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Bei Madita und ihrer kleinen Schwester Lisabet, genannt Pims, ist es nie langweilig! Dafür sorgen schon Maditas Freund Abbe, der Kringelbäcker, und die rothaarige Mia, von der Madita niemals gedacht hätte, dass sie einmal ihre beste Freundin wird. Am aufregendsten aber ist, dass Maditas Mama bald ein Baby bekommt … Mehr von Madita und Lisabet gibt es in dem lustigen Kinderbuch "Madita".
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Veröffentlichungsjahr: 2019
Bei Madita und ihrer kleinen Schwester Lisabet, genannt Pims, ist es nie langweilig! Dafür sorgen schon Maditas Freund Abbe, der Kringelbäcker, und die rothaarige Mia, von der Madita niemals gedacht hätte, dass sie einmal ihre beste Freundin wird. Am aufregendsten aber ist, dass Maditas Mama bald ein Baby bekommt …
Madita wacht an diesem Morgen auf und weiß sofort, dass heute kein gewöhnlicher Tag ist. Heute ist ein besonderer, ein lustiger Tag und solche gibt es nicht oft. Walpurgisnacht ist heute und abends wird draußen auf der Jahrmarktwiese das Maifeuer angezündet. Außerdem soll Madita neue Sandalen bekommen und in die Schule braucht sie auch nicht zu gehen. So ein Tag sollte im Kalender eigentlich mit roten Buchstaben stehen, findet Madita.
In der Birke vor dem Fenster tirilieren die Stare, in ihrer Lieblingsecke am Kachelofen sitzt Lisabet und hämmert Nägel in ein Holzscheit, im Badezimmer pfeift und rumort Papa, an der Kinderzimmertür kratzt Sasso und möchte hinein und unten in der Küche mahlt Alva Kaffee, sodass man es bis hier oben hört – wen wundert es da, dass man in so einem Haus wach wird? Und wer will denn schon schlafen? Madita nicht! Sie möchte wach sein und das Leben in sich spüren. Genau wie Onkel Nilsson.
»Ich spüre das Leben in mir«, sagt Onkel Nilsson hin und wieder. Und dann ist er froh und munter. Ist er aber trübsinnig, spürt er das Leben in sich kein bisschen!
So ist es auch mit mir, denkt Madita. Gerade jetzt spürt sie das Leben in sich, dass es nur so prickelt, und mit einem Satz ist sie aus dem Bett.
»Du bist verdreht, Madita«, sagt Lisabet. »Du schläfst und schläfst, und dabei hämmere ich. Du würdest ja nicht mal hören, wenn ein …« Lisabet überlegt, was Eindruck machen könnte. »… wenn ein Kannibale käme«, sagt sie, nachdem sie zu Ende überlegt hat.
Auf Birkenlund ist Lisabet immer als Erste wach. Madita aber soll sich richtig ausschlafen, weil sie ausnahmsweise mal nicht zur Schule muss, hat Mama gesagt. Lisabet darf sie also nicht wecken, das hat Mama auch gesagt.
Aber von Hämmern hat sie nichts gesagt und darum tut Lisabet es.
Madita macht Sasso die Tür auf. Er wirbelt wie ein wildes kleines Knäuel herein und will spielen. Lisabet wirft den Hammer weg und kugelt mit ihm auf dem Fußboden herum. Sasso spürt das Leben wohl alle Tage in sich, so sieht es jedenfalls aus.
»Glaub ja nicht, dass man einen Kannibalen hören kann«, erklärt Madita ihrer Schwester, die erst fünf Jahre alt ist und noch nicht allzu viel begreift. »Mucksmäuschenstill kommt er durch den Dschungel geschlichen und da geht gerade ein Missionar und – haps! – schlägt der Kannibale die Zähne in ihn, noch ehe der auch nur einen Knacks gehört hat.«
Lisabet schaudert. Entsetzlich, so was mit einem armen Missionar zu machen, der doch überhaupt nichts Böses getan hat.
»Dieser Kannibale kommt bestimmt nie in den Himmel«, meint Lisabet.
»Nee, nie im Leben, verlass dich drauf!«, versichert Madita.
Lisabet nickt zufrieden. Aber dann denkt sie nach.
»Doch, tut er doch, der Schuft«, sagt sie schließlich.
»Tut was?«, fragt Madita.
»Kommt in den Himmel. Ja, denn er hat den Missionar im Bauch, und der Missionar muss in den Himmel kommen, ist doch klar.«
Das sieht Madita ein, und sie sind sich darin einig, dass es fies von dem Kannibalen ist, sich so hinterlistig in den Himmel zu schummeln.
