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Es ist nie zu spät für die Liebe. Aber manchmal zu früh. Sommer 1988. Friederika hat große Füße und nennt sich Frie. Robert, neu an der Schule und schüchtern, verliebt sich sofort, aber zeigt es nicht. Vielleicht flirtet sie nur zum Spaß mit ihm? Winter 2002. Frie ist Mutter einer kleinen Tochter, Robert ist Musiker. Nach Jahren der Funkstille und einer zufälligen Begegnung bestätigt sich: Wann immer die beiden aufeinandertreffen, wird es kompliziert. Sommer 2022. Frie, inzwischen fünfzig und seit dem Ende ihrer letzten Beziehung wieder Single, fährt zum Abitreffen. Mit dabei: all die Erinnerungen an Robert, den sie seit einer halben Ewigkeit nicht gesehen hat. Was wird diesmal zwischen ihnen passieren? Ein mitreißend und liebevoll erzählter Roman übers Jungsein und Erwachsenwerden in den Neunzigern, über gelebte Träume und verpasste Gelegenheiten – und über eine neue Chance im Hier und Jetzt. Nach ihrem erfolgreichen Debüt ›Am liebsten sitzen alle in der Küche‹ – der neue, eindringliche und sympathisch ehrliche Roman von Julia Karnick. Eine mit Feingefühl und Humor erzählte Geschichte über eine große Liebe und falsche Momente.
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Frie heißt eigentlich Friederika, macht bald Abi und schreibt ihrem Schulfreund Robert zum Achtzehnten: Ich habe dich lieb. Was will sie ihm damit sagen? Der stille Robert ist gut in Latein, kann aber das Mädchen nicht verstehen, in das er heimlich verliebt ist. Frie geht als Au-pair nach Sydney, Robert als Zivi nach Hamburg. Er lernt einen alten Generalmajor kennen, der seine Zukunft entscheidend beeinflussen wird.
Als Frie zurückkehrt und in Hamburg zu studieren beginnt, ist Robert ein anderer geworden. Einer, für den sie doch mehr empfindet. Aber die zwei verpassen auch diese und weitere Chancen – bis sich ihre Wege nach zwanzig Jahren erneut kreuzen. Robert und Frie, beide fünfzig, merken sofort: Da ist noch etwas zwischen ihnen. Was machen sie daraus?
Von Julia Karnick ist bei dtv außerdem erschienen:
Am liebsten sitzen alle in der Küche
Julia Karnick
Roman
Für Anton und Ernestine,
die vieles anders machen und manches besser
Ich möchte leben.
Schau, das Leben ist so bunt.
Es sind so viele schöne Bälle drin.
Und viele Lippen warten, lachen, glühn
Und tuen ihre Freude kund.
Selma Merbaum
Behalte den Flug im Gedächtnis!
Der Vogel ist sterblich.
Forugh Farrochsād
Mai 2022
Das Wasser ist so heiß, dass es fast wehtut.
Frie mag es, wie die Hitze sie erst beißt und sich dann, nach dem ersten Schock, in ein Liebkosen verwandelt. Aber die Zeiten, in denen man so lange so heiß duschen konnte, wie man wollte, ohne sich deshalb schlecht zu fühlen, sind vorbei, außerdem sind heiße Duschen nicht gut für die Haut.
Sie dreht das Wasser aus.
Nee, denkt Frie, nicht schon wieder.
Das ist ihr schon gestern und vorvorgestern passiert, dass sie unter der Dusche stand und nicht wusste, was das Shampoo und was die Spülung war. Die zwei Flaschen sind nicht zu unterscheiden – außer durch die Beschriftung, die zu klein ist für Fries Augen. Nackt und nass huscht sie über die Flurdielen ins Schlafzimmer, wo sie die Brille abgelegt hat.
Nach den Haaren wäscht Frie sich das Gesicht und unter den Armen und jenen Teil ihres Körpers, der in ihrer Kindheit unten hieß: Friederika, wasch dich bitte gründlich, auch unten nicht vergessen! Als Emma klein war, hieß er Mumu. Inzwischen studiert Emma im fünften Semester Physik und sagt Vulva dazu, so wie sie ihren Mund Mund nennt und ihren Rücken Rücken, Frie gewöhnt sich nur langsam daran.
Eigentlich müsste sie sich rasieren, unter den Armen und unten und die Beine. Aber sie ist eh schon spät dran. Sie muss spätestens um Viertel nach aus dem Haus, und heute Abend ist sowieso niemand da, dem sie ihre Beine oder Achseln zeigen möchte.
Und unten schon mal gar nicht.
Frie trocknet sich ab, kämmt sich, putzt die Zähne, schlüpft in den Slip und trägt Deo auf. Eines der Häkchen am BH ist verbogen. Während sie es in die Öse fummelt, guckt sie in den Spiegel über dem Waschbecken. Sie mag ihre grünen Augen und dass ihre Schlüsselbeine sich so deutlich abzeichnen. In der Mitte zwischen den Schlüsselbeinen hat sie eine ausgeprägte Vertiefung, auf die sie stolz ist seit jenem Frühsommerabend vor hunderttausend Jahren, in der Robert plötzlich den Arm nach ihr ausgestreckt und sie berührt hat, nachdem sie in Pottloch baden waren.
Frie erinnert sich so gestochen scharf daran, wie man sich nur an die bedeutsamsten Erlebnisse erinnert, zum Beispiel daran, wie es war, ganz jung zu sein, weil da fast alles bedeutsam war. »Du hast ein schönes Jugulum«, hatte Robert gesagt und seine ostseekalte Zeigefingerspitze in die Kuhle unter ihrem Hals gelegt, zart, nur einen Augenblick lang, und Frie hatte gelacht, weil er plötzlich so ernst aussah, fast traurig. Am nächsten Tag war sie zu Hause ans Bücherregal im Wohnzimmer gegangen, in dem das Lexikon stand. Sie hatte erst den richtigen Band und dann darin das Wort gesucht und gefunden: Jụgulum [lat.] das, Drosselgrube, Kehlgrube, Grube oberhalb des Brustbeins zw. den Schlüsselbeinen.
Gut, dass Robert nicht kommt, denkt Frie.
Sie knöpft das weiße Hemd mit den breiten Manschetten zu und überlegt, wie lange es her ist, dass sie ihn zuletzt gesehen hat. Fast zwanzig Jahre.
Emma hat geschrieben: Viel Spaß!
Frie markiert die Nachricht ihrer Tochter mit einem Herzen und antwortet: Danke, werde berichten. Küsschen, Mama. Sie bezweifelt, dass sie viel Spaß haben wird auf ihrem dreißigjährigen Abitreffen. Sie hat noch nie verstanden, warum man wild darauf sein soll, lauter Menschen wiederzusehen, die man vor langer Zeit aus den Augen verloren hat – aus guten Gründen, sonst hätte man ja noch Kontakt. Der Sinn eines solchen Treffens kann nur darin bestehen, dass man sich gegenseitig versichert, man sei zufrieden, selbst wenn man in Wahrheit froh ist über jeden, dessen Leben noch mittelmäßiger verlaufen ist als das eigene.
Frie hat sich nur angemeldet, weil Anneke sie dazu bequatscht hat. Aber nun hat Anneke abgesagt, im letzten Augenblick.
Frie versucht, sich vorzustellen, mit wem sie wohl stattdessen rumstehen, Bier trinken und an früher denken wird. Vielleicht mit Andi Stubbe, Mareike Kupsky und den anderen und mit Christoph, dessen Nachname ihr gestern Abend wieder eingefallen ist, aber erst, als sie aufgehört hat, sich unbedingt an ihn erinnern zu wollen. Wenn Frie an die Leute aus ihrer Schulzeit denkt oder von ihnen erzählt, dann immer mit Vor- und Nachnamen. Robert ist der Einzige, an den sie nur mit seinem Vornamen denkt, geht ihr auf, als sie sich die Wimpern tuscht.
Er ist auch der Einzige, nach dem sie sich bei Sebastian Bruns erkundigt hat.
Danke für die Orga, viele Grüßeund bis dann, Friederika, hat sie geschrieben. P. S. Hast du zufällig etwas von Robert gehört? Sebastian antwortete zwei Tage später: Robert Haase? Ja, er hat sich für die Einladung bedankt, kann aber leider nicht kommen.
Frie entscheidet sich für den rostroten Lippenstift und sucht in der ganzen Wohnung nach dem Schlüsselbund. Sie findet ihn in der Tasche des Blousons, den sie längst übergezogen hat.
Sie schließt oben ab und unten das Fahrradschloss auf. Bis gerade eben war der Himmel bedeckt, nun ist er wolkenlos. Aus einem fahlen Tag ist ein leuchtender Frühlingsabend geworden, als hätte er im allerletzten Augenblick entschieden, sich doch zu etwas Frohsinn aufzuraffen.
So ähnlich wie ich, denkt Frie.
