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Als im Juli 1974 das erste Heft dieser Zeitschrift mit bibliographischen Angaben zu den Werken Karl Mays erschien, konnten wir an einen derartigen Erfolg nicht denken. Rasch war die erste, bescheidene Auflage vergriffen, ständige Neuauflagen mussten erfolgen. Das gab uns Mut, diese Zeitschrift weiter auszubauen, neben den rein bibliographischen Angaben folgten bald Artikel über die Autoren der Abenteuer-, Reise- und Unterhaltungsliteratur. Einen breiten Rahmen nahmen auch die ‚klassischen Heftromane‘ ein, insbesondere aus der Vorkriegszeit. Informationen über die Autoren, die Verlage und die verschiedenen Ausgaben gehörten bald regelmäßig zu den Themen. Ende 1976 erfolgte dann die Umbenennung in „MAGAZIN für Abenteuer-, Reise- und Unterhaltungsliteratur“. Für die Herausgeber war die ständige Mitarbeit zahlreicher Leser Ansporn, Niveau und Ausstattung der Zeitschrift ständig zu verbessern. Karl May – das Phänomen, das noch heute große Leserscharen begeistert, behielt im MAGAZIN stets Vorrang bei den Themen. Dieses Kompendium ist eine leicht überarbeitete Neuauflage einzelner Ausgaben dieses Magazins, das zwischen 1974 und Anfang der 1990er Jahre erschien und teilweise antiquarisch kaum noch zu bekommen ist. Der Umfang dieses Buches entspricht 336 Taschenbuchseiten
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MAGAZIN
für
Abenteuer-, Reise- und
Unterhaltungsliteratur
Kompendium Band 1
Herausgegeben von Thomas Ostwald
Bärenklau Exklusiv
Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv
Cover: © by Steve Mayer, 2022
Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang
Die Rechte der im Innern abgebildeten Cover liegen bei den jeweiligen Rechteinhabern.
Alle Rechte vorbehalten
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Das Buch
MAGAZIN für Abenteuer-, Reise- und Unterhaltungsliteratur
Vorwort
Die Entwicklung der Indianergeschichten bei Karl May, dargestellt am Beispiel der Wandlung Winnetous vom Gewaltmenschen zum Edelmenschen
Klaus-Dill-Bilder
Auch das ist Karl May (Ist das noch Karl May?).
Für Deutschland um die Welt – Die Abenteuer des „RoIf Torring“
Von Carter bis Cotton – Sieben Jahrzehnte deutschsprachiger Heftroman
Marco Polo in Preußen. Über den „ältesten“ deutschen Reisebericht.
Neues um Sherlock Holmes
Karl May und „Der verlorene Sohn“
Karl May in Augenzeugenberichten 1.
Vernichtet, aber nicht besiegt – Gedanken über Ernest Hemingway
Plädoyer für die Unterhaltungsliteratur
Friedrich Gerstäckers Leben in Augenzeugenberichten und Selbstzeugnissen
Yippih they are riding again…
Angepasste Produktion oder produzierte Anpassung?
Die Menschliche Komödie des Sir John Retcliffe
WINNETOU ERZÄHLT
60 Jahre Babel und Bibel Karl Mays Drama noch immer unaufgeführt
Neue Karl-May-Reprints
Georg Goll
KARL MAY IN AUGENZEUGENBERICHTEN 2.
Winnetou darf nicht sterben
Karl May in Königswinter
Der unterirdische Gang
Die Geisterschmiede von Kulub
Manipulation durch Unterhaltungsliteratur?
Das Urbild des Robinson:
Alltag und Phantasie
„Sun Koh“ und kein Ende!
May-Kuriosa
Das Urbild des Robinsons:
„Sun Koh“ und kein Ende! 2. Teil
Beharrlich im Schatten des Meisters
Emilio Salgari
KARL MAY IN AUGENZEUGENBERICHTEN 3.
Augsburger Postzeitung 6. Februar 1909:
Edgar Rice Burroughs’ Tarzan
Der alte Mann und das Meer
Beharrlich im Schatten des Meisters. Teil 2
Als im Juli 1974 das erste Heft dieser Zeitschrift mit bibliographischen Angaben zu den Werken Karl Mays erschien, konnten wir an einen derartigen Erfolg nicht denken. Rasch war die erste, bescheidene Auflage vergriffen, ständige Neuauflagen mussten erfolgen. Das gab uns Mut, diese Zeitschrift weiter auszubauen, neben den rein bibliographischen Angaben folgten bald Artikel über die Autoren der Abenteuer-, Reise- und Unterhaltungsliteratur. Einen breiten Rahmen nahmen auch die ‚klassischen Heftromane‘ ein, insbesondere aus der Vorkriegszeit. Informationen über die Autoren, die Verlage und die verschiedenen Ausgaben gehörten bald regelmäßig zu den Themen.
Ende 1976 erfolgte dann die Umbenennung in „MAGAZIN für Abenteuer-, Reise- und Unterhaltungsliteratur“. Für die Herausgeber war die ständige Mitarbeit zahlreicher Leser Ansporn, Niveau und Ausstattung der Zeitschrift ständig zu verbessern. Karl May – das Phänomen, das noch heute große Leserscharen begeistert, behielt im MAGAZIN stets Vorrang bei den Themen.
Dieses Kompendium ist eine leicht überarbeitete Neuauflage einzelner Ausgaben dieses Magazins, das zwischen 1974 und Anfang der 1990er Jahre erschien und teilweise antiquarisch kaum noch zu bekommen ist.
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Band 1
Herausgegeben von Thomas Ostwald
Die vorliegende Auswahl meiner Zeitschrift „MAGAZIN für Abenteuer, Reise- und Unterhaltungsliteratur enthält einige der interessantesten Artikel aus der Frühzeit der Zeitschrift.
Als im Juli 1974 das erste Heft dieser Zeitschrift mit bibliographischen Angaben zu den Werken Karl Mays erschien, konnten wir an einen derartigen Erfolg nicht denken. Rasch war die erste, bescheidene Auflage vergriffen, ständige Neuauflagen mussten erfolgen. Das gab uns Mut, diese Zeitschrift weiter auszubauen, neben den rein bibliographischen Angaben folgten bald Artikel über die einzelnen Schriftsteller von Sammlern und Kennern der Materie. Mit zunehmender Abonnentenzahl konnte auch die technische Ausstattung verbessert werden, ein regelmäßiges Erscheinen war gesichert.
Ende 1976 erfolgte dann die Umbenennung in „MAGAZIN für Abenteuer, Reise und Unterhaltungsliteratur“, um den mehr und mehr als Kunden hinzukommenden Buchhandlungen eine Auslage in den Geschäftsräumen zu erleichtern. Aus der einstigen Kunden-Service-Zeitschrift war eine eigenständige Zeitschrift geworden, die dann durch das Presse-Grosso zu beziehen war. Für die Herausgeber war die ständige Mitarbeit zahlreicher Leser Ansporn, Niveau und Ausstattung der Zeitschrift ständig zu verbessern. Sollte dies nicht immer gelungen sein, bitten wir zu bedenken: keine Zeitschrift kann immer nur gute Artikel veröffentlichen. Dass wir nicht kritiklos neue Methoden in der Karl-May-Forschung hingenommen haben, hat uns nicht nur Freunde geschaffen, bringt und aber auch nicht davon ab, sachliche Gegenartikel zu veröffentlichen. Karl May – das Phänomen, das noch heute große Leserscharen begeistert, wird in unserem Magazin immer eine Sonderstellung einnehmen. Die ständig neu hinzukommenden Abonnenten äußerten oft den Wunsch nach früheren Ausgaben unserer Zeitschrift. Mit diesem Kompendium wollen wir diesem Wunsch entsprechen – 1978 so wie auch heute mit der vorliegenden Auswahl.
