses dreirädrige halboffene Mototaxi würde ihn schneller und bequemer zum Ziel bringen. Die im Berufsverkehr zusätzlichen 30 Naira1 verglichen zum sonst üblichen Fahrpreis von 70 Naira, könnte er nun locker entbehren. Zweifellos war es bis jetzt ein hektischer Tag gewesen, und er war erschöpft und hungrig. Doch innerlich war Uche sehr zufrieden. Mit diesem Jobangebot in der Hand hatte sich der Tag bis jetzt schon mehr als gelohnt. Nachdem er Platz genommen hatte, und sich das Mototaxi rasant durch die unzähligen Autos, Radfahrer und Menschen schlängelte, legte er den Kopf zurück und blickte nach oben zur Decke. Er erlaubte sich jetzt einen kurzen Moment des Stolzes und der Zufriedenheit. Und dann dröhnte auch noch dazu aus dem Musiklautsprecher des Fahrers sein aktueller Lieblingssong von Koredo Bello, I don get alert, God win. Uche drehte seinen Blick und blickte zur Seite. Der Horizont flimmerte wie ein endloses Band Diamanten während seine Gedanken zu Zainab wanderten. Wie froh und entzückt würde sie wohl sein, wenn sie von seiner neuen Arbeit erfährt? Zu ihm nach Hause konnte er sie noch nicht einladen. Seine Eltern würden diese Beziehung missbilligen. Doch Uche war fest entschlossen sie zu heiraten, komme was wolle. Und er hatte Zainab immer wieder versprochen, dass nichts auf der Welt, nicht einmal ihre Eltern, ihrer beider unterschiedlichen Religionen oder ethnische Zugehörigkeit ihnen im Weg stehen könnten. Aber sie beide waren gewillt diese Herausforderungen auf sich zu nehmen; es war auch ihre Entschlossenheit, die ihm so gut an ihr gefiel. Dann hielt das Mototaxi am Komkom-Halt. Er stieg aus und winkte gleich einem Metaba, einem Radkurier. Der verlangte einen Wazobia2 für eine Entfernung, die Uche normalerweise auch zu Fuß hätte gehen können. Doch nun, an diesem für ihn bisher so perfekten Tag, wollte er keine Anstrengungen mehr. Ihm war jetzt nach Genießen und später zu feiern. Uche setzte sich auf den gepolsterten Gepäckträger und stützte sich mit seinen Schuhen auf den Fußstützen für Mitfahrer ab, bevor der Radkurier kräftig in die Pedalen trat und in Richtung Alhaji-Aliyu-Straße lenkte.

Zuhause angekommen, kam sofort seine jüngere Schwester Adamma aus der Küche ins Wohnzimmer zur Begrüßung. Sie hatte ihre Küchenarbeit unterbrochen, um zu schauen, wer wohl ohne Anzuklopfen ins Haus gekommen war. “Oh, Uche, ich grüße Dich. Du bist zurück, wie war Dein Tag?" fragte sie ihn. "Rate mal?" antwortete er mit einem strahlenden Lächeln. “Bitte, bitte sag mir, wie ist es gelaufen? Du weißt doch, ich kann nicht gut raten.“ “Endlich habe ich es geschafft“ schrie er fast heraus. “Oh du meine Güte!" schrie seine Schwester auf. Sie streckte ihre Arme aus und umarmte ihn. "Lass uns Gott danken. Oh Gott, ich bin so glücklich. Wie wollen wir denn feiern?" “Mach Dir keine Gedanken darüber. Wir werden auf jeden Fall eine Flasche Champagner knallen lassen,“ sagte er, und drückte sie dabei fest an sich. “Uche, Du siehst müde und erschöpft aus." “Ja natürlich“ antworte er, “aber sag, was gibt es Leckeres in der Küche?“ “Wir müssen wahrscheinlich noch etwas warten,“ antwortete seine Schwester, “die Brotfrucht vom Markt gestern kocht schon ziemlich lange, aber sie ist immer noch hart. Ich glaube sie war zu alt.“ “Schade,“ schmollte Uche grinsend. “Na,. Du hast schon verstanden. Aber wenn Du nicht warten kannst, dann mache ich Dir einen Garri, den Brei aus Maniok, den Du so magst. Und dazu habe ich noch Erdnüsse und Zucker. Aber das ist im Moment alles zu essen, was wir im Haus haben,“ antwortete sie. Uche schluckte und lächelte, während er seine Schwester ansah. Er spürte die trockene und leise flüsternde Brise, die von den Kokospalmen aus der Nachbarschaft kam, und die sich mit dem Duft der Brotfrucht aus der Küche vermischte.

Uches Telefon vibrierte; der Anruf kam von seinem besten Freund Danjuma. Uche zögerte kurz und drückte dann die Empfangstaste. “Hallo.“ Mit dem traditionellen “Kai abokina, Du mein Freund,“ begrüßte Danjuma ihn und “ich hoffe, Du hast das Spiel heute, Chelsea gegen Barcelona, um viertel vor neun heute Abend nicht vergessen?“ "Oh Mann, das hätte ich doch jetzt glatt vergessen! Danke, dass Du mich erinnerst. Natürlich sehen wir uns,“ antwortete Uche sofort freudig. “Okay, no wahala, no problem,“ hörte er Danjuma im nigerianischenglischen Slang. Nach dem kurzen Gespräch holte Uche tief Luft und ging in sein Zimmer. Dort ließ er seine Tasche fallen und ging ins Bad um sich frisch zu machen.

Kurze Zeit später, auf der Matratze aus Schaumstoff auf dem Boden liegend, nahm er sein Handy bei einem neuen Anruf auf. "Hallo Liebster, wie war Dein Tag?" “Hallo Zainab. Ja, mir geht es gut, und wie geht es Dir?“ erwiderte er freudig. “Alles ist gut mein Schatz. Schön, dass Dein Tag auch gut war,“ hörte er Zainabs geliebte Stimme. “Sicher, und ich habe auch gute Nachrichten für Dich,“ hob sich seine Stimme weiter an. "Wirklich?“ fragte sie sofort neugierig. "Ja, auf jeden Fall. Kannst Du mich heute Abend um acht Uhr im Bar-Restaurant Top Liga treffen?“ senkte Uche nun seine Stimme geheimnisvoll. “Okay,“ kam sofort angeregt von ihr zurück. Ich freue mich.“ “Okay meine Liebste, bye bye,“ verabschiedete er sich, als Adamma mit einem Tablett Essen für ihn ins Zimmer kam.