»Aber wart’s nur ab, wenn der liebe Gott dahinterkommt, was er gemacht hat«, sagt Madita drohend.
»Ja, ätsch Pustekuchen, dann wird er rausgeschmissen«, sagt Lisabet. Und damit haben sie genug von dem Kannibalen. An so einem Tag wie heute haben sie wirklich an anderes zu denken.
Als Madita und Lisabet in die Küche kommen, ist Papa fast fertig mit dem Frühstück.
»Wo ist Mama?«, fragt Madita als Erstes.
»Im Bett«, sagt Papa.
»Hat sie Kopfweh?«, fragt Madita beunruhigt.
Heute darf Mama auf keinen Fall Kopfweh haben, denn sonst ist es für Madita aus mit allem Spaß. Außerdem muss Mama ja mit ihr Sandalen kaufen gehen. Heute darf ihr der Kopf einfach nicht wehtun. »I wo«, sagt Papa. »Sie ist nur liegen geblieben, weil sie sich selber leidtut.«
Madita seufzt erleichtert auf. Mama tut sich manchmal leid, aber das geht schnell wieder vorbei.
Alva steht am Herd und rührt den Milchbrei und jetzt guckt sie vorwurfsvoll zu Papa rüber. »Der Herr Redakteur weiß sehr gut, dass einem morgens mal mulmig sein kann.«
Das gibt Papa zu. Er möchte keinesfalls, dass Mama irgendwann mulmig zumute ist, und als die Mädchen ihren Milchbrei aufgegessen haben, nimmt er sie mit rauf ins Schlafzimmer. Vor der Tür bleiben sie stehen.
»Nun wollen wir mal sehen«, sagt Papa und dann singt er, was er immer singt, wenn Mama sich selber leidtut:
»Warum so grantig und vergnatzt?
Was tat ich dir denn an, mein Schatz?«
Im Schlafzimmer liegt Mama blass und mit traurigen Augen. Als die drei reinkommen, zieht sie sich die Bettdecke über den Kopf. Sie mag sie wohl nicht sehen. Madita möchte am liebsten zu ihr hinstürzen und sie umarmen, aber sie weiß nicht, ob sie es wagen darf.
»Also eben hab ich gesungen …
Warum so grantig und vergnatzt?
Was tat ich dir denn an, mein Schatz?«,
singt Papa wieder sanft und zärtlich.
Da schlägt Mama die Bettdecke zurück und lacht.
»Ja, und ob du mir was angetan hast! Was, weißt du nur allzu gut. Außerdem bin ich nicht grantig, mir ist einfach übel, das ist alles.«
»Armer Schatz«, sagt Papa, »dann tust du mir leid, du brauchst es also nicht selber zu tun.«
»Danke, das ist lieb von dir«, sagt Mama. Und jetzt ist das Traurige aus ihren Augen verschwunden und auch Maditas Besorgnis verschwindet – bis ihr die Sandalen einfallen. Was ist, wenn Mama nun nicht mit ihr Sandalen kaufen geht, weil ihr übel ist?
Und da hat sie richtig geraten. Mama möchte heute nicht einkaufen gehen.
»Das kann Alva machen«, sagt sie. »Sie nimmt dich mit, wenn sie zum Markt geht.«
»Ich will auch mit zum Markt«, sagt Lisabet.
Mama winkt matt mit der Hand. »Ja, geh nur!«
Ihr scheint es nur recht zu sein, wenn sie allesamt verschwinden.
»Und ich«, sagt Papa, »ich gehe jetzt zu meiner Zeitung und kämpfe weiter für Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit für alle Menschen. Und ein bisschen auch für unser täglich Brot.«
Madita und Lisabet begleiten ihn bis zur Gartenpforte. Dort bleiben sie stehen und gucken ihm nach. Er geht so gerade und schwenkt seinen Stock, und bevor er um die Straßenecke biegt, zieht er den Hut und winkt ihnen damit zu.
Der Frühling ist in diesem Jahr zeitig gekommen. Überall auf Birkenlund blühen schon Narzissen und Tulpen und die Birken rund um das rote Haus haben zarte hellgrüne Blätter. Madita holt tief Luft – findet Lisabet nicht auch, dass der Frühling die schönste Jahreszeit ist?
»Ist doch klar«, sagt Lisabet. Doch dann entdeckt sie Gosan, die sich auf der Küchentreppe sonnt, und Lisabet möchte sie ein bisschen streicheln. Zu spät versucht die Katze zu entwischen. Lisabet packt sie und setzt sich mit ihr auf die Treppe. Sträuben hilft nichts, das weiß Gosan, und darum legt sie sich auf Lisabets Schoß zur Ruhe und fängt an zu schnurren.