Sie fährt an der Diako vorbei, in der sie zur Welt gekommen ist, und biegt ein in die Toosbüystraße. Linker Hand grüßen die Zartrosa und Schneeweiß tragenden Bäume und Sträucher, zwischen denen hindurch ein Weg zu der Parkbank führt, auf der sie mit Oliver Grothe geknutscht hat, was nicht mal halb so romantisch war, wie sie es sich ausgemalt hatte. Der Fahrtwind streichelt Fries Gesicht, die abendliche Maisonne taucht die Stadt in ein zuversichtliches Strahlen. Ihr bleibt nichts anderes übrig, als gute Laune zu bekommen. Als das Rad immer schneller wird, bremst sie ab. Früher hat sie sich auf den steilen Straßen der Westlichen Höhe ungebremst bergabwärts rollen lassen, oft mit Anneke hinter sich, weit abgeschlagen. Anneke, die sich nicht mal als Kind getraut hat, bergabwärts zu rasen, und die später eine der Ersten war, die sich einen Fahrradhelm kaufte. Nur Robert war genauso furchtlos wie Frie: »Wer als Erstes unten ist!«
Einmal ist er morgens um vier auf die Schiffbrücke gerast, ohne nach rechts und links zu schauen, er wäre fast überfahren worden. Frie wird heute noch flau, wenn sie daran denkt.
Sie denkt fast jedes Mal daran, wenn sie hier entlangfährt.
Vielleicht ist es doch ein bisschen schade, dass Robert nicht kommt, denkt Frie.
Vielleicht ist es auch beides, schade und gut so.
So ist es ja eigentlich immer gewesen zwischen ihnen, schade, aber eigentlich gut so.
Eigentlich gut so. Aber auch schade.
Sie umrundet die Hafenspitze und fährt am Ostufer zwischen Lagerhallen und Kränen geradeaus, bis am Ende des Kais ihr Ziel auftaucht, ein vor einigen Jahren auf Brachland errichtetes Ausflugslokal. Frie ist noch nie dort gewesen, dabei hat sie auf dem Rad keine fünfzehn Minuten gebraucht. Vor dem Lokal sitzen und stehen schon viele Leute mit Gläsern oder Tellern in der Hand. Frie ist noch zu weit weg, um jemanden erkennen zu können, aber nah genug dran, um zu hören, dass die Stimmung gut ist und die Musik schlecht.
Irgendein schlimmer Achtzigerjahre-Hit.
Die Sackgasse weitet sich am Ende zu einem Wendehammer, an dessen Rand Brombeeren so dicht und hoch wuchern, dass man sich dahinter verstecken könnte. Vor den Brombeeren steht ein perlweißes Rad, auf dem Rahmen der Schriftzug eines sehr guten Hotels. Links liegt das Hafenbecken. Auf den Steinen, die hier an der Kaispitze die Böschung befestigen, sitzt jemand und schaut aufs Wasser.
Ein Hinterkopf aus gewellten braunen Haaren, noch dicht, aber schon ziemlich grau. Ein Mann.
Würde er rauchen, wäre Frie sicher, dass er es ist.
Sie schiebt das Rad in seine Richtung, da dreht er sich um.
»Hey«, sagt Robert. »Wollen wir nicht lieber woandershin?«
August 1988
Das froschgrüne Portemonnaie hatte zwei Geldscheinfächer, groß genug, um einen Hunderter hineintun zu können, ohne ihn falten zu müssen. Einen Hundertmarkschein hatte er aber erst ein einziges Mal darin gefunden, letztes Jahr kurz vor Weihnachten. Meistens enthielt das Fach nur zwei, drei Zehner oder zwei Zwanziger. Die Geldscheine verwahrte seine Mutter im vorderen der beiden Fächer, ins hintere steckte sie das wertlose Papier. Kassenbons, Fahrkarten, Einkaufslisten. Zettel mit Notizen, manche mehrmals gefaltet.
Die gefalteten Notizen bewahrte Robert sich immer bis zum Schluss auf.
Er goss zwei Fingerbreit kalte Milch ins Glas und rührte drei Teelöffel Schovit hinein, bis eine sämige dunkle Soße entstand. Dann schenkte er weiter rührend Milch nach. So machte er es immer, wenn er keine Lust auf Klümpchen hatte. Nach der Schule, wenn er mehr Zeit hatte, goss er das Glas gleich voll, gab das Kakaopulver hinein, beobachtete, wie es in der Milch versank, sich auflösend und hellbraune Schlieren ziehend, und rührte erst dann um. Aber egal, wie sorgfältig man rührte, bei dieser Methode blieben immer Kakaoklümpchen auf der Oberfläche zurück, die erst im Mund platzten.
Robert nahm alle Zettel aus dem Portemonnaie.
Die meisten kannte er schon, es waren seit dem letzten Mal nur drei neue Objekte dazugekommen. Ein Kassenbon von Aldi und eine am Sonnabend gelöste Fahrkarte, da war Mama zu Elke gefahren. Und ein Stück Zeitung, das gefaltet worden war, bis es die Form eines winzigen schiefen Tortenstücks hatte. Auf den unversehrten Rand hatte jemand gekritzelt: 11101. Es war nicht seine Mutter gewesen. Mama schrieb die Null oval mit einem kleinen Kringel rechts oben. Diese Null war kreisrund und ohne Kringel. Später, heute Nachmittag, konnte er in Ruhe darüber nachdenken, was die Zahlen zu bedeuten hatten, aber vorher musste er seinen ersten Tag hinter sich bringen.
Robert sah zur Küchenuhr.
Er steckte die Zettel wieder ins Portemonnaie und legte es an seinen Platz, auf die Flurkommode. Zurück in der Küche, strich er Margarine auf zwei Brotscheiben und nahm vier Scheiben Lyoner aus der Packung. Seit Mama krank war, brauchte sie viel Schlaf, wegen der Medikamente, deshalb konnte sie ihm kein Frühstück mehr machen, kein Schulbrot mehr schmieren und ihn nicht zur Tür bringen, wenn er losmusste, auch nicht am ersten Morgen nach den Sommerferien.
Nicht mal an seinem ersten Tag in der neuen Schule.
Zu Beginn der Zehnten, noch auf der alten Schule, war ein neuer Mitschüler in Roberts Klasse gekommen. Fünf Minuten nach Unterrichtsbeginn hatte die Schulsekretärin an die Tür des Klassenzimmers geklopft und ihn mit den Worten »Hier, der angekündigte Neuzugang« in Richtung Tafel geschoben. Frau Sengelmann hatte ihn begrüßt und ihn gebeten, ein paar Sätze zu seiner Person zu sagen. Schon als der fremde Junge mit der Sekretärin hereingekommen war, war es sehr ruhig gewesen. Als er sich vorstellen sollte, verstummte noch das letzte Flüstern und Stuhlrücken. Alle starrten nach vorn, auch Robert, der nicht hätte sagen können, was größer war, seine Fremdscham oder seine Neugierde. Unter allen denkbaren Peinlichkeiten war es eine der furchtbarsten, vor dreißig fremden Gleichaltrigen zu stehen und über sich selbst reden zu müssen, aber spannend war es natürlich doch.
Wie genau würde der Neue sich blamieren und wie schlimm?
Der Neue zog die Augenbrauen hoch.
»Na gut.« Er räusperte sich. »Tja, also, ich bin Thomas, hat Frau Sengelmann ja schon gesagt.« Direkt hinter Robert landete ein Bleistift mit dem für gefallene Bleistifte typischen brüchigen Klang auf dem Linoleum. »Mein Vater ist bei der Marine, Fregattenkapitän, er ist versetzt worden von Wilhelmshaven, da haben wir die letzten Jahre gewohnt.« Rechts brummte jemand etwas, das nach sehr interessant klang. »Ich sehe nicht so richtig geil aus, seht ihr ja selbst.« Links ein Kichern. »Ich bin auch nicht so irre klug oder steinreich oder so und nur so normal sportlich, bisschen Tennis, bisschen Fußball.« Mehr Kichern, neben Robert ein Grinsen, vor ihm Getuschel, die Lehrerin lächelte. Thomas blieb ernst, nur seine Augen verrieten ihn. »Ja, was soll ich noch sagen? Ich bin leider, glaube ich, einfach nur ganz nett – und manchmal ganz lustig vielleicht, also – ich kann verstehen, wenn ihr mich erst mal ignoriert, null Problemo. Aber vielleicht hat ja nach den Herbstferien irgendwann mal jemand Lust, mit mir zu reden.«
Die Klasse lachte, auch Robert.
Gleich in der ersten großen Pause war Thomas von zwei der beliebtesten Mädchen zum Bäcker mitgenommen worden, und am Ende der ersten Schulwoche hatte er sich morgens vor Unterrichtsbeginn unter die anderen gemischt, als gehörte er seit der Siebten dazu.
Robert stieg zwischen unbekannten Gesichtern die breiten Granitstufen hoch zu dem pompösen Eingang, der in das altehrwürdige Backsteingebäude führte, das von nun an seine Schule war, und dachte daran, wie Thomas sich sofort in der Klassengemeinschaft aufgelöst hatte.
Er selbst war mehr so der Klümpchentyp, jemand, der erst mal abgekapselt zwischen den anderen herumschwamm, statt sich wie von selbst mit ihnen zu verbinden. So war es auch beim Praktikum gewesen. In der ersten Woche hatte er sich in seiner Fremdheit wie in einer durchsichtigen, aber stabilen Hülle durch die Büros bewegt. Diese Hülle war nur allmählich löchriger geworden, mit jedem an ihn gerichteten freundlichen Wort, mit jeder Nachfrage, ob das Kantinenessen geschmeckt habe, mit jedem Lob und jedem Dank, bis sie in der zweiten Woche endgültig fadenscheinig geworden war.
Vielleicht braucht es hier ja auch nur ein bisschen Geduld, bis das Schlimmste vorbei ist, dachte Robert.