Am Abend, vier Minuten vor Acht, stand Uche mit einer kalten Flasche Star-Bier in der Hand neben seinem Freund Danjuma an der Bar, der als Bier ein Ultimate Gulder bevorzugte. Dieses Spiel am Abend war besonders, es wurde wahrscheinlich weltweit von allen echten Fußballern und Fußballfans mit Spannung erwartet. Uche hatte sein blaues Jersey-Shirt mit dem Chelsea-Emblem gewählt. Er war groß, sein kräftiger sportlicher Körper wirkte ausdrucksstark, und das dunkle volle Haar war kurz und modisch getrimmt. Uche war wie sein Vater. Vielleicht nannte sein Vater ihn auch deshalb oft Omekannaya, der Mann, der sich wie sein Vater verhält. Seine engagierte und eigenständige Denkweise, gepaart mit hartnäckigen Stolz, waren Charakterzüge, die er von seinem Vater hatte. Auch sprach er fließendes Hausa, die regionale ethnische Sprache, und war mit den hiesigen sozio-kulturellen und religiösen Werten und Verhaltensweisen vertraut, das andere seinen christlichen Glauben nicht erkennen konnten. Danjuma hingegen trug einen weißen islamischen Kaftan, bestickt mit Danchiki, den traditionellen Insignien, und eine dazu passende traditionelle Gebetsmütze. Zwar war er in der Tradition des Islam geboren und beschnitten, doch trank er wie viele junge Menschen auch mal Alkohol oder aß auch mal Speisen, die in der der streng-konservativen islamischen Tradition geächtet waren. So war er sicher kein so guter Muslim im traditionellen Sinne, denn er hielt sich auch nicht so streng an das Ramadan-Fasten und betete auch nicht täglich fünfmal am Tag.

Die Nacht war schon tiefschwarz, ganz ohne Mondschein. Am wolkenlosen Himmel funkelten nur schwach die so unendlich weit entfernten Sterne. Zehn Meter von ihnen entfernt strahlte an der Wand ein großer 52-Zoll-LCD-Bildschirm. Die Freunde tranken schluckweise ihr Bier und sprachen über die beiden Teams, und wieso Chelsea trotz des Abstiegs in der letzten Liga-Saison in dieses Finale hatte kommen können, als Zainab eintrat. “Salaam alaikum, Friede sei mit Euch,“ grüßte sie fröhlich lächelnd. “Auch für Dich Friede und die Barmherzigkeit Allahs und seinen Segen,“ erwiderte Uche. Danjuma nickte zustimmend. “Ich dachte, Du würdest nicht kommen, und auch mit welcher Ausrede wohl?“ ergänzte Uche verschmitzt lächelnd, während er sie mit seinen kräftigen Armen zart an sich zog. Ihre schwarzen Augen funkelten, und die Grübchen in ihren Wangen zeigten ihre Freude, als sie leicht lachte und ihn zärtlich neckte. “Hör doch auf, bitte.“ Ihr Lachen klang wie eine Rhapsodie für Uches Ohren. Er ließ sie los und bot ihr den Platz neben sich an. Nun bemerkte er auch Danjumas erstaunten Gesichtsausdruck. Der hatte ihm mal gesagt, dass er und Zainab aus demselben Dorf Jimbi stammten, und er früher dort ihr Senior-Pate im islamischen Kindergarten und später der Grundschule war. Und durch Danjuma wusste Uche, das Zainabs Vater ein streng konservativer Muslim ist. Deshalb war ihm sofort klar, dass sein Freund nun neugierig auf seine Beziehung zu Zainab war. “Ja Danjuma, Du siehst hier meine Verlobte,“ sagte er, und er legte dabei seinen linken Arm um Zainabs Schulter. Danjumas Augen weiteten sich und sein Mund stand staunend auf. "Machst Du hier etwa Witze?" “Nein Danjuma, das ist kein Witz. So ist es.“ “Das kann nicht Dein Ernst sein Uche. Weiß denn Ihr Vater davon?" "Nein, noch nicht. Aber er wird es erfahren, wenn die Zeit reif dafür ist,“ erwiderte Uche und zog Zainab wie zum Beweis näher an sich. “Du hast mir nie gesagt, dass Dir das ernsthaft im Sinn steht?“ kam halb fragend von Danjuma, der sich immer noch nicht sicher war, ob Uche es im Ernst meinte. “Was soll ich noch sagen? Liebe ist eben ein unberechenbares Abenteuer,“ antwortete Uche seinem Freund. “Und wann hast Du ihr einen Antrag gemacht?“ fragte sein Freund immer noch etwas ungläubig. "Schon vor mehr als einem Jahr.“ Was? Es ist schon über ein Jahr her. Wie kommt es, dass ich es nicht wusste?" “Nnamahn, mein Freund, wir haben beschlossen, zunächst mal cool zu bleiben, bis es an der Zeit ist, es offiziell zu machen. Also, was denkst du?" Danjuma lächelte und sah Zainab an. “Zainab, Du kennst Deinen Vater. Meinst Du, er wird seine Zustimmung so einfach geben?“ “Nun, das ist ja das Problem Danjuma,“ antwortete Zainab schnell und etwas aufgeregt. “Wirst Du uns helfen mit ihm zu reden um mir zu erlauben, meinem Herzen zu folgen?“ "Wallahi, bei Allah, das wird ziemlich anstrengend. Aber es kann ja auch nicht schaden, es zu versuchen."

Inzwischen war die Bar voller geworden und Uche fühlte, das es nun Zeit war, seiner Liebsten von seinem gerade neuen Job-Angebot zu erzählen. Und gleichzeitig spürte er, wie mit einem sechsten Sinn, ein Kribbeln im Nacken. Sofort war ihm ein altes Sprichwort bewusst, man sollte immer alles hinter seinen Rücken überprüft haben, denn jemand könnte Dich angreifen. Sofort waren seine Sinne scharf und sein Blick suchte wie ein Scanner schnell die Bar von links nach rechts ab. Er checkte die Uhrzeit auf seiner Lederarmbanduhr. Es war noch eine Minute bis Spielbeginn. Sprichwörtlich würde es lange dauern, die Schafe von den Ziegen zu unterscheiden, in dieser Stadt, deren wirtschaftliche Situation in letzter Zeit förmlich am Boden lag. Eine gefürchtete Sekte hatte eine Ideologie der Gewalt gesät, die neu für diesen afrikanischem Boden hier und zu einer großen Last für die Menschen geworden war. Früher war Borno, eine antike Stadt mit einer Jahrhundert alten Tradition im Nordosten Nigerias, ein agrar-ökokomisches regionales Zentrum. Eine zumeist friedliche Stadt und reich an Geschichte, die auch trotz moderner Entwicklungen ihre konservativen Werte nicht verloren hatte. Und ihre Einwohner zeigten ihr Glück und achteten mit Bedacht auf ihre Religionen und Sitten, mit denen sie sich auch gerne für die Touristen ein wenig darstellten. Irgendetwas machte Uche vorsichtiger. Seine Nackenhärchen hatten sich aufgerichtet, und sein Herzschlag war schneller geworden. Er fühlte eine innere Alarmbereitschaft, das ihnen hier jetzt etwas passieren könnte, obwohl es keinerlei Hinweis darauf gab, das etwas hier falsch war oder Gefahr drohte. Er meinte hinter dem Fenster seltsame Bewegungen außerhalb der Bar wahrgenommen zu haben. Doch nun sah er nur Äste, die sich im Abendwind bewegten. Trotzdem weigerte sich etwas in ihm sich zu beruhigen, während sein Blick wie unbewusst weiter die Umgebung leicht nervös absuchte. Dabei nahm er sein Bier, trank einen langen Zug, doch das Bier, das ihm sonst so gut schmeckte, war irgendwie etwas bitterer als sonst. Als er schluckte, hatte er im Magen das Gefühl, das nun wirklich etwas falsch war. Im Mund zurück blieb ein Hauch von Pechgeschmack während er über seine nun trockenrissigen Lippen leckte und den Kopf leicht neigte.