Thomas Ostwald, Braunschweig 2022
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Thomas Ostwald
Winnetou! Ein Name, der auch heute noch die Herzen zahlreicher Karl-May-Leser höherschlagen lässt, ein Name, der auch nach Jahrzehnten nichts von seiner Faszination verloren hat. Der edle Häuptling der Apachen, Blutsbruder Old Shatterhands, zieht junge und alte Leser immer wieder in seinen Bann. Die Entstehung der Gestalt des berühmten Häuptlings und sein mögliches historisches Vorbild beschäftigte schon sehr früh die Karl-May-Forscher. Man bemühte sich, Licht in das „Leben“ des Mannes zu bringen, auf dessen Wort zahlreiche Stämme hören sollten. Wie bei vielen Dingen, so gingen auch hier bald die Anrichten auseinander. Die einen sind sicher, dass der Apachenführer Geronimo das Vorbild gewesen sei, die anderen dagegen widerlegen es und sagen: Alles Quatsch. Die Apachen waren ein räuberisches Volk, von den anderen Stämmen verhasst und verachtet gewesen. Außerdem wären autokratische Häuptlingsgestalten bei den Indianern völlig unbekannt. Den Karl-May-Leser mag das alles bei der Lektüre wenig gestört haben, ob Winnetou tatsächlich gelebt hat oder ob er ein historisches Vorbild hatte – die Frage zu klären wäre müßig. Zwar trug Karl May nicht unwesentlich dazu bei, Verwirrung unter seinen Lesern anzurichten, mit seinen offensichtlich präzisen Angaben zu Winnetou und seinem Stamm – doch: Wer hier Antwort erhofft hatte, erhielt sie in der Form der Reiseerzählung, in Romanform! Wie viele Beispiele in der Literatur mag es wohl geben, dass die erfundenen Romanhelden von Lesern verehrt wurden. Nicht nur wenige, nein Hunderte pilgerten beispielsweise in die Baker Street, um Conan Doyles Sherlock Holmes aufzusuchen! Dass dies nicht nur Erscheinungen des 19. Jahrhunderts waren, das manch einer gern als „romantischer“ hinstellen möchte, als es gewesen ist, beweist ein Beispiel aus jüngerer Zeit: Rex Stouts Krimiheld Nero Wolfe, schwergewichtiger Schnelldenker und Kombimeier, hat auch heute noch einen „Fan“-Kreis, der sich in seinem „Leben“ besser auskennt als der Autor! Das beweisen nicht nur Gespräche zwischen Autor und Lesern, sondern auch die Tatsache, dass ein besonders eifriger Leser eine überaus köstlich zu lesende Biographie Nero Wolfes schrieb, die 1969 auch in deutscher Sprache bei Ullstein erschienene Biographie „Nero Wolfe of West Thirtyfifth Street“ von William S. Baring-Gould. Sie ist leider inzwischen vergriffen. Der Autor hatte einige Jahre vorher bereits „Sherlock Holmes of Baker Street“ veröffentlicht. Es wäre also gar nicht so abwegig, Winnetous „Biographie“ zu erstellen. Genau wie sich Baring-Gould mühsam seine Einzelheiten aus Stouts bzw. Doyles Veröffentlichungen zusammengesucht hat, müsste man dies auch mit Sicherheit bei Winnetou schaffen können. Die Frage bleibt allerdings, wer das will – zumal selbst eingefleischte May-Freunde heute ohne Bedenken eingestehen, dass Winnetou zumindest in der von Karl May geschilderten Weise kaum gelebt haben kann. Doch ist eine tatsächliche Existenz der Romanfigur für den Leser sowieso nebensächlich, solange er sich mit den Taten und Abenteuern
identifizieren kann. Nach meinen Erfahrungen im Buchhandel, unterstützt durch Befragungen im Laden und bei verschiedenen Gelegenheiten, fällt das „Entdecken“ der Abenteuer Winnetous meistens in das Alter von etwa 11 bis 13 Jahren. Das heißt, in dieser Zeit entdeckt der Jugendliche „seinen“ Karl May. Interessanterweise greifen die meisten „Anfänger“ zu einem der Winnetou-Bände, und auch Eltern verlangen diese Bände als Geschenk für den „Erstleser“. Trotz der Aufgeschlossenheit der heutigen Heranwachsenden für alles Technische geht noch immer von den Erzählungen Karl Mays ein „Zauber“ aus, dem sich selbst die älteren „Erstleser“ schwer entziehen können. Doch – nach eigenem Erleben – beginnt eine Kenntnis von Mays Helden Winnetou und Old Shatterhand schon wesentlich früher. So verblüffte mich mein heute sechsjähriger Neffe vor einem guten Jahr mit erstaunlichem May-Wissen. Zwar ist er „vorbelastet“, da er häufig bei mir ist und nicht nur die „grünen“ Bände sieht, sondern auch die übrigen Karl May-Artikel, die in meiner Sammlung stehen, wie May-Comics und May-Figuren. Dennoch war sein Wissen erstaunlich, zumal er noch nicht lesen konnte und wir eigentlich wenig über Winnetou und Old Shatterhand’s Abenteuer gesprochen hatten. Eines Tages überraschte er mich mit der Aufforderung zum Indianerspiel, wobei er Winnetou sein wollte, „der immer siegt und der Stärkere ist“. Was ich mit diesem Beispiel sagen will ist, dass selbst die Jüngsten schon Indianer immer mit Winnetou und seinen Kriegern gleichsetzen. Diese Erfahrung wurde durch das gerade durchgeführte Karl May-Preisausschreiben für Kinder und den Besuch des Winnetou-Darstellers (Bad Segeberg) H.I. Hilger noch bestätigt. Selbst ABC-Schützen kannten „ihren“ Winnetou und Einzelheiten aus den Karl-May-Büchern. Interessieren sie sich eist einmal für das Indianerspiel, stellen sie ihren Eltern Fragen, und in den meisten Fällen erinnert sich der Vater an die gelesenen May-Bände. Es beginnt auf diese Weise schon ein sehr frühes Hineindenken in die Indianergeschichten Karl Mays, das nicht zuletzt durch die Filme unterstützt wurde, die jetzt im Fernsehen wiederholt wurden. Keineswegs möchte ich dem Elfjährigen absprechen, dass er nicht genau weiß, dass das, was da vor ihm über die Leinwand flimmert, doch nur „Kintopp“ ist, also erfunden. Trotz allem drängten sie sich um Herrn Hilgers bei der „Winnetou-Autogrammstunde“. In diesen Augenblicken ist Winnetou real, tatsächlich da, und selbst die, die sagen: „Ist ja doch kein echter Indianer!“ holten sich schließlich ihr Winnetou-Autogramm.
Vor kurzem hatte ich ein Gespräch mit einem älteren Herrn, und wir kamen auch auf Karl May und den „Winnetou“ zu sprechen. Dabei gestand mir mein Gesprächspartner, wie sehr ihn Winnetous Tod als jugendlicher Leser bewegt hatte, wie er mit Tränen in den Augen zu seinem Freund gelaufen sei und nur ausrufen konnte: „Winnetou ist tot! Winnetou ist tot!“ Wie vielen von uns ist es ähnlich ergangen, wenn wir ehrlich sind! Aus diesem Mitfühlen, Mithandeln und Miterleben heraus sind mir Anfragen der Leser und Verhalten des Autors in den Jahren seines größten Erfolges durchaus verständlich. Zahlreiche dieser Anfragen betrafen den berühmten Indianerhäuptling, über den Karl May schließlich und bereitwillig Auskunft gab, sein Sterbedatum mitteilte und erklärte, er hätte dem Sterbenden noch die Taufe gegeben, damit er als Christ sterben konnte. Ebenso zahlreiche Anfragen trafen auch ein, die sich mit den drei berühmten Gewehren, der Silberbüchse, dem Henrystutzen und dem Bärentöter beschäftigten. Auch hier gab Karl May bereitwillig Antwort und lieferte damit Zündstoff für Auseinandersetzungen bis in die heutige Zeit. Gerade die Herkunft der Gewehre hat mehrfach die Gemüter bewegt, sie ist im Grunde jedoch für den Leser genauso nebensächlich wie die Identität Winnetous. Dennoch wollen wir darauf in einer späteren Abhandlung zurückkommen, weil nach meiner Ansicht einige Irrtümer geklärt werden müssen, wenn man schon so ernsthaft an die Untersuchung von Romanrequisiten herangeht wie Herr Hoffmann im Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 1974. Welcher Doyle-Forscher hat einmal die Gegenstände im Sherlock-Holmes Museum in London auf ihre Echtheit und Herkunft überprüft?
Ich will hier keine endgültige Darstellung der Entstehung Winnetous geben. Es liegt mir vielmehr daran, einige Möglichkeiten aufzuzeigen, die mit dazu beigetragen haben können, den Winnetou zu formen, den so zahlreiche Karl-May-Leser aus den Bänden 7 – 9 kennen. Natürlich wird vieles hypothetisch bleiben müssen, denn woher ein Autor letztlich seine Anregungen nimmt, weiß nur er selbst und bestenfalls einige enge Mitarbeiter bzw. Vertraute. Nach meiner Ansicht war das Werk von George Catlin, „Die Indianer Nordamerikas und die während eines achtjährigen Aufenthalts unter den wildesten ihrer Stämme erlebten Abenteuer und Schicksale“, eine sehr wichtige Quelle für Karl May. Auch mit dem Thema „Karl May und George Catlin“ haben sich schon andere beschäftigt, mussten jedoch immer wieder feststellen, dass alles Vermutung bleibt, Beweise konnte keiner liefern – und auch ich kann es nicht. Ich kann nur versuchen, den Leser auf einige Dinge aufmerksam zu machen, die mir aufgefallen sind, und ihn dann zu eigenen Schlüssen ermuntern. Es wäre müßig, darüber zu streiten, ob Karl May Catlin oder erst Ferry gelesen hat. Nach den Beständen in seiner Bibliothek kann man sich allein auch nicht richten, denn es ist bekannt, dass er während seiner Gefängnisaufenthalte die Bibliotheken betreute und durchaus Gelegenheit zu entsprechenden Vorstudien hatte. 1851 erschien eine deutsche Übersetzung von Ferry’s Waldläufer, im gleichen Jahr erschien auch Catlins Werk erstmalig. Mit Sicherheit haben beide Werke entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung der Indianererzählung bei Karl May gehabt, und ich hoffe, das anhand einiger Beispiele darstellen zu können. Betrachtet man Karl Mays erste Indianererzählungen, so wird Winnetous Auftreten uns oft sehr merkwürdig anmuten.