Zum Glück hatte die Sekretärin keine Zeit, ihn irgendwohin zu bringen. »Hier steht alles drauf.« Sie streckte ihm einen Zettel entgegen, auf dem Robert Haase, 11b (Latein), Hr. Rasmussen, Raum 1.2.8stand. »Hauptgebäude, Treppe hoch, zweiter Stock und dann rechts ganz hinten, ist leicht zu finden, sonst fragen Sie sich durch.« Vor dem Sekretariat stieß er mit Karsten zusammen, der auf der Schiller in seine Parallelklasse gegangen war und auch gewechselt hatte, aber nicht wegen Latein, sondern wegen Informatik.
»Moin«, sagte Karsten.
»Moin moin.« Robert nickte Richtung Treppe. »Ich muss.«
»Und ich muss dahin.« Karsten nickte Richtung Sekretariat. »Man sieht sich.«
Auf der Treppe nahm Robert immer zwei Stufen auf einmal. Als er im zweiten Stock ankam, zweigte ein Flur nach links ab, aber keiner nach rechts. Geradeaus ging es noch ein paar Meter weiter, allerdings nur zu den Toiletten und zu einem Putzraum. Robert ging links an Klassenräumen vorbei, die noch verschlossen waren. Auf dem Flur lärmten Schülerinnen und Schüler, die aussahen wie zwölf oder dreizehn und sich benahmen wie kleine Kinder. Sie tob-ten und schrien, warfen Jacken, zeigten mit dem Finger aufeinander und streckten die Zunge raus. Robert suchte Raum 1.2.8, fand aber nur einen Raum 2.2.8. Er ging zurück. Erst ins erste Stockwerk, wo die Raumnummerierung mit 2.1.1 begann, dann wieder ganz runter ins Erdgeschoss. Dort blieb er stehen in der Mitte eines Stromes aus Kindern, Jugendlichen und wenigen Erwachsenen, der in alle möglichen vom Eingang wegführenden Richtungen floss. Seine unsichtbare Hülle hatte jetzt die Konsistenz einer Eierschale. Er versuchte, sich umzuschauen, ohne auszusehen wie einer, der zu blöd war zu verstehen, wo er hinmusste.
»Weißt du nicht, wo du hinmusst?« Das Mädchen war ungefähr so alt wie er.
»Nicht so ganz«, sagte Robert. »Zu Herrn Rasmussen, 11b, Raum – warte –«
Das Mädchen zog ihn am Ärmel mit sich. »Ich weiß schon. Du bist einer von den Lateinfreaks? Komm, ich bin im selben Flur, wir müssen die Treppe da hinten nehmen. Bist du eben da hoch?«
»Ja.«
»Da geht’s in den Neubau. Die Oberstufe ist im Hauptgebäude, hier entlang.«
Unter der hohen, schmalen Taille ihrer Jeans sah der Po des Mädchens aus wie ein sehr rundliches, auf den Kopf gestelltes Herz, das im Takt der Stufen sanft hin und her pendelte. Die blonden Haare reichten bis zur Mitte ihres Rückens. Die Füße waren auffällig breit und groß, mindestens Größe vierzig, vielleicht sogar größer. Das Mädchen ging ein bisschen zu sehr nach außen, wie eine Ballerina, aber schlurfte dabei ganz leicht – in dunkelgrauen Espadrilles, die mit unterschiedlichen Garnen geflickt und auf die Blumen aus Perlen und das Friedenszeichen gestickt worden waren. Ihr Gang erinnerte ihn an den einer Ente.
Raum 1.2.8 lag ganz am Ende des Flurs, dort herrschte eine erwachsenere Sorte Lärm als im Neubau. Tiefere Stimmen, weniger schrilles Gelächter, mehr Unterhaltungen und nur im Vorbeigehen hörbare dünne Musikreste, die aus Sony-Kopfhörern rieselten. Sie schlängelten sich durch Trauben von Schülerinnen und Schülern. Das Entenmädchen winkte immer wieder, manchmal rief sie »Hi!« oder »Moin!«. Sie durchquerten eine Cool-Water-Duftwolke, die von dem Geruch nach scharfen Putzmitteln und altem Rauch verdrängt wurde, der aus einer halb geöffneten Toilettentür kam. Im Toilettenraum sah Robert ein älteres Mädchen vor einem angeschlagenen Spiegel stehen, das sich mit großer Konzentration Lipgloss auftupfte, schon fast eine Frau.
Vor dem vorletzten Klassenraum machte das Entenmädchen halt.
»Hier.«
»Danke«, sagte Robert.
Die Tür zum Klassenraum stand offen. Im Raum saßen vor zum Lüften weit geöffneten Fenstern seine zukünftigen Klassenkameraden, darunter nur wenige zukünftige Kameradinnen. Ein überraschend junger Mann in einem Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln beugte sich über das Lehrerpult und suchte etwas zwischen losen DIN-A4-Blättern, die in einer behördengrünen Pappmappe lagen. Das Entenmädchen lächelte mitleidig.
»Neu sein ist beschissen. Aber deine Klasse ist ganz okay. Viel Glück.«
»Danke, wird schon.« Er nickte Richtung Tür. »Man sieht sich.«
Das Entenmädchen hob den Daumen und lachte, als hätte er etwas Witziges gesagt. Dann hastete sie, sprang geradezu in den nächsten, den letzten Klassenraum ganz am Ende des Flures. Robert sah ihr nach. Selbst wenn er sie immer nur von Weitem wiedersähe, bliebe sie die Erste an seiner neuen Schule, die an der Eierschale gekratzt hatte.
Es war also möglich, auch hier.
»Und deine neuen Mitschüler, wie sind die so?«
»Ganz in Ordnung.«
»Wie schön.« Mama tat, als ob ganz in Ordnung dasselbe wäre wie super. »Da ist noch ein bisschen Teig. Willst du noch einen?«
Sie trug diesen scheußlichen Hausanzug aus violettem Samt, den sie anzog, wenn sie nicht im Bademantel herumlaufen wollte, aber zu müde war, sich was Richtiges anzuziehen, und darüber die uralte geblümte Schürze, an der sie so hing, weil Oma sie ihr geschenkt hatte.
»Ja, bitte«, sagte Robert, obwohl er eigentlich satt war und sie eine Fertigmischung benutzt hatte, weshalb die Pfannkuchen nicht halb so gut schmeckten, wie wenn sie den Teig aus frischen Zutaten anrührte. Aber Mama hatte den Hausanzug angezogen und ein Mittagessen vorbereitet für ihn, also würde er alles aufessen, was sie ihm anbot. Beim Aufstehen stützte sie sich seufzend auf dem Küchentisch ab. Er fragte nicht, wie es ihr heute ging, sie würde sowieso nicht die Wahrheit sagen. Ein paar Minuten später saß sie wieder auf ihrem Küchenstuhl vor der Heizung und sah ihm, die knorrigen Hände im Schoß, dabei zu, wie er Zimt und Zucker auf den letzten Pfannkuchen streute, den sie für ihn in der Rührschüssel zusammengekratzt hatte.
»Dein Klassenlehrer, ist der auch nett?«
»Ich glaube, ja. Er ist noch ganz jung.«
»Wie heißt er?«
»Herr Rasmussen. Ich habe da so einen Elternbrief, den musst du unterschreiben.«
Sie tätschelte seinen Unterarm und guckte, als wollte sie ihn vorsorglich um Entschuldigung bitten für das, was gleich kommen würde. »Gucke ich mir später an, ja? Aber erst lege ich mich noch mal ein bisschen hin. Machst du bitte den Geschirrspüler an?«
»Okay«, sagte er. »Ich bin nachher mal weg, bei Heiko.«
Er sah ihr die Erleichterung an.
Er räumte die Küche auf, wusch die Pfanne ab und machte sich einen Klümpchenkakao. Nachdem er ihn getrunken hatte, sortierte er die obere, schon volle Schublade des Geschirrspülers um, bis dort Platz für ein weiteres Glas war, dann stellte er ihn an und schloss sich mit dem grünen Portemonnaie im Bad ein, aber das Tortenstückchen aus Zeitungspapier war nicht mehr darin. Nicht im Zettelfach und auch nicht im Münzfach oder in dem Fach für die Bankkarte. Sie musste die Notiz herausgenommen haben, als er in der Schule gewesen war, vielleicht weil sie die Nummer gebraucht hatte. Eins, eins, eins, null, eins. Er schrieb die Nummer unter M in sein Adressbuch.
Danach öffnete er so geräuschlos wie möglich die Tür zum Wohnzimmer.
Seine Mutter hatte die Vorhänge halb zugezogen und das Gesicht zur Sofalehne gewandt, unter der bunt karierten Wolldecke zeichnete sich ihr Körper ab. Ihr Kopf mit den immer grauer werdenden, früher dunklen Locken, die er von ihr geerbt hatte, lag auf einem Sofakissen. Ihr Atmen klang zwischendurch ein bisschen wie das Schnurren von Heikos Kater. Robert schloss die Tür und ging in ihr Schlafzimmer. Auf dem Nachtschrank lagen ein benutztes Taschentuch und Das Parfum, das sie von Elke zum Geburtstag bekommen hatte. Robert zögerte nur kurz, dann zog er umso entschlossener die Schublade des Nachttischs auf.
Sie war fast leer.