»Ich muss nur mal schnell zu Abbe rüber und ihn was fragen«, sagt Madita, und im Nu ist sie über Nilssons Zaun geklettert.
Auf der Schaukel unter dem großen Apfelbaum sitzt Onkel Nilsson, raucht eine Zigarre und ruht sich aus. Sich ausruhen, das tut er recht oft. Man kann sich ja nicht ständig für Weib und Kind abrackern, behauptet er. Nicht von früh bis spät. Mal muss man sich auch ausruhen, und dass er das gerade jetzt tut, kann Madita sehen.
»Schau einer an, da haben wir ja Birkenlunds kleine Maditt«, ruft Onkel Nilsson, als er sie entdeckt. »Was verschafft mir das Vergnügen eines so frühzeitigen Besuchs?«
Madita kann sich nie daran gewöhnen, dass Onkel Nilsson so komisch redet. Sie weiß dann nicht, was sie antworten soll. Und komische Namen gibt er den Leuten auch. Wenn er sich richtig fein ausdrücken will, nennt er Madita Stolz-Jungfrau von Birkenlund, Alva hat er Birkenlunds Engel getauft und Lisabet Birkenlunds Pims. Warum, weiß kein Mensch. Mama heißt bei ihm Holde Herrin auf Birkenlund und Papa der Feine-Leute-Sozialist. Für Tante Nilsson hat er alle möglichen Namen. Du Herzenstrost und Lilie darf sie heißen, wenn er vergnügt ist, aber Erzdrache, wenn er verärgert und griesgrämig ist, und Schusselsuse, wenn sie seiner Meinung nach alles durcheinanderbringt und nicht alles so gut wie er versteht und begreift. Und wenn Onkel Nilsson vom kleinen lieben Ochsenkater redet, dann meint er damit Abbe. Sonst aber nennt er ihn nur »mein Sohn«, und wenn er das sagt, klingt es wie was besonders Feines.
»Ist Abbe da?«, fragt Madita.
»Gewisslich ist mein Sohn da«, versichert Onkel Nilsson. »Seit fünf Uhr in der Früh widmet er sich mit Lust und Liebe dem Backen von Zuckerkringeln, und seine Mutter steht bereits auf dem Markt und verkauft davon, was das Zeug hält. Und hier sitze ich ganz allein und spickuliere, und da erfreut es das Herz, Besuch zu erhalten.«
Doch Madita ist ja nicht wegen Onkel Nilsson hergekommen, sie möchte in die Küche zu Abbe, aber sein Vater lässt sie nicht so schnell entwischen.
»Hast du meine Blütenpracht gesehen, Madittchen, hast du die gesehen?«, fragt er und zeigt mit der Zigarre auf zwei winzige Tulpen, die aus dem Gras hervorlugen. »Herrgott, wie ich das Leben in mir spüre, wenn der Lenz naht.«
»Mir geht’s genauso«, versichert Madita, aber jetzt muss sie einfach zu Abbe, auch wenn Onkel Nilsson auf seiner Schaukel das Leben noch so stark in sich spürt.
Als Madita in die Küche kommt, steht Abbe wie üblich am Backbrett. Falls er sich freut, sie zu sehen, lässt er es sich zumindest nicht anmerken.
»Sonst geht’s bestens, ja?«, sagt er nur. Schließlich ist er ja fünfzehn Jahre alt und kann sich nicht allzu viel mit kleinen Mädchen abgeben. Aber natürlich sind sie gute Freunde, er und Madita. Für Madita ist es jedenfalls beschlossene Sache, Abbe zu heiraten und keinen anderen. Will er sie nicht haben, dann lässt sie das Heiraten bleiben, dann will sie gar keinen.
»Dein Papa sitzt draußen und spickuliert«, sagt Madita, denn etwas muss sie ja sagen.
Abbe lacht auf.
»Kann ich mir denken. Gestern hat er den ganzen Tag auf der Küchenbank gelegen und spickuliert, und unterdessen ist Mutter zwischen Küche und Schuppen hin- und hergetrabt, um Backholz ranzuschleppen. Sie tat ihm ja so leid, die Arme. Ja, ein gutes Herz hat der Alte, das muss man ihm lassen!«
Abbe schenkt Madita einen Zuckerkringel. Der schmeckt himmlisch lecker, kein Wunder, dass alle Frauen in der Stadt ganz verrückt nach Nilssons Kringeln sind. Sie würden viel dafür geben herauszukriegen, wie Nilssons sie so lecker machen. Aber das Rezept dafür hat sich die Großmutter von Abbes Großmutter vor hundert Jahren ausgedacht, und kein einziges vorwitziges und hochnäsiges Frauenzimmer in dieser Stadt wird das je selber ausbrüten und sonst wie rauskriegen können, versichert Abbe.
