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A Perfect Winter Love Während die Sweet Lemon Agency kurzfristig eine Weihnachtsfeier für Lieblingskollegin Amelie auf die Beine stellt, müssen Ida und Hotelmanager Noel den Winterball im Sylter Meeresrauschen vorbereiten – und dabei dem Verlangen nach einem zweiten Kuss widerstehen. In Köln trifft Amandas Bruder Matteo unerwartet auf Bella, die er zuletzt während seines Auslandssemesters gesehen – und nie vergessen – hat. Lucia wiederum scheint Heiligabend dieses Jahr im Auktionshaus verbringen zu müssen. Bis Vincents Mitbewohner Simon zu Hilfe eilt, mit im Gepäck: sein Megawattlächeln. Und für Schauspielerin Daisy ist der einzige Lichtblick auf der diesjährigen Silvesterparty ihr charmanter Kollege Samuele, der ihr Herz nicht zum ersten Mal glühen lässt ... Fünf Autorinnen - Fünf Geschichten - Ein unvergesslicher Dezember Das Rezept für einen perfekten Dezembertag: Lichterketten, Plätzchen und Magical Winter Nights. In diesen fünf winterlichen Kurzgeschichten können sich New-Adult-Leser*innen auf magische Weihnachtsmomente mit ihren liebsten Intense-Charakteren freuen oder gemeinsam mit ihnen an Silvester anstoßen.
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Seitenzahl: 302
Inhalt
Playlist
Gabriella Santos de LimaJetzt sind wir unendlich
Prolog
BellaDritter Advent
MatteoDritter Advent
BellaMontag nach dem dritten Advent, 00:03 Uhr
MatteoMontag nach dem dritten Advent, 01:23 Uhr
BellaMontag nach dem zweiten Advent, 02:11
MatteoMontag nach dem dritten Advent, 03:21 Uhr
BellaDonnerstag nach dem dritten Advent, 15:54 Uhr
MatteoDonnerstag nach dem dritten Advent, 17:02 Uhr
BellaDonnerstag nach dem dritten Advent, 17:59 Uhr
Kyra GrohSternenknistern
Amelie
Klara
Felix
Franka
Jesse
Joscha
Noel
Amelie
Marina NeumeierChristmas Crush
Simon
Lucia
Simon
Lucia
Simon
Lucia
Simon
Lucia
Alexandra FlintKeine Nacht zu dunkel
Eine unerwartete WendungIda, 26. Dezember
Unausgesprochene WorteNoel, 26. Dezember
Ausgerechnet wirIda, 27. Dezember
Schatten, die nicht fragenNoel, 27. Dezember
Licht in der DunkelheitIda, 31. Dezember
Noel
Franka NeubauerBefore the Stars Break
It is not as it once was
Haven’t we all lost a part of us here?
What if I’m just a star between millions of suns?
I thought all my tears had been used up
Show me a starlit night in all my darkness
Suddenly I believe in right person, wrong time
All the glitter on the floor is still just plastic
You’ve reached the last pageSieben Monate später
GABRIELLA SANTOS DE LIMA
Jetzt sind wir unendlich
Snowman – Sia
’tis the damn season – Taylor Swift
Mistletoe – Colbie Caillat
KYRA GROH
Sternenknistern
All I Want for Christmas Is You – Mariah Carey
Last Christmas – Jimmy Eat World
River – Joni Mitchell
MARINA NEUMEIER
Christmas Crush
Driving Home for Christmas – Chris Rea
Let It Snow! Let It Snow! Let It Snow! – Dean Martin
I’ll Be Home – Meghan Trainor
ALEXANDRA FLINT
Keine Nacht zu dunkel
Christmas Lights – Coldplay
Winter Wonderland – McKenna Williams
Driving Home for Christmas – Chris Rea
FRANKA NEUBAUER
Before the Stars Break
New Year’s Day – Taylor Swift
If We Make It Through December – Phoebe Bridgers
Cold December Night – Michael Bublé
Prolog
Und wieso genau datest du nicht, Bella?
Keine Ahnung, wie oft mir diese Frage schon völlig verwirrt entgegengeschleudert wurde, wenn das Thema aufkam. Dabei war die Antwort ganz simpel. Und sogar nachvollziehbar. Fanden wir Männer meistens nicht sowieso eher unausstehlich? In Gesprächen mit Freundinnen waren sie oft das Thema Nummer eins, weil wir uns über sie aufregten und/oder sie einfach nicht verstanden. Wie cool und unnahbar sie ständig rüberkommen müssten, so als könne sie in der Tat nichts berühren, selbst wenn wir ihre nackte Haut Zentimeter für Zentimeter entlangfuhren. Denn am Ende waren sie es, die uns jedes Stück Stoff vom Körper reißen und jede Stelle darunter ganz, ganz genau betrachten konnten, ohne uns am nächsten Tag zurückzuschreiben. Als würden sie uns gar nicht kennen. Als würde ihre DNA nicht irgendwo in uns herumschwimmen, weil wir uns geküsst hatten und man die Spucke von anderen Menschen fast fünf Jahre in sich behielt. Romantisch, nicht wahr?
Oder wenn sie unsere Fragen auf WhatsApp zwar beantworteten, aber nie mehr als ein Ja oder Gut oder Nichts schrieben und erst recht nichts zurückfragten.
Ich verabscheute es, an Grüppchen von ihnen auf der Straße vorbeizulaufen, weil ich immer fürchtete, sie könnten mir etwas Unangenehmes hinterherrufen. Wenn ich früher samstagabends von der Dortmunder Innenstadt nach Hause gefahren war, hatte ich Angst, dass eine Prügelei in der S-Bahn zwischen den betrunkenen BVB-Fans und denen des Gegners ausbrechen würde. Ich mochte es nicht, dass immer alles so rau bei Männern war. Sie begrüßten sich mit hartem Schulterklopfen und festen Handschlägen, nach denen mir die Knöchel schmerzen würden. Es war nicht so, dass ich sie hasste, aber ich hatte eben meine Erfahrungen gemacht.