Nur ein Feuerzeug, eine Dose Atrix, eine angebrochene Packung Tempos und eine von irgendwas abgerissene Verpackungsfolie lagen darin – und ein kleiner, fester Klumpen aus zusammengeknülltem rotem Stanniolpapier. Robert sah seine Mutter vor sich, wie sie im Bett saß und heimlich Lübecker Marzipan aß, und bereute es bitter, die Schublade geöffnet zu haben. Mama konnte es nicht leiden, wenn man im Bett aß. Das sei unzivilisiert, hatte sie mal gesagt. Wenn sie ihn erwischte dabei, bekam sie diesen harten, schmalen Mund, der ihm mehr Angst machte als das melodiöse Geschimpfe, mit dem sie ihn zurechtgewiesen hatte, als er noch klein gewesen war und sie gesund. Und nun hatte er dieses Bild im Kopf, das Bild seiner unzivilisierten Mutter, und er schämte sich.
Das muss aufhören, dachte er, obwohl ihm klar war, dass er selbst es war, der damit aufhören musste.
Es machte nichts besser, sondern alles schlimmer.
Robert schob die Schublade wieder zu.
Draußen, auf dem Spielplatz vor dem Haus, fing ein Kind an, so gellend zu heulen, dass es klang, als hätte ihm jemand einen Finger abgehackt, mindestens. Robert schaute aus dem Fenster, aber es war nur der kleine, fette Dennis, der zwei Hauseingänge weiter wohnte. Dennis torkelte mit einem kräftigen langen Stock fuchtelnd hinter einem anderen, viel schnelleren Jungen her, der zwischendurch immer wieder stehen blieb und lachte, um genau in dem Augenblick weiterzurennen, in dem Dennis ihn endlich in Reichweite seiner Waffe wähnte.
Wut kann mehr wehtun als alles andere, kam es Robert in den Sinn, während er die kleinen Jungen beobachtete. Er wusste nicht, wie der Satz in seinen Kopf gekommen war, nur dass es sich lohnte, über ihn nachzudenken.
»Wolltest du nicht zu Heiko?«
Ihm schoss die Glut ins Gesicht, noch während er sich umdrehte.
»Das Geschrei da hat mich geweckt«, sagte sie, als wäre sie diejenige, die sich rechtfertigen müsste.
Mama hatte den schmalen Mund, aber etwas in ihrem Blick war rund und weich, und ihre Stimme klang warm, das verwirrte Robert. Sie kam ans Fenster und guckte mit ihm nach draußen, wo Dennis seine vergebliche Jagd aufgegeben hatte und mit seinem Stock die Teppichklopfstange verprügelte. Sie hob die Hand, um ihn zu streicheln, und er war froh, die Finger nicht sehen zu können. Er gruselte sich vor ihnen, auch wenn das gemein war, denn ihre Hände machten immer noch oft das Essen für ihn. Ihre Fingerspitzen fuhren über die frisch geschnittenen, ganz kurzen Haare in seinem Nacken.
»Das fühlt sich immer so schön an«, sagte Mama.
In diesem Augenblick brach Dennis’ Stock. Er fing wieder an zu schreien wie ein Verrückter, dann schmiss er sich in den Sand, wo er sein Gesicht in den Armen vergrub, seine Schultern bebten.
»Der Arme«, sagte Robert.
»Ja«, sagte seine Mutter.
Es gab zwei nette und unscheinbare Mitschülerinnen in seiner neuen Klasse, die ihm alles zeigten, was er wissen musste, um sich zurechtzufinden. Robert fragte sie hin und wieder, wo das Sprachlabor war oder wie man an Wertmarken für den Getränkeautomaten kam. Ansonsten versuchte er, sie zu meiden. In den großen Pausen stieg er so zielstrebig die Treppe hinunter zur Pausenhalle, als wartete dort irgendwer auf ihn. Dabei stand er immer nur allein in einer Ecke, von der aus er das Treiben der anderen beobachtete, bis der Gong den Beginn der nächsten Unterrichtsstunde ankündigte.
Am dritten Tag in der ersten großen Pause wurde er von Karsten entdeckt.
Obwohl sie einander noch nie etwas zu sagen gehabt hatten, stellte Karsten sich zu ihm und drängte ihm mit der Frage »Na, wie isses?« ein Gespräch auf über die zwei ganz neuen Personalcomputer im Informatikraum, die eklige Akne eines Mitschülers und eine rattenscharfe Referendarin. Eigentlich war es eher ein von Karsten gehaltener Monolog. Als er fertig war, sagte er: »Na, gut. Man sieht sich!«, und zog wieder ab.
»Besser nicht«, murmelte Robert.
Er dachte daran, wie das Entenmädchen am Montagmorgen gelacht hatte, als er Man sieht sich! gesagt hatte. Er sah sie ab und zu, wie sie allein oder mit anderen durch Flure oder die Pausenhalle ging oder wie sie mit zwei Schülerinnen aus ihrer Klasse, die so was wie ihre besten Freundinnen zu sein schienen, auf einer der Beetumrandungen auf dem Schulhof saß und quatschte oder wie sie sich nach Schulschluss an den Fahrradständern mit einem Mädchen traf, das nicht in ihre Klasse ging, sondern in die 11a. Die beiden fuhren oft zusammen nach Hause, wo immer das sein mochte. Das Entenmädchen schien ihn nie zu sehen, nur einmal hatte sie ihn im Vorbeigehen kurz angelächelt.
Am Donnerstag in der zweiten großen Pause wurde er schon wieder von Karsten vollgelabert, diesmal ging es um das einzige Mädchen in seinem Informatikkurs und darum, dass er morgens schon zwei Mal zu spät gekommen war, weil er auf den Schultoiletten nicht kacken konnte und das deshalb unbedingt zu Hause erledigen musste.
Allein rumstehen war scheiße. Noch viel beschissener wäre es, wenn irgendwer auf die Idee käme, er und der Computerdepp wären alte Freunde. Dann lieber weiter einen auf einsamen Wolf machen, da standen angeblich auch die Mädchen drauf, jedenfalls die, die Hermann Hesse mochten, hatte Heiko behauptet. Aber bestimmt nur, um ihn zu trösten.
Am Montag nahm Robert ein Buch mit in die Schule, das er für fünfzig Pfennig auf dem Flohmarkt gekauft hatte. In den großen Pausen setzte er sich damit vor den Klassenraum, in dem er als Nächstes Unterricht hatte, und las. Wobei er eher so tat, als würde er lesen, das Buch war sterbenslangweilig. Nur die ersten zwei Sätze, in denen der Ich-Erzähler vom Tod seiner Mutter erfuhr, berührten ihn. Aber dann beschrieb der Sohn, wie er Urlaub eingereicht hatte wegen der Beerdigung und wie er dahin fuhr, wo die Beerdigung stattfand, und wie das Heim aussah, in dem die tote Mutter gelebt hatte, und während Robert sich durch diese Schilderungen quälte, hatte er die ganze Zeit Karstens Stimme im Kopf, wobei das, was Karsten erzählte, fast noch interessanter war.
Vielleicht war es bei Weltliteratur so, dass man sie erst mal ganz lesen musste, um sie zu verstehen, aber zu Hause hatte er immer Besseres oder Dringenderes zu tun oder einfach keine Lust, und in den Pausen kam er nie weit, weil er die Lektüre für jede noch so harmlose Ablenkung unterbrach. Wenn zum Beispiel jemand vorbeiging, schaute er immer kurz vom Buch auf und versuchte, anhand der Schuhe und Hosenbeine zu raten, wer es war.
Braune Lederschuhe, khakifarbene Stoffhose: der JuLi-Typ aus der 11a.
Dunkelblaue Pumps, dunkelblaue Strümpfe, dunkelblauer Faltenrock: Frau Matthies.
Bestickte graue Espadrilles, Pedal Pusher: das Entenmädchen.
»Hallo!«, rief Robert.
»Hi!«, rief das Entenmädchen und ging weiter.
Am vierten Tag der zweiten Schulwoche saß Robert in der großen Pause an die Wand gelehnt vor dem Physikraum, als eine ausgewaschene graue Röhre in spitzen schwarzen Schnallenschuhen an ihm vorbeiging.
Keine Ahnung, dachte er.
Er wollte gerade hochschauen, als die Schnallenschuhe vor ihm stehen blieben, mit den Spitzen in seine Richtung. »Was liest du da eigentlich immer?«
Robert klappte das schmale schwarz-weiß-rote Taschenbuch über seinem linken Daumen zusammen und zeigte es dem Jungen.
»Oh, là, là, der Fremde liest Der Fremde, wie passend.« Der Junge machte ein Gesicht, von dem Robert nicht wusste, ob es Spott oder Anerkennung ausdrücken sollte. »Und ist gut?«
»Geht so. Aber vielleicht bin ich auch einfach zu doof.«
»Wusstest du, dass Robert Schmidt auch erst siebzehn war, als er es gelesen hat? Im Original. Aber du bist Lateiner, oder?«
Robert war froh, auf die zweite Frage mit Ja antworten zu können, statt die erste Frage mit Nein beantworten zu müssen. Es klang, als müsste man Robert Schmidt kennen.