Auf Winnetous Spuren
Im Jahre 1875 erschien die Erzählung „Inn-nu-woh, der Indianerhäuptling“ in der von Karl May betreuten Zeitschrift „Deutsches Familienblatt“, Verlag H.G. Münchmeyer. Es handelt sich dabei um eine typische Kurzgeschichte für eine Zeitschrift spannend geschrieben, jedoch ohne tieferen Hintergrund. Setzt man einmal den Indianerhäuptling Inn-nu-woh einem Ur-Winnetou gleich, worauf schon die Namensähnlichkeit hinweist, so hat er mit dem späteren Edelmenschen wenig gemein. Der Leser erfährt nicht sehr viele Einzelheiten über den Sioux-Häuptling: „Er war von nicht gar zu hoher Gestalt, aber der Bau seines gedrungenen Körpers und insbesondere die Breite seiner Brust machten mich in meinem bisherigen Unglauben doch etwas wankend.“ Vorgestellt wurde dieser Indianer dem Erzähler nämlich als „best’ Schwimm’ in den United States“. Sonst teilt Karl May nur wenig Einzelheiten mit, wir erfahren, dass der Indianer „reiches, mähnenartiges Haar“ hatte – siehe meine Ausführungen in Bezug auf Catlin weiter unten. Später hat Karl May diese Episode umgearbeitet und an den Beginn der Erzählung vom „Schatz im Silbersee“ gestellt (vgl. Reprint der Union-Ausgabe Karl-May-Verlag/Verlag A. Graff, 1973, S. 7 ff).
Im gleichen Jahr wurde die Erzählung „Old Firehand“ im „Deutschen Familien-blatt“ veröffentlicht. Auch diese Erzählung mutet den May-Leser merkwürdig an, wenn er die später entstandenen Erzählungen kennt. Der Erzähler, von dem wir auch in der Geschichte „Inn-nu-woh“ wenig über seine eigene Person erfuhren, tritt hier wieder auf, jetzt jedoch schon als kundiger Westmann. Er ist bewaffnet mit einem Henrystutzen, der „fünfundzwanzig Kugeln im Kolben“ hatte. Abgesehen von der Tatsache, dass kein Henrygewehr die Kugeln im „Kolben“ hatte, sondern bestenfalls im „Handschutz“ (wenn man es schon so ausdrücken will), ist es interessant, dass eines der berühmten Gewehre schon hier auftaucht. Doch wie erscheint Winnetou in dieser Erzählung? Er ähnelt dem wilden, stolzen Sioux-Häuptling Inn-nu-woh noch sehr, wird jetzt jedoch schon unter dem Namen Winnetou vorgestellt und ist ein Apachenhäuptling. Er ist ein „Wilder“ im wahrsten Sinne des Wortes und so blutrünstig im Kampfe, wie man sich vielleicht die Indianer im fernen Europa vorgestellt haben mag, wenn man die spärlichen Reiseberichte las, die zu dieser Zeit erschienen. Winnetou kennt seinem Feind gegenüber kein Erbarmen, er tötet und skalpiert seine Gegner, so wie Catlin über die Indianerkämpfe berichtete. Auch das Freundschaftsverhältnis zum Erzähler ist nicht sonderlich ausgeprägt, von Blutsbruderschaft keine Rede. Winnetou hat noch wenig Erfahrung mit der Zivilisation gemacht und trifft zum ersten Mal auf ein „Feuerross“, das ihm Angst und Entsetzen einjagt – für den späteren, ruhigen und edlen Winnetou eine unfassbare Blöße. Karl May hat diese Erzählungen geschrieben, um zu unterhalten, dem Leserseiner Zeitschrift Zerstreuung zu bieten. Zu dieser Zeit beherrschte er noch nicht den „Kunstgriff“, in seine Erzählungen ausführliche Landschaftsbeschreibungen einzubauen oder über Sitten und Gebräuche der Indianer zu berichten – sieht man von einigen ganz geringen Ausnahmen ab. (Dass die Indianer skalpierten, wussten damals die meisten Leser der Abenteuerlektüre). Am Schluss der Erzählung nimmt Winnetou für immer Abschied vom Erzähler, der mit seiner großen Liebe, Ellen, Hand in Hand davonreitet. Winnetou war schon ein älterer Krieger, und der Erzähler erwartete nicht, ihm wieder einmal zufällig zu begegnen. In der Erzählung treten zwar schon einige Personen auf, die uns auch später wieder begegnen werden, aber sie sind alle noch nicht so „lebendig“ gezeichnet wie in den folgenden Geschichten. Sam Hawkins mit seiner „Liddy“ und seinem ewigen „wenn ich mich nicht irre“ ist schon dabei, Dick Stone, Will Parker und schließlich Old Firehand – aber alle müssen in dieser Erzählung sterben, werden „ausgelöscht“, mit Ausnahme Sam Hawkins. Noch etwas muss hier besonders erwähnt werden: Die zarte Liebesgeschichte zwischen Ellen, der Tochter Old Firehands, und dem Erzähler. Für den späteren Old Shatterhand wären Szenen wie in dieser Geschichte undenkbar, und selbst seine Liebe zu Nscho-tschi ist ungleich feiner, zärtlicher geschildert. Was würden die Leser wohl sagen, wenn Old Shatterhand ein ohnmächtiges Mädchen küssen würde? So geschehen in „Old Firehand“: „Ich nahm sie in die Arme, strich ihr das lange, reiche, aufgelöste Haar aus der Stirn, rieb ihr die zarten Schläfen, legte, um der regungslosen Brust Atem zu geben, meinen Mund auf ihre Lippen, rief sie bei den zärtlichsten Namen, die ich jemals gehört… Ich drückte sie an das Herz und küsste vor seliger, unendlicher Freude die sich mehr und mehr erwärmenden Lippen… (Bd. 71, S.37). Es wäre ein völlig unwürdiges Verhalten Old Shatterhands. Nun, so wie sich die Gestalt der Ich-Person veränderte, so veränderte sich die Gestalt Winnetous, und auch die anderen Figuren erhielten ausgeprägtere Charaktere.
1877 bearbeitete Karl May Gabriel Ferry’s „Waldläufer“ von Grund auf neu, so dass fast ein eigener, neuer Roman daraus wurde. Der Indianer Rayon Brulant, der „Brennende Stahl“, wurde zu „Falkenauge“, und Falkenauge selbst war schon wieder ein Schritt näher zum späteren Winnetou. Zwar ist er Komantsche und erbitterter Feind der Apachen, doch das spielt in Bezug auf den „werdenden Winnetou“ keine entscheidende Rolle. Ich vermute sogar, dass Karl May sich gerade die Apachen ausgewählt hat, weil von ihnen in allen Berichten nur Negatives berichtet wurde. Zwar räumt er gelegentlich in den Erzählungen ein, dass die Apachen früher ein räuberischer Stamm waren, jetzt jedoch unter der Führung ihres Häuptlings Winnetou zu edlen Kriegern gereift wären. Das erwähnt Karl May bereits in der Erzählung „Auf der See gefangen“, die 1878 in der Zeitschrift „Frohe Stunden“ abgedruckt wurde. Zuvor jedoch noch ein Wort zum äußeren Erscheinungsbild Falkenauges und dann zu Winnetou in der Erzählung „Auf der See gefangen“. „Die nervigen Körperformen und der elastische, stolze Schritt, mit dem der junge Krieger eintrat, mussten sofort auffallen. Seine breiten Schultern und seine starke Brust waren nackt; um seine schlanken Hüften schlang sich eine feingewebte Saltillodecke, die in glänzenden, verschiedenartigen Farben schillerte. Gamaschen von scharlachrotem Tuch bedeckten seine Unterschenkel; mit Pferdehaar gestickte Kniebänder und eigenartig aus Stachelschweinborsten gearbeitete Eicheln umschlossen über den Knöcheln diese Gamaschen, und die Füße steckten in kunstreichen Mokassins, die ihm Mola geschenkt hatte. Sein Kopf trug einen höchst sonderbaren Schmuck, der fast das Aussehen eines schmalen Turbans hatte. Es war eine aus zwei malerisch gewundenen bunten Tuchstreifen bestehende Stirnbinde. Die in zwei Zöpfen mit kleinen Silbermünzen, länglichen Muscheln und farbigen Bandstreifen durchflochtenen Haare hingen zu beiden Seiten des Kopfes über die Schultern herab. Die getrocknete, glänzende Haut einer Klapperschlange schlang sich durch die Falten der Stirnbinde, und sowohl die Schwanzklappern als auch der mit spitzigen Zähnen bewehrte Kopf des Reptils lagen zwischen den Haaren auf den Schultern, wodurch der Eindruck einer eigentümlichen Wildheit erweckt wurde.