»Aber kann sein, dass ich es dir auf meinem Totenbett verrate – kommt natürlich drauf an, wie du dich so machst, Madita«, fügt er hinzu.
Oh, das hätte er nicht sagen sollen! Madita sieht alles sofort vor sich. Dort liegt Abbe weiß wie ein Handtuch im Sterben, nur mit Müh und Not kann er noch sprechen. »Rühr zehn Eier zusammen«, flüstert er, doch dann stößt er seinen letzten Seufzer aus – puh – und danach gibt es keinen Abbe mehr!
Madita hat einen Klumpen im Hals und sagt mit etwas zittriger Stimme: »Du darfst nie sterben, Abbe! Aber zum Maifeuer heute Abend kommst du doch?«
»Darauf kannst du noch keinen Besen fressen«, sagt Abbe. »Womöglich werd ich zu ’ner flotteren Feier eingeladen, man kann ja nie wissen. Tja, mal sehen, was ich mache.«
Madita hofft das Beste. Sie möchte so gern, dass Abbe auf die Jahrmarktswiese kommt und sie dort in ihren neuen Sandalen und ihrer roten Jacke und der grünen Seidenkappe sieht. Dann kann er nicht anders, dann muss er ja finden, dass sie richtig fein ist.
Übrigens glaubt Madita, dass dies alle Leute dort finden werden. Jeder, der Augen im Kopf hat, muss ja wenigstens sehen, dass sie neue Sandalen anhat.
Aber noch hat sie die Sandalen nicht, und jetzt muss sie nach Hause und Alva antreiben, damit sie endlich mit ihr losgeht.
Mit Alva in die Stadt zu gehen macht Spaß. Madita und Lisabet hüpfen rechts und links von ihr und Alva wandert mit ihrem großen Marktkorb am Arm so selbstbewusst dahin. Es gibt viel zu besorgen, aber Madita ermahnt sie, zuallererst die Sandalen zu kaufen. Alles andere ist nicht so wichtig.
Heute ist viel los in der Stadt. Es ist ja Markttag und außerdem der letzte April, die Walpurgisnacht. Alle Schulkinder haben frei, auch morgen am Ersten Mai. Madita entdeckt im Gewimmel viele aus der Klasse.
»Stellt euch vor, zwei Tage frei«, sagt sie höchst zufrieden.
»Ja, die sind wohl bange, dass ihr sonst zu gelehrt werdet«, meint Alva. Doch dann kriegt sie plötzlich ganz rosa Wangen, denn dort kommt der Schornsteinfeger. Er zwinkert Alva zu und lacht mit all seinen weißen Zähnen. Das sollte er ruhig bleiben lassen, findet Madita, denn schließlich ist er verheiratet und hat fünf Kinder. Aber Schornsteinfeger Berg ist nun mal das stattlichste Mannsbild in der Stadt und zwinkert allen Mädchen zu, behauptet Alva.
Madita begreift allemal, warum er Alva so lange anschaut. Das tun nämlich viele. Sie ist ja auch so hübsch. Außerdem hat Onkel Nilsson Madita die Sache erklärt, warum Alva nämlich so nett anzuschauen ist. Ja, deshalb, weil sie dort rank und schlank ist, wo sie rank und schlank sein muss, und dort rund, wo sie rund sein muss, und dazu kommt, dass sie immer vergnügt ist – außer wenn sie wütend ist natürlich.
»Und wenn Birkenlunds Engel wütend ist, dann kommt man ihr am besten nicht unter die Augen«, meint Onkel Nilsson.
Madita und Lisabet wissen nicht so recht, wen sie hübscher finden sollen. Mama oder Alva. Aber wenn Lisabet abends manchmal auf Alvas Schoß kriecht und sich an Alvas Brust schmiegt und es da so weich und behaglich hat, dann sagt sie zufrieden:
»Wie gut, dass du so kuschelig bist!«
Und hier geht nun Alva in ihrem karierten Baumwollkleid, hübsch und adrett wer weiß wie, und als sie in den Schuhladen kommen, fragt der Herr, der Madita die Sandalen anprobiert, sofort, ob Alva nicht Lust hat, heute Abend auf die Jahrmarktswiese zu kommen. Alva antwortet nicht mal. Sie will ein Paar Sandalen kaufen und damit basta!