»Magst du The Cure?«, fragte der Junge. »The Head On The Door ist meine Lieblingsplatte.«
»Schon. Wegen Killing An Arab habe ich mir das Buch gekauft, aber ich bin noch gar nicht angekommen an der Stelle, ich find’s, ehrlich gesagt, ziemlich öde. Keine Ahnung, was Robert–« Plötzlich kapierte Robert Haase, wer Robert Schmidt war. »Mann, ich schnall’s jetzt erst. Du meinst Robert Smith?«
»Klar, wen denn sonst? Ich heiße übrigens Christoph. Und du?«
»Ich heiße auch Robert.« Er stand auf, weil er das Gefühl hatte, dass dies ein feierlicher Moment war und dass man feierlichen Momenten im Stehen statt auf dem Fußboden sitzend begegnen musste. »Aber Robert Rabbit, nicht Robert Schmidt.«
In den Herbstferien reihte sich ein goldener Oktobertag an den anderen, zum Ende der Ferien schlug das Wetter um. Am Montag wurde Robert von einem schneidenden Ostwind durch das frühmorgendliche Halbdunkel geschoben. Es schien, als ließen die Bäume alle gleichzeitig ihre Blätter fallen, die nun massenhaft raschelnd durch Straßen und über Grünstreifen tobten. Beim Frühstück hatte er im grünen Portemonnaie eine Rechnung gefunden, die ihn noch mehr beschäftigte als die unbekannte Nummer auf der Zeitungsecke, von der er wahrscheinlich niemals erfahren würde, was sie zu bedeuten hatte. Die Rechnung war mit blauem Kuli auf einen Zettel gekritzelt worden, so unleserlich, dass Robert die wenigsten Wörter hatte entziffern können. Aber ihm war klar, dass es sich um eine Restaurantrechnung über 89,80 Mark handelte. Der Zettel trug das Astra-Logo und stammte von einem dieser kleinen rechteckigen Blocks, auf denen in Kneipen und Gasthäusern die Bestellungen notiert wurden.
Wo in der Stadt trank man Astra? Robert hatte den ganzen Schulweg lang darüber nachgedacht.
Er war trotzdem gut gelaunt, als er ankam, zehn Minu-ten zu früh. Wichtiger als das miese Wetter und Scheißchemie und die neueste Heimlichkeit seiner Mutter war, dass er einen neuen Freund gefunden hatte, vielleicht wartete Christoph sogar schon auf ihn. Christoph, der alle sieben Platten von The Cure besaß und der vor den Ferien dafür gesorgt hatte, dass Robert zu Mareikes Party eingeladen wurde, Christoph, der ihn gefragt hatte, ob er Lust habe, eine Woche nach Westerland zu fahren, zu seinen Großeltern, die dort eine Pension führten. Natürlich hatte Robert Lust, auch weil er sonst die ganzen Ferien zu Hause hätte verbringen müssen. Gemeinsam machten sie an den Vormittagen die Besorgungen, mit denen Christophs Oma sie beauftragte. Nachmittags machten sie sich über die hübschen, hochnäsigen Hamburger Mädchen lustig, die die Ferien mit ihren Familien auf Sylt verbrachten und am Strand voll genervt hinter den Eltern und dem Hund herlatschen mussten. Abends knackten sie Strandkörbe, rauchten und tranken den Apfelkorn vom Opa, und seine Mutter war irgendwann in diesen Tagen irgendwo essen gegangen mit irgendwem, obwohl sie sich Restaurantbesuche nicht leisten konnten, und wenn, dann nicht so teuer und nur zu besonderen Anlässen wie zu ihrem vorletzten Geburtstag.
Roberts Finger waren im Ostwind steif gefroren, aber wenigstens wurde es allmählich heller.
Er brauchte lange, um sein zu kurzes, störrisches Fahrradschloss zu schließen. Als er es endlich geschafft hatte, versuchte zwei Meter weiter ein Mädchen mit blauem Rucksack und Jeansjacke und ohne Haare den Vorderreifen seines Rades in eine der ewig verbogenen, andauernd zu engen Radhalterungen zu quetschen. Das heißt, Haare hatte das Mädchen schon noch, aber sie waren blond und fast so kurz wie bei dieser glatzköpfigen Sängerin aus Irland, deren Vornamen keiner richtig aussprechen konnte. Es war das Entenmädchen, dessen Namen er wusste, seit er Christoph danach gefragt hatte.
Friederika. Sie hatte ihre langen Haare abgeschnitten.
Robert kannte kein anderes Mädchen mit einer solchen Frisur, falls man überhaupt Frisur dazu sagen konnte, aber sie stand ihr. Sie hatte einen wohlgeformten Hinterkopf, nicht so platt wie seiner, sondern schön rund, und jetzt erst fiel ihm auf, was für einen langen, schmalen Hals sie hatte. Links und rechts des Halses baumelten zwei große silberne Kreolen, und in der Mitte von allem lagen wie zwei große dunkelgrüne Murmeln ihre Augen.
»So schlimm?«, fragte Friederika.
»Nein. Wieso?«
»Du guckst so entsetzt.« Die Murmeln wurden vor Verlegenheit noch größer. »Wenn du mich weiter so anstarrst, traue ich mich nicht rein.«
»Nein, nein, gar nicht. Es sieht schon ungewohnt aus, aber–« Robert dachte daran, dass er kein Fremder mehr war auf dieser Schule, sondern jemand mit einem Freund, dem er nachher erzählen konnte, ob er sich getraut hatte oder nicht, und mehr Spaß bringen würde das Erzählen, wenn er sich trauen würde. »Sieht toll aus, echt, super.«
»Puh!« Friederika wirkte erleichtert, was Robert freute. »Dann können wir ja jetzt rein. Was hast du in der Ersten?«
Sie stiegen die breiten Granitstufen hoch, drinnen trennten sich ihre Wege. Robert musste in den Chemieraum im Neubau, Friederika in ihren Klassenraum im Oberstufenflur.
»Na, dann«, sagte Robert.
»Man sieht sich.« Friederika lachte.
Sie ging auf ihre seltsam süße Art mit dem schönen Kopf auf dem langen Hals durch die Schuleingangshalle zur Treppe. Mit den ganz kurzen Haaren sah sie jetzt nicht mehr aus wie ein Entenmädchen, fand Robert. Eher wie die Königin unter den Enten.
Friederika, die Entenkönigin.
November 1989
Die Absätze ihrer neuen Pumps sanken bei fast jedem Schritt im aufgeweichten Boden ein. Im Dunkeln konnte Friederika nicht genau erkennen, wie schlimm verdreckt sie waren. Hoffentlich kriegte sie das Wildleder morgen wieder sauber.
Wenn rauskommt, dass ich sie heute schon angezogen hab, dann–
»Willst du mich entführen?«, rief sie, um nicht darüber nachdenken zu müssen.
»Willst du denn entführt werden?« Oliver blieb stehen.
Von dir schon, aber das dachte sie nur.
Oliver war vom Gehweg neben der Straße auf die abschüssige Wiese abgebogen. Sie folgte ihm, langsam, weil sie die matschigsten Stellen zu umgehen versuchte. Sein Ziel schien der Fußweg zu sein, der am Fördehang entlangführte. »Und wisst ihr auch, wie der Weg heißt?«, hatte Vater sie neulich abgefragt. »Bummelgang.«
Ihr Bruder hatte total übertrieben gelacht. »Bei uns heißt der Fummelgang, weil, auf den Bänken, da kann man so geil knutschen und so.«
Mutti, mit Fräulein-Rottenmeier-Gesicht: »Michael, bitte! Wie redest du denn?«
Ihre Empörung war von Vaters belustigtem Grunzen beiseitegewischt worden, Michi hatte vor Stolz über diesen Erfolg rote Wangen bekommen. Als ob es auch nur ein Mädchen gäbe, das Lust hatte, mit diesem verpickelten Volltrottel rumzufummeln. Aber vielleicht hatte er trotzdem recht, was den Ruf des Bummelgangs anging. Hoffentlich. Es sah ganz so aus.
Die feuchte Sitzfläche der Bank, vor der Oliver stehen blieb, war von jenem Algengrün überzogen, das im Laufe des kommenden Winters immer glitschiger werden und sich erst im Frühling wieder verziehen würde, nach und nach, aber nie ganz.
»Aber lass mal auf die Lehne setzen«, sagte Friederika.
Oliver hielt ihr die Zigaretten hin, bevor er sich auch eine nahm. Erst gab er ihr Feuer, danach zündete er seine an. Ein gut erzogener junger Mann, würde Vater sagen. Sie rauchten und betrachteten die Lichter unter ihnen. Das Licht, das warm und eckig aus den nahen Hinterhoffenstern schaute. Die vielen weißlichen Lichtpunkte, die zum dahinterliegenden Hafen gehörten. Oliver strich sich durch die Haare, seine Lederjacke quietschte. Friederika hatte ihn noch nie darin gesehen, aber sie sah ihn ja auch nicht mehr so oft, seit er Abi gemacht hatte. Vielleicht war die Jacke neu, genau wie ihre Schuhe. Vielleicht hatte er besonders gut aussehen wollen, genau wie sie. Es war ihm gelungen. Keiner, den sie kannte, sah besser aus als Olli, wie er da auf der Lehne saß und rauchte. Sogar seine Hände waren schön, kräftig und gleichzeitig irgendwie vornehm.
Vielleicht passierte gleich was. Es musste doch mal endlich was passieren.
Es lag in der Luft wie die kalte Feuchtigkeit, die überall war. Sie drang durch das Nylon von Friederikas Strumpfhose, kroch unter ihren Minirock und legte sich auf die nackte Haut im Ausschnitt ihres Bodys. In der einen Hand hielt sie die Zigarette, mit der anderen zog sie ihren Mantel über der Brust zusammen. Sie hatte ihn in einem Secondhandladen gekauft, obwohl er nur dann gut aussah, wenn sie ihn nicht zuknöpfte. Ihre Zehen waren nicht kalt, die waren taub. Sie hätte die Pumps eine halbe Nummer größer nehmen sollen, aber sie hatte sich lieber eingeredet, vierzig würde reichen. Friederika musterte die erdverschmierten Spitzen ihrer Schuhe, nahm noch einen Zug und schnipste die fertig gerauchte Zigarette auf den Bummelgang zu den vielen anderen Filtern, die dort lagen.