“ (Bd. 70, S. 285). Die Züge dieses Indianers waren edel geschnitten, und „Mut und Gerechtigkeitssinn“ zeichneten sich auf seiner Stirn ab. Bewaffnet ist dieser Indianer bereits mit der Silberbüchse, die bei Ferry als kupferbeschlagene Büchse erwähnt wird (die übrigens tatsächlich bei vielen Indianern ähnlich verziert wurde, auch Sitting Bulls Gewehr wurde mit Nägeln verziert) Ansonsten ist jedoch auch dieser „Winnetou-Ahne“ ein „wilder“ Indianer. Er unterscheidet sich kaum von dem Krieger, der uns in der erwähnten Erzählung „Auf der See gefangen“ vorgestellt wird. Zur äußeren Erscheinung lesen wir wie folgt: „Sein Gewand war sauber und sichtlich gut gehalten, eine außerordentliche Seltenheit von einem Angehörigen seiner Rasse. Sowohl der Jagdrock als die Leggins waren von weichgegerbtem Büffelkalbleder, in dessen Bereitung die Indianerfrauen Meisterinnen sind, höchst sorgfältig gearbeitet und an den Nähten zierlich ausgefranzt; die Mocassins waren aus Elenhaut und nicht in fester Fußform, sondern in Bindestücken gefestigt, was dieser Art von Fußbekleidung neben erhöhter Dauerhaftigkeit auch eine größere Bequemlichkeit verleiht. Die Kopfbedeckung fehlte; an ihrer Stelle war das reiche, dunkle Haar in einen Knoten geschlungen, welcher turbanartig auf dem stolz erhobenen Haupte thronte.“ Der Leser erfährt hier ganz nebenbei etwas über die Herstellung der indianischen Bekleidung – Karl May begann, sein Wissen geschickt in den Handlungsablauf „einzubauen“. Weiter unten erfahren wir nähere Einzelheiten über das Volk der Apachen, die unter ihrem Häuptling Winnetou eine starke Wandlung erlebten: „Der Indianer war der berühmteste Häuptling der Apachen, deren bekannte Feigheit und Hinterlist ihnen früher unter ihren Feinden den Schimpfnamen „Pimo“ (mit dem übrigens Winnetou noch manchmal von seinen Feinden in den späteren Erzählungen beschimpft wird) zugezogen hatte; doch seit er zum Anführer seines Stammes gewählt worden war, hatten sich die Feiglinge nach und nach in die geschicktesten Jäger und verwegensten Krieger verwandelt; ihr Name wurde gefürchtet weit über den Kamm des Gebirges herüber… Jedermann wusste, dass er (Winnetou) schon öfters ganz allein und ohne alle Begleitung, außer derjenigen seiner Waffen, über den Mississippi herübergekommen war, um die „Dörfer und Hütten der Bleichgesichter“ zu sehen und mit dem großen „Vater der Bleichgesichter“, dem Präsidenten in Washington, zu sprechen. Er war der einzige Häuptling der noch nicht unterjochten Stämme, welcher den Weißen nicht übel wollte, und es ging die Rede, dass er sogar ein sehr enges Freundschaftsbündnis mit Firegun, dem berühmtesten Trapper und Pfadfinder des Westens geschlossen habe.“ (zitiert nach dem Zeitungsreprint der KMG, Seite 468). Auch dieser Winnetou ist noch ein Krieger, der sich mit wahrer Kampfeslust in das dichteste Getümmel wirft und mit jedem Hieb seines Tomahawks einen Gegner niederstreckt. Selbstverständlich skalpiert er seine besiegten Feinde, um sich mit den Trophäen zu schmücken. Hat Karl May mit dieser Erzählung, die im Untertitel als Kriminalroman bezeichnet wurde, auch schon eine Form der Erzählung gefunden, die an spätere Werke erinnert, so ist doch noch vieles an ihr auszusetzen. Mit diesem Winnetou kann der Leser noch keine „innige Freundschaft“ schließen, er ist vom „edlen“ Apachen noch weit, weit entfernt. Zwar hat es Karl May verstanden, ihn uns durch Abenteuer und Episoden, durch ausführliche Beschreibung seiner Person und seiner Freundschaft zu den Weißen ein wenig näher zu bringen, dennoch verbleibt nach Lektüre der Erzählung der Eindruck, dass man diesem Indianer wohl nicht mehr in den Werken Karl Mays begegnen wird. Wesentlich sympathischer ist da schon der Krieger in der Erzählung „Deadly dust“, erschienen 1879 im „Deutschen Hausschatz“ und später von Karl May als Einleitung zum „Winnetou III“ umgestaltet. Er ist in dieser Geschichte bereits überall als „gerecht, klug, ehrlich, treu, stolz und tapfer bis zur Verwegenheit“ bekannt. May schildert sein Auftreten wie folgt: „Seine breiten Schultern und seine starke Brust waren nackt und von zahlreichen Narben bedeckt. Um seine engen gerundeten Hüften schlang sich eine feine Decke von Santillo, in glänzenden, verschiedenartigen Farben schillernd. Eine kurze, prächtig gegerbte Wildlederhose legte sich eng um seine muskulösen Oberschenkel und war an den Seiten mit den Skalplocken getöteter Feinde geschmückt. Gamaschen von scharlachrotem Tuch bedeckten seine Unterschenkel, Kniebänder, von Menschenhaar geflochten, das jedenfalls auch von den Skalpen der Feinde stammte, und aus Stachelschweinborsten gefertigte Eicheln umschlossen über den Knöcheln und unterhalb der Knie diese Gamaschen, und die Füße staken in wirklich kunstreichen Mokassins, die mit Zierrat von Pferdehaaren ausgeputzt waren. Von seiner Schulter herab hing das Fell eines grauen Bären… Er trägt das Haar lang herab. Nur eine einzige Locke ist aufgewickelt, in der drei Adlerfedern stecken.“ Zitiert nach KMJB 1921, S. 343). Sieht man von einigen kleinen Ausschmückungen ab, so erscheint hier wieder die Gestalt des Rayon Brulant-Falkenauges, die Karl May schon in seiner (bereits zitierten) Bearbeitung verändert hatte. Wie bei Catlin (darauf kommen wir später noch einmal zurück) beschrieben, trägt er das Haar offen herabhängend. Seine Beinbekleidung ist mit Skalphaaren geschmückt, und was beim „Brennenden Stahl“ mit Pferdehaar bestickt war, ist nun ebenfalls mit Menschenhaar versehen. Auch in seiner ganzen Wesensart ist der Apache, der „brave Krieger“, noch nicht „über seinen Schatten gesprungen“. Er tötet aus Rachemotiven und verfolgt seine Feinde unbarmherzig. Für die spätere „Winnetou III“-Erzählung mussten hier natürlich einschneidende Änderungen bei der Verarbeitung der Geschichte vorgenommen werden. Am Schluss der Erstfassung verabschiedete sich der Erzähler wieder für immer von Winnetou.
In all diesen Indianereizählungen ist die Handlung vordergründig, die Unterhaltung, das Abenteuer für den Leser wesentlicher Bestandteil. Wohl wird einmal erwähnt, dass die Indianer bedroht seien, aber vom heldenhaften Kampf für die Indianer ist nicht die Rede, es wird munter gemordet, skalpiert und geschossen. Auch unser Old Shatterhand ist nicht frei von wilden Zügen, es „kribbelt“ ihm manchmal am Abzugsfinger, wie z.B. in der Erzählung „Deadly dust“, als er beinahe ein paar Indianer aus dem Hinterhalt „abgeknallt“ hätte. Die Haltung, die Old Shatterhand bzw. Karl May den Indianern gegenüber einnimmt, ist charakteristisch für die damalige Zeit zu nennen. Der Indianer war für alle der Wilde, der zurückweichen musste, der dem Weißen Platz zu machen hatte und keinerlei Rechte besaß. Es wäre allzu hypothetisch, wollte man behaupten, dass Catlins Werk hier entscheidenden Einfluss auf Karl May ausübte. Catlin hat sich jedoch tatsächlich der Indianer angenommen und war stark betroffen, als er vom Untergang der Mandan erfuhr. Catlin hat sich mehrfach für die Indianer in seinem Werk eingesetzt, ja, man kann sagen, dass er diese schlichten, einfachen Menschen liebte. Mit wahrer Begeisterung berichtete er oft über die schönen Indianer, und mit Wehmut nahm er an ausgelassenen Festen teil, immer mit dem Gedanken, dass diese Rasse dem Untergang geweiht war. Vielleicht gab einiges aus diesem Werk bei Karl May den Ausschlag, sich mehr für die unterdrückten und ausgenutzten Indianer einzusetzen und in seinen Geschichten aufzuzeigen, dass es bei ihnen auch wirklich Menschen gab, mit allen edlen Anlagen. Und dass es verbrecherische Weiße gab, denen jedes Mittel zum Erreichen ihrer Ziele recht war. Im Folgenden weiden wir versuchen, die Zusammenhänge zwischen den Schilderungen Catlins und den Indianergeschichten Karl Mays anhand von Textfaksimiles aufzuzeigen.
Verfolgt man die Entwicklung der „Indianergeschichten“ Karl Mays, so müssen auch die „Westmänner“ und die Hauptperson, der Erzähler, mitberücksichtigt werden. Wie bereits erwähnt, weiden auch diese Figuren noch ständig „geformt“.