*****

Abuka und seine Männer hatten gerade die Top League-Bar erreicht, und sie waren zuversichtlich und bereit für den geplanten Angriff. Heute Abend galt der Befehl für ihre Operation möglichst niemanden zu töten, sondern sie sollten versuchen junge Männer als künftige Kämpfer zu rekrutieren. Wehe einer würde sich Abukas Befehlen widersetzen; als der Anführer der Terrorgruppe hatte er schon Tausende töten lassen und auch selbst Unzählige getötet. Und schon bei einer geringfügigen Provokation würde er jemanden mit gezieltem Schuss auch noch auf zwanzig Meter töten; bei Tag und bei Nacht. Aber er war eigentlich auch noch nie in einen direkten Kampf mit Widerstand geraten. Der Einsatz heute Abend war für ihn so wie sonst auch. Zudem unterstützte sie die dunkle Nacht. Und es gäbe auch keine wirklichen Feinde für ihn, die ihm hier und zudem am Wochenende Sorge bereiten könnten. Abuka lebte mit seiner Gruppe als absoluter Herrscher nun schon zwölf Jahre in den dschungelartigen Buschwäldern der Region. Aber auch wenn er Herr des Waldes war, so war es außerhalb des Waldes immer auch ein etwas unbekanntes Gebiet für ihn. Er wusste, dass er immer wachsam bleiben musste. Abuka lebte auch in der Vorstellung einen fundamental-religiösen Staat zu schaffen. Diese Bars und Restaurants überall waren ein westliches Übel, das es auszurotten galt. Aber jeder dieser Ungläubigen sollte die Gelegenheit haben, doch noch ein Krieger bei ihm zu werden, oder er sollte sich seinem Schicksal stellen. Abuka war ein ehemaliger Sträfling. Als politischer Schläger, der seine Haftstrafe abgesessen hatte, und mit Narben und Schusswunden am ganzen Körper, war er nun zurück. Und im Zentralgefängnis von Kuje nahe Abuje, der Hauptstadt Nigerias, überlebt zu haben, galt in seinen Kreisen als eine Errungenschaft und Auszeichnung. Obwohl Abuka nicht übermäßig groß war, wirkte er doch furchterregend und riesig mit seinem um den Kopf gebundenen Turban. Diesen nutzte er als Symbol des Terrors.

Gerade als der Schiedsrichter das Spiel angepfiffen hatte und man den ersten Ballkontakt von Didier Drogba sah, zerrissen ohrenbetäubende Schüsse die Luft. Taktak-tak...tak-tak-tak, gefolgt durch Rufe, “Allahu Akbar! Allah ist groß!“ Danjuma versuchte sofort zu fliehen, doch einer der Terroristen, nur wenige Schritte von Ihnen entfernt, feuerte mit einer AK47, dem leichten Sturmgewehr, zweimal auf seinen Kopf. Danjumas Körper verkrampfte sich heftig und Blut spritzte bis hin in Uches Gesicht, bevor er seinen Freund zusammenbrechen sah. Mit vor Entsetzen und Schock weit aufgerissen Augen blickte Uche direkt in die Augen des furchterregenden Terroristen vor ihnen und wollte schreien, oh Gott! Doch seine Stimme versagte. Er atmete geräuschvoll aus und wusste augenblicklich, dass jede Art Schreie oder auch eine Reaktion, Zainab neben sich festzuhalten, seinen sofortigen Tod bedeuten würden. Auch all die anderen Gäste in der Bar standen oder saßen still und regungslos. Und Uche wusste, das auch ihre Gedanken gleich waren wie seine, als der erste Schreck und Adrenalinstoß in ihm nachließ. Alle hier wussten in diesem Moment, nichts konnte getan werden, um sich zu verteidigen. Sie hatten alle gleichermaßen verstanden, jeder Widerstand würde ihren sofortigen Tod bedeuten. Niedergeschlagen akzeptierten sie ihr Schicksal und verharrten regungslos. So musste Uche auch fassungslos zusehen, wie die Geliebte gewaltsam von ihren Entführern nach draußen zu einem wartenden Lieferwagen geführt wurde. In ihrem Blick sah er ihr Flehen sie vor ihren Entführern zu retten. Doch auch sie wusste genau wie er, das er hilflos war. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Obwohl er versuchte sie zu unterdrücken, wusste er, das sie über seine Wangen liefen. Er spürte seinen pochenden Puls und das Blut in seinen Adern heiß, so als wenn er sich einem Herzstillstand näherte. Nichts konnte er tun, um sie aus der Verzweiflung in ihren Augen zu retten; er konnte nicht rufen um sie zu trösten. Die schwer bewaffneten Terroristen sammelten alle Gäste in der Bar und führten sie in die Dunkelheit hinaus. Uche schwieg, als einer der Angreifer ihm befahl aufzustehen und ihn zum Gehen drängte. Er gehorchte stillschweigend. Eine angespannte Steifheit erfasste seine müden Beine, als er zu einem SUV-Pickup mit offener Ladefläche gedrängt wurde.

Gedanken an Zainab durchfluteten ihn und Kummer stieg in ihm auf, als er sich das Schicksal vorstellte, das sie in den Händen dieser herzlosen Extremisten erwartete. Sein Magen verkrampfte sich vor Schmerzen. Uche bedauerte zutiefst, sie zu diesem Abend eingeladen zu haben. Innerlich verzweifelt fragte er sich, wie sich das Leben und die Nachbarschaft hier verändert hatten. Er war ein Jahrzehnt nach dem Bürgerkrieg hier geboren und aufgewachsen. In der Erinnerung sah er eine lebendige Stadt mit Straßen voll Verkehr und Bürgersteige voll Menschen, Verkäufern und Bettlern. Diese für ihn einst so belebte und sichere Gegend, in der man auch in der Nacht sorglos alleine draußen umher gehen konnte, wirkte immer verlassener und öde. Der Emir-Palast, der Millennium-Park oder die Nkwobi-Kreuzung. Die großartigen Szenarien, die einst die Nacht erhellten, wirkten jetzt immer düster und verlassen. Diese einst stolze Stadt war in Verzweiflung und Angst versunken.

Uche sah in die ihn umgebende Dunkelheit. Seine Zukunft war nun wieder ungewiss und komplizierter als erwartet. Doch er sammelte sich langsam. Es war jetzt eine neue Herausforderung, die Mut erforderte, obwohl sie auch mit den Schmerzen über den Verlust seines eben getöteten Freundes und der entführten Geliebten verbunden war. Die hellen Scheinwerfer der Terroristen-Fahrzeuge schwenkten in die Dunkelheit und wirbelten dicke Staubwolken auf, als sie sich mit durchdrehenden Reifen in Bewegung setzen. Uche hockte mit den Händen über dem Kopf auf der Ladefläche des Pick-up, als der Konvoi nun immer schneller davonraste. Nachdem sie das Stadtzentrum verlassen hatten, wurde die Straße holpriger und schmaler. Der Weg bestand aus Unebenheiten, Schlaglöchern und tückischen Steinen. Noch schlimmer aber waren die aufgewirbelten Staubwolken durch den Konvoi, der das Atmen fast unmöglich machte. Uche ermutigte sich selbst mit einem Sprichwort seines Vaters. Das Horn der Kuh kann für sie nie zu schwer sein, um es zu tragen. Diese Worte seines Vaters trösteten ihn, während die Fahrt immer weiter ging. Seine Gedanken waren endlos und der Himmel war noch dunkel. Uche wusste, dass es bis zur Morgendämmerung nicht mehr lange dauerte. Er spürte, wie er müde von der langen Fahrt wurde.