Stummelgang wäre auch ein passender Name.
Wahrscheinlich wäre schon längst was passiert, wenn sie kleine Füße und große Brüste hätte, so wie Sabine. Bei ihr war es genau andersherum. Sie war sehr intelligent, behauptete Vater, aber ihre Füße waren groß und ihre Brüste klein, deshalb hatte sie immer das Gefühl, sich bei den Jungs besonders anstrengen zu müssen. Nächsten Monat hatte sie Geburtstag, und vorher wollte sie endlich Sex gehabt haben, richtigen Sex, wenigstens ein Mal. Das war der Plan, aber wenn Olli sie nicht gleich mal küsste, könnte es knapp werden mit der Umsetzung.
Um die Sache zu beschleunigen, bibberte sie extra auffällig.
»Ist dir kalt?« Oliver sah Friederika von der Seite an mit seinen Oliver-Augen, die sie jedes Mal wie eine Faust in den Magen trafen, mit dieser Mischung aus hellblauem Selbstbewusstsein, fast onkelhafter Freundlichkeit und etwas unwiderstehlich Düsterem. Vor Aufregung vergaß sie zu frieren, dafür zitterte sie umso mehr. Er legte seinen Arm um sie. Sie wagte es, ihren Kopf an seine Schulter zu legen. Seine Fingerkuppen streichelten die Haut unter ihrem rechten Ohr.
Es passierte.
Ihr war fast schlecht vor Aufregung.
Er hob ihre linke Hand und bedeckte die Haut über ihrem Puls mit erst zarten, dann nassen Küssen. Das kannte sie noch nicht. Die anderen hatten immer nur ihren Mund geküsst oder ihr Gesicht oder ihren Hals. Das hier war eine erwachsenere Art Kuss; sie hatte sie in Filmen gesehen, aber nicht geahnt, wie gut sie sich anfühlte. Oliver wusste das, klar, er war ja auch schon einundzwanzig.
Ihr wurde warm.
Es passierte wirklich. Jetzt.
Die Wärme stieg ihren Arm hoch und zog ins Dekolleté hinein über ihren Bauch in die Strumpfhose, wo sie sich prickelnd zwischen ihren Schenkeln sammelte. Olivers Mund befahl ihr wortlos, den Kopf von seiner Schulter zu heben, sodass er unterhalb ihres Ohres weitermachen konnte. Friederika hörte sich seufzen. Er rutschte von der Lehne und stellte sich vor sie. Er drängte sich zwischen ihre Beine und küsste sie normal, auf die übliche Weise. Er schob seine Zunge in ihren Mund, aber dann schob er auch schon ihren Mantel zur Seite und die Hand in den Ausschnitt ihres Bodys und den Ausschnitt über ihre Brust, die flach und weiß aus all dem Schwarz starrte mit ihrem dunklen Stielauge. Er starrte zurück, dann verschluckte er sie mit einem so selbstvergessenen Geräusch, dass ihr plötzlich wieder kalt wurde. Sie schaute sich um, zum Glück war da niemand. Sie bemerkte den Altkleidergeruch, der aus dem Kragen ihres Mantels stieg.
»Hör auf, bitte. Olli, nicht hier«, flüsterte sie.
Er hörte nicht auf sie, sondern schob seine Hand unter ihren Rock.
»Oliver, Mann! Lass das!«
Er ließ nicht ab von ihr. Er drückte sein Schnaufen und Schmatzen in sie hinein, während sie sich mit beiden Händen an die Lehne klammerte.
Wenn ich loslasse, falle ich runter, dachte sie, dann ist auch noch der Mantel versaut.
Sie holte so weit wie möglich mit dem Kopf aus und rammte ihr Kinn in seine Schläfe.
Scheißfummelgasse. So ein Wichser.
Das konnte sie Robert natürlich nicht erzählen, dass er richtiggelegen hatte mit der Behauptung, Oliver sei ein schleimiger Schönling und sie eines von viel zu vielen Mädchen, die auf Arschlöcher standen. »Keine Ahnung, wieso«, hatte er gesagt, »aber ihr wollt anscheinend alle einen, der euch schlecht behandelt.«
Nee, dachte Friederika, ganz sicher nicht.
Sie hatte einfach nicht damit gerechnet, dass so etwas passieren würde.
Als sie am Gartentor ankam, war ihr nach Heulen zumute. Das ging jetzt aber nicht, denn Heulen machte Geräusche. Erst mal musste sie es unbemerkt ins Bett schaffen. Unbemerkt vom Gartentor in ihr Zimmer war ein Parcours, den sie seit Jahren trainierte, immer dann, wenn sie ihre Eltern lieber im Unklaren ließ darüber, wann oder in welchem Zustand sie nach Hause kam – seit sie mit fünfzehn das erste Mal hatte ausgehen dürfen und zwanzig Minuten zu spät nach Hause gekommen war. Damals hatte sie sich überlegt, dass es das Beste wäre, wenn es ihr gelänge, ins Haus zu schleichen und sich bettfertig zu machen und erst dann ihren Eltern Hallo zu sagen, die im Wohnzimmer saßen und fernsahen.
»Ach, bist du doch schon da?« Mutti hatte gelächelt und gleich wieder zum Fernseher geguckt, obwohl sie noch nicht fertig gewesen war mit Reden. »War schön?«
Aber Vater hatte sie durchschaut, natürlich.
Er musterte sie mit gerunzelter Stirn, als wäre irgendetwas an ihr anders. Dann nickte er fast unmerklich wie jemand, der sich selbst dazu gratulierte, etwas Kompliziertes am Ende doch noch verstanden zu haben. Friederika bemerkte, dass sie komisch atmete, flacher und schneller.
»Einen schönen Abend hattest du also.« Es war klar, dass ihm egal war, wie ihr Abend gewesen war. Das Einzige, was ihn interessierte, war, ob sie sich an das gehalten hatte, was er ihr mit auf den Weg gegeben hatte. Bis halb neun, keine Minute später. »Aber wieso hast du nicht gleich gesagt, dass du nach Hause gekommen bist?«
»Weiß nicht. Ich hab gedacht–« Friederika dachte, dass sie darüber vorher hätte nachdenken sollen.
»Nun lass sie doch, Harry, sie ist ja jetzt da.« Mutti berührte seinen Unterarm und redete in diesem sanft flehenden Tonfall, in dem man sonst Mütter mit trotzigen Kleinkindern sprechen hörte. »Pass lieber auf jetzt, es wird gerade spannend. Möchtest du noch Wein?«
»Na gut«, sagte Vater.
Na gut, heute hast du Glück, Friederika.
Na gut, Heidi, ich trinke noch was, statt auszurasten.
Obwohl der Film gerade spannend wurde, stand ihre Mutter auf und bedeutete Friederika, ihr zu folgen. In der Küche lehnte sie die Tür an. Sie nahm den Weißwein aus dem Kühlschrank und legte ihre freie Hand auf Friederikas Wange. Die Hand war kühl und erinnerte Frie daran, wie gern sie als Kind krank gewesen war, weil Mutti sie dann immer so verwöhnt und ihr zwischendurch das heiße Gesicht gestreichelt hatte. »Nächstes Mal kommst du lieber pünktlich, du weißt doch, wie er ist. Morgen ist er beim Boot, dann erzählst du mal in Ruhe. Waren nette Jungs da?« Ihre Mutter hatte verschwörerisch gezwinkert. »Und jetzt ab ins Bett, Mäuschen.«
Friederika hatte nicht einschlafen können, sondern über ihren Vater nachgedacht, wie unlogisch es war, dass man jemanden lieb und trotzdem Angst vor ihm haben konnte. Wenn ihr Vater friedlich war, konnte sie ihn liebhaben, aber sobald er ihr Angst machte, war das gute Gefühl verschwunden.
Jener Abend lag fast drei Jahre zurück.
An den Wochenenden, die auf dieses erste Mal folgten, hatte sie immer neue Diskussionen darüber ausgefochten, wie lange sie ausgehen durfte. Um jede Viertelstunde hatte sie kämpfen müssen. In jeden einzelnen Kampf war sie gezogen wie in eine womöglich vernichtende, aber unausweichliche Schlacht. Sich damit abzufinden, abends immer als Erste nach Hause zu müssen, war einfach nicht infrage gekommen.
Wieder und wieder baute sie sich vor ihrem Vater auf: »Wann muss ich heute zu Hause sein?«
Wie er reagierte, blieb unberechenbar.
Mal nannte er eine lächerlich frühe Uhrzeit und wurde sauer, wenn sie widersprach. Andere Male schaute er kaum von der Zeitung auf, fragte, was sie für angemessen hielt, und nickte ihre Antwort geistesabwesend ab. Manchmal war er, eben noch mürrisch, überraschend in bester Verhandlungslaune, fast wie ein Basarhändler, der sie verschmitzt zum Feilschen ermunterte. Es gab Tage, an denen war sie dreister als sonst und erzielte damit sensationelle Erfolge. Dann wieder verhandelte sie besonders vorsichtig und übersah dennoch eine unsichtbare rote Linie, woraufhin ihr Vater wie eine Tretmine explodierte. An diesen Tagen hasste sie ihn. Wenn er sie gewinnen ließ, war sie so dankbar, dass sie ihn liebte, aber niemals länger als bis zum nächsten Freitag oder Samstag, wenn sie erneut vor ihm stand – äußerlich tapfer, innerlich bebend.