In der ca. 1877 erschienenen Erzählung „Die ,Both Shatters’“ sind einige interessante Einzelheiten enthalten. Die beiden Westmänner, die hier als die „Two Sams“ auftreten, begegnen uns später als die beiden „Toasts“ wieder, Dick Hammerskull und Pit Holbers (vgl. z.B. Old Shurehand 2, S. 601 ff, Illustr. Ausgabe, Fehsenfeld). Interessant ist, dass einer der beiden eine Perücke trägt, weil er wie Sam Hawkens von den Indianern skalpiert wurde. Die Informationen über den Erzähler sind zwar auch hier noch spärlich, doch können wir folgendes festhalten: Der Erzähler reitet wieder sein Pferd „Swallow“, das uns schon aus der Erzählung „Old Firehand“ bekannt ist, durch den schnellen Ritt aus dem brennenden Tal. Zudem ist die Ich-Person ebenfalls mit einem fünfundzwanzigschüssigen Henrystutzen ausgerüstet, so, dass wir annehmen können, es handelt sich bei diesem „Westmann“ um die gleiche Person wie aus der Firehand-Erzählung. Der Stutzen wurde diesmal von Jake Hawkins in St. Louis gefertigt, der auch die beiden Revolver für den Erzähler baute. Über die Waffen in Karl Mays Romanen wird später eine ausführliche Abhandlung folgen, hier soll zunächst nur der Hinweis auf die Bewaffnung des Erzählers genügen. Als er von den beiden Sams kritisch gemustert wurde, stuften ihn die beiden Westmänner als zu „fein“ für den Westen ein, seine Waffen wurden von ihnen nicht für voll genommen. Ähnliches musste Old Shatterhand/Kara Ben Nemsi oft erleben, wie sich der May-Leser erinnern wird. Erst die Qualität seines schnellfeuernden Henrystutzens überzeugt die Zweifler. Im Übrigen benimmt sich die Ich-Person noch ganz so, wie wir es aus zahlreichen Indianer-Erzählungen dieser Zeit überliefert bekommen haben, er schießt bedenkenlos seine Feinde nieder. Nachzulesen im Band 71 GW, S. 261: „Vier Schüsse krachten und vier Indianer überschlugen sich…“ Ein anderer wird mit dem Messer „niedergemacht“, zwei Entflohene sofort verfolgt und einer von ihnen mit einem Schuss aus dem Stutzen in den Kopf erschossen (S. 262). Winnetou, von dem der Leser in der Firehand-Erzählung Abschied genommen hatte, wird zumindest wieder als Freund des Erzählers erwähnt. Der Leser erfährt, dass der größte Feind des Apachenhäuptlings, „Schatunga, Häuptling der Yanktons“, einst die Schwester des Apachen tötete, „…weil sie nicht sein Weib, sondern das eines weißen Jägers wurde…“ Trotz des vorher gezeigten harten Auftretens des Erzählers zeigt er starkes Mitempfinden am Untergang der Roten Rasse, als er das Skalplager eines Trappers betritt: „Ich begann die Skalpe zu zählen; zehn – zwanzig – fünfundzwanzig – dreißig – ich hörte auf zu zählen und wandte mich ab.
Ich sah hier ein schlagendes Beispiel von der wilden Energie, mit der gegen eine dem Untergang geweihte und in den letzten Todeszuckungen liegende Menschenrasse der vernichtende Stoß geführt wird. Ich konnte vor Grauen nicht essen, trotz des Hungers, den ich gefühlt hatte“ (S. 269). Eine solche Anmerkung ist jedoch in diesen frühen Indianererzählungen Karl Mays, wie bereits erwähnt, sehr selten.
Erwähnenswert wäre noch die Gestalt eines Mannes, der der „Shatter“ genannt wurde, was mit „Zertrümmerer“ übersetzt wird. Dieser Westmann hatte seinen Namen von seiner Kampfweise erhalten. „Er schlug nicht mit der Schneide, sondern mit dem Kopf seiner fürchterlichen Waffe; (Anmerkung: Es handelt sich um ein Beil) jeder Hieb zerschmetterte den Schädel des Getroffenen unfehlbar in knirschende Stücke“ (S. 272). Es ist möglich, dass Karl May, als er an die „Formung“ seines Helden Old Shatterhand ging, dieses Vorbild wieder aufgegriffen und gemäß der inzwischen erfolgten Wandlung des Old Shatterhand auch seine Waffen änderte. Wie bekannt, schlug Shatterhand mit der bloßen Faust seine Gegner bewusstlos und erhielt auf diese Weise seinen Kriegsnamen. Diese Kampfweise passt auch besser zu dem späteren „Erzähler“, zu der Figur des Old Shatterhand, der eher zum Verzeihen denn zum Töten bereit ist. Im Ganzen betrachtet ist die Erzählung von den beiden „Both Shatters“ nur eine Abwandlung des Firehand-Themas. Man sollte vielleicht noch erwähnen, dass der Anführer dieser Westmänner mit „Cornel“ bezeichnet wird. Man erinnert sich an den „Cornel“ aus dem „Schatz im Silbersee“, der im Gegensatz zu diesem eine Verbrecherbande anführte, die Tramps.
Auch die im Band 71 enthaltene Erzählung „Ein Selfmademan“ spielt in Amerika, hat jedoch einen anderen Inhalt als die bisher erwähnten Geschichten. 1878 wurde sie in den „Frohen Stunden“ abgedruckt. Vom Stil her unterscheidet sie sich schon von den vorher erwähnten insofern, dass der Erzähler den Leser mit einbezieht, als würde er sich direkt mit ihm unterhalten. Das heißt, er spricht den Leser zwischendurch „an“. Erstmalig wird der Name des Erzählers erwähnt: Timm Summerland. Dieser Mann kann jedoch nicht mit den anderen Erzählerfiguren verglichen werden, er ist sozusagen eine „einmalige Schöpfung“ Karl Mays. Summerland trifft Abraham Lincoln und erlebt zwei Abenteuer mit ihm, wobei er sich besonders für seine frühere Freundin, einen Mischling, einsetzt. Von der Veröffentlichung dieser Geschichte bis zum dreiteiligen „Winnetou“ sollten noch rund 16 Jahre vergehen, in denen Karl May hin und wieder die alten Motive aufgriff und umarbeitete, so z.B. das Ölbrand-Thema im Jahre 1883, das Ölprinz-Thema (Der Ölprinz, 1877) für die Jugenderzählung „Der Ölprinz“ 1893. Auch die Erzählung „Der Scout“ (1888) greift einige der alten Themen wieder auf und wird schließlich von May selbst für die erste Hälfte des Bandes „Winnetou II“ umgearbeitet. Auch in dieser Erzählung standen sich der Erzähler und Winnetou anfangs feindlich gegenüber. Nach einem Kampf jedoch wurde daraus echte Freundschaft, und der hier geschilderte Winnetou kommt dem späteren „Edelmenschen“ schon sehr nahe. Zwar ist er auch noch hier ein „richtiger Indianer“, der kämpft und tötet. Der spätere Winnetou hätte Mittel gefunden, das Blutvergießen zu verhindern, doch so erscheint er dem Leser auch noch in der eingearbeiteten Fassung im „Winnetou II, S. 310. Die Wandlung Winnetous zum Christen vollzieht sich für den Leser kaum spürbar mehr im „Hintergrund“ und im Unterschwelligen der Erzählung „Winnetou III“. Für manchen Leser mag daher auch das Bekenntnis des sterbenden Apachen: „Winnetou ist ein Christ“ überraschend gekommen sein. Karl May hat die Wandlung des wilden Kriegers, also des Gewaltmenschen, wie er es später nannte, nicht mit aller Konsequenz durchgeführt. Umso mehr hat er versucht, dies in den späteren Erzählungen, in denen Winnetou wieder erscheint, nachzuholen. May schrieb in einem Brief an seinen Verleger Fehsenfeid (bei: Raddatz, Das abenteuerliche Leben Karl Mays) vom 15.10.1892: „Das, was bis jetzt über Winnetou erschienen ist, könnte später in irgendwelchem Gewand erscheinen; es ist wirklich nicht leicht, diese zusammenhanglosen Einzelerzählungen, die nur für den Mausschatz ‘ berechnet waren, so zusammenzufassen, dass sie als einziger Guss und Fluss erscheinen…“ Aus dem bisher dargestellten kann man schließen, dass May nach Beendigung des Winnetou Komplexes vorerst nicht an weitere Abenteuer mit dem edlen Häuptling gedacht hat, der Leser muss Abschied nehmen, wie schon früher bei den Einzelerzählungen. Dass er (nach der heutigen Ausgabe gemessen) noch in rund 15 Bänden wieder auftaucht (die Bände mit Einzelerzählungen wurden mitgezählt), hatte sich Karl May wohl zur Zeit der Bearbeitung des Romanstoffes (1892) trotz der zitierten Briefstelle nicht gedacht. Eine besonders ausführliche Beschreibung des Apachenhäuptlings finden wir in der Erzählung „Weihnacht“, Bd. 24 (Radebeul, 5970. Tsd.), S. 276 ff.
„Er trug, wie auch ich stets… einen aus Elkkeder gefertigten Jagdanzug von indianischem Schnitt, an den Füßen leichte Mokassins, welche mit Stachelschweinsborsten und seltengeformten Nuggets geschmückt waren… Sein reiches, dichtes, bläulich schwarzes Haar war auf dem Kopfe zu einem hohen, helmartigen Schopf geordnet und fiel von da aus, wenn er im Sattel saß, wie eine Mähne oder ein dichter Schleier fast bis auf den Rücken des Pferdes herab… Einen Bart trug er nicht; in dieser Beziehung war er ganz Indianer. Darum war der sanfte, liebreich milde und doch so energische Schwung seiner Lippen stets zu sehen, dieser halbvollen, ich möchte sagen, küßlichen Lippen…“
In der Erzählung „Am Jenseits“ (Bd. 25) schließlich wird Winnetou als Mensch mit übersinnlichen Veranlagungen dargestellt: „Winnetou, der nüchternste, der hell und scharf denkende rote Mann, war gewiss kein Phantast, aber zuweilen, wenn wir miteinander im nächtlichen Dunkel lagen, rings von Gefahren umgeben, da geschah es, dass er die Hand hob, um grüßend rundum zu winken, und als ich ihn einst fragte, warum er das tue, antwortete er: ‚Mein weißer Bruder frage nicht! Wir sind beschützt, das mag dir genügen!'„ (S. 340) Der Leser wird sich erinnern, wie schwermütig Winnetou vor der letzten Schlacht (W.III) angesichts düsterer Vorahnungen wurde.