Denn ja, ich hatte es versucht. Ich war auf Dates gegangen und hatte Typen mit glasigen Augen auf Hauspartys meine Nummer gegeben, in der Hoffnung, diesmal könnte es vielleicht anders ausgehen. Schlussendlich endete es trotzdem immer damit, dass ich mir in meinem Bett die Augen ausweinte, weil Julian Kovac, Nils Müller oder Fabian Wozniak sich irgendwie doch nicht mehr so sicher mit mir war. Einige würden behaupten, dass ich nicht ganz unschuldig war. Dass ich nicht so viele Erwartungen haben dürfe, es langsam angehen lassen und generell das Leben einfach auf mich zukommen lassen solle. Dabei erwartete ich keinen Liebesfilm, der Realität wurde. Ich brauchte keine Rosenblätter über der Bettdecke oder Gedichte, dir mir heimlich zugesteckt wurden. Alles, was ich wollte, war, dass die Person, die ich mochte, mich genauso gut behandelte, wie ich versuchte, sie zu behandeln. Ohne Ghosting, Unsicherheiten und Nie-wissen-woran-ich-bin.
Irgendwann hatte ich es aufgegeben, weil ich es nicht mehr ausgehalten hatte. Ich verteufelte Männer nicht, aber ich hielt sie gefühlstechnisch absichtlich auf Abstand. Nicht weil ich ihnen etwas Böses wollte, sondern weil ich das Beste für mich wollte. Weil ich nicht mehr verletzt oder enttäuscht werden wollte.
Und klar, es war einfach zu behaupten, ich wäre üüüberhaupt nicht an Männern interessiert. Es wirklich so zu meinen, war allerdings etwas anderes. Denn der versteckte Drang nach männlicher Bestätigung war real. Das Bedürfnis nach zwischenmenschlichen Beziehungen war real. Das Gefühl, irgendetwas Verrücktes in meinen Zwanzigern erleben zu müssen, war real. Manchmal ging ich deshalb trotz allem auf ein Date, wenn mir danach war.
Ein Date.
Mehr nicht.
Das war meine Regel.
Doch dann trat Matteo, dieser unverschämt charmante Mistkerl, in mein Leben.
Zum zweiten Mal.
Bella
Dritter Advent
»Und?«, fragte meine beste Freundin Nova, die das Kinn in ihrem karierten Schal vergrub. »Bist du bereit?«
Der Wind blies uns kalt in die Gesichter, ihre blonden und meine dunklen Haare nach hinten. In Kombination mit dem eisigen Schneeregen, der uns vor die Füße fiel, war es wirklich kein Winterwonderland-Wetter. Trotzdem mussten wir kurz nach der Bahnhaltestelle links einbiegen und noch einige Hundert Meter laufen, bis wir unser Ziel erreichten.
Wir waren auf dem Weg zum Zuckermonarchie, dem Café, in dem die weihnachtliche Keramikmalstunde stattfand, zu der Nova uns angemeldet hatte. Aus den Augenwinkeln erkannte ich bunte Lichterketten in einigen Wohnhausfenstern. Sogar der Kiosk, den wir passierten, hatte ein blinkendes Rentier in sein Schaufenster gestellt. Ich vergrub die Hände tiefer in meine Jackentaschen, wobei ich spürte, wie der Schneeregen meine Stoffmütze durchnässte. Dann hob ich die Brauen.
»Die Frage ist eher, ob du bereit bist, mir dabei zuzusehen, wie ich eine Keramiktasse verunstalten werde.«
»Verunstalten ist ein hartes Wort.«
»Es ist zutreffend«, erwiderte ich. »Erinnerst du dich nicht an meine Noten bei Frau Schilling? Ich habe echt alles gegeben, aber nie etwas Besseres als eine Drei minus für meine Bilder bekommen.«
»Hat sie dir nicht immer eine glatte Drei im Zeugnis gegeben?«
»Aus Mitleid, ja.«
»Was hat sie immer gesagt?«
»Dass ich seeehr bemüht bin.«
»Oh Mann«, seufzte Nova plötzlich nostalgisch. »Was würde ich dafür geben, noch einmal die Oberstufe zu besuchen. Ein Tag würde reichen.«
Ich protestierte leidenschaftlich dagegen, indem ich meine Freundin darauf hinwies, dass sie dann jede Sekunde auf ihr Handy starren würde, in der Hoffnung, Leon aus der 10b hätte sie angeschrieben.
»Bitte lass uns diese Phase vergessen.« Sie deutete eine abwinkende Handbewegung an. »Das waren harte Zeiten.«
Ich warf Nova einen Seitenblick zu, woraufhin wir nicht mehr anders konnten, als draufloszulachen.
Als wir das Café endlich erreichten, erkannten wir schon von draußen die große Tafel, die mit einfarbigen Tassen, Farbtuben und Pinseln eingedeckt war. Einige Besucherinnen saßen bereits an dem Tisch, einen dampfenden Becher in der Hand, und unterhielten sich. Sobald wir eintraten, nahm ich Sias Snowman wahr, das aus den Lautsprechern plätscherte. Außerdem stieg mir der Duft von heißer Schokolade, Zimt und Tannennadeln in die Nase.
»Hey, willkommen«, begrüßte uns die Barista hinter dem Tresen, während wir unsere Jacken öffneten und überlegten, auf welchen Plätzen wir sitzen sollten.
Genau in diesem Moment hörten wir plötzlich Novas Namen. Unsere Blicke schossen nach links, wo sich eine kleinere Frau in einem schrecklichen Weihnachtspullover erhob, um meine Freundin in den Arm zu nehmen. Dem Himmel sei Dank waren Nova und ich nicht die Einzigen, die sich an den Ugly-Christmas-Sweater-Dresscode gehalten hatten. Ich stellte fest, dass die Frau klein war, kleiner als ich mit meinen eins zweiundsechzig. Sie hatte ihren Pullover mit Grinch-Aufdruck zu einem Rock, Strumpfhosen und silberfarbenen Creolen kombiniert, die mit den Reißverschlüssen ihrer kniehohen Stiefel harmonierten.