Am Ende hatte sie gesiegt.
Es war Vater gewesen, der diesen Kampf aufgegeben hatte.
Wenige Monate nach ihrem siebzehnten Geburtstag hatte er sie wieder mal so durchdringend gemustert, dass sie sich wie nackt gefühlt hatte. Dann war sein Blick müde, fast traurig geworden. »Was fragst du eigentlich immer noch?« Er machte eine resignierte Handbewegung. »Du machst doch sowieso, was du willst.«
Ihn schwach zu sehen, war neu für Friederika, es beunruhigte sie. Aber als sie das Haus verließ, hörte sie, wie er Mutti anherrschte, die Frauen in diesem Haus hätten sich gegen ihn verbündet. Nach diesem Abend erhöhte Vater seine Kampfbereitschaft auf den anderen Konfliktfeldern. Andauernd warf er ihr vor, sie lerne zu wenig, rauche zu viel, renne unmöglich herum. Als sie sich die Haare abschnitt, bekam er einen Wutanfall und redete tagelang nicht mit ihr. Aber wann sie nach Hause kam, dafür interessierte er sich seltsamerweise nicht mehr. Und wie sie nach Hause kam, das hatte ihn noch nie gekümmert. Oft hörte sie ihn schnarchen, wenn sie die Treppe hochschlich.
Friederika machte kein Licht an, sicherheitshalber.
Sie hätte den Parcours auch mit geschlossenen Augen gehen können. Sie kannte jede Schwierigkeit und jede Methode, sie zu meistern. Das Gartentor musste man anheben, damit es nicht quietschte, nicht zu sehr, nur ganz leicht, aber egal, wie leise man es öffnete, Lotta hörte es und kam von irgendwoher geschlichen, um einem miauend um die Beine zu streichen und dann wieder in die Nacht zu verschwinden. Die alte Haustür drückte man am besten mit dem ganzen Körper ins Schloss und drehte den Schlüssel erst dann zu, so sprang sie auf keinen Fall wieder auf. Die Holztreppe schlich Friederika auf Nylon und so nah wie möglich an der Wand hoch, und die letzte Stufe vor dem ersten Stock ließ sie ganz aus, die knarzte auch an den Rändern. Im Zimmer warf sie die dreckigen Pumps auf den Teppich, um die würde sie sich morgen kümmern. Sie zerrte sich Rock, Strumpfhose und Body vom Leib, dieses blöde Scheißteil, das unten in die Poritze rutschte und das man oben mit einem einzigen Handgriff ausziehen konnte. Sie zog das Snoopy-Shirt an und kroch ins Bett zu Teddy, der nach früher roch, als auch nicht alles heil, aber trotzdem in Ordnung gewesen war. Sie hielt ihn mit geschlossenen Augen im Arm und sah Oliver, der sich an ihr festgesaugt hatte wie ein ausgehungertes Riesenbaby.
Es ist ihm gar nicht um mich gegangen.
Es war ihm um die Brust gegangen, die zufällig ihr gehörte, diese Brust, von der sie immer gedacht hatte, sie sei viel zu klein.
Vielleicht stimmte das ja gar nicht.
Es klopfte.
»Friederika!« Mutter. »In zehn Minuten gibt’s Frühstück.«
Frühstück? Sie hatte doch noch gar nicht geheult.
Sie musste eingeschlafen sein, während sie darauf gewartet hatte, weinen zu können, und nun steckte das Weinen in ihr fest, eine zähe, graue Traurigkeit, trostloser als jedes heulende Elend. Aber das Sonntagsfrühstück war unverhandelbar. Um zehn hatte man am Esstisch zu sitzen, gekämmt und angezogen. Egal, wann man am Abend vorher ins Bett gegangen war. Egal, wie es einem ging.
»Okee.« Ihre Antwort wurde von den Daunen halb verschluckt.
»Friederika? Hast du gehört?«
»Ja-ha, Mann! Gleich!« Sie ließ den Kopf zurück aufs Kissen fallen.
Sonst versuchte Mutti sonntags immer, ihr das Aufstehen zu versüßen. Mit einem Kuss, manchmal sogar mit frischem Orangensaft und meistens mit diesem Ausdruck im Blick, der bedeutete: Ich weiß, Liebes, aber es geht nun mal nicht anders. Als ob sie immer noch ein Kind wäre, dem man weismachen konnte, dass die sinnlosen Regeln und quasiheiligen Rituale, an die man sich in dieser Familie zu halten hatte, so was wie gottgegebene Gesetze waren.
Es war nicht Gott, der sie sich ausdachte, sondern ihr Vater.
Und auch wenn ihm einige Dinge inzwischen egal waren, es erfasste ihn ein gottgleicher Zorn, wenn sie gegen eines seiner Gebote verstieß. Zum Beispiel gegen das Gebot: Du sollst die teuren Schuhe, die ich dir bezahlt habe, damit ich an meinem Fünfzigsten eine anständig angezogene Tochter vorzeigen kann, nicht schon vorher heimlich ruinieren.
Die Wut im Gesicht ihres Vaters war das Erste, was sie sah, als sie das Esszimmer betrat, weil sein Gesicht noch immer das Erste war, wonach ihr Blick suchte.
Das zweite waren die Pumps.
Sie standen auf dem Frühstückstisch, an ihrem, Friederikas, Platz, da, wo normalerweise für sie gedeckt war. Anstelle von Set, Serviette, Teller, Tasse und Besteck lag dort eine Plastiktüte. Auf der Tüte stand der Schuhkarton. Der Karton diente als Podest für die Pumps, in die das pastellrosa Seidenpapier zurückgestopft worden war, das sie gestern Abend herausgenommen hatte. Sie waren so ordentlich nebeneinander auf dem Karton abgestellt worden, als handele es sich um Ausstellungsware in einem Schuhgeschäft.
Oh Gott, dachte Friederika.
Die Schuhe sahen wirklich schlimm aus.
Die schmalen Augen ihres Vaters auch.
Sie fragte nicht, wie die Schuhe aus ihrem Zimmer hierhergekommen waren, sondern blieb stumm vor dem Esstisch stehen. Michael pulte am Sieben-Minuten-Ei herum und rutschte immer tiefer in seinen Stuhl. Auf Muttis Beistand, das sah Friederika sofort, konnte sie diesmal nicht hoffen, die machte ihr Das hast du dir ganz allein eingebrockt, Friederika, da kann ich dir leider nicht helfen-Gesicht. Lotta sprang von der Heizungsverkleidung, huschte unter den Teewagen und verharrte dort mit gesenktem Kopf, angelegten Ohren und großen schwarzen Pupillen.
»Ich kaufe die neu.« Jetzt half nur noch Reue. »Von meinem Taschengeld.«
Ihr Vater griff nach dem Zucker, ohne sie aus den Augen zu lassen.
»Ach, Friederika«, sagte Mutti mit einer Stimme so geduckt wie die Katze. »Das hättest du dir vorher– Du weißt doch– Ich glaube nicht, dass es die noch mal in deiner Größe–«
Friederika wartete, dass das Brüllen losging.
Es blieb still.
Durch die Stille flog der Zuckertopf.
Der Deckel landete auf der Tischkante, von der er aufs Parkett sprang und zerbrach. Der Topf selbst flog über Muttis Kopf. Es regnete Zucker, und bevor das Porzellan an der Wand zerschellte, streifte es den Rahmen des Gemäldes, das ihren Urgroßvater in dunkelgrauem Dreiteiler zeigte: Asmus Carstensen, Erbe eines Kaufmannes, der mit dem Export von Rumverschnitt reich geworden war. Friederikas Uropa hatte die Villa bauen lassen, in deren Speisezimmer sein Enkel Harald »Harry« Carstensen soeben mit einer Zuckerdose nach seinem Porträt geworfen und es nur knapp verfehlt hatte.
Oder hatte er etwa nach Mutti gezielt? Was, wenn er getroffen hätte?
Sein Brüllen war sie gewohnt. Das hier war etwas anderes.
Als wäre die Zuckerdosenattacke der Blitz gewesen, begann nun endlich der Donner.
»Warum hattest du die Schuhe an, verdammt? Die waren für meine Feier gedacht! Wo bist du gewesen damit? Ist dir klar, dass man die jetzt in den Müll werfen kann? Hast du gar keinen Sinn dafür, was die Dinge wert sind? Hat deine Mutter dich wirklich so verwöhnt, oder was ist in dich gefahren? Du hast mich hintergangen!«
Sie stand da in einer Rüstung aus Verachtung und eisernem Schweigen und nahm zum ersten Mal wahr, wie alt und hässlich ihr Vater aussah, wenn er wütete. Ihre Angst war weg, oder jedenfalls fast. Sie hatte keine Ahnung, warum, vielleicht weil er es mit der Zuckerdose wirklich übertrieben hatte. Sein Zorn begann zu verebben, sein knallrot verzerrtes Gesicht glättete sich allmählich, in seine Stimme mischte sich etwas Jämmerliches, und sie wusste: Gleich ist es vorbei.
»Du musst doch irgendeine Erklärung haben. Ich verstehe dich nicht, Friederika.«
Gleich würde Mutti den Löffel aus der Butter ziehen, die Scherben einsammeln, den Zucker mit dem Tischfeger von der Decke kehren und immer wieder kurz zu Vater schauen, vorwurfsvoll, aber nur, wenn er es nicht bemerkte. Sobald er doch etwas mitbekam, würde er sie anfahren: Was? Sie würde Nichts! murmeln und weiter Ordnung schaffen, und Vater würde so etwas sagen wie: Na gut, wir reden später vernünftig darüber. So war es immer, erst tickte er komplett aus, dann tat er, als wäre nichts passiert, nur dass er sich nach seinen schlimmsten Anfällen manchmal Mühe gab, ein bisschen netter zu sein als sonst.
Lotta kam unter dem Teewagen hervor und flitzte in den Flur.
»Nun sag was dazu.« Vaters letzter, schon ganz matter Befehl.
Aber Friederika hatte nichts zu sagen.
Und in nicht mal einem Monat würde auch er ihr nichts mehr zu sagen haben.
Sie war noch nicht oft zu Robert gefahren, und wenn, dann nur, um ihn abzuholen. Er wollte sich immer woanders verabreden, in Kneipen, draußen oder bei ihr zu Hause. Am Anfang hatte sie angeboten, sie könnte ja auch mal zu ihm kommen. Er hatte sie abgewimmelt. Seine Mutter sei immer da, das würde nerven.
»Aber meine doch auch«, hatte Frie geantwortet.
»Aber die ist anders«, hatte Robert gesagt.
Diesen Sommer waren sie oft nach Solitüde gefahren. Meistens hatte er mit seinem Rad schon vorn an der Bismarckstraße gestanden, wenn sie kam. Zwei-, dreimal war sie zu früh gewesen und hatte unten geklingelt. Aber weiter als bis ins Treppenhaus hatte sie es nie geschafft und nur ein einziges Mal bis vor seine Wohnungstür, wo Robert sie gebeten hatte zu warten, seine Mutter sei krank und nicht ordentlich angezogen. Da hatte sie verstanden. Nicht nur hinter ihrer Haustür gab es Sachen, die keiner sehen sollte.
Aber das hier ist ein Notfall, rechtfertigte sich Friederika vor sich selbst.
Bevor sie die Klingel drückte, musste sie kurz überlegen, welche die richtige war: Haase, nicht Hase. Lustiger Zufall, dass neben den Haases ausgerechnet ein Herr Hase wohnte. Friederika dachte daran, wie sie Robert nach seinem Nachnamen gefragt hatte.
»Hase wie Hasenfuß?«
»Nein, mit Doppel-a. Aber wie kommst du jetzt gerade auf Hasenfuß?«
Sie hatte nicht erklären können, warum sie nicht Hase wie Igel oder wie Hasenbraten gesagt hatte. Vielleicht weil er ihr zuerst so scheu vorgekommen war. Er hatte es sich gemerkt. In den Herbstferien war er wie schon im Vorjahr mit Christoph auf Sylt gewesen und hatte ihr eine Karte geschrieben: Du hast gewonnen! Ich habe mich doch nicht mehr ins Wasser getraut. Bis Montag, dein Robert (Haasenfuß)
Friederika war froh, als der Türöffner summte.
Noch froher war sie, als sie Robert sah. Er stand mit ungekämmten Haaren und verschränkten Armen in der Wohnungstür und guckte verwirrt.
»Moin. Was machst du denn hier?«
Er sprach so gedämpft, dass sie es ihm automatisch nachtat.
»Moin. Ich wollte eigentlich anrufen von unterwegs, tut mir leid.« Sie hatte es so eilig gehabt, von zu Hause fortzukommen, dass sie nicht daran gedacht hatte, ihr Portemonnaie oder ein paar Münzen für die Telefonzelle einzustecken. »Mein Vater ist eben so richtig übel ausgeflippt, ich wollte nur noch weg.«
»Und da kommst du zu mir?« Jetzt sah er erfreut aus.
Friederika antwortete nicht, weil sie nicht wusste, was sie antworten sollte, ohne dass es klang, als wäre Robert nur ein Lückenfüller oder bekanntermaßen Experte für Scheißeltern.
Beides traf zu, jedenfalls ein bisschen.
Caro war auf einem Chorwochenende, Sandra bei ihrem Vater in Kappeln und Mareike immer so nervig stolz auf ihre nette Mams und ihren super Paps, also nicht die Richtige für dieses Thema. Zu Anneke hätte sie können, aber mit Anneke verabredete Friederika sich nur noch ganz selten und wenn, dann aus schlechtem Gewissen. Das Einzige, was sie noch regelmäßig machten zu zweit, war, zusammen zur Schule zu fahren oder zurück. Anneke rauchte nicht, trank nichts, ging nicht gern auf Partys, erst recht kiffte sie nie, denn sie hatte Wir Kinder vom Bahnhof Zoo gelesen und war sicher, dass ihr erster Zug an einem Joint auch der erste Schritt auf dem Weg zum nächsten Babystrich wäre. Wahrscheinlich war sie schon immer langweilig gewesen, aber Friederika hatte das erst in der Oberstufe bemerkt.
»Komm rein, aber leise«, flüsterte Robert. Er tat, als hätte er nie etwas dagegen gehabt, von Friederika besucht zu werden, was schräg war, aber auch sehr gut. »Kann sein, dass Mama noch schläft.«
»Darf ich mal aufs Klo?«
Friederika ließ die Schuhe vor der Wohnungstür stehen. Sie versuchte, möglichst leise zu spülen, aber es rauschte alles Wasser auf einmal mit einem Riesenradau aus dem Toilettenkasten, der aus derselben weit entfernten Vergangenheit stammte wie die babyrosa Fliesen. Hier war alles so klein und viel weniger hübsch als bei ihr zu Hause. Zum Glück tauchte Frau Haase nicht auf, als sie vom Klo über den engen Flur huschte.
Robert war nicht in seinem Zimmer.
Friederika schaute sich um. Das Zimmer war höchstens halb so groß wie ihres. Links vor einer schwarz gestrichenen Wand stand sein Bett, über dem Bett hing ein R. E. M.-Poster. Vor dem Fenster ein winziger, unordentlicher Schreibtisch, die Tischplatte tapeziert mit massenhaft alten Werbeaufklebern. Sie hatte in der Fünften und Sechsten auch Aufkleber gesammelt, aber ihr Vater hatte es ihr verboten, sie irgendwohin zu kleben. Rechts an der Wand gab es ein fast volles Schallplattenregal mit einem Technics-Plattenspieler. Über dem Plattenspieler hing ein Foto, das Robert mit einer Stecknadel an die Raufasertapete gepinnt hatte: Robert und sie, eine Großaufnahme ihrer Gesichter. Wange an Wange, beide gebräunt, mit nassen Haaren und albern aufgerissenen Augen und Mündern. Aus Roberts Mund guckte das Ende eines Noggers, aus ihrem ein Twister. Andi hatte das Foto im Sommer gemacht, aber Monate gebraucht, um den Film zum Entwickeln zu bringen, und dann noch mal Wochen, um Abzüge nachmachen zu lassen. Ihrer lag in einer Schreibtischschublade.
Das Zimmer war ungelüftet, das Bett zerwühlt.
Vor dem Bett, auf dem hellbeigen Teppich, stand ein Bierglas, darin der dunkel schlammige Bodensatz eines ausgetrunkenen Kakaos, daneben ein Teller mit einem halb aufgegessenen Brot. Tütengraubrot. Friederika zog die Bettdecke notdürftig zurecht und setzte sich mit dem Teller aufs Bett. Das Brot schmeckte auf eine billige, fast anrüchige Weise köstlich.
»Hunger?« Robert trug ein Tablett mit Bechern, Stövchen und einer Teekanne, aus der drei Teebeutel-Etiketten hingen.
»Oh, entschuldige, ja. Ich habe noch gar nichts gefrühstückt.«
Robert stellte das Tablett auf dem Schreibtischstuhl ab.
»Du hast ja das Foto da aufgehängt.« Sie sprach aus, was ihr unausgesprochen irgendwie komisch im Magen lag.
»Ja, stimmt«, sagte Robert. »Soll ich dir noch eins machen?«
Friederika nickte. Sie schenkte sich ein und überlegte, wie viele Jungs sie kannte, die Tee machten und anderen Brote schmierten. Er kochte sogar manchmal, hatte er erzählt. Zwar nur einfache Sachen, aber sie selbst konnte nur Mirácoli und Tiefkühlpizza und ihr Bruder nicht mal das.
Und Vater weiß bestimmt nicht mal, wie man Wasser zum Kochen bringt.
»Erzähl«, sagte Robert, als sie nebeneinander auf dem Bett saßen.
Er sagte, was ihre Freundinnen sagten, wenn sie wild darauf waren, das Neueste zu hören. Aber Robert war keine Freundin, und er wirkte nicht wie jemand, der auf irgendwas wild war, sondern wie ein Freund, der bereit war zuzuhören. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie hatte gedacht, sie würden sich erst mal warm reden, über andere, harmlose Sachen, und erst dann würde sie sich ein bisschen ausführlicher auskotzen über ihren Vater. Der Ernst, mit dem er sich ihrem Problem widmete, machte sie so verlegen, dass sie sich hinter einem Lachen verstecken musste.
»Ach, ich hab mich schon wieder einigermaßen abgeregt. Mein irrer Vater hat den Zucker durchs Esszimmer geworfen und fast seinen Opa getroffen. Ist ja auch ein bisschen lustig eigentlich.«
»Der lebt noch?«