Dann fand er sich in einem Raum wieder. Es war fast wie in einem Traum, als er auf eine Pritsche niedersank. Als er seinen Kopf auf das Schaumkissen legte, konnte er die Sterne hoch am noch dunkelblauen Himmel durch ein Fenster winzig funkelnd sehen. Uche schloss die Augen. Jeder Schritt, der ihn hierher geführt hatte, jede Begegnung auf dem Weg, blitzten als Szene wie durch einen Diaprojektor immer wieder in ihm auf.

1 30 Naira: 6 Cent.

2Wazobia: Slang für den nigerianischen 50 Naira-Schein.

Kapitel 2

Auf dieser Fahrt durch die Nacht erinnerte sich Uche, wie er einen Tag vor seinem obligatorischen naturwissenschaftlichen nationalen Jugenddienst, dem National Youth Service Corps, die sozialwissenschaftliche Fakultät verließ. Als er damals durch den Korridor ging, bemerkte er die hübsche junge Frau vor der Fakultät auf einer Bank sitzend. In ihren geröteten Augen standen Tränen, und er hatte kurz innegehalten und sie und die beiden Frauen, die tröstend bei ihr standen, betrachtet. Sie trug den Hijab3 als mehrfarbigen Kopfschleier bis zur Schulter, der nur ihr Gesicht frei ließ. Sie erschien ihm größer und schlanker als die beiden anderen. Ihre Persönlichkeit strahlte Wärme und Liebenswürdigkeit aus. Und als er die Fakultät wieder verlassen wollte, waren die beiden Begleiterinnen der jungen Frau gerade dabei sich von ihr zu verabschieden. Deshalb wartete Uche bis sie gegangen waren, und dann ging er langsam auf diese so hübsche aber traurige Frau zu. Da er im Vergleich zu ihr relativ groß war, lockerte er seine Haltung, um sanft zu wirken. Nur noch sie wahrnehmend, berührte er leicht ihre Schulter.

“Meyasa, kike kuka, junge Frau, warum weinst Du?“ fragte er im Hausa-Dialekt. Und weiter, “ich sah Deine Tränen schon, als ich hier vor einer Stunde in die Fakultät ging. Und jetzt weinst Du immer noch. Gibt es eine Möglichkeit für mich Dir zu helfen?" Zainab blickte auf und Uche bemerkte ihre geschwollenen Lider. Ihre Tränen wollte sie ihn offenbar nicht sehen lassen, denn sie senkte den Blick sofort wieder. Uche bot ihr die Hand, um sie Gang entlang nach draußen zu führen. Zainab konnte nicht widerstehen und gab schweigend nach. Sie gingen zu einem offenen Pavillon neben dem Fakultätsgebäude, da wo Studierende sich normalerweise zu Müßiggang und Tratsch trafen. Uche suchte einen freien Platz, wo sie sich auf den Boden setzen konnten. Er appellierte an ihre Gefühle und sagte, “pass auf, die Leute in der Umgebung hier beobachten alles.“ Seine zurückhaltende Vorsicht beruhigte Zainab etwas. Sie war nicht nur äußerlich schön, sie wirkte auf ihn auch innerlich so. Ihre ruhige Würde und leichte Art waren anders als die der meisten hier üblich lärmenden und aufgedrehten jungen Frauen; die schokoladenbraune Hautfarbe, funkelnde schwarze Augen, eine schmale Nase, die ihre Wangen vorteilhaft verbreiterte, eine elegante Mischung von allem. Es ließ sie wie ein wunderbares edles Hausa-Fulani-Geschöpf aussehen. “Yarinya, junge Frau, wie ist Dein Name?“ fragte er sie in seinem hier gewohnten Hausa-Dialekt. “Zainab“ antwortete sie. “Dann Zainab,“ begann er, “sag mir bitte, gibt es ein Problem?“ In Uches Stimme klang eine sich sorgende Zuneigung. Und wieder kamen ihr Tränen, als sie verzweifelt versuchte ihren Blick zu halten. Dabei senkte sie wieder ihren Kopf, um nicht ihr Gesicht offen zu zeigen. “Wallahi tallahi! Malami, ich schwöre bei Allah!, Herr Lehrer, mein Herz ist verzweifelt.“ Zainab bezeichnete ihn als Malami, weil sie annahm, Uche sei ein um sie besorgter Dozent hier an der Fakultät. Uche sah ihren sich dabei aufrichtenden Oberkörper und den Schmerz in ihren Augen und beugte sich etwas zu ihr. "Was denn das für ein Problem?" “Es geht, geht um meine, um meine Einschreibung,“ stammelte sie. "Und was ist damit?" fragte Uche. "Ich kann die Studiengebühren nicht bezahlen und morgen läuft die Frist ab," antwortete Zainab unter Tränen, die auf Bücher fielen, die sie im Schoß hielt. "Und was ist mit Deinen Eltern?" fragte er. “Ich bin von zu Hause weg,“ platzte es aus ihr heraus. “Warum würden Sie denn so etwas tun, Studiengebühren nicht bezahlen?" tadelte er nun leicht. “Sie wollen nicht, dass ich studiere. Sie wollten mich zwingen jetzt schon zu heiraten." “Aber das ist doch kein Grund von zu Hause wegzulaufen. Du hättest doch auch bleiben können, um sie von den Gründen einer so guten Ausbildung zu überzeugen,“ sprach Uche ihr zu. “Das ist es nicht,“ erwiderte Zainab. “Ich bin aus Angst weggelaufen. Es ist wie Trauma, nachdem ich Frau Amina gesehen habe. Sie wurde nur wegen ihrer Aufrichtigkeit zu Tode gesteinigt.“ Zainab konnte ihr schluchzendes Weinen nicht aufhalten. "Warte, das versteh ich jetzt nicht so schnell. Eine Bekannte von Dir wurde gesteinigt, wie meinst Du das?“ “Ja, sie haben sie getötet. Sie war meine Englischlehrerin und Schulleiterin an der Jimbi-High-School.“ Zainab kamen erneut die Tränen, als sie sich an den schmerzhaften letzten Moment erinnerte. An den letzten Atemzug ihrer Lehrerin Amina, als man sie zu Tode gesteinigt hatte. Zainab fühlte ihr Herz schmerzerfüllt über die religiösen Fanatiker, die Frauen nur als zerbrechliches Element sahen, es zu unterdrücken und benutzen. Und die auf ewig eingesperrt in einer Zelle religiöser Autokratie gefangen blieben. “Sie ist nicht gestorben, weil sie es verdient oder verschuldet hat,“ begann sie zitternd. "Sie hätte geliebt länger zu leben und eine Generation zu erleben, in der Frauen emanzipiert werden. Eine neue Ära, in der die Rechte der Frauen und ihre Würde nicht unterdrückt und ewig als Hypotheken verpfändet sind wegen kultureller und religiöser Überzeugungen. Aber was soll ich sagen? Sie starb doch meinetwegen, sie musste sterben, und das, wegen meiner sorglosen unschuldigen Ausgelassenheit.“ Zainab sank schluchzend in sich zusammen, als Uche sie tröstete. "Es ist okay. Bitte sag mir, wie ist es passiert, wann und wo?" fragte er mit über-zeugend interessierter Haltung, was sie veranlasste, ihm die ganze Geschichte zu erzählen, die zu ihrer jetzigen Lebenssituation geführt hatte.