Und schönere Sandalen hat Madita noch nie gesehen. Als sie den Karton im Arm hält, ist es die reine Seligkeit. Doch Lisabet sagt: »Du bist ja verdreht, Madita, kaufst Sandalen, wo es so feine Lackschuhe gibt.«
Und da steht Lisabet mit neuen Schuhen an den Füßen. Denn auch sie hat Schuhe anprobiert, ohne dass es jemand bemerkt hat. An dem einen Fuß trägt sie einen schwarzen Lackschuh mit hohem Absatz und an dem andern einen braunen Herrenschuh. Sie weiß sehr gut, dass sie das nicht tun durfte, man sieht es ihr an, denn sie lächelt mit Engelsmiene. Das hilft so gut wie immer, auch das weiß sie. Aber Madita fällt darauf nicht rein.
»Lass das Getue!«, zischt sie. Und als sie dann wieder auf den Marktplatz hinauskommen, sagt sie Lisabet gründlich die Meinung: »Eigentlich kann man dich überhaupt nirgendwohin mitnehmen.«
Und darin gibt Alva ihr recht.
Mitten auf dem Markt treffen sie Linus-Ida. Sonst geht sie zu den Leuten ins Haus und hilft bei der großen Wäsche und allerlei anderem. Auch nach Birkenlund kommt sie oft. Heute aber hat sie frei, genau wie die Schulkinder. Madita kann es nicht lassen, sie muss ihr von ihren neuen Sandalen erzählen, die so übermäßig schön sind. Doch Linus-Ida schüttelt nur den Kopf.
»Skandale und lauter so neumodischer Kram! Ich sag’s ja, ich sag’s ja, so was hatten wir nicht, als wir noch klein waren, aber gesund und stark wie die Ochsen, das sind wir doch geworden!«
Tante Nilsson winkt Madita von ihrem Stand aus zu und Madita läuft zu ihr.
»Hast du Nilsson gesehen?«, fragt Tante Nilsson.
»Ja, er sitzt auf der Schaukel und spickuliert«, antwortet Madita.
Tante Nilsson schüttelt den Kopf.
»Ach ja, was anderes als spickulieren und filosifieren tut er nie! Hat er was getrunken?«
»Nein, ich glaube nicht«, antwortet Madita unsicher.
»Aber ich glaub es«, sagt Tante Nilsson.
Doch jetzt kommen Leute an den Stand, um Kringel zu kaufen, und so wird nicht geklärt, ob Onkel Nilsson was getrunken hatte oder nicht.
Außerdem steht Alva jetzt gerade vor der Bonbonbude und kauft Zuckerstangen, und Madita macht, dass sie dorthin kommt.
An ihren Zuckerstangen lutschend, trotten Madita und Lisabet dann hinter Alva her in Norströms Fischhandlung. Alva will dort Lachs kaufen, denn am Ersten Mai gibt es auf Birkenlund immer gesottenen kalten Lachs mit Mayonnaise. Das scheint es bei vielen Leuten in der Stadt zu geben. Fischer Norström hat nur noch ein einziges Stück übrig. Aber es ist ein großes Stück, zehn Kronen kostet es.
»Ja, das nehm ich«, sagt Alva und reicht ihren Zehnkronenschein hin.
Gerade in diesem Augenblick geht die Ladentür auf und herein kommt die Bürgermeisterin, die vornehmste Frau in der ganzen Stadt. Im Nu durchschaut sie, dass das letzte Stück Lachs, das sich heute ergattern lässt, dort auf der Waage liegt, und sie ruft laut:
»Oh, dieses Stück muss ich unbedingt haben! Ich erwarte morgen Gäste!«
Nun muss ja Fischer Norström einsehen, dass sie dieses Stück Lachs dringender braucht als sonst jemand. Ja, und Fischer Norström sieht das auch ein, aber Alva nicht.
»Oh nee, das ist meins«, sagt Alva.
Das gefällt der Bürgermeisterin nicht. Genau genommen hätte sie diesen Lachs schon vor Tagen bestellt, behauptet sie. Auch wenn Fischer Norström das anscheinend vergessen hat. Als aber Alva trotzdem nicht klein beigeben will, wird die Bürgermeisterin rot vor Zorn.
»Mein liebes Kind, wissen Sie eigentlich, wer ich bin? Ich bin Frau Bürgermeister Dalin.«
»Das weiß ich«, sagt Alva freundlich. »Aber weiß die Frau Bürgermeister, wer ich bin?«
»Nein, bei Gott nicht«, versichert die Bürgermeisterin.