»Oh Gott«, stieß meine beste Freundin aus. »Was machst du denn hier? Ich dachte, du bist nur über die Feiertage in der Umgebung.«
»Ich bin früher aus Berlin gekommen, damit ich mehr Zeit mit meinen Freundinnen und der Familie verbringen kann«, erklärte sie. »War relativ spontan. Aber total schön, dich hier zu sehen.« Dann wandte sie sich lächelnd an mich. »Hi, ich bin Lucy. Setzt euch doch zu uns.« Sie deutete in Richtung einer Ecke, wo schon zwei andere junge Frauen hockten.
Nova sah mich fragend an, so als wolle sie sicherstellen, dass es okay für mich war.
»Klar«, sagte ich und lächelte zurück. »Wir bestellen uns nur eben zwei Heißgetränke.«
»Super!« Lucy strahlte, ehe sie sich winkend von uns abwandte und in Richtung ihrer Freundinnen verschwand.
Während wir winterliche Chai Lattes mit Spekulatiusgeschmack orderten, erklärte Nova mir, dass sie an derselben Kunsthochschule wie Lucy und ihre Freundinnen studiert hatte.
»Die drei führen diesen gemeinsamen Blog, von dem ich dir mal erzählt habe. @thegirlnextdoor. Weißt du noch?«
Ich nickte, denn ich erinnerte mich tatsächlich vage an den Instagram-Account voller wichtiger Botschaften und wunderschöner Illustrationen.
»Tillie macht diese krassen feministischen Videos, die ich immer wieder in den Stories teile. Und Mandas Illustrationen sind …« Sie formte Zeigefinger und Daumen zu einem Kreis.
Keine fünf Minuten später saßen wir neben Lucy und ihren Freundinnen, die sich mir ebenfalls vorstellten.
»Tillie«, sagte die Blondine mit den perfekt rot geschminkten Lippen.
»Amanda«, sagte die Frau mit voluminösen Curtain Bangs. »Wie heißt du?«
Innerhalb von wenigen Minuten fand ich heraus, dass alle drei ihren Master machten, Lucy in Berlin, Amanda und Tillie hier in Köln.
»Und was machst du?«, fragte Lucy, woraufhin ich erzählte, dass ich Grundschullehramt studierte und froh darüber war, mein Ref bald hinter mir zu haben, für das ich nach Köln gezogen war.
»Habt ihr das gehört?«, fragte Tillie kurz darauf und deutete auf ihren Bauch. »Ich hab so Hunger. Was für ein Jammer, dass es heute keine von Cleos Cupcakes gibt. Ich würde sterben für die mit Bratapfelgeschmack.«
»Das ist schon ein bisschen sehr dramatisch.« Amanda hob die dichten Brauen. »Ist ja nicht so, als würdest du mit ihr zusammenwohnen und gefühlt jeden zweiten Tag einen Cupcake dieser Art absahnen, weil sie die Reste von hier mitbringt.«
»Im Durchschnitt bekomme ich sie wahrscheinlich öfter als jeden zweiten Tag«, sagte Tillie schelmisch.
Ich kippte den Kopf. »Deine Schwester arbeitet in diesem Café?«
Sie nickte. »Cleo ist Konditorin im Zuckermonarchie.«
»Dann habe ich bestimmt schon mal eine ihrer Kreationen gegessen.«
»Du bist häufiger hier?«, wollte sie interessiert wissen.
»Na ja«, mischte sich Nova ein. »Formulieren wir es mal so: Es könnte sein, dass wir ziemlich viel Geld für Chais in diesem Laden lassen.«
»Verständlich.« Tillie wackelte mit den Brauen. »Aber die eigentliche Frage ist, ob ihr auch die Bratapfel-Cupcakes probiert habt. Ihr könnt nämlich erst dann guten Gewissens sterben, vertraut mir.«
»Ist vermerkt!« Ich lachte, während weitere Gäste in das Café strömten. Um kurz nach drei war es endlich so weit und wir durften die Pinsel in die vielen verschiedenen Farben tunken. Am Ende des Raums ertönte dabei kontinuierlich das Zischen der Kaffeemaschine hinter dem Tresen, wobei die Barista mit der blauen Schürze Milchschaum in handgemachte Kaffeebecher goss. Zu behaupten, das Zuckermonarchie war gut besucht, wäre eine Untertreibung. Über fünfzig Leute tummelten sich an diesem Sonntag in dem Lokal mit den vielen Pflanzen und dem Leuchtschild an der hinteren Wand. Anstatt mit den üblichen Blumenglasvasen waren die Tische in der Weihnachtszeit mit Tannenzweigen und -zapfen dekoriert.
»Sind diese grünen unförmigen Punkte etwa …« Verwirrt besah Nova sich meine Tasse näher »… Tannenbäume?«
»Ohoh«, machte Tillie. »Hast du gerade etwa das Kunstwerk deiner besten Freundin gejudgt, Nova?«
»Niemaaals«, erwiderte Letztere, bevor ich belustigt mit den Augen rollte.
»Zeigt mal, wie eure Tassen aussehen«, forderte ich.
»Das ist unfair«, protestierte Tillie. »Manda ist Künstlerin. Dagegen sehen die von Lucy und mir auch fragwürdig aus.«
»Warte mal.« Schockiert schnappte Lucy nach Luft. »Hast du gerade indirekt auch meine Tasse gejudgt?«
Weihnachtslieder über Weihnachtslieder plätscherten aus den Lautsprechern, während wir die Pinsel lachend wieder ansetzten. Aus den Augenwinkeln konnte ich durch die Fensterscheiben erkennen, wie der Schneeregen sich langsam in riesige Schneeflocken verwandelte, die wild im Wind umherflogen. Am Ende übergaben wir der freundlichen Barista – Kathi – unsere Tassen zum Glasieren und Brennen. Wir würden sie in der kommenden Woche abholen können.