“Frau Amina gehörte zu den wenigen privilegierten Eliten, die den Briten auf Augenhöhe begegneten. Ihre Großmutter starb, als sie als ein Dienstmädchen bei den Kolonialherren arbeitete. Und weil ihre Mutter relativ jung war, wurde sie von ihren Herren adoptiert und nach England gebracht. Dort brachte ihre Mutter sie zur Welt. Sie wuchs mit den Weißen auf, mit ihren Einstellungen und Standards, ihrem Lebensstil und der Wahrnehmung, wie sie ihre Frauen mit Würde und Respekt behandelten. Und nicht nur das. Sie lernte und beherrschte auch ihre Sprache, eine besondere Fähigkeit hier in Nigeria, als sie zusammen mit ihrer Mutter in deren Heimat hier in die Borno-Region zurückkam.“ Zainab fuhr fort, “wenige Jahre nach der Unabhängigkeit übernahm sie zunächst Verantwortung in der Verwaltung im nigerianischen Bildungswesen. Aber ihre Liebe zum Unterrichten der englischen Sprache und ihre feministischen Interessen zogen sie ins Klassenzimmer. So kombinierte sie ihre Verantwortung für die Schule und den Unterricht. Sie konnte tief in die Seele ihrer Schüler eindringen und ihnen die Bedeutung auch von westlicher Bildung zeigen. Und dies zu einer Zeit, als den meisten Menschen noch ein grundlegendes Verständnis des Fremden und dieser für unsere Welt so wichtigen Sprache fehlte." Zainab hielt einen Moment inne. Dann rieb sie sich das Kinn als sie fortfuhr, “eine Woche vor Beginn der Abschlussprüfung in der Oberstufe war ich auf meinem Zimmer in der Schule, als die Lehrerin den Schulsekretär nach mir schickte. Und sie riet mir dann aufgrund einer dringenden Bitte meines Vaters, die sie nicht weiter erläuterte, nach Hause zu gehen. Ich bin dann sofort am nächsten Tag von der Schule nach Hause gegangen. Ich war besorgt, warum mein Vater mich eine Woche nach meiner Zulassungsund Immatrikulationsprüfung und kurz vor der letzten Abschlussprüfung der Oberstufe nach Hause bat. Doch ich war auch ein wenig aufgeregt nach Hause zu gehen. Denn ich war so voll Freude mit der Aussicht bald die Schule zu verlassen, um danach mein Studium aufzunehmen. Ich war glücklich über die Frau, die ich nun wurde. Meine Träume in einer freien gleichberechtigten Gesellschaft leben zu können, wo Rechte, Würde und die Werte der Frauen nicht unterdrückt oder verleumdet werden, glühten innerlich in mir. Als ich nach Hause kam war mir nichts Anderes wichtig, als die moralischen Lektionen über die Bedeutung westlicher Bildung und Frauenrechte zu verkünden, die wir von unserer Lehrerin Frau Amina gelernt hatten. Zu meiner großen Überraschung war dies mein schlimmster Fehler.“ Wieder schluchzte Zainab und Uche gab ihr sein Taschentuch, womit sie die Tränen abtupfte, bevor sie fortfuhr.