»Ja also, ich bin die, die diesen Lachs kriegt!«, sagt Alva und legt den Fisch seelenruhig in ihren Korb.
Dann scheucht sie Madita und Lisabet zur Tür hinaus. Trotzdem bleibt Lisabet noch so viel Zeit, der Bürgermeisterin im Vorbeigehen zu sagen, was sie denkt. »Jetzt bist du aber die Dumme!«
Denn Lisabet möchte ja Alva ein bisschen unterstützen. Alva aber findet es nicht richtig, dass Lisabet das gesagt hat.
»Jetzt wird sie dich bei deiner Mama verpetzen«, sagt sie und bleibt stehen. »Am besten, du gehst gleich zurück und bittest um Entschuldigung.«
»Mach ich nicht, apselut nicht«, sagt Lisabet und kneift die Lippen zusammen. Alva tätschelt ihr das Gesicht, um ihr den Bock auszutreiben.
»Oh doch, Lisabet! Dass sie die Dumme ist, durftest du nicht sagen, auch wenn’s stimmt. Geh hin und sag ihr, dass es dir leidtut.«
Lisabet kneift die Lippen nur noch fester zusammen. Und jetzt kommt die Bürgermeisterin herausgesegelt, noch immer ärgerlich, das kann man ihr ansehen. Als sie Alva dort mit ihrem Lachs im Korb stehen sieht, schnaubt sie durch die Nase.
Alva versetzt Lisabet einen kleinen Schubs.
»Los, Lisabet!«
Doch Lisabet kneift die Lippen genauso fest zusammen wie vorher. So lange, bis die Bürgermeisterin den Marktplatz halb überquert hat. Da schreit Lisabet gellend hinter ihr her: »Tut mir leid, dass du solche Dumme bist!«
Endlich wird es doch Abend. Bald wird man das Maifeuer anzünden. Und nun ist es wohl Zeit für die Sandalen?
Nein, das ist es nicht. Mama ist dagegen, ist so was bloß möglich! »Meine liebe Madita, wenn du sie dir unbedingt gleich am ersten Abend verderben willst, ja, dann gibt es wirklich keine bessere Methode, als sie zum Maifeuer anzuziehen und dort damit herumzulaufen.«
Madita beteuert, dass sie sich sehr in Acht nehmen wird. Keine Sandalen der Welt können verdorben werden, wenn man sich so grenzenlos in Acht nehmen wird, wie sie es vorhat.
Doch es nützt nichts. Mama weiß, wie es dort auf der Jahrmarktswiese aussieht: »Da gibt’s gar nichts, die alten Schnürstiefel werden angezogen und dann reden wir nicht länger darüber«, sagt Mama.
Hier steht nun Madita, die so fein sein wollte, dass die ganze Stadt Mund und Nase aufsperrt. Und es bleibt ihr nicht mal Zeit zu einem Versuch Mama umzustimmen, denn Mama und Papa wollen mit ein paar Freunden im Hotelpavillon zu Abend essen und sie haben es eilig.
»Auf Wiedersehen, meine Goldspatzen«, sagt Mama. »Viel Spaß beim Maifeuer!«
Ja, das sagt sie doch tatsächlich!
Madita ist böse. Ihr ist der Abend verdorben und wütend fragt sie Lisabet:
»Wozu kriegt man überhaupt Sandalen, wenn man sie doch nicht anziehen darf? Kannst du mir das vielleicht sagen?«
»Nee, kann ich nicht«, sagt Lisabet. Sie meint, Madita hätte den lieben Gott rechtzeitig darum bitten müssen, dass Mama Madita die Sandalen erlaubt. Aber dazu ist es jetzt zu spät. »Wo sie jetzt schon im Pavillon sitzt, kann er ihr ja nicht mehr damit kommen!«
Madita schnaubt verächtlich.
»Nee, und außerdem kann ich dir nur sagen, dass, wenn ich es will und der liebe Gott auch, aber Mama nicht, muss ich doch in den alten Stiefeln zum Maifeuer gehen.«
Dann denkt sie ein Weilchen nach. Sie denkt sogar ziemlich lange nach und schließlich sagt sie: »Aber ich tu’s nicht!«
Als Lisabet merkt, dass Madita die Sandalen anziehen will, obwohl Mama Nein gesagt hat, ist sie bange und begeistert zugleich und japst:
»Du bist ja verdreht, Madita! Bist du immer schon gewesen!«
Aber Madita ist nicht weiter bange. Mama braucht es ja nie zu erfahren. Wenn sie nach Hause kommt, liegt Madita schon längst im Bett und schläft und davor stehen die Sandalen genauso blitzblank und fein und funkelnagelneu wie vorher. Sie anzuziehen kann doch dann nicht so schrecklich schlimm gewesen sein?