»Hey«, sagte Amanda, bevor wir uns die Jacken anzogen. »In der WG meines Bruders steigt gerade eine Glühweinparty. Habt ihr Lust mitzukommen?«
»Die eigentliche Frage ist doch …«, warf Tillie wieder ein. »… wann er keine Party in seiner WG schmeißt.«
»Eine sehr gute Frage, aber gerade wirklich nicht die eigentliche Frage.« Amanda sah Nova und mich abwartend an. »Was ist? Habt ihr Lust?«
Matteo
Dritter Advent
Es ist so: Hätte mir jemand gesagt, dass ich Bella Marchetti in Köln wiedersehen würde, hätte ich es nicht geglaubt. Hätte dieser Jemand dann gemeint, dass ich sie auf meiner eigenen WG-Party antreffen würde, hätte ich aus reiner Ungläubigkeit gelacht. Wäre mir abschließend erzählt worden, dass sie dabei einen fürchterlichen übergroßen Rentierpullover tragen würde und ich dennoch nicht aufhören könnte, sie anzusehen, hätte ich zumindest diesen Teil geglaubt. Denn so war das einfach mit Bella und mir: Wir konnten nicht aufhören, einander anzusehen, wenn wir damit anfingen.
Das war schon immer so gewesen.
Damals in Rom.
Und jetzt. In Deutschland. In Köln. Auf meiner eigenen fucking WG-Party.
»Hey, Mann.« Mein Mitbewohner Felix stupste mich nur leicht mit dem Ellbogen an, allerdings zuckte ich so heftig zusammen, dass ich den Inhalt meiner dampfenden Tasse beinahe verschüttete. »Sie sind jetzt fast ein Jahr lang zusammen. Ich glaube, du kannst aufhören, Dubois Löcher ins Gesicht starren zu wollen. Mal ganz davon abgesehen, dass du ihnen eigentlich deinen Segen gegeben hast.«
»Hm«, brachte ich hervor, weil ich nur sie ansehen konnte.
Nur Bella Marchetti. Die Studentin, die ich während meines und gleichzeitig auch ihres Auslandssemesters in Rom kennengelernt hatte. Sie hatte sich für Rom entschieden, um ein halbes Jahr mit der Familie ihres Vaters zu verbringen. Ich hatte mich für die Stadt entschieden, weil ein ganzer Spätsommer und Herbst in Italien nach etwas geklungen hatte, was es wert war, erlebt zu werden.
Mir fiel auf, dass sie ihre schwarzen Haare jetzt deutlich kürzer trug. Als wir uns kennengelernt hatten, hatten sie ihr fast bis zum Po gereicht, jetzt berührten die Haarsträhnen gerade einmal ihre Schultern. Sonst war alles gleich. Ja, ich fand sie wunderschön und heiß und anziehend und all das andere Zeug, aber … keine Ahnung. Ich hatte sie nicht wegen ihres Aussehens gemocht. Da … Fuck. Ich konnte nicht glauben, dass ich das noch einmal dachte.
Doch da war einfach etwas zwischen uns gewesen.
Ich hatte den Finger nicht darauflegen können, hatte es nicht verstanden, mich nächtelang in einem viel zu warmen Wohnheimzimmer von einer Seite auf die andere gedreht, um es zu begreifen.
Es war mir nie gelungen.
Bella Marchetti war Bella Marchetti. Und ich mochte sie. Das war alles, was ich wusste.
»Hast du mir überhaupt zugehört?«, fragte Felix.
»W…was?«
»Ich habe von deiner Schwester geredet.«
Meiner Schwester?
»Und Émil.«
Émil?
»Wir alle wissen, dass du nicht der größte Fan von ihnen als Paar warst, aber hast du nicht schon vor, na ja, so ungefähr elf Monaten realisiert, dass sie schon irgendwie gut zusammenpassen? Hast du ihnen nicht sogar angetrunken wortwörtlich gesagt: Ihr habt meinen Segen?«
Ja.
Ja, ja, ja.
Jetzt sah ich meine kleine Schwester auch, wie sie sich mit Bella unterhielt, den Blick durch den Raum schweifen ließ, bis er auf mir lag – und plötzlich auf mich deutete. Aus den Lautsprechern dröhnte irgendein Remix von Last Christmas. Glaubte ich zumindest. Sicher war ich mir nicht, weil es in meinem Kopf zu rauschen begann. Ringsum standen etliche Bekannte, umklammerten Tassen mit Weihnachtsmotiven und erzählten sich mit von Glühwein verfärbten Lippen, wie sie über die Feiertage nach Hause fahren würden. Ich bekam das mit, ohne es wirklich mitzubekommen. Ich hatte nicht gelogen. Ich hatte nur Augen für Bella, die jetzt auf mich zukam. Und mit einem Mal auch nur noch mich betrachtete. Mit geweiteten Pupillen und schockierter Miene. Ihr Ausdruck passte zu dem panischen Rhythmus meines Herzens.
Aber. Wieso. Schlug. Das. So. Verfickt. Schnell?
Weil da etwas zwischen euch war. Und anscheinend ist.
»Hier ist er«, sagte Amanda, als sie mit Bella im Schlepptau direkt vor meiner Nase verharrte.
»Gut, dass du da bist.« Felix lachte. Felix. Natürlich. Er stand immer noch neben mir. »Ich hatte eben die Befürchtung, dass dein Bruder wieder seine Eifersuchtsschiene fährt.«
»Wegen Émil?«, fragte Amanda verwirrt.
»Was?«, sagte ich, diesmal ohne zu stottern. »Nein, natürlich nicht.«
»Nicht?« Felix hob die Brauen. »Und wieso hast du Émil und deine Schwester dann gerade so angestarrt?«
Bellas Blick zuckte verwirrt von mir zu der Stelle, an der sie bis eben noch gestanden hatte. Dort war sie versammelt, Amandas Truppe. Lucy und Gregor, Tillie und Jonathan. Und natürlich Émil. Ich meinte sogar Tillies Schwester Cleo und ihren Freund Noel zu erkennen, aber dafür schaute ich nicht lang genug hin.