“Mein Vater hörte mir zu, und so schien es mir zuerst er wäre zufrieden mit dem was ich sagte. Doch dann war ich bis ins Mark geschockt, als er plötzlich erwiderte, meine Tochter, na gaskiya, wahrhaftig. Ich bin glücklich. Du bist nun zu der Frau geworden, die ich immer wollte, das Du wirst. Ich habe Dich wie Deine Geschwister zur Makaranta, zur Oberschule geschickt, um auch nach westlicher Bildung zu streben. Und, ‘sannu da aikatawa‘, sehr gut gemacht, liebe Tochter, lobte er mich in seinem Hausa-Dialekt. Ich trauere immer noch über den plötzlichen Tod Deiner älteren Schwester Kafiyat. Wenn ich Dich jetzt hier so ansehe, ist mir das ein Trost, dass ich noch jemanden habe, den ich eine Tochter aus dem Schoß Deiner Mutter nennen kann. Du wirst in ein paar Wochen mit der Oberschule fertig sein, und ich freue mich, Dir nun mitzuteilen, dass die Familie Deines künftigen Mannes hier sein wird, um Deine Eheschließung in den folgenden drei Wochentagen zu beschließen. Allah sei gepriesen. Und ich freue mich besonders auch, dass Du jetzt die Sprache der Weißen sprechen und schreiben kannst. Das ist eine wesentliche Fähigkeit, die Dein künftiger Ehemann auch für seine politische Karriere nutzen kann. Ich war so erstaunt, und als ich endlich meine Stimme wiederfand, fragte ich, Baba,4 wer ist der Mann, den ich nicht kenne oder auch nie gesehen habe? Und er sagte, ich sollte mir keine Sorgen machen, und ich würde ihn demnächst sehen. Und ich solle froh sein, dass Allah keinen Fehler gemacht hat, als er uns bei Deiner Geburt erlaubte, Dich mit ihm zu verloben. Verlobt? fragte ich. Ja meine Tochter, sein Name ist Alhaji Dogwo. Er ist der neue gewählte Vorsitzende der Kommunalverwaltung. Das Schöne daran ist, dass Du seine vierte und letzte Frau sein wirst. Begreifst Du das? Das ist ein sicherer Hafen für Dich. Er wird Dich mit Liebe überschütten und mit Sorgfalt und Rücksicht behandeln. Das ganz besonders, wo Du jetzt die Einzige unter seinen Frauen bist, die die Sprache der Weißen Mannes spricht. Ich sagte dann, aber Baba, Ihr habt doch gerade gesagt, dass der Tod meiner Schwester Kafiyat Sie traurig gemacht hat. Das hat mich immer davon abgehalten, Sie jemals zu fragen, warum Kafiyat starb und wie? Bist Du etwa verantwortlich, was sie getötet hat? fragte er zurück. Ich habe meinen Vater dann mahnend gesagt, Nein Vater, sie starb an einer Fistel im Unterleib. Sie ist gestorben, weil Sie sie zu früh verheiratet haben, sie war doch erst vierzehn Jahre alt. Sie starb an den Schmerzen durch das Geschwür, das von Gebärmutterwand ausging. Das war es, was sie bis ins Grab führte. Sehen Sie denn nicht die Gefahren der zu frühen Ehe in der Kindheit? Aber mein Vater hob nur warnend die Hand. Halt den Mund! Was weißt Du denn schon über die Ehe? Allah gibt und Allah nimmt. Ihr Tod war Allahs Wille. Ich habe Deine Mutter geheiratet, als sie dreizehn war. Wie es uns der Prophet Mohammad schon sagte, wenn ein Mädchen ihre erste Menstruation hat, sollte sie als nächstes im Haus ihres Mannes sein. Und hör auf mir Theorien zu erzählen, die keine Wurzeln in unserer Religion haben, sagte er mit einem nahezu drohenden Ton. Plötzliche Kälte lief mir über den Rücken. Ich sah meinen Vater mit einem Gefühl an, das nicht Wut, nicht Hass oder Groll war. Sondern ich war erstaunt über seine völlige Ignoranz und religiösen Dogmatismus. Ich wünschte mir in dem Moment, die Erde würde aufreißen und mich lebendig verschlingen. Doch dann sah ich ihm fest in die Augen während ich ernst zu ihm sprach. Baba, ich danke Ihnen, dass Sie so ein guter Vater waren, der immer auf mich aufpasste und mich auch zur Schule schickte. Es gab auch nie eine Zeit, in der ich Sie jemals nicht respektiert habe oder eine Ihrer Fragen oder Bitten ablehnte. Aber im Moment, Baba, lautet meine Antwort nein. Ich bin nicht bereit für eine Heirat, geschweige denn für einen Mann mit drei Frauen. Und auch nicht einen mir völlig Fremden. Gott verbietet das Böse. Ich bin kaum siebzehn. Frau Amina hat uns vor den Gefahren einer allzu frühen Hochzeit gewarnt. Ich kann es nicht Baba. Und wenn, dann nur über meine Leiche. Insha‘Allah, so Allah es will. Ich habe eine Zukunft, ich habe einen Traum zu leben und eigene Verantwortungen. Bitte besorgen Sie ihm eine andere Frau anstelle meiner. Es tut mir leid, wenn das der Grund war, warum Sie nach mir geschickt haben. Ich bitte mich verabschieden zu dürfen. Mein Ton hatte sich völlig verändert, von erschrocken beleidigt hin zu streitlustig. So wie ein Kind, das mit einer Autoritätsperson spricht. Sofort stand ich auf und ging wütend ins Zimmer meiner Mutter, packte meine Tasche, und ich verließ das Haus. Meine Mutter und die Mitfrauen flehten mich noch an, doch unbedingt zu bleiben, aber ich war entschlossen zu gehen. Mein Vater als Clan-Chef ist auch religiöser Führer und ein Hüter unserer Tradition. So wusste ich instinktiv, dass er nicht nachgeben würde. Und ich hatte große Angst, dass er die Verwandten gegen Frau Amina wegen der neuen Lehren zur Frauenemanzipation aufhetzen würde. Ich hätte ihren Namen nicht erwähnen sollen. Ich habe es bereut, obwohl ich nicht wusste, dass sich die Dinge so entwickeln würden. Mir wurde dann zugetragen, dass die Heirat doch vorbereitet worden war, und sie in meiner Abwesenheit stattfand. Ich bekam zwar mehrere Nachrichten mit der Bitte um meine Anwesenheit. Auch um die Hochzeits-Kalebasse, diesen traditionell-verzierten Flaschenkürbis, aus dem bei uns Wein getrunken wird, und traditionell zu Ehren der ehelichen Rechte an die Familie meines vermeintlichen Mannes zurückzugeben. Doch ich habe das alles ignoriert. Genau eine Woche vor meiner Abschlussarbeit waren wir alle Schüler in der Versammlung zur üblichen moralischen Ansprache. Frau Amina auf dem Podium belehrte uns zu dem Thema Der schwierige Weg zu Größe. Und dann, wie ein Blitz in einem Traum, passierte es. Meine ganzen Verwandten, groß und klein, angeführt von meinem Vater, belagerten das Schulgelände. Der Vortrag wurde von ihren Kriegsgesängen unterbrochen. Frau Amina wollte sie fragen, warum sie ohne Vorankündigung und ohne Erlaubnis auf das Schulgelände marschiert sind und die Versammlung hier stören? Sie warfen ihr vor, ihre Schüler durch so falsche Lehren gegen den islamischen Glauben irrezuführen. Sie hatte keine Chance sich zu erklären. Stattdessen wurde sie zum Tod durch Steinigung verurteilt. Direkt vor uns, wie es die Scharia vorschreibt. Mein Leben hatte sich dadurch grundsätzlich verändert. Ihr Tod nahm mir meine Stimme, meine Freiheit und meinen Stolz. Und auch die kleine Hoffnung auf Bildung für Mädchen. Und wie wir ein von Männern genutztes Werkzeug sind und missbraucht werden. Ihr Tod hat auch wieder die Hoffnung auf die Abschaffung der Frühehen, von Mädchen- und Kinderehen zunichte gemacht. Ich konnte den Schmerz nicht ertragen, genauso wenig wie die Angst. So lief ich aus dem Dorf weg, um mich von diesen Männern fernzuhalten, die das Leben nur aus ihrem eigenen religiös-kulturellen Spiegel sehen. Seitdem hat mich niemand von denen mehr gesehen.“