Alva soll die beiden Mädchen zum Maifeuer begleiten. Sie weiß nichts von Mamas Verbot. Und als die drei durch die Gartenpforte gehen, ist Madita genauso fein, wie sie es sich ausgemalt hat. Grüne Seidenkappe, rote Jacke und neue Sandalen, ja wahrhaftig, hier kommt Stolz-Jungfrau von Birkenlund, die die ganze Stadt starr vor Staunen machen wird!
Die Jahrmarktswiese wimmelt schon von Menschen, und der Erste, den Madita entdeckt, ist Abbe. Man scheint ihn also zu keiner flotteren Feier eingeladen zu haben und das ist ein wahrer Segen. Denn diese Joppe, die er anhat, ist ihm viel zu groß, damit kann er ja wohl nicht gut zu einem Fest gehen. Das Beste, was sich über diese Joppe sagen lässt, ist, dass Abbes Hosen, die am Hinterteil geflickt sind, darunter nicht zu sehen sind. Aber was Abbe anhat, ist Madita völlig egal, für sie ist er hübsch genug mit seinen hellblauen Augen und seinem weißblonden Haar, das überall unter der Schirmmütze hervorguckt. Er ist allein und Madita läuft zu ihm.
»Sonst geht’s bestens, ja?«, sagt Abbe.
Vergeblich wartet Madita darauf, dass er ihre Sandalen entdeckt. Es hilft auch nicht, dass sie wer weiß wie mit den Beinen zappelt.
»Hast du Flöhe?«, fragt er nur.
Und seltsam genug scheint sich auch sonst niemand darum zu kümmern, was Madita an den Füßen hat.
Jetzt zündet der Schornsteinfeger das Feuer an. Mit Geknister beginnt es zu brennen und höher und höher lodern die Flammen zum Frühlingshimmel empor. Die Leute jubeln und schreien Hurra und der Männerchor singt: »Wie herrlich lacht uns die Sonne im Mai!«
Maditas Lieblingslied! Besonders ein Ton darin lässt ihr das Herz erzittern. Das Feuer und das Lied und der Frühlingsabend, oh, wie kann etwas nur so schauerlich schön, so herrlich und so traurig sein! Die ganze Madita ist zum Bersten angefüllt von etwas, sie weiß nicht was. Etwas, das nicht mal einen Namen hat. Ja, natürlich ist es das Leben, das sie in sich spürt, aber da ist noch was. Und plötzlich weiß sie, was es ist. Reue! Die Sandalen, ach, Sandalen sind läppisches Zeug, wo das Leben so großartig, so wunderbar und herrlich ist, das weiß sie jetzt, und sie bereut das mit den Sandalen so sehr, dass sie am liebsten losheulen möchte. Wie konnte sie das Mama nur antun! Oh, wie sehr sie sie morgen um Verzeihung bitten wird! Aber bis morgen kann sie das nicht allein mit sich herumtragen. Sie muss es auf der Stelle beichten, und zwar Alva. Denn Alva versteht sich darauf zu trösten, wenn man Trost braucht.
Aber Alva und Lisabet plaudern mit dem Schornsteinfeger. Madita geht ein bisschen auf und ab und wartet darauf, dass Alva endlich allein ist. Sie bemüht sich dort entlangzutrippeln, wo es nicht schmutzig ist, aber es ist so gut wie überall schmutzig. Mama hat recht gehabt wie immer. Betrübt guckt Madita auf ihre Sandalen hinunter. Und gerade da kommt Mia angelaufen. Mia, die in Maditas Klasse geht und so viele Läuse auf dem Kopf hat.
Endlich eine, die sieht, was man anhat. Mia mustert Madita von Kopf bis Fuß und stößt verächtlich hervor:
»Sandalen, nun guck sich einer das an! Fein wie Katzenschiet im Milchbrei!«
Hinter Mia steht ihre kleine Schwester Matti und sie möchte es Mia nachtun.
»Sandalen, nun guck sich einer …«, beginnt sie, aber Madita lässt sie nicht ausreden. Denn jetzt wird sie mal mit dieser Mia, die dauernd nur zankt, ein Wörtchen reden.
»Du Rotzgöre, passt dir was nicht an meinen Sandalen?«, fragt Madita erst mal als Einleitung.
Mia antwortet nicht darauf, sie grinst nur höhnisch.