Auch muss hier unbedingt Band 33 der Gesammelten Werke, „Winnetous Erben“ erwähnt werden, der früher unter der Bezeichnung „Winnetou IV“ herausgegeben wurde. In diesem Band schildert Karl May, wie er gemeinsam mit seiner zweiten Frau die „alten Stätten“ aufsucht, die „Old Shatterhand“ damals durchstreift hatte und auf das Denkmal stößt, das zu Ehren Winnetous errichtet wurde. Entsetzt musste er feststellen, dass das Denkmal den kriegerischen Winnetou darstellte, so, wie er den meisten Lesern aus den früheren Erzählungen bekannt war. Man hatte also nicht verstanden, was Karl May mit dieser Gestalt wollte! Zum einen sollte der heldenmütige Kampf der Roten Rasse dargestellt werden, die dem Untergang nicht entgehen konnte. Aber zum anderen sollte in den späteren Erzählungen gezeigt werden, wie der Gewaltmensch, der seinen Feind ohne Bedenken tötete, sich mit den blutigen Skalps schmückte, wie dieser Mensch sich zur „Liebe und Barmherzigkeit“ des Christentums bekannte und zum Edelmenschen reifte. Ein Thema, das Karl May besonders in seinem allegorischen Meisterwerk „Ardistan und Dschinnistan“ darstellte.
Karl May und George Catlin
Als ich durch einen Zufall George Catlins „Die Indianer und die während eines achtjährigen Aufenthaltes unter den wildesten ihrer Stämme erlebten Abenteuer und Schicksale“ in der Neuausgabe des Continent-Verlages von 1924 in die Hände bekam, las ich mich sogleich fest. Schon auf den ersten Seiten wurde ich lebhaft an Karl Mays Erzählungen erinnert, und manche vertraute Einzelheit aus dem Leben der Indianer fand sich wieder. Catlin beschreibt im fünften Kapitel einen Schwarzfuß-Häuptling folgendermaßen:
„Es gibt vielleicht, mit Ausnahme der Krähen-Indianer, keinen Stamm in Nordamerika, der sich bequemer und prächtiger kleidet, als die Schwarzfüße… die Näherei und die Verzierungen mit den Stacheln des Stachelschweines, die einen Hauptschmuck ihrer Staatskleider bilden, bei jedem Stamme verschieden… So bestand z.B. die Kleidung des erwähnten Häuptlings, den ich zeichnete, in einem Hemde oder einer Tunika aus zwei Hirschhäuten, mit dem Halsteile abwärts und so aneinander gefügt, daß die Hinterläufe zusammengenäht waren und die Nähte längs des Armes von den Schultern bis zu den Handknöcheln hinliefen. Jede Naht war mit einer zwei Zoll breiten, sehr schönen Stickerei von Stacheln des Stachelschweines bedeckt und von dem unteren Rande dersebeln, von der Schulter bis zur Hand, hingen Fransen von schwarzem Haar, das er den von ihm im Gefecht getöteten Feinden geraubt hatte. Die Beinkleider bestanden aus demselben Stoff und von der Hüfte bis zum Fuße hinab war ein Streifen von gleicher Breite, und auf gleiche Weise mit Stacheln und Haarlocken verziert, angebracht. Letztere werden von den Skalpen entnommen und als Siegeszeichen getragen.“
Spätestens bei der Erwähnung der Stachelschweinverzierungen ist der Karl-May-Leser aufmerksam geworden. Stachelschweinborsten zierten auch die Mokassins Winnetous, und mit Menschenhaar waren auch seine Leggins geschmückt. Noch mehr erinnerte mich jedoch die Beschreibung eines Mandanen-Häuptlings an Winnetou. Catlin schrieb, dass Häuptling Mahtotohpa (Die vier Bären) nicht nur ein sehr beliebter Häuptling war (obwohl nur zweiter Häuptling), sondern auch sehr gut aussah. Seine Beschreibung nimmt zwei ganze Seiten ein, wobei Catlin auch besonderen Wert auf die Ausrüstungsgegenstände des Häuptlings legte. Sehr häufig beschrieb er auch den herrlichen Haarwuchs der Indianerstämme, wobei die Krähenindianer besonders hervortraten. Wie man sich erinnert, trug Winnetou sein Haar „zu einem Schopfe gewunden“. Catlin erwähnte einen Häuptling der Krähen-Indianer, der „Langhaar“ genannt wurde. „Sublette und Cambell maßen es und fanden es zehn Fuß und sieben Zoll lang; auch überzeugten sie sich, dass es durchaus sein eigenes Haar sei Er umwindet es gewöhnlich vom Kopfe an mit einem breiten Lederriemen und wickelt es dann auf zu einem zehn bis zwölf Zoll langen und einige Pfund schweren Knäuel, das er beim Gehen unter dem Arm oder auf der Brust in den Falten des Kleides trägt“. (S. 33) Nun, wenn auch Karl May ein Indianerhäuptling mit einer solchen Last ein wenig ungewöhnlich vorgekommen sein mag, so hat ihm doch vielleicht die Haarmenge und das von Catlin als so wunderschön beschriebene Haar der Krieger gefallen. So wurde auch Winnetou mit dieser Pracht ausgestattet, wenngleich mit einem etwas kürzeren Haarwuchs: „Auch er trug den Kopf unbedeckt und hatte das Haar zu einem Schopfe aufgewunden, aber ohne es mit einer Feder zu schmücken. Es war so lang, dass es dann noch reich und schwer auf den Rücken niederfiel. Gewiss hätte ihn manche Dame um dieses herrliche, blau schimmernde schwarze Haar beneidet“. (Bd. 7, Fehsenfeid, S. 109/110). Nach Catlin trugen die meisten Indianer ihr Haar lang herunterhängend. Je nach Stammesritte wurde es mit rotem Lehm verziert, mit Bärenfett eingerieben oder nur der Scheitel bemalt. Er erwähnte auch eine ähnliche Sitte wie Karl May, nämlich das Haar zu einer Art Schopf aufgewunden zu tragen. Vom Sioux-Häuptling Hawandschitah (Das eine Horn) berichtete Catlin: „Sein Anzug von Elenhaut war sehr schön und mit vielen Stachelschweinstacheln und Skalplocken verziert; sein sehr langes und starkes Haar war in zwei Teile geteilt, auf dem Scheitel gekreuzt und mit einem einfachen Bande gebunden, so dass es das Ansehen eines Turbans hatte“. (S. 139) Weiter berichtete er über diesen Häuptling, dass verschiedene Horden, die jeweils ihren eigenen Häuptling hätten, unter seinem Oberbefehl standen: ,Ich erwähnte oben, dass die Sioux sich oft in großer Menge bei dem Fort Pierre versammeln, um mit der amerikanischen Pelzkompagnie Handel zu treiben und dass ich bei meiner Fahrt stromaufwärts 600 Familien daselbst fand, die in Zelten von Büffelhäuten wohnten und zwanzig oder mehr verschiedenen Horden angehörten, deren jede ihren Häuptling hatte, die sämtlich wieder unter einem Oberhaupte, namens Hawandschitah (das eine Horn) standen“. (S. 139) Wenn damit vielleicht auch nicht widerlegt wird, dass es keine Häuptlinge gab, die uneingeschränkt Herrscher über größere Stammesverbände oder gar ganze Stämme waren, so könnte doch diese Angabe Karl May veranlasst haben, in Winnetou und dessen Vater Häuptlinge darzustellen, deren Macht von zahlreichen Indianerstämmen bzw. Untergruppen anerkannt wurde. Im Verlauf dieser Abhandlung werde ich noch auf zahlreiche Einzelheiten hinweisen, die nach meiner Ansicht Karl May von George Catlin übernommen hat. Literarischen Diebstahl hat er mit Sicherheit nicht begangen, soviel sei vorweggesagt. Catlins Buch ist vielmehr Quelle, Nachschlagewerk gewesen, wie auch Browns „Reise durch das Apachenland“. Vermutlich hat May Catlins Werk mit großer Begeisterung gelesen, vieles in seinem Unterbewusstsein verankert, um es später noch einmal genau nachzuschlagen und dann in seine Romane zu übernehmen. Neben einem anderen Werk, das sich mit den Indianersprachen beschäftigte (Gatschet, Zwölf Sprachen aus dem Südwesten Nordamerikas, vgl. auch Sonderheft 1, Poppe, Marah Durimeh, S. 6ff), benutzte Karl May Catlins Werk vor allem zu Beginn der Erzählungen, die in Amerika spielen und die Lebensgewohnheiten der Indianer beschreiben. Das brachte seinen Werken ja erst den Ruf tatsächlich geschehener Reisebegebenheiten: Die genauen Landschaftsschilderungen und die Beschreibungen der Gebräuche und Gewohnheiten der Eingeborenen. Kaum jemand ahnte oder dachte daran, dass Karl May sich alles vorher erst angelesen hatte.
Zum Abschluss dieses Abschnittes gebe ich noch die Beschreibung Winnetous und Intschu-tschunas nach der Fehsenfeld-Ausgabe von „Winnetou I“, damals noch mit dem Untertitel „Der rote Gentleman“ versehen (23.30. Tsd., S. 109/110):
„Der Aeltere war von etwas mehr als mittler Gestalt… Sein Kopf war unbedeckt; das dunkle Haar hatte er in einen helmartigen Schopf aufgebunden, in welchem eine Adlerfeder, das Zeichen der Häuptlingswürde, steckte. Der Anzug bestand aus Mokassins, ausgefransten Leggins und einem ledernen Jagdrocke, dies alles sehr einfach und dauerhaft gefertigt… In der Hand hielt er ein doppelläufiges Gewehr, dessen Holzteile dicht mit silbernen Nägeln beschlagen waren… Der Jüngere war genau so gekleidet wie sein Vater, nur daß sein Anzug zierlicher gefertigt worden war. Seine Mokassins waren mit Stachelschweinsborsten und die Nähte seiner Leggins und des Jagdrockes mit feinen, roten Nähten geschmückt. … Auch er trug den Kopf unbedeckt und hatte das Haar zu einem Schopfe aufgewunden, ohne es aber mit einer Feder zu schmücken. Es war so lang, daß es dann noch reich und schwer auf den Rücken niederfiel… und dann glaubte ich zu bemerken, daß in seinem ernsten, dunklen Auge, welches einen sammetartigen Glanz besaß, für einen kurzen Augenblick ein freundliches Licht aufglänzte, wie ein Gruß, den die Sonne durch eine Wolkenöffnung auf die Erde sendet…“
Übrigens geniert sich Old Shatterhand nicht zuzugeben, dass er seine Kenntnisse über den „Wilden Westen“ und die Indianer aus Büchern hat. Als er Sam Hawkens etwas über die Bestattungsarten der Indianer erzählt, und dieser wissen will, woher das „Greenhorn“ seine Kenntnisse habe, antwortete Old Shatterhand: „Aus den Büchern, von denen Ihr nichts wissen wollt“. (Bd.7, S.163)
Auch etwas später geht es um Wissen, das aus Büchern gewonnen wurde. „Nicht übel gedacht. Steht so etwas auch in Euren Büchern zu lesen, Sir?“ „Wörtlich und genau auf diesen Fall passend nicht; aber es kommt darauf an, wer ein solches Buch liest und wie er es liest. Man kann wirklich viel daraus lernen und dann in der Wirklichkeit für andere, ähnliche Fälle anwenden.“ (S. 166) Sicherlich ließen sich noch mehr Beispiele für ähnliche Äußerungen Shatterhands finden. Es kommt also darauf an, wie man die Bücher liest – und wie man sie auswertet. Karl May hat es geradezu meisterhaft verstanden, das ihm vermittelte Wissen auszuwerten und geschickt in den Handlungsablauf einzustreuen. Kriegerische Auseinandersetzungen mit den Kiowas nutzte er, um ein paar Worte über die „Medizin“ des Indianers, sein größtes Heiligtum, einzuflechten: „Ein Indianer, welcher ohne Skalplocke und Medizin in die ewigen Jagdgründe gelangt, wird dort von den verstorbenen Helden mit Verachtung empfangen und hat, während sie in allen indianischen Genüssen schwelgen, sich vor den Augen dieser Glücklichen zu verbergen. Das ist der Glaube der Roten“. (S. 203) Wenig später nutzt er eine erneute Gelegenheit, ausführlich über diese sonderbare „Medizin“ zu schreiben. Old Shatterhand hatte heimlich Winnetou und Intschu-tschuna losgeschnitten, sie konnten entfliehen. Tangua ist außer sich vor Wut über diesen Verlust.
„Jeder erwachsene Mann, jeder Krieger hat eine Medizin. Der Jüngling, welcher unter die Männer, die Krieger aufgenommen werden will, verschwindet plötzlich und sucht die Einsamkeit auf. Dort fastet und hungert er und versagt sich sogar den Genuß des Wassers. Er denkt über seine Hoffnungen, Wünsche und Pläne nach… Hat er dieses Stadium erreicht, so wartet er auf den ersten Gegenstand, der ihm vom Traume oder sonstwie vorgegaukelt wird, und dieser ist ihm dann fürs ganze Leben heilig, ist seine ‚Medizin‘…“
George Catlin schrieb über die ‚Medizin‘ sehr ausführlich, und führte u.a. aus: „Der Medizinbeutel ist daher der ‚Geheimnisbeutel‘ und man muß seine Bedeutung und Wichtigkeit kennen, da er gewissermaßen der Schlüssel zu dem Leben und dem Charakter der Indianer ist. Diese Beutel werden aus Häuten von Säugetieren, Vögeln oder Amphibien gemacht, und nach dem Geschmack oder der Laune des Verfertigers auf die mannigfaltigste Art verziert oder aufbewahrt. Sie werden gewöhnlich in einem Teile der Kleidung des Indianers befestigt oder in der Hand getragen und sind oft so verziert, daß sie seiner Person zum Schmuck dienen… Längs der Grenze, wo die weißen Männer über diesen albernen und nutzlosen Gebrauch lachen, ist er größtenteils abgeschafft; aber in den Gegenden am oberen Missouri besteht er noch in voller Kraft…“
Quellenverzeichnis:
Karl-May-Jahrbuch 1921, Kandolf; Der werdende Winnetou; Klauber, Die Wörter der Apachensprache im Reiseroman Winnetou. KMJB 1922, Stütz, Die Bedeutung des Wortes Winnetou, u.v.a.m.
Meine Biographie „Karl May Leben und Werk“, S. 77ff und V. Böhm, Karl May und das Geheimnis seines Erfolges, S. 199 ff.
„Vergnügen am Ungewöhnlichen“, von Werner G. Schmidtke in „Blätter für Volksliteratur, 1/1975
KMJB 1923, Dr. E. A. Schmid, Henrystutzen und Silberbüchse; B. Wandolleck, Die Feuerwaffen des Romans Winnetou. KMJB 1927, G. Urban, Nochmals der Henrystutzen. KMJB 1930, Cassela, Kunstschützentum bei Karl May; Wandolleck, Karl May und die Waffen. KMJB 1932, J. Fanta, Die Waffen in den Romanen Karl Mays,
G. Catlin, Die Indianer und die während eines achtjährigen Aufenthaltes unter den wildesten ihrer Stämme erlebten Abenteuer und Schicksale.
Der Künstler Klaus Dill (1922-2000) schuf neben zahlreichen Filmplakaten und Buchumschlägen auch eine ganze Reihe von Bildern zu den Werken Karl Mays. Meine unter dem Pseudonym Tomos Forrest erscheinenden Romane um die May’schen Helden dürfen damit ausgestattet werden und zeigen ein paar interessante Winnetou-Darstellungen.
Thomas Ostwald
Ein Bericht über Karl Mays Werke in Comics und Jugendmagazinen
Mit Recht wird der versierte May-Freund und Kenner fragen: „Ist es überhaupt möglich, Karl Mays Werke in Form von Comicstrips zu bringen?“ Ich möchte diese Frage mit einem vorsichtigen „Jein“ beantworten und versuchen, die Karl-May-Comics näher zu beschreiben.
Wie bei jedem Comic, so können sich auch die Herausgeber der Karl-May-Comics natürlich nur auf die Wiedergabe der spannendsten Episoden beschränken. Die Darstellungsform des Comics – Bild mit Sprechblase – bietet wenig Raum für einen überleitenden, erklärenden und damit ausführlichen Text. Versuche mit Comics, die nacheinander auf zwei Seiten Zeichnungen und zwei Seiten Text brachten, mussten alle nach kurzer Zeit wieder abgebrochen werden. Das Interesse der Jugendlichen wandte sich schnell wieder den in der gewohnten Art gemachten Heften zu. Dass Comics nicht unbedingt niveaulos sein müssen, haben Pädagogen, Psychologen und Soziologen inzwischen längst erkannt, und die Vorschriften und Einschränkungen von „Vater Staat“ sind inzwischen gelockert worden, so dass der Comic Markt in den letzten Jahren geradezu aufblühte. In Westdeutschland werden monatlich rund 12 Millionen Comics verkauft, und der Absatz nimmt noch immer zu. Während einzelne Verlage dazu übergegangen sind, die amerikanischen Sex und Horror Comics in deutscher Übersetzung herauszubringen, „Superman“ und „Die fantastischen Vier“ feiern fröhliche Urständ, schränken sich andere wieder ein, die ein Ende des Comic Booms befürchten. Das zeichnerisch sehr gut gestaltete Magazin „Zack“, das überwiegend ausländische Comic Serien bringt (darunter z.B. Lucky Luke), ist von wöchentlicher zu vierzehntägiger Erscheinungsweise übergegangen. Marktforscher haben festgestellt, dass das Taschengeld der Jugendlichen Überfordert wird und in Kürze mit einem Verkaufsrückgang auf dem Comic-Markt zu rechnen sei. Trotzdem erscheinen ständig neue Serien, die Titelschutzanzeigen künden regelmäßig von neuen Plänen.
Bei dem kometenhaften Anstieg des Interesses an guten Comicheften konnte es nicht ausbleiben, dass ein so zugkräftiger Name wie Karl May eines Tages auch auf einem Comicheft erscheinen musste. Schon in den Jahren 1950-60 hatten die Bilderdienste der Zigaretten und Margarinefirmen mit Sammelbildchen und dazu gehörenden Alben geworben. Auch hier waren natürlich nur Bruchstücke aus Mays Werk wiedergegeben. Oft überstieg der zum Bild gehörende Text kaum das Maß einer Achtelseite oder beschränkte sich gar nur auf eine Bildunterschrift. Diese Serien waten auch keine Comicstrips, die Bilder zeigten nur einzelne Szenen, dazu kam im Album die Erklärung. Nachdem jedoch 1962 die Urheberschutzfrist für die zu Lebzeiten erschienenen Werke Karl Mays abgelaufen war, begann eine „wahre Flut“ von Karl-May-Neuausgaben zu erscheinen. Damit waren auch die ersten Karl-May-Comics auf dem Markt. Leider lässt sich bei vielen nicht mehr das genaue Erscheinungsdatum ermitteln, weil die Hefte ohne weitere Hinweise darauf erschienen. Man kann wohl davon ausgehen, dass die nachfolgend erwähnten Serien alle kurz hintereinander herauskamen und zum Teil sogar parallel auf dem Markt waren. Eine Sonderstellung nehmen hier noch die „Karl-May-Romane“ ein, die ebenfalls erwähnt werden müssen. Ab 1.9.1961 erschienen im Moewig-Verlag wöchentlich Hefte in Art und Aufmachung der üblichen Westernhefte, wie z.B. „Tom Prox“ oder „Billy Jenkins“. Die Texte fußten offensichtlich auf der Ausgabe des Karl-May-Verlages Bamberg, waren aber vermutlich noch einmal überarbeitet worden. Jedes Heft enthielt Zeichnungen von D. Douglas und eine Kartenskizze, die den Ort der Handlung verdeutlichen sollte. Die Zeichnungen sind von unterschiedlicher Qualität, größtenteils jedoch recht gut gemacht und unterscheiden sich zumindest von vielen heutigen Comics auf angenehm erträgliche Weise durch ihren Schwarz-Weiß-Charakter, der den Eindruck einer Buchillustration zulässt. Die „Karl-May-Romane“ brachten in Fortsetzungen u.a. den „Schatz im Silbersee“ und den „Ölprinz“. Ebenfalls in Fortsetzungen erschien ein „echter“ Comicstrip im Kauka-Verlag. Die auflagenstarke Zeitschrift „Fix und Foxi“ brachte „Winnetou I und II“ und „Durch die Wüste“. Die Strips kamen zu einem Zeitpunkt auf den Markt, als das Interesse an Karl May (wieder) neu erwachte. Die ersten Karl-May-Filme, kaum anders gemacht als die meisten Comicstrips (beiden liegt bestenfalls noch ein May’scher „Bodensatz“ zugrunde), lockten Kinder und Jugendliche scharenweise in die Kinos. Und die Comics aus dem Hause Kauka wurden ebenfalls ein großer Erfolg. Nachdem die Winnetou-Serie abgeschlossen war, erschien der Band „Winnetou I“ noch einmal als Sonderheft. Außerdem brachte der Verlag eine Hörspielplatte mit „Winnetous Tod“ heraus, in tragisch-ergreifender Weise und mit schaurig-schönem Siedlergesang in Szene gesetzt, leider ist das Ganze nicht ohne rührselige Züge.
„Fix und Foxis“ größter Konkurrent, die „Micky Maus“, konnte hier natürlich nicht untätig zusehen. Ebenfalls in Fortsetzungs-Form erschien hier „Der Schut“, allerdings als „Foto-Roman“ nach dem gerade fertiggestellten Film. Jetzt war es auch Zeit für eine Karl-May-Zeitung, fand man im Lehning Verlag, Hannover, und der Erfolg gab ihm schnell recht. Dieser Verlag hatte sich bereits einen gewissen Teil des Marktes mit seinen Sigurd-, Akim- und Nick-Heften erobert. Nun erschien „Winnetou“, die erste Karl-May-Comic-Zeitung. Diese Serie hob sich von den üblichen Wild-West-Serien, wie „Buffalo Bill* oder „Kit Carson“, durch gute Zeichnungen und sorgfältig gestalteten Text deutlich ab. Zudem bemühte man sich, diese Comic-Serie zu einer Art Indianer-Magazin auszubauen. Der Herausgeber und Zeichner Helmut Nickel sorgte für Informationen über Indianerstämme, Sitten und Gebräuche und gab eine objektive Darstellung von Indianerschlachten. Nach dem Erfolg der „Winnetou“-Serie, die bald ein verbessertes Umschlagbild erhielt, ging man dazu über, auch die „Wüsten-Abenteuer“ als Comics zu bringen, diesmal unter dem Titel „Karl May. Kara ben Nemsi“. Waren vorher in den Heften meistens zwei Geschichten nach Karl May und eine andere „Wild-West-Geschichte“ enthalten, so wurde in dieser neuen Serie noch ein Textteil mit Karl-May-Szenen (z.B. aus „Kapitän Kaiman“) angefügt. Zu Beginn der siebziger Jahre stellte der Verlag jedoch seine Tätigkeit ein, nachdem das Winnetou-Heft eine Zeitlang wieder allein erschienen war und ein im Mittelteil gestalteter ausführlicher Bericht über Indianerstämme zahlreiche neue Leser gewinnen sollte.
Eine Zeitlang wurde es still um die Karl-May-Comics, das Interesse war wieder abgeflaut, neue Serien mit anderen Themen und Gestalten kamen auf den Markt und zogen die jugendlichen Leser an. Aufwendigere Bild und Textgestaltung, informative Berichte über Technik und Naturwissenschaft, sowie Rennfahrer-Comics (wie Michael Vaillant) lösten die Karl-May-Geschichten ab. 1973 unternahm jedoch der Moewig/PabelVerlag, der 1961 mit den Karl-May-Heftromanen hervorgetreten war, wieder einen neuen Anlauf. Es erschienen jedoch nur zwei Karl-May-Comics in der Reihe „Super“: „Der Sohn des Bärenjägers“ und „Der Geist des Llano Estacado“. Juan Arranz’ Zeichnungen entsprachen der inzwischen üblich gewordenen Darstellung der Western Comics, grellbunte Farben, wilde Kampf und Verfolgungsszenen, die in jeden 08/15-Western gepasst hätten und mit Karl Mays Werken nur noch wenig gemeinsam hatten. Inzwischen ist dieser Zeichner, der auch zugleich die Texte gestaltete, wieder aktiv geworden. Seit Januar 1975 erscheint eine neue Taschenbuchreihe im Gevacur-Verlag, „Karl May extra“.
Ab Mitte 1973 begann auch der Bastei-Verlag mit Serien wie „Buffalo Bill“, „Lasso“, „Marco Polo“ und reinen Kinderserien wie „Felix“ schon eine ganze Zeit auf dem Comic-Markt tätig, Karl-May-Episoden als Comics herauszubringen. Innerhalb der Taschenbuchreihe „Das fröhliche Feuerwerk“ erschienen Szenen aus den Bänden 1 bis 6 (Wüste-Schut), Winnetou I und II sowie Old Surehand I und II. Auch diese Comics sind anspruchslos und oft ohne rechten Zusammenhalt. Die Bilder sind, wie auch in „Karl-May-extra“ praktisch einfarbig, wenn auch in einem rötlich-orange gefärbten Bild. In dieser Aufzählung sollten auch nicht die kleinen Heftchen des Pestalozzi-Verlages fehlen, die dieser gemeinsam mit dem Karl-May-Verlag, Bamberg, unter dem Titel „Karl May in Wort und Bild“ herausbrachte. Es handelte sich dabei jedoch nicht um Comics, sondern in der gleichen Art wie in den Zigarettenalben, um kurzgefasste May-Texte und einige Bilder von H. Osthoff.
Im Grunde genommen müssen die Comic-Hersteller mit den gleichen Schwierigkeiten kämpfen, wie die Hörspiel-Autoren der Karl-May-Schallplatten. Gefordert werden spannende, gut verkäufliche Texte auf einem Minimum an Raum. Dass dies nicht immer möglich ist und dabei das Originalwerk leiden muss, ist eigentlich verständlich, aber nicht immer notwendig. Der Lehning Verlag bewies, dass gute Karl-May-Comics durchaus „machbar“ sind, während die neuen May-Serien kaum mehr verdienen, den Namen des Autors zu tragen. Die Zeichner liefern billige Dutzendware, stoppeln lustlos einen Text zusammen, der ebenso gut aus jedem anderen sogenannten „Western“ stammen könnte, und setzen Karl Mays zugkräftigen Namen darunter. Nun wird vielleicht der Leser einwenden, dass diese Comics nur von Kindern gelesen werden, die kurzfristige Unterhaltung wünschen. Das mag wohl stimmen, aber dennoch nicht den Kern der Sache treffen.