Zainabs Stimme war sanft und schwach akzentuiert, während Tränen ihre Wangen zeichneten. Ihr Schmerz und schuldhaftes Bedauern waren offensichtlich. Uche spürte die tropische Brise im Gesicht, während sein Blick an ihren zitternden Lippen klebte. Er hatte aufmerksam zugehört, als sie ihm mehr über sich und ihren Hintergrund erzählte. Dann schwieg er minutenlang. Zainab blickte Uche an, während er sich fragte, warum es dieses Elend im Leben von Menschen gibt. Und er versuchte den Schmerz durch die traurige Geschichte, die er gerade von dieser schönen jungen Frau neben ihm gehört hatte, nachzuempfinden. “Es ist gut Zainab,“ sagte er. “Das ist so beschämend und nicht zu akzeptieren. Du bist eine mutige Frau. Ich möchte Dir versichern, dass Dich nichts davon abhalten sollte Deine Träume zu verwirklichen.“ “Ja, ich glaube das auch schon. Aber ich habe solche Angst und bin mir nicht mehr so sicher,“ antwortete sie leise und mit gepresster Stimme. “Warum Zainab? Hör bitte auf Dir soviel Sorgen um das Morgen zu machen. Deine Sorgen werden sicher auch weiter über morgen hinaus dauern. Aber wenn Du in der Zwischenzeit aufhören könntest zu weinen, dann werde ich Dich überraschen.“ "Eine Überraschung, was soll das sein?" fragte sie zu ihm hin aufschauend. “Das musst Du erraten,“ erwiderte Uche. “Aber ich bin nicht gut darin zu raten. Können Sie mir bitte sagen, was es ist?“ “Okay, dann schließ Deine Augen,“ sagte er freundlich und im leicht bestimmenden Ton. Zainab schloss die Augen und Uche öffnete seine Laptop-Tasche. Er zählte dreißigtausend Naira ab von dem Geld, das ihm sein Vater für das NYSC-Camp gegeben hatte, dem National Youth Service Corps, wo Hochschulabsolventen verschiedener Ethnien und sozialen Schichten Nigerias voneinander lernen, mit dem Ziel eines gemeinsamen Aufbaus einer demokratischen Gesellschaft. Uche drückte ihr das Geldbündel in die Hände. Sie öffnete Ihre Augen, die sich überrascht weiteten, als sie die Naira-Noten in ihrer Hand erkannte. Sie fühlte ihr Herz würde für einen Moment stillstehen. Dann zögernd, aber bestimmend, sagte sie, “Warte einen Moment. Ich habe Sie gerade erst kennengelernt. Und ich weiß nicht einmal, wer Sie sind. Ja, ich brauche dringend Geld, aber ich bin nicht so weit, einfach ein Geschenk von Fremden anzunehmen.“ “Ich verstehe Deine Sorgen. Und ich weiß, dass Du diese Hilfe jetzt brauchst. Ja, natürlich, ich könnte ein Fremder sein. Aber Du könntest mich doch auch von heute an kennenlernen,“ antwortete Uche sie überzeugend und drückte Ihre Handflächen mit dem Geld erneut zusammen. "Oh mein Gott! Das ist jetzt gerade nicht wahr,“ quietschte sie plötzlich vor Freude, ihre Hände mit dem Geld an sich drückend. “Na gode, vielen Dank Sir,“ wiederholte sie im Hausa-Dialekt, und diesmal mit Freudentränen in den Augen, ihre überwältigende Dankbarkeit ausdrückend. Sie war voll Bewunderung über diese Geste reiner Menschenliebe. Und sie war auch dankbar, diesen gepflegten und intelligenten Mann kennengelernt zu haben, der so ganz anders war. Als Uche ihre erneuten Tränen sah, sagte er lächelnd, “hör auf zu weinen. Du kannst mich übrigens Uche nennen.“ "Was meinen Sie?" “Ja, mein Name ist Uche. Ich habe gerade die Fakultät für Wirtschaftswissenschaften abgeschlossen und werde morgen in das NYSC-Camp gehen.“ “Wow, mein Glückwunsch, das ist beeindrukkend,“ erwiderte sie. “Danke“ “Aber wenn Sie,“ sie hielt kurz inne und lachte auf. “Sorry, wenn Du Uche, wenn Du mir soviel Geld gibst, was hast Du dann noch für das Camp?“ “Keine Sorge, ich habe noch was übrig, das ich nutzen kann. Aber danke für Deine Bedenken.“ "Meine Güte, ich habe doch zu danken. Ich bin so dankbar Uche. Ich kann nicht glauben, dass das hier gerade wirklich passiert.“ Zainab küsste ihre Hände mit dem Geld und wünschte, sie könnte ihn tief umarmen, aber sie war noch zu schüchtern. Uche aber war schon zufrieden mit ihrem Lächeln für ihn, das ihr Gesicht erhellte. “Bitte, warte eine Minute,“ sagte sie dann plötzlich nervös. “Warum Uche, warum bist Du so großzügig zu mir? Ich weiß immer noch kaum etwas über Dich." “Du hast Recht, Zainab,“ begann er, schluckte und fuhr fort, "aber ich helfe sehr gerne. Es lohnt sich Dich wieder lächeln zu sehen. Und es ist aber doch keine so große Sache einem Menschen zu helfen. Eher ein Segen, wenn ich etwas anderen geben kann. In der Bibel heißt es, wer kärglich sät, wird auch kärglich ernten. Und wer sät im Segen und von Herzen, wird auch ernten im Segen und der Liebe Gottes.5 “Aber wir sind zwei verschiedene Menschen mit einem sehr unterschiedlichen Hintergrund,“ bemerkte Zainab betont. “Ja, ich weiß,“ erwiderte Uche. “Aber wir sind beide nach dem gleichen Bild Gottes geschaffen. Nur die Gesellschaft hat uns gelernt anders zu sehen.“ “Du meinst also, dass der biblische Glaube Dich so großzügig gemacht hat?“ fragte sie mit einem nach Verständnis suchenden Gesichtsausdruck. “Nun, da magst Du Recht haben, aber es ist nicht unbedingt alleine deshalb. Ich denke auch, dass es damit zu tun hat, wer ich bin, mein persönlicher Charakter und der kulturelle Einfluss, in dem ich lebe.“ "Ja, ich verstehe," nickte Zainab, “aber werden die Frauen in Deinem Volk auch misshandelt?“ “Junge Frau, natürlich hat jede Kultur ihre Dynamik, aber ich glaube nicht, dass sie so ein Schicksal wie das Deine erleiden. Bräuche und Traditionen sind bei uns eher für Männer und nicht für Frauen gedacht. Jemand muss es aussprechen, damit diese traditionellen Erzählungen geändert werden können,“ antwortete Uche ihr. Zainab atmete erleichtert auf.

Nach ihrem ersten Treffen telefonierten sie beide dann regelmäßig weiter miteinander. Uche hatte eine Schwäche für Zainab entwickelt. Bei dem Gedanken an sie spürte er, wie er sich in seinem Leben zum ersten Mal wohlig entspannte. Ihr hübsches Gesicht, ihr unschuldiges Lächeln und ihre bescheidene Kleidung waren anständig im Vergleich zu den meisten jungen Frauen, die er kennengelernt hatte. Zainabs Akzent und ihr konsequenter Gebrauch der Hausa-Sprache verzauberten ihn. Die Art, wie sie ihre Finger benutzte, sich ihre schlanke Gestalt bewegte, um ihre Worte zu betonen, würden ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen. Und er hörte nicht auf, ihr Studium aus dem kleinen Taschengeld, das er von der Regierung bekam, finanziell zu unterstützen. Und bei jeder möglichen Gelegenheit besuchte er sie, zu sehen wie es ihr ging.

Uche rief sich die Nacht, in der er ihr einen Antrag gemacht hatte, zurück ins Gedächtnis. Ihr Gesicht war zwar arglos, aber ein bestimmter Ausdruck ihrer Augen beim Lächeln sagte ihm, dass sie ihn nicht abweisen würde. Er war hocherfreut, als Zainab ihm dann direkt in die Augen sah und ruhig nickte. Doch lag in ihrer Ruhe auch eine in ihr tief verwurzelte Angst. Es schien wie eine Last, die sie ausdrücken wollte, und eine gewisse Zurückhaltung behielt sie bei. Uche verstand die Sorgen, als er sagte, “soyaya ta, meine Liebste, ich verkenne nicht die Herausforderungen für uns, denen wir uns vielleicht stellen müssen. Aber wenn wir an uns glauben und einander verpflichtet bleiben, werden wir es schaffen." Mit dem Kopf nickend lehnte Zainab sich flüsternd im Hausa-Dialekt an ihn, “ina sonki, ich liebe Dich, und ich weiß nicht, was ich ohne Dich hätte tun können. Du bist so ein gutherziger Mann. Allah wird Dich in meinem Namen belohnen.“ “Alhamdulillah, gelobt sei Gott, und Ihre Gebete,“ erwiderte Uche. Sie saßen dann einfach nur schweigend und den Vögeln lauschend da, die über ihnen flogen, und sie spürten die frische Luft auf ihren Gesichtern. Doch dann wurde ihre Träumerei durch den Ruf des Muezzin unterbrochen, “Allahu Akbar! Allahu Akbar!, Allah ist groß! Allah ist am größten!“ Das erinnerte Zainab, dass es Zeit war, ihrer religiösen Verpflichtung nachzukommen. Sofort stand sie auf und küsste Uche zum Abschied auf die Wange, um dann in Richtung Moschee zu gehen. Auf seinem Weg nach Hause an dem Abend wusste er, dass es viele Hürden zu nehmen gab. Er war sich auch sicher, dass seine Eltern sie nicht so einfach akzeptieren würden. Aber er würde auch nicht aufgeben, und er dachte an einen alternativen Ausweg. Sie könnten nach ihrem Abschluss zusammen fliehen. Und bis dahin hätte er auch ordentlich etwas angespart. Er beschloss darüber zunächst einmal zu schlafen, vielleicht würde ihm ja dann morgen noch eine neue Lösung ein-fallen, die er im Moment noch nicht sah.