»Und ’ne Seidenmütze obendrein«, sagt sie. »Glaubst du, dass du damit heil nach Hause kommst? Ich nicht.«
Und damit gibt sie Maditas Kappe einen Schubs, dass sie ihr bis auf die Nase rutscht. So was lässt Madita sich nicht gefallen, ohne es heimzuzahlen. Mia kriegt einen Knuff vor die Brust, dass sie rücklings hinfliegt, und dort sitzt sie nun im Matsch. Doch da schnappt sie sich mit einem kräftigen Ruck Maditas Bein. Auch Madita fliegt hin und nun sitzen sie beide da und starren sich erbost an. So lange, bis Mia etwas Schreckliches tut. Mit ihren flinken kleinen Pfoten packt sie Maditas linken Fuß und reißt ihr die Sandale ab. Und bevor Madita es verhindern kann, hat Mia sie weit weggeworfen. Sie saust in hohem Bogen fort und plumpst irgendwo ins Menschengewühl.
Madita stößt einen Wutschrei aus.
»Dich schlag ich tot«, verspricht sie. Doch ehe sie es ausführen kann, ist Mia schon auf den Beinen und wetzt mit Matti davon. Denn jetzt hat sie Angst bekommen und will nicht mehr mit Madita reden.
Blass vor Wut und Verzweiflung krabbelt Madita hoch. Wie soll sie die Sandale wiederkriegen und wie soll sie nach Hause kommen, wenn sie sie nicht findet, und was wird Mama sagen, wenn morgen früh nur eine kleine verdreckte Sandale unter dem Bett steht?
Weinend kommt Madita auf einem Bein zu Alva gehopst.
»Ja, gibt’s denn so was!«, ruft Alva, als sie die ganze traurige Wahrheit über die verbotenen Sandalen und Mias Schandtat erfährt.
Und jetzt beginnt das Suchen. Alva und Lisabet müssen es tun. Madita kann dabei natürlich nicht helfen.
»Du bleibst hier stehen«, sagt Alva.
»Auf einem Bein«, sagt Lisabet und gluckst vor Lachen.
Und während die beiden suchen, steht Madita da und weint. Allein in der Frühlingsdämmerung. Noch brennt das Feuer und noch erklingen die Lieder. Kleine, blasse Sterne brechen am Himmel hervor, es ist ein Frühlingsabend, so schön, wie ein Frühlingsabend nur sein kann. Doch Madita hat nicht das Gefühl, dass es auf dieser Erde je wieder etwas Schönes gibt. Sie steht auf einem Bein und weint. Und Alva und Lisabet suchen und fragen. Aber niemand hat eine Sandale gesehen. Schließlich gibt Alva es auf.
»Dann musst du eben ohne die Sandale nach Haus hoppeln«, sagt sie. »Du kannst mich ja unterhaken, so gut es geht, dich tragen kann ich nämlich nicht.«
Arme Madita, welche Heimkehr! Soll dies etwa Stolz-Jungfrau von Birkenlund sein, diese pitschnasse und dreckige, hopsende, schniefende und schluchzende Madita, die an Alvas Arm hängt? Der Heimweg nach Birkenlund ist weit, wenn man auf einem Bein hopsen muss. Manchmal kann Madita nicht mehr weiterhopsen, dann geht sie auf zwei Beinen, aber das gefällt dem linken Fuß gar nicht, denn der Weg ist holprig und kalt und aufgeweicht ist er auch. Und dann hopst Madita wieder, hopst und schluchzt. Alva bedauert sie von Herzen. Das tut Lisabet wohl auch, aber trotzdem kann sie das Lachen nicht zurückhalten, ab und zu blubbert es heraus. Dabei traut sie sich eigentlich gar nicht zu lachen, weil Madita ja so wütend werden kann.
Ein Stück hinter ihnen geht Abbe und pfeift eine kleine lustige Melodie vor sich hin. Das macht Madita nicht gerade fröhlicher. Jetzt haben sie den Heimweg ungefähr zur Hälfte geschafft und da ruft Abbe plötzlich:
»Du, Madita, hör mal, ich überleg mir schon die ganze Zeit was. Warum hopst du eigentlich immerzu auf einem Bein?«
Madita antwortet nicht, sie schluchzt nur auf. Aber dafür ruft Lisabet: »Weil sie nur eine Sandale hat, stell dir vor!«
Madita tut so, als höre sie nicht. Aber jetzt kann sie nicht mehr weiter, jetzt gibt sie endgültig auf. Sie schlingt die Arme um Alva und weint ihre Verzweiflung über diesen missglückten Abend und über ihre elenden Sandalen laut heraus.