»Ich hab nicht gestarrt«, flüsterte ich, während ich wieder nur Bella ansah.
»Wie auch immer.« Meine Schwester deutete eine abwinkende Handbewegung an. »Mat, ich muss dir unbedingt jemanden vorstellen. Das ist Bella, eine Freundin von Nova. Nova kennst du. Sie hat an der gleichen Hochschule wie Lucy, Tillie und ich studiert.«
Ich wusste nicht, wer Nova war, andererseits hätte ich in diesem Moment wahrscheinlich nicht einmal meinen eigenen Namen nennen können, also …
»Und dreimal darfst du raten, an welcher Uni Bella in ihrem Auslandssemester studiert hat?«
Sapienza. Università di Roma.
Das wusste ich natürlich trotzdem.
»Sapienza«, verkündete Amanda aufgeregt, ohne dass ich etwas erwiderte. »Klingelt es bei dir? Università di Roma? Ihr habt an derselben Uni studiert, ist das nicht cool?«
»H…hallo.« Unsicher deutete Bella ein Winken an. »Bella.«
»Hey.« Meine Stimme klang so unendlich rau. »Matteo.«
Ich verstand nicht, wieso wir uns einander vorstellten. Wir kannten unsere Namen. Wir kannten uns. Wir kannten uns so gut, wie sich zwei einfache Kommilitonen im Ausland eigentlich nicht kannten.
»Willst du …?« Ich hasste es, dass ich abbrechen und erneut ansetzen musste. Aber ich konnte nichts dafür. Alles fühlte sich so unecht an. So unwirklich. Wie ein Traum. »Willst du etwas trinken?«
»Komisch.« Gespielt schockiert schnappte meine Schwester nach Luft. »Eigentlich ist er nicht so ein Gentleman.«
Wahrscheinlich hätte ich gekontert, wäre ich nicht generell so sprachlos gewesen.
»Gerne?«, fragte Bella unsicher.
»Für mich bitte auch noch einen Glühwein.« Die Augen meiner Schwester funkelten schelmisch. »Ich danke dir, Bruderherz.«
»Kein Problem«, murmelte ich, bevor Amanda mir Bellas und ihre Tasse in die Hand drückte.
»Keine Ahnung, was mit dem los ist«, hörte ich Felix lachend entgegnen, während ich mich entfernte. »Irgendwie ist er ein bisschen neben der Spur.«
Innerlich kratzte ich jedes Fünkchen Selbstbeherrschung zusammen, um mich nicht umzudrehen und mich ein weiteres Mal zu versichern, dass ich nicht träumte.
Dass sie es wirklich war.
Auf dem Weg zur Küche stolperte ich beinahe über meine eigenen Füße, streifte Schultern, wurde angehalten und aufgefordert, einen Shot mitzutrinken. Ich verneinte, lief wie in Trance in die WG-Küche mit dem runden Tisch und den Polaroids an der Wand. Auch hier war die Musik laut, vermischt mit dem Rauschen verschiedener Gespräche. Mit einem seltsamen Kloß im Hals ging ich auf die Herdplatte zu, die mit vier riesigen Glühweintöpfen zugestellt war. Ich bekam gerade die Kelle zu fassen, da spürte ich, wie mich jemand von hinten berührte. Die Hand war heiß und sandte einen Schauder voller Funken über meinen Rücken.
Ich spürte sofort, dass es sie war.
»Hey«, flüsterte sie und in diesem Licht, aus dieser Nähe erkannte ich, dass sich wirklich nur die Länge ihrer Haare verändert hatte.
Sonst war alles gleich.
Das winzige Muttermal über ihrer linken Braue, die runden Ohrringe, die sie täglich getragen hatte, wie sie mich ansah.
Selbst das war gleich geblieben.
»Ich hab deiner Schwester gesagt, ich würde dir mit dem Glühwein helfen«, murmelte sie, als müsste sie erklären, wieso sie jetzt hier war. »Sorry, falls das gerade komisch war. Ich weiß auch nicht, wieso ich mich dir vorgestellt habe. Ich glaube, ich habe noch nicht realisiert, dass wir uns gerade wirklich wiedersehen. In Deutschland.«
»Auf meiner WG-Party«, fügte ich hinzu und konnte nicht anders, als meinen linken Mundwinkel anzuheben.
»Auf deiner WG-Party«, wiederholte sie lachend.
Und Gott.
Ihr Lachen.
Alles an ihr war ausnahmslos schön, aber ihr Lachen war mit Abstand das Schönste an ihr. Ihr gesamtes Gesicht hellte sich auf, ihre Augen strahlten, ihre Ohrringe funkelten.
Ich konnte wirklich nicht aufhören, sie anzusehen.
»Das ist so verrückt«, flüsterte ich.
Bella
Montag nach dem dritten Advent, 00:03Uhr
Matteo brachte seiner Schwester nie die Tasse Glühwein. Stattdessen fragte er mich, wie es mir ging, was ich hier machte und was ich generell so tat.
»Ich dachte, du wohnst in Dortmund?«, fragte er, bevor ich ihn darüber aufklärte, dass ich für das Ref nach Köln gezogen war.
Wir blieben in der Küche, wo er uns einen Platz am Tisch sicherte und vor den anderen Gästen abschirmte, indem er sich mit dem Rücken zur Tür setzte. Einmal sah ich seine Schwester lächelnd vorbeilaufen, als sie mich mit ihrem Bruder entdeckte. Matteo fragte so vieles, aber nicht, wieso ich ihm nicht Bescheid gegeben hatte, dass ich jetzt in seiner Stadt wohnte. Oder warum ich ihm nie auf seine Nachricht geantwortet hatte. Die, die er mir nach diesem einen Abend geschrieben hatte. Genau deshalb spürte ich mein Herz unter jedem Zentimeter meiner Haut pochen, sobald eine kurze Gesprächspause entstand.
Jetzt fragt er dich und dann wird es peinlich werden, weil du keine richtige Antwort hast.
Doch seltsamerweise passierte es nicht. Matteo redete und lächelte und beantwortete mir all die Fragen, die ich ihm stellte. Wir sprachen über Italien und Deutschland, wie sehr wir unser Auslandsjahr vermissten. Und alles war so leicht.
»Ich will auf jeden Fall noch mal nach Rom«, erklärte er.
Ich sah ihn dabei an und sah nur ihn. Nicht seine Küche und auch keine anderen Gäste, die ihre Füße rhythmisch zur Weihnachtsmusik tippen ließen.
Verflucht.
Ich hatte es schon damals gehasst, dass ich – wenn Matteo in einem Raum war – nur ihn sah. Ich mochte es nicht, dass ich so vieles an ihm mochte. Aber es war unbestreitbar. Selbst ein Jahr nach unserem letzten Aufeinandertreffen hatte sich das nicht geändert. Ich mochte es weiterhin, wie groß Matteo war, wie man seinem athletischen Körper ansah, dass er Basketball spielte. Ich mochte seine dunklen Locken. Die dunkelgrünen Augen. Den leichten Bartschatten. Die Stelle links unterhalb seiner Schläfe, die er schon damals ständig beim Rasieren vergessen hatte. Ich mochte Matteos tiefe Stimme. Die Art, wie er Fragen mit ihr stellte, weil ihn meine Antworten wirklich interessierten, nicht weil er wollte, dass ich ihn etwas zurückfragte. Ich hatte es gemocht, ihm wöchentlich im Italienischkurs an der Uni zu begegnen. Wie er mich angelächelt hatte, sobald ich den Raum betreten hatte. Dass er Letzteres immer bemerkt hatte. Ich hatte ihn gemocht, obwohl ich Männer eigentlich auf Abstand hielt. Wir waren natürlich kein Paar gewesen. Flüchtige Bekannte, vielleicht. Auslandsstudenten aus Deutschland, die sich auf dem Universitätsgelände und Partys immer mal wieder über den Weg gelaufen waren. Auf jeder Party, auf der wir uns getroffen hatten, waren unsere Gespräche etwas länger geworden. Und irgendwann … ja. Irgendwann hatten wir es beide nicht mehr ausgehalten.
Als er mich an diesem letzten Abend gefragt hatte, ob er mich küssen dürfe, ganz schüchtern mit leicht geröteten Wangen, dieser große, wunderschöne Kerl mit den verwuschelten Locken – da hatte ich Ja gesagt. Wir hatten uns in der Villa di Cisterna geküsst, fernab von unseren Kommilitonen, die ihre Gläser auf den letzten gemeinsamen Abend hoben. Ich wusste noch ganz genau, wie er geschmeckt hatte. Nach Italien und Sommer, obwohl es schon Herbst gewesen war. Ich wusste auch, wie er meine Hand genommen und mich in sein Wohnheimzimmer geführt hatte. Ich hatte es gemocht, wie wir uns schwindelig geküsst hatten, bis wir auf seinem Bett gelandet, aber nicht so weit gegangen waren. Er hatte nicht versucht, den nächsten Schritt zu machen. Hatte einfach gespürt, dass ich ihn berühren und fühlen wollte, ohne gleich aufs große Ganze zu gehen. Ich hatte es gemocht, dass nichts am Morgen danach seltsam zwischen uns gewesen war, er mich mit diesem schiefen Lächeln verabschiedet und mir gesagt hatte, er würde mir schreiben. Und ich hatte es gemocht, dass die Fronten von Anfang an klar gewesen waren.
Ich hatte Matteo nie in seinem wirklichen Leben kennengelernt, allerdings geahnt, dass er garantiert kein Heiliger war. Außerdem waren wir beide in unserem Auslandssemester. Es konnte gar nichts Ernstes werden. Mit komplizierten Gefühlen, die der andere vielleicht gar nicht erwiderte. Mit Fragezeichen und geplanten Treffen, die spontan abgesagt wurden. Mit kryptischen Nachrichten ohne Smileys, von denen ich Nova Screenshots geschickt hätte, um herauszuanalysieren, ob er unterschwellig angepisst war.
Also war es nur bei dieser einen Nacht voller heißer Küsse und Berührungen geblieben. Eine Nacht, in der alles möglich geschienen hatte, weil wir frei und jung und in Italien und vielleicht ein klitzekleines bisschen angetrunken gewesen waren.
Das war alles, was zwischen uns passiert war.
Und jetzt saß dieser faszinierende Typ in Köln vor mir und es war alles wieder da.
Das Gefühl, dass alles möglich schien.
Das Gefühl, das aufgeregt durch meine Blutbahnen rauschte, weil ich mich plötzlich so lebendig fühlte.
Dieses verräterische Herzrasen.
Dabei würde ich lügen, wenn ich behaupten würde, ich hätte nicht manchmal an ihn gedacht. Ihn nicht alle paar Wochen auf Instagram gesucht, obwohl sein Profil auf privat geschaltet war. Mir nicht vorgestellt, wie es wäre, wenn wir uns rein zufällig wiedertreffen würden. Wann immer mir diese Gedanken durch den Kopf geschossen waren, hatte ich sie jedoch gleich wieder verdrängt.
Nur ein Date.
Oder was auch immer das zwischen uns gewesen war.
Doch jetzt wurde es um uns herum lauter und voller. Noch mehr Leute schienen in die WG zu schneien, verschütteten Glühwein auf den hellen Fliesen und drehten die Musik lauter, bevor sie sogar in der Küche zu tanzen begannen.
»Fuck«, sagte Matteo, als ein umherwirbelndes Paar gegen ihn stieß. »Das hier ist echt kein geeigneter Ort für eine Unterhaltung.«
Ein Teil in mir war sich sicher, dass unser Gespräch hiermit beendet wäre. Doch der andere hatte fast geahnt, dass Matteo sich unter quietschenden Stuhlbeinen erheben und jeder ihn anstarren würde. Nicht wegen des Geräuschs, das sowieso untergegangen war.
Er war einfach so präsent.
Man musste ihn ansehen.
Oder ging es wirklich nur mir so?
»Lust auf einen Schneespaziergang?«, fragte er und hielt mir seine Hand hin. Einfach so.
Ich hätte sie nicht annehmen dürfen. Die Warnsignale schrillten in meinem Kopf, doch sie waren zu spät. Ich legte meine Hand in seine und wäre fast zurückgeschreckt.
Da.
Da waren sie wieder.
Die unsichtbaren Funken, die ich am meisten zwischen uns gemocht hatte.
Matteo
Montag nach dem dritten Advent, 01:23Uhr
Zugegeben: Bei Minusgraden einen Spaziergang zu machen, war nicht meine beste Idee. Doch es war die einzige, die mir eingefallen war. Genau deshalb fror ich mir gerade den Arsch ab, während der Wind Bellas dunkle Haarsträhnen nach hinten blies. Nach meinem Vorschlag hatte sie noch diese eine Sekunde gezögert, bevor sie ihre Hand in meine gelegt hatte.
Alles in mir war wärmer geworden.
Wegen einer verfluchten Berührung.
Ich war mir sicher, dass das nicht normal sein konnte. Allerdings hatte ich nicht die Gelegenheit gehabt, sie zu fragen, ob es ihr ähnlich ging. Gleich darauf war sie nämlich in das geräumige Wohnzimmer gehuscht, um sich zu verabschieden. Keinen Schimmer, ob sie ihnen von mir erzählte, ich erinnerte mich im selben Moment allerdings daran, dass sie sich vor meiner Schwester neu vorgestellt hatte.
»Was hast du den anderen gesagt?«, fragte ich deshalb, kurz nachdem wir die ersten Meter hinter uns gelegt hatten. Dabei war die Kälte kaum auszuhalten. Vorhin hatten etliche Menschen schneebedeckte Dächer in ihren Stories gepostet, weil der Anblick ja so schön war. Tja, gerade war es das definitiv nicht. Ohne meine Mütze würden mir garantiert die Ohren abfrieren. Außerdem lief mir die Nase und die dicken Flocken würden langsam, aber sicher meine wenig schneetauglichen Schuhe durchnässen.
»Dass ich total fertig bin«, erwiderte Bella schließlich. »Und dass ich deshalb nach Hause will. Ich muss Nova also unbedingt in einer halben Stunde schreiben, dass ich angekommen bin. Sonst schickt sie noch einen Suchtrupp.«
Ich musste schmunzeln. »Woher kennt ihr euch?«
»Ach.« Sie zuckte übertrieben mit den Schultern. »Wir kennen uns erst seit dem Kindergarten.«
»Warte mal.« Ich warf ihr einen Seitenblick zu. »Ist Nova die Freundin, mit der du in Italien immer FaceTime-Dates hattest?«
»Du hast aber ein gutes Gedächtnis«, sagte sie und ich biss mir auf die Zunge, um nicht zu verraten, dass ich mich an alles in Italien erinnerte, was mit ihr zu tun hatte.
Wirklich alles.
Insbesondere an jedes Detail unseres letzten Abends.
»Oh Gott.« Bellas Zähne klapperten, während sie das Kinn in ihrer Jacke versteckte. »Es ist wiiirklich kalt, oder?«
Ich räusperte mich. »Wohnst du weit von hier?«
»Dreißig Minuten vielleicht zu Fuß. Wieso?«
»Ich …«
Fuck.
Stottern und Herumdrucksen war eigentlich nicht meine Art. Aber eigentlich stand meine Auslandssemesterkommilitonin auch nicht plötzlich in meiner WG, nachdem ich sie monatelang nicht gesehen hatte. Machte es mich zu einem verblendeten Idioten, wenn ich behauptete, das sei Schicksal?
»Ich könnte dich nach Hause bringen, wenn du willst.«
Keine Ahnung, wieso ich die Luft anhielt, als ging es hier um mein Leben. Wahrscheinlich wollte ich einfach nicht wie ein Stalker rüberkommen, der herauszufinden versuchte, wo sie wohnte. Dem Himmel sei Dank schien ich die einzige Person von uns beiden zu sein, der dieser Gedanke durch den Kopf schoss. Denn Bella nickte, ohne zu zögern.
An dieser Stelle war es wichtig klarzustellen, dass ich sie tatsächlich nur nach Hause bringen wollte. Wirklich. Während wir liefen, unterhielten wir uns über die anderen Auslandssemester, die in Rom zu unserer Gruppe gehört hatten. Wir fragten einander, ob wir noch Kontakt zu ihnen hätten, doch die Bekanntschaften hatten sich genauso schnell verlaufen, wie die Nachrichten im Gruppenchat nach unserer Abreise aufgehört hatten.
»Vermisst du es?«, wollte Bella wissen, als wir eine ausgeschaltete Ampel überquerten.
»Sehr«, sagte ich und wollte eigentlich gar nicht weitersprechen, doch die Worte stolperten mir verflucht noch mal aus dem Mund. Weil ich wusste, dass Bella mich vielleicht verstehen konnte. »Ehrlich gesagt ging es mir zurück in Deutschland eine Zeit lang gar nicht so gut. Ich … Keine Ahnung. Wahrscheinlich hat mir einfach die Sonne gefehlt.«
Ich hätte viel weiter ausholen können. Eine Ewigkeit über dieses Thema reden können, denn ich wusste, dass ich nicht der Einzige war. Das hatte ich zumindest den Berichten im Internet entnommen. Auch andere hatten sich … seltsam gefühlt. Sie nannten es Zurück-in-der-Heimat-Blues. Ich hatte damals an wieder da, aber nicht wirklich da gedacht. Weil mir die Welt in Deutschland viel grauer vorgekommen war – und damit meinte ich nicht nur die Abwesenheit der Sonne.
Einen Moment lang fürchtete ich, Bella würde das doch nicht verstehen können, weil sie mir immer noch nicht geantwortet hatte. Da räusperte sie sich.
»Das kann ich so gut nachvollziehen.« Sie wurde ganz ernst. »Als ich zurück in Deutschland war, habe ich mir sofort Vitamin-D-Tabletten geholt. Ich war die ersten Wochen auch nicht so … gut drauf. Ich habe meine Familie in Italien total vermisst. Einfach das komplette Lebensgefühl, weil ich da … freier war? Weil … klar, ich habe weiter studiert, aber irgendwie hatte ich auch die Zeit meines Lebens? Oh Gott.« Ein nervöses Kichern entfuhr ihr. So als hätte sie viel zu viel erzählt. »Ich hoffe, das klang jetzt nicht komisch oder so. Sorry, wenn ich dich …«
»Absolut nicht«, unterbrach ich sie. »Glaub mir. Ich verstehe das. Wirklich.«
Daraufhin sagte sie nichts, doch sie lächelte mir so zu, als wären wir Verbündete.
Und fuck.
Ihr Lächeln.
Wieso ging mir das so unter die Haut?
Warum begann alles in mir warm zu kribbeln, obwohl ich das Gefühl hatte, meine Nase würde vor Kälte gleich einfach abfallen?
»Das ist meine Straße«, erklärte Bella, kurz bevor wir ihr Wohnhaus erreichten und sie den Schlüssel aus ihrer Tasche kramte. Mit ihm in der Hand verharrte sie auf der ersten Treppenstufe, sodass sie beinahe so groß war wie ich. Schneeflocken blieben im groben Stoff ihrer Mütze hängen, während unsere Blicke sich ineinander verhakten. Ich sah sie an und spürte es überall. Unter jedem Zentimeter meiner Haut. Dabei wusste ich, wie das hier ablaufen würde. Sie würde sagen: »Also, dann …«, und ich würde unbeholfen mit dem gleichen »Also, dann …« antworten, wobei ich mich innerlich fragen würde, ob ich sie auf meine Nachricht ansprechen sollte. Wieso sie mir nicht geantwortet hatte. Doch selbst wenn ich mich getraut hätte, hätte ich es in diesem Moment gar nicht gekonnt.
Keine Ahnung, woran genau es lag, vielleicht am schummerigen Schein der Straßenbeleuchtung, die mich an Rom in den kleinen Gassen erinnerte. Vielleicht war es auch einfach die Art, wie sie mich genau jetzt betrachtete, so wie sie mich betrachtet hatte, kurz bevor wir uns geküsst hatten. Ich wusste bloß, dass plötzlich etwas anders war. Ich spürte es in meinem Körper, an dem Ziehen meiner Leistengegend und dem schnellen Schlagen meines Herzens.
Ging es ihr genauso? Musste es ihr nicht genauso gehen, wenn dieses Gefühl schlagartig so riesig wurde, dass ich es gar nicht allein fühlen konnte?
»Willst du …« Auch sie musste neu ansetzen. »Willst du vielleicht mit hochkommen, um dich aufzuwärmen?«
Bella
Montag nach dem zweiten Advent, 02:11
Die Stimmung war plötzlich anders.
Womöglich lag es daran, dass ich aufwärmen gesagt hatte, es sich allerdings seltsamerweise zweideutig angehört hatte. Vielleicht, weil unsere Blicke so intensiv waren, dass alles ein bisschen anders klang, als man es meinte. Oder eben genau so, wie man es meinte.
Keine Ahnung.
Ich wusste nur, dass es seltsam war, Matteo hier so zu sehen. Auf Socken. In einem olivfarbenen Pullover anstatt wie sonst in einem Shirt. In meiner kleinen Einzimmerwohnung mit der Küchenzeile in der Ecke. Er sah so riesig aus in meiner Wohnung. So männlich zwischen all den weißen Möbeln von IKEA und meinen Dekokissen, die ich farblich in Pastelltönen aufeinander abgestimmt hatte. Ich musterte ihn dabei, wie er meine Wohnung musterte. Meine hellen Vorhänge mit dem minimalistischen Blumenmuster. Die Salzsteinlampe neben den Kerzenständern von JYSK auf meinem Nachttisch. Meine Bettwäsche, die mit kleinen Herzchen bestickt war. Mein Bett. Das musterte er viel zu lange. Dann, als hätte er meinen Blick auf sich gespürt, drehte er sich ruckartig zu mir um.
»Was ist?«, fragte er und seine Stimme war wie sein Blick: viel zu intensiv.
»Nichts«, erwiderte ich sofort. »Es ist nur, na ja, irgendwie etwas komisch, dich so in meiner Wohnung zu sehen.«
»Lass mich raten.« Herausfordernd hob er die Brauen an. »Du hast nicht damit gerechnet, mir noch einmal zu begegnen?«
»Hast du es denn?«, fragte ich, anstatt eine Antwort zu geben.
Sein Räuspern klang ganz rau. »Ich habe es zumindest gehofft, schätze ich?«
Jetzt.
Jetzt würde er mich fragen, wieso ich ihm nie geantwortet hatte. Ich hörte die Worte, noch bevor er sie aussprach, als er mit einem Mal auf mich zukam.
Und sie dann doch nicht sagte.
»Und du, Bella?«
Dass er mir so nah war, war nicht gut. So nah, dass ich ihn beinahe verschwommen sah. So nah, dass er zum Berühren nah war.
»Ich … ich habe nicht damit gerechnet.«
»Aber hast du es gehofft?«, setzte er sofort nach.
Die ehrliche Antwort war kompliziert. Irgendwie ja. Und irgendwie auch nicht. Wir hatten einen magischen Abend in Rom miteinander geteilt. So schön, dass er heute nicht mehr echt wirkte. Hätten wir weiterhin Kontakt gehalten, wäre der Zauber verflogen. All das Schwierige wäre zum Vorschein gekommen, weil ich dreiundzwanzig und er sechsundzwanzig und alles so kompliziert war, selbst wenn es einfach schien.
»Ja«, sagte ich trotzdem, weil es nur halb gelogen war und weil es in diesem Moment stimmte.
Weil er tatsächlich vor mir stand und seinen Arm hob, um mir eine Haarsträhne hinter das Ohr zu schieben.
»Fuck«, fluchte er.
Fuck, Bella. Du machst mich wahnsinnig.