In diesem Moment wurde Uche durch die Tritte eines Terroristen zurück in die Wirklichkeit geholt. So wurden die Erinnerungen an seine ersten Treffen mit Zainab und ihre Verlobung mit aller Härte in die Tiefen seines Geistes zurückgedrängt.

3 Haar-, Brust- oder Gesamtbedeckung für islamische Frauen.

4 Vater (in einigen afrikanischen Sprachen und Dialekten).

5 Zweiter Brief Korinther (9:6-15)

Kapitel 3

Uche streckte sich und drückte die Handflächen zusammen, nachdem er gezwungen worden war von der Ladefläche des SUV zu steigen. Es war schon die Zeit für das Morgengebet, denn er sah, wie sich die Menschen um sie herum auf eine Moschee zubewegten. So folgte er ihnen träge schlurfend zum Gebetsplatz. Hier erkannte er auch den Terroristen wieder, der in der Sports-Bar am Abend seinen Freund Danjuma erschossen hatte. Und das schien der Anführer zu sein. Heimlich beobachtete Uche wie er die Stiefel auszog und Füße, Hände und Gesicht aus einer kleinen und mit Wasser gefüllten Plastikschüssel an der Reinigungsstelle wusch. Das Gewehr lag auf seinen Stiefeln, als er einen Gebetsteppich auf der provisorischen Kanzel, einem mittelgroßen abgeflachter Felsen, in Richtung Mekka ausbreitete.

So wie es fünfmal am Tag Kultur war, ließ ein guter Muslim alles stehen und liegen um zu beten. Traditionell berührten sie erst ihre Ohren mit den Händen und legten dann die Hände vor dem Körper zusammen, die linke Hand in der Rechten. Die Betenden verbeugten sich, sie knieten dann nieder und berührten mit ihrer Stirn immer wieder den Boden vor sich, während sie die Al-Fattah rezitierten, einen der schönsten Namen für Gott als dem Befreier der Herzen. Für Uche war es leicht diese routinierten Bewegungsabläufe mit Verbeugungen, Hinknien und Händefalten mitzumachen. Er war mit diesen Traditionen um sich herum aufgewachsen. So war es für ihn schon immer üblich, sich den Umständen anzupassen.

Unmittelbar nach dem Gebet beobachtete er, wie der Terrorist mit in die Hüfte gestemmten Händen nun selbst begann, wie ein Prediger auf diesem Boden der Wiederbelebung zu sprechen, um die Seelen zu ihrer Erlösung zu bekehren. “Ich bin Abubakar, der Gesandte des so allmächtigen Allah. Ich möchte hier jetzt an diesem Ort die Gelegenheit nutzen, Euch allen für die aktive Mitarbeit heute zu danken. Der Erfolg der letzten Nacht ist durch unseren Glauben an diesen Kampf zustande gekommen. Wir werden auch weiter weder nachgeben noch zweifeln. Wir gewinnen den Krieg. Unseren Neuankömmlingen sage ich seid glücklich, weil wir Euch gerettet haben aus der Welt der Finsternis hier hin zu einem Ort des Lichts. Und ich bin hier, um sein Leuchten auf Euch auszudehnen.“ Dann ließ sich von einem seiner Mitstreiter einen glänzenden Krug geben mit Flüssigkeit, deren Farbe in der Morgendämmerung nicht zu erkennen war. Abuka rezitierte eine Beschwörung auf Arabisch, und er zwang dann jeden der neuen zweiundvierzig Rekruten daraus einen Schluck zu nehmen. Es schmeckte für Uche sauer, eher nach Blut. Er hielt dieses abscheuliche Gebräu im Mund, denn er konnte es nicht schlucken. Aber er durfte es auch auf keinen Fall ausspucken; so rang er mit sich, was für andere normal war, und was sie schon hinter sich gebracht hatten. Abukas Gesicht war noch schmutzig vom Staub und Wind im Harmattan, dem hier typischen trockenen Winterwetter. Sein gesamtes Aussehen wirkte zerzaust. Nachdem er weitere Beschwörungen vor sich hingeredet hatte, wandte er sich dann wieder laut und deutlicher an jeden Einzelnen gerichtet. “Jetzt, da Du unter Eid bist, bist Du als würdiger Krieger Allahs gefunden worden. Du musst seine Gebote befolgen und die Heiden bekämpfen und töten. Diese Ungläubigen, wo immer sie im Verborgenen und im Freien zu finden sind. Wenn sie aber den Islam akzeptieren und Allahs Lehren, das regelmäßige Gebet befolgen und die Nächstenliebe, dann freue Dich, dass Du den Willen des versöhnlichen und barmherzigen Allah ausführen konntest.“ Und nach einem kurzen Augenblick fuhr er weiter fort, “Ihr seid jetzt bereit zu kämpfen, in diesem heiligen Krieg. Dieser Kampf ist die Wiederherstellung unseres inzwischen verdorbenen Bildungssystems, um die Vernunft in unsere Religion zu bringen, die entweiht wurde. Und auch um wieder ein Bewusstsein zu schaffen für die Politiker, die geschwächt worden sind. Denn die Regierung und ihre westlichen Verbündeten sind böse. Das Verbrechen der Oyibos, der weißen und verwestlichen Menschen, war und ist es, uns von all dem abzubringen, woran unsere Vorfahren seit der dunklen Vorzeit immer geglaubt und es erreicht haben. Sie dachten sie würden die Menschheit voranbringen. Aber sie zerstörten sie nur mit ihrer bösen Globalisierung, unterstützt durch ihre so betrügerische Wissenschaft und Technologie.“ Wieder hielt er einen Moment inne um seine Worte wirken zu lassen. “Schaut Euch ihre Leistungen doch an, ihre Unmoral auf hohem Niveau, die Schaffung und den Export von infektiösen Krankheiten, homosexuelle Ehen, das Lesbentum oder Abtreibung. Den Plünderungen durch unsere korrupten Politiker einen sicheren Hafen gewähren? Oder dieser Feminismus und diese sogenannte Gleichstellung der Geschlechter, um nur einige Beispiele des Bösen zu nennen.“ Abukas Sarkasmus biss sich durch die Luft. “Und das bedeutet die Ablehnung von allem, wofür wir eingetreten sind und wir erreicht haben. Was ist passiert mit unserer spirituellen Suche? Sie haben uns weit weg geführt von unseren spirituell-geistigen Überzeugungen, unserem ewigen Anfang. Sie zerstörten unsere Sprache und sagen Englisch sei besser. Wie steht es um unsere Identität, um unsere Kultur? Ja, sie sagen alles Westliche sei modern und das Unsere sei veraltet. Kannst Du ihre Sünde sehen? Es ist Zeit für unsere Emanzipation. Es ist an der Zeit zurückzuerobern, was uns gehört. Wir werden nicht ruhen oder schlafen, bis die Posaune des Islam ertönt und die Scharia in jedem Teil dieser Nation praktiziert wird. Das ist die Mission, die wir erfüllen müssen.“

Für Uche wirkte es wie Ironie. Er musterte Abuka. Wie konnten diese so tollwütigen anti-westlichen Extremisten die Autos der Ungläubigen, ihre hochentwickelte Ausrüstung und ihre Waffen für ihre Mission wählen und gleichzeitig aber das Westliche kritisieren? Der Wahnsinn in Abukas Augen ließ Uche erschaudern. Er sah in ihnen die blinde und törichte Argumentation, einen tödlichen Glauben, der auf einer perversen Logik